Ein wenig bekannter Maler und Graphiker aus dem nördlichen Hessen
Heinrich Otto war ein deutscher Maler, Zeichner, Lithograf, Holzschneider und Radierer. Er wurde 1858 in Wernswig bei Homberg an der Efze in Nordhessen, in der Schwalm, am Rande des Knüllgebirges geboren. Er starb am 13. Mai 1923 mit 65 Jahren in Düsseldorf (Wiki, engl). Zu jenem Zeitpunkt war er Professor der dortigen Kunstakademie. Neben Ludwig Emil Grimm und Hans Thoma wird er unter die bedeutendsten Zeichner der Romantik gerechnet (Wiki).
Während Ludwig Emil Grimm (1780-1863) (Wiki) und Hans Thoma (1839-1924) (Wiki) von Seiten der Wissenschaft und der kunstinteressierten Öffentlichkeit immer einmal wieder auch überregional Aufmerksamkeit geschenkt erhalten, gilt dies für Heinrich Otto bislang deutlich weniger (1-15).
Eine der umfangreichsten Sammlungen von Werken von Heinrich Otto befindet sich im Kunstmuseum Marburg. Auch auf seiner Internetseite (Samml) finden wir zunächst die beiden hessischen Maler und Freunde von Heinrich Otto Carl Bantzer (1857-1941) (Wiki) und Otto Ubbelohde (1867-1922) (Wiki) erwähnt. Aber dankenswerter Weise hat das Kunstmuseum seine Bestände zu Heinrich Otto digital zugänglich gemacht (spätestens seit 2019). Auf seiner Internetseite finden wir dazu einen Hinweis (Samml). Zugänglich nämlich auf der Seite "Bildindex.de". Dort finden sich nun unter dem Suchwort "otto, heinrich (1858)" über 200 vornehmlich graphische Arbeiten von Heinrich Otto. Hier kann man sich einen gewissen Überblick über sein Schaffen verschaffen, vornehmlich aus seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten (Bildindex). Zu etwa gleichen Teilen entstanden diese Arbeiten zum einen in der Eifel, wohin Otto von Düsseldorf aus immer wieder Touren unternommen hat, sowie im Rheinland nördlich von Düsseldorf und außerdem in der Malerkolonie Willingshausen.
Selbstzeugnisse von Heinrich Otto, die über seine Werke hinaus gehen - etwa in Form von Briefwechseln mit anderen Künstlern - scheinen fast gar nicht überliefert zu sein. Jedenfalls sind sie bislang niemals veröffentlicht worden. Über die Stellung des Werkes von Heinrich Otto in der Kunstgeschichte allgemein scheint sich diese - abgesehen davon, daß sie ihn gelegentlich in eine Reihe stellt mit Grimm und Thoma - bis heute wenig Rechenschaft abgelegt zu haben.
Abb. 2: "Sommer in der Schwalm" - Gemälde von Heinrich Otto |
In der Regel wird Heinrich Otto in Zusammenhang gesehen und behandelt mit den vielen anderen Malern der Willingshäuser Malerkolonie (Wiki). Willingshausen lag nur dreißig Kilometer von seinem Heimatdorf Wernswig entfernt. Wenn Heinrich Otto von Kassel oder Düsseldorf aus nach Willingshausen fuhr, konnte er das immer auch leicht mit dem Besuch seines Elternhauses verbinden. Von der Bahnstation Treysa aus konnte man zu Fuß sowohl Willingshausen erreichen wie auch mit einer Kleinbahn direkt Wernswig.
1871 - Eine Kleinbahn wird zum Tor in die große, weite Welt
Diese Kleinbahn ist 1871 für Personenverkehr gebaut worden und dafür auch bis 1982 genutzt worden. 1871 war Heinrich Otto dreizehn Jahre alt. Die Kleinbahn führte von Treysa über Wernswig nach Homberg
(Efze) und von dort weiter bis Eschwege (HNA2019).
Es drängt sich die Vermutung auf, daß dieser Bahnanschluß für den Vater von Heinrich Otto, einen Kleinbauern und Fruchthändler in Wernswig, neue unternehmerische Möglichkeiten eröffnete, und daß es auch seinem Sohn durch diesen Bahnanschluß erleichtert wurde, früh den Weg aus der bäuerlichen Welt am Rande des Knüllgebirges in die "große weite Welt" zu finden. Und zwar vor allem zunächst - über vermutlich Eschwege - nach Kassel.
Der elterliche Hof von Heinrich Otto lag in Wernswig auch schon verheißungsvoll an der Ecke zur "Bahnhofsallee", die zum damals aus dem Dorf heraus zum neuen Bahnhof führte. Und so war es zu allein Zeiten auch für die Maler in Willingshausen leicht, Otto - zum Beispiel während des Ersten Weltkrieges - in Wernswig zu besuchen.
Es braucht aber nicht so zu sein, als ob die bis heute bekannteren Maler im nördlichen Hessen, die Jahrzehnte lang Willingshausen als ihren Sommeraufenthalt wählten, in der Zeit vor 1925 zugleich auch noch aus heutiger Sicht als die kunstgeschichtlich bedeutendsten unter ihnen bewertet werden müssen müssen. Uns scheint da doch ein Ungleichgewicht zu herrschen zu ungunsten von Heinrich Otto.
Selbst noch wenn wir die für uns eindrucksvollsten Werke der Willingshäuser Malerkolonie zusammen stellen - etwa von dem fast gleichaltrigen Carl Bantzer (1857-1941), von den beiden zehn Jahre jüngeren Wilhelm Thielmann (1868-1924) (Wiki) und Otto Ubbelohde (1867-1922) oder von dem 25 Jahre jüngeren Hermann Kätelhön (1884-1940) (Wiki), möchten wir sagen, daß in dieser Reihe die Werke eines Heinrich Otto bestehen, insbesondere was Ausdrucksstärke betrifft und hierbei insbesondere diejenigen aus seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten.
Es gibt bei den Werken der anderen Genannten doch auch sehr viele, sehr dem Zeitgeschmack verhaftete Werke. So etwa bei Bantzer, während die wenigen über den damaligen Zeitgeschmack hinaus Bedeutung behaltenden Werke von Malern, die aus dem nördlichen Hessen stammen, bis heute eher vergleichsweise wenig Beachtung gefunden haben. Und zu diesen scheinen uns sehr viele der Werke von Heinrich Otto zu gehören.
Abb. 3: Selbstbildnis von Heinrich Otto, Holzschnitt, 1919 |
Der Verfasser des vorliegenden Blogbeitrages ist zwischen 1973 und 1981, zwischen seinem siebten und sechzehnten Lebensjahr in dem Dorf Wernswig bei Homberg an der Efze aufgewachsen. Bis zum Jahr 2007 hatte er aber nie etwas überhaupt von der Existenz dieses Künstlers, der aus seinem eigenen Dorf stammte, gewußt!
Bezüge des Verfassers zu Heinrich Otto
Bis 1976 ist der Verfasser täglich sogar am Geburtshaus von Heinrich Otto vorbei zur Grundschule in Wernswig getrabt, ohne die geringste Ahnung zu haben.
Indem sich der Verfasser dieser Zeilen mit dem Werk von Heinrich Otto befaßt, sieht er die Heimat seiner eigenen Jugend mit ganz neuen Augen. Gerade viele der schönsten und reifsten Werke von Heinrich Otto sind während seines mehrjährigen Lebens in Wernswig während des Ersten Weltkrieges und damit während des letzten Lebensjahrzehnts von Otto entstanden. Aber von diesen Werken her gesehen wird auch deutlich, wie viel an Erinnerung an Otto's eigene bäuerliche Jugend bis zum 14. Lebensjahr in Wernswig in seinen Werken aus der Zeit davor mitgeschwungen hat, in Arbeiten vor allem, die in der Eifel oder in Willingshausen entstanden sind.
Im Grunde hat durch seine Werke das Dorf Wernswig eine Bedeutung in der Kunstgeschichte erhalten, die weder dem Verfasser dieser Zeilen jemals bewußt war, noch auch dürfte sie den heutigen Wernswigern, Hombergern, Schwälmern und Hessen wirklich bewußt sein.
Heinrich Otto hatte aufgrund seiner Werdejahre in Kassel und als Mitglied verschiedener Künstler-Vereinigungen in Düsseldorf ("Malkasten") und der Willingshäuser Künstlerkolonie einen weiten Freundeskreis. Schon 1901 hat er den "Großen Staatspreis" von Dresden erhalten. Er hat ab etwa 1903 in Düsseldorf eine "Damenmalschule" betrieben (da damals Frauen noch nicht studieren durften). Und er ist noch Anfang der 1920er Jahre zum Professor der Kunstakademie von Düsseldorf ernannt worden. Leider starb er schon im Mai 1923 in Düsseldorf mit 65 Jahren an einer Lungenentzündung, nachdem er in den Jahren zuvor insbesondere auch in Wernswig eine große Zahl schöner Werke geschaffen hatte.
Abb. 4: Ochsengespann beim Pflügen, neben der Landstraße nach Homberg/Efze - von Heinrich Otto |
Heinrich Otto mag auch zu jenen Künstlern gerechnet werden, die auf sich selbst und ihre Kunst mit viel größerem Ernst schauten als sie in die Welt ihrer Mitmenschen hinein schauten. Diese Erkenntnis drängt sich auf, wenn man sein Selbstbildnis (Abb. 3) vergleicht mit einer Fotographie aus seinem letzten Lebensjahr (2. Teil, Abb. 15). Kunstwerke können oft viel mehr über einen Menschen sagen als das Fotografien zum Ausdruck bringen können, die von dem Künstler jener Kunstwerke überliefert sind. Der innere Kern eines Menschen mag sich oft viel deutlicher in der Kunst selbst zeigen.
Heinrich Otto ist in dem Dorf Wernswig bei Homberg als Sohn eines Kleinbauern und Fruchthändlers geboren. Er ist dort aufgewachsen, bevor er mit 14 Jahren eine künstlerische Ausbildung in Kassel beginnen konnte. Womöglich hat Heinrich Otto die kleinbäuerliche Enge seiner Kindheit innerlich mit hinüber genommen in sein künstlerisches Schaffen, das darum - womöglich - um so anrührender erscheint.
Während des Ersten Weltkrieges übernahm Heinrich Otto auf dem elterlichen Hof in Wernswig die bäuerliche Wirtschaftsführung für die Zeit, in der sein Neffe Kriegsdienst leistete. In dieser Zeit entstanden deshalb viele seiner schönsten Werke in und rund um das Dorf Wernswig und auch in der weiteren Umgebung der "Schwalm", in Homberg/Efze, in Treysa und anderwärts. In dieser Zeit kamen auch Künstler der Willingshäuser Malerkolonie auf seinen Hof in Wernswig zu Besuch (Wiki).
In seiner engeren Heimat scheint er so gut wie vergessen zu sein. Das Jahr 2008 brachte nicht nur den Umstand mit sich, daß Homberg/Efze "Hessentagsstadt" war, sondern in ihm wurde auch des 150. Geburtstages von Heinrich Otto gedacht.
Abb. 6: Landschaft von Heinrich Otto, 1921 |
Das Heimatmuseum der Stadt Homberg an der Efze "verfügt über eine umfangreiche Sammlung von Werken des Malers Heinrich Otto" (Wiki). Werke von Heinrich Otto finden sich außerdem wie schon gesagt im im Kulturgeschichtlichen Museum in Marburg, sowie:
- in der Neuen Galerie in Kassel,
- im Museum der Schwalm in Ziegenhain,
- im Malerstübchen in Willingshausen.
Außerdem in zahlreichen privaten Sammlungen in Kassel und Nordhessen. Einige Galerien haben im Jahr 2008 Werke zum Verkauf angeboten (Gal. Wollm.) (Gal. Mowe) (Eart.de). Auch im Jahr 2022, in dem wir diesen Blogartikel sehr umfangreich überarbeiten und erweitern, standen oder stehen Werke von Heinrich Otto zum Verkauf.
Von solchen Angeboten stammen viele im folgenden gebrachte Abbildungen seiner Werke als Beispiele aus seinem Schaffen.
Im Jahr 1985 hat der Verfasser dieser Zeilen in Homberg/Efze sein Abitur gemacht. Und während seiner Schulzeit hat sein Klassenlehrer, Herr Pregler, die Schüler einmal begeistert auf das berühmteste Gemälde von Carl Bantzer (1857-1941) (Wiki) im Unterricht hingewiesen. War es "Schwälmer Tanz" (1898) (Wiki) oder war es das Gemälde "Frühlingsspaziergang im Wald" (bzw. "Sonntag in der Schwalm", bzw. "Waldspaziergang") (G) oder waren es beide? Ob der Unbschwertheit der auf ihnen dargestellten jungen Paare in Schwälmer Tracht hätten sich die Menschen diese Gemälde jedenfalls früher gerne in ihre Wohnzimmer gehängt, so Herr Pregler.
Aber von dem Künstler Heinrich Otto hat der Verfasser dieser Zeilen während seiner Schulzeit nie etwas gehört, zumindest nicht so, daß es ihm im Gedächtnis geblieben wäre.
Deshalb also vor allem der vorliegende Beitrag.
Abb. 7: Landschaft mit zwei Bäumen und Gehöften von Heinrich Otto, auch "Dorflandschaft" benannt (Bln) |
Als Mitglied der ältesten Künstlerkolonie Europas, nämlich der Willingshäuser Künstlerkolonie war Heinrich Otto lebenslang eng befreundet mit eben jenem Carl Bantzer. Bantzer schreibt in seiner "Kunstchronik von Willingshausen" über Heinrich Otto (zit. n. Fuld. Ztg, 6.8.2005):
Heinrich Otto war mit den besten menschlichen Eigenschaften ausgestattet, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Güte, größte Gewissenhaftigkeit und Treue, Schlichtheit und Festigkeit, Fleiß und Beharrlichkeit in der Verfolgung seiner künstlerischen Ziele zeichneten ihn aus.
Weiter schrieb Carl Bantzer (zit. n. Kleins.):
Die größte Stärke verleiht den Arbeiten von Heinrich Otto das Gefühl innigsten Verbundenseins mit der Scholle, auf der er lebte. Ob er Landschaften, Landsleute oder Tiere schildert, alles ist durchweht von dem Geiste der Echtheit, des Ungesuchten und Selbstverständlichen, da fühlt man den Menschen heraus, der auf dem Lande aufwuchs und der auch, wenn es die Not der Zeit erfordert, den Acker selbst bestellen kann.
Denselben Eindruck haben auch wir.
Abb. 8: Erlen an einem Bach von Heinrich Otto, 1916 (Bln) |
Heinrich Otto hat in vielen seiner Werke aus seiner Erinnerung an seine Jugend in Wernswig heraus geschaffen oder aber hat sie sogar vor Ort in Wernsweg selbst geschaffen. Moderne Kunsthistoriker gehen noch weiter. Über eine Ausstellung von 44 seiner grafischen Werke im Jahr 2005 wird gesagt (Fuld. Ztg, 6.8.2005):
Einige Radierungen lehnen sich an den Jugendstil an, erinnern an die Landschaften der Worpsweder Künstlerkolonie um Heinrich Vogeler. Andere stehen bereits im Zeichen der Moderne, lassen einen ausgeprägten Hang zu ungewöhnlichen Kompositionen und Perspektiven erkennen; wie etwa das späte Blatt 'Landschaft' (1921), auf dem sowohl die Kronen der Bäume im Vordergrund als auch deren Seiten beschnitten sind, was dem Bild Spannung verleiht. In anderen Radierungen setzt Otto stark auf Reduktion, spekuliert auf die Assoziationsfähigkeiten des Betrachters, indem er Details zugunsten des Gesamteindrucks ausspart und es soweit als möglich bei Andeutungen beläßt.
Leider haben wir von dem hier erwähnten späten Blatt "Landschaft" aus dem Jahr 1921 nur eine Wiedergabe in geringer Auflösung. Aber auch sie schon vermittelt einen Eindruck (Abb. 6). In den ersten beiden Teilen der zunächst auf vier, inzwischen auf fünf Teile angelegten Blogartikel-Serie zu Heinrich Otto wollen wir bei seinen Werken bleiben, die er in und um Wernswig in seinem letzten Lebensjahrzehnt geschaffen hat. In den beiden weiteren Teilen soll dann auch auf das Schaffen in der Zeit um 1900 und bis 1914 geblickt werden, bzw. auch auf das Schaffen außerhalb der engeren hessischen Heimat, insbesondere in Düsseldorf.
Abb. 9: Vorfrühling bei Wernswig, Radierung aus dem Jahr 1920 von Heinrich Otto (wohl nicht auf Bildindex) |
Bei vielen Arbeiten dürfte aber eine örtliche Zuordnung schwierig sein, zumal sie auch nicht datiert sind. Auch Abbildung 7 könnte das Dorf Wernswig darstellen.
Man möchte meinen, daß die Kunst von Heinrich Otto, zumal in den späteren Jahren, eine sehr herbe ist.
Sie ist sehr von dem bäuerlichen Charakter und seiner Herkunft aus dem kleinbäuerlichen Milieu in Wernswig mitbestimmt.
Während sein Freund Carl Banzer und viele andere Mitglieder der Willingshäuser Malerkolonie so durch und durch lebendige und beschwingte, farbige Gemälde und Zeichnungen geschaffen haben, die allerdings auch eher einen damaligen Zeitgeschmack getroffen haben als daß jedes einzelne derselben noch heute so ohne weiteres und unumschränkt würde ansprechen können, sehen wir im Gesicht des Künstlers Otto selten ein behagliches Lächeln, eine Freude, etwa über die Überschwenglichkeit des Lebens oder der Natur.
Abb. 10: "Erwachen der Natur" (vielleicht Ostern 1916) von Heinrich Otto |
Wir sehen vielmehr viel Ernst und Herbheit.
Schon im Jahr 1911 war sein Bruder bei einem Unfall gestorben, der die bäuerliche Wirtschaft der Eltern in Wernswig weiter geführt hatte. Er war vom Scheunenboden herunter gefallen. Als 1914 der Sohn seines Bruders Kriegsdienst leistete, kam Heinrich Otto nach Wernswig, um den bäuerlichen Hof seines Neffen weiter zu führen.
Fast fühlt man sich mit den Werken von Heinrich Otto ein wenig zurück versetzt in diese bäuerliche Welt in Wernswig während des Ersten Weltkrieges, man sieht sich hinein versetzt in das Erleben des Wernswiger Bauern Heinrich Otto, in sein Leben mit der Natur, in seine Arbeit und das Erleben der Jahreszeiten.
Abb. 11: Frühling (vielleicht Ostern 1916) von Heinrich Otto |
Es wird der Frühling dargestellt, ganz zaghaft, ganz zurück genommen.
Henriette Schmidt-Bonn - eine Schülerin von Heinrich Otto
Eine von mehreren Schülerinnen von Heinrich Otto war die aus Bonn gebürtige Malerin Henriette Schmidt, genannt "Henriette Schmidt-Bonn" (1873-1946) (Wiki). Sie war 15 Jahre jünger als Heinrich Otto. Seit 1905 wurde sie von ihm unterrichtet und lernte durch ihn auch Willingshausen kennen. Dort hat sie Heinrich Otto in zwei undatierten Blättern, nämlich in der Zeichnung "Zeichnerin auf Wiese am Waldrand" (Bln), bzw. auf der entsprechend spiegelverkehrten Radierung "Waldwiese mit Zeichnerin" (Bln) dargestellt mit dem handschriftlichen Zusatz:
H. Otto.Jetti beim ZeichnenAn der Alsfelderstraße
Die Alsfelder Straße führt von Willingshausen aus nach Süden Richtung Alsfeld. 1942 zog Henriette Schmidt ganz nach Willingshausen, nachdem sie in Düsseldorf ausgebombt worden war. Als 1939/40 die ersten Bände der "Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck" erschienen, hat sie den Beitrag über ihren Lehrer Heinrich Otto verfaßt. Darin schreibt sie unter anderem:
Seine Gemälde aus der Eifel, vom Niederrhein und aus Hessen sind alle schlicht und herb, von einer großen Geschlossenheit in der Bildwirkung, straff gezeichnet, manchmal etwas hart in der Farbe, aber immer zeugen sie von dem tiefen Naturgefühl des Malers ...
Die Worte "hart in der Farbe" versteht man, wenn man einige der früheren Landschaftsgemälde in Öl von Heinrich Otto kennt, die eher vor der Jahrhundertwende und im Stil der damaligen Zeit gemalt worden sein werden, und die man nicht zu den bedeutendsten Werken Otto's wird zählen wollen. (So etwa eine Heidelandschaft, "Waldinneres" oder "Waldlandschaft".) Sie schreibt weiterhin über den Graphiker Otto (GB):
... Man sieht, mit welch beispiellosem Fleiß der Radierer Otto gearbeitet hat, denn meistens sind es große Blätter, die zu zeichnen und ätzen eine erstaunliche Mühe bedeuteten. Aber mit welcher Liebe und mit welcher Geduld ging er den Dingen nach. Eins seiner schönsten Blätter stellt einen hohen Fichtenwald dar, einfach und ungekünstelt gesehen und gezeichnet, und doch wirkt er wie ein Heiligtum; ein anderes Blatt zeigt einen Blick von einem baumbestandenen Hügel in die Weite des Schwalmtales, in das reiche und fruchtbare Hessenland. Es ist ganz meisterhaft gezeichnet in seiner weiten Ferne, der Ebene davor mit den geschwungenen Feldern ...
Es sei schon an dieser Stelle einmal eingeschoben, vor welchen Herausforderungen Menschen, die in Wernswig leben oder gelebt haben, stehen, wenn es ihnen darum geht, ihr Dorf und seine Umgebung in den Werken von Heinrich Otto wiederzufinden. Ein Beispiel für diese Herausforderung sei mit Abbildung 12 gegeben, die uns anfangs "quer" im Magen lag.
Abb. 12: "Landschaft mit Dörfchen" von Heinrich Otto |
Handschriftlich ist diese Druckgrafik von Heinrich Otto lediglich betitelt mit "Landschaft mit Dörfchen". Einem Wernswiger mutet sie zugleich bekannt wie fremd an. Der charakteristische Kirchturm verweist offensichtlich auf Wernswig. Aber erst indem wir das Foto des gedruckten Blattes in Abb. 12 gespiegelt haben, scheinen wir die ursprüngliche Originalansicht zu erhalten. Und dadurch kann dann der Blick auf Wernswig angemessen zugeordnet werden. Dann hätten wir in Abb. 12 nämlich den Blick von der Niederung des Niederbachs im Westen bis Südwesten des Dorfes auf die Dorfkirche, und zwar über die Scheunen der Höfe von "Am Wolfgarten 5 bis 7" hinweg (GMaps). Am rechten Bildrand läge dann heute der Friedhof (auf dem auch die Großeltern des Verfassers dieser Zeilen bestattet liegen).
Wo wir bei Heinrich Otto noch verstreute Baumgruppen auf Weideland sehen, befindet sich heute wohl zum größten Teil Ackerland. Aber nur wenige hundert Meter den Niederbach abwärts von diesem Standpunkt des Künstlers aus gesehen (also im Bild nach links) war das Tummelfeld des Verfassers dieser Zeilen bis etwa zu seinem 13. und 14. Lebensjahr. Trecker wurde gefahren, Maschinen an- und abgehängt, Kühe von der Weide in den Stall getrieben - und viele ähnliche Dinge mehr.
Aber nun weiter, was die Schülerin von Heinrich Otto Henriette Schmidt 1940 über ihren Lehrer schrieb. Sie schrieb ... (GB)
... von seiner Liebe zur Landschaft, Menschen und Tieren, die ihn zu diesen Bildern gedrängt hat.
In der Eifel malte er meist alte Häuserecken mit malerisch verwitterten Strohdächern oder weite Blicke auf die Berge der Eifel. Am meisten hat er in Lissingen bei Gerolstein gemalt, wo den Malern ein Atelier in einer Scheune zur Verfügung stand. Es gibt von ihm ein großes schönes Gemälde von Lissingen, eine Dorfecke mit reizvollen farbigen und vielfach gestalteten kleinen Häusern, schon im Abendschatten, während auf hochgetürmten Wolken noch Sonnenlicht ruht.Die hessischen Bilder sind noch einfacher im Motiv, aber sie geben noch mehr von dem her, was der Künstler in sich aufgenommen hatte. Weite Felder und Wiesenflächen mit einzelnen schön gestalteten Bäumen oder Baumgruppen mit hohen Lüften, hügeliges Land mit vorgeschobenen Wäldern, im Vordergrund vielleicht ein pflügender Bauer, Heu aufladende Leute; die Menschen auf seinen Bildern sind aber nie Staffage, sondern gehören zur Landschaft wie die Bäume ...
Und:
Paul Horn widmet ihm in seinem Buche: "Düsseldorfer Graphik in alter und neuer Zeit" einen längeren und warm empfundenen Abschnitt. Der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen hat eine große Anzahl Radierungen und Steindrucke von H. Otto als Prämienblätter herausgegeben, so daß Ottos Werke in vielen Häusern vertreten sind. Die von Wilhelm Schäfer herausgegebene Zeitschrift "Die Rheinlande" brachte in ihren ersten Jahrgängen bereits Blätter von Otto. Im Jahre 1904/05 gab Schäfer die Mappen "Steinzeichnungen deutscher Maler" in Düsseldorf heraus, von denen jedes Heft vier Blätter seines Landsmannes Otto enthielt, 1908 veröffentlichte er im achten Bande der "Rheinlande" eine ausführliche Darstellung von Ottos Schaffen. Carl Bantzer schrieb ...
Über sein Schaffen im letzten Lebensjahrzehnt schreibt sie (zit. n. GB-Ausschnitt, S. 300ff):
Im Kriege und in den darauf folgenden Jahren hat er sein ganzes Schaffen der Heimat gewidmet; da entstanden die reizvollen Vorfrühlingslandschaften, die bekannten Blätter mit den Schafherden. Es lag wohl mit an der harten Zeit, dem Mangel an guten Farben und Leinwand, daß nun weniger Gemälde entstanden, dafür aber die besten seiner Radierungen.
Im Weltkrieg, Ostern 1916, weilte Heinrich Otto zur Frühjahrsbestellung in Wernswig. Damals schuf er die Mappe mit seinen schönen Vorfrühlingslandschaften, welche die ganze und große Stimmung eines Ostertages mit dem ewigen Wechsel von Werden und Vergehen glücklich umschlossen hält. Diese Frühlingsblätter entstanden in den Pausen, die ihm die Landarbeit gewährte, die er für seinen verstorbenen Bruder und dessen in den Krieg gezogenen Sohn auf dem elterlichen Hof in Wernswig übernommen hatte. ...
Die Arbeiten von Henriette Schmidt-Bonn selbst (TreffpKunst) weisen manche Ähnlichkeiten mit denen ihres Lehrers auf, wobei sie aber seine Ausdrucksstärke wohl seltener erreichen.
Aber nicht nur die Natur und ihre Jahreszeiten werden dargestellt von Heinrich Otto. Es wird auch die bäuerliche Arbeit dargestellt über die Jahreszeiten hinweg. Dazu mehr im Teil 2.
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Diesem Beitrag folgen noch vier weitere Teile: Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5.
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Zur Dorfchronik von Wernswig:
- Becker, Abel: Geschichte des Kirchspiels Wernswig. Lometsch, Kassel 1936
- 900 Jahre Wernswig - Dorfchronik. Homberg/Efze 1997
(s.a. Literaturliste zu H.O.: Wiki)
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- Steinzeichnungen deutscher Maler. Hrsg. von Wilhelm Schäfer. Verlag von Fischer & Franke, Düsseldorf. Jede Mappe (4 Blatt in Folio), 1904/05
- Schäfer, Wilhelm: Heinrich Otto. Die Rheinlande - Monatsschrift für deutsche Art und Kunst, Jg. 15, 1908, Heft 4, S. 89-96, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rheinlande1908/0117/image,info
- Bantzer, Carl: Heinrich Otto. In. Rauch, Christian (Hrsg.): Hessenkunst - Jahrbuch für Kunst- und Denkmalpflege in Hessen und im Rhein-Main-Gebiet. 14. Jahrgang mit Bildschmuck von Heinrich Otto. (24 Werke), Verlag Elwert, Marburg 1920
- Hager, Ernst: Der Malerradierer Heinrich Otto (Monografie 27 S.). Düsseldorf 1923 (Inhverz)
- Horn, Paul: Düsseldorfer Graphik in alter und neuer Zeit. Verlag des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, 1928 (232 S.), erneut 1931
- Thieme, Ulrich (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 26, 1932, S. 92
- Bantzer, Carl: Hessens Land und Leute in der deutschen Malerei. Mit Kunstchronik von Willingshausen, Elwert-Verlag, Marburg 1935, 1939, 1950
- Schmidt-Bonn, Henriette: Heinrich Otto. In: Dr. Ingeoborg Schnack (Hg.): Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1830-1930. Bd. 2, N.G. Elwert; G. Braun (Kommissionsverlag), Marburg 1940 (GB, a, ), S. 302-310
- Baruch, Paula: XXIV. In: Schweizer Kunst. 1944, Heft 5, S. 38, https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=swk-001:1944:0::288#288
- Zimmermann, Rainer: Heinrich Otto - Maler und Radierer. In: Hessische Heimat, 9. Jg., 1959/60, Heft 1, S. 16-18
- Gerhard Wietek, Richard Bellm: Deutsche Künstlerkolonien und Künstlerorte. 1976
- Breiding, Oskar: Heinrich Otto. Einzelblatt zu einer Mappe mit Radierungen, 1983
- Kaiser, Erich: Der Maler Heinrich Otto. Einzelblatt zur Sonderausstellung im Homberger Heimatmuseum, 1983
- Stummann-Bowert, Ruth: Heinrich Otto - Biographie. Zur Ausstellung, Vereinigung Malerstübchen Willingshausen e.V. 1997
- Bantzer, Carl: Ein Leben in Briefen. Willingshausen 1998
- Küster, Bernd: Hans von Volkmann. Donat 1998 (GB)
- Ruth Stummann-Bowert (geb. 1932): Agnes Waldhausen - Muse von Willingshausen und engagierte Pädagogin (14.9.1887-25.3.1963). In : Schwälmer Jahrbuch 2001, S. 79-102
- Hümmer, Michael E.: Henriette Schmidt(-Bonn) 1873-1946, o.J. (nach 2009). https://www.treffpunkt-kunst.net/k%C3%BCnstlerprofile-bonner-k%C3%BCnstler/henriette-schmidt-bonn/
- Demme, Roland: Die Willingshäuser Maler als Gruppe. Interpretation von Erwartungshaltungen prägnanter Rollenträger gegenüber Interaktionen in Gruppenprozessen. Kassel University Press, Kassel 2008 (GB), Ks-pdf)
- Digitalisierung von über 200 graphischen Arbeiten von Heinrich Otto auf Bildindex.de, vornehmlich 2019
- Schröder, Joachim: Deutsche Kunstausstellung in Cassel 1913. Aufbruch zur Kunstmetropole. Kassler Universitätsverlag, Kassel 2020, https://d-nb.info/1228818665/34
- Otto, Heinrich (1858). Eintrag in Allgemeines Künstlerlexikon (AKL) (begründet 1907) (Wiki) / Internationale Künstlerdatenbank, 2021, https://www.degruyter.com/database/AKL/entry/_00098722/html
- „Otto, Heinrich“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/120320207> (Stand: 26.9.2022)
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