Donnerstag, 18. Oktober 2007

Findet man bald "Dorfzugehörigkeit" im menschlichen Genom?

Das heutige Nature-Heft ist betitelt: "Very personal Genomics" (Nature) und bringt neue spannende Diskussions- und Forschungsbeiträge zu gegenwärtigen Entwicklungen in der Humangenetik. Sie sollen ausführlicher zitiert sein, wird doch in ihnen erneut etwas von dem Paradigmenwechsel spürbar, der sich gegenwärtig in der Humangenetik vollzieht. Er ist schon mit den ersten Sätzen angesprochen, in denen einmal aufs Neue ausgeführt wird, daß die berühmte Clinton-Ansprache aus dem Jahr 2000 zur vollständigen Entzifferung "des" menschlichen Genoms völlig falsche Schlußfolgerungen gezogen hatte. Clinton hatte - zusammen mit Craig Venter und Collins - darauf abgehoben, daß man so etwas wie Rasse oder Volkszugehörigkeit (Ethnizität) im menschlichen Genom nicht finden würde. Nun glaubt man bald sogar, "Dorfzugehörigkeiten" finden zu können! ;-) Und anderes mehr ... (Hervorhebungen im folgenden durch mich, I.B.)
In his 2000 State of the Union Address, President Bill Clinton chose to emphasize something he had recently heard from a genome researcher: that humans are all, irrespective of race, 99.9% the same genetically. “Modern science,” he told his country's legislators, “has confirmed what ancient faiths have always taught: the most important fact of life is our common humanity.” Seven years on, and four years after the final publication of the sequences from the Human Genome Project, new technologies and larger data sets are allowing genome biologists to answer a conundrum embodied in that unity-inspiring percentage: if our DNA is so similar, why do we seem different in so many ways? (...)

Scientists are now obtaining DNA from seven more populations with African, Asian and European ancestry (...). They are also discussing a massive new bout of sequencing in an international project involving Chinese, British and US funders that would use new technologies to sequence the genomes of 1,000 individuals. Along with the two individual genome sequences already released, these data will fuel a field that is set to explode over the next year: the hunt for genetic signatures that discriminate between smaller and smaller groups.

“The HapMap data can clearly tell you whether you are African or Chinese, but the question becomes, how far can you take that?” asks population geneticist Carlos Bustamante from Cornell University in Ithaca, New York. “Can you predict whether somebody comes from one village or another? We are going to see all kinds of stuff we would never have imagined was possible.”

But does this just amount to expensive, and possibly divisive, genealogy? Pardis Sabeti at the Broad Institute in Cambridge, Massachusetts, thinks not. Today, she publishes an extensive study that uses the HapMap to identify specific genes linked to human diversity (see page 913). Over the past three years, Sabeti and other scientists have performed a series of studies finding evidence for 'positive selection' in chunks of DNA that differ between populations — indicating that genes are evolving differently in people from different parts of the world.

Sabeti now reports that she has pinpointed specific genes that seem to be responsible for some of the positive selection affecting these chunks. For instance, she found that variants of two genes linked to infection with the Lassa virus are favoured in West Africans.

Sabeti hopes that such studies will help guide scientists towards biological pathways involved in such regionally specific diseases. But her work also raises the sensitive issue of the biological meaning and relevance of race. Variants peculiar to Asian populations in another pair of genes — linked to hair, teeth and sweat glands — have no obvious links to disease. And there is the possibility that such population-specific variations might lead in uncomfortable directions.

In 2005, for instance, geneticist Bruce Lahn from the University of Chicago in Illinois suggested that two genes linked to brain size had evolved rapidly in groups that migrated out of Africa tens of thousands of years ago. His results prompted criticism among fellow scientists, who felt that he didn't have the proper evidence to back such an incendiary claim. Sabeti notes with relief that Lahn's genes haven't turned up in any genome-wide scan so far — another sign that his conclusions were unfounded. Lahn says that true tests of his work are beyond the scope of these approaches, and that he is using other methods, including resequencing parts of the genome, to bolster his conclusions.

“This is a very delicate time, and a dangerous time, as people start to come up with things that the general public, or the media, or various groups might misinterpret,” Sabeti says. “I like the fact that, so far, the evidence we find for natural selection in humans is only skin deep.”
So das Ende dieses Artikels, das im merkwürdigen Widerspruch steht zu allem zuvor Geäußerten. Danach wird auf ein neues Interview mit dem italienischen Humangenetiker Luigi Lucca Cavalli-Sforza im gleichen Heft verwiesen, in der genau der gleiche Gedanke geäußert wird, nämlich, daß die lokale natürliche Selektion bei Menschen niemals allzu tief "unter die Haut" gegangen sei und gehe. (Nature) Cavalli-Sforza wird gefragt:
How did you feel about being accused of racism?
Und er antwortet:
Well, many mistakes are made and that was a very curious one. I’d argued for decades that the concept of ‘race’ defined by external characteristics — such as skin colour, size variations or facial fat — is nonsense. These visible characteristics evolved under natural selection, mostly to cope with local environments, and have no deeper base.
Meine Anmerkungen. Erstens: Nur weil ein Erb-Merkmal - angeblich! - nicht allzu weit "unter die Haut" geht, kann dies für einen Biologen doch kein Anlaß sein, es nicht so zu bewerten wie jedes andere Erb-Merkmal und wie bei jeder anderen Tier- und Pflanzenart, die ja meistens (traditionell) ebenfalls nach Merkmalen unterschieden werden, die nur wenig "unter die Haut", unter die "äußere" Oberfläche gehen.

Aber andererseits: Dies ist doch gerade die Neuerkenntnis der Humangenetik, daß eben nicht nur sichtbare, sondern auch äußerlich "unsichtbare" Erbmerkmale "weit" "unterhalb der Haut" liegend und angesiedelt in "lokalen Umwelten" weltweit verschieden evoluiert sind - daß also mithin der gesamte Organismus und (natürlich!) mit ihm auch seine Psychologie in verschiedenen Erdteilen verschieden evoluiert sind. Es wäre doch nun absurd, letzteres von vornherein kategorisch auszuschließen. Krankheits-Verteidigungs-Strategien, Erwachsenen-Rohmilchverdauung, Herzkrankheiten - tiefer kann es doch nun gar nicht mehr "unter die Haut" gehen!? Oder wird die Milch "unter der Haut" verdaut? Verteidigt sich der Körper nur "unter der Haut" gegen Krankheiten? Was reden die Forscher da eigentlich? Und natürlich evoluieren auch Hormone, Verhaltenshormone. Und letztere wirken - natürlich - auch im Gehirn. Man denke an ADHS. Und als wäre die Schnelligkeit der Informationsverarbeitung im Gehirn (also der IQ) davon ausgenommen! Wie trivial.

Will man ausgerechnet jetzt einen neuen Dualismus zwischen Körper und Seele etablieren, damit es angeborene Unterschiede in der Psyche von menschlichen Gruppen nicht gibt?

Als würde die natürliche Selektion auf politische Korrektheit Rücksicht nehmen und nur bestimmte "äußere" Erb-Merkmale auswählen, wenn sie Evolution betreibt. Und als wäre es selbst dann "sinnlos", biologisch von "Rasse" zu sprechen. Als hätte Cavalli-Sforza nicht von "Lewontin's Fallacy" gehört, die sein früherer Mitarbeiter A.W.F. Edwards schon 2003 an den Pranger gestellt hatte, und zu der Edwards aus der Wissenschafts-Gemeinde bislang nur Zustimmung und keine Kritik gehört hat. (Siehe sein Interview im letzten Jahr bei "Gene Expression". Siehe auch das Kapitel "A Grasshoppers Tale" in "The Ancestor's Tale" von Richard Dawkins.)
__________________

Nun nur noch eine kleine Nachbemerkung:

Razib Khan scheint, wenn ich ihn recht verstehe, der Aussage von Cavalli-Sforza sogar etwas abgewinnen zu können.
(Gen. Exp.) Er sagt am Ende von langen Ausführungen, die für sich wertvoll sind, und die ich im nächsten Beitrag behandeln werde (Gen. Expr.):
(...) The model here that I am proposing is that the differences of ancestry may belie the common ground on major functional loci across several population clusters. And similarly, adaptive evolution may result in divergences in appearance between groups with relatively recent common ancestry, as seems the case in relation to Ainus and other East Asians. All in all, it is a complex & baroque picture. (...)
Die letzte Phrase vom "komplexen und barocken Bild", das sich einem derzeit bietet, sagt doch aber auch, daß es so einfach wie von Cavalli-Sforza behauptet, nun wirklich nicht sein kann.

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