Zum vorletzten Beitrag schickt mir Edgar noch folgenden von ihm aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzten aktuellen Zeitungsartikel (hier und hier). Zur Orientierung bezüglich des dort erwähnten Ortes Vlaardingen in den Niederlanden zuvor noch eine Karte von "Google-Earth". Vlaardingen liegt nur wenige Kilometer westlich von Rotterdam:
Eduard Zuiderent, ein pensionierter Zahnarzt aus Rotterdam ist der Nachkomme eines Mannes aus dem 11. Jahrhundert aus Vlaardingen (Süd-Holland), dessen Schädel dort im Jahr 2002 unter dem Marktplatz ausgegraben wurde. Dies ist das Ergebnis forensischer genetischer Untersuchungen von Prof. Dr. Peter de Knijff, Dozent für Populations- und Evolutionsgenetik am medizinischen Zentrum der Universität Leiden (LUMC).Wurden im 11. Jahrhundert Niederländer (oder Wikinger?) noch in Baumsärgen bestattet? Insgesamt ein spannender Bericht.
Nachdem im Jahr 2002 in Vlaardingen 41 menschliche Körper aus dem 11. Jahrhundert ausgegraben wurden, die so gut erhalten waren, dass DNS Analysen möglich waren, beschlossen die Gemeinde Vlaardingen und das LUMC, sich im Rahmen des Projektes "Graben in Vlaardingen" auf die Suche nach heute lebenden Nachkommen zu machen.
Die Forschungen richteten sich dabei auf das in Zähnen erhaltene Y-Chromosom, das nicht nur ziemlich unverändert vom Vater an den Sohn vererbt wird, sondern auch mühelos an Stammbaumdaten der männlichen Linie (Nachnamen), koppelbar ist.
Die alten Zähne wurden mechanisch und chemisch gereinigt, zermahlen und in Flüssigkeit aufgelöst. Die DNS-Fragmente in der Flüssigkeit wurden danach "sequenziert", wodurch die Reihenfolge der Basenpaare, den DNS-Bausteinen, bestimmt werden konnte. So konnten die Proben mit zehn "Standard Markern" des Y-Chromosoms verglichen werden.
In der Zwischenzeit suchte man mittels Ahnenforschung nach heute lebenden männlichen Nachkommen, den "modernen Ur-Vlaardingern". Ausgangspunkt hierzu war das "Poorterboek" von 1555, worin die Namen von 261 Vlaardinger Bürgern vermeldet sind. Von 88 Männern, die Nachweisen konnten, dass ihre Vorfahren bereits im 16. Jahrhundert oder früher in Vlaardingen wohnten, wurden Speichelproben entnommen und ihr Y-Profil daraufhin mit denen der alten Skelette verglichen. Dies führte schliesslich zu einer (!) echten Übereinstimmung mit der alten DNS, die in allen Y-Merkmalen identisch war mit einem Mann aus der "Stammbaumgruppe" - Eduard Zuiderent, Zahnarzt aus Rotterdam.
De Knijffs Forschungen ergaben ausserdem, dass die DNS-Profile der alten Vlaardinger Geschlechter Bot und Drop grosse Gemeinsamkeiten aufweisen, sie unterscheiden sich lediglich in einem der zehn Y-Merkmale. Die beide Familien waren demnach früher eine einzige. Noch nie zuvor wurden solche alten Familien mit unterschiedlichen Nachnamen über ihre DNS miteinander verkoppelt!
Bei den Forschungen, die das gesamte Spektrum der Y-Chromosomvarianten der Nordseeregion beinhalteten, wurde auch ein Wikinger Y-Profil gefunden. Dies gehörte dem "boomkistman" der als einziger der alten Vlaardinger in einem Baumsarg begraben war. Das Wikinger Y-Profil heisst so, weil es in Grossbrittanien nur auf den Orkney Inseln gefunden wurde, die im 9. Jh. von norwegischen Wikingern kolonisiert wurden. Dieses Profil kommt in den Niederlanden bei 1-2 Prozent der Männer vor und muss daher nicht unbedingt von Wikingern eingeführt worden sein, so De Knijff.
Das Gesicht des "boomkistman" wurde inzwischen im Vlaardinger Museum rekonstruiert, ebenso wie das des "Krabbeplasmannes". Dabei handelt es sich um ein Skellett aus der Bronzezeit, das 1990 in Vlaardingen gefunden wurde. Im Juni 2007 wurde bekannt, dass auch dessen Zähne DNS enthalten. Damit ist die älteste menschliche DNS der Niederlande 3.300 Jahre alt.
Genforschung könnte eine vielversprechende Technik für Archäologen sein. So könnten bspw. neue Erkenntnisse über die Entwicklung von Erbkrankheiten, oder Resistenzen gegen bestimmte Krankheiten im Lauf der Jahrhunderte gewonnen werden. "Skeptiker wenden ein, dass die Anzahl der Generationen zu gering ist, um solche Entwicklungen zu erkennen, aber es gibt niemanden, der es weiss," so De Knijff.
Die Möglichkeit zu derartigen Forschungen bietet nun ein Projekt in Eindhoven, wo etwa 800 Skelette aus der Periode zwischen 1200 - 1800 gefunden wurden. Diese wurden äusserst kostspielig auf "DNS-freundliche" Weise ausgegraben und werden nun in den kommenden Jahren von Prof. Dr. De Knijffs Labor untersucht.
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