Dies ist ein ganz unglaubliches Video. Die Sopranistin Sumi Jo, geb. 1962 in Seoul, Südkorea, ist heute eine der bedeutendsten Koloratur-Sopranistinnen weltweit. Es heißt, eine solche Stimme wie die ihre gibt es nur ein oder zwei mal in einer Generation. In diesem Film ist man live dabei, wie diese Sopranistin von Herbert von Karajan im Jahr 1987 (oder 1986?) entdeckt wurde.
Es ist alles "wie im Film" - aber real: Da kommt ein schüchternes Mädchen zum Vorsingen zu ihm, eine Arie von Bach hat sie vorbereitet. Nachdem sie damit durch sind, fragt Karajan, was sie zu Ostern nächstes Jahr vor hat. Und sie sagt, sie weiß es noch nicht, vielleicht singt sie in Seoul "Rigoletto" oder "Königin der Nacht". Und Karajan antwortet: "Das glaube ich nicht! Das ist zu beängstigend. Sie müssen wissen, das geht wie ein Maschinengewehr ..." Er meint die schnelle Aufeinanderfolge der hohen Töne. Aber sie sagt, doch sie könne die "Königin der Nacht" singen, es würde auch schon aufgenommen. Karajan sagt, sie solle es ihm vorsingen. (Die Königin der Nacht ist ja offenbar "das" Probestück für jeden Koloratur-Sopran.) Und sie antwortet überrascht: Was, jetzt? Da hat aber der Pianist schon angefangen zu spielen und sie soll prompt einsetzen ...
- Ein Jahr später singt sie für Herbert von Karajan auf dem berühmtesten Musikfestival der Welt zu Ostern in Salzburg. Und eine große Sopranistinnen-Karriere beginnt. Herbert von Karajan nannte sie eine "Stimme des Himmels". - Ich bin fasziniert von diesem Video. Wie unkompliziert das abläuft bei Musikern, Künstlern: Herrlich. Das ist Leben. So muß Leben sein. So allein.
Hier noch eine exaktere Wiedergabe dieses Gespräches (Sumi Jo ist übrigens zusammen mit der heute ebenfalls bekannten italienischen Opernsängerin Cecilia Bartoli zum Vorsingen gekommen):
Während der Bach-Arie unterbricht Karajan sie bei einem hohen Ton und sagt: "Das muß ein bißchen härter gesungen werden." Und er winkt ab: "Wenn es falsch ist, macht das gar nichts, wir können es immer korrigieren." Sie singt es noch einmal und Karajan sagt: "Nun war es gut. Nun war der 'Angriff' gut. Es ist als würde etwas explodieren." Und auf ihr nickendes Zustimmen sagt er: "Sie sind sehr intelligent. Nein, nein, wirklich, Sie haben einen Sinn dafür. Man muß es Ihnen nur sagen." - "Noch einmal." Danach freut sich Karajan und sagt irgend etwas Zustimmendes wie: "Sehr gut ..." (- nicht richtig verständlich.) Und dann: "Nun kommen wir zu ... (?). Was sie jetzt lernen müssen, anfangen müssen zu lernen, ist der ebenmäßige Fluß der Musik. Und das ist hier die allerwichtigste Sache. ..."Youtube hat noch einige weitere schöne Aufnahmen von Sumi Jo:
Und dann überlegt er und fragt: "Was machen Sie zu Ostern nächstes Jahr?" - "Nächstes Jahr? Ostern? Nichts so Besonderes." - "Sie gehen nach Seoul?" - "Ich werde die 'Königin der Nacht' singen oder 'Rigoletto'." - Karajan hat nicht richtig verstanden: "Sie singen was?" - "'Königin der Nacht'." - "Sie singen die 'Königin der Nacht'?" - "Ja." - "Das ist nicht wahr! Nein, das ist nicht wahr." - "Ich liebe es auch nicht ... Es ist zu schwierig." - "Wirklich? Ja, haben Sie es schon gesungen? Oder werden Sie es singen?" - "Ich werde es singen. Ich kann es. Ja, ich habe eine Aufnahme zu machen mit Philipps." - "Wer ist der Dirigent?" - "Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts." - Karajan ... nimmt die Bach-Noten vom Tisch und bedeckt damit sein Gesicht: "Nein, weil: ich kann nicht wirklich sagen, warum. Denn es ist eine Sache, die ist hart zu machen. Wenn es eingeübt ist, dann ist es wirklich wie ein Maschinengewehr. Rrrrtatatata. Beängstigend!" - Sie blickt nur zu Boden. - "So, was mache ich nun mit Ihnen?" - Er streift sich mit der Hand über den Kopf und sagt: "Eines Tages, da werden Sie aber für mich singen!" Und nach einigem Zögern: "Ok, warum singen Sie es eigentlich nicht für mich?" - Sie lächelt.
Da erklingen schon Klaviertöne. Sie schüttelt den Kopf. Karajan gibt schon den Einsatz. Sie: "Jetzt?" - Und jetzt kommt die schönste Szene: Sie verdreht die Augen in dem Sinne: Das geht doch nicht. Und dann singt sie auch schon los. Zwischendurch unterbricht sie sich, lacht: "Ich hab doch gar keine Noten!" - Aber Karajan blickt sie voll an und hört ihr gespannt zu. Sie singt weiter.
Und dann, als sie durch ist, ruft Karajan irgend etwas Erstauntes. - Und sie immer noch ganz aus dem Häuschen: "Das ist doch unmöglich!" Alle lachen. Karajan schüttelt den Kopf: "Ich kann es immer noch nicht glauben." Sie sagt: "Am Abend, da kann ich singen." Karajan winkt beschwichtigend ab und sagt: "Sie müssen wissen: Ich höre immer das, was ich hören will." Sie wirft noch irgend etwas ein. Doch Karajan darauf: "Nein, das ist gut. Natürlich ist es eine andere Sache (am Abend). Aber wie Sie es singen ist es rein (sauber) wie nur irgendwas." Und: "Wo werden Sie es aufnehmen?" (Antwort unverständlich.) "Sie können es singen. Da gibt es keinen Zweifel. Aber es muß durchgearbeitet werden. Ich weiß, was es heißt: Sonntag Abend ist die erste Probe. Und dann singen Sie. Unten ist das Orchester, das niemals Piano spielt. In einem durch Mezzoforte. Und der Dirigent gibt Ihnen Zeichen, daß er Sie nicht hört auf der Bühne, Sie sollen lauter singen. ... Und dann singen Sie es Dienstag und Donnerstag und am Samstag und das bißchen von Ihrer Stimme haben Sie verloren." - Sie: "Vielen Dank für Ihre Ratschläge ..." - Er: "Warum schauen Sie so traurig?" - Sie: "Ich bin nicht traurig." Und dann endet - leider - das Video.
Die Lerche in blaue Höh' entschwebt,
der Tauwind weht so lau;
sein wonniger milder Hauch belebt
und küsst das Feld, die Au.
Der Frühling in holder Pracht erwacht, – ah, ah, ah –
alle Pein zu End' mag sein,
alles Leid, entfloh'n ist es weit!
Schmerz wird milder, frohe Bilder,
Glaub' an Glück kehrt zurück;
Sonnenschein – ah – dringt nun ein, – ah –
alles lacht, ach, ach, erwacht!
Sonnenschein …
Die Lerche in blaue Höh' entschwebt, …
- Ich spür' es,
- das Wiener Blut.
- Wiener Blut,
- Wiener Blut!
- Eig'ner Saft,
- Voller Kraft,
- Voller Glut,
- Du erhebst,
- Du belebst
- Unser'n Mut!
- Wiener Blut!
- Wiener Blut!
- Was die Stadt
- Schönes hat,
- In dir ruht!
- Wiener Blut,
- Heisse Flut!
- Allerort
- Gilt das Wort:
- Wiener Blut!
Also so: Wenn man mal im Leben nicht mehr weiter weiß, ... dann kommt - mitunter - eine "Stimme von Himmel". Und die sagt einem dann wieder, wozu dieses Universum, dieses Leben, diese Welt gut ist. Möglicherweise nur allein um der Musik des Lebens willen. Damit Leben und Kunst, Kunst und Leben miteinander verschmelzen.
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