Freitag, 31. Mai 2024

Sie zogen mit Rinderwagen über die Steppe

Drei Ausbreitungswellen der Kurgan-Kultur: 4.500 - 4.000 - 3.300 v. Ztr.

Der Zug der Rinderwagen bewegte sich langsam durch die Kalmücken-Steppe, immer den Flußlauf des Manytsch entlang, immer weiter, Richtung Nordwesten. Tagelang. Ziel war der Unterlauf des Don. Ziel waren die Gegenden nördlich des Don. Dort gab es fruchtbare Weidegründe in Hülle und Fülle. Begleitet wurde der Zug der Rinderwagen von riesigen Herden: Schafe, Ziegen und Rinder. Diese stellten den ganzen Stolz ihrer fürstlichen Besitzer dar. Wenn man länger an einem Ort blieb, wurden Jurten aufgebaut. Starb jemand, wurde ein Kurgan aufgeschüttet, ein Grabhügel, unter dem dieser bestattet wurde. 

Abb. 1: Ritzung an der prähistorisch viel genutzten Felsformation Kamyana Mohyla (Wiki) an der Molotschna (Aufnahme entstanden vor 1961) (Wiki) - Inmitten der Urheimat der Indogermanen

So kamen unsere Vorfahren einst, um 4.000 v. Ztr., aus der Kalmücken-Steppe in die Gegenden nördlich vom Don. Dort vermischten sie sich mit Menschen der Sredni-Stog-Kultur. Dadurch wurde der Jäger-Sammler-Herkunftsanteil unter den Menschen der Sredni-Stog-Kultur immer geringer. Ab 3.300 v. Ztr. ging aus diesen Zuwanderungen und Vermischungsprozessen das Urvolk der Indogermanen hervor, die Jamnaja-Kultur (Stgen2023) (1). Und zwar - nach bisherigen archäogenetischen Erkenntnissen (2) - in einer Kernregion grob rund um das heutige ukrainische Dorf Mykhailivka (Wiki, ukr). Mykhailivka liegt 26 Kilometer südlich des Südufers des Dnjeprs, bzw. des dortigen, heutigen Kachowkaer Stausees (Wiki) (s. GMaps).

Das Dorf und die Region befinden sich seit dem 1. März 2022 unter russischer Besatzung. Es ziehen sich um das Dorf gegenwärtig Verteidigungsgräben der russischen Armee in Erwartung ukrainischer Gegenangriffe von Norden her (Tw2023). Die ab 1950 errichtete Staumauer des Kachowkaer Stausees ist am 6. Juni 2023 durch die russische Armee zerstört worden. Mykhailivka liegt außerdem 33 Kilometer westlich der Kurgane von Vinogradnoe an der Molotschna, einem zweiten wichtigen Ausgrabungsort im Zentrum der Urheimat der Jamnaja-Kultur. 

Marija Gimbutas, die litauisch-US-amerikanische Archäologin, hat auch in Einzelheiten zur Urgeschichte der Indogermanen recht behalten

Inzwischen steht das Wesentlichste zu all dem sogar schon auf dem deutschen Wikipedia. Man denke. Und zwar steht dort über die vor allem von der US-litauischen Archäologin Marija Gimbutas (1921-1994) formulierte Hypothese der Urheimat der indogermanischen Sprachen in der Nordschwarzmeer-Steppe, deren Kern - womöglich - das Dorf Mykhailivka bildete (Wiki):

Heute ist die aus der Kurgan-Hypothese umformulierte Steppen-These das dominante Modell der Indogermanisierung Europas. (...) Der Begriff „Kurganhypothese“ bezeichnet die Vorstellung, diese Region sei Urheimat der Sprecher der gemein-indogermanischen Grundsprache. Diese Hypothese wird mittlerweile von den meisten Prähistorikern und Sprachwissenschaftlern positiv beurteilt.

Der hier charakterisierte Meinungsumschwung in der Forschung beruht auf den Erkenntnissen der Archäogenetik der letzten fünf bis zehn Jahre. Das wird im Wikipedia-Artikels dann erst an dessen Ende erwähnt.

Abb. 2: Sie zogen mit dem Rinderwagen über die Steppe - Die Jamnaja um 3.500 v. Ztr. - Rinderwagen -Modell mit Scheibenrädern - Kleinplastik aus Kupfer, gefunden in Gräbern in Alacahüyük (Türkei), Bronzezeit - Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin / Claudia Plamp (CC BY-NC-SA) (SMB)

In der Hypothese von Gimbutas spielen noch Hungersnöte in der Steppe eine Rolle, die zur Abwanderung der Steppen-Völker in andere Regionen geführt hätten. Es wird sich erst noch zeigen müssen, ob sich auch diese Annahme bestätigt. Es drängt sich ja doch eher der Eindruck auf, daß Übervölkerung die Ursache war und vor allem anfangs auch Fernhandel (z.B. mit Kupfer aus dem Balkanraum heraus).

Außerdem sehen wir heute deutlicher als das zu der Zeit von Marija Gimbutas möglich war, daß wir es in den damaligen Jahrtausenden mit der Bildung von politischen Großreichen zu tun haben, die in friedlichen und kriegerischen Zusammenhängen miteinander standen und die sich gerne auch in Abwehr befanden gegenüber nomadisch lebenden Stämmen aus der Steppe. Wir haben es grob ab 4.000 v. Ztr. allerwärts mit Rinderwagen-Kulturen zu tun und mit Kriegern, die über Fernwaffen wie Pfeil und Bogen verfügten.

Wir haben es in den politischen Zentren dieser Großreiche und unter den politischen Eliten derselben (Hochadel) zu tun mit der Ansammlung von großem Reichtum und großem Wohlstand.

Abb. 3: Sie zogen mit den Rinderwagen über die Steppe - Wagen-Modell mit einem Rindergespann aus Bronze, gefunden in Anatolien, datiert auf das 2. Jhtsd. v. Ztr. (Kultur der Hethiter oder der Urartäer?) - Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin / Claudia Plamp (CC BY-NC-SA) (Dt Dig Bibl)

Vor allem in der Frühphase der Kurgan-Kultur ab etwa 4.500 v. Ztr. lebten die Jäger-Sammler-Kulturen an der Mittleren Wolga, sowie an Don und Dnjepr noch in einer Art Traumwelt. Wir sehen z.B. in manchen Gräbern phantastischen Kopfschmuck, wir sehen Tierkopfzepter, die auch schamanistischen Elchkopfstäben hervor gehen, wir sehen vielfältigen Schmuck gefertigt aus Wildeber-Hauern, wir sehen einen oft urtümlichem Umgang mit den Leichen von Verstorbenen. Aber schon wenige Jahrhunderte später scheint diesbezüglich auch in den Steppenvölkern eine "Ernüchterung" eingetreten zu sein. Formellere und formalisierte Religionsausübung wie sie typisch ist für Bauernvölker trat an die Stelle der vormaligen, phantastischen und urtümlichen Vielfalt religiöser Vorstellungen und Gewohnheiten in Jäger- und Sammler-Völkern.  

Marija Gimbutas nahm schon drei Phasen der Ausbreitung Kurgan-Kultur innerhalb der Nordschwarzmeer-Steppe und aus ihr heraus an. Und genau dieses Bild bestätigt sich seit April 2024 durch die neuesten Ergebnisse der Archäogenetik. Diese sind in zwei neuen Aufsätzen veröffentlicht (1, 2), die eine Einheit bilden. Dabei wird erst am Ende des zweiten Aufsatzes eine Zusammenfassung aller Erkenntnisse beider Studien gegeben, mit der der Leser einen besseren Überblick über die Ergebnisse beider Studien erhält. Unser erster Aufsatz zur Auswertung dieser Studien bezog sich fast nur auf die erste der beiden Studien (Stgen2024). Im folgenden folgt nun die Auswertung vornehmlich der zweiten der beiden Studien (2).

Inhaltlich werden in der zweiten Studie in drei Durchgängen dieselben drei Geschichtsphasen jeweils erneut und wiederholter Maßen behandelt. Wir behalten das im vorliegenden Aufsatz bei und nehmen auch selbst diese Wiederholungen in Kauf. Tatsächlich ist vieles von den referierten Erkenntnissen so neu, daß Wiederholungen auch dienlich sein können, um das neu gewonnene Wissen zu festigen und zu verinnerlichen.

Abb. 4: Ochsenkarren unter der Abendsonne - Schnitt von Vincent van Gogh, 1884

(Wir verzichten in dem vorliegenden Artikel ausnahmsweise auch einmal auf Wiedergabe des Originaltextes der Studie und bringen nur unsere eigene Übersetzung desselben. Der Originaltext ist ja am genanntem Ort jeder Zeit leicht zugänglich. Die zweite Studie liest sich übrigens inhaltlich auch verständlicher als die erste.)

Der Nordschwarzmeer-Raum - Die Urheimat von uns heutigen Europäern

In unserem Aufsatz "Das farbenprächtige Bild der Völkergeschichte Böhmens" machten wir 2021 uns und den Lesern zum ersten mal klar, was für eine Vielfalt aufeinanderfolgender genetisch unterschiedlicher Völker und Kulturen zwischen 5.000 und 2.000 v. Ztr. allein in einer geographisch so überschaubaren Region wie Böhmen beobachtet werden kann (Stgen2021). Erst durch die Erkenntnisse der Archäogenetik der letzten Jahre wird dieser Umstand klar. Inzwischen schält sich heraus, daß dieses Bild von vielfältigen, aufeinanderfolgenden, genetisch und kulturell unterschiedlichen Völkern und Kulturen für den genannten Zeitraum in ganz Europa viel eher die Regel als die Ausnahme darstellt.  

Abb. 5: Vermutlich wird man sich so die Behausungen der Urvölker der Indogermanen an der Wolga, am Don und am Dnjepr vorstellen können: Jurten der Kasachen am Ufer der Wolga bei Astrachan um 1915 (Wiki) *)  

Kein Archäologe, kein Anthropologe und kein Geschichtsphilosoph früherer Jahrzehnte hätte ausreichend Phantasie besessen und zudem auch noch den Mut, solche "Phantasie" nun auch als wissenschaftliche Theorie auszuformulieren. Viele dieser vormaligen Forscher und Denker suchten "Urvölker", "Ur-Rassen", die nach ihrer Vorstellung meist in langer genetischer und kultureller Kontinuität innerhalb Europas bis heute fortbestanden hätten. Dabei gab es auch über die langen Zeiträume der Geschichte vor der Bronzezeit bis in die 1950er Jahre hinein noch keine klaren Vorstellungen. Niemand hatte sich deshalb vorstellen können, daß die Geschichte Europas in der genannten Zeit in einer solchen vielfältigen Abfolge von Völker und Kulturen bestand hat. (Übrigens gilt das auch schon für die Eiszeit, in der immer wieder neue genetische Gruppen vorherige ablösten, [siehe dazu zuletzt hier: Stgen2023]).  

Dieser Umstand des vielfältigen Aufeinanderfolgens von Völkern gilt nun auch für den Nordschwarzmeerraum. 

Ein Merkmal allerdings weist der Nordschwarzmeerraum auf, das keine andere Region Europas aufweist: In ihm sind ein Volk und eine Kultur entstanden, die bis heute in vielen Teilen Europas genetisch und kulturell fortbestehen. Und zwar in uns. Ein solcher Umstand trifft auf keine andere Region Europas zu. Entweder haben sich große Bauernvölker von außerhalb Europas nach Europa hinein ausgebreitet, vor allem vom neolithischen Anatolien aus und leben bis heute insbesondere genetisch in diesem Europa und damit in uns sehr ausgeprägt fort (in Südeuropa ausgeprägter als in Nordeuropa). Oder aber die einstmals in Europa selbst entstandenen oder in dies zuwandernden Großvölker und Kulturen sind im Laufe der Zeiten bis heute genetisch und kulturell in diesem ausgestorben oder aber haben sich randständig erhalten können. Das gilt insbesondere für die im Mesolithikum in Europa einheimischen Völker. Sie leben genetisch meist nur in unterschiedlich kleinen Anteilen in uns allen fort und haben kulturell und sprachlich vermutlich noch weniger Einfluß auf die Jetztzeit genommen als genetisch (zuletzt behandelt hier: Stugen2023). 

Alles das nun verhält sich anders bezüglich eines einzigen Volkes innerhalb von Europa: Der Jamnaja. Jenes Volk, das sich ab 3.300 v. Ztr. vom Unteren Dnjepr und vom Unteren Don aus sehr zügig in alle Welt ausbreitete und deren Nachkommen sich später rund um den ganzen Globus ausgebreitet haben, wiederum sowohl kulturell wie genetisch. Die Jamnaja - das Urvolk der Indogermanen.

Aber wiederum im Gegensatz zu allem, was sich Forscher und Geschichtsphilosophen sonst hatten vorstellen können, hat nun auch dieses Urvolk der Indogermanen wieder eine Vorgeschichte, und zwar eine solche, die wiederum - in den Grundzügen - sehr vielen anderer Regionen in Europa gleicht: Völker entstanden und gingen unter, Teilvölker bildeten zusammen mit anderen Teilvölkern neue Völker. Und aus solchen Vorgängen, die eher typisch als untypisch sind für Europa, sind dann die Jamnaja entstanden.  

Wie merkwürdig, daß die genetischen und kulturellen Grundlagen Europas alle im Wesentlichen in Randbereichen Europas gelegt worden sind. Was seine Ackerbauern-Herkunft betrifft: in Anatolien. Und was seine Steppen-Herkunft betrifft: an der Mittleren Wolga und in der Kosaken-Steppe. Was wohl mögen solche Umstände heutigen Europäern sagen? 

So ein wenig erinnert einen das ja an Erkenntnisse aus der Evolutionsforschung, wonach Artbildung vor allem in der Regenwaldzone stattgefunden hat (wo es ja auch die größte Artenvielfalt gibt) und wonach sich von dort aus neue Arten nach Norden und Süden ausgebreitet haben.   

Vor dem Neolithikum

In dem seit 18. April 2024 im Preprint zugänglichen Aufsatz "A genomic history of the North Pontic Region from the Neolithic to the Bronze Age", dem zweiten, gleichwertigen Teil zu dem gleichzeitig veröffentlichten Aufsatz "The Genetic Origin of the Indo-Europeans" heißt es jedenfalls im Diskussionsteil, die Ergebnisse beider Aufsätze zusammenfassend (Biorxiv2024):

Wir zeigen, daß die neolithischen Populationen des Dnjepr-Tals gemischt waren. Grob gesagt, war Balkan-Jäger-Sammler-Genetik (BHG) gemischt  mit osteuropäischer Jäger-Sammler-Genetik (EHG), wozu zusätzlich noch etwa ∼7-9 % frühe europäische Bauern-Herkunft (EEF) trat, die sich innerhalb der gesamten Population der ukrainischen Jäger-Sammler (UNHG) findet mit Ausnahme einiger weniger Ausreißer wie Individuum I27992 aus Yasynyvatka (27±6,0 % EEF) und einem nicht vermischten EEF-Individuum I3719 aus Dereivka I 6 (103,5±1,6 % EEF). Kaukasus-Jäger-Sammler-Abstammung (CHG) ist in ähnlichem Umfang wie die EEF-Abstammung vorhanden (∼7-10 %), einschließlich jener Region, die dem Nordkaukasus am nächsten liegt, in der neolithischen Nordschwarzmeer-Nekropole in Mariupol. Die Herkunft der EEF-Genetik innerhalb der ukrainischen Jäger und Sammler bleibt insgesamt unklar, könnte aber durch BHG-Migranten im Dnjepr-Tal oder durch Individuen mit EEF-genetischem Hintergrund wie Individuum I3719 vermittelt worden sein, die in UNHG-Gemeinschaften aufgenommen worden sind.

Soweit zunächst zu den mesolithischen Völkerschaften des Nordschwarzmeergebietes.

Die erste Welle der Kurgan-Ausbreitung (4.500 v. Ztr.)

Es heißt dann weiter zu den neolithischen Kulturen daselbst (Biorxiv2024):

Wir schlußfolgern, daß die eneolithische Tripolje-Bevölkerung hauptsächlich aus Quellen entlang des EFHG-Gradienten gebildet wurde (Gradient von den frühen europäischen Bauern hin zu den Jägern und Sammlern), die eine begrenzte Beimischung von Menschen mit BP-Gruppe-CLV-Herkunft aufwiesen (∼5 %).

Mit BP-Gruppe-CLV-Herkunft ist Genetik des Urur-Volkes von der Wolga, also aus der Chwalynsk-Kultur gemeint. Diese findet sich als schon sehr früh in der Cucuteni-Tripolje-Kultur, was wir schon andernorts hier auf dem Blog behandelt hatten. Und weiter zu einer besonderen Kultur am Nordufer des Schwarzen Meeres (Biorxiv2024): 

Die Ussatove-Kultur wurde auf der Grundlage von Menschen der PV-Gruppe-CLV gebildet, die sich zu gleichen Teilen mit Tripolje-Abstammung vermischten. Die Tripolje- und Ussatove-Bevölkerungen hatten also Herkunft aus der Nähe der Biegung des Wolga-CLV-Gradienten und unterschieden sich darin, daß diese Abstammung bei Tripolje geringer und stärker mit der BP-Gruppe verwandt war, während sie bei Ussatove etwa die Hälfte ausmachte und stärker mit der PV-Gruppe verwandt war (verschoben in Richtung des Maikop-Aknashen-Endes des CLV-Gradienten).

Hier ist angedeutet, daß sich das Kurgan-Volk von der Mittleren Wolga ab 4.500 v. Ztr. mit 5 % in die Tripolje-Kultur einmischte und mit 50 % in die Ussatove-Kultur. Da sich dieses Kurgan-Volk nördlich des Kaukasus auch mit Menschen vermischte, die gemischte anatolisch-neolithische Herkunft hatte, ergaben sich genetisch unterschiedliche Gruppen innerhalb dieses Volkes, nämlich die "BP-Gruppe" und die mehr mit anatolisch-neolithischer Genetik vermischte "PV-Gruppe". Weiter lesen wir (Biorxiv2024):

Die Erkenntnisse aus Ussatove und Tripolje verdeutlichen den Prozess der CLV-Beimischung im Nordschwarzmeer-Gebiet im Eneolithikum. Als Menschen mit Wolga-CLV-Abstammung über die nordpontische Steppe in die Balkan-Karpaten-Region zogen, trafen sie auf lokale Bauernpopulationen. Einige Träger der Wolga-CLV-Herkunft - wie in Giurgiuleşti und Csongrád - erreichten den Balkan und die Karpatenregion ohne genetische Vermischung mit den Menschen, denen sie unterwegs begegnet waren; wenn sich einige Migranten vermischten, hinterließen sie nur geringe demographische Auswirkungen, vielleicht weil ihre Zahl im Vergleich zur lokalen Bevölkerung gering war. Im Gegensatz dazu waren der bäuerliche Gegenpart im Nordschwarzmeerraum - wie Tripolje - demographisch stärker betroffen (von der Vermischung). Die genetische Herkunft der Wolga-CLV-Einwanderer sowie Elemente ihrer materiellen Kultur sind erkennbar. Eine interessante Möglichkeit, die sich aus unseren Erkenntnissen ergibt, besteht darin, daß Ussatove um einen Außenposten im Raum zwischen Donau und Dnjestr herum gegründet wurde, um einerseits den wirtschaftlichen Interessen von Tripolje zu dienen und andererseits denen der frühen Trägern der vom Südkaukasus angereicherten PV-Gruppe der CLV-Gradienten-Herkunft. Ein ähnliches Szenario ist für die Cernavodă I-Population von Kartal_A möglich, jedoch mit von der BP-Gruppe abgeleiteten Trägern von CLV-Herkunft, wie z. B. bei den Giurgiuleşti- und Csongrád-Individuen. Alternativ könnten sich Ussatove und Kartal A als "Gemeinschaft" koexistierender und voneinander abhängiger Kulturen gebildet haben, an der sowohl Tripolje als auch Populationen aus dem Kaukasus und der Wolga beteiligt waren. Ein drittes mögliches Szenario stellt egalitäre Tripolje-Angehörige unter die Dominanz hierarchisch organisierter patriarchalischer Gesellschaften mit CLV-Vorfahren, die sich bis in den nordwestlichen Nordschwarzmeer-Raum ausbreiteten.

Orlowka-Kartal (Wiki) befindet sich nördlich der Donaumündung in der Dobrutscha, im äußersten Südwesten der Ukraine nahe ihrer Grenze zu Rumänien. Mit der Rolle der Steppenregion Bessarabiens, der Dobrutscha, des Butschak haben wir uns schon gelegentlich hier auf dem Blog beschäftigt (Stgen2021).

Die zweite Welle der Kurgan-Ausbreitung (4.000 v. Ztr.)

Weiter lesen wir (Biorxiv2024):

Die andere große eneolithische Kultur des Nordschwarzmeerraumes, die Sredni-Stog-Kultur, bestand auch aus Menschen, die in unterschiedlichem Maße CLV- und UNHG-bezogene Vorfahren hatten. Dem Sredni Stog-Gradienten fehlt im Gegensatz zur Ussatove-Kultur und insbesondere der Tripolje-Kultur eine nennenswerte Herkunft von frühen europäischen Bauern. Die Ergebnisse in der ersten unserer beiden Studien und die aktuelle Analyse weisen den Kern der Jamna-Kultur als eine späte, von Sredni Stog abstammende Bevölkerung aus, die mehr CLV-Abstammung hatte als die untersuchten Sredni Stog-Individuen, die aber aus denselben von CLV und UNHG-GK2 abgeleiteten Herkunfts-Komponenten bestand. Die CLV-Herkunft machte in Tripolje nur 5 % und in Ussatove rund 50 % aus, während sie in der Jamna-Kultur 77 % betrug. In Ussatove stammten ca. 14 % der CLV-Herkunft aus dem südlichen Kaukasus und war mit der Aknashen-Herkunft verwandt (siehe Ergänzende Informationen, Abschnitt 2), während im Kerngebiet der Jamna-Kultur die Aknashen-Herkunft ca. 21 % betrug. Es handelte sich also nicht um eine CLV-Ausbreitung in die Steppen- und Pontus-Region, die nur Herkunft aus einer einzigen Quelle mit sich geführt hätte.
Die dargelegten Befunde sprechen für einen Ursprung des Jamna-archäologischen Komplexes (YAC) im Dnjepr-Don-Gebiet des nordöstlichen Nordschwarzmeergebietes. Die Jamna-Abstammung wurde nach der Jamna-Ausbreitung zu einem Merkmal fast aller Individuen in Südosteuropa mit Ausnahme der südlichsten Ecke der Balkanhalbinsel in der Ägäis. Die Ausdehnung des YAC nach Osten brachte seine Träger in die Nähe des Fußes des Urals (wo die Jamna an der Samara untersucht wurden) und nach Westsibirien, wo sie die Afanasievo-Kultur des Altai bildeten.
Die Existenz unvermischter Kern-Jamna in einem weiten Gebiet vom Altai bis nach Bulgarien kann als Beweis für die Schnelligkeit der Ausbreitung der Jamna angesehen werden, da während ihrer anfänglichen Ausbreitung (offenbar) kaum die Gelegenheit zur Vermischung wahrgenommen wurde. Die Frage, ob die bemerkenswerte (genetische) Homogenität des Kern-Jamna-Clusters eine Folge der relativen Isolation während ihrer Entstehungsphase oder einer kulturellen Vermeidung von Heterogamie war, die später aufgegeben wurde, bleibt zu beantworten.

Wenn hier die Rede ist von 77 % "CLV-Herkunft", dann steht das für "Caucasus-Lower Volga"-Herkunft, also für die Herkunft der archäologischen Chwalynsk-Kultur von der Mittleren Wolga, die sich bis zum Kaukasus und weiter ausgebreitet hat. Allerdings wird gleich im nächsten Satz weiter ausgeführt, daß in diesen 77 % auch 21 % anatolisch-iranische Aknashen-Herkunft enthalten wäre, die Herkunft jenes Volkes, das vor Ausbreitung des Kurgan-Volkes von der Mittleren Wolga nach Süden im Kaukasus und nördlich davon lebte, und mit dem sich die Menschen der Chwalynsk-Kultur im Zuge ihrer Ausbreitung vermischt haben.  

Die dritte Welle der Kurgan-Ausbreitung (3.300 v. Ztr.)

Und weiter (Biorxiv2024):

Während ihrer Westexpansion nahmen die Jamna frühe europäische Bauern-Herkunft der Bevölkerungen des westnordwestlichen Randes der Nordschwarzmeerregion und Südosteuropas auf, während sie gleichzeitig Personen mit Vorfahren aus den Don-Jamna oder der Maikop- und der Steppen-Maikop-Kultur integrierten. So nahmen die Jamna während ihrer Expansionswelle auf unterschiedliche Weise Herkunft aus nahezu jeder angetroffenen Bevölkerung vor Ort auf. Diese integrative Natur ihrer Gemeinschaften trug - gepaart mit ihrer bemerkenswerten Mobilität - wahrscheinlich zum Erfolg der Jamna bei der Verbreitung ihrer indoeuropäischen Sprache und Kultur über geografische und Bevölkerungsgrenzen hinweg bei.
Das chronologisch älteste (3635–3383 calBCE) Individuum mit der Abstammung der Kern-Jamna stammt aus der Siedlung Mykhailivka, die eine Abfolge ununterbrochener kultureller Schichten vom späten Eneolithikum bis zur frühen Bronzezeit (EBA) aufweist, ohne daß es Hinweise auf eine Entvölkerung des Ortes bis in die Jamna-Zeit hinein gibt, wie es solche an fast allen anderen eneolithischen Fundstätten gibt. Im Kontext der archäologischen Funde erhöhen die präsentierten Ergebnisse die Plausibilität der Argumente, daß der Untere Dnjepr, insbesondere das Gebiet um den Fundort Mykhailivka, der an einer Kreuzung des alten Steppen-Wege-Netzwerks innerhalb der pontisch-kaspischen Steppe liegt (Ergänzende Informationen, Abschnitt 1), jene Region ist, wo die Jamna zuerst auftraten.
Die Gruppen, die in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Ztr. in der Nordschwarzmeer-Region auf die Jamna folgten, besaßen weiterhin genetische Vorfahren der Jamna und zeigten gegen Ende der Mittleren Bronzezeit ein Wiedererstarken der Jäger- und Sammler-Herkunft, was durch die Individuen des Multi-Cordoned Ware/Babyne-Komplexes (MCW/B) aus der Ukraine und Rumänien belegt wird. Die geografische Verbreitung von Individuen mit genetischer MCW/B-Abstammung könnte die hohe Mobilität dieser Gruppe widerspiegeln, die in geringerem Umfang der der Jamna gleicht.

Die hier genannte Multi-Cordoned Ware-Kultur (Wiki) erstreckte sich zwischen 2.200 und 1.700 v. Ztr. über die gesamte Ukraine, und zwar von Moldawien bis an den Don und bis an die Wolga. Ihr Name wäre auf Deutsch etwa zu übersetzen als "Mehrfach-Wulst-Keramik". Dieses Volk entstand offenbar durch Neuvermischung mit Jäger-Sammler-Völkern in den Karpaten. Vom Karpatenraum aus erfolgten in jenen Jahrtausenden in viele Richtungen hin Ethnogenesen von Völkern, die dann weite Räume besiedelt haben. Im Anhang der Studie lesen wir dazu:

Schon in früheren Studien ist festgestellt worden, daß es in der Bronzezeit Populationen im benachbarten Rumänien gab, die einen hohen Anteil an Jäger- und Sammler-Vorfahren hatten. Diese Individuen, zusammen mit denen aus der Ukraine, weisen beide auf die Existenz chalkolithischer Populationen mit einem hohen Anteil an Jäger- und Sammler-Vorfahren hin, die diese an die Populationen der Bronzezeit weitergaben. Ein erst jüngst untersuchtes chalkolithisches Individuum aus Gura Baciului mit mehr als 50 % Jäger- und Sammler-Vorfahren liefert einen direkten Hinweis auf die Existenz solcher Populationen während der Kupfersteinzeit.
It was previously observed that Bronze Age populations from neighboring Romania included those that had a high proportion of hunter-gatherer ancestry. These individuals, together with those of Ukraine both point to the existence of Chalcolithic populations of high hunter-gatherer ancestry that bequeathed it to those of the Bronze Age. A previously reported Chalcolithic individual from Gura Baciului of >50% hunter-gatherer ancestry provides direct evidence for the existence of such populations during the Chalcolithic.

Der gut erforschte, reichhaltige Fundort Gura Baciului (Wiki), der der Körös-Kultur angehörte, in dem es aber auch Hinweise auf kulturelle Kontakte zur mesolithischen Vorbevölkerung gibt, liegt in der Nähe des rumänischen Dorfes Botschendorf, Rumänisch Baciu (Wiki). Dieses liegt am Westrand Siebenbürgens (GMaps). Der hier gefundene Jäger-Sammler-Abkömmling war in der großen "Southern Arc"-Studie von 2022 untersucht worden, die wir hier auf dem Blog in mehreren Beiträgen ausgewertet haben (beginnend mit: Stgen2022). Auf dieses Ergebnis waren wir aber bislang nicht aufmerksam geworden. 

Nochmals: Die drei Ausbreitungs-Schübe

Unter der Überschrift "Die drei Wellen der CLV-Ausbreitung im Nordschwarzmeer-Raum" wird dann gegen Ende der Studie noch einmal grundlegend zusammen gefaßt (Biorxiv2024):

Unsere Analyse legt eine Abfolge von drei teilweise überlappenden Wellen von CLV-Ausbreitungen während des Eneolithikums in das Nordschwarzmeergebiet hinein nahe (Tabelle 1).
Eine erste und möglicherweise die früheste Welle breitete sich vor ca. 4.500 v. Ztr. aus (die von DATES geschätzte Ethnogenese der genetischen Abstammung der Tripolje- und der Ussatove-Kultur). Sie brachte hauptsächlich mit der BP-Gruppe/PV-Gruppe verbundene Genetik aus dem genetisch „nördlichen“/unteren Wolga-Teil des CLV-Gradienten. Sie war verbunden mit Bestattungen vom Typ Suvorove-Giurgiuleşti-Csongrád und hinterließ eine (genetische) Einmischung in der Tripolje-Kultur, in der Ussatove-Kultur (unter Beteiligung der neolithischen kaukasischen Abstammung) und in der Kartal_A-Kultur.

Es ist dies die Ausbreitung des Urvolkes der Chwalynsk-Kultur von der Mittleren Wolga mit seiner 50/50-Vermischung bis nach Ungarn. Diese Ausbreitung brachte auch 5%-Einmischungen in die Cucuteni-Tripolje-Kultur mit sich. Und diese Ausbreitung bewirkte nachfolgend auch die Bildung der Kura-Araxes-Kultur südlich des Kaukasus. 

Abb. 6: Die drei Wellen der Kurgan-Kultur aus genetischer Sicht (4.500, 4.000 und 3.300 v. Ztr.)

Weiter heißt es (Biorxiv2024):  

Eine zweite und länger andauernde Welle führte einen mittleren Teil des CLV-Gradienten mit sich, sie umfasste eine genetisch „mittlere“ Abstammung (ein Beispiel dafür ist Remontnoye). Sie stand in Verbindung mit der Ethnogenese der Sredni-Stog-Kultur um 4.500 v. Ztr.. In ihrem westlichsten Bereich erstreckte sich die zweite Welle bis in den Nordwesten des Nordschwarzmeergebietes und trug zur Bildung von Kartal_B bei, blieb ansonsten aber weitgehend auf die Region des Unteren Dnjepr-Tals beschränkt, und zwar insbesondere während einer Phase der Fundleere in der Steppe ("Steppen-Hiatus") im späten 5. und frühen 4. Jahrtausend v. Ztr., die durch einen relativen Mangel an archäologischem Material gekennzeichnet war.
Die genetische Vermischung der Kern-Jamna fand schätzungsweise 4.000 v. Ztr. (...) statt, was dem Höhepunkt des Steppen-Hiatus entspricht, der aus archäologischen Informationen abgeleitet wurde. Es ist unklar, ob dieses Datum einer sehr schnellen Vermischung der Bevölkerungen entspricht oder einem Prozeß, der sich über viele Generationen hinzog; in letzterem Fall wäre das von uns geschätzte Datum ein Durchschnittswert. Nichtsdestotrotz fällt es mit einem scharfen Klimawechsel zusammen hin zu Dürre und kühleren Temperaturen. Der Steppen-Hiatus könnte also ein Grund sein für die Entstehung der Kern-Jamna-Herkunft aus der Population des archäologischen Komplexes Sredni-Stog (SSAC) heraus, die wegen der klimatischen Umwälzungen relativ isoliert war.
Es ist denkbar, daß sich in der Zeit nach dem Steppen-Hiatus (3900-3300 v. Ztr.) Steppengruppen wie Unteres Mykhailivka, Mykhailivka 2 (Proto-Jamna) und Konstantinovka am Unteren Don, die von einer SSAC-abgeleiteten Steppenpopulation abstammten, die während des klimabedingten Hiatus isoliert wurden, danach aber wieder auftauchten (jetzt als Proto-Jamna) sich unter dem zunehmenden Einfluß des Nordkaukasus bildeten. Ein solches Szenario würde zwei Merkmale in der Bevölkerungsgeschichte der Kern-Jamna erklären: seinen populationsgenetischen Flaschenhals vor ca. 3750-3350 v. Ztr., möglicherweise im Zusammenhang mit klimabedingter Isolation auftretend, und seine genetische Position am unteren UNHG-Ende des Dnjepr-Gradienten als Ergebnis der Nähe und des Einflusses des Nordkaukasus. Genetisch kann das Kern-Jamna als eine Mischung modelliert werden aus ∼3/4 der Untergruppe von Sredni Stog (SShi) mit hoher CLV-Abstammung und ∼1/4 der genetisch intermediären Population (entlang der CLV-Gradienten), die von zwei Individuen aus der Manych-Senke bei Remontnoye repräsentiert werden die in diese Schlüsselperiode (4152-3637 v. Ztr.) datiert werden. In diesem Szenario stellt das Individuum aus Mykhailivka eine Proto-Jamna-Population in der Nähe des geographischen Ursprungs der Kern-Jamna dar und stammt aus der Zeit, in der seine genetische Besonderheit bereits aufgetreten war. Andere frühe Individuen aus dem Nordschwarzmeerraum wie Bursuceni und Taraclia II.2.14 trugen ebenfalls die Kern-Jamna-Genetik in sich und verbanden den Nordschwarzmeerraum gleichzeitig mit anderen Populationen des Nordkaukasus.

Und (Biorxiv2024): 

Die dritte Welle der Ausbreitung der CLV-Herkunft ist die des eigentlichen Jamna-Archäologischen-Komplexes (YAC). Sie begann um 3.300 v. Ztr. und dauerte bis in die Mitte des folgenden Jahrtausends.

Es wird dann ausgeführt (Biorxiv2024):

Alle drei Ausbreitungswellen nehmen ihren Ausgang von unterschiedlichen Punkten entlang des sowohl geographisch wie genetisch vielfältigen CLV-Gradienten her.
Es ist bemerkenswert, daß die drei genetischen Wellen der CLV-Ausbreitung räumlich und zeitlich mit den drei Wellen des Kurgan-Volkes übereinstimmen, die Marija Gimbutas in den 1950er Jahren vorgeschlagen hat, um die Ausbreitung indogermanischer Einflüsse und den Untergang des "alten Europas" zu erklären. In der Theorie von Gimbutas und in unserer genetischen Analyse entstanden die drei Wellen im Gebiet der Unteren Wolga und des Nordkaukasus und fungierten als konstituierende Elemente eines einzigen Prozesses, der sich zeitlich und räumlich über das gesamte Eneolithikum und bis in die Bronzezeit hinein abspielte und der die Kulturlandschaft West-Eurasiens umwandelte.
Wir müssen jedoch beachten, daß Gimbutas sich die Ausbreitung der Kurgan-Herkunft als militärische Eroberung vorstellte und daß sie die kulturelle Umwandlung jenes eroberten Volkes betonte, dem die Träger der Kurgan-Kultur jeweils begegneten. Unsere Ergebnisse liefern aber nun Hinweise auch auf massive genetische Veränderungen, die durch die Verbreitung der CLV-Herkunft während der Wellen 1 und 2 und insbesondere durch die Verbreitung der Jamna während der Welle 3 verursacht wurden. Solche genetischen Veränderungen müssen komplexe kulturelle Dynamiken in sich geschlossen haben, die in Verbindung standen sowohl mit kriegerischen als auch friedlichen Synthesen. In künftigen Studien werden die kulturellen Auswirkungen dieser drei Ausbreitungswellen weiter untersucht werden können, gestützt auf das neue Verständnis der immensen genetischen Auswirkungen, von denen sie begleitet waren.

Damit ist eine wirklich gute und vergleichsweise verständliche Zusammenfassung der neuen Erkenntnisse gegeben. Und auch hier wird noch einmal klar, wie wenig frühere Forscher-Generationen auch nur im entferntesten daran gedacht haben, bei Kulturwechseln ebenso umfangreiche "genetic replacement" vorauszusetzen wie sie nun durch die Archäogenetik erkennbar geworden sind. 

Und nun noch einmal alles etwas detaillierter ...

Im Hauptteil der Studie sind diese Ergebnisse nun natürlich noch eine Stufe detaillierter behandelt. Auch das soll im folgenden noch zitiert werden, nicht zuletzt, weil wir beim erstmaligen Durcharbeiten dieser Studie uns diese Texte als erstes erarbeitet hatten (über Übersetzungen).

1. Die Ostausbreitung von Jäger-Sammler- und später Bauernvölkern in der Ukraine

Wir lesen also in der zweiten Studie aus dem April 2024 über den Nordschwarzmeer-Raum (Biorxiv2024):

Ancient DNA-Studien, die jeweils das Gesamtgenom in Augenschein nehmen, haben ergeben, daß vom Beginn des Holozäns an bis zum Ende des Neolithikums (ca. 9.200–5.000 v. Ztr.) die genetische Herkunft der Jäger-Sammler-Gruppen in der Nordschwarzmeer-Region (NPR) sowie in angrenzenden Regionen auf einer Mischung von Herkunftsgruppen beruhte. Diese Mischung bewegte sich entlang eines genetischen Gradienten zwischen den westeuropäischen (WHG), bzw. den Balkan-Jägern und Sammlern (BHG) im Westen, nämlich in der Donau-Region am Eisernen Tor Region einerseits und den osteuropäischen Jägern und Sammlern (EHG) im Osten andererseits. In der Ukraine war der Übergang vom Mesolithikum zum Neolithikum durch die Vermischung der WHG mit jener EHG-Herkunft dort zuvor etablierter lokaler Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet.
Genome-wide ancient DNA studies have revealed that from the beginning of the Holocene to the end of the Neolithic (approximately 9200-5000 BCE), the genetic ancestry of hunter-gatherer groups in the NPR and adjacent areas was derived from a mixture of ancestral populations whose ancestry was on a genetic gradient ranging in the west from “Western Hunter-Gatherers” (WHGs) and “Balkan Hunter Gatherers” (BHGs) who lived in the Danubian Iron Gates region6, to “Eastern Hunter-Gatherers”3 (EHGs) in the east. In Ukraine, the transition from the Mesolithic to the Neolithic was marked by WHG admixture with the EHG ancestry of previously established local populations6. 

Weiter heißt es (Biorxiv2024):

Nach 5.800 v. Ztr., während des Neolithikums kam es in der westlichen Nordschwarzmeer-Region zu einer Ausbreitung balkanischer und mitteleuropäischer Bauerngruppen wie der Criș-Kultur, der Starčevo-Kultur und Kultur der Bandkeramik, die alle Herkunft früher europäischer Bauern (EEF) mit sich brachten, die wiederum auf anatolisch-neolithische Bauern-Herkunft (ANF) zurückzuführen ist unter Beimischung unterschiedlicher Anteile westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik. In der nordöstlichen Nordschwarzmeer-Region behielten die neolithischen Populationen des Dnjepr-Tales weiterhin die EHG/WHG-basierte genetische Herkunft bei.
During the Neolithic, after ca. 5800 BCE, the western NPR saw an expansion of Balkan and central European farming groups, such as Criș, Starčevo, and LBK, carrying Early European Farmer (EEF) ancestry, who, in turn, were descended from Anatolian Neolithic Farmers (ANF) with different proportions of WHG admixture12. In the northeastern NPR, the Neolithic populations of the Dnipro Valley continued to retain the EHG/WHG-based genetic ancestry.

Noch detaillierter lesen wir (Biorxiv2024):

Aus der PCA in Abb. 2a geht hervor, daß das UNHG-Ende der EuHG-Linie in Richtung Populationen mit EEF-Abstammung verschoben ist. In der automatisierten ADMIXTURE-Analyse (Ergänzende Informationen, Abschnitt 3; Abb. 2b) stellen wir fest, daß den UNHG kleine Bestandteile anatolischer Bauern-/CHG-Abstammung zugeordnet werden, die in anderen mesolithischen Bevölkerungen - wie Deriivka (Dnjepr-Tal), EHG (Karelien) oder BHG (am Eisernen Tor) - nicht vorhanden sind. Wenn Proben von Personen mit der Bezeichnung Ukraine_N (UNHGs) mit anderen EuHG-Populationen (...) modelliert werden, ist nur ein einziges 2-Ursprungs-Modell (p = 0,576) mit 72,5 ± 2,9 % GK2 vom Standort Golyubaya Krinitsa am unteren Don und 27,5 ± 2,9 % BHG-Abstammung sinnvoll zuzuordnen. (...) Die Ergebnisse zeigen, daß die EEF-Abstammung ein allgemeines Merkmal der UNHG-Populationen ist und dieses Muster daher nicht von einigen Ausreißern bestimmt wird.
It is evident from the PCA in Fig. 2a that the UNHG end of the EuHG cline is shifted towards populations with EEF ancestry. In unsupervised ADMIXTURE analysis (Supplementary Information, section 3; Fig. 2b), we find that the UNHG are assigned small components of Anatolian Farmer/CHG ancestry, not present in other Mesolithic Deriivka (Dnipro Valley), EHG (Karelia) or BHG (Iron Gates) groups. When samples from individuals labeled Ukraine_N (UNHGs) are modeled with other EuHG populations from7 only a single 2-source model (p=0.576) with 72.5±2.9% GK2 from the Golyubaya Krinitsa site on the Lower Don7 and 27.5±2.9% BHG ancestry, remains viable (here and in what follows, we indicate statistical uncertainty through standard errors; a 95% confidence interval corresponds to 1.96 standard errors in either direction of the point estimate). (...) The results show that EEF ancestry is a general feature of UNHG populations, and thus this pattern is not driven by a few outliers.

Und wir lesen weiter (Biorxiv2024):

Die ukrainischen Jäger und Sammler wurden mit signifikanter Balkan- und osteuropäischer Jäger-Sammler-Abstammung modelliert und es wird eine Zunahme der BHG-Abstammung im Vergleich zu den mesolithischen Menschen von Vasylivka III6 und Vasylivka I26 festgestellt. Für diese Verschiebung könnte eine Abwanderung von Menschen aus der Gegend des Eisernen Tors ins Dnjepr-Tal im 7. Jahrtausend v. Ztr. verantwortlich sein. Da gezeigt wurde, daß die BHG-Population vom Eisernen Tor sporadisch frühe europäische Bauern-Herkunft in sich trägt, könnte die Beimischung von Menschen vom Eisernen Tor eine Möglichkeit sein, sowohl die BHG- als auch die frühe europäische Bauern-Beimischung im Vergleich zum mesolithischen Vasylivka zu erklären.
The UNHG was modeled with significant BHG and EHG ancestry and represents an increase of BHG ancestry relative to the Mesolithic specimens from Vasylivka III6 and Vasylivka I26 (Fig. 2). A migration of people from the Iron Gates area in the Dnipro Valley in the 7th millennium BCE27 may be responsible for this shift. As the BHG population from the Iron Gates has been shown to carry sporadic EEF ancestry6, the admixture of Iron Gates migrants could be a way to account for both BHG and EEF admixture compared to the Mesolithic Vasylivka.

Das hieße also, daß Menschen aus der Donau-Region vom Eisernen Tor, die schon gelegentlichen kulturellen und genetischen Austausch mit den sich dorthin ausbreitenden anatolisch-neolithischen Bauern hatten, daß also die Nachkommen solcher Menschen oder vergleichbarer Populationen sich weit über die Karpaten hinweg bis an den Dnjepr ausgebreitet hätten, oder gar dorthin verdrängt worden wären.

Der ukrainische Archäologe L. L. Zaliznyak zur Ostausbreitung von Balkan-Jäger-Sammlern

Vielleicht brachten sie auch kulturelle Neuerungen an den Dnjepr, die sie von der Bauernkultur im Balkanraum übernommen hatten oder zu denen sie von dieser angeregt worden waren.

Abb. 7: Jäger-Sammler-Kulturen am Nord- und Nordostrand des Siedlungsraumes der ersten Bauernkulturen in Europa ab etwa 5.400 v. Ztr. - nach L.L. Zaliznyak (2005) (aus 4, überarbeitet in 3)

Vielleicht steht vor allem die zeitlich letzte Ausbreitungsbewegung der westeuropäischen Jäger-Sammler-Genetik Richtung Osten in Zusammenhang mit Vorgängen, die von Seiten des ukrainischen Archäologen L. L. Zaliznyak 2005 charakterisiert worden sind und die in den Grafiken von Abb. 7 und Abb. 8 zusammen gefaßt sind. Er brachte mit diesen Vorgängen in Zusammenhang die Entstehung der protoindogermanischen Sprache. In diesem Punkt muß man ihm allerdings nicht folgen (3):

Der angesehene ukrainische Archäologe L.L. Zaliznyak (2005) hat vorgeschlagen, die Datierung der protoindogermanischen Sprache auf das Spätmesolithikum–Frühneolithikum (sechstes-fünftes Jahrtausend v. Chr.) zu verschieben, um (...) glottochronologischen Datierungen besser zu entsprechen. Aufgrund archäologischer und physisch-anthropologischer Erwägungen rekonstruiert er die Bewegung von Maglemose- und Post-Maglemose-Populationen (Ertebølle-Ellerbeck) aus Jütland und der südöstlichen Ostseeregion in die Gebiete Dnjepr und Donez (siehe Abbildung). Infolgedessen wurde ein großes Gebiet von der Ostsee bis zum Dnjepr von Menschen mit ähnlichen archäologischen, physikalisch-anthropologischen und angeblich genetischen Merkmalen besiedelt - die Wiege der indogermanischen Völker, so Zaliznyak.
The respected Ukrainian archaeologist L.L. Zaliznyak (2005) has proposed to shift the date of the Proto-Indo-European language to the Late Mesolithic–EarlyNeolithic (sixth–fifth millennia BC) so as to better correspond to the glotto-chronological datings mentioned above. On archaeological and physical anthropological grounds, he reconstructs the movement of Maglemose and post-Maglemose (Ertebølle-Ellerbeck) populations of Jutland and the south-eastern Baltic region to the Dnieper and Donets areas (Figure 3). Consequently, a large area from the Baltic to the Dnieper was settled by people with similar archaeological, physical anthropological, and supposedly genetic characteristics - the cradle of Indo-European peoples, according to Zaliznyak. 

Die hier angeführte These von dem Ursprung des Indogermanischen muß man nicht teilen, um die Erkenntnis auf sich wirken zu lassen, daß die Jäger-Sammler-Populationen Ostmitteleuropas zwischen Ostsee und Schwarzem Meer allerlei kulturelle Gemeinsamkeiten aufwiesen, die einher gegangen sein können mit einer Vermischung zwischen west- und osteuropäischen Jägern und Sammlern - während des Mesolithikums und des Frühneolithikums. Hier wird künftig noch manches, ggfs. schon vorhandene Wissen übersichtlich aufbereitet werden müssen, bzw. wird künftig alles noch viel detaillierter erforscht werden können. In die genannte Abbildung sind die folgenden archäologischen Beobachtungen eingeflossen (3):

Ethnokulturelle Situation in Mittel- und Osteuropa im Spätmesolithikum und Frühneolithikum (6. bis 5. Jahrtausend v. Ztr.).
1: Maglemose-Kulturgebiet im siebten Jahrtausend v. Ztr. (nach G. Clark). 
2-7: Mesolithische Kulturen des sechsten Jahrtausends v. Ztr. der Post-Maglemose-Kulturtradition (nach Kozlovsky und Zaliznyak). 2: de Leijen-Wartena. 3: Oldensloe-Gudenaa. 4: Chojnice-Pieńki. 5: Janicslavice. 6: Funde von Janislavice-Artefakten außerhalb seines Hauptverbreitungsgebiets. 7: Donezkultur.
8: Ausbreitungsbewegungen der Siedlung der Janislavice-Kultur (nach Kozlovsky und Zaliznyak).
9: Südliche Grenze mesolithischer und frühneolithischer Kulturen der post-swidrischen und post-arensburgischen Traditionen.
10: Nordgrenze des Siedlungsgebiets der Balkan-Donau-Bauern (Ende des 6. bis Anfang des 5. Jahrtausends v. Ztr.).
11: Bug-Dnjestr-Kultur.
12: Neolithische Kulturen entstanden auf einer ethnokulturellen Basis nach Maglemose.
E: Ertebølle-Ellerbeck.
D: Dnjepr-Donez-Kultur.
M: Mariupol-Kultur (westliche Varianten).
N: Niemenkultur. Nach Koncha, 2004 (nach Ideen von L.L. Zalisnyak), neu gestaltet von P. Deyneka.
Ethnocultural situation in central andeastern Europe in the Late Mesolithic and EarlyNeolithic (sixth to fifth millennia BC). 1:Maglemose culture area in the seventh millen-nium BC (after G. Clark). 2–7: Mesolithic cultures of the sixth millennium BC of the post-Maglemose cultural tradition (after Kozlovskyand Zaliznyak). 2: de Leijen-Wartena. 3:Oldensloe-Gudenaa. 4: Chojnice-Pieńki. 5:Janicslavice. 6: finds of Janislavice artefactsbeyond its main distribution area. 7: Donetsculture. 8: directions of the Janislavice culture settlement (after Kozlovsky and Zaliznyak). 9:southern border of Mesolithic and Early Neolithiccultures of post-Swidrian and post-Arensburgiantraditions. 10: northern border of the settlementarea of Balkan-Danubian farmers (late sixth toearly fifth millennium BC). 11: Bug-Dnestrculture. 12: Neolithic cultures formed on a post-Maglemose ethnocultural basis. E: Ertebølle-Ellerbeck. D: Dnieper-Donets culture. M:Mariupol culture (western variants). N: Niemenculture. After Koncha, 2004 (from ideas of L.L. Zalisnyak), redesigned by P. Deyneka. 

Diese Ergänzungen nach  L. L. Zaliznyak sind aber eher nur als hypothetischer Nebenstrang innerhalb der Hauptargumentation dieses Blogartikels anzusehen.

Abb. 8: Ostausbreitung von Jäger-Sammler-Völkern und Bauernvölkern in der Ukraine nach 5.400 v. Ztr. - nach L.L. Zaliznyak (2005) (aus 4, überarbeitet von V. Stetsyuk)

Folgen wir weiter der archäogenetischen Studie vom April 2024 (Biorxiv2024):

Die UNHG-Individuen I31730 und I1738, die nicht in das LBK-EHG-BHG-Modell eingeordnet werden können, können mit CHG anstelle von LBK als Quelle modelliert werden (erweiterte Datentabelle 2), was darauf hindeutet, daß sich die CHG-bezogene Abstammung in der zweiten Hälfte des 6. Jahrtausends v. Ztr. über den mittleren Don hinaus bis zur Küste des Asowschen Meeres und bis zum Dnjepr-Tal erstreckt. Diese sporadische und isolierte CHG-Beimischung in UNHG spiegelt ein qualitativ anderes Phänomen wider als die allgemeine Verlagerung der Abstammung aller Sredni-Stog- und Yamna-Individuen des Dnjepr-Gradienten in Richtung des CLV-Gradienten (Abb. 2a). Nichtsdestotrotz erweitert diese Entdeckung die Zone früher Kontakte mit dem Kaukasus, die auch die Populationen an Don und Wolga im Osten veränderten und Abstammungsprofile erzeugten, die sich während des Äneolithikums vom Unteren Wolga-Kaukasus-Gebiet ausbreiteten.
UNHG individuals I31730 and I1738 that failed the LBK-EHG-BHG model can be modeled with CHG instead of LBK as a source (Extended Data Table 2), suggestive of CHG-related ancestry extending past the middle Don 7,33 to the Azov Sea coast and the Dnipro Valley during the second half of the 6th millennium BCE. This sporadic and isolated CHG admixture in UNHG reflects a qualitatively different phenomenon from the generalized shift of ancestry towards the CLV cline of all Serednii Stih and Yamna individuals of the Dnipro Cline (Fig. 2a). Nonetheless, this find extends the zone of early contacts with the Caucasus that were also transforming populations of the Don and Volga rivers in the east7 and generating ancestry profiles radiating out of the lower Volga-Caucasus area in the Eneolithic.

Von der Dnjepr-Donez-Kultur (DDCC) (5.500-4.200 v. Ztr.) (Wikiengl) hatten wir bislang angenommen, daß die Geschichte anteilnahmslos an ihr vorbei gegangen wäre, daß sie mit Ausbreitung der Indogermanen schlicht vom Erdboden verschwunden wäre, ausgestorben wäre. So hatte das auch der Physische Anthropologe Andreas Vonderach interpretiert. 

2. Die Dnjepr-Donez-Kultur (5.500 bis 4.200 v. Ztr) - Eine Eberzahn-Kultur

Nun sehen wir durch die Archäogenetik, daß 20 % der Herkunft der Jamnaja, des Volkes der dritten indogermanischen Ausbreitungsbewegung, auf die Menschen dieser Kultur zurück gehen. Um so interessanter, daß es allerhand Ähnlichkeiten dieser Kultur mit der Samara-Kultur an der Mittleren Wolga gibt, die maßgeblich zur Entstehung des Urvolkes der ersten indogermanischen Ausbreitungsbewegung beigetragen hat (Wiki):

Sehr ähnliche Eberzahn-Tafeln und Kupferornamente sind in zeitgenössischen Gräbern der Samara-Kultur im mittleren Wolgagebiet gefunden worden. Es wurden dort auch Streitkolben eines anderen Typs als die des Dnjepr-Donez gefunden. Die weite Verbreitung eines solchen Statussymbols zeugt von der Existenz des Instituts der Macht im DDCC.
Very similar boar-tusk plaques and copper ornaments have been found at contemporary graves of the Samara culture in the middle Volga area.[3][17] Maces of a different type than those of Dnieper-Donets have also been found. The wide adoption of such a status symbol attests to the existence of the institute of power in DDCC.

Es dürfte sich um eine Frühform von Häuptlingen oder Stammesfürsten handeln und vermutlich auch eines entsprechenden Adels. Dasselbe ist entsprechend von den Völkern der Samara- und der Chwalynsk-Kultur an der Mittleren Wolga zu sagen, in der ja die Tierkopf-Zepter als Statussymbole hervor treten. Wir lesen außerdem (Wiki):

Die Keramik scheint im Verlauf des Bestehens der Dnjepr-Donez-Kultur an Bedeutung gewonnen zu haben, was auf einen eher seßhaften Lebensstil schließen läßt.
The importance of pottery appears to have increased throughout the existence of the Dnieper–Donets culture, which implies a more sedentary lifestyle.

Und (Wiki):

In Übereinstimmung mit der ursprünglichen Kurgan-Hypothese schlug J. Mallory (1997) vor, daß das Dnjepr-Donez-Volk Sprecher des Vor-Indogermanischen waren, die von Proto-Indoeuropäern absorbiert worden seien, die aus weiter östlich gelegenen Steppengebieten nach Westen expandierten. Laut David W. Anthony wurden die indogermanischen Sprachen ursprünglich von in Osteuropa lebenden EHGs wie dem Dnjepr-Donez-Volk gesprochen.
In accordance with the original Kurgan hypothesis, J. Mallory (1997) suggested that the Dnieper-Donets people were Pre–Indo-European-speakers who were absorbed by Proto-Indo-Europeans expanding westwards from steppe-lands further east. According to David W. Anthony, the Indo-European languages were initially spoken by EHGs living in Eastern Europe, such as the Dnieper-Donets people.

Und (Wiki):

Das Dnjepr-Donez-Volk war eine „eindeutige, lokal abgeleitete Bevölkerung“, die größtenteils östlicher Jäger-Sammler-Abstammung (EHG) mit Beimischung westlicher Jäger-Sammler (WHG) war. Die WHG-Beimischung scheint im Übergang vom Mesolithikum zum Neolithikum zugenommen zu haben. (...) David W. Anthony vermutet, daß dieser Zustrom von WHG-Vorfahren darauf zurückzuführen sein könnte, daß EEFs WHGs aus ihren Territorien nach Osten verdrängen, wo sich WHG-Männer möglicherweise mit EHG-Frauen verheiratet haben.
The Dnieper-Donets people were "distinct, locally derived population" of mostly of Eastern Hunter-Gatherer (EHG) descent, with Western Hunter-Gatherer (WHG) admixture. The WHG admixture appears to have increased in the transition from the Mesolithic to the Neolithic. (...) David W. Anthony suggests that this influx of WHG ancestry might be the result of EEFs pushing WHGs out of their territories to the east, where WHG males might have mated with EHG females.

Sollte es wirklich so gewesen sein? Daß Menschen der Cucuteni-Tripolje-Kultur die in der Ukraine einheimischen westeuropäischen Jäger und Sammler Richtung Osten verdrängten? Eine "eingängige" Hypothese.

Schon in der wegleitenden Studie von 2017 "The Genomic History Of Southeastern Europe" war darauf hingewiesen worden, daß es in der Ukraine zur Beimischung westeuropäischer Jäger und Sammler gekommen war (Stgen2017). Damals war aber alles noch viel weniger genau und detailliert zugeordnet worden als es seither in den weiteren Jahren möglich geworden ist. Das Bild ist inzwischen viel tiefenschärfer geworden.

3. Die Kurgan-Kultur der Mittleren Wolga breitet sich bis zur Mittleren Donau aus

Über die Genetik der Bauern der Cucuteni-Tripolje-Kultur lesen wir (Biorxiv2024):

Für die 23 in unserem Modell modellierten Trypillia-Individuen schätzen wir, daß ihre genetische Herkunft im Durchschnitt zu 81 % aus dem Balkan-Äneolithikum (z. B. in YUN_CA), zu 14 % aus BHG stammt und die restlichen 5 % aus dem CLV-Gradienten (BPgroup) stammt.
For the 23 Trypillia individuals modeled in our framework, we estimate that their genetic ancestry is, on average, 81% Balkan Eneolithic (such as in YUN_CA), 14% BHG, and the remaining 5% comes from the CLV cline (BPgroup).

Es hat sich also frühzeitig - nach der Datierung der Studie - schon um 4.500 v. Ztr. - 5 % Genetik der Menschen des Urvolkes von der Mittleren Wolga (BPgroup) in diese Bauernkultur eingemischt. Bei einigen "Ausreißern", Ausnahmefällen innerhalb dieser Kultur war dieser Herkunftsanteil auch noch deutlich höher, so heißt es in der Studie. Und weiter (Biorxiv2024):

Die formale Modellierung mit qpAdm zeigt, daß die Usatove-Population eindeutig (p = 0,128) als Mischung aus ∼45 % PV-Gruppe (und Zwischengruppe auf der CLV-Kline) und ∼55 % Trypillianern modelliert werden kann.
Formal modeling with qpAdm reveals that the Usatove population can be modeled uniquely (p=0.128) as a mixture of ∼45% PVgroup (and intermediate group on the CLV cline) and ∼55% Trypillians.

Auch die PV-Gruppe ist eindeutig Urvolk-Genetik von der Mittleren Wolga. Die Vermischung wird auf 4.500 v. Ztr. datiert. Die Ussatove-Kultur (4.100-3.100 v. Ztr.) (Wiki, engl) zwischen Odessa und der Donaumündung ist auch archäologisch sehr gut als Mischkultur zwischen Kurgan-Kultur und Bauern-Kultur zu erkennen.

Abb. 9: Das früheste Individuum mit Kern-Jamnaja-Genetik: Kurgan 3, Grab 15 in Vinogradnoe an der Molotschna (Foto: Rassamakin)

Über das sekundäre Urvolk der Jamnaja zwischen Don und Dnjepr heißt es mit Bezug auf die parallele Studie:

Wir zeigen, daß diese Individuen mit wenig oder gar keiner Vermischung von einer Vorfahrenpopulation abstammen, die sich aus einer kleinen Gründerpopulation um 3750-3350 v. Ztr. heraus zu vergrößern begann.
We show that these individuals descend with little or no mixture from an ancestral population that began expanding from a small founding group around 3750-3350 BCE.

Das ist sicher eine bemerkenswerte Feststellung. Denn Gründerpopulationen spielen ja in der Geschichte der Völker immer einmal wieder eine bedeutende Rolle. So die Gründerpopulation der Bandkeramik oder des Urvolks der Indogermanen an der Mittleren Wolga oder der aschkenasischen Juden vor tausend Jahren am Mittleren Rhein.

4. Die Jamnaja am Don und in Moldawien - Ab 3.500 v. Ztr.

Die beiden ältesten Individuen mit Kern-Jamnaja-Genetik stammen vom Unteren Don und aus Moldawien. Das ukrainische Individuum ("I32534") stammt von dem Fundort Mykhailivka am Unteren Don aus der Zeit zwischen 3.600 und 3.400 v. Ztr.. Das moldawische Individuum wird auf 3.200 v. Ztr. datiert:

I32534 ist in der Tat ein frühes Kern-Jamna-Individuum, das die zeitliche Lücke zwischen den geographisch benachbarten späten Sredni-Stog-Populationen einerseits und denen der großen Jamna-Ausbreitung andererseits schließt. Für letzte finden sich Beispiele von Südsibirien bis Osteuropa - aber irgendwelche (sonstigen) Zusammenhänge mit der Entstehungs-Region der Jamna waren (bislang) durch Tausende von Kilometern Entfernung ausgelöscht.
I32534 is indeed an early Core Yamna individual who bridges the temporal gap between the geographically proximate Late Serednii Stih populations and those of the main Yamna expansion that are sampled from south Siberia to eastern Europe and in which any associations with the locale of Yamna formation have been wiped out by thousands of kilometers of distance.

Die Jamnaja am Don waren eng benachbart mit ihren Vorfahren der Steppen-Maikop-Kultur in der Kalmückensteppe. Es ist deshalb naheliegend, daß es zwischen beiden Populationen zu Vermischungsprozessen gekommen ist. Und es drängt sich der Eindruck auf, als ob zumindest Teile der Jamnaja-Kultur vom Don auch schon am Eroberungszug der Maikop-Kultur gegen die Cucuteni-Tripolje-Kultur teilgenommen haben. Aber vielleicht kam es auch erst zur Vermischung mit ihren Steppen-Maikop-Verwandten, während oder nachdem sie von diesen das eroberte Gebiet übernahmen. Eine genauere Feinchronologie wird hier künftig viele Zusammenhänge noch besser klären können. Jedenfalls lesen wir (Biorxiv2024):

Die Individuen I17974 und I20078 aus Moldawien sind beide aus demselben Vermischungsprozeß hervorgegangen, und zwar zwischen Angehörigen der Jamna-Kultur einerseits und Angehörigen der Steppen-Maikop-Kultur andererseits, wobei I17974 etwa ∼1/3 der in I20078 gefundenen Steppe-Majkop-Herkunft in sich trug. (...) Ein früher Angehöriger der Jamna-Kultur (I1917) aus Ozera läßt sich am besten als 50/50-Vermischung zwischen Kern-Jamna und Maikop modellieren. (...) Weitere Belege für solche Vermischungen stammen aus der frühbronzezeitlichen Bevölkerung von Mayaky, die nicht mit den Ussatove derselben Region identisch ist aber eine einzigartige Kombination von 1/5 Maikop-Herkunft aufweist, während der Rest am besten durch die Jamna des Unteren Don erklärt wird.
Individuals I17974 and I20078 from Moldova were formed of the same Yamna+Steppe Maykop-associated admixture process, with I17974 carrying about ∼1/3 of the Steppe Maykop-associated ancestry found in I20078. (...) An early Yamna individual I1917 from Ozera6 is best modeled as an even mix of Core Yamna and Maykop, providing, like individual I17973, a clear link to the Caucasus. More evidence for this link comes from the Early Bronze Age population from Mayaky5, which is discontinuous with the Usatove from the same region but represented a unique combination of 1/5 Maykop ancestry with the remainder best represented by the Yamna of the Lower Don, a population which was itself a mix of Core Yamna and NPR hunter-gatherers.

Abschließend sei nun noch darauf hingewiesen, daß es eine Zusammenfassung der Inhalte des vorliegenden Blogartikels auch in Videoform gibt (Yt/2024).

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*) aus: Hubback, Russian Realities, 1915; wiedergegeben in Reeves, Russia Then and Now, 1917

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  1. The Genetic Origin of the Indo-Europeans. By Iosif Lazaridis, Nick Patterson, David Anthony, Leonid Vyazov, Romain Fournier, Harald Ringbauer, Iñigo Olalde (...)  Anna Szécsényi-Nagy, Pier Francesco Palamara, Swapan Mallick, Nadin Rohland, Ron Pinhasi and David Reich (bioRxiv 18 April 2024) (bioRxiv)
  2. A genomic history of the North Pontic Region from the Neolithic to the Bronze Age. Autoren: Alexey G. Nikitin, Iosif Lazaridis, Nick Patterson, Svitlana Ivanova, Mykhailo Videiko, Valentin Dergachev (...) David Reich, 18. April 2024 (Biorxiv2024
  3. Leo S. Klejn in: Discussion: Are the Origins of Indo-European Languages Explained by the Migration of the Yamnaya Culture to the West? European Journal of Archaeology 21(01):1-15, July 2017 (Resg)
  4. Zaliznyak, L.L. 2005. Ukraine and the Problem of the Proto-Indo-European Original Homeland. In: L.L. Zaliznyak & J.C. Carter, eds. Archaeology at Kiev-Mohyla Academy. Kiev: Stilos, pp. 12-37 (Resg)
  5. Y Rassamakin: From the late Eneolithic period to the Early Bronze Age in the Black Sea steppe: what is the Pit Grave culture (late fourth to mid-third millennium BC). Transitions to the Bronze Age. Interregional Interaction, 2013 (pdf)
  6. YY Rassamakin: Eneolithic burial mounds in the Black Sea Steppe: from the first burial symbols to monumental ritual architecture MOM Éditions (Maison de l’Orient et de la Méditerranée), 2012 (pdf)
  7. Hubback, John Henry: Russian Realities. Being Impressions Gathered During Some Recent Journeys in Russia. John Lane, New York 1915
  8. Reeves, Francis B.: Russia Then and Now. My Mission to Russia during the famine of 1891-1892 with data bearing upon Russia of To-Day. G. P. Putnam's Suns New York und London 1917 (Archive)

Mittwoch, 15. Mai 2024

70 % Urvolk-Genetik von der Mittleren Wolga - Das sind unsere unmittelbaren Vorfahren, die Jamnaja

Zur Ethnogenese der zweiten Welle der Kurgan-Kultur (4000 v. Ztr.)
Das sind wir: 70 % Genetik des Urvolks von der Mittleren Wolga, 20 % zusätzliche Genetik iranisch-anatolisch-neolithischer Menschen der Kalmücken-Steppe nördlich des Kaukasus und 10 % Genetik westeuropäischer Jäger-Sammler, die sich seit dem Mesolithikum in der Dnjepr-Donez-Kultur zwischen Don und Dnjepr eingemischt hatte
- Grazile indogermanische Kalmücken-Steppen-Hirten treffen auf großgebaute Jäger und Sammler der Dnjepr-Donez-Kultur
Wir Indogermanen der zweiten Ausbreitungswelle haben eine zweite, kompliziertere Ethnogenese durchlaufen
- Genetik der Steppen-Maikop-Kultur vermischte sich dabei ab 4.000 v. Ztr. mit der Genetik ukrainischer Jäger und Sammler der Dnjepr-Donez-Kultur
- Die Ethnogenese des sekundären Urvolkes der Indogermanen innerhalb der Sredni-Stog- und der Jamnaja-Kultur
- 500 Jahre nach Entstehung des Kurgan-Volkes an der Mittleren Wolga

Zusammenfassung: Vorauszusetzenderweise "indogermanisierte" Menschen der Kurgan-Kultur in der Kalmücken-Steppe mit 60 % Herkunft von der Mittleren Wolga und 40 % iranisch-anatolisch-neolithischer Herkunft (Menschen der Vor-Steppen-Maikop-Kultur) breiteten sich demographisch(-genetisch) nach Nordwesten über den Don bis zum Dnjepr hin aus und vermischten sich mit den dort einheimischen ukrainischen Jägern und Sammlern der Dnjepr-Donez-Kultur. Diese trugen etwa zur Hälfte westeuropäische und zur anderen Hälfte osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunft in sich. 
Die Menschen aus der Kalmücken-Steppe trugen vier Fünftel der Herkunft des neuen Volkes bei, die Menschen zwischen Don und Dnjepr ein Fünftel.
Die Menschen der Vor-Steppen-Maikop-Kultur näherten sich durch diese Vermischung genetisch wieder dem Urvolk an der Mittleren Wolga an, das sich dabei bildende Urvolk jener Indogermanen, von dem wir heute abstammen, trug am Ende seiner Ethnogenese nämlich grob 35 % osteuropäische Jäger-Sammler-Genetik in sich, 10 % westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik und etwa 55 % zusätzliche iranisch-anatolisch-neolithische Genetik.
Eine in ihrer Art für Europa vergleichsweise "typische" mittelneolithische Ethnogenese mit dem Unterschied, daß wir es hier nicht vornehmlich mit einer Kultur von Getreidebauern zu tun haben, sondern mit einer Kultur von mächtigen Steppenhirten-Fürsten, die ihren Vieh-Reichtum, ihre Zeugungs- und Kriegsfähigkeit auf Grabstelen dokumentierten (Abb. 1).

Abb. 1: Die älteste Eigendarstellung unserer direkten genetischen, kulturellen und sprachlichen Vorfahren - Die Kernosovsky-Stele (Wiki) aus der Zeit um 3.000 v. Ztr, gefunden 1973 88 km nordöstlich von Dnjeprpetrovsk (Wiki) (GMaps) (Fotograf: John Bedell)

Oder, anders zusammengefaßt: 2019 war hier auf dem Blog ein vielgelesenen Blogartikel veröffentlicht worden mit dem Titel "Es ist 'amtlich' - Das Urvolk der Indogermanen war die Chwalynsk-Kultur um 4.500 v. Ztr. an der Mittleren Wolga" (Stgen2019). Soweit übersehbar, ist an den damaligen Erkenntnissen nichts zu ändern. Was damals allerdings noch gar nicht verstanden war: Wir heutigen Indogermanen haben noch eine zweite Ethnogenese durchlaufen, und zwar zwischen Don und Dnjepr. Deshalb sind wir heutigen Indogermanen sowohl Nachkommen von grazileren Menschen der Steppen-Maikop-Kultur nördlich des Kaukasus als auch von groß und kräftig gebauten Menschen der Dnjepr-Donez-Kultur an Don und Dnjepr. 

Man wird grob sagen können: Zu 70 % stammen wir von Genetik ab, die der des Urvolk der Indogermanen an der Mittleren Wolga glich, zu 20 % von zusätzlicher iranisch-anatolisch-neolithischer Genetik der Menschen der Kalmücken-Steppe nördlich des Kaukasus und zu 10 % von westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik, die sich schon im Mesolithikum bis in die Dnjepr-Donez-Kultur zwischen Don und Dnjepr ausgebreitet hatte.  

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"Sehen wir uns ins Gesicht. Wir sind Hyperboreer - wir wissen gut genug, wie abseits wir leben. "Weder zu Lande noch zu Wasser wirst du den Weg zu den Hyperboreern finden": das hat schon Pindar von uns gewußt. Jenseits des Nordens, des Eises, des Todes - unser Leben, unser Glück ... Wir haben das Glück entdeckt, wir wissen den Weg, wir fanden den Ausgang aus ganzen Jahrtausenden des Labyrinths. Wer fand ihn sonst? - Der moderne Mensch etwa? - "Ich weiß nicht aus noch ein; ich bin alles, was nicht aus noch ein weiß" - seufzt der moderne Mensch ... An dieser Modernität waren wir krank - am faulen Frieden, am feigen Kompromiß, an der ganzen tugendhaften Unsauberkeit des modernen Ja und Nein. Diese Toleranz und largeur des Herzens, die alles "verzeiht", weil sie alles "begreift", ist Schirokko für uns. Lieber im Eise leben, als unter modernen Tugenden und andern Südwinden! ... Wir waren tapfer genug, wir schonten weder uns noch andere: aber wir wußten lange nicht, wohin mit unsrer Tapferkeit. Wir wurden düster, man hieß uns Fatalisten. Unser Fatum - das war die Fülle, die Spannung, die Stauung der Kräfte. Wir dürsteten nach Blitz und Taten, wir blieben am fernsten vom Glück der Schwächlinge, von der "Ergebung"... Ein Gewitter war in unsrer Luft, die Natur, die wir sind, verfinsterte sich - denn wir hatten keinen Weg. Formel unsres Glücks: ein Ja, ein Nein, eine gerade Linie, ein Ziel ..."
(Friedrich Nietzsche, Anfangsworte der Schrift "Der Antichrist - Fluch auf das Christentum" von 1889) 

Dieser Mythos von den Hyperboreern, immer wieder wird man an ihn erinnert, wenn man sich mit der Urheimat, bzw. den Urheimaten der Indogermanen beschäftigt. Insofern sei dieses klassische Zitat von Friedrich Nietzsche auch einmal erneut an den Beginn des vorliegenden Aufsatzes gestellt. Es sagt genug über "uns", über uns Indogermanen. 

Abb. 2: Ein Kurgan als Beispiel (Wiki) - Im Oblast Odessa nahe des Dorfes Mykhailopil, fotografiert von Yuriy Kvach

Ethnogenesen scheinen sich während des Neolithikums in der Regel am Rande der jeweiligen zivilisierten, bäuerlichen, vollseßhaften Welt vollzogen zu haben. Die Ethnogenese der Bandkeramik im Wiener Becken fand etwa statt am damaligen Nordrand der bevölkerungsreichen Stracevo-Körös-Dorfkultur des Balkans. Die Ethnogenesen zahlreicher mittelneolithischer Kulturen fanden statt durch Vermischung von vormaligen Bandkeramikern mit von diesen zuvor marginalisierten, noch aus dem Mesolithikum stammenden, ursprünglicher in Europa einheimischen Randbevölkerungen aus abgelegenen Mittelgebirgsregionen.

Ethnogenesen am Rande der "zivilisierten" Welt

Und in vergleichbarer Weise fanden auch die Ethnogenesen der ersten und der zweiten Welle der indogermanischen Ausbreitung jeweils in nördlichen Randbereichen der damaligen "zivilisierten" Welt, sowie ihrer Königreiche und Herrschaftszentren statt. Von diesen Randbereichen aus eroberten dann jeweils neu entstandene, dynamische Völker ganze Königreiche. So findet sich die Genetik der ersten Welle der Ausbreitung der - vermutlich schon indogermanischen - Kurgan-Kultur spätestens ab 4.000 v. Ztr. auch in der reichen Cucuteni-Tripolje-Dorfkultur der Ukraine und in den Dorf-Kulturen an der Donau-Mündung. 

Aber die vielleicht bedeutendste Hervorbringung dieser ersten indogermanischen Ausbreitungsbewegung war die Maikop-Kultur (4000 bis 3000 v. Ztr.) (Wiki) nördlich und südlich des Kaukasus. Aus dieser ist dann südlich des Kaukasus die so weit verbreitete Kura-Araxes-Kultur hervor gegangen, deren Menschen nach neuester Erkenntnis auch kleine Anteile von indogermanischer Steppen-Genetik in sich trugen (1). Die Menschen der Vor-Maikop-Kultur breiteten sich ab etwa 4.000 v. Ztr. nach Don und Dnjepr aus und bildeten dort die Sredni-Stog- und die Jamnaja-Kultur. Ab 3.500 v. Ztr. setzte das Königreich der Maikop-Kultur zur Eroberung des - oder der - Königreiche der Cucuteni-Tripolje-Kultur in der Ukraine an (Stgen2022).

Soweit archäologisch übersehbar, haben sich die Menschen der Jamnaja-Kultur an diesem Eroberungszug nicht beteiligt, wurden von diesem aber auch nicht behelligt. Nachdem allerdings sowohl die Cucuteni-Tripolje-Kultur wie die Maikop-Kultur untergegangen waren, beerbten die Jamnja von Don und Dnjepr, unsere unmittelbaren indogermanischen Vorfahren, diese weiten Regionen und traten in der Folge ihren Siegeszug über die Welt hin an. Nachdem wir also im August 2019 titelten (Stgen2019):

"Es ist 'amtlich' - Das Urvolk der Indogermanen war die Chwalynsk-Kultur um 4.500 v. Ztr. an der Mittleren Wolga" 

haben wir nun Grund zu titeln:

"Das sind wir: Steppen-Maikop-Kultur vermischt sich erneut mit ukrainischen Jägern und Sammlern"

"Wir", so wissen wir heute, seit April 2024, entstanden durch Ausbreitung von - vorauszusetzenderweise indogermanisierten - Menschen der Chwalynsk-Kultur, bzw. der Vor-Maikop-Kultur aus der Kalmücken-Steppe (rund um den Fundort Remontnoye) an den Don und über den Don hinaus bis zu Fundorten wie (s. Abb. 3):

  • Vinogradnoe an der Molotschna, 
  • Igren am Djnepr und 
  • Oleksandria im Donez-Gebiet.

Dort lebten unsere unmittelbaren Vorfahren in genetischer, sprachlicher und kultureller Hinsicht. Also in der einstigen Heimat der Don-Kosaken (Wiki, engl). "Jenseits des Eises, des Nordens, des Todes" - wie Nietzsche sagte. Aberseits der großen Zentren der damaligen "Zivilisation". 

Abb. 3: Die Jamnaja-Indogermanen entstanden durch Ausbreitung von Menschen der Chwalynsk-Kultur aus der Region rund um den Fundort Remontnoye in der Kalmücken-Steppe an den Don und über den Don hinaus bei zu Fundorten wie Vinogradnoe an der Molotschna, Igren am Djnepr und Oleksandria im Donez-Gebiet - Diese letztere Region zwischen Don und Dnjepr ist die Urheimat der zweiten Welle der Indogermanen ab dem 4. Jahrtausend v. Ztr.

"The Genetic Origin of the Indo-Europeans" heißt der neue Aufsatz aus dem Archäogenetik-Labor von David Reich, online gestellt am 18. April 2024 (1). Zwar enthält der Aufsatz grundlegend neue Erkenntnisse. Er ist aber von seiner Verständlichkeit her so grottenschlecht geschrieben wie selten ein archäogenetischer Aufsatz der letzten Jahre. Wir brauchten mehrere Wochen, um die für uns wesentlichsten Neuerkenntnisse und Zusammenhänge heraus zu destillieren. Erst durch einen Blick in den Anhang und durch gezielte Fragen in bestimmte Richtungen hin klärte sich uns das Bild.

Die Studie befaßt sich mit dem Modellieren von Herkunftspopulationen der Menschen der Jamnja-Kultur. Offenbar sind noch zu wenige Menschenfunde aus der Steppenregion und verschiedener Zeitstufen genetisch sequenziert worden, so daß aufwendige Überlegungen zu diesen Herkunftspopulationen im Aufsatz notwendig sind. Die Herkunft der Jamnaja weist nun aber nach derzeitigem Stand am ehesten zurück auf Menschenfunde in der Kalmücken-Steppe rund um den Fundort Remontnoye.

Abb. 4: Die erste Welle der der Indogermanen (der Chwalynsk-Kultur) ab 4.500 v. Ztr., abgelesen an der Verbreitung der Wildpferdekopf-Zeptern (nach Vladimir Dergacev, aus: Stgen2019)

Was uns an dieser Studie über Wochen am meisten verwirrte: Der osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunftsanteil (EHG-Herkunftsanteil) galt der Forschung bislang als der eindeutigste und unfehlbarste Hinweis auf "Steppengenetik", zumal im Vorderen Orient, wo der iranisch-neolithische Herkunftsanteil ja auch sonst auftritt und deshalb nicht zu gebrauchen ist, um Steppen-Genetik von Bauern-Genetik zu unterscheiden. Im Haupttext dieser Studie ist aber nun verzweifelt wenig - oder gar nicht - vom osteuropäischen Jäger-Sammler-Herkunftsanteil die Rede, etwa was die Herkunft der Menschen der Maikop-Kultur nördlich des Kaukasus betrifft ("Steppen-Maikop"), sowie von deren Vorläufern. Dieser Anteil ist auch in Grafiken des Haupttextes für die Maikop-Kultur - merkwürdigerweise - gar nicht dargestellt. Erst indem wir in den Text des Anhangs ("Supplement") blicken, finden wir ihn nach längerer Suche mit dem Suchwort "EHG" angemessen erwähnt. Dieses Zitat sei deshalb als erstes angeführt (1, Suppl, S. 151):

Es gab eindeutig Populationen mit erheblicher „EHG“-Abstammung am Fuße des Nordkaukasus (Piedmont) selbst (Wang et. al. 2019) und die Grenze - oder genauer gesagt, die Übergangszone - zwischen „südlichen“ und „nördlichen“ Populationen ist unbekannt und befand sich möglicherweise nicht in der Steppe selbst. Dieser Übergang könnte irgendwo entlang der geografischen Kluft zwischen den kaukasischen Jägern und Sammlern Georgiens (südlich des Kaukasus) und den Jägern und Sammlern der pontisch-kaspischen Steppe stattgefunden haben. (...) Wir können neu verfügbare Daten über (...) Jäger-Sammler und Herdenhalter Osteuropas nutzen, um besser zu verstehen, wie die Steppe vor der Entstehung der Jamnaja genetisch aussah und wie die Jamnaja selbst entstanden.
There were clearly populations of substantial “EHG” ancestry on the North Caucasus piedmont itself and the boundary—or more accurately, transition zone—between “south” and “north” populations remains unknown and may have not been on the steppe itself. This transition may have occurred somewhere along the geographical gap between the Caucasus hunter-gatherers of Georgia (south of the Caucasus) and the hunter-gatherers of the Pontic-Caspian steppe. (...) We can use newly available data on (...) hunter-gatherers and pastoralists of Eastern Europe to better understand what the steppe was like genetically before the emergence of the Yamnaya, and how the Yamnaya themselves appeared.

Die Vorgänger-Bevölkerung der Steppen-Maikop-Kultur entspricht grob auch jenen vier Fünfteln Herkunftsanteilen, die zur Ethnogenese der Jamnaja beigetragen haben - so die Studie. Deshalb ist diese Angabe so wesentlich. In der Literaturanmerkung zu diesem Text bezieht man sich auf die Wang et. al.-Studie von 2019, die wir andernorts ausgewertet hatten (Stgen2022). Aus dieser entnehmen wir die nachfolgende Grafik (Abb. 5). In ihr sind die Herkunftsverhältnisse innerhalb der Maikop-Kultur nördlich des Fußes des Kaukasus ("Steppen-Maikop") (oben) und südlich des nördlichen Fußes des Kaukasus (unten) dargestellt. 

Abb. 5: Das Steppen-Cluster oben, das Kaukasus-Cluster (Vorläufer der Maikop-Kultur, diese selbst, sowie Kura-Araxes-Kultur) unten, beide deutlich voneinander zu unterscheiden. Ebenso sind Vermischungen zwischen beiden in der Späten Majkop-Kultur zu erkennen (Wang 2019) - Herkunftsanteile: osteurop. Jäger-Sammler blau, anatol.-neolithisch orange, iranisch.neolithisch grün, Es wird vor allem die Jahrtausende lange genetische Grenze zwischen beiden Clustern deutlich

Nördlich des nördlichen Fußes des Kaukasus hatten die Menschen der dortigen Steppen-Maikop-Kultur etwa 30 % osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunft, südlich davon zwischen 5 und 15 Prozent. (Das entspricht ungefähr auch den Verhältnissen des Anteils der Ausbreitung von Steppengenetik nach Griechenland oder nach Italien hinein ab 2.400 v. Ztr.. Allerdings eben dann innerhalb der zweiten indogermanischen Ausbreitungswelle aus vergleichsweise anderen genetischen Wurzeln heraus, die es im vorliegenden Aufsatz zu verstehen gilt.) 

Die Population zwischen Kaukasus und Unterer Wolga wird in der Studie "CLV-Population" genannt. Sie trug vier Fünftel zur Herkunft der Jamnaja bei, die Dnjepr-Jäger-Sammler trugen ein Fünftel der Herkunft bei. Die Dnjepr-Jäger-Sammler trugen etwa zur Hälfte osteuropäische Jäger-Sammler-Genetik in sich, die CLV-Population trug osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunft zu etwa 30 % in sich. Die CLV-Population trug außerdem zu 70 % iranisch-anatolische Genetik in sich. Bei den Jamnaja hat sich also die osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunft durch die Vermischung mit den ukrainischen Jägern und Sammlern wieder etwas erhöht, grob auf etwa 35 %. Außerdem kam westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik mit etwa 10 % hinzu.

Zur kulturellen Seite dieser Ethnogenese kann aktuell nichts anderes gesagt werden, als daß die Steppen-, bzw. Kurgan-Kultur der CLV-Population in der Jamnaja-Kultur ihre Fortsetzung gefunden hat. Es ist wohl naheliegend, beide als indogermanische Kulturen anzusprechen, wobei allerdings nun sehr viel deutlicher hervor tritt, daß die von der Sprachwissenschaft rekonstruierte urindogermanische Sprache vermutlich nicht von den Menschen der Chwalynsk-Kultur, sondern von den Menschen der Jamnaja-Kultur gesprochen wurde. 

Abb. 6: Die Ethnogenese der Jamnaja (Grafik von Razib Khan)

Es wäre nun noch einmal gesondert der Frage nachzugehen, welchen Beitrag, welche Komponente die ukrainischen Jäger und Sammler kulturell-sprachlich zur Ethnogenese der Jamnaja beigesteuert haben. Es müßte sich um eine Komponente handeln, die es zuvor bei der CLV-Population in der Kalmücken-Steppe nicht gegeben hat.

Ergänzung 18.5.24: Noch viel klarer werden die Forschungsergebnisse, wenn wir in die parallele zweite Forschungsstudie derselben Forschungsgruppe rund um David Reich hineinschauen, die die genetische Geschichte der Nordschwarzmeer-Region untersucht, soweit sie unter dem Einfluß der Bauern der Cucuteni-Tripolje-Kultur und ihrer Vorfahren stand (Biorxiv2024). Diese Studie werden wir in einem weiteren Blogartikel auswerten.

Abb. 6: Die Herkunftsanteile der Jamnaja und anderer Völker (Biorxiv2024) 

Allerdings finden wir hier in der Grafik in Abbildung 6 die Ergebnisse auch der parallelen Studie zur Ethnogenese der Jamjana übersichtlicher dargestellt als in dieser selbst. Im oberen Teil dieser Grafik sehen wir vor allem gelbe und rosa Herkunftsanteile. Das ist anatolisch-neolithische Herkunft (gelb) vermischt mit Kaukasus-neolithischer Herkunft (rosa), die sich beide innerhalb von Anatolien schon vergleichsweise früh miteinander vermischt haben. Im mittleren Teil sehen wir vor allem blaue und braune Herkunftsanteile. Das ist Balkan-Jäger-Sammler-Genetik (blau) vermischt mit osteuropäischer Jäger-Sammler-Genetik (braun). (Offensichtlich wird hier Balkan-Jäger-Sammler-Genetik mit westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik gleich gesetzt.) Wir sehen nun, daß in der Ukraine (in der Großsiedlung Deriivka) vergleichsweise früh kaukasisch-anatolische Genetik (vermutlich) aus der Kalmücken-Steppe nördlich des Kaukasus hinzu kommt (sowie auch schon früh vom Balkan her, indem sich von dort Jäger-Sammler, die schon diese Komponente in sich trugen, nach Osten ausbreiteten). 

Wir sehen, daß sich zugleich an der Mittleren Wolga zu gleichen Anteilen osteuropäische und Kaukasus-neolithische Genetik miteinander vermischen (braun und rosa) (Klopkhov Bugor, BPgroup und BV group), und sich bis an die Untere (Giurgilesti) und die ungarische Donau (Csonograd) ausbreiten.

In Remontnoye in der Kalmücken-Steppe sehen wir, wie sich dieser Herkunftsanteil des Urvolks der Indogermanen von der Mittleren Wolga mit der Kaukasus-anatolischen Genetik der Menschen der Kalmücken-Steppe mischt. Sie haben nun etwa 30 % osteuropäische Jäger-Sammler-Genetik vom Chwalynsk-Urvolk und entsprechende weitere 30 % Kaukasus-neolithische Genetik von diesem. Sie haben weiterhin 20 % anatolisch-neolithische Genetik und 20 % Kaukasus-neolithische Genetik vom Volk der Kalmückensteppe. Die Herkunft setzt sich nun zusammen aus 60 % Chwalynsk-Urvolk-Genetik und 40 % Kaukasus-anatolischer Genetik der Kalmücken-Steppe. 

Diese Völkerschaften vermischen sich nun zusätzlich noch zu 20 % mit Jäger-Sammler-Genetik aus dem Don-Dnjepr-Gebiet - und wir haben das Urvolk der Jamnaja und ähnliche bronzezeitliche Völker der Nordschwarzmeer-Region, die nun alle etwa 45 % Jäger-Sammler-Genetik und 55 % anatolisch-kaukasisch-neolithische Genetik in sich tragen, wobei bei der Jäger-Sammler-Genetik beider Herkunftsanteile die osteuropäische mit etwa 35 % vorherrscht (vermischt mit 10 % westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik), während bei der Bauern-Genetik beider Herkunftsanteile die kaukasisch-neolithische mit etwa 35 % vorherrscht, vermischt mit etwa 20 % anatolisch-neolithischer Genetik. Das sind alle Völker des untersten Teils der Grafik. (Ende Einschub)

Die Jamnaja formten sich zu einer Zeit, als in der Steppe nördlich des Kaukasus sich die Maikop-Kultur formte. Letztere bewahrte dabei die genetische Kontinuität zu den Menschen der vorangehenden Chwalynsk-Kultur. Ohne alle Einzelheiten zu den genannten genetischen Gruppen und Untergruppen erläutern zu wollen, wollen wir hier nur wenige Auszüge aus dem Haupttext der Studie auf uns wirken lassen (1):

Die Jamnaja liegen am Rande des genetischen Dnjepr-Gradienten und haben weniger den ukrainischen Jägern und Sammlern nahestehende Vorfahren als andere Populationen; daher können sie nicht allein anhand dieser Abstammung modelliert werden, sondern müssen über eine zweite Abstammungsquelle verfügt haben. Wir fanden heraus, daß das einzige konsistent passende (p=0,67) Zwei-Wege-Modell für die Kern-Jamnaja 73,7 % ± 3,4 % SShi-Untergruppe der Sredni-Stog-Population und 26,3 % +/- 3,4 % einer Population umfaßte, die durch eine Stichprobe von zwei Personen repräsentiert wird aus äneolithischen Grabstätten in Sukhaya Termista I (I28682) und Ulan IV (I28683), datiert auf 4152-3637 v. Ztr. in der Nähe des Dorfes Remontnoye, nördlich der Manych-Senke an der Wasserscheide zwischen dem Unteren Don und dem Kaspischen Meer. Die Remontnoye-Population befindet sich weder auf dem Wolga- noch auf dem Dnjepr-Gradienten und ist ihnen weder genetisch nahe, noch bildet sie einen Gradienten (p<1e-10) mit einer anderen einzelnen Vorfahrengruppe. Wir stellten fest, daß es mindestens zwei Quellen gab: eine südliche aus dem Kaukasus - entweder Nachkommen des Aknaschen-Neolithikums in Armenien oder Vorfahren von Menschen der bronzezeitlichen Maikop-Kultur - und eine nördliche aus einer Bevölkerung aus dem unteren EHG Ende des Wolga-Gradienten wie die BP-Gruppe. Die Kaukasus-Komponente beträgt etwa die Hälfte, wenn entweder Aknashen (44,6 ± 2,7 %; p = 0,66) oder Maikop (48,1 ± 2,9 %; p = 0,44) als Ersatz für die südliche Quelle verwendet werden.
The Yamnaya are on the edge of the Dnipro cline, having less UNHG/GK2-related ancestry than other cline populations; thus, they cannot be modeled in terms of them alone (Fig. 1), but must have possessed more of a second source of ancestry. We found that the only consistently fitting (p=0.67) two-way model for the Core Yamnaya involved 73.7±3.4% of the SShi subset of the Serednii Stih population and 26.3 +/-3.4% from a population represented by a sample of two individuals from Eneolithic burial sites at Sukhaya Termista I (I28682) and Ulan IV (I28683), dated 4152-3637 BCE near the village of Remontnoye, north of the Manych Depression on the watershed between the Lower Don and Caspian. The Remontnoye population is on neither the Volga nor Dnipro clines and is neither genetically close (Fig. 1) nor forms a clade (p<1e-10) to any other single sampled population. We determined that it had at least two sources: a southern one from the Caucasus—either descendants of the Aknashen Neolithic in Armenia, or ancestors of people of the Bronze Age Maikop culture—and a northern one from a population from the low-EHG end of the Volga Cline such as the BPgroup. The Caucasus component is about half when using either Aknashen (44.6±2.7%; p=0.66) or Maikop (48.1±2.9%; p=0.44) as the proxy for the southern source.

Das heißt: Schon vor 4.000 v. Ztr. hatten sich Menschen der Vor-Steppen-Maikop-Kultur mit ukrainischen Jägern und Sammlern an Don und Dnjepr vermischt, allerdings nicht durchgängig, da es auch noch unvermischte Jäger-Sammler-Populationen gab. Um 4.000 v. Ztr. lebte nun in der Region um Remontnoye eine Population, die sich von dort in die Region am Unteren Don und darüber hinaus ausbreitete und durch diese Ausbreitung und durch die Vermischung mit Menschen der Sredni-Stog-Kultur das Volk der Jamnaja bildete. 

Abb. 7: Fundorte rund um Remontnoye in der Kalmückensteppe nördlich der Flußsenke des Manytsch - Die russische Archäologin Natalia Shishlina vermutet saisonale Wanderungen den Manytsch hinab zum Unterlauf des Don (aus Shishlina et. al. 2018, entnommen aus: Suppl.)

Im Anhang der Studie findet sich eine Grafik der russischen Archäologin Natalia Shishlina, die sich auch in einem Youtube-Vortrag von ihr findet (Yt1, Yt2), und in der jährliche Wanderungsbewegungen von der Kalmücken-Steppe entlang des Manych-Flusses bis zum Don dargestellt werden (Abb. 7), also ungefähr der Weg, den unsere Vorfahren bei ihrer Ausbreitungsbewegung Richtung Don mit ihren Herden gegangen sein können. Die Ausbreitung der Menschen von Remontnoye erfolgte vor der Ausbildung der Maikop-Kultur (1):

Siedlungen in Meshoko und Svobodnoe aus der Zeit zwischen 4466 und 3810 v. Ztr. stellen eine zeitlich, geografisch und archäologisch plausible Quelle dar, da sie den Austausch von exotischem Stein, Kupfer und steinernen Streitkolbenköpfen mit Fundorten vom Wolga-Gradienten aufweisen und den Kontext für die Expansion von Aknashen-ähnlicher Abstammung nach Norden und Berezhnovka-ähnlicher Abstammung nach Süden bilden. Diese Siedlungen liegen zeitlich früher als Maikop und später als zwei Siedlungen aus dem äneolithischen Unakozovskaya (4607-4450 v. Ztr.) im Nordkaukasus. (...) Somit gab es im Äneolithikum im Nordkaukasus drei Elemente der Abstammung: (i) Die mit Aknashen in Verbindung stehende Abstammung war vorherrschend und repräsentierte die Ausbreitung des Neolithikums von Süden über den Kaukasus hinweg; (ii) es gab einige Unterschiede in der CHG-bezogenen Abstammung, wie der Maikop-Unakozovskaya-Kontrast nahelegt; und (iii) es gab auch einen kleinen Anteil der nördlichen Unterwolga-Abstammung von durchschnittlich etwa einem Siebtel im Maikop. So lebten im Nordkaukasus sowohl Menschen „hoher Steppen“-Abstammung, die genetisch der Berezhnovka-Bevölkerung der Unteren Wolga nahe standen (Individuen bei Progress-2 und Vonyuchka-1), als auch Menschen „niedriger Steppen“-Abstammung Seite an Seite wobei die Abstammung der Unteren Wolga durch den größeren Beitrag des (mit Aknashen zusammenhängenden) Kaukasus-Neolithikums verwässert worden war.
Settlements at Meshoko and Svobodnoe, dated 4466-3810 BCE, provide a temporally, geographically, and archaeologically plausible source, as they exhibit exchanges of exotic stone, copper, and stone mace heads with Volga Cline sites, setting the context for the expansion of Aknashen-like ancestry northward and Berezhnovka-like ancestry southward. These settlements are temporally earlier than Maikop and later than two individuals from Eneolithic Unakozovskaya (4607-4450 BCE, and this study) in the North Caucasus. (...) Thus, there were three elements of ancestry in the North Caucasus in the Eneolithic: (i) Aknashen-related ancestry was dominant, representing the spread of the Neolithic from the south across the Caucasus mountains; (ii) there was some variation in CHG-related ancestry as suggested by the Maikop-Unakozovskaya contrast; and (iii) there was also a small component of northern Lower Volga ancestry of about one seventh in the Maikop on average. Thus, in the north Caucasus there lived, side by side, both “high steppe” ancestry people genetically close to the Lower Volga Berezhnovka population (individuals at Progress-2 and Vonyuchka-1), as well as “low steppe” ancestry people in which the Lower Volga ancestry had been diluted by the greater contribution of the (Aknashen-related) Caucasus Neolithic.

Auch dieses Zitat scheint uns wieder mißverständlich zu sein. Wir hoffen jedenfalls die Studie richtig gedeutet zu haben, wenn wir sagen, daß die Menschen der Vor-Steppen-Maikop-Kultur etwa 30 % osteuropäische Jäger-Sammler-Genetik in sich trugen. Dieser Umstand ist in diesem Zitat jedenfalls nicht klar heraus gestellt.

Abb. 8: Ethnogenese der Indogermanen - Grafik von David W. Anthony (Herkunft: Twitter)

Weiter lesen wir (1):

Die Remontnoye- und Berezhnovka-Leute wurden wie die Maikop-Leute in Kurganen begraben. Somit war der Kurgan-Bestattungsritus zwischen 5000 und 3000 v. Ztr. unter Menschen unterschiedlicher Abstammung sowohl an den Rändern als auch in der Mitte der CLV-Gradienten weit verbreitet, was darauf hindeutet, daß er - unabhängig von seinem endgültigen Ursprung und ob er kulturell übernommen oder durch Migration verbreitet wurde - weit verbreitet war unter den Menschen der CLV-Region. Im Gegensatz dazu war eine besondere Position des Körpers auf dem Rücken mit angehobenen Knien und einem mit rotem Ocker bedeckten Boden der Grabgrube eine Gemeinsamkeit aller Steppengruppen einschließlich Sredni-Stog, Gruppen des Wolga-Gradienten und Remontnoye, während die Maikop-Bestattung-Haltung nach einer Seite zusammen gezogen war. So verbanden einige Bestattungsbräuche Maikop mit der Steppe, andere trennten sie.
The Remontnoye and Berezhnovka people, like the Maikop people, were buried in kurgans. Thus, the kurgan burial rite was widespread 5000-3000 BCE among people of diverse ancestry from both the edges and middle of the CLV Cline, suggesting that—regardless of its ultimate origin and whether it was culturally adopted or spread by migration—it was common among the people of the CLV region. In contrast, a distinctive position of the body on the back with knees raised and the floor of the burial pit covered with red ochre was shared by all the steppe groups including Serednii Stih, groups on the Volga Cline, and Remontnoye, while the Maikop burial position was contracted on one side. Thus, some funeral customs united Maikop with the steppes and others separated them.

Man wird zunächst voraussetzen können, daß sich in diesen Umständen eine gemeinsame Kultur und damit wohl doch auch Sprache widerspiegelt. Wir lesen weiter (1):

Die Entdeckung des CLV-Gradienten ermöglicht eine Lösung der Frage nach dem Ursprung des Dnjepr-Gradienten und damit der genetischen Ursprünge der Jamnaja. Die meisten ihrer Vorfahren waren Menschen des CLV-Gradienten, ähnlich wie die untersuchten Remontnoye-Individuen. Diese CLV-Vorfahren wurden in die Dnjepr-Don-Region gezogen und vermischten sich mit dortigen lokalen Gruppen, um das Volk der Sredni-Stog und schließlich der Jamnaja zu bilden. Es muß betont werden, daß die CLV- und Dnjepr-Don-Quellen nicht unbedingt mit den untersuchten Remontnoje- und SShi-Populationen identisch sein müssen oder in der Nähe der Fundorte dieser beiden Populationen gelebt haben müssen. Der Dnipro-Gradient kann durch ein 3-Wege-Modell angepaßt werden, in dem sich die GK2 mit Gruppen gemischter Aknashen- und Berezhnovka-Abstammung vermischt. (...) Eine vollständige Untersuchung von 3-Wege-Modellen (Ergänzende Informationen, Abschnitt 2) zeigt, daß die Jamnaja aus verschiedenen (aber ähnlichen) entfernten Ursprungspopulationen entstanden sein könnten, zu denen Populationen (i) des Neolithikums oder Chalkolithikums aus Armenien und Aserbaidschan gehören, die das „Kaukasus-Neolithikum“ darstellen, (ii) GK2, UNHG oder Sredni Stog, die das Dnjepr-Don-Gebiet repräsentieren, und (iii) die BP- oder PV-Gruppe, die das Untere Wolga-Nordkaukasus-Eneolithikum repräsentieren. Was in der Klasse der 2- und 3-Wege-Modelle für die Kern-Jamnaja unveränderlich ist, ist, daß sie davon ausgehen, daß sie von Menschen des CLV-Gradienten (den restlichen vier Fünfteln ihrer Abstammung) abstammen, die sich mit Dnjepr-Don-Menschen mit erheblicher UNHG-Abstammung vermischten.
The discovery of the CLV Cline suggests a solution to the question of the origin of the Dnipro Cline and thus the genetic origins of the Yamnaya. Most of their ancestors were people of the CLV Cline, similar to the sampled Remontnoye individuals. These CLV ancestors were drawn into the Dnipro-Don region and mixed with local groups to form Serednii Stih people and eventually the Yamnaya. It must be emphasized that the CLV and Dnipro-Don sources need not have been identical to the sampled Remontnoye and SShi populations or have lived close to the sampling locations of these two populations. The Dnipro Cline can be fit (Fig. 2e) by a 3-way model in which the GK2 admixed with groups of mixed Aknashen and Berezhnovka ancestry. We note the aforementioned caveat that either of GK2 or UNHG could be contributing to the Dnipro Cline, but chose GK2 in Fig. 2e as this model has a higher p-value (p=0.93) for the Core Yamnaya than the alternative with UNHG as the source (p=0.04); however, we do not take this as evidence that the GK2 population was a better source than the UNHG as we have far better data for UNHG (n=35 individuals) than GK2 (n=1), which provides more power to detect slight but qualitatively unimportant oversimplifications in models. Note also, that GK2 is itself ~2/3 UNHG in ancestry, and that the proportion of either GK2 (22.5 ±1.8%) or UNHG (17.7 ±1.3%) is similar, and about one fifth. A full exploration of 3-way models (Supplementary Information section 2) reveals that the Yamnaya could have been formed from diverse (but similar) distal sources which include populations of (i) Neolithic or Chalcolithic age from Armenia and Azerbaijan representing the “Caucasus Neolithic”, (ii) GK2, UNHG, or Serednii Stih representing the Dnipro-Don area, and (iii) BPgroup or PVgroup representing the Lower Volga north Caucasus Eneolithic. What is invariant among the class of 2- and 3-way models for the Core Yamnaya is that they posit their descent from people of the CLV Cline (the remaining four fifths of their ancestry) who admixed with Dnipro-Don people of substantial UNHG ancestry.

Man sieht, daß sich der Haupttext auch für informierte Laien schwer liest. Es wird weiter ausgeführt (1):

Von der Archäologie her wissen wir, daß im späten 5. Jahrtausend v. Ztr. Kupfer vom Balkan über die Steppen zu bäuerlichen Siedlungen im Nordkaukasus (Svobodnoe) und an die Wolga (Chwalynsk) gehandelt wurde, während neolithische Keramik wie die aus Svobodnoe in Steppen-Fundorten an Dnjepr und Don auftauchten, die in Verbindung stehen mit der Sredni-Stog-Kultur (Novodanilovka). Dies bezeugt eine Periode aktiven kulturellen Austauschs, die den Kontext für die Ausbreitung von Gruppen gemischter BP-/Aknashen-bezogener Abstammung in die Dnjepr-Don-Steppen bildete.
Archaeological evidence shows that Balkan copper was traded during the late 5th millennium BCE across the steppes to North Caucasus farmer sites (Svobodnoe) and to the Volga (Khvalynsk), while Neolithic pots like those from Svobodnoe appeared in Dnipro-Don steppe sites connected with the Seredni Stih culture (Novodanilovka), documenting an active period of cultural exchange that was the context for the movement of groups of mixed BPgroup/Aknashen-related ancestry into the Dnipro-Don steppes.

Der hier erwähnte Fundort Svobodnoe (russ) wird zur Darkveti-Meshoko (Wiki) (Abb. 9), bzw. zur "Pricked Pearls Pottery culture" ("Kultur der gestochenen Perlenkeramik") (russ) gezählt. Diese wird auch "Vor-Maikop-Kultur" genannt.

Abb. 9: Die Ausbreitung der Darkveti-Meshoko-Kultur nordwestlich des Kaukasus (aus 3) (Resg

Hier sei auch eingefügt, daß in der Studie die Entdeckung gemacht wird, daß sich Steppengenetik des Wolga-Volkes ("CLV cline people") vor 4.000 v. Ztr. nicht nur an die Südhänge des Kaukasus ausgebreitet hat, sondern noch viel weiter nach Westen nach Anatolien hinein (1):

Wir schlagen daher die folgende Hypothese vor: daß CLV-Gradienten-Menschen sich um 4.400 v. Ztr nach Süden ausbreiteten also etwa ein Jahrtausend vor dem dortigen Auftreten der Jamnaja (wobei sie sich entlang der Ausbreitungsbewegung mit verschiedenen Substratpopulationen vermischte) und dann nach Westen, bevor sie schließlich Zentralanatolien erreichte. Die genetische Heterogenität der Sredni-Stog-Kultur kontrastiert zur Homogenität der Kern-Jamnaja-Kultur (Abb. 1).
We thus propose the following hypothesis: that CLV cline people migrated southwards ca. 4400 BCE, or about a millennium before the appearance of the Yamnaya, (admixing with different substratum populations along the way) and then westwards before finally reaching Central Anatolia. The genetic heterogeneity of the Serednii Stih contrasts with the homogeneity of the Core Yamnaya (Fig. 1).

Nicht erwähnt wird hier, daß diese Ausbreitung von Steppengenetik nach Zentralanatolien hinein vor allem anhand von kleinen Anteilen osteuropäischer Jäger-Sammler-Genetik erkannt werden kann. 

Zu den Vorfahren der Vor-Steppen-Maikop-Kultur werden auch Menschen des russischen Dorfes Seroglazovka (Seroglasovo/Seroglazovo) gezählt. Es liegt am linken Ufer der Unteren Wolga hundert Kilometer nördlich von Astrachan (GMaps) und damit hundert Kilometer nördlich des Wolga-Deltas. (Ihm gegenüber liegt das russische Dorf Seroglazka.) Nach diesem Dorf ist die Seroglazovka-Kultur (englrussukr) benannt, die auf 6.200 v. Ztr. datiert wird und die schon Keramik nutzte. Die Menschen jagten Wildpferde und -esel (letzterer wird Kulan genannt, Asiatischer Wildesel). Von Seiten der Archäongenetik werden die Menschen dieser Kultur dem "Berezhnovka-2-Progress-2-Cluster" (auch "BPGroup") zugerechnet, einer Untergruppe der Jäger und Sammler des Kaukasus. Denn von der Genetik her gesehen erstreckte sich dieses Cluster bis nach Berezhnovka an der Mittleren Wolga. 

Offenbar hatte sich aber in Menschen dieser Kultur noch nicht osteuropäische Jäger-Sammler-Genetik eingemischt. Diese gelangt erst ab 4.400 v. Ztr. an die untere Wolga und in die Kalmücken-Steppe. Über die Kurgane von Remontnoye erfahren wir (Suppl, S. 40):

Zwei äneolithische Gräber aus der Zeit zwischen 4152 und 3637 v. Ztr. (I28682, I28683) wurden in der Nähe des jetzigen Dorfes Remontnoye an der Wasserscheide zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer nördlich der Manytsch-Senke entdeckt. (...) Gräber aus dem Steppenneolithikum wurden meist unter kleinen Erdhügeln angelegt. Diese meist einzeln stehenden Hügel waren die frühesten Bestattungen in den Steppen nördlich des Nordkaukasus und waren vom unteren Kuban bis zum Kaspischen Tiefland verbreitet. (...) Zu Gegenständen des Grabinventars gehören typischerweise Sprungbeine der Saiga-Antilope, Knochenstäbe und Keramikgefäße, die denen der Sredni-Stog-Kultur ähneln.
Two Eneolithic graves dated between 4152-3637 BCE (I28682, I28683) were discovered near the modern village Remontnoye on the watershed between the Black and Caspian Seas north of the Manych Depression. (...) Graves from the steppe Eneolithic are usually were placed under small mounds. These mounds, usually solitary, were the earliest burials in the steppes north of the North Caucasus, and were distributed from the lower Kuban to the Caspian Depression. (...) Inventory items typically include saiga astragali, bone rods, and pottery vessels similar to Serednii Stih. 

Insgesamt tritt hier also nun die Kalmückensteppe (Wiki) in den Vordergrund der Ethnogenese der Jamnaja an Don und Dnjepr. Sie scheint eine Schlüsselregion zu sein, wenn es darum geht zu verstehen, warum sich eine typisch indogermanische Lebenshaltung - und ggfs. auch Genetik - vom Wolga-Volk der Chwalynsk-Kultur und der Vor-Steppen-Maikop-Kultur des 5. Jahrtausends v. Ztr. Richtung Don und Dnjepr ausgebreitet hat und dort dazu beitrug, das Volk der Jamnaja-Kultur des 4. Jahrtausends v. Ztr. zu bilden. Die Kalmücken-Steppe zieht sich über 500 Kilometer hinweg vom Nordwestufer des Kaspischen Meeres bis hinauf nach Wolgograd (vormals Stalingrad) und wird im Nordenosten vom Unterlauf der Wolga, im Südwesten von dem Fluß Manytsch (Wiki) und der zugehörigen Manytsch-Senke, bzw. -Niederung (Wiki) begrenzt. Der Manytsch fließt Richtung Nordwesten und mündet kurz vor Rostow am Don in den Don und fließt mit diesem Zusammen dann ins Asowsche Meer. Wir lesen (Wiki):

Der Kurgan-Hypothese zufolge waren die Hochlandregionen des heutigen Kalmückien Teil der Wiege der indogermanischen Kultur. Hunderte von Kurganen finden sich in diesen Gebieten, die als indogermanische Urheimat bekannt sind (Samara-Kultur, Sredny-Stog-Kultur, Jamna-Kultur).
According to the Kurgan hypothesis, the upland regions of modern-day Kalmykia formed part of the cradle of Indo-European culture. Hundreds of kurgans can be seen in these areas, known as the Indo-European Urheimat (Samara culture, Sredny Stog culture, Yamna culture).

Remontnoje (Wiki) liegt 70 Kilometer nördlich des Manytsch, 280 Kilometer südlich von Wolgograd.

Abb. 10: Die Ethnogenese der Indogermanen an Dnjepr und Don - 25 % osteuropäische Jäger und Sammler, etwa 10 % westeuropäische Jäger und Sammler, 65 % iranisch-anatolisch-neolithische Bauern-Herkunft

In der Zusammenfassung der Studie lesen wir (1):

Als CLV-Leute, die sowohl Abstammung aus der Jungsteinzeit des Kaukasus als auch von der Unteren Wolga in sich trugen, sich nach Westen ausbreiteten und sich mit der Abstammung der ukrainischen neolithischen Jäger und Sammler (UNHG) vermischten, um die Bevölkerung der Sredny-Stog-Kultur (auch "Serednii-Stih-Kultur") hervorzubringen, entstand ein "Dnjepr-Gradient". Aus diesem gingen schließlich um 4000 v. Ztr. die direkten Vorfahren der Jamnaja selbst hervor.
A “Dnipro Cline” was formed as CLV people bearing both Caucasus Neolithic and Lower Volga ancestry moved west and acquired Ukraine Neolithic hunter-gatherer (UNHG) ancestry to establish the population of the Serednii Stih culture from which the direct ancestors of the Yamnaya themselves were formed around 4000BCE.

Über die hier genannte Sredny-Stog-Kultur (4.500-3.500 v. Ztr.) (Wiki, engl) lesen wir (Wiki):

Die Verstorbenen liegen auf dem Rücken mit angezogenen Beinen und sind manchmal mit Ocker bestreut. Kurgane, schnurverzierte Tonware und Steinaxtformen, die möglicherweise mit den Indogermanen nach Westen gelangen, treten in der Endphase auf.

Auf dem englischen Wikipedia heißt über sie (Wiki):

Sie stand in Kontakt mit den Bauern der Cucuteni-Tripolje-Kultur im Westen (...) und lebte zeitlich parallel zur Chwalynsk-Kultur im Nordosten. (...) Ein berühmter Fundort ist Deriivka (ukrainisch: Деріївка, russisch: Дериевка) am rechten Ufer des Omelnik, eines Nebenflusses des Dnjepr. Dieser stellte mit etwa 100.000 Einwohnern auf 2.000 Quadratmeter Fläche die größte Ortschaft innerhalb der Sredny Stog-Kultur dar. (...) Im Rahmen der modifizierten Kurgan-Hypothese von Marija Gimbutas könnte diese archäologische Vor-Kurgan-Kultur die Urheimat der proto-indogermanischen Sprache dargestellt haben, die andere mit der späteren Jamnaja-Kultur in Verbindung bringen.

Über die wesentlichsten Vorgänge während des 4. Jahrtausends v. Ztr. rund um die Sredni-Stog-Kultur am Dnjepr lesen wir dann in der Zusammenfassung der neuen Studie (1):

Diese Bevölkerung wuchs nach 3750-3350 v. Chr. rasch an und beschleunigte die Ausbreitung der Menschen der Jamnaja-Kultur, die die früheren Gruppen an der Wolga und weiter östlich völlig verdrängten, während sie sich im Westen mit seßhafteren Gruppen vermischten.
This population grew rapidly after 3750-3350BCE, precipitating the expansion of people of the Yamnaya culture who totally displaced previous groups on the Volga and further east, while admixing with more sedentary groups in the west. 

Das war in der Zeit, als die Jamnaja das Erbe der Maikop-Kultur antraten, die zuvor das Reich der Cucuteni-Tripolje-Kultur erobert hatte. Wir lesen weiter in der Zusammenfassung der neuen Studie (1):

CLV-Gradienten mit Abstammung von der Unteren Wolga trugen vier Fünftel zur Abstammung der Jamnaja bei, aber auch die Einwanderer, die sich von Osten nach Anatolien ausbreiteten, trugen mindestens ein Zehntel zur Abstammung der bronzezeitlichen Zentralanatolier bei, wo die hethitische Sprache, die mit den Indo-Europäischen Sprachen verwandt ist, durch die Jamnaja verbreitet wurden. Wir schlagen daher vor, daß das endgültige Urvolk der Sprecher der "Proto-Indo-Anatolischen" Sprache sowohl der anatolischen als auch der indoeuropäischen Sprachen auf CLV-Gradienten-Menschen zurückgeführt werden kann, die irgendwann zwischen 4400 und 4000 v. Ztr. lebten.
CLV cline people with Lower Volga ancestry contributed four fifths of the ancestry of the Yamnaya, but also, entering Anatolia from the east, contributed at least a tenth of the ancestry of Bronze Age Central Anatolians, where the Hittite language, related to the Indo-European languages spread by the Yamnaya, was spoken. We thus propose that the final unity of the speakers of the “Proto-Indo-Anatolian” ancestral language of both Anatolian and Indo-European languages can be traced to CLV cline people sometime between 4400-4000 BCE.

Nachzutragen ist dazu: Am Ende des Mesolithikums oder am Anfang des Neolithikums breitete sich westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik bis in die Ukraine hinein aus und bis in die Mündungsgegend des Kama-Flusses in die Wolga an der Oberen Wolga (also in Nordrußland). Weiter östlich blieb die osteuropäische Jäger-Sammler-Genetik unvermischt.

Zur Datierung der Ethnogenese der Jamnaja und der Schnurkeramik

Im Anhang lesen wir zu den Datierungsfragen weiter (1, Suppl, S. 177):

Die Vermischung in der Abstammung der Jamnaja wurde mithilfe von DATES auf ~4100 v. Ztr. und ~4555 v. Ztr. datiert. Unter Verwendung des Kern-Jamnaja-Datensatzes (n=104), von dem eine große Anzahl (n=61) Radiokarbondaten mit einem Mittelwert von 2877 v. Ztr. aufweisen, wiederholen wir diese Berechnung und schätzen, daß westasiatisch(n=125)-europäische Jäger und Sammler (n=215)-Vermischung 41,5 ± 1,7 Generationen vor diesem Zeitpunkt stattfand. Unter der Annahme einer Generationszeit von 28 Jahren ergibt sich eine Schätzung von 4038 ± 48 Jahren v. Ztr.. Das Vermischungs-LD weist also auf einen Vermischungszeitpunkt zwischen dem 5. und 4. Jahrtausend v. Ztr. hin. Da diese Vermischung möglicherweise nicht nur während eines kurzen Zeitraumes erfolgte, erstreckte sie sich möglicherweise vom 5. Jahrtausend v. Ztr. bis zum Beginn der Bronzezeit im 4. Jahrtausend v. Ztr..
The admixture in the ancestry of the Yamnaya has been dated using DATES to ~4100BCE and ~4555BCE. Using the core Yamnaya set (n=104) of which a large number (n=61) have radiocarbon dates with a mean of 2877BCE, we repeat this computation and estimate that West Asian (n=125)-European hunter-gatherer (n=215) admixture took place 41.5±1.7 generations before that time. Assuming a generation time of 28 years34 yields an estimate of 4038±48 years BCE. Thus, admixture LD points to an admixture date between the 5th and 4th millennium BCE. As this admixture may not have been instantaneous it may have stretched from the 5th millennium BCE to the dawn of the Bronze Age in the 4th millennium BCE. 

Über die Ethnogenese der Schnurkeramiker heißt es wenig später (1, Suppl):

Schließlich haben wir auch die (ursprüngliche) Vermischung im Schnurkeramik-Komplex datiert, von der angenommen wird, daß ihr Jamnaja-Herkunftsanteil etwa 3/4 beträgt. Kürzlich ist festgestellt worden, daß diese Bevölkerungsgruppe eine hohe Rate von IBD-Segmenten mit Menschen der Kugelamphoren-Kultur aufweist, die möglicherweise für das verbleibende ~1/4 der (nicht Steppen-)Abstammung verantwortlich waren. In verschiedenen Schnurkeramik-Populationen wird diese Vermischung auf einen engen Zeitraum zwischen etwa 3000 und 2900 v. Ztr. geschätzt.  
Finally, we also dated the admixture in the Corded Ware complex, a population estimated to have ~3/4 of Yamnaya-related ancestry. It has recently been discovered that this population shares a high rate of IBD segments with the people of the Globular Amphora farming culture who may thus have been responsible for the remaining ~1/4 of (non-steppe) ancestry. It has been estimated that admixture in diverse Corded Ware populations occurred in a narrow date of ~3000-2900BCE.

In den weiteren Ausführungen wird diese Datierung dann bekräftigt.

Einordnung in den größeren geschichtlichen Rahmen

Viele Fragen der weiteren weltgeschichtlichen Einordnung schließen sich an: Warum war es gerade dieses Volk zwischen Don und Dnjepr, das einen so großen Einfluß auf die Weltgeschichte genommen hat? Warum hatte es gerade eine solche Entstehungsgeschichte? Warum hat sich die Kurgan-Kultur zunächst an der Wolga gebildet, ist dann aber von einem Volk zwischen Don und Dnjepr kulturell (und z.T. auch genetisch) weiter getragen worden?

Nach derzeitigem Kenntnisstand befand sich die Urheimat der Indogermanen jedenfalls irgendwo in einer Region, die durch die Fundorte Vinogradnoe an der Molotschna, Igren am Djnepr und Oleksandria im Donezgebiet gekennzeichnet werden kann (Abb. 3). Die Molotschna mündet - wie der Don in das Asowsche Meer. 

Diese Region hat - bekanntlich - auch in den letzten 150 Jahren viel erlebt und erlebt gerade in den gegenwärtigen Jahren wieder Unerträgliches. Ursprünglich war sie die Heimat der Saporoger Kosaken. Im Frühjahr 1918 wurde sie als Kornkammer besetzt durch die Deutschen. Nach ihrem Rückzug wurde diese Region die Ausgangsregion des Kosaken-Armeen im Krieg gegen die Bolschewisten (im russischen Bürgerkrieg 1919/20). Aufgrund mangelnder Unterstützung durch die westlichen Demokratien siegten in diesem Krieg die Bolschewisten. 

In den Jahren 1930 bis 1932 verübten genau diese in genau dieser Region den Hunger-Genozid gegen die Ukrainer und Kosaken, einen der größten Völkermorde der Weltgeschichte. 

Die Jahre 1941 bis 1943 sahen einerseits die Befreiung vom bolschewistischen Joch, andererseits die Massenerschießung von Juden durch deutsche Einsatzkommandos, aufgestellt von Schreibtischtätern wie Werner Best, der bis 1989 in Deutschland lebte, ohne jemals verurteilt worden zu sein. 

Das Jahr 1990 sah die ukrainische Unabhängigkeit - nach so unendlich schweren Jahren. Seit 2014 erlebt diese Region erneut einen Krieg - merkwürdigerweise zwischen Rußland und der Ukraine, zwei Brüdervölkern. Und seit Februar 2022 bildet sie - noch schlimmer - eine Kernregion des Russisch-Ukrainischen Krieges (Wiki), dessen Andauern den Ausbruch des israelisch-palästinensischen Krieges seit 2023 "normaler" aussehen läßt als er sonst vermutlich aussehen würde. 

Der südliche Teil des ukrainisches Kriegsgebietes - mit Vinogradnoe - ist zur Zeit russisch besetzt, der nördliche Teil ukrainisch. Deutsche Waffen und deutsches Geld morden weiterhin mit in aller Welt - so auch gegenwärtig besonders "tapfer" in der Nordschwarzmeerregion, in unserer Urheimat, die uns eigentlich heilig sein müßte. Politiker von Parteien, die einstmals ausdrücklich als "Friedensparteien" gegründet worden waren, drücken Männern, die das Land nicht verlassen dürfen, Waffen in die Hand.

Wenn wir von der relativ einfachen Ethnogenese des (genetisch vermutlich weitgehend ausgestorbenen) Urvolkes der Indogermanen an der Mittleren Wolga, des Volkes der Chwalynsk- und der Vor-Maikop-Kultur hinüber blicken zu der Ethnogenese unserer eigenen indogermanischen Vorfahren, die genetisch am meisten in Nordeuropa weiter leben und kulturell-sprachlich in ganz Europa, dann blicken wir von einem vergleichsweise einfachen Vermischungsprozeß an der Mittleren Wolga zu einem deutlich komplexeren Vermischungsprozeß nordwestlich des Don. Aber beide fanden in Randregionen und Rückzugsräumen der damaligen "zivilisierten" Welt dar.

Erwähnt sei auch: In früheren Blogartikeln waren wir mit der Forschung noch davon ausgegangen, daß die Afanassiewo-Kultur in der Dsungarei am Nordrand Chinas von den Menschen der Chwalynsk-Kultur an der Mittleren Wolga abstammen könnte. Zweifel daran gab es aber schon spätestens 2022 und es wurde die Möglichkeit erörtert, daß sie viel eher von der Jamnaja-Kultur zwischen Don und Dnjepr abstammen könnte (Studgen2022) - so wie das auch die Archäologen vorwiegend vermutet haben (Wiki). In der vorliegenden Studie wird letztere Annahme stillschweigend schon als die richtige vorausgesetzt, Jamnaja und Afanassiewo werden genetisch als deckungsgleich, identisch behandelt (z.B Table S1, S. 155). Der Hauptautor der Studie ist der griechische Archäogenetiker Iosif Lazaridis (Tw).

Hatten die Menschen der Chwalnsk-Kultur, von denen ja offenbar auch die Menschen der Steppen-Maikop-Kultur abstammten, ein "Extrem" dargestellt, das in dieser Form keine genetische und kulturelle Fortsetzung gefunden hat, sondern dann - in nur leicht abgemilderter Form - als Jamnaja-Kultur fortgesetzt worden ist? Es wäre zu sagen, daß das Urvolk der zweiten Welle der Indogermanen am Dnjepr gelebt hat und in gewisser "Bescheidenheit" seine weltgeschichtliche Stunde "abgewartet" hat, nämlich bis sich die östlichen Nachbarn von der Wolga weltgeschichtlich auch westlich von Don und Dnjepr "ausgetobt" hatten und bis sie schließlich - als letzter Ausgriff der Maikop-Kultur Richtung Westen - die Cucuteni-Tripolje-Kultur unterworfen hatten und sich dabei "verbraucht" hatten. Nun konnten schließlich die Jamnaja, die bislang eher für sich am Dnjepr gelebt hatten, in das Geschehen eingreifen. Die Jamnaja-Kultur war im übrigen auch schon von Marija Gimbutas als das Urvolk der Indogermanen angesprochen worden. 

In der Grafik von Dergacev (Abb. 4) sehen wir, daß die erste Welle der Ausbreitung der Wildepferdekopfszepter die Region des Don - sozusagen - "übersprungen" hat und gleich im Kaukasus auftritt und am Dnjepr. Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß sich am Don längere Zeit ursprünglichere Populationen erhalten haben - wie sich ja nun auch in der Genetik zeigt.

Erwähnt sei noch: Die Ausgrabungen der Kurgane nahe dem erwähnten Dorf Vinogradnoe am rechten Ufer der Molotschna, wo Menschen begraben wurden, die dem Urvolk von uns Indogermanen der zweiten Welle räumlich und zeitlich am nächsten standen, wurden durch den ukrainischen Archäologen Jurij (bzw. Yuri) Rassamakin (AcadResg) 1988, 1990 und 1991 vorgenommen (2). Im Kurgan 24 fanden sich 34 Gräber (2). Die Archäologen unterschieden drei Gräber aus dem Eneolithikum, 16 Gräber aus der Zeitstufe der Jamnaja-Kultur, sechs Gräber aus der Zeitstufe der Frühen Katakombengrab-Kultur, sechs aus der Zeitstufe der späten Katakombengrab-Kultur und einige wenige aus späteren Zeitstufen (z.B. der Zeitstufe der Kimmerer), außerdem einige undatierbare (2). 

Ergänzend einige Bemerkungen zu den Schwarzmeer-Deutschen

Während wir vor fünf Jahren in der Urheimat der ersten Ausbreitungswelle der Kurgan-Kultur an der Mittleren Wolga auf die Wolga-Deutschen gestoßen waren, stoßen wir nun in der Urheimat der zweiten Ausbreitungswelle der Kurgan-Kultur auf die "Schwarzmeer-Deutschen" (Wiki). Unter ihnen zum Beispiel auf die deutsche Mennoniten-Kolonie Molotschna (Wiki). Denn mitten in dieser Kolonie lag der eben erwähnte Kurgan von Vinogradnoe an der Molotschna. 

Abb. 11: Kolonien der Schwarzmeerdeutschen in der Urheimat der Indogermanen - Die Mennonitenkolonie Molotschna erstreckt sich rund um Halbstadt - Halbstadt liegt gegenüber von Vinogradnoe, zu Deutsch Alt-Nassau

Die deutsche Kolonie Molotschna lag beiderseits des Flüßchens Molotschna (Wiki), das 65 Kilometer weiter südlich, hinter Melitopol ins Asowsche Meer mündet.*) Links des Flüßchens lag der Hauptort der Kolonie Halbstadt (heute Molotschna), rechts gegenüber lagen unter anderem die Dörfer Hoffental, Alt-Monthal und Alt-Nassau (seit 1945 Vinogradnoe, bzw. Wynohradne) (Wiki) (GMaps). In der Nähe dieser Dörfer ist ab 1988 ein Kurgan ausgegraben worden, der von Angehörigen des Urvolkes der Indogermanen angelegt worden war, also von unseren Vorfahren (1, 2).**)

Woher kommt der Ortsname Alt-Nassau?

(Ergänzung 5.10.24) Woher kommt der ungewöhnliche Ortsname Alt-Nassau? Dieser Name führt immer wieder leicht zu Verwechselungen (z.B. mit "Dessau"). Da dieses Dorf aber durch die archäogenetische Forschung eine so überraschende, neue "weltgeschichtliche" Bedeutung erlangt hat, sei auf die verschlungenen Wege der deutschen Geschichte bezüglich dieses Dorfnamens kurz eingegangen: Die Stadt Nassau an der Lahn (Wiki) mit der Burg Nassau liegen zwischen Limburg und Koblenz im Hessischen. Die Burg Nassau bildete die Stammburg des Grafengeschlechts der "Nassauer", die wiederum über lange Jahrhunderte im Besitz der Grafschaft Nassau-Siegen (Wiki) waren. Und nun war dieses Grafengeschlecht auch noch ein fromm-katholisches (Gumb.):

In Nassau-Siegen hatte am Ende des 17. Jahrhunderts die Gegenreformation heftig eingesetzt. In ihrer Not wandten sich die reformierten Siegener an den mächtigsten reformierten Fürsten, den König von Preußen: „Weil wir diese unsere Noht für niemandt ausschütten können, auch in der Christenheit nirgends eine Errettung zu hoffen ist, bitten wir arme betrengte Leute nicht gar Hülffloß zu laßen.“ In den Jahren 1712, 1714, 1715, 1720 und 1721 sowie 1732-1740 sind kleinere Gruppen von Nassauern nach Ostpreußen gekommen; die Jahre 1722 und 1723 bedeuten den Höhepunkt der nassauischen Einwanderung. Sehr zahlreich haben die Nassauer im Kreise Gumbinnen gesiedelt.

Es gab also nicht nur eine Auswanderung der Salzburger Protestanten nach Ostpreußen, sondern auch der Nassauer Protestanten. Aber nicht nur religiöse Gründe, auch Übervölkerung trug zu der Auswanderung bei (Breitsch). Wir erfahren weiterhin (Vffow): 

Größtenteils kamen sie aus dem rechtslahnischen Gebiet (Oranien), dem Westerwald, aber auch aus dem südlich liegenden Taunus.

Es scheint in Ostpreußen kein Dorf mit dem Namen Nassau gegeben zu haben. Doch die ostpreußischen Nassauer haben offensichtlich in Ostpreußen über die folgenden hundert Jahre hauptsächlich untereinander geheiratet und ihr Herkunftsbewußtsein bewahrt. Denn wir lesen über Alt-Nassau an der Molotschna (Wiki):

Das Dorf Alt-Nassau wurde 1804 von 60 Einwandererfamilien aus Polnisch-Preußen (aus der Provinz Nassau-Usingen) gegründet

Sie kamen wohl zumeist aus der Provinz Südpreußen (Wiki). Diese Provinz war mit der zweiten polnischen Teilung 1793 an Preußen gekommen und wurde 1807 im Tilsiter Frieden von Napoleon dem neu gebildeten Herzogtum Warschau. Einwohner der ersten Generation von Alt-Nassau waren etwa geboren im "Dorf Gursch in Südpreußen" oder in "Sabotki in Preußen" (Wolgadt). Somit liegt das Dorf Alt-Nassau zwar nahe am Zentrum der Mennoniten-Kolonie Molotschna. Es scheint aber nicht von Mennoniten, sondern Lutheranern gegründet und bewohnt gewesen zu sein. 

Abb. 12: Die deutsche Mennoniten-Kolonie Molotschna

Dieser Aufsatz enthält vielfältigste Anknüpfungspunkte, um den dargestellten geschichtlichen Zusammenhängen im Großen und im Kleinen weiter nachzugehen. Ggfs. werden wir dies demnächst hier auf dem Blog auch tun. Unter anderem gilt es, ein noch umfassenderes Bild von der so bedeutenden Maikop-Kultur zu gewinnen. Siehe dazu eine wissenschaftliche Konferenz von 2019 mit dem Titel "At the Northern Frontier of Near Eastern Archaeology" (Yt). 

Nachbemerkung (16.5.24): Vielleicht wird man eines Tages auch einfach nur sagen: Der Lebensraum Steppe prägte den dort lebenden Menschen eine neue Kultur auf in der Zeit des Übergangs zur seßhaften Lebensweise. Nämlich als Menschen begannen, den Unterschied zwischen der Enge der bäuerlichen Zivilisation und ihrer Dorfkultur einerseits und der Weite des Horizontes in der Steppe und der Möglichkeiten seiner Herdenhalter deutlicher zu spüren. Und als man begann, diesen Gegensatz auch kulturell deutlicher durchzugestalten und ihn - zu leben. 

Kann man sagen: Hier in der Steppe nahm der Geist der Freiheit in der Menschheitsgeschichte seinen Anfang? Jener Geist, der sich seither immer wieder gegen den Geist der Despotie und der Knechtschaft durchzusetzen hat? Begann damals der Aufstand gegen die moderne Welt?

______________

*) Es gehörte bis 2020 zum Rajon Tokmak (Wiki) (3). Es finden sich zu ihm auch die Schreibarten: Wynohradne (Виноградне), Виноградное (Winogradnoje), Wynohradne  (Wiki). 
**) Seit 1804 siedelten hier an der Molotschna deutsche Mennoniten aus Westpreußen. Grob wird man sie als die "Amish-People" des 19. Jahrhunderts kennzeichnen dürfen (Wiki): 

Die russische Regierung wollte weitere Gruppen der als Musterlandwirte geltenden Mennoniten ansiedeln. 1800 erließ der russische Zar Paul I. ein Privileg an die Mennoniten, in dem sie „auf ewige Zeiten“ vom Wehrdienst befreit sein sollten. In Westpreußen erschwerte der preußische König Friedrich Wilhelm III. den Landerwerb für Mennoniten, die keinen Wehrdienst leisten wollten.

Die Kolonie dieser Weizenbauern wuchs auf 57 Dörfer an. 1941 bewahrte der Einmarsch der deutschen Truppen die Mennoniten, die schon in die Züge verladen worden waren, vor ihrer Deportation nach Sibirien. 1943 wurde die Kolonie im Zuge der Rücknahme der deutschen Front in den Warthegau evakuiert. Von dort wurden die Mennoniten dann nach dem Einmarsch der Roten Armee doch noch nach Sibirien und Kasachstan umgesiedelt. Wenige konnten sich nach Westdeutschland retten. Wir werden sicher noch einmal ausführlicher auf die Geschichte der Schwarzmeer-Deutschen zurück kommen.
Die deutsch-amerikanische Schriftstellerin Ingrid Rimland (1936-2017) (Wiki), die nachmalige Ehefrau des deutsch-kanadischen Geschichtsrevisionisten Ernst Zündel, war 1936 in Halbstadt (Molotschansk) geboren worden. In Videos berichtet sie bewegend über ihr eigenes Schicksal, das Schicksal ihrer Familie und das der Mennoniten allgemein (Yt). Ihre Veröffentlichungen stellten die deutschen Soldaten von 1941 sehr positiv dar. Sie waren den Mennoniten, die bis dahin nur die Bibel gelesen hatten, wie die rettenden Engel vom Himmel erschienen.
Ihre eigene Familie hatte der Deportation durch die Russen nach Sibirien 1945 entgehen können, weil sie rechtzeitig nach Detmold flüchten konnte. Von dort war sie dann nach Paraguay ausgewandert (Wiki):

In ihrer ersten Novelle "The Wanderers", die 1977 erschien, beschrieb Rimland den Exodus und die Flucht der deutschen Mennonitengemeinden aus der Ukraine. 1998 veröffentlichte sie schließlich die Trilogie "Lebensraum"; in ihrem Roman erzählte sie unter anderem auch von ihren eigenen Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs und schilderte die Geschichte der Rußlanddeutschen und deren Vertreibung durch Stalin.

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  1. The Genetic Origin of the Indo-Europeans. By Iosif Lazaridis, Nick Patterson, David Anthony, Leonid Vyazov, Romain Fournier, Harald Ringbauer, Iñigo Olalde (...)  Anna Szécsényi-Nagy, Pier Francesco Palamara, Swapan Mallick, Nadin Rohland, Ron Pinhasi and David Reich (bioRxiv 18 April 2024) (bioRxiv)
  2. Wang, CC., Reinhold, S., Kalmykov, A. et al. Ancient human genome-wide data from a 3000-year interval in the Caucasus corresponds with eco-geographic regions. Nat Commun 10, 590 (2019), online 4.2.2019 ( Nat Commun )
  3. Görsdorf, J; Rassamakin, Y.; Häusler, A.: C14 Dating of Mound 24 of the Kurgan group near Vinogradnoe village, Ukraine. In: Radiocarbon and Archaeology. International Symposium, Oxford 2002, edited 2005 (Acad)
  4. Viktor A.Trifonov, Egor B. Prokhorchuk & Kristina V. Zhur: Entwined relationships: genetic and cultural diversity in the Caucasus and the adjacent steppe sin the Eneolithic–Bronze Age period. Festschrift für Heydt 2023 (Resg
  5. Khan, Razib: Little Steppe earthquakes: upheavals both demographic and scholarly (27/4/2024)
  6. Rimland, Ingrid: The Wanderers. The Saga of Three Women Who Survived. Concordia, 1977 (Wiki)
  7. Rimland, Ingrid: Lebensraum. A passion for Land and Peace. A Novel. 1998 (Archive)
  8. Rimland-Zündel, Ingrid: My Life. Filmaufnahme eines Vortrages, 1998 (Archive)
  9. A genomic history of the North Pontic Region from the Neolithic to the Bronze Age. Autoren: Alexey G. Nikitin, Iosif Lazaridis, Nick Patterson, Svitlana Ivanova, Mykhailo Videiko, Valentin Dergachev (...) David Reich, 18. April 2024 (Biorxiv2024

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