Bis zum Jahr 2006 hatte unter Anthropologen, Genetikern und Verhaltensforschern allgemein die Ansicht vorgeherrscht, die (genetische) Humanevolution wäre schon vor vielen zehntausend Jahren im wesentlichen zum Stehen gekommen. Zwar betonten Forscher wie Konrad Lorenz auch die "Selbstdomestikation" des Menschen, die ja genetische Veränderungen bis heute voraussetzt. Aber sehr genaue Vorstellungen hatte man davon nicht. Zum Beispiel, welche angeborenen Eigenschaften davon besonders betroffen wären usw. usf.. Stattdessen betonte man eher, daß der moderne Mensch mit der genetischen und emotionalen Ausstattung eines "Eiszeit-Menschen" in das moderne Industrie-Zeitalter eingetreten wäre, und daß evolutiv nicht genügend Zeit bestehen würde, diese mangelnde Anpassung auf genetischer Ebene zu beheben.
Mit dem Jahr 2006 entdeckten Humangenetiker wie Bruce Lahn in den USA und zahlreiche andere eine Fülle von Hinweisen im inzwischen vollständig sequenzierten menschlichen Genom, daß die Evolution tatsächlich in den wenigen letzten Jahrzehntausenden und Jahrtausenden bis heute sehr intensiv weitergegangen ist. Also all das, was Konrad Lorenz mit Bezug auf den Menschen sehr diffus unter den Begriff "Selbstdomestikation" gefaßt hatte, ist sehr plötzlich sehr konkret faßbar geworden, weil die Genetiker nun bald fast jedes einzelne Gen erkennen können, daß noch in den letzten tausend Jahren selektiven Veränderungen unterlegen hat. Und über die Erforschung der Erblichkeit psychischer Merkmale an eineiigen und zweieigen Zwillingen, sowie Geschwistern, können immer mehr dieser Gene nicht nur bestimmten körperlichen, sondern eben auch bestimmten individuellen psychischen Merkmalen zugeordnet werden. Über diese Dinge berichtete auch NYT-Journalist Nicholas Wade in seinem Buch und in zahlreichen Artikeln. Auch das wissenschaftliche Netztagebuch "Gene Expression" berichtet regelmäßig über alle Neuigkeiten auf diesem Gebiet.
Nun aber, im Jahr 2007, ein Jahr später, scheint es in den Erkenntnissen der Humangenetiker und Anthropologen wiederum einen neuen bedeutenden Fortschritt zu geben. (World-Science.net) Einer der vielen bemerkenswert innovativen Humangenetiker derzeit ist Gregory Cochran von der Universität Utah (siehe Foto oben), der schon im Jahr 2005 zusammen mit Henry Harpending eine Studie zur Intelligenz-Evolution des jüdischen Volkes vorgelegt hatte, die höchstwahrscheinlich nur allein in den letzten tausend Jahren stattgefunden hat. Wenn man sich auf einem solchen Spezialgebiet erst einmal einige Sicherheit erworben hat, kann man auch zu allgemeineren Beurteilungen von menschlicher Evolution gelangen. Der Kern der neuen These von Gregory Cochran ist nun, daß die Humanevolution nicht nur bis heute weitergegangen ist, sondern daß sie sich sogar gerade erst in den letzten zehntausend Jahren ganz gewaltig beschleunigt hätte. Aus dem bisherigen Bericht ist noch nicht ganz sicher, ob Cochran meint, ob an dieser neuen Beschleunigung die Menschen aller Menschenvölker gleichmäßig teilgenommen hätten, oder ob stattdessen - wieder - das jüdische Volk die "Speerspitze" bildet gefolgt von den Völkern der Nordhalbkugel, nämlich den Ostasiaten und den Europäern. In diesen Völkern jedenfalls ist bisher die Intelligenz-Evolution am weitesten fortgeschritten. Auch sind diese Völker am frühesten zum Ackerbau, zu Stadtgesellschaften und zu schärfer gefaßten, durchstrukturierten religiösen Glaubenssystemen ("Buchreligionen") übergegangen, was jeweils - so die neue These von Gregory Cochran - zur Beschleunigung von Humanevolution beigetragen habe.
Cochran behauptet nun, Hinweise darauf gefunden zu haben, daß es in den letzten 40.000 Jahren (wahrscheinlich vornehmlich in den Völkern des eurasischen Kontinents) gegenüber früheren evolutiven Zeiträumen eine Verhundertfachung der Neuproduktion von Genen gegeben habe, die der Selektion unterliegen. Das würde heißen: "Mensch" seit 40.000 Jahren wäre etwas wesentlich anderes als "Mensch" vor der Zeit vor 40.000 Jahren. Ja, Cochran geht sogar so weit zu sagen, wir Menschen befänden uns noch mitten in der evolutiven Phase der Menschwerdung selbst.
Kritiker (Mark Thomas) sagen, daß die bisherigen Forschungs-Methoden solche breiter gefaßten quantitativen Vergleiche zwischen heutiger Neuproduktion von Genen und früherer Neuproduktion von Genen (noch) nicht erlauben würden. Auch die "Volkswagenstiftung" fördert ja, wie berichtet (Studium generale) die Erforschung solcher Fragen. Dazu wird natürlich auch der Vergleich zu jüngsten Selektionsereignissen in anderen Organismengruppen - wie dort ebenfalls erforscht - sehr dienlich sein.
Gregory Cochran hat sich in seiner neuen Studie mit dem Anthropologen John Hawks zusammen getan, um in der Physischen Anthropologie selbst Hinweise für diese Verhundertfachung der Neuproduktion von Genen zu finden. So nennt er eine neue Studie, die eine (durchschnittliche) Erhöhung der Stirnhirne in den letzten tausend Jahren in Großbritannien festgestellt zu haben glaubt.
Auch sagt Cochran, daß die Jagd des Menschen mit Speeren zur Grazilisierung seines Körperbaus - im Vergleich zu dem des Neandertalers -beigetragen habe. Die Neandertaler hätten noch ohne körperliche Distanz zum gejagten Tier gejagt und deshalb viel robustere Körper haben müssen. (Und deshalb auch die vielen Knochenbrüche, die bei Neandertalern feststellbar sind.) Somit hätte schon allein die Kultur der (Fern-)Waffen einen Selektionsfaktor bei der Evolution des modernen Menschen dargestellt. John Hawks gab auf seinem Netztagebuch bekannt, daß die neue Studie von seiner Seite aus erst diskutiert werden könne, wenn sie veröffentlicht sei. Man muß also mit näheren Analysen warten, bis das geschehen ist.
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Hier noch Literatur-Hinweise:
BBC über Stirnhirn-Evolution (25.1.06)
Dienekes über Stirnhirn-Evolution (26.1.06)
Original-Artikel über Stirnhirn-Evolution (frei zugänglich)
Konferenz-Kurzfassungen (Dienekes) mit dem aktuellen Cochran/Hawks-Beitrag (und davor ein ergänzender Beitrag von Cochran-Kollege Henry Harpending)
Auch sagt Cochran, daß die Jagd des Menschen mit Speeren zur Grazilisierung seines Körperbaus - im Vergleich zu dem des Neandertalers -beigetragen habe. Die Neandertaler hätten noch ohne körperliche Distanz zum gejagten Tier gejagt und deshalb viel robustere Körper haben müssen. (Und deshalb auch die vielen Knochenbrüche, die bei Neandertalern feststellbar sind.) Somit hätte schon allein die Kultur der (Fern-)Waffen einen Selektionsfaktor bei der Evolution des modernen Menschen dargestellt. John Hawks gab auf seinem Netztagebuch bekannt, daß die neue Studie von seiner Seite aus erst diskutiert werden könne, wenn sie veröffentlicht sei. Man muß also mit näheren Analysen warten, bis das geschehen ist.
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Hier noch Literatur-Hinweise:
BBC über Stirnhirn-Evolution (25.1.06)
Dienekes über Stirnhirn-Evolution (26.1.06)
Original-Artikel über Stirnhirn-Evolution (frei zugänglich)
Konferenz-Kurzfassungen (Dienekes) mit dem aktuellen Cochran/Hawks-Beitrag (und davor ein ergänzender Beitrag von Cochran-Kollege Henry Harpending)
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