Agnes Waldhausen, eine der Frauen im Umfeld von Heinrich Otto
Einleitend eine Erzählung.
Abb. 1: Agnes Waldhausen (1878-1963), gezeichnet von Hermann Katelhön um 1920 (Ks) |
Die hier gebrachte Erzählung stammt von Agnes Waldhausen (1878-1963). Der zwanzig Jahre ältere Maler und Grafiker Heinrich Otto (1858-1923) hat gelegentlich mit ihr Malexkursionen unternommen. Er hat ihr auch dabei entstandene Blätter gewidmet.
Agnes Waldhausen hat 1959 einen großen Teil des graphischen Werkes von Heinrich Otto, das sich in ihrem Besitz befand, dem Kunstmuseum Marburg vermacht. Über sie ist 2001 eine biographische Darstellung erschienen (17), die uns noch nicht zugänglich ist.
Die hier gebrachte Erzählung wurde ein Jahr nach dem Tod von Heinrich Otto veröffentlicht. Zu jenem Zeitpunkt ist Agnes Waldhausen 46 Jahre alt. Da es naheliegend ist, von beiden, von Agnes Waldhausen wie von Heinrich Otto anzunehmen, daß es sich um eher introvertierte Menschen gehandelt hat, und da beide ihr Leben lang unverheiratet geblieben sind, mag man in dieser Erzählung vieles von dem finden, was in der Seele einer unverheirateten, künstlerisch begabten Frau jener Jahre umgehen konnte, wenn sie an einsame Männer dachte. Ob das nun konkreter auf Heinrich Otto zu beziehen wäre, ist dabei gleichgültig.
Diese Erzählung veröffentlichte sie aber ausgerechnet 1924 im "Eichendorff-Kalender" (S. 76-86) (GB), ein Jahr nach dem überraschenden Tod von Heinrich Otto. Wir haben sie hier gebracht, soweit sie uns derzeit zugänglich ist (GB).
Was weiß man sonst über Agnes Waldhausen? Sie war Lehrerin, Schriftstellerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin.
Agnes Waldhausen
Sie gehörte, so erfahren wir (14, S. 17) ....
... zu den malenden Frauen in Willingshausen. Sie übereignete 1959 dem Marburger Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte 161 Radierungen, 9 Lithographien und 11 Handzeichnungen
von Heinrich Otto (14, S. 17):
Das ist zweifelsfrei der größte geschlossene Bestand an radierten Blättern, evtl. sogar das vollständige Werk. Die Sammlung Waldhausen ist inventarisiert, aber nicht ausgewertet.
Diese Sammlung liegt ja inzwischen auf Bildindex.de digitalisiert vor. Und wir können mit großer Sicherheit sagen, daß es sich hier nicht um "das vollständige Werk" handelt. Aber gewiß um eine bedeutende Sammlung.
Wie Agnes Waldhausen an so viele Werke von Heinrich Otto gekommen ist, ist uns derzeit nicht bekannt. Es wäre denkbar, daß auch die schon erwähnte Henriette Schmidt-Bonn mit dem Nachlaß von Heinrich Otto befaßt gewesen ist. Sie ist aber schon 1946 in Willingshausen verstorben. Hatte Agnes Waldhausen von ihr den Privatnachlaß von Heinrich Otto übernommen?
Bzw. stellt sich die Frage: Was war überhaupt mit dem Nachlaß von Heinrich Otto nach dessen Tod im Jahr 1923 geschehen?
In welchem persönlichen Verhältnis hatte Agnes Waldhausen zu Heinrich Otto gestanden? Agnes Waldhausen ist um 1920 herum von Hermann Kätelhön portraitiert worden (Ks). Auf dem Porträt (Abb. 1) ist sie als sehr ernste Frau dargestellt. Man möchte fast sagen als verbitterte Frau.
Volksschullehrerin in Marburg (1901)
Agnes Waldhausen wird als "Muse von Willingshausen" charakterisiert (17). Offensichtlich ist sie katholisch aufgewachsen und geprägt. 1901 steht im "Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Cassel" (GB):
Bestätigt: (...) die Wahl der Lehrerin Agnes Waldhausen zur einstweilig angestellten Lehrerin an der katholischen Volksschule zu Marburg.
Damals war sie 23 Jahre alt. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin hat sie nicht nur in Literaturwissenschaft promoviert (Kall), sondern hat auch Malunterricht genommen.
In Willingshausen (1902)
Schon auf das Jahr 1902 datiert ein "Ex libris" für Agnes Waldhausen von dem hessischen Zeichner Wilhelm Thielmann (1868-1924) (Wiki). Es entstand in der Zeit, als sich Thielmann entschied, ganz nach Willingshausen zu ziehen, was er 1903 tat. Er war zehn Jahre älter als Agnes Waldhausen.
Thielmann erlernte dann bei Heinrich Otto die Radiertechnik. Agnes Waldhausen gehörte zu dieser Zeit also schon zur Malerkolonie Willingshausen.
Vermutlich hat Agnes Waldhausen mit dem zwanzig Jahre älteren Heinrich Otto Malexkursionen unternommen, wir nannten in früheren Teilen dieser Beitragsserie eine Exkursion nach Nierst am Rhein, einem linksrheinischen Dorf 13 Kilometer nördlich von Düsseldorf, sowie gegebenenfalls auch eine gemeinsame Exkursion in die Eifel.
Am 28. Mai 1907 hat ihr Wilhelm Thielmann an Agnes Waldhausen eine Grußkarte gesendet mit einem Gedicht über Kirmes-Vorbereitungen (Piesk), in die sie selbst offenbar zuvor auch schon involviert gewesen war. Was ist noch über sie in Erfahrung zu bringen?
Literaturwissenschaftlerin in Bonn (1908)
Ein Jahr später, am 29. Februar 1908, hat sie ein Referat vor der Literarischen Gesellschaft Bonn gehalten, in dem sie sich mit dem Schriftsteller Ernst Hardt (1876-1947) und seinem Stück "Tantris der Narr" auseinander gesetzt hat. Nachdem sie dem Schriftsteller Hardt einen Abdruck ihres Referates geschickt hatte, antwortete dieser im Januar 1909 (ZVAB) ...
... mit Dank für ihren Aufsatz über Hardts Stück "Tantris der Narr", der in den "Mitteilungen der Literarhistorischen Gesellschaft Bonn" (Jg. 4, Nr. 3, S. 48-80) erschienen war.
Er schrieb über eine Parodie aus ihrer Hand, die sie in ihrer Zuschrift erwähnt haben wird:
(Die Schauspielerin) Hansi Niese als Isolde ist ein grotesk-genialer Gedanke. Hoffentlich lerne ich Ihre Parodie einmal kennen.
Im März 1909 schrieb er ihr noch ein zweites mal. All das wird im Jahrbuch der Schillergesellschaft des Jahres 2018 von Stefan Seeber noch einmal erneut aufgegriffen (GB). 1909 veröffentlichte sie ihren Aufsatz "G. Kellers 'Grüner Heinrich' in seinen Beziehungen zu Goethes 'Dichtung und Wahrheit'". In der Literaturwissenschaft wird dieser Aufsatz bis heute oft zitiert.
Am 12. Februar 1910 hielt sie in der Literarischen Gesellschaft Bonn ein Referat über Hermann Hesse. In diesem ging es um "Peter Camenzind", in dem sich Hesse mit der besonderen Lebenssituation des Dichters auseinandersetzte. 1911 veröffentlichte sie die Schrift "Die Technik der Rahmenerzählung bei Gottried Keller" (GB). Auf diese 100-seitige Schrift beziehen sich Literaturwissenschaftler ebenfalls bis heute. Im Jahr 1973 ist sie sogar als Nachdruck erschienen (im Rahmen der Reihe "Bonner Forschungen") (GB).
1913 schließlich veröffentlichte sie den Aufsatz "Gustave Flauberts historische Dichtungen".
"Legenden" (1922, 1924)
Um 1920 herum wurde sie von dem ihr zehn Jahre jüngeren Willingshäuser Künstler Hermann Katelhöhn (1888-1940) (Wiki) portraitiert als sehr ernst blickende Frau (Abb. 1).
1922 veröffentlichte sie "Drei Legenden von der Starkmutigen heiligen Jungfrau Wilgefortis" (GB). Wilgefortis (Wiki) - abgeleitete von "virgo fortis" = "starke Jungfrau" - war eine spätmittelalterliche Volksheilige. Die in Volkssprache verfaßten spätmittelalterlichen Abschriften dieser Sagen (Wiki) ...
... erzählen von der zum Christentum bekehrten Tochter eines heidnischen Königs, die sich gegen eine vom Vater erzwungene Heirat wehrte. Ihre inständigen Gebete, verunstaltet zu werden, um dieser Heirat mit einem Heiden zu entgehen, wurden erhört: Ihr wuchs ein Bart. Der erboste Vater ließ die Jungfrau daraufhin „nach Art ihres gekreuzigten Gottes“ durch Kreuzigung hinrichten. Die frühesten Darstellungen aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts zeigen sie als junge Frau, bärtig und gekrönt, mit deutlich weiblichen Gesichtszügen und Körperformen, in langem Rock und mit Stricken ans Kreuz gebunden.
Zwischen 1924 und 1929 hat Agnes Waldhausen drei Briefe an die Ehefrau des Philosophen Leopold Ziegler (1881-1958) (Wiki) geschrieben (Kall).
Leiterin einer Mädchenschule in Xanten (1927)
Ab 1927 leitete sie die Mädchenschule in Xanten und beschäftigte sich 1927 mit der Staatsbürgerlichen Erziehung der Mädchen, ähnlich auch mit pädagogischen Problemen 1931 in Zeitschriftenbeiträgen. 1932 veröffentlichte sie einen Beitrag in der Zeitschrift "Die Muttersprache" (GB).
So viel zu dem, was wir bislang über Agnes Waldhausen heraus bekommen können.
Abb. 2: Felder in der Eifel, Ölgemälde von Heinrich Otto |
Die letzte etwas gründlichere fachwissenschaftliche Beschäftigung von Seiten der Kunstgeschichte mit dem Maler und Grafiker Heinrich Otto (1-23) stammt aus dem Jahr 1997.
94 Arbeiten von Heinrich Otto ausgestellt in Willingshausen (1997)
Sie ist also schon 25 Jahre alt (14).
Damals erschien anläßlich einer Ausstellung im Willingshäuser Malerstübchen in den "Willingshäuser Heften" ein etwas ausführlicherer Beitrag über Heinrich Otto. Bei dieser Ausstellung sind 94 Exponate ausgestellt worden (14), also eine ganz ansehnliche Zusammenstellung.
Der Begleitband brachte auch einige Abbildungen. In dem damaligen Aufsatz hieß es (14, S. 9f):
Fast alles bis in die achziger Jahre hinein über Heinrich Ottos Persönlichkeit, seinen Werdegang und sein Werk Geschriebene geht zurück auf Carl Bantzers Würdigung in der Zeitschrift "Hessenkunst" von 1920.
Dabei werden allerdings die Beiträge von Wilhelm Schäfer in "Das Rheinland" von 1908 ebenso übergangen wie der Beitrag von Henriette Schmidt-Bonn aus dem Jahr 1940, erschienen in "Lebensbilder aus Kurhessen". Wir zitierten schon aus all diesen Beiträgen in früheren Teilen dieser Blogartikel-Serie. Wir lesen (14, S. 9f):
Erst der 125. Geburtstag brachte (...) mehrere Verkaufsausstellungen. (...) Für die Darstellung des Werks ergab sich ein schädlicher Nebeneffekt. Gemälde, Radierungen, Holzschnitte, Zeichnungen und Lithographien wechselten den Besitzer, ohne daß der Verbleib festgehalten worden wäre.
Es wird berichtet, daß die Gemälde von Heinrich Otto bislang noch "niemals in einem Werkverzeichnis erfaßt" worden sind.
Abb. 3: Selbstbildnis von Heinrich Otto |
Diese Ausführungen werden bei Gelegenheit weiter ergänzt.
______________
Die anderen Teile dieser Beitrag-Serie: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, [ Teil 5 ].
______________
- Steinzeichnungen deutscher Maler. Hrsg. von Wilhelm Schäfer. Verlag von Fischer & Franke, Düsseldorf. Jede Mappe (4 Blatt in Folio), 1904/05
- Schäfer, Wilhelm: Heinrich Otto. Die Rheinlande - Monatsschrift für deutsche Art und Kunst, Jg. 15, 1908, Heft 4, S. 89-96, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rheinlande1908/0117/image,info
- Bantzer, Carl: Heinrich Otto. In. Rauch, Christian (Hrsg.): Hessenkunst - Jahrbuch für Kunst- und Denkmalpflege in Hessen und im Rhein-Main-Gebiet. 14. Jahrgang mit Bildschmuck von Heinrich Otto. (24 Werke), Verlag Elwert, Marburg 1920
- Hager, Ernst: Der Malerradierer Heinrich Otto (Monografie 27 S.). Düsseldorf 1923 (Inhverz)
- Horn, Paul: Düsseldorfer Graphik in alter und neuer Zeit. Verlag des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, 1928 (232 S.), erneut 1931
- Thieme, Ulrich (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 26, 1932, S. 92
- Bantzer, Carl: Hessens Land und Leute in der deutschen Malerei. Mit Kunstchronik von Willingshausen, Elwert-Verlag, Marburg 1935, 1939, 1950
- Schmidt-Bonn, Henriette: Heinrich Otto. In: Dr. Ingeoborg Schnack (Hg.): Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1830-1930. Bd. 2, N.G. Elwert; G. Braun (Kommissionsverlag), Marburg 1940 (GB, a, ), S. 302-310
- Baruch, Paula: XXIV. In: Schweizer Kunst. 1944, Heft 5, S. 38, https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=swk-001:1944:0::288#288
- Zimmermann, Rainer: Heinrich Otto - Maler und Radierer. In: Hessische Heimat, 9. Jg., 1959/60, Heft 1, S. 16-18
- Gerhard Wietek, Richard Bellm: Deutsche Künstlerkolonien und Künstlerorte. 1976
- Breiding, Oskar: Heinrich Otto. Einzelblatt zu einer Mappe mit Radierungen, 1983
- Kaiser, Erich: Der Maler Heinrich Otto. Einzelblatt zur Sonderausstellung im Homberger Heimatmuseum, 1983
- Stummann-Bowert, Ruth: Heinrich Otto - Biographie. Zur Ausstellung, Vereinigung Malerstübchen Willingshausen e.V. 1997
- Bantzer, Carl: Ein Leben in Briefen. Willingshausen 1998
- Küster, Bernd: Hans von Volkmann. Donat 1998 (GB)
- Ruth Stummann-Bowert (geb. 1932): Agnes Waldhausen - Muse von Willingshausen und engagierte Pädagogin (14.9.1887 (? - 1878!) -25.3.1963). In : Schwälmer Jahrbuch 2001, S. 79-102
- Hümmer, Michael E.: Henriette Schmidt(-Bonn) 1873-1946, o.J. (nach 2009). https://www.treffpunkt-kunst.net/k%C3%BCnstlerprofile-bonner-k%C3%BCnstler/henriette-schmidt-bonn/
- Demme, Roland: Die Willingshäuser Maler als Gruppe. Interpretation von Erwartungshaltungen prägnanter Rollenträger gegenüber Interaktionen in Gruppenprozessen. Kassel University Press, Kassel 2008 (GB), Ks-pdf)
- Digitalisierung von über 200 graphischen Arbeiten von Heinrich Otto auf Bildindex.de, vornehmlich 2019
- Schröder, Joachim: Deutsche Kunstausstellung in Cassel 1913. Aufbruch zur Kunstmetropole. Kassler Universitätsverlag, Kassel 2020, https://d-nb.info/1228818665/34
- Otto, Heinrich (1858). Eintrag in Allgemeines Künstlerlexikon (AKL) (begründet 1907) (Wiki) / Internationale Künstlerdatenbank, 2021, https://www.degruyter.com/database/AKL/entry/_00098722/html
- „Otto, Heinrich“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/120320207> (Stand: 26.9.2022)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen