"Heute wächst zusammen, was zusammen gehört," gilt längst nicht mehr nur für politische oder gesellschaftliche Fragen. Dieser Satz gilt immer mehr auch für Fachrichtungen in den naturwissenschaftlichen Humanwissenschaften. Leser Reinhard, der diesem Blog schon manchen guten Tipp gegeben hat, hat die Aufmerksamkeit gelenkt auf das soeben neu erschienene Buch "Einführung in die genetische Epidemiologie" von Prof. Heike Bickeböller (Göttingen) und Dr. Christine Fischer (Heidelberg). (Amazon) Ohne einen solchen Anstoß würde man wohl ein Buch mit einem solchen Titel - ehrlich gesagt! - so schnell nicht in die Hand nehmen.
Die Genetische Epidemiologie ist ein Kind der jüngst neu geschlossenen Ehe zwischen traditioneller Humangenetik und traditioneller Krankheits-Verbreitungs-Lehre (wissenschaftlich: Epidemiologie). Dieses neue, unscheinbare Fach ist ein Teil des Paradigmenwechsels, der sich gegenwärtig in den naturwissenschaftlichen Humanwissenschaften vollzieht, und der sich in dem immensen Anwachsen der Datenmengen in Datenbanken wie "OMIM" (Online Mendelian Inheritance of Man) manifestiert, und über den auch "Studium generale" versucht, so regelmäßig wie möglich Auskunft zu geben. Es gibt dazu noch so wenig deutschsprachige Literatur, daß eine solche "Einführung" sehr zu begrüßen ist.
Man erfährt in Exkursen und Einschüben viel über die Geschichte dieses neuen Faches. Dies mag ein Zugang sein, der für den Außenstehenden zunächst der naheliegendste sein könnte. Für diese Geschichte spielen Forscher und ihre Arbeiten eine Rolle, die hier nur mit Namen und Jahreszahlen kurz angedeutet seien: Maupertius 1752, Thomas Bayes 1763 (Wahrscheinlichkeits-Rechnung), Gregor Mendel 1865, Francis Galton 1865, Garrod 1902. Die Lebensleistung solcher und anderer, auch dem naturwissenschaftlich Gebildeten oft nur schleierhaft bekannter Forscher, auch weiblicher, auch deutscher Forscher wird jeweils knapp in dem Lehrbuch in Exkursen erläutert.
So war einem als sporadischem Leser amerikanischer Forschungliteratur bislang nur der Name des Humangenetikers Neil Risch bekannt, der wesentliche Arbeiten zu der in der genetischen Forschung heute so wichtigen Koppelungs-(Ungleichgewicht-)Analyse geleistet hatte. Mit dieser Analyse erkennt man Abschnitte im menschlichen Genom, die aufgrund jüngster Selektionsereignisse, aufgrund von populationsgenetischen Gründerereignissen, Aussterbe-Ereignissen, Inzucht und aus anderen Gründen weniger durch "Crossing Over" in der Meiose der Geschlechtszellen-Reifung zerbrochen worden sind, als es statistisch zu erwarten sein müßte - wenn eben keiner der eben genannten Vorgänge etwas an diesem Genom-Abschnitt bewirkt hätte. Ein wesentlicher Teil dieses Lehrbuches dient der Erläuterung aller damit zusammen hängenden Fragen.
Und man erfährt, daß es der deutsche Humangenetiker Jürgen Ott (geb. 1939) war, der den ersten Lehrbuch-"Klassiker" zur Koppelungsanalyse geschrieben hat (1992), die er schon seit 1972 erforscht. Als wichtige Namen werden außerdem genannt: Peter Emil Bicker (1908 - 2000) (S. 40) und Marie-Claire King (Erforscherin des Gens, das Brustkrebs hervorruft) (S. 146). Außerdem wird in einem Exkurs erläutert, wie genetische (Familien-)Beratung heute gehandhabt wird. (S. 293f) Diese ist ja eine der unmittelbarsten und direktesten Anwendungen dieser Forschungsrichtung.
Das Lehrbuch macht in einem weiteren Hauptabschnitt schließlich auf die Bedeutung der Populationsgenetik in der heutigen medizinischen Forschung aufmerksam und erläutert diese anhand gut erforschter erblich bedingter Krankheiten. Letztere sind heute alle in der OMIM-Datenbank verzeichnet. Es wird jeweils genannt, wie viele Genorte heute schon als mitverursachend für eine Krankheit wie Mukoviszidose oder Alzheimer erkannt sind und wie in verschiedenen Populationen oft ganz andere Genorte für das Auftreten der gleichen Krankheit verantwortlich sind, die auch in den Häufigkeiten oft ganz unterschiedlich auf Populationen verteilt sind. (Sind diese Krankheiten phänotypisch also tatsächlich identisch - oder hat man nur noch nicht genau genug verglichen, da die eigentlichen, jeweils unterschiedlichen genetischen Ursachen erst seit wenigen Jahren bekannt sind?)
In wenigen Sätzen wird z.B. der heutige Stand der Alzheimer-Forschung zusammen gefaßt (S. 46) und man erfährt, daß das wichtigste Gen, das Alzheimer hervorruft, erstmals in der ethnischen Gruppe der Wolga-Deutschen entdeckt wurde. Es wird darauf verwiesen, welche Methoden bislang schon gute Erfolge gebracht haben bei der Suche nach krankheitsverursachenden Genen (S. 45): a) Phänotyp sorgfältig beschreiben und von anderen Phänotypen abgrenzen, b) Subgruppen, in denen der jeweilige Phänotyp auftritt, jeweils sorgfältig abgegrenzen, also: ethnische Gruppen, Familien, Menschen, in denen der Krankheitsbeginn im gleichen Alter einsetzt (bei Alzheimer ist zum Beispiel früher Beginn genetisch anders verschaltet als später Beginn) oder bei denen der Schweregrad der Erkrankung ähnlich ist.
Da die Genetik des Menschen auf allen Ebenen seiner phänotypischen Eigenschaften nach allem, was wir wissen, sehr ähnlich funktioniert, kann man aus der medizinischen Forschung, die auf vielen Gebieten am weitesten fortgeschritten ist, sicherlich auch viel über die menschliche Genetik psychischer Eigenschaften lernen - sowohl auf individueller wie auf Gruppenebene. Das kann dann weitreichende Implikationen und Auswirkungen haben. Es wird auf diesem Blog immer wieder versucht, auf diese hinzuweisen und sie zu thematisieren. Deshalb auch das Interesse an einem - von weitem - so "abseitig" anmutenden Spezialgebiet wie der "Genetischen Epidemiologie", der Lehre von der Verbreitung und Verursachung genetisch bedingter Krankheiten.
Die Genetische Epidemiologie ist ein Kind der jüngst neu geschlossenen Ehe zwischen traditioneller Humangenetik und traditioneller Krankheits-Verbreitungs-Lehre (wissenschaftlich: Epidemiologie). Dieses neue, unscheinbare Fach ist ein Teil des Paradigmenwechsels, der sich gegenwärtig in den naturwissenschaftlichen Humanwissenschaften vollzieht, und der sich in dem immensen Anwachsen der Datenmengen in Datenbanken wie "OMIM" (Online Mendelian Inheritance of Man) manifestiert, und über den auch "Studium generale" versucht, so regelmäßig wie möglich Auskunft zu geben. Es gibt dazu noch so wenig deutschsprachige Literatur, daß eine solche "Einführung" sehr zu begrüßen ist.
Man erfährt in Exkursen und Einschüben viel über die Geschichte dieses neuen Faches. Dies mag ein Zugang sein, der für den Außenstehenden zunächst der naheliegendste sein könnte. Für diese Geschichte spielen Forscher und ihre Arbeiten eine Rolle, die hier nur mit Namen und Jahreszahlen kurz angedeutet seien: Maupertius 1752, Thomas Bayes 1763 (Wahrscheinlichkeits-Rechnung), Gregor Mendel 1865, Francis Galton 1865, Garrod 1902. Die Lebensleistung solcher und anderer, auch dem naturwissenschaftlich Gebildeten oft nur schleierhaft bekannter Forscher, auch weiblicher, auch deutscher Forscher wird jeweils knapp in dem Lehrbuch in Exkursen erläutert.
So war einem als sporadischem Leser amerikanischer Forschungliteratur bislang nur der Name des Humangenetikers Neil Risch bekannt, der wesentliche Arbeiten zu der in der genetischen Forschung heute so wichtigen Koppelungs-(Ungleichgewicht-)Analyse geleistet hatte. Mit dieser Analyse erkennt man Abschnitte im menschlichen Genom, die aufgrund jüngster Selektionsereignisse, aufgrund von populationsgenetischen Gründerereignissen, Aussterbe-Ereignissen, Inzucht und aus anderen Gründen weniger durch "Crossing Over" in der Meiose der Geschlechtszellen-Reifung zerbrochen worden sind, als es statistisch zu erwarten sein müßte - wenn eben keiner der eben genannten Vorgänge etwas an diesem Genom-Abschnitt bewirkt hätte. Ein wesentlicher Teil dieses Lehrbuches dient der Erläuterung aller damit zusammen hängenden Fragen.
Und man erfährt, daß es der deutsche Humangenetiker Jürgen Ott (geb. 1939) war, der den ersten Lehrbuch-"Klassiker" zur Koppelungsanalyse geschrieben hat (1992), die er schon seit 1972 erforscht. Als wichtige Namen werden außerdem genannt: Peter Emil Bicker (1908 - 2000) (S. 40) und Marie-Claire King (Erforscherin des Gens, das Brustkrebs hervorruft) (S. 146). Außerdem wird in einem Exkurs erläutert, wie genetische (Familien-)Beratung heute gehandhabt wird. (S. 293f) Diese ist ja eine der unmittelbarsten und direktesten Anwendungen dieser Forschungsrichtung.
Das Lehrbuch macht in einem weiteren Hauptabschnitt schließlich auf die Bedeutung der Populationsgenetik in der heutigen medizinischen Forschung aufmerksam und erläutert diese anhand gut erforschter erblich bedingter Krankheiten. Letztere sind heute alle in der OMIM-Datenbank verzeichnet. Es wird jeweils genannt, wie viele Genorte heute schon als mitverursachend für eine Krankheit wie Mukoviszidose oder Alzheimer erkannt sind und wie in verschiedenen Populationen oft ganz andere Genorte für das Auftreten der gleichen Krankheit verantwortlich sind, die auch in den Häufigkeiten oft ganz unterschiedlich auf Populationen verteilt sind. (Sind diese Krankheiten phänotypisch also tatsächlich identisch - oder hat man nur noch nicht genau genug verglichen, da die eigentlichen, jeweils unterschiedlichen genetischen Ursachen erst seit wenigen Jahren bekannt sind?)
In wenigen Sätzen wird z.B. der heutige Stand der Alzheimer-Forschung zusammen gefaßt (S. 46) und man erfährt, daß das wichtigste Gen, das Alzheimer hervorruft, erstmals in der ethnischen Gruppe der Wolga-Deutschen entdeckt wurde. Es wird darauf verwiesen, welche Methoden bislang schon gute Erfolge gebracht haben bei der Suche nach krankheitsverursachenden Genen (S. 45): a) Phänotyp sorgfältig beschreiben und von anderen Phänotypen abgrenzen, b) Subgruppen, in denen der jeweilige Phänotyp auftritt, jeweils sorgfältig abgegrenzen, also: ethnische Gruppen, Familien, Menschen, in denen der Krankheitsbeginn im gleichen Alter einsetzt (bei Alzheimer ist zum Beispiel früher Beginn genetisch anders verschaltet als später Beginn) oder bei denen der Schweregrad der Erkrankung ähnlich ist.
Da die Genetik des Menschen auf allen Ebenen seiner phänotypischen Eigenschaften nach allem, was wir wissen, sehr ähnlich funktioniert, kann man aus der medizinischen Forschung, die auf vielen Gebieten am weitesten fortgeschritten ist, sicherlich auch viel über die menschliche Genetik psychischer Eigenschaften lernen - sowohl auf individueller wie auf Gruppenebene. Das kann dann weitreichende Implikationen und Auswirkungen haben. Es wird auf diesem Blog immer wieder versucht, auf diese hinzuweisen und sie zu thematisieren. Deshalb auch das Interesse an einem - von weitem - so "abseitig" anmutenden Spezialgebiet wie der "Genetischen Epidemiologie", der Lehre von der Verbreitung und Verursachung genetisch bedingter Krankheiten.
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