Montag, 21. Juli 2025

Vom Stolz der Menschenseele

Und was dieser mit Traumaheilung zu tun hat

Adler - Ausdruck von Stolz

Die Herangehensweise des Traumatherapeuten Gopal Norbert Klein im Zusammenhang mit der Heilung von Kindheitstraumata ist schon seit mehr als einem Jahr Thema hier auf dem Blog (s. z.B. Stg24). Gopal stammt aus Wiesbaden und Gießen. Er hat selbst ein Kindheitstrauma erlebt. Er hat sich in Auseinandersetzung mit diesem zum Traumatherapeuten entwickelt. Er scheint uns wesentliche Antworten auf all die ungelösten Fragen zu geben, die der Hirnforscher Gerhard Roth in seinem Vortrag "Wie das Gehirn die Seele macht" von 2013 noch als weitgehend ungeklärt dargestellt hatte.

Nämlich: Kann man Kindheitstraumata überhaupt heilen. Gopal sagt: Ja. Und zwar: "Durch Kontakt". Das ist die wesentliche Botschaft. Durch Kontakt, durch "ehrliches Mitteilen" und durch Hören auf das, was gesagt wird und wie sich mitgeteilt wird. Wenn man sich auf diesen Weg begibt, kann man immer wieder neue Entdeckungen machen. 

Immer einmal wieder sehen wir deshalb in die Video's oder Interviews mit Gopal Norbert Klein hinein. Das hier eingestellte Video (1) habe ich mir vor einigen Wochen - zunächst ein wenig gleichgültig - angesehen. An der Stelle, wo ich es einsetzen lasse (bei Minute 6), habe ich schon damals ein bisschen mehr aufgehorcht. Ich habe mir gedacht: Wow, mit was für krassen Fällen Therapeuten beschäftigt sein können. 

Aber so wirklich auf eigene Erfahrungen habe ich das damals nicht beziehen können oder höchstens - wie ich mir damals dachte - "in groben Zügen".

Zum Beispiel hatte ich bis dahin nie so recht für mich verstanden, wie ich mir die Strategie "Manipulation" in Aktion und Reaktion eigentlich konkret vorstellen sollte. So dachte ich damals. Traumatherapeuten sprechen ja von drei bis vier verschiedenen, tief in der tierlichen Evolution und damit im Stamm- und Zwischenhirn angelegten, körperlichen und seelischen Strategien, mit "Todesgefahr" umzugehen: Angriff, Verteidigung und Totstellen (Erstarrung), sowie - mitunter als vierte Strategie genannt: Manipulieren. Die drei erstgenannten kann man sich ja ohne Schwierigkeiten vorstellen. Aber was soll "Manipulieren" in Todesgefahr bedeuten? Hier war nun einmal ein sehr konkreter Ausschnitt von "Manipulationsmöglichkeiten" sehr anschaulich beschrieben: Den Gegner oder das projizierte "gefährliche" Gegenüber in die Irre führen, Tarnen und Täuschen, Antäuschen, Ausweichen, Angriffe ins Leere laufen lassen, Tricksen. Und zwar kann das alles für alle Beteiligten völlig unbewußt stattfinden. Es wird aber schon deutlich, daß für die Überlebensstrategie Manipulation schon etwas mehr gebraucht wird als nur Stamm- und Zwischenhirn. Da kommen offenbar auch höhere Gehirnregionen mit ins Spiel, die verdammt schnell reagieren können.

Vor einigen Tagen jedenfalls kam mir genau dieses Video wieder in den Sinn. Es hatte einige Enttäuschungen in meinem Leben gegeben. Alte Strategien (Handlungsstrategien) "fruchteten" nicht mehr. Tagelang fühlte ich mich deshalb wie ohnmächtig, funktionierte nur noch wie eine Maschine, wollte über nichts mehr nachdenken. Bis allmählich so der eine oder andere neue, weiterführende Gedanke "wie von selbst" in die Wahrnehmung kam.

Und in diesem Zusammenhang fiel mir dann auch dieses Video wieder ein. Und plötzlich machte alles so viel mehr Sinn. Das, wovon in diesem Video die Rede ist, war - und ist - meine Jahre lange Erfahrung gewesen. Nein, meine Jahrzehnte lange Erfahrung gewesen mit nahen Angehörigen.

Ich habe jetzt lange auf Youtube gesucht, um dieses Video wieder zu finden.

Ich finde: In diesem Video kommt der Gopal auf Themen zu sprechen, von denen er sonst relativ selten - zumindest so direkt und anschaulich - spricht. Aber für mich sind diese Dinge ein wichtiger Schlüssel.

Es ist der Menschenstolz der Menschenseele

Und indem ich die Inhalte dieses Videos weiter dachte, schrieb ich mir vor zwei Tagen (am 19. Juli 2025) auf:

Jemand müßte dem Gopal Norbert Klein einmal sagen, daß es der Menschenstolz der Menschenseele ist, der sich in der Nähe des Erlebensbereiches der Menschenwürde bewegt (von der schon im Artikel 1 des Grundgesetzes die Rede ist), und die zum Beispiel von der Psychiaterin Mathilde Ludendorff oder von dem Philosophen Peter  Sloterdijk als so wesentlich angesehen werden (von Mathilde Ludendorff "Gottesstolz" genannt, Sloterdijk spricht von "thymotischen Energien"), daß diese Erlebensbereiche von Stolz und Würde sehr oft Heilungsvorgänge verhindern, weil sie alle die manipulativen Vorgänge, die Heilungen verhindern, befördern, daß sie aber auch, wenn es in glücklicher Zeit zu ehrlicher Mitteilung dieser Erlebensbereiche kommt, erste authentische, ehrliche Mitteilungen in die Kommunikation einfließen läßt. Oft zunächst als Empörung. Was dann wiederum heilsam sein könnte. Der Gottesstolz möchte immer Herr der Situation bleiben, sehr, sehr gerne auch einmal auf Kosten ehrlicher Mitteilung und auf Kosten der Wahrheit und damit - unbewußt - auf Kosten körperlicher und seelischer Gesundheit. Nämlich indem er sich selbst und andere "manipuliert".

Und ganz genau so beschreibt auch die Psychiaterin Mathilde Ludendorff den Gottesstolz (2) (Archiv). Nämlich daß er in traumatischen Zusammenhängen "Boten" an das Unbewußtsein sendet, die dann Traumafolgen bewirken auf körperlicher und seelischer Ebene. Und auf diesen Ebenen können sie oft Jahrzehnte lang völlig unverändert in immer derselben Weise fortwirken. Weil ein bestimmtes Erleben oder Verhalten ins Unterbewußtsein "verdrängt" worden ist, statt mitgeteilt und ausagiert worden ist. 

Der Gottesstolz ist womöglich wirklich etwas sehr besonderes. Und diejenigen, die ihm zuhören, sind heilig, die ihm zuhören sowohl dann, wenn er auf dem manipulativem Wege unterwegs ist wie auch dann, wenn er ehrlich mitteilt und sich - dadurch  - womöglich stolz und gottnah in die Höhe reckt.

Fast "ohne Rücksicht auf Verluste" zerstört dieser Gottestolz oder möchte Gottnähe bewirken, immer aber möchte er Herr der Situation bleiben. Ihm ist es - mitunter - "unerträglich", sich "unterwürfig", ohnmächtig zu zeigen, sich der Situation nicht gewachsen zu zeigen. Der Gottesstolz ist ein Recke aus uralten Zeiten, schon aus jeder uralten Isländer-Saga leuchtet er strahlend hervor.

Abb. 2: Gorch Fock (1880-1916)

So schrieb ich in groben Zügen vor zwei Tagen (heute noch mal etwas überarbeitet, weil einem ständig neue Gedanken dazu kommen).

Gorch Fock

Und heute kommt mir auch noch in den Sinn: Der Hamburger Schriftsteller Gorch Fock (1880-1916) hatte eine Ahnung von den Wirkungen dieses Stolzes - in seiner Freiheit ebenso wie in seinen Verzerrungen - als er irgendwann als Eintrag in sein Tagebuch niederschrieb:

"Mein Herz, sei streng und halt dich frei von Dünkel und von falschem Stolz! Sei gütig, mein Herz, und beschenke dich immer mehr mit echtem, freiem Stolz."

Es war dieses Zitat, was ich mir schon in meiner Jugend mit 17 oder 18 Jahren als bedenkenswert aufgeschrieben hatte. Als ein Wort, an dem man sein Leben ausrichten konnte.

Peter Sloterdijk

Zum erwähnten Philosophen Peter Sloterdijk: Wir haben mindestens zwei Beiträge veröffentlicht zu seiner Sicht auf "thymotische Energien". Wir haben dabei hervorgehoben, daß Sloterdijk seine Sicht prägnanter in einem Cicero-Interview geäußert hat als in seinem ganzen Buch "Zorn und Zeit" (Stg07a, Stg07a). 

Mathilde Ludendorff

Noch einige Zitate, aus denen hervor geht, wie Mathilde Ludendorff das Wesen des Gottesstolzes sieht. Sie schreibt in der grundlegenden Charakterisierung der menschlichen Bewußtseinskräfte (2, S. 80):

Zu dem Ich hin führt, wie uns die "Schöpfungsgeschichte" lehrte, ein "Strahl aus dem Äther", ein Erleben göttlicher Würde und Erhabenheit, den wir den "Gottesstolz" nannten und der weder mit der Leistung des Menschen, noch mit der Anerkennung, die er findet, irgendeinen Zusammenhang hat.

Und (2, S. 133f):

Zorn ist die Vernunfterkenntnis einer feindlichen Tat des Mitmenschen, der sich das Erlebnis des Gottesstolzes und die Empfindung der Unlust gesellt. Überwiegt die Unlust und gesellt sich ein starkes Gefühl des Hasses, ist endlich der Gottesstolz im Menschen verzerrt, so wird aus Zorn die Wut. Die Willensrichtung, die sich hiermit verbindet, ist meist der Wille zur Abwehr eines Feindes. Eine derartige Zergliederung aller Eigenschaften fördert sehr die seelische Erkenntnis.

Er tritt - nach diesem Seelenbild - als gleichwertig neben das Erleben der Eltern- und der Mutterliebe. Das Wesen des Gottesstolzes ist für sie etwa auch erkennbar anhand der Umwertung des von den germanischen Nordeuropäern erlebten und gelebten Gottesstolzes in christlicher Zeit, also als sie religiös und moralisch entwurzelt wurden. Es würde dann ein bestimmtes seelisches Gesetz wirksam (2, S. 138f):

Ich nenne es das Gesetz der Kontrastwertung (gegensätzlichen Wertung). Das Erbgut im Unterbewußtsein kann nämlich nicht machtlos werden. Es übt seinen Einfluß auf das Handeln und Werten des Menschen. (...) Gegenüber dem aus dem Erleben der Gottgemeinschaft geborenen starken Gottesstolz unserer Ahnen, den er in seinem Unterbewußtsein als Erbgut trägt, schützt er (der Christ) sich durch fortwährende Beteuerung der "Demut vor Gott", des "Unwürdigseins der Gnade", des "Allzumal-Sünder-Seins". Dem aus diesem Gottesstolz und der Gottgemeinschaft geborenen Vertrauen auf die eigene Kraft zur Vollkommenheit gegenüber beteuert er seine "Ohnmacht", fleht auf den Knien um "Erbarmen und Gnade". Dem aus dem Gottesstolz geborenen Erbgut des heldischen Wollens, sich in kraftvollster Abwehr der feindlichen Mächte sein Schicksal zu gestalten, sucht er sich zu entziehen durch fortwährendes Beteuern, man müsse das "vom Herrn gesandte Schicksal geduldig und demütig hinnehmen". (...) So stellt also ein solcher Mensch mit der Treue einer Lichtbildplatte das Gegenteil („Negativ"), das Kontrastbild des Erbgutes in seinen Wertungen dar.

Es sollen noch weitere Zitate gebracht werden, die das vielfältige Wirken des Gottesstolzes in der Menschenseele aus ihrer Sicht verständlich machen können. 

_______

  1. Gopal Norbert Klein: Wie du jede Psychotherapie scheitern läßt: Kontextwechsel, Kulissenschieben, Reframing. Traumaheilung & Medialität, 12.02.2024 (Yt)
  2. Ludendorff, Mathilde: Des Menschen Seele. Ersterscheinen 1925 (Archive)
  3. Bading, Ingo: Peter Sloterdijk und sein Buch Zorn und Zeit. (Stg07aStg07a)
  4. Gorch Fock - Sterne überm Meer. Tagebuchblätter und Gedichte. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Aline Bussmann. Glogau 1918 (GB)

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