Sonntag, 3. Juni 2007

Neue Forschungen zur Evolution der Religiosität

"Lauter dritte Wege" möchte man den folgenden Beitrag nennen. Oder auch: "Naturpsychologen". Diesen letzteren Begriff kannte ich nämlich noch gar nicht. (Frankfurter Rundschau) Aber ein wunderschöner Artikel über sie fängt folgendermaßen an:

"Das ist die schönste Bank in der ganzen Eifel", sagt die Wanderin, die nach der feuchten Kühle des Waldes nun die warme Frühlingssonne genießt. Aus dünnen, ungeschälten Fichtenstämmchen hat jemand die Bank ziemlich krumm zusammengezimmert und auf die Höhe zwischen Ahrtal und dem Kesselinger-Bachtal gestellt. Weit kann der Blick über die Eifelhöhen schweifen.

Wiesen, dunkle Nadelwälder und Mischwald in allen Grüntönen wechseln sich ab. Meist hat man den stillen Ort abseits der markierten Wanderwege für sich alleine. Der Erbauer der Bank fand wahrscheinlich einfach die Stelle und die Aussicht schön.

Egal wird es ihm wohl sein, dass die Szenerie hier exakt die allgemein gültigen Kriterien erfüllt, die laut Naturpsychologen weltweit Menschen eine Landschaft als schön empfinden lassen: federnder Boden, geschwungene Linien von Weg, Waldrändern oder Gewässern, naturnahe, abwechslungsreiche Landschaft, sanft bergiges Gelände, natürliche Stille, jede Menge Aussicht und ein spannungsreicher Wechsel im Raumeindruck. "Deutsche Mittelgebirge gehören zu den objektiv schönsten Landschaften der Welt", erklärt Rainer Brämer, Natur-Soziologe an der Uni Marburg. ...

Hier ist sicher von einem "dritten Weg" die Rede jenseits von Kirchen- und Schulmauern ... ;-) Aber - im Grunde mal ernsthaft: Wird hier nicht auch Religiosität, die Evolution von Religiosität erforscht? Also mal gleich weiterlesen:

Ob zu Fuß an einem gurgelnden Bach der Schwäbischen Alp, Paddeln auf der kurvenreichen Lahn, Wandern mit faszinierenden Fernsichten im Hoch- oder Mittelgebirge - jeder, der sich mit seinen Sinnen einlässt auf die Naturerlebnisse, kennt wahrscheinlich das Gefühl, dass einem vor Freude plötzlich "das Herz aufgeht", sich im Körper Ruhe und Entspannung ausbreiten.

"Nach Erkenntnissen der Naturpsychologie übt bereits eine Naturlandschaft als solche, insbesondere aber eine ästhetisch schöne Landschaft einen Effekt auf die Stimmung und geistige Frische von stressgeschädigten Personen aus", sagt Brämer.

Silvia Schäffer von der Universität Bonn bestätigt das: "Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Blick über eine weiche, hügelige Landschaft Herzschlag und Blutdruck messbar senkt und damit zum Wohlbefinden beiträgt." Krankenhaus-Studien zeigten, dass "schon der Blick auf einen Baum vor dem Zimmer der Patienten ihren Bedarf an Schmerzmitteln senkt und ihre Verweildauer verkürzt", sagt Schäffer.

Bewegt man sich durch die Natur aus eigener Körperkraft und mit niedriger Intensität, aber regelmäßig und ausdauernd, stellen sich zahlreiche positive physische und psychische Effekte ein. Eine in Österreich durchgeführte Studie an Personen mit metabolischem Syndrom - also Übergewicht, Diabetes, erhöhten Blutfetten und Bluthochdruck - belegte beispielsweise nach einem dreiwöchigen Wanderurlaub sowohl im Berg- als auch im Flachland, dass Gewicht, Blutdruck und Puls sanken, die "schlechten" LDL-Blutfette zurückgingen und die "guten" HDL-Werte anstiegen, sich der Blutzucker-Stoffwechsel und die Sauerstoff-Abgabe an das Gewebe verbesserte, der oxidative Stress sank und Schlafqualität und Stimmung stiegen.

Wenn man seinen Blick baumeln lässt bei der Bewegung durch eine Naturlandschaft bis einem das Herz weit wird, hat das ganz handfeste hirnchemische Gründe. Laut dem US-Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi liegt der "Flow", das Wesen des Glücks, im Einswerden mit seiner Umwelt und dem Versinken in sein konzentriertes Tun. Was, wenn nicht das harmonische Bewegen in der Natur zu Lande oder zu Wasser, kommt diesem Gefühl des Fließens näher.

Denn bei Ausdauerbelastung ab rund 30 Minuten sinkt der Stresshormon- und steigt der Serotoninspiegel im Gehirn. Der Gute-Laune-Botenstoff sorgt für innere Ausgeglichenheit, Optimismus und Ruhe. "Ausdauernde körperliche Bewegung stimuliert die Neubildung von Nervenzellen und fördert die für Lernvorgänge wichtige Bildung von Synapsen", erklärt Sabine Kubesch vom Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen der Universität Ulm.

Laut Brämer zeigen jüngste medizinische Daten, dass allein der Anblick einer schönen Naturszenerie stimmungsaufhellend unsere Hirnströme, Hormone und Botenstoffe beeinflusst. Unter dem Begriff "Therapeutische Landschaften" werden diese gesundheitsfördernden und heilenden Effekte, die das Erleben der Natur mit allen Sinnen auslöst, verstärkt bei begleitender Behandlung, Prävention oder Rehabilitation der unterschiedlichsten Erkrankungen eingesetzt - sei es Nordic Walking im traditionellen Kurpark, die Arbeit im "Heilenden Garten" oder "Therapeutisches Wandern".

"Indikationen sind unter anderem Stoffwechselstörungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, rheumatische Beschwerden, Venenerkrankungen, Fettleibigkeit, orthopädische Beschwerden, Neurodermitis, Tinnitus, Depressionen, Suchterkrankungen, Angststörungen sowie weitere psychosomatische Erkrankungen", erklärt Brämer.

"Natur wirkt auf die Psyche wie eine Bremse", sagt der Psychoanalytiker Professor Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut. "Wenn sich der Mensch in der Natur aufhält, erdet er sich, die Wirklichkeit wird wieder fassbar." Der Mensch vergewissere sich seiner selbst und könne in einer Welt ohne feste Werte neue Sicherheit finden. "In der Natur schrumpfen unsere Allmachtsgefühle", meint Haubl. "Man erkennt, dass natürliche Ordnung größer ist als die kulturelle. Auch das kann eine tiefe Sehnsucht befriedigen, mit einem übergeordneten Ganzen eins zu werden. Das kann Trost und Geborgenheit spenden."

Vielen Dank, Margit Mertens, für diesen schönen Artikel! Einmal mehr läßt er einen über die Tatsache nachdenken, daß Religiosität eine Ganzkörper-Erfahrung ist, nein vielleicht sogar eine ganzheitlichere Lebenserfahrung.

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