Drei Ausbreitungswellen der Kurgan-Kultur: 4.500 - 4.000 - 3.300 v. Ztr.
Der Zug der Rinderwagen bewegte sich langsam durch die Kalmücken-Steppe, immer den Flußlauf des Manytsch entlang, immer weiter, Richtung Nordwesten. Tagelang. Ziel war der Unterlauf des Don. Ziel waren die Gegenden nördlich des Don. Dort gab es fruchtbare Weidegründe in Hülle und Fülle. Begleitet wurde der Zug der Rinderwagen von riesigen Herden: Schafe, Ziegen und Rinder. Diese stellten den ganzen Stolz ihrer fürstlichen Besitzer dar. Wenn man länger an einem Ort blieb, wurden Jurten aufgebaut. Starb jemand, wurde ein Kurgan aufgeschüttet, ein Grabhügel, unter dem dieser bestattet wurde.
Abb. 1: Ritzung an der prähistorisch viel genutzten Felsformation Kamyana Mohyla (Wiki) an der Molotschna (Aufnahme entstanden vor 1961) (Wiki) - Inmitten der Urheimat der Indogermanen |
So kamen unsere Vorfahren einst, um 4.000 v. Ztr., aus der Kalmücken-Steppe in die Gegenden nördlich vom Don. Dort vermischten sie sich mit Menschen der Sredni-Stog-Kultur. Dadurch wurde der Jäger-Sammler-Herkunftsanteil unter den Menschen der Sredni-Stog-Kultur immer geringer. Ab 3.300 v. Ztr. ging aus diesen Zuwanderungen und Vermischungsprozessen das Urvolk der Indogermanen hervor, die Jamnaja-Kultur (Stgen2023) (1). Und zwar - nach bisherigen archäogenetischen Erkenntnissen (2) - in einer Kernregion grob rund um das heutige ukrainische Dorf Mykhailivka (Wiki, ukr). Mykhailivka liegt 26 Kilometer südlich des Südufers des Dnjeprs, bzw. des dortigen, heutigen Kachowkaer Stausees (Wiki) (s. GMaps).
Das Dorf und die Region befinden sich seit dem 1. März 2022 unter russischer Besatzung. Es ziehen sich um das Dorf gegenwärtig Verteidigungsgräben der russischen Armee in Erwartung ukrainischer Gegenangriffe von Norden her (Tw2023). Die ab 1950 errichtete Staumauer des Kachowkaer Stausees ist am 6. Juni 2023 durch die russische Armee zerstört worden. Mykhailivka liegt außerdem 33 Kilometer westlich der Kurgane von Vinogradnoe an der Molotschna, einem zweiten wichtigen Ausgrabungsort im Zentrum der Urheimat der Jamnaja-Kultur.
Marija Gimbutas, die litauisch-US-amerikanische Archäologin, hat auch in Einzelheiten zur Urgeschichte der Indogermanen recht behalten
Inzwischen steht das Wesentlichste zu all dem sogar schon auf dem deutschen Wikipedia. Man denke. Und zwar steht dort über die vor allem von der US-litauischen Archäologin Marija Gimbutas (1921-1994) formulierte Hypothese der Urheimat der indogermanischen Sprachen in der Nordschwarzmeer-Steppe, deren Kern - womöglich - das Dorf Mykhailivka bildete (Wiki):
Heute ist die aus der Kurgan-Hypothese umformulierte Steppen-These das dominante Modell der Indogermanisierung Europas. (...) Der Begriff „Kurganhypothese“ bezeichnet die Vorstellung, diese Region sei Urheimat der Sprecher der gemein-indogermanischen Grundsprache. Diese Hypothese wird mittlerweile von den meisten Prähistorikern und Sprachwissenschaftlern positiv beurteilt.
Der hier charakterisierte Meinungsumschwung in der Forschung beruht auf den Erkenntnissen der Archäogenetik der letzten fünf bis zehn Jahre. Das wird im Wikipedia-Artikels dann erst an dessen Ende erwähnt.
Abb. 2: Sie zogen mit dem Rinderwagen über die Steppe - Die Jamnaja um 3.500 v. Ztr. - Rinderwagen -Modell mit Scheibenrädern - Kleinplastik aus Kupfer, gefunden in Gräbern in Alacahüyük (Türkei), Bronzezeit - Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin / Claudia Plamp (CC BY-NC-SA) (SMB) |
In der Hypothese von Gimbutas spielen noch Hungersnöte in der Steppe eine Rolle, die zur Abwanderung der Steppen-Völker in andere Regionen geführt hätten. Es wird sich erst noch zeigen müssen, ob sich auch diese Annahme bestätigt. Es drängt sich ja doch eher der Eindruck auf, daß Übervölkerung die Ursache war und vor allem anfangs auch Fernhandel (z.B. mit Kupfer aus dem Balkanraum heraus).
Außerdem sehen wir heute deutlicher als das zu der Zeit von Marija Gimbutas möglich war, daß wir es in den damaligen Jahrtausenden mit der Bildung von politischen Großreichen zu tun haben, die in friedlichen und kriegerischen Zusammenhängen miteinander standen und die sich gerne auch in Abwehr befanden gegenüber nomadisch lebenden Stämmen aus der Steppe. Wir haben es grob ab 4.000 v. Ztr. allerwärts mit Rinderwagen-Kulturen zu tun und mit Kriegern, die über Fernwaffen wie Pfeil und Bogen verfügten.
Wir haben es in den politischen Zentren dieser Großreiche und unter den politischen Eliten derselben (Hochadel) zu tun mit der Ansammlung von großem Reichtum und großem Wohlstand.
Abb. 3: Sie zogen mit den Rinderwagen über die Steppe - Wagen-Modell mit einem Rindergespann aus Bronze, gefunden in Anatolien, datiert auf das 2. Jhtsd. v. Ztr. (Kultur der Hethiter oder der Urartäer?) - Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin / Claudia Plamp (CC BY-NC-SA) (Dt Dig Bibl) |
Vor allem in der Frühphase der Kurgan-Kultur ab etwa 4.500 v. Ztr. lebten die Jäger-Sammler-Kulturen an der Mittleren Wolga, sowie an Don und Dnjepr noch in einer Art Traumwelt. Wir sehen z.B. in manchen Gräbern phantastischen Kopfschmuck, wir sehen Tierkopfzepter, die auch schamanistischen Elchkopfstäben hervor gehen, wir sehen vielfältigen Schmuck gefertigt aus Wildeber-Hauern, wir sehen einen oft urtümlichem Umgang mit den Leichen von Verstorbenen. Aber schon wenige Jahrhunderte später scheint diesbezüglich auch in den Steppenvölkern eine "Ernüchterung" eingetreten zu sein. Formellere und formalisierte Religionsausübung wie sie typisch ist für Bauernvölker trat an die Stelle der vormaligen, phantastischen und urtümlichen Vielfalt religiöser Vorstellungen und Gewohnheiten in Jäger- und Sammler-Völkern.
Marija Gimbutas nahm schon drei Phasen der Ausbreitung Kurgan-Kultur innerhalb der Nordschwarzmeer-Steppe und aus ihr heraus an. Und genau dieses Bild bestätigt sich seit April 2024 durch die neuesten Ergebnisse der Archäogenetik. Diese sind in zwei neuen Aufsätzen veröffentlicht (1, 2), die eine Einheit bilden. Dabei wird erst am Ende des zweiten Aufsatzes eine Zusammenfassung aller Erkenntnisse beider Studien gegeben, mit der der Leser einen besseren Überblick über die Ergebnisse beider Studien erhält. Unser erster Aufsatz zur Auswertung dieser Studien bezog sich fast nur auf die erste der beiden Studien (Stgen2024). Im folgenden folgt nun die Auswertung vornehmlich der zweiten der beiden Studien (2).
Inhaltlich werden in der zweiten Studie in drei Durchgängen dieselben drei Geschichtsphasen jeweils erneut und wiederholter Maßen behandelt. Wir behalten das im vorliegenden Aufsatz bei und nehmen auch selbst diese Wiederholungen in Kauf. Tatsächlich ist vieles von den referierten Erkenntnissen so neu, daß Wiederholungen auch dienlich sein können, um das neu gewonnene Wissen zu festigen und zu verinnerlichen.
Abb. 4: Ochsenkarren unter der Abendsonne - Schnitt von Vincent van Gogh, 1884 |
(Wir verzichten in dem vorliegenden Artikel ausnahmsweise auch einmal auf Wiedergabe des Originaltextes der Studie und bringen nur unsere eigene Übersetzung desselben. Der Originaltext ist ja am genanntem Ort jeder Zeit leicht zugänglich. Die zweite Studie liest sich übrigens inhaltlich auch verständlicher als die erste.)
Der Nordschwarzmeer-Raum - Die Urheimat von uns heutigen Europäern
In unserem Aufsatz "Das farbenprächtige Bild der Völkergeschichte Böhmens" machten wir 2021 uns und den Lesern zum ersten mal klar, was für eine Vielfalt aufeinanderfolgender genetisch unterschiedlicher Völker und Kulturen zwischen 5.000 und 2.000 v. Ztr. allein in einer geographisch so überschaubaren Region wie Böhmen beobachtet werden kann (Stgen2021). Erst durch die Erkenntnisse der Archäogenetik der letzten Jahre wird dieser Umstand klar. Inzwischen schält sich heraus, daß dieses Bild von vielfältigen, aufeinanderfolgenden, genetisch und kulturell unterschiedlichen Völkern und Kulturen für den genannten Zeitraum in ganz Europa viel eher die Regel als die Ausnahme darstellt.
Abb. 5: Vermutlich wird man sich so die Behausungen der Urvölker der Indogermanen an der Wolga, am Don und am Dnjepr vorstellen können: Jurten der Kasachen am Ufer der Wolga bei Astrachan um 1915 (Wiki) *) |
Kein Archäologe, kein Anthropologe und kein Geschichtsphilosoph früherer Jahrzehnte hätte ausreichend Phantasie besessen und zudem auch noch den Mut, solche "Phantasie" nun auch als wissenschaftliche Theorie auszuformulieren. Viele dieser vormaligen Forscher und Denker suchten "Urvölker", "Ur-Rassen", die nach ihrer Vorstellung meist in langer genetischer und kultureller Kontinuität innerhalb Europas bis heute fortbestanden hätten. Dabei gab es auch über die langen Zeiträume der Geschichte vor der Bronzezeit bis in die 1950er Jahre hinein noch keine klaren Vorstellungen. Niemand hatte sich deshalb vorstellen können, daß die Geschichte Europas in der genannten Zeit in einer solchen vielfältigen Abfolge von Völker und Kulturen bestand hat. (Übrigens gilt das auch schon für die Eiszeit, in der immer wieder neue genetische Gruppen vorherige ablösten, [siehe dazu zuletzt hier: Stgen2023]).
Dieser Umstand des vielfältigen Aufeinanderfolgens von Völkern gilt nun auch für den Nordschwarzmeerraum.
Ein Merkmal allerdings weist der Nordschwarzmeerraum auf, das keine andere Region Europas aufweist: In ihm sind ein Volk und eine Kultur entstanden, die bis heute in vielen Teilen Europas genetisch und kulturell fortbestehen. Und zwar in uns. Ein solcher Umstand trifft auf keine andere Region Europas zu. Entweder haben sich große Bauernvölker von außerhalb Europas nach Europa hinein ausgebreitet, vor allem vom neolithischen Anatolien aus und leben bis heute insbesondere genetisch in diesem Europa und damit in uns sehr ausgeprägt fort (in Südeuropa ausgeprägter als in Nordeuropa). Oder aber die einstmals in Europa selbst entstandenen oder in dies zuwandernden Großvölker und Kulturen sind im Laufe der Zeiten bis heute genetisch und kulturell in diesem ausgestorben oder aber haben sich randständig erhalten können. Das gilt insbesondere für die im Mesolithikum in Europa einheimischen Völker. Sie leben genetisch meist nur in unterschiedlich kleinen Anteilen in uns allen fort und haben kulturell und sprachlich vermutlich noch weniger Einfluß auf die Jetztzeit genommen als genetisch (zuletzt behandelt hier: Stugen2023).
Alles das nun verhält sich anders bezüglich eines einzigen Volkes innerhalb von Europa: Der Jamnaja. Jenes Volk, das sich ab 3.300 v. Ztr. vom Unteren Dnjepr und vom Unteren Don aus sehr zügig in alle Welt ausbreitete und deren Nachkommen sich später rund um den ganzen Globus ausgebreitet haben, wiederum sowohl kulturell wie genetisch. Die Jamnaja - das Urvolk der Indogermanen.
Aber wiederum im Gegensatz zu allem, was sich Forscher und Geschichtsphilosophen sonst hatten vorstellen können, hat nun auch dieses Urvolk der Indogermanen wieder eine Vorgeschichte, und zwar eine solche, die wiederum - in den Grundzügen - sehr vielen anderer Regionen in Europa gleicht: Völker entstanden und gingen unter, Teilvölker bildeten zusammen mit anderen Teilvölkern neue Völker. Und aus solchen Vorgängen, die eher typisch als untypisch sind für Europa, sind dann die Jamnaja entstanden.
Wie merkwürdig, daß die genetischen und kulturellen Grundlagen Europas alle im Wesentlichen in Randbereichen Europas gelegt worden sind. Was seine Ackerbauern-Herkunft betrifft: in Anatolien. Und was seine Steppen-Herkunft betrifft: an der Mittleren Wolga und in der Kosaken-Steppe. Was wohl mögen solche Umstände heutigen Europäern sagen?
So ein wenig erinnert einen das ja an Erkenntnisse aus der Evolutionsforschung, wonach Artbildung vor allem in der Regenwaldzone stattgefunden hat (wo es ja auch die größte Artenvielfalt gibt) und wonach sich von dort aus neue Arten nach Norden und Süden ausgebreitet haben.
Vor dem Neolithikum
In dem seit 18. April 2024 im Preprint zugänglichen Aufsatz "A genomic history of the North Pontic Region from the Neolithic to the Bronze Age", dem zweiten, gleichwertigen Teil zu dem gleichzeitig veröffentlichten Aufsatz "The Genetic Origin of the Indo-Europeans" heißt es jedenfalls im Diskussionsteil, die Ergebnisse beider Aufsätze zusammenfassend (Biorxiv2024):
Wir zeigen, daß die neolithischen Populationen des Dnjepr-Tals gemischt waren. Grob gesagt, war Balkan-Jäger-Sammler-Genetik (BHG) gemischt mit osteuropäischer Jäger-Sammler-Genetik (EHG), wozu zusätzlich noch etwa ∼7-9 % frühe europäische Bauern-Herkunft (EEF) trat, die sich innerhalb der gesamten Population der ukrainischen Jäger-Sammler (UNHG) findet mit Ausnahme einiger weniger Ausreißer wie Individuum I27992 aus Yasynyvatka (27±6,0 % EEF) und einem nicht vermischten EEF-Individuum I3719 aus Dereivka I 6 (103,5±1,6 % EEF). Kaukasus-Jäger-Sammler-Abstammung (CHG) ist in ähnlichem Umfang wie die EEF-Abstammung vorhanden (∼7-10 %), einschließlich jener Region, die dem Nordkaukasus am nächsten liegt, in der neolithischen Nordschwarzmeer-Nekropole in Mariupol. Die Herkunft der EEF-Genetik innerhalb der ukrainischen Jäger und Sammler bleibt insgesamt unklar, könnte aber durch BHG-Migranten im Dnjepr-Tal oder durch Individuen mit EEF-genetischem Hintergrund wie Individuum I3719 vermittelt worden sein, die in UNHG-Gemeinschaften aufgenommen worden sind.
Soweit zunächst zu den mesolithischen Völkerschaften des Nordschwarzmeergebietes.
Die erste Welle der Kurgan-Ausbreitung (4.500 v. Ztr.)
Es heißt dann weiter zu den neolithischen Kulturen daselbst (Biorxiv2024):
Wir schlußfolgern, daß die eneolithische Tripolje-Bevölkerung hauptsächlich aus Quellen entlang des EFHG-Gradienten gebildet wurde (Gradient von den frühen europäischen Bauern hin zu den Jägern und Sammlern), die eine begrenzte Beimischung von Menschen mit BP-Gruppe-CLV-Herkunft aufwiesen (∼5 %).
Mit BP-Gruppe-CLV-Herkunft ist Genetik des Urur-Volkes von der Wolga, also aus der Chwalynsk-Kultur gemeint. Diese findet sich als schon sehr früh in der Cucuteni-Tripolje-Kultur, was wir schon andernorts hier auf dem Blog behandelt hatten. Und weiter zu einer besonderen Kultur am Nordufer des Schwarzen Meeres (Biorxiv2024):
Die Ussatove-Kultur wurde auf der Grundlage von Menschen der PV-Gruppe-CLV gebildet, die sich zu gleichen Teilen mit Tripolje-Abstammung vermischten. Die Tripolje- und Ussatove-Bevölkerungen hatten also Herkunft aus der Nähe der Biegung des Wolga-CLV-Gradienten und unterschieden sich darin, daß diese Abstammung bei Tripolje geringer und stärker mit der BP-Gruppe verwandt war, während sie bei Ussatove etwa die Hälfte ausmachte und stärker mit der PV-Gruppe verwandt war (verschoben in Richtung des Maikop-Aknashen-Endes des CLV-Gradienten).
Hier ist angedeutet, daß sich das Kurgan-Volk von der Mittleren Wolga ab 4.500 v. Ztr. mit 5 % in die Tripolje-Kultur einmischte und mit 50 % in die Ussatove-Kultur. Da sich dieses Kurgan-Volk nördlich des Kaukasus auch mit Menschen vermischte, die gemischte anatolisch-neolithische Herkunft hatte, ergaben sich genetisch unterschiedliche Gruppen innerhalb dieses Volkes, nämlich die "BP-Gruppe" und die mehr mit anatolisch-neolithischer Genetik vermischte "PV-Gruppe". Weiter lesen wir (Biorxiv2024):
Die Erkenntnisse aus Ussatove und Tripolje verdeutlichen den Prozess der CLV-Beimischung im Nordschwarzmeer-Gebiet im Eneolithikum. Als Menschen mit Wolga-CLV-Abstammung über die nordpontische Steppe in die Balkan-Karpaten-Region zogen, trafen sie auf lokale Bauernpopulationen. Einige Träger der Wolga-CLV-Herkunft - wie in Giurgiuleşti und Csongrád - erreichten den Balkan und die Karpatenregion ohne genetische Vermischung mit den Menschen, denen sie unterwegs begegnet waren; wenn sich einige Migranten vermischten, hinterließen sie nur geringe demographische Auswirkungen, vielleicht weil ihre Zahl im Vergleich zur lokalen Bevölkerung gering war. Im Gegensatz dazu waren der bäuerliche Gegenpart im Nordschwarzmeerraum - wie Tripolje - demographisch stärker betroffen (von der Vermischung). Die genetische Herkunft der Wolga-CLV-Einwanderer sowie Elemente ihrer materiellen Kultur sind erkennbar. Eine interessante Möglichkeit, die sich aus unseren Erkenntnissen ergibt, besteht darin, daß Ussatove um einen Außenposten im Raum zwischen Donau und Dnjestr herum gegründet wurde, um einerseits den wirtschaftlichen Interessen von Tripolje zu dienen und andererseits denen der frühen Trägern der vom Südkaukasus angereicherten PV-Gruppe der CLV-Gradienten-Herkunft. Ein ähnliches Szenario ist für die Cernavodă I-Population von Kartal_A möglich, jedoch mit von der BP-Gruppe abgeleiteten Trägern von CLV-Herkunft, wie z. B. bei den Giurgiuleşti- und Csongrád-Individuen. Alternativ könnten sich Ussatove und Kartal A als "Gemeinschaft" koexistierender und voneinander abhängiger Kulturen gebildet haben, an der sowohl Tripolje als auch Populationen aus dem Kaukasus und der Wolga beteiligt waren. Ein drittes mögliches Szenario stellt egalitäre Tripolje-Angehörige unter die Dominanz hierarchisch organisierter patriarchalischer Gesellschaften mit CLV-Vorfahren, die sich bis in den nordwestlichen Nordschwarzmeer-Raum ausbreiteten.
Orlowka-Kartal (Wiki) befindet sich nördlich der Donaumündung in der Dobrutscha, im äußersten Südwesten der Ukraine nahe ihrer Grenze zu Rumänien. Mit der Rolle der Steppenregion Bessarabiens, der Dobrutscha, des Butschak haben wir uns schon gelegentlich hier auf dem Blog beschäftigt (Stgen2021).
Die zweite Welle der Kurgan-Ausbreitung (4.000 v. Ztr.)
Weiter lesen wir (Biorxiv2024):
Die andere große eneolithische Kultur des Nordschwarzmeerraumes, die Sredni-Stog-Kultur, bestand auch aus Menschen, die in unterschiedlichem Maße CLV- und UNHG-bezogene Vorfahren hatten. Dem Sredni Stog-Gradienten fehlt im Gegensatz zur Ussatove-Kultur und insbesondere der Tripolje-Kultur eine nennenswerte Herkunft von frühen europäischen Bauern. Die Ergebnisse in der ersten unserer beiden Studien und die aktuelle Analyse weisen den Kern der Jamna-Kultur als eine späte, von Sredni Stog abstammende Bevölkerung aus, die mehr CLV-Abstammung hatte als die untersuchten Sredni Stog-Individuen, die aber aus denselben von CLV und UNHG-GK2 abgeleiteten Herkunfts-Komponenten bestand. Die CLV-Herkunft machte in Tripolje nur 5 % und in Ussatove rund 50 % aus, während sie in der Jamna-Kultur 77 % betrug. In Ussatove stammten ca. 14 % der CLV-Herkunft aus dem südlichen Kaukasus und war mit der Aknashen-Herkunft verwandt (siehe Ergänzende Informationen, Abschnitt 2), während im Kerngebiet der Jamna-Kultur die Aknashen-Herkunft ca. 21 % betrug. Es handelte sich also nicht um eine CLV-Ausbreitung in die Steppen- und Pontus-Region, die nur Herkunft aus einer einzigen Quelle mit sich geführt hätte.Die dargelegten Befunde sprechen für einen Ursprung des Jamna-archäologischen Komplexes (YAC) im Dnjepr-Don-Gebiet des nordöstlichen Nordschwarzmeergebietes. Die Jamna-Abstammung wurde nach der Jamna-Ausbreitung zu einem Merkmal fast aller Individuen in Südosteuropa mit Ausnahme der südlichsten Ecke der Balkanhalbinsel in der Ägäis. Die Ausdehnung des YAC nach Osten brachte seine Träger in die Nähe des Fußes des Urals (wo die Jamna an der Samara untersucht wurden) und nach Westsibirien, wo sie die Afanasievo-Kultur des Altai bildeten.Die Existenz unvermischter Kern-Jamna in einem weiten Gebiet vom Altai bis nach Bulgarien kann als Beweis für die Schnelligkeit der Ausbreitung der Jamna angesehen werden, da während ihrer anfänglichen Ausbreitung (offenbar) kaum die Gelegenheit zur Vermischung wahrgenommen wurde. Die Frage, ob die bemerkenswerte (genetische) Homogenität des Kern-Jamna-Clusters eine Folge der relativen Isolation während ihrer Entstehungsphase oder einer kulturellen Vermeidung von Heterogamie war, die später aufgegeben wurde, bleibt zu beantworten.
Wenn hier die Rede ist von 77 % "CLV-Herkunft", dann steht das für "Caucasus-Lower Volga"-Herkunft, also für die Herkunft der archäologischen Chwalynsk-Kultur von der Mittleren Wolga, die sich bis zum Kaukasus und weiter ausgebreitet hat. Allerdings wird gleich im nächsten Satz weiter ausgeführt, daß in diesen 77 % auch 21 % anatolisch-iranische Aknashen-Herkunft enthalten wäre, die Herkunft jenes Volkes, das vor Ausbreitung des Kurgan-Volkes von der Mittleren Wolga nach Süden im Kaukasus und nördlich davon lebte, und mit dem sich die Menschen der Chwalynsk-Kultur im Zuge ihrer Ausbreitung vermischt haben.
Die dritte Welle der Kurgan-Ausbreitung (3.300 v. Ztr.)
Und weiter (Biorxiv2024):
Während ihrer Westexpansion nahmen die Jamna frühe europäische Bauern-Herkunft der Bevölkerungen des westnordwestlichen Randes der Nordschwarzmeerregion und Südosteuropas auf, während sie gleichzeitig Personen mit Vorfahren aus den Don-Jamna oder der Maikop- und der Steppen-Maikop-Kultur integrierten. So nahmen die Jamna während ihrer Expansionswelle auf unterschiedliche Weise Herkunft aus nahezu jeder angetroffenen Bevölkerung vor Ort auf. Diese integrative Natur ihrer Gemeinschaften trug - gepaart mit ihrer bemerkenswerten Mobilität - wahrscheinlich zum Erfolg der Jamna bei der Verbreitung ihrer indoeuropäischen Sprache und Kultur über geografische und Bevölkerungsgrenzen hinweg bei.Das chronologisch älteste (3635–3383 calBCE) Individuum mit der Abstammung der Kern-Jamna stammt aus der Siedlung Mykhailivka, die eine Abfolge ununterbrochener kultureller Schichten vom späten Eneolithikum bis zur frühen Bronzezeit (EBA) aufweist, ohne daß es Hinweise auf eine Entvölkerung des Ortes bis in die Jamna-Zeit hinein gibt, wie es solche an fast allen anderen eneolithischen Fundstätten gibt. Im Kontext der archäologischen Funde erhöhen die präsentierten Ergebnisse die Plausibilität der Argumente, daß der Untere Dnjepr, insbesondere das Gebiet um den Fundort Mykhailivka, der an einer Kreuzung des alten Steppen-Wege-Netzwerks innerhalb der pontisch-kaspischen Steppe liegt (Ergänzende Informationen, Abschnitt 1), jene Region ist, wo die Jamna zuerst auftraten.Die Gruppen, die in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Ztr. in der Nordschwarzmeer-Region auf die Jamna folgten, besaßen weiterhin genetische Vorfahren der Jamna und zeigten gegen Ende der Mittleren Bronzezeit ein Wiedererstarken der Jäger- und Sammler-Herkunft, was durch die Individuen des Multi-Cordoned Ware/Babyne-Komplexes (MCW/B) aus der Ukraine und Rumänien belegt wird. Die geografische Verbreitung von Individuen mit genetischer MCW/B-Abstammung könnte die hohe Mobilität dieser Gruppe widerspiegeln, die in geringerem Umfang der der Jamna gleicht.
Die hier genannte Multi-Cordoned Ware-Kultur (Wiki) erstreckte sich zwischen 2.200 und 1.700 v. Ztr. über die gesamte Ukraine, und zwar von Moldawien bis an den Don und bis an die Wolga. Ihr Name wäre auf Deutsch etwa zu übersetzen als "Mehrfach-Wulst-Keramik". Dieses Volk entstand offenbar durch Neuvermischung mit Jäger-Sammler-Völkern in den Karpaten. Vom Karpatenraum aus erfolgten in jenen Jahrtausenden in viele Richtungen hin Ethnogenesen von Völkern, die dann weite Räume besiedelt haben. Im Anhang der Studie lesen wir dazu:
Schon in früheren Studien ist festgestellt worden, daß es in der Bronzezeit Populationen im benachbarten Rumänien gab, die einen hohen Anteil an Jäger- und Sammler-Vorfahren hatten. Diese Individuen, zusammen mit denen aus der Ukraine, weisen beide auf die Existenz chalkolithischer Populationen mit einem hohen Anteil an Jäger- und Sammler-Vorfahren hin, die diese an die Populationen der Bronzezeit weitergaben. Ein erst jüngst untersuchtes chalkolithisches Individuum aus Gura Baciului mit mehr als 50 % Jäger- und Sammler-Vorfahren liefert einen direkten Hinweis auf die Existenz solcher Populationen während der Kupfersteinzeit.It was previously observed that Bronze Age populations from neighboring Romania included those that had a high proportion of hunter-gatherer ancestry. These individuals, together with those of Ukraine both point to the existence of Chalcolithic populations of high hunter-gatherer ancestry that bequeathed it to those of the Bronze Age. A previously reported Chalcolithic individual from Gura Baciului of >50% hunter-gatherer ancestry provides direct evidence for the existence of such populations during the Chalcolithic.
Der gut erforschte, reichhaltige Fundort Gura Baciului (Wiki), der der Körös-Kultur angehörte, in dem es aber auch Hinweise auf kulturelle Kontakte zur mesolithischen Vorbevölkerung gibt, liegt in der Nähe des rumänischen Dorfes Botschendorf, Rumänisch Baciu (Wiki). Dieses liegt am Westrand Siebenbürgens (GMaps). Der hier gefundene Jäger-Sammler-Abkömmling war in der großen "Southern Arc"-Studie von 2022 untersucht worden, die wir hier auf dem Blog in mehreren Beiträgen ausgewertet haben (beginnend mit: Stgen2022). Auf dieses Ergebnis waren wir aber bislang nicht aufmerksam geworden.
Nochmals: Die drei Ausbreitungs-Schübe
Unter der Überschrift "Die drei Wellen der CLV-Ausbreitung im Nordschwarzmeer-Raum" wird dann gegen Ende der Studie noch einmal grundlegend zusammen gefaßt (Biorxiv2024):
Unsere Analyse legt eine Abfolge von drei teilweise überlappenden Wellen von CLV-Ausbreitungen während des Eneolithikums in das Nordschwarzmeergebiet hinein nahe (Tabelle 1).Eine erste und möglicherweise die früheste Welle breitete sich vor ca. 4.500 v. Ztr. aus (die von DATES geschätzte Ethnogenese der genetischen Abstammung der Tripolje- und der Ussatove-Kultur). Sie brachte hauptsächlich mit der BP-Gruppe/PV-Gruppe verbundene Genetik aus dem genetisch „nördlichen“/unteren Wolga-Teil des CLV-Gradienten. Sie war verbunden mit Bestattungen vom Typ Suvorove-Giurgiuleşti-Csongrád und hinterließ eine (genetische) Einmischung in der Tripolje-Kultur, in der Ussatove-Kultur (unter Beteiligung der neolithischen kaukasischen Abstammung) und in der Kartal_A-Kultur.
Es ist dies die Ausbreitung des Urvolkes der Chwalynsk-Kultur von der Mittleren Wolga mit seiner 50/50-Vermischung bis nach Ungarn. Diese Ausbreitung brachte auch 5%-Einmischungen in die Cucuteni-Tripolje-Kultur mit sich. Und diese Ausbreitung bewirkte nachfolgend auch die Bildung der Kura-Araxes-Kultur südlich des Kaukasus.
Abb. 6: Die drei Wellen der Kurgan-Kultur aus genetischer Sicht (4.500, 4.000 und 3.300 v. Ztr.) |
Weiter heißt es (Biorxiv2024):
Eine zweite und länger andauernde Welle führte einen mittleren Teil des CLV-Gradienten mit sich, sie umfasste eine genetisch „mittlere“ Abstammung (ein Beispiel dafür ist Remontnoye). Sie stand in Verbindung mit der Ethnogenese der Sredni-Stog-Kultur um 4.500 v. Ztr.. In ihrem westlichsten Bereich erstreckte sich die zweite Welle bis in den Nordwesten des Nordschwarzmeergebietes und trug zur Bildung von Kartal_B bei, blieb ansonsten aber weitgehend auf die Region des Unteren Dnjepr-Tals beschränkt, und zwar insbesondere während einer Phase der Fundleere in der Steppe ("Steppen-Hiatus") im späten 5. und frühen 4. Jahrtausend v. Ztr., die durch einen relativen Mangel an archäologischem Material gekennzeichnet war.Die genetische Vermischung der Kern-Jamna fand schätzungsweise 4.000 v. Ztr. (...) statt, was dem Höhepunkt des Steppen-Hiatus entspricht, der aus archäologischen Informationen abgeleitet wurde. Es ist unklar, ob dieses Datum einer sehr schnellen Vermischung der Bevölkerungen entspricht oder einem Prozeß, der sich über viele Generationen hinzog; in letzterem Fall wäre das von uns geschätzte Datum ein Durchschnittswert. Nichtsdestotrotz fällt es mit einem scharfen Klimawechsel zusammen hin zu Dürre und kühleren Temperaturen. Der Steppen-Hiatus könnte also ein Grund sein für die Entstehung der Kern-Jamna-Herkunft aus der Population des archäologischen Komplexes Sredni-Stog (SSAC) heraus, die wegen der klimatischen Umwälzungen relativ isoliert war.Es ist denkbar, daß sich in der Zeit nach dem Steppen-Hiatus (3900-3300 v. Ztr.) Steppengruppen wie Unteres Mykhailivka, Mykhailivka 2 (Proto-Jamna) und Konstantinovka am Unteren Don, die von einer SSAC-abgeleiteten Steppenpopulation abstammten, die während des klimabedingten Hiatus isoliert wurden, danach aber wieder auftauchten (jetzt als Proto-Jamna) sich unter dem zunehmenden Einfluß des Nordkaukasus bildeten. Ein solches Szenario würde zwei Merkmale in der Bevölkerungsgeschichte der Kern-Jamna erklären: seinen populationsgenetischen Flaschenhals vor ca. 3750-3350 v. Ztr., möglicherweise im Zusammenhang mit klimabedingter Isolation auftretend, und seine genetische Position am unteren UNHG-Ende des Dnjepr-Gradienten als Ergebnis der Nähe und des Einflusses des Nordkaukasus. Genetisch kann das Kern-Jamna als eine Mischung modelliert werden aus ∼3/4 der Untergruppe von Sredni Stog (SShi) mit hoher CLV-Abstammung und ∼1/4 der genetisch intermediären Population (entlang der CLV-Gradienten), die von zwei Individuen aus der Manych-Senke bei Remontnoye repräsentiert werden die in diese Schlüsselperiode (4152-3637 v. Ztr.) datiert werden. In diesem Szenario stellt das Individuum aus Mykhailivka eine Proto-Jamna-Population in der Nähe des geographischen Ursprungs der Kern-Jamna dar und stammt aus der Zeit, in der seine genetische Besonderheit bereits aufgetreten war. Andere frühe Individuen aus dem Nordschwarzmeerraum wie Bursuceni und Taraclia II.2.14 trugen ebenfalls die Kern-Jamna-Genetik in sich und verbanden den Nordschwarzmeerraum gleichzeitig mit anderen Populationen des Nordkaukasus.
Und (Biorxiv2024):
Die dritte Welle der Ausbreitung der CLV-Herkunft ist die des eigentlichen Jamna-Archäologischen-Komplexes (YAC). Sie begann um 3.300 v. Ztr. und dauerte bis in die Mitte des folgenden Jahrtausends.
Es wird dann ausgeführt (Biorxiv2024):
Alle drei Ausbreitungswellen nehmen ihren Ausgang von unterschiedlichen Punkten entlang des sowohl geographisch wie genetisch vielfältigen CLV-Gradienten her.Es ist bemerkenswert, daß die drei genetischen Wellen der CLV-Ausbreitung räumlich und zeitlich mit den drei Wellen des Kurgan-Volkes übereinstimmen, die Marija Gimbutas in den 1950er Jahren vorgeschlagen hat, um die Ausbreitung indogermanischer Einflüsse und den Untergang des "alten Europas" zu erklären. In der Theorie von Gimbutas und in unserer genetischen Analyse entstanden die drei Wellen im Gebiet der Unteren Wolga und des Nordkaukasus und fungierten als konstituierende Elemente eines einzigen Prozesses, der sich zeitlich und räumlich über das gesamte Eneolithikum und bis in die Bronzezeit hinein abspielte und der die Kulturlandschaft West-Eurasiens umwandelte.Wir müssen jedoch beachten, daß Gimbutas sich die Ausbreitung der Kurgan-Herkunft als militärische Eroberung vorstellte und daß sie die kulturelle Umwandlung jenes eroberten Volkes betonte, dem die Träger der Kurgan-Kultur jeweils begegneten. Unsere Ergebnisse liefern aber nun Hinweise auch auf massive genetische Veränderungen, die durch die Verbreitung der CLV-Herkunft während der Wellen 1 und 2 und insbesondere durch die Verbreitung der Jamna während der Welle 3 verursacht wurden. Solche genetischen Veränderungen müssen komplexe kulturelle Dynamiken in sich geschlossen haben, die in Verbindung standen sowohl mit kriegerischen als auch friedlichen Synthesen. In künftigen Studien werden die kulturellen Auswirkungen dieser drei Ausbreitungswellen weiter untersucht werden können, gestützt auf das neue Verständnis der immensen genetischen Auswirkungen, von denen sie begleitet waren.
Damit ist eine wirklich gute und vergleichsweise verständliche Zusammenfassung der neuen Erkenntnisse gegeben. Und auch hier wird noch einmal klar, wie wenig frühere Forscher-Generationen auch nur im entferntesten daran gedacht haben, bei Kulturwechseln ebenso umfangreiche "genetic replacement" vorauszusetzen wie sie nun durch die Archäogenetik erkennbar geworden sind.
Und nun noch einmal alles etwas detaillierter ...
Im Hauptteil der Studie sind diese Ergebnisse nun natürlich noch eine Stufe detaillierter behandelt. Auch das soll im folgenden noch zitiert werden, nicht zuletzt, weil wir beim erstmaligen Durcharbeiten dieser Studie uns diese Texte als erstes erarbeitet hatten (über Übersetzungen).
1. Die Ostausbreitung von Jäger-Sammler- und später Bauernvölkern in der Ukraine
Wir lesen also in der zweiten Studie aus dem April 2024 über den Nordschwarzmeer-Raum (Biorxiv2024):
Ancient DNA-Studien, die jeweils das Gesamtgenom in Augenschein nehmen, haben ergeben, daß vom Beginn des Holozäns an bis zum Ende des Neolithikums (ca. 9.200–5.000 v. Ztr.) die genetische Herkunft der Jäger-Sammler-Gruppen in der Nordschwarzmeer-Region (NPR) sowie in angrenzenden Regionen auf einer Mischung von Herkunftsgruppen beruhte. Diese Mischung bewegte sich entlang eines genetischen Gradienten zwischen den westeuropäischen (WHG), bzw. den Balkan-Jägern und Sammlern (BHG) im Westen, nämlich in der Donau-Region am Eisernen Tor Region einerseits und den osteuropäischen Jägern und Sammlern (EHG) im Osten andererseits. In der Ukraine war der Übergang vom Mesolithikum zum Neolithikum durch die Vermischung der WHG mit jener EHG-Herkunft dort zuvor etablierter lokaler Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet.Genome-wide ancient DNA studies have revealed that from the beginning of the Holocene to the end of the Neolithic (approximately 9200-5000 BCE), the genetic ancestry of hunter-gatherer groups in the NPR and adjacent areas was derived from a mixture of ancestral populations whose ancestry was on a genetic gradient ranging in the west from “Western Hunter-Gatherers” (WHGs) and “Balkan Hunter Gatherers” (BHGs) who lived in the Danubian Iron Gates region6, to “Eastern Hunter-Gatherers”3 (EHGs) in the east. In Ukraine, the transition from the Mesolithic to the Neolithic was marked by WHG admixture with the EHG ancestry of previously established local populations6.
Weiter heißt es (Biorxiv2024):
Nach 5.800 v. Ztr., während des Neolithikums kam es in der westlichen Nordschwarzmeer-Region zu einer Ausbreitung balkanischer und mitteleuropäischer Bauerngruppen wie der Criș-Kultur, der Starčevo-Kultur und Kultur der Bandkeramik, die alle Herkunft früher europäischer Bauern (EEF) mit sich brachten, die wiederum auf anatolisch-neolithische Bauern-Herkunft (ANF) zurückzuführen ist unter Beimischung unterschiedlicher Anteile westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik. In der nordöstlichen Nordschwarzmeer-Region behielten die neolithischen Populationen des Dnjepr-Tales weiterhin die EHG/WHG-basierte genetische Herkunft bei.During the Neolithic, after ca. 5800 BCE, the western NPR saw an expansion of Balkan and central European farming groups, such as Criș, Starčevo, and LBK, carrying Early European Farmer (EEF) ancestry, who, in turn, were descended from Anatolian Neolithic Farmers (ANF) with different proportions of WHG admixture12. In the northeastern NPR, the Neolithic populations of the Dnipro Valley continued to retain the EHG/WHG-based genetic ancestry.
Noch detaillierter lesen wir (Biorxiv2024):
Aus der PCA in Abb. 2a geht hervor, daß das UNHG-Ende der EuHG-Linie in Richtung Populationen mit EEF-Abstammung verschoben ist. In der automatisierten ADMIXTURE-Analyse (Ergänzende Informationen, Abschnitt 3; Abb. 2b) stellen wir fest, daß den UNHG kleine Bestandteile anatolischer Bauern-/CHG-Abstammung zugeordnet werden, die in anderen mesolithischen Bevölkerungen - wie Deriivka (Dnjepr-Tal), EHG (Karelien) oder BHG (am Eisernen Tor) - nicht vorhanden sind. Wenn Proben von Personen mit der Bezeichnung Ukraine_N (UNHGs) mit anderen EuHG-Populationen (...) modelliert werden, ist nur ein einziges 2-Ursprungs-Modell (p = 0,576) mit 72,5 ± 2,9 % GK2 vom Standort Golyubaya Krinitsa am unteren Don und 27,5 ± 2,9 % BHG-Abstammung sinnvoll zuzuordnen. (...) Die Ergebnisse zeigen, daß die EEF-Abstammung ein allgemeines Merkmal der UNHG-Populationen ist und dieses Muster daher nicht von einigen Ausreißern bestimmt wird.It is evident from the PCA in Fig. 2a that the UNHG end of the EuHG cline is shifted towards populations with EEF ancestry. In unsupervised ADMIXTURE analysis (Supplementary Information, section 3; Fig. 2b), we find that the UNHG are assigned small components of Anatolian Farmer/CHG ancestry, not present in other Mesolithic Deriivka (Dnipro Valley), EHG (Karelia) or BHG (Iron Gates) groups. When samples from individuals labeled Ukraine_N (UNHGs) are modeled with other EuHG populations from7 only a single 2-source model (p=0.576) with 72.5±2.9% GK2 from the Golyubaya Krinitsa site on the Lower Don7 and 27.5±2.9% BHG ancestry, remains viable (here and in what follows, we indicate statistical uncertainty through standard errors; a 95% confidence interval corresponds to 1.96 standard errors in either direction of the point estimate). (...) The results show that EEF ancestry is a general feature of UNHG populations, and thus this pattern is not driven by a few outliers.
Und wir lesen weiter (Biorxiv2024):
Die ukrainischen Jäger und Sammler wurden mit signifikanter Balkan- und osteuropäischer Jäger-Sammler-Abstammung modelliert und es wird eine Zunahme der BHG-Abstammung im Vergleich zu den mesolithischen Menschen von Vasylivka III6 und Vasylivka I26 festgestellt. Für diese Verschiebung könnte eine Abwanderung von Menschen aus der Gegend des Eisernen Tors ins Dnjepr-Tal im 7. Jahrtausend v. Ztr. verantwortlich sein. Da gezeigt wurde, daß die BHG-Population vom Eisernen Tor sporadisch frühe europäische Bauern-Herkunft in sich trägt, könnte die Beimischung von Menschen vom Eisernen Tor eine Möglichkeit sein, sowohl die BHG- als auch die frühe europäische Bauern-Beimischung im Vergleich zum mesolithischen Vasylivka zu erklären.The UNHG was modeled with significant BHG and EHG ancestry and represents an increase of BHG ancestry relative to the Mesolithic specimens from Vasylivka III6 and Vasylivka I26 (Fig. 2). A migration of people from the Iron Gates area in the Dnipro Valley in the 7th millennium BCE27 may be responsible for this shift. As the BHG population from the Iron Gates has been shown to carry sporadic EEF ancestry6, the admixture of Iron Gates migrants could be a way to account for both BHG and EEF admixture compared to the Mesolithic Vasylivka.
Das hieße also, daß Menschen aus der Donau-Region vom Eisernen Tor, die schon gelegentlichen kulturellen und genetischen Austausch mit den sich dorthin ausbreitenden anatolisch-neolithischen Bauern hatten, daß also die Nachkommen solcher Menschen oder vergleichbarer Populationen sich weit über die Karpaten hinweg bis an den Dnjepr ausgebreitet hätten, oder gar dorthin verdrängt worden wären.
Der ukrainische Archäologe L. L. Zaliznyak zur Ostausbreitung von Balkan-Jäger-Sammlern
Vielleicht brachten sie auch kulturelle Neuerungen an den Dnjepr, die sie von der Bauernkultur im Balkanraum übernommen hatten oder zu denen sie von dieser angeregt worden waren.
Abb. 7: Jäger-Sammler-Kulturen am Nord- und Nordostrand des Siedlungsraumes der ersten Bauernkulturen in Europa ab etwa 5.400 v. Ztr. - nach L.L. Zaliznyak (2005) (aus 4, überarbeitet in 3) |
Vielleicht steht vor allem die zeitlich letzte Ausbreitungsbewegung der westeuropäischen Jäger-Sammler-Genetik Richtung Osten in Zusammenhang mit Vorgängen, die von Seiten des ukrainischen Archäologen L. L. Zaliznyak 2005 charakterisiert worden sind und die in den Grafiken von Abb. 7 und Abb. 8 zusammen gefaßt sind. Er brachte mit diesen Vorgängen in Zusammenhang die Entstehung der protoindogermanischen Sprache. In diesem Punkt muß man ihm allerdings nicht folgen (3):
Der angesehene ukrainische Archäologe L.L. Zaliznyak (2005) hat vorgeschlagen, die Datierung der protoindogermanischen Sprache auf das Spätmesolithikum–Frühneolithikum (sechstes-fünftes Jahrtausend v. Chr.) zu verschieben, um (...) glottochronologischen Datierungen besser zu entsprechen. Aufgrund archäologischer und physisch-anthropologischer Erwägungen rekonstruiert er die Bewegung von Maglemose- und Post-Maglemose-Populationen (Ertebølle-Ellerbeck) aus Jütland und der südöstlichen Ostseeregion in die Gebiete Dnjepr und Donez (siehe Abbildung). Infolgedessen wurde ein großes Gebiet von der Ostsee bis zum Dnjepr von Menschen mit ähnlichen archäologischen, physikalisch-anthropologischen und angeblich genetischen Merkmalen besiedelt - die Wiege der indogermanischen Völker, so Zaliznyak.The respected Ukrainian archaeologist L.L. Zaliznyak (2005) has proposed to shift the date of the Proto-Indo-European language to the Late Mesolithic–EarlyNeolithic (sixth–fifth millennia BC) so as to better correspond to the glotto-chronological datings mentioned above. On archaeological and physical anthropological grounds, he reconstructs the movement of Maglemose and post-Maglemose (Ertebølle-Ellerbeck) populations of Jutland and the south-eastern Baltic region to the Dnieper and Donets areas (Figure 3). Consequently, a large area from the Baltic to the Dnieper was settled by people with similar archaeological, physical anthropological, and supposedly genetic characteristics - the cradle of Indo-European peoples, according to Zaliznyak.
Die hier angeführte These von dem Ursprung des Indogermanischen muß man nicht teilen, um die Erkenntnis auf sich wirken zu lassen, daß die Jäger-Sammler-Populationen Ostmitteleuropas zwischen Ostsee und Schwarzem Meer allerlei kulturelle Gemeinsamkeiten aufwiesen, die einher gegangen sein können mit einer Vermischung zwischen west- und osteuropäischen Jägern und Sammlern - während des Mesolithikums und des Frühneolithikums. Hier wird künftig noch manches, ggfs. schon vorhandene Wissen übersichtlich aufbereitet werden müssen, bzw. wird künftig alles noch viel detaillierter erforscht werden können. In die genannte Abbildung sind die folgenden archäologischen Beobachtungen eingeflossen (3):
Ethnokulturelle Situation in Mittel- und Osteuropa im Spätmesolithikum und Frühneolithikum (6. bis 5. Jahrtausend v. Ztr.).1: Maglemose-Kulturgebiet im siebten Jahrtausend v. Ztr. (nach G. Clark).2-7: Mesolithische Kulturen des sechsten Jahrtausends v. Ztr. der Post-Maglemose-Kulturtradition (nach Kozlovsky und Zaliznyak). 2: de Leijen-Wartena. 3: Oldensloe-Gudenaa. 4: Chojnice-Pieńki. 5: Janicslavice. 6: Funde von Janislavice-Artefakten außerhalb seines Hauptverbreitungsgebiets. 7: Donezkultur.8: Ausbreitungsbewegungen der Siedlung der Janislavice-Kultur (nach Kozlovsky und Zaliznyak).9: Südliche Grenze mesolithischer und frühneolithischer Kulturen der post-swidrischen und post-arensburgischen Traditionen.10: Nordgrenze des Siedlungsgebiets der Balkan-Donau-Bauern (Ende des 6. bis Anfang des 5. Jahrtausends v. Ztr.).11: Bug-Dnjestr-Kultur.12: Neolithische Kulturen entstanden auf einer ethnokulturellen Basis nach Maglemose.E: Ertebølle-Ellerbeck.D: Dnjepr-Donez-Kultur.M: Mariupol-Kultur (westliche Varianten).N: Niemenkultur. Nach Koncha, 2004 (nach Ideen von L.L. Zalisnyak), neu gestaltet von P. Deyneka.Ethnocultural situation in central andeastern Europe in the Late Mesolithic and EarlyNeolithic (sixth to fifth millennia BC). 1:Maglemose culture area in the seventh millen-nium BC (after G. Clark). 2–7: Mesolithic cultures of the sixth millennium BC of the post-Maglemose cultural tradition (after Kozlovskyand Zaliznyak). 2: de Leijen-Wartena. 3:Oldensloe-Gudenaa. 4: Chojnice-Pieńki. 5:Janicslavice. 6: finds of Janislavice artefactsbeyond its main distribution area. 7: Donetsculture. 8: directions of the Janislavice culture settlement (after Kozlovsky and Zaliznyak). 9:southern border of Mesolithic and Early Neolithiccultures of post-Swidrian and post-Arensburgiantraditions. 10: northern border of the settlementarea of Balkan-Danubian farmers (late sixth toearly fifth millennium BC). 11: Bug-Dnestrculture. 12: Neolithic cultures formed on a post-Maglemose ethnocultural basis. E: Ertebølle-Ellerbeck. D: Dnieper-Donets culture. M:Mariupol culture (western variants). N: Niemenculture. After Koncha, 2004 (from ideas of L.L. Zalisnyak), redesigned by P. Deyneka.
Diese Ergänzungen nach L. L. Zaliznyak sind aber eher nur als hypothetischer Nebenstrang innerhalb der Hauptargumentation dieses Blogartikels anzusehen.
Abb. 8: Ostausbreitung von Jäger-Sammler-Völkern und Bauernvölkern in der Ukraine nach 5.400 v. Ztr. - nach L.L. Zaliznyak (2005) (aus 4, überarbeitet von V. Stetsyuk) |
Folgen wir weiter der archäogenetischen Studie vom April 2024 (Biorxiv2024):
Die UNHG-Individuen I31730 und I1738, die nicht in das LBK-EHG-BHG-Modell eingeordnet werden können, können mit CHG anstelle von LBK als Quelle modelliert werden (erweiterte Datentabelle 2), was darauf hindeutet, daß sich die CHG-bezogene Abstammung in der zweiten Hälfte des 6. Jahrtausends v. Ztr. über den mittleren Don hinaus bis zur Küste des Asowschen Meeres und bis zum Dnjepr-Tal erstreckt. Diese sporadische und isolierte CHG-Beimischung in UNHG spiegelt ein qualitativ anderes Phänomen wider als die allgemeine Verlagerung der Abstammung aller Sredni-Stog- und Yamna-Individuen des Dnjepr-Gradienten in Richtung des CLV-Gradienten (Abb. 2a). Nichtsdestotrotz erweitert diese Entdeckung die Zone früher Kontakte mit dem Kaukasus, die auch die Populationen an Don und Wolga im Osten veränderten und Abstammungsprofile erzeugten, die sich während des Äneolithikums vom Unteren Wolga-Kaukasus-Gebiet ausbreiteten.UNHG individuals I31730 and I1738 that failed the LBK-EHG-BHG model can be modeled with CHG instead of LBK as a source (Extended Data Table 2), suggestive of CHG-related ancestry extending past the middle Don 7,33 to the Azov Sea coast and the Dnipro Valley during the second half of the 6th millennium BCE. This sporadic and isolated CHG admixture in UNHG reflects a qualitatively different phenomenon from the generalized shift of ancestry towards the CLV cline of all Serednii Stih and Yamna individuals of the Dnipro Cline (Fig. 2a). Nonetheless, this find extends the zone of early contacts with the Caucasus that were also transforming populations of the Don and Volga rivers in the east7 and generating ancestry profiles radiating out of the lower Volga-Caucasus area in the Eneolithic.
Von der Dnjepr-Donez-Kultur (DDCC) (5.500-4.200 v. Ztr.) (Wiki, engl) hatten wir bislang angenommen, daß die Geschichte anteilnahmslos an ihr vorbei gegangen wäre, daß sie mit Ausbreitung der Indogermanen schlicht vom Erdboden verschwunden wäre, ausgestorben wäre. So hatte das auch der Physische Anthropologe Andreas Vonderach interpretiert.
2. Die Dnjepr-Donez-Kultur (5.500 bis 4.200 v. Ztr) - Eine Eberzahn-Kultur
Nun sehen wir durch die Archäogenetik, daß 20 % der Herkunft der Jamnaja, des Volkes der dritten indogermanischen Ausbreitungsbewegung, auf die Menschen dieser Kultur zurück gehen. Um so interessanter, daß es allerhand Ähnlichkeiten dieser Kultur mit der Samara-Kultur an der Mittleren Wolga gibt, die maßgeblich zur Entstehung des Urvolkes der ersten indogermanischen Ausbreitungsbewegung beigetragen hat (Wiki):
Sehr ähnliche Eberzahn-Tafeln und Kupferornamente sind in zeitgenössischen Gräbern der Samara-Kultur im mittleren Wolgagebiet gefunden worden. Es wurden dort auch Streitkolben eines anderen Typs als die des Dnjepr-Donez gefunden. Die weite Verbreitung eines solchen Statussymbols zeugt von der Existenz des Instituts der Macht im DDCC.Very similar boar-tusk plaques and copper ornaments have been found at contemporary graves of the Samara culture in the middle Volga area.[3][17] Maces of a different type than those of Dnieper-Donets have also been found. The wide adoption of such a status symbol attests to the existence of the institute of power in DDCC.
Es dürfte sich um eine Frühform von Häuptlingen oder Stammesfürsten handeln und vermutlich auch eines entsprechenden Adels. Dasselbe ist entsprechend von den Völkern der Samara- und der Chwalynsk-Kultur an der Mittleren Wolga zu sagen, in der ja die Tierkopf-Zepter als Statussymbole hervor treten. Wir lesen außerdem (Wiki):
Die Keramik scheint im Verlauf des Bestehens der Dnjepr-Donez-Kultur an Bedeutung gewonnen zu haben, was auf einen eher seßhaften Lebensstil schließen läßt.The importance of pottery appears to have increased throughout the existence of the Dnieper–Donets culture, which implies a more sedentary lifestyle.
Und (Wiki):
In Übereinstimmung mit der ursprünglichen Kurgan-Hypothese schlug J. Mallory (1997) vor, daß das Dnjepr-Donez-Volk Sprecher des Vor-Indogermanischen waren, die von Proto-Indoeuropäern absorbiert worden seien, die aus weiter östlich gelegenen Steppengebieten nach Westen expandierten. Laut David W. Anthony wurden die indogermanischen Sprachen ursprünglich von in Osteuropa lebenden EHGs wie dem Dnjepr-Donez-Volk gesprochen.In accordance with the original Kurgan hypothesis, J. Mallory (1997) suggested that the Dnieper-Donets people were Pre–Indo-European-speakers who were absorbed by Proto-Indo-Europeans expanding westwards from steppe-lands further east. According to David W. Anthony, the Indo-European languages were initially spoken by EHGs living in Eastern Europe, such as the Dnieper-Donets people.
Und (Wiki):
Das Dnjepr-Donez-Volk war eine „eindeutige, lokal abgeleitete Bevölkerung“, die größtenteils östlicher Jäger-Sammler-Abstammung (EHG) mit Beimischung westlicher Jäger-Sammler (WHG) war. Die WHG-Beimischung scheint im Übergang vom Mesolithikum zum Neolithikum zugenommen zu haben. (...) David W. Anthony vermutet, daß dieser Zustrom von WHG-Vorfahren darauf zurückzuführen sein könnte, daß EEFs WHGs aus ihren Territorien nach Osten verdrängen, wo sich WHG-Männer möglicherweise mit EHG-Frauen verheiratet haben.The Dnieper-Donets people were "distinct, locally derived population" of mostly of Eastern Hunter-Gatherer (EHG) descent, with Western Hunter-Gatherer (WHG) admixture. The WHG admixture appears to have increased in the transition from the Mesolithic to the Neolithic. (...) David W. Anthony suggests that this influx of WHG ancestry might be the result of EEFs pushing WHGs out of their territories to the east, where WHG males might have mated with EHG females.
Sollte es wirklich so gewesen sein? Daß Menschen der Cucuteni-Tripolje-Kultur die in der Ukraine einheimischen westeuropäischen Jäger und Sammler Richtung Osten verdrängten? Eine "eingängige" Hypothese.
Schon in der wegleitenden Studie von 2017 "The Genomic History Of Southeastern Europe" war darauf hingewiesen worden, daß es in der Ukraine zur Beimischung westeuropäischer Jäger und Sammler gekommen war (Stgen2017). Damals war aber alles noch viel weniger genau und detailliert zugeordnet worden als es seither in den weiteren Jahren möglich geworden ist. Das Bild ist inzwischen viel tiefenschärfer geworden.
3. Die Kurgan-Kultur der Mittleren Wolga breitet sich bis zur Mittleren Donau aus
Über die Genetik der Bauern der Cucuteni-Tripolje-Kultur lesen wir (Biorxiv2024):
Für die 23 in unserem Modell modellierten Trypillia-Individuen schätzen wir, daß ihre genetische Herkunft im Durchschnitt zu 81 % aus dem Balkan-Äneolithikum (z. B. in YUN_CA), zu 14 % aus BHG stammt und die restlichen 5 % aus dem CLV-Gradienten (BPgroup) stammt.For the 23 Trypillia individuals modeled in our framework, we estimate that their genetic ancestry is, on average, 81% Balkan Eneolithic (such as in YUN_CA), 14% BHG, and the remaining 5% comes from the CLV cline (BPgroup).
Es hat sich also frühzeitig - nach der Datierung der Studie - schon um 4.500 v. Ztr. - 5 % Genetik der Menschen des Urvolkes von der Mittleren Wolga (BPgroup) in diese Bauernkultur eingemischt. Bei einigen "Ausreißern", Ausnahmefällen innerhalb dieser Kultur war dieser Herkunftsanteil auch noch deutlich höher, so heißt es in der Studie. Und weiter (Biorxiv2024):
Die formale Modellierung mit qpAdm zeigt, daß die Usatove-Population eindeutig (p = 0,128) als Mischung aus ∼45 % PV-Gruppe (und Zwischengruppe auf der CLV-Kline) und ∼55 % Trypillianern modelliert werden kann.Formal modeling with qpAdm reveals that the Usatove population can be modeled uniquely (p=0.128) as a mixture of ∼45% PVgroup (and intermediate group on the CLV cline) and ∼55% Trypillians.
Auch die PV-Gruppe ist eindeutig Urvolk-Genetik von der Mittleren Wolga. Die Vermischung wird auf 4.500 v. Ztr. datiert. Die Ussatove-Kultur (4.100-3.100 v. Ztr.) (Wiki, engl) zwischen Odessa und der Donaumündung ist auch archäologisch sehr gut als Mischkultur zwischen Kurgan-Kultur und Bauern-Kultur zu erkennen.
Abb. 9: Das früheste Individuum mit Kern-Jamnaja-Genetik: Kurgan 3, Grab 15 in Vinogradnoe an der Molotschna (Foto: Rassamakin) |
Über das sekundäre Urvolk der Jamnaja zwischen Don und Dnjepr heißt es mit Bezug auf die parallele Studie:
Wir zeigen, daß diese Individuen mit wenig oder gar keiner Vermischung von einer Vorfahrenpopulation abstammen, die sich aus einer kleinen Gründerpopulation um 3750-3350 v. Ztr. heraus zu vergrößern begann.We show that these individuals descend with little or no mixture from an ancestral population that began expanding from a small founding group around 3750-3350 BCE.
Das ist sicher eine bemerkenswerte Feststellung. Denn Gründerpopulationen spielen ja in der Geschichte der Völker immer einmal wieder eine bedeutende Rolle. So die Gründerpopulation der Bandkeramik oder des Urvolks der Indogermanen an der Mittleren Wolga oder der aschkenasischen Juden vor tausend Jahren am Mittleren Rhein.
4. Die Jamnaja am Don und in Moldawien - Ab 3.500 v. Ztr.
Die beiden ältesten Individuen mit Kern-Jamnaja-Genetik stammen vom Unteren Don und aus Moldawien. Das ukrainische Individuum ("I32534") stammt von dem Fundort Mykhailivka am Unteren Don aus der Zeit zwischen 3.600 und 3.400 v. Ztr.. Das moldawische Individuum wird auf 3.200 v. Ztr. datiert:
I32534 ist in der Tat ein frühes Kern-Jamna-Individuum, das die zeitliche Lücke zwischen den geographisch benachbarten späten Sredni-Stog-Populationen einerseits und denen der großen Jamna-Ausbreitung andererseits schließt. Für letzte finden sich Beispiele von Südsibirien bis Osteuropa - aber irgendwelche (sonstigen) Zusammenhänge mit der Entstehungs-Region der Jamna waren (bislang) durch Tausende von Kilometern Entfernung ausgelöscht.I32534 is indeed an early Core Yamna individual who bridges the temporal gap between the geographically proximate Late Serednii Stih populations and those of the main Yamna expansion that are sampled from south Siberia to eastern Europe and in which any associations with the locale of Yamna formation have been wiped out by thousands of kilometers of distance.
Die Jamnaja am Don waren eng benachbart mit ihren Vorfahren der Steppen-Maikop-Kultur in der Kalmückensteppe. Es ist deshalb naheliegend, daß es zwischen beiden Populationen zu Vermischungsprozessen gekommen ist. Und es drängt sich der Eindruck auf, als ob zumindest Teile der Jamnaja-Kultur vom Don auch schon am Eroberungszug der Maikop-Kultur gegen die Cucuteni-Tripolje-Kultur teilgenommen haben. Aber vielleicht kam es auch erst zur Vermischung mit ihren Steppen-Maikop-Verwandten, während oder nachdem sie von diesen das eroberte Gebiet übernahmen. Eine genauere Feinchronologie wird hier künftig viele Zusammenhänge noch besser klären können. Jedenfalls lesen wir (Biorxiv2024):
Die Individuen I17974 und I20078 aus Moldawien sind beide aus demselben Vermischungsprozeß hervorgegangen, und zwar zwischen Angehörigen der Jamna-Kultur einerseits und Angehörigen der Steppen-Maikop-Kultur andererseits, wobei I17974 etwa ∼1/3 der in I20078 gefundenen Steppe-Majkop-Herkunft in sich trug. (...) Ein früher Angehöriger der Jamna-Kultur (I1917) aus Ozera läßt sich am besten als 50/50-Vermischung zwischen Kern-Jamna und Maikop modellieren. (...) Weitere Belege für solche Vermischungen stammen aus der frühbronzezeitlichen Bevölkerung von Mayaky, die nicht mit den Ussatove derselben Region identisch ist aber eine einzigartige Kombination von 1/5 Maikop-Herkunft aufweist, während der Rest am besten durch die Jamna des Unteren Don erklärt wird.Individuals I17974 and I20078 from Moldova were formed of the same Yamna+Steppe Maykop-associated admixture process, with I17974 carrying about ∼1/3 of the Steppe Maykop-associated ancestry found in I20078. (...) An early Yamna individual I1917 from Ozera6 is best modeled as an even mix of Core Yamna and Maykop, providing, like individual I17973, a clear link to the Caucasus. More evidence for this link comes from the Early Bronze Age population from Mayaky5, which is discontinuous with the Usatove from the same region but represented a unique combination of 1/5 Maykop ancestry with the remainder best represented by the Yamna of the Lower Don, a population which was itself a mix of Core Yamna and NPR hunter-gatherers.
Abschließend sei nun noch darauf hingewiesen, daß es eine Zusammenfassung der Inhalte des vorliegenden Blogartikels auch in Videoform gibt (Yt/2024).
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- The Genetic Origin of the Indo-Europeans. By Iosif Lazaridis, Nick Patterson, David Anthony, Leonid Vyazov, Romain Fournier, Harald Ringbauer, Iñigo Olalde (...) Anna Szécsényi-Nagy, Pier Francesco Palamara, Swapan Mallick, Nadin Rohland, Ron Pinhasi and David Reich (bioRxiv 18 April 2024) (bioRxiv)
- A genomic history of the North Pontic Region from the Neolithic to the Bronze Age. Autoren: Alexey G. Nikitin, Iosif Lazaridis, Nick Patterson, Svitlana Ivanova, Mykhailo Videiko, Valentin Dergachev (...) David Reich, 18. April 2024 (Biorxiv2024)
- Leo S. Klejn in: Discussion: Are the Origins of Indo-European Languages Explained by the Migration of the Yamnaya Culture to the West? European Journal of Archaeology 21(01):1-15, July 2017 (Resg)
- Zaliznyak, L.L. 2005. Ukraine and the Problem of the Proto-Indo-European Original Homeland. In: L.L. Zaliznyak & J.C. Carter, eds. Archaeology at Kiev-Mohyla Academy. Kiev: Stilos, pp. 12-37 (Resg)
- Y Rassamakin: From the late Eneolithic period to the Early Bronze Age in the Black Sea steppe: what is the Pit Grave culture (late fourth to mid-third millennium BC). Transitions to the Bronze Age. Interregional Interaction, 2013 (pdf)
- YY Rassamakin: Eneolithic burial mounds in the Black Sea Steppe: from the first burial symbols to monumental ritual architecture MOM Éditions (Maison de l’Orient et de la Méditerranée), 2012 (pdf)
- Hubback, John Henry: Russian Realities. Being Impressions Gathered During Some Recent Journeys in Russia. John Lane, New York 1915
- Reeves, Francis B.: Russia Then and Now. My Mission to Russia during the famine of 1891-1892 with data bearing upon Russia of To-Day. G. P. Putnam's Suns New York und London 1917 (Archive)