Donnerstag, 5. April 2007

Macht die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit konservativ?

"Die Angst vor der letzten Stunde begleitet den Menschen seit jeher und sie ist heute so ausgeprägt wie früher. Das belegen zahlreiche wissenschaftliche Experimente von Psychologen."

Es ist schon erstaunlich, was in der Wissenschaft heute alles erforscht wird. Von solchen Forschungen hatte ich zuvor noch nie gehört. (Berliner Zeitung)

"Die Forschung stützt sich auf eine Idee, die der Anthropologe Ernest Becker 1973 in seinem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Buch "Dynamik des Todes" vorstellte: Um der unbewussten Angst vor dem unausweichlichen Tod zu entrinnen, erschaffen Menschen Kulturen und Religionen. Dadurch geben sie dem ins Nichts führenden Leben doch noch einen Sinn. Psychologische Experimente zeigen: Wenn Menschen an den Tod erinnert werden, klammern sie sich besonders fest an diese Wertsysteme. Beispielsweise lehnen sie Außenseiter dann verstärkt ab.

Auch Juristen sind nicht vor diesem Mechanismus gefeit, wie eine US-amerikanische Studie zeigte. Abram Rosenblatt von der University of Arizona präsentierte Richtern den fiktiven Fall einer Frau, die angeblich illegal der Prostitution nachging, und bat die Juristen, eine Kaution festzulegen. Die Hälfte der Richter erinnerte der Psychologe zuvor subtil an den wartenden Tod: Die Teilnehmer sollten, versteckt zwischen vielen anderen Aufgaben, Fragen zum Thema Tod beantworten - etwa welche Gefühle der Gedanke an den Tod in ihnen weckte. Diejenigen Richter, die sich nicht mit dem Thema Tod beschäftigt hatten, entschieden sich für eine Kaution in Höhe von 50 Dollar. Die Gruppe, die zuvor an ihre Sterblichkeit erinnert worden waren, verlangte hingegen durchschnittlich 455 Dollar.

Weitere Versuche dieser Art bestätigten, dass Juroren, nachdem sie an den Tod erinnert wurden, die eigene Moral hochhalten. Strafen für medizinische Kunstfehler und Überfälle beispielsweise fielen dann höher aus. Doch es gibt Ausnahmen: Ein Täter, der einen Teilnehmer an einer Schwulendemonstration attackiert hat, würde milder bestraft werden. Die Todesgedanken führten offenbar dazu, dass den Urteilenden konservative Werte besonders wichtig wurden und die liberale Einstellung gegenüber Homosexuellen schwand. Probanden, die nicht ans Sterben erinnert wurden, wählten dagegen besonders harte Strafen für Verbrechen an Homosexuellen.

Todesgedanken beeinflussen sogar Wahlen und womöglich verdankt der derzeit mächtigste Mann der Welt ihnen sein Amt. Kurz vor der letzten US-amerikanischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2004 fragte ein Team um Florette Cohen von der Rutgers University in New Jersey Studenten, für wen sie stimmen würden. Der traditionell liberale akademische Nachwuchs entschied sich überwiegend für den Demokraten John Kerry. Doch als die Studenten zunächst die Gefühle aufschreiben sollten, die der Gedanke an den eigenen Tod in ihnen weckte, halbierte sich die Zustimmung für Kerry. Dagegen vervierfachte sich die für George Bush, der sich als Kämpfer gegen den Terrorismus präsentierte. ..."

Im weiteren präsentiert der Artikel dann auch noch einige Studien, bei denen die Ergebnisse und ihre Interpretationen nicht so einfach waren wie in den bis hier vorgestellten. Aber in jedem Fall: Die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit beeinflußt Haltungen und innere Einstellungen gegenüber vielen Fragen des Lebens zum Teil offenbar sehr entschieden. Da gibt es wohl noch vieles herauszubekommen.

Ich sagte schon in einem früheren Beitrag, daß bei polynesischen Stämmen Tänze zur Erinnerung an die Toten gerade auf der Höhepunkt der fröhlichsten Ausgelassenheit getanzt werden. Das dient offenbar dazu, eine "innere Balance" in der gesellschaftlichen Moral herzustellen.

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