Abb. 1: Martin Luther |
Es besteht auch heute noch das Bemühen, aus Texten, die vor 2000 und mehr Jahren in völlig anderen Sprachen formuliert, redigiert und immer wieder neu redigiert und zusammen gestellt worden sind, eine Bibel-Übersetzung herzustellen, die einerseits den "politisch korrekten" Erfordernissen unserer Zeit entspricht, andererseits als zeitloses und Kultur-übergreifendes "Wort Gottes" (und nicht nur als Wort irgendwelcher zeitgeistiger Bibel-Übersetzer und -Deuter) gelten soll. Aber solche Spagat-Übungen unternimmt der lutherische Protestantismus ja derzeit nicht zum ersten mal in seiner Geschichte*). Nun denn. Der Aufsatz beginnt mit den Worten:
Der lutherische Protestantismus war schon immer ein Gradmesser deutscher Befindlichkeiten, Ausdruck der nervösesten und vom Zeitgeist besonders berührten Schichten des hiesigen Bildungsbürgertums.
In der Tat: Der lutherische Protestantismus hat viele Wandlungen durchgemacht. Er befolgte 500 Jahre lang ein anderes Leitwort als jenes katholische "Sie sollen sein, wie sie sind oder sie sollen nicht sein!" Er gestattet sich viel mehr mitunter eine Freiheit des selbständigen Denkens, die sich andere Religionen erst zögernd und - sozusagen "nachhinkend" - gestatteten. Derzeit entdecken - wieder einmal - ja "auch" katholische Intellektuelle (!) diese Freiheit des Denkens auf dem Gebiet der Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild (siehe die Ausführungen zu "Evolution und Schöpfung" von dem Erzbischof Schönborn).
Martin Luther - nicht Saulus/Paulus - sagt: "Allein aus Gnade ..."
Brumlik meint, daß die gegenwärtige Debatte den lutherischen Protestantismus in seine Grundfesten erschüttern würde. Denn es geht um die protestantische Gnadenlehre, zumeist abgehandelt unter dem theologischen Fachbegriff "Rechtfertigungslehre" (Wiki): Allein aus Gnade, nicht um guter Werke willen wird des Menschen Seligkeit erreicht (vgl. auch St. gen.). Das war die eigentliche, bedeutende Erkenntnis und Botschaft des Augustinermönches Martin Luther aus Wittenberg an der Elbe, die ihn beim innerlich aufgewühlten Bibelstudium, vor allem beim Studium des Apostels Paulus eines schönen Tages "erleuchtete" und ihn zu einer welthistorischen Figur werden ließ.
Die biographischen Details sollen an dieser Stelle als bekannt vorausgesetzt werden: Gewitter ... - "Ich will ein Mönch werden." - ... Als Mönch viele Gewissensbisse wegen wahrscheinlich kleinlichster "Verfehlungen" ... Dann die genannte Erkenntnis beim Bibel-Studium. Dann Tetzel. Dann die Thesen angeschlagen an die Kirchentür von Wittenberg. Dann der Reichstag in Worms. Und so weiter.
Micha Brumlik sagt nun zu dieser angeblichen Gnadenlehre des Apostels Paulus (vormals Saulus) in einem längeren Zitat theologischer Argumentation (siehe auch: 3, 4):
... Strittig ist alleine, ob Luther sich bei seiner Form der Rechtfertigungslehre zu Recht auf den Apostel Paulus berufen kann, auf einen hellenistischen Juden der augustäischen Zeit. Er war zu der Überzeugung gekommen, daß der von den Römern gekreuzigte Jesus von Nazareth der von den Propheten erwartete Gesalbte, der Messias, sei und dies allen Menschen, nicht nur den Juden verkünden wollte.
Paulus warnt im Brief an die Römer nicht nur die christusgläubigen Heiden vor jeder Verfolgung der Juden und beglaubigt nicht nur die Treue Gottes zum jüdischen Volk, sondern setzt sich auch intensiv mit der Rolle der Thora, also Gottes Weisung an Israel und ihrer Heilsbedeutsamkeit auseinander. Aus dieser paulinischen Debatte hat der Protestantismus seit Luther unbegründet ein antijüdisches und antikatholisches Dogma gemacht. Schlagwortartig geht es um Luthers Entgegensetzung von "Gesetz" gegen "Evangelium", von "Werkgerechtigkeit" gegen "Glaubensgerechtigkeit", von "Gericht" gegen "Gnade" - wobei die ersten, die ängstigenden Glieder dieser Reihe jeweils dem Judentum zugeschrieben werden.
Die Übersetzer und Übersetzerinnen der "Bibel in gerechter Sprache" zeigen nun, daß der Apostel Paulus als Kronzeuge dafür nicht taugt. Damit öffnen sie den Weg zu einer weiteren, radikalen Erneuerung des jüdisch-christlichen Verhältnisses.
Die auf dem Kölner Kirchentag geführte Debatte zwischen dem Leipziger Theologen Jens Schröter und dem Paderborner Neutestamentler Martin Leutzsch, der zum Übersetzerteam gehört, offenbarte die kirchenoffizielle Kritik an der neuen Bibelübersetzung als Beharren auf einer letztlich antijudaistischen Theologie. Dabei wurde von Schröter gegen Hinweise auf die nicht nur antijudaistische, sondern geradezu antisemitische Verwendung neutestamentlicher Verse immer wieder der treuherzige Hinweis vorgebracht, dass man doch die Erfahrungen des Holocaust nicht als Interpretationsfolie zweitausend Jahre alter Schriften benutzen dürfe.
So sehr das zutrifft, so sehr ist doch der neuen Übersetzung darin zuzustimmen, dass der Apostel Paulus, ein gläubiger Jude, die Thora weder kritisieren noch gar abschaffen wollte, sondern schlicht der Meinung war, daß Nichtjuden ihr nicht folgen müssten, um zum Gott Israels zu kommen, und daß die Juden durch den seiner Meinung nach auferweckten Jesus mit einer heilsgeschichtlich neuen Konstellation konfrontiert waren.
"... mit einer heilsgeschichtlich neuen Konstellation konfrontiert ...".
Will man diese Phrase zu Ende denken, dann könnte das heißen: Mehr
nicht. Es bleibt ihnen, den Juden, also frei, ob sie sich selbst zu
Jesus als dem Messias bekennen wollen. - Das wollen sie ja bekanntlich
in der Regel nicht. Und sie waren nur allzu oft bereit, für ihre
Weigerung in den Tod zu gehen. - Aber auch nicht weniger.
"Eine heilsgeschichtlich neue Konstellation ..." - Konkurrenten ausgeschaltet
Wenn man also recht versteht: Ein neuer Schritt auch in der jüdischen Heilsgeschichte ist vollzogen, wenn Nichtjuden beginnen, einen Juden als Messias oder "Erlöser" anzusehen. Denn sie beten damit den gleichen Gott an wie die Juden. Und nicht mehr eigene Götter, die ja bekanntlich - als Konkurrenten - Jahweh ein "Greuel" sind. Gegen diese wird im Alten Testament geflucht, sie werden ausgerottet, daß sich die Balken biegen. - Weiter Micha Brumlik:
Im Römerbrief schreibt der Apostel jedenfalls eindeutig, daß er die Thora aufrichten und nicht etwa abschaffen will und die von Jens Schröter aufgestellte Behauptung, daß die Übersetzung der "Bibel in gerechter Sprache" den von Paulus "ursprünglich" gemeinten Sinn verfälsche, läßt sich dem griechischen Urtext nicht entnehmen: von - wie Luther übersetzt - "durch Glauben allein" ist dort jedenfalls nichts zu lesen. Der entscheidende Vers heißt in der aktuellen Lutherbibel der Deutschen Bibelgesellschaft: "Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben. Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf." (Römer 3, 31)
Mit "Gesetz" ist hier immer das Alte Testament, die "Thora" der Juden
gemeint. Es ist also immer die Frage: Wird das Alte Testament durch das
Neue Testament außer Kraft gesetzt oder nicht? Und Saulus/Paulus sagt
hier: Nein, das Alte Testament bleibt auch für Christen - genauso wie
für Juden - in Kraft. Mit all den Haßgesängen, Zorngesängen,
Rachegesängen, den "hate speeches", den "Fluchpsalmen" und
"Feindvernichtungsgebeten".
Sie werden in Peter Sloterdijk's neuem Buch "Zorn und Zeit" ebenso behandelt wie in Richard Dawkins Buch "Gotteswahn": "Gott, des die Rache ist, erscheine!" Blutrünstige alttestamentarische Moral, "Auge um Auge, Zahn um Zahn!" Alttestamentarischer Haß als "Wort Gottes". Doch es sei weiter Micha Brumlik gefolgt (Hervorhebung nicht im Original):
Demgegenüber schreibt die Marburger Theologin Claudia Janssen in der neuen Übersetzung des Römerbriefs: "Heißt das, daß wir die Thora durch das Vertrauen außer Kraft setzen? Ganz gewiß nicht. Vielmehr bestätigen wir die Geltung der Thora." In der Tat: jedes altgriechische Schulwörterbuch bestätigt, daß das griechische "Pistis" auch mit "Vertrauen" übersetzt werden kann.
Nicht anders bei dem vorher, in der aktuellen, "offiziellen" Übersetzung fett gedruckten Vers 28: "So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben." Während die neue Übersetzung wortgetreu schreibt: "Nach reiflicher Überlegung kommen wir zu dem Schluß, daß Menschen aufgrund von Vertrauen gerecht gesprochen werden - ohne daß schon alles geschafft wurde, was die Thora fordert." Wieder zeigt ein Blick in den griechischen Urtext wie tendenziös Luther übersetzt hat: von "allein" findet sich dort kein Wort.
Das ginge alles heftig gegen Martin Luther. Sollte er sich geirrt haben? Auch hier? Auch in seiner zentralsten Erkenntnis?
Das geht gegen Luther
Abb. 2: C. Janssen |
Für diese Erkenntnis sind tausende, zehntausende, hunderttausende in den Krieg gezogen. Sola fide! Durch Nacht zum Licht! Per Aspera ad Astra! Durch das Dunkel zu den Sternen. Unter der Fahne des "Löwen aus dem Norden", unter der Fahne Gustav Adolfs und vieler deutscher Landesfürsten.
Dreißig Jahre Krieg sind geführt worden, die spanische Armada ist von den Wellen des Meeres verschlungen worden, bevor sie England rekatholisieren konnte. Und das alles, damit dieses eine Wort nicht untergeht, damit es seine geschichtliche Geltungs-Wirksamkeit behält: "Allein aus Gnade, nicht um guter Werke willen wird des Menschen Seligkeit erreicht." Und nun soll das alles nur ein großer weltgeschichtlicher Irrtum gewesen sein? Einfach nur falsch übersetzt? Oder haben sich inzwischen nur wieder einmal "heilgeschichtliche Konstellationen" verändert? Aus der Sicht von Micha Brumlik oder anderer heilsgeschichtlicher Interpreten? Micha Brumlik (Hervorhebung nicht im Original):
... Wenn eine neue Übersetzung den Apostel deutlich in diese Geschichte rückt, ist das aus einer, einer unter vielen, jüdischen Perspektiven nur zu begrüßen. Wird doch daran deutlich, daß die inzwischen gebetsmühlenartige Beschwörung der jüdisch-christlichen Wurzeln Europas ihren guten Grund hat: Einer, wenn nicht der bedeutendste Anreger der christlichen Religion, nämlich Paulus, war und blieb Jude.
Er wurde eben nicht, wie immer wieder behauptet, vom jüdischen Saulus zum christlichen Paulus. Das hat auf dem Kirchentag einer der Übersetzer, der Bochumer Neutestamentler Klaus Wengst ebenso präzise wie brillant am Text der Apostelgeschichte nachgewiesen.
"Paulus war und blieb Jude"
Es könnte darauf verwiesen werden, daß so mancher deutsche, völkische Christentumskritiker des 20. Jahrhunderts schon ähnlich auf den zutiefst jüdischen Charakter des Neuen Testamentes hingewiesen hat. Ganz ebenso wie jetzt Micha Brumlik oder Claudia Jenssen. Damals natürlich mit deutlich antisemitischer Tendenz. Auch eine solche Lesung kann also als "antisemitisch" verstanden werden. Dessen scheinen sich die heute Debattierenden gar nicht bewußt zu sein oder bewußt werden zu wollen. Denn sonst müßten sie doch leicht den Vorwurf außer Kraft setzen können - wenn schon sonst nicht - dahingehend, daß gerade die bisherige Bibelübersetzung so viel stärker antijudaistisch und antisemitisch gewesen sei als die neue. Ist das denn wirklich so? Wenn man das "Lohn-Straf-Denken" der Bibel auf dem Gebiet der Moral ablehnt, dann ist man antijudaistisch, antisemitisch? Wäre das nicht eine recht überdrehte These?
Im ganzen jedenfalls: Armer deutscher Protestantismus! Über sieben Brücken mußt du gehen, sieben Jahre überstehen! Möchte man nicht doch glauben, daß seine "heilsgeschichtliche" Bedeutsamkeit längst so einigermaßen abgelaufen ist? Können wir nicht längst zu Gott - "allein durch Gnade" - auch ganz ohne Bibel und Bibel-Übersetzungen finden? Und weiß das der deutsche Protestantismus nicht im Grunde schon lange selbst?
Es lßst sich - in aller Vorläufigkeit - zusammenfassend vielleicht folgendes sagen: Lieber Martin Luther! Es sei dir gedankt für diese (moral)philosophische Einsicht, die das Abendland und damit die Welt wesentlich weiter gebracht hat. Schade nun, daß Paulus offenbar doch nicht daran beteiligt gewesen ist. Sondern daß er viel ethnozentrischer, engstirniger dachte, als du in deiner dusseligen, ahnungslosen, schönfärberischen Bibel-Anbetung angenommen hattest.
Schade, daß Paulus offenbar gar nicht so grundlegende ethische Fragen im Verhältnis zwischen Gott und Mensch und Mensch und Mensch hatte klären wollen, um die es dir eigentlich gegangen war, sondern nur um eine so blöde, monotheistisch-engstirnig-verbiesterte Frage wie um die des Verhältnisses zwischen Juden und Nichtjuden, und ob denn wohl auch Nichtjuden, auch Nichtjuden göttlicher Gnade - nein, offenbar besser neuerdings übersetzt: göttlicher "Gerechtigkeit" - teilhaftig werden können ...
"Die Gerechten unter den Völkern"
Wenn man dem genau hinterher denkt: Der Begriff Gerechtigkeit impliziert - viel mehr als der Begriff "Gnade" - wieder das altbekannte Lohn-Straf-Denken (Stud.gen.). Man spricht von "gerechtem Lohn", von "gerechter Strafe". So schlicht und kindlich könnte der Begriff "Gnade" nie verwendet werden. Darum ist eigentlich noch einmal verschärft nachzufragen, ob der Begriff "Gerechtigkeit" eine bessere oder historisch-kritisch "richtigere" Übersetzung ist als der Begriff "Gnade". Dieses Nachfragen ist wohl nur möglich aufgrund von umfassenderem Literaturstudium, als es für den vorliegenden Beitrag geleistet werden kann.
Unwillkürlich muß man jedenfalls bei der Verwendung des Wortes "Gerechtigkeit" durch die Bibelübersetzer (in "gerechter Sprache"!) - auch an den Begriff der sogenannten "Gerechten unter den Völkern" denken. Über diesen Begriff erfährt man (Wikip., Hervorhebung nicht im Original):
Der Ausdruck stammt aus alter Tradition des Judentums. So findet sich im Talmud der Satz:
„Die Gerechten aus den Völkern haben einen Platz in der kommenden Welt.“
Diese Auffassung beruht ihrerseits auf spezifisch biblischer Theologie: Nach der exilisch-nachexilischen Prophetie Deuterojesajas sollten Gojim (Angehörige andersgläubiger Völker) Anteil am kommenden Reich Gottes erhalten, wenn sie die Einzigkeit JHWHs, des Gottes Israels, und seiner wichtigsten Weisungen (Tora) anerkannten. Im Anschluß daran bezeichnen Juden seit Beginn der abendländischen Zeitrechnung mit dem Ausdruck gute, gottesfürchtige Nichtjuden. Diesen „Gottesfürchtigen“ wurde die Einhaltung aller 613 jüdischen Gebote und Vorschriften der Tora und ihrer mündlichen Auslegungen, die in der Mischna und Gemara gesammelt wurden, erlassen. Stattdessen sollten diese Nichtjuden nur den weiter gefaßten ethischen Prinzipien folgen, die in den Noachidischen Geboten zu finden sind.
In diesem talmudischen Denken wären schon alle Christen als Christen "Gerechte unter den Völkern". Übrigens ebenso alle Moslems. Zumindest insofern sie nicht zugleich Antijudaisten und Antisemiten wären. Und sollte das nun heißen, daß die Übersetzer der "Bibel in gerechter Sprache" sich an diese Definition von "Gerechtigkeit" halten? Und daß Paulus tatsächlich auch in wissenschaftlich-kritischer Lesung genau diese Art der "Gerechtigkeit" gemeint haben könnte?
Jonglieren mit Begriffen
Klar ist, daß eine solche Definition des Begriffes "Gerechtigkeit" nahelegt, sehr ethnozentrisch, besser gesagt Israel-zentrisch in die Welt zu blicken: Geradezu so, als ob man als Nichtjude schon allein - bzw. nur - dadurch "gerecht" an sich sei oder gerecht an sich werden könne, wenn man ausgerechnet dem kleinen "Volk Gottes", dem Volk Israel - oder einem Angehörigen desselben - Gutes tut. Selbst, wenn man sonst weiter nichts Gutes täte - oder sonst sogar nur Schlechtes. Natürlich ist es absurd und lächerlich, in einer solchen Definition den Begriff der "Gerechtigkeit" an sich aufgehen zu lassen. Im Mittelalter allerdings hätten die Menschen Schwierigkeiten gehabt, dagegen zu argumentieren. Auch im katholischen Denken spielt diese Art des Denkens noch heute eine Rolle. Und all das läßt schon deutlich werden, was für ein arg "verbiestertes" Erbe dieser Monotheismus darstellt.
Und wie dringend notwendig Renaissance, Humanismus und Reformation, später dann die Aufklärung gewesen sind mitsamt ihrer Entkoppelung des menschlichen Denkens vom biblischen Denken.
Gründliche, kritische Auseinandersetzung ist unangenehm - aber wichtig
Wenn man aber den Verwendungen dieser Begrifflichkeiten genauer hinterher horcht, so tut sich eine Ahnung davon auf, was sich für eine bewußte oder unbewußte Heuchelei - oder auch für ein eitles Gehabe ("wir, die Auserwählten") - hinter all diesem Jonglieren mit Worten und "Übersetzungen" verbergen kann.
Was die traditionell schon lange bekannten Fehler von Luthers Bibelübersetzung betrifft, kann man unter anderem auf den Soziobiologen John Hartung verweisen, auf den nicht zuletzt auch Richard Dawkins in seinem Buch "Gotteswahn" aufmerksam gemacht hat. John Hartung weist unter anderem darauf hin, daß die Übersetzung des Wortes "Gojim" in der Bibel und in anderen jüdischen Schriften mit "Heiden" - wie das spätestens seit Luther bei Christen üblich geworden ist - nicht nur mißverständlich, sondern schlicht falsch ist. Der Begriff Gojim muß vielmehr schlicht mit dem Begriff "Nichtjude" übersetzt werden. Und wenn es dann heißt "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", so ist laut Hartung immer nur der Mit-Jude, niemals der Nichtjude gemeint.
All diese Debatten gehen ihrem Selbstverständnis nach vornehmlich nur noch jene in Europa immer kleiner werdende Zahl von Menschen an, die gläubige Protestanten sind.
Sonst sind sie höchstens noch von allgemeinerem geistesgeschichtlichen, religionsgeschichtlichen Interesse: Sogar die Kernlehre des Protestantismus beruht auf einem Übersetzungsfehler Luthers.
Wow, noch im krassen Irrtum kann man also hier "den Gang Gottes durch die Weltgeschichte" spüren (um ein bekanntes Wort von Bismarck zu benutzen), nämlich als "List der Vernunft" wie es einmal der große deutsche Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel recht trefflich nannte. (Womöglich war er auch zu diesem Gedanken von seinem Freund Friedrich Hölderlin angeregt worden, dem eigentlich philosophischen Kopf der beiden wie wir spätestens seit Dieter Henrich wissen.)
"Durch aller dunkelste Nacht zum Licht" - wohl ein wahres Wort, wenn es um jene Theologie-Geschichte geht, die das Mittelalter überwinden wollte und die immer noch mühsam bestrebt ist, es zu überwinden.
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*) "Entjudung des Christentums"
Schon um 1940 brachte - nur als ein weiteres Beispiel - eine damalige, von drei Vierteln der evangelischen Landeskirchen getragene Kommission zur "Entjudung des Christentums" eine quasi offizielle "Übersetzung" der Bibel heraus, die den "politisch korrekten" Erfordernissen der damaligen Zeit genügen sollte. Es ist sehr aufschlussreich, sich damit näher zu befassen, was in der Kirchengeschichtsschreibung noch kaum geschehen ist (2).
Der Widerstand der evangelischen Kirchen zur Zeit des Nationalsozialismus mit seinem Repräsentanten, dem Hitler-Wähler von 1933 Martin Niemöller, wurde ja nach 1945 gerade deshalb so in den Vordergrund gestellt, weil es die Tatsache zu verdrängen galt, dass es vor 1945 in der evangelischen Kirche noch sehr ganz andere Dinge gegeben hatte, zum Beispiel die Richtung der sogenannten "Deutschen Christen".
Und von diesen vor allem ging aus nicht eine Neu-Übersetzung der Bibel im politisch korrekten Geist der damaligen Zeit, sondern eigentlich eine "recht freie" "politisch korrekte" Neu-Dichtung derselben. Und diese Dichtung war von den offiziellen Kirchenstellen in Auftrag gegeben worden der auch sonst gar nicht so unbedeutenden deutschen Prosa- und Balladen-Dichterin Lulu von Strauß und Torney (1873-1956). Ihre Neudichtung erfolgte - um 1940 - eben im Geist der damaligen Zeit. Lulu von Strauß und Torney war die Ehefrau und Erbin des Verlagsgründers Eugen Diederichs und damit des Diederichs-Verlages in Jena. Ein Verlag übrigens, den man - zumal damals - nicht gerade als einen sehr kirchen- oder auch nur christentumsnahen empfinden konnte. Lulu von Strauß und Torney war auch eine enge Freundin der Dichterin Agnes Miegel, die in ihrer Dichtung viele Kirchenlehren zurückweist. Die Autorschaft von Strauß und Torney an der Neu-Dichtung der Bibel von 1940 ("Volkstestament" genannt) wurde erst vor wenigen Jahren bekannt. (2) Noch heute spricht man in der evangelischen Kirche lieber über Martin Niemöller als über so viel inzwischen - ziemlich "politisch unkorrekt" Gewordenes.
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- Brumlik, Micha: Ein neuer Kulturkampf ist entbrannt. In: Frankfurter Rundschau, 22.6.2007
- Jerke, Birgit: Wie wurde das Neue Testament zu einem sogenannten Volkstestament „entjudet“? Aus der Arbeit des Eisenacher „Instituts zur Erforschung und Beseitung des jüdischen Einflusses auf das deutsch kirchliche Leben“; in: Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hg.): Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen; Frankfurt am Main 1994; S. 201–234
- Thiede, Werner: Laßt klare Töne hören! Innerkirchliche Angriffe auf die Lutherische Rechtfertigungslehre mehren sich. In: Rheinischer Merkur, Nr. 43/2007, S. 25 (--> pdf.)
- Schrotthoff, Luise; Janssen, Claudia: Wider den Antijudaismus. Die „Rechtfertigung allein aus Glauben“ richtet sich nicht gegen die Tora. In: zeitzeichen, September 2007 (--> pdf.)
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