Montag, 23. April 2007

Kinderbetreuung im Kulturvergleich - Die Forschungen Heidi Kellers

Das schon früher erwähnte neueste "Geo"-Heft hat das Titelthema "Was ist eine gute Mutter?". Die dazu von uns zitierte Zusammenfassung war etwas arg "schnellschüssig", wenn sie sagte, es wäre von einer Erkenntnis die Rede,
die Frauen in westlichen Ländern helfen kann, sich von der traditionellen Mutterrolle zu lösen. Und dennoch für das Glück des Kindes zu sorgen. (Stud. gen.)
So einfach kann man es sich mit den Inhalten dieses Aufsatzes nicht machen. Das Titelthema wird in zwei Beiträgen abgehandelt, beide von der Journalistin Johanna Rombach, auf deren Beitrag zum Thema "Singen" im letzten Geo-Heft schon hingewiesen wurde. (Stud. gen.) (- Dieser Blog sympathisiert zweifellos mit vielen, guten Beiträgen von "Geo".) Johanna Rombach ist Mutter zweier Söhne im Grundschul-Alter. Sie weiß also so im Großen und Ganzen schon, wovon sie spricht.

Den ersten der beiden Beiträge muß man nun nicht besonders gut finden. Da wird eher "kalter Kaffee" wieder aufgewärmt. Da wird das Buch von Sarah Blaffer Hrdy "Mutter Natur" abgehandelt, ein sehr dickes Buch, dessen Inhalte man gar nicht so einfach - und kurzschlüssig - in aktuelle politische (oder familäre) Debatten einfließen lassen kann. Trotz oder gerade weil (?) es von einer soziobiologischen Feministin geschrieben ist. Und diese Schwierigkeit merkt man durchaus auch dem Beitrag von Johanna Rombach an, der viel zu derzeitigen politischen Debatten sagen will - aber wenig konkreten Inhalt zu Tage fördert, der zu ihnen paßt.

Abb.: Heidi Keller
Schon also wollte man das Heft wieder enttäuscht beiseite legen und auf dem Blog ein zorniges Verdammungsurteil zum Besten geben, als man den zweiten Beitrag gleich dahinter entdeckte. Er behandelt sehr aktuelle Forschungen der Osnabrücker Kinderpsychologin Heidi Keller (Bild links), deren Arbeiten man schon von früher her sehr schätzen gelernt hatte, von deren neuesten einem aber lange nichts mehr zu Ohren gekommen sein muß. Diese neuesten Forschungen scheinen sich nun - wie man dem Geo-Artikel entnehmen kann - in den Ergebnissen sehr direkt an die früheren kulturvergleichenden Neugeborenen-Studien des kalifornischen Soziobiologen Daniel G. Freedman anschließen zu lassen, sowie auch an die in diesem Blog schon erwähnten kulturvergleichenden Analysen J. P. Rushtons. Das muß man aber erst noch genauer überprüfen, soll hier zunächst einmal nur als eine "Arbeitshypothese" formuliert werden.

Die neueste Bucherscheinung von Heidi Keller nämlich (die auch zahlreiche deutschsprachige Elternratgeber und akademische Lehrbücher verfaßt hat [Amazon]), eine Buchneuerscheinung, die im Geo-Artikel erwähnt wird, ist im März in Englisch erschienen und heißt "Cultures of Infancy". (Amazon) Ohne dieses Buch gelesen zu haben, versteht man wahrscheinlich den Geo-Artikel nicht in der ganzen Schwergewichtigkeit seiner Inhalte. Das aktuelle Projekt, aus dem dieses Buch hervorgegangen zu sein scheint, heißt auf Wissenschafts-Deutsch "Parentale Ethnotheorien im Kulturvergleich". (Hier eine Beschreibung dieses Projektes in einer ähnlichen Fach-"Fremd"-Sprache wie der Titel selbst.)

Es werden Kulturunterschiede aufgezeigt im Aufwachsen und Betreuen von Kindern in Afrika, in Asien und in Europa. Und es werden sogar Unterschiede im Aufwachsen und Betreuen von Kindern über den zeitlichen Verlauf der letzten Jahrzehnte innerhalb Europas festgestellt. All das muß man sich noch genauer anschauen. Es kommt einem jedenfalls spannend vor.

Interessant auch, was die "Zeit" im Jahr 2004 über den Lebensweg von Heidi Keller berichtete, die im Jahr 1945 geboren wurde (Zeit 2004):

Es war die feministische Bewegung der frühen siebziger Jahre, die Heidi Keller zur Kleinkindforschung gebracht hat. Um herauszufinden, ob geschlechterspezifisches Verhalten nun angeboren oder anerzogen ist, wollte sie ganz am Anfang beginnen, kurz nach der Geburt. Mehr oder weniger durch Zufall geriet sie in einen Forschungsschwerpunkt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der fast ausschließlich aus Naturwissenschaftlern bestand. Durch eine "gnadenlose Schule" sei sie damals gegangen, die ihr manch "feministisch bewegten" Glaubenssatz austrieb, erinnert sie sich.
Und weiter:

Zehn Jahre dauerte das Forschungsprojekt zur "frühen Sozialisation". Keller war die einzige Psychologin, die bis zum Ende durchhielt, infiziert freilich von der Soziobiologie, deren Leitgedanken die 58-Jährige noch heute fasziniert: dass alles menschliche Streben letztlich der optimalen Weitergabe der eigenen Gene dient. Bis heute fühlt sie sich der evolutionären Psychologie verpflichtet. Nicht als Tabula rasa sei der Mensch geboren, sondern mit einer festen psychischen Grundausstattung, die alle Menschen teilen.
Die Frage, welche Verhaltensmuster im Eltern-Kind-Verhalten dies sind und wie Kultur und Lebensumstände diese immer wieder modellieren, ist der rote Faden ihrer Veröffentlichungen. Immer neue Beispiele und Geschichten fallen ihr ein, wie festgefügte Vorstellungen in der Konfrontation mit einer anderen Kultur plötzlich fragwürdig erscheinen und scheinbar Unvereinbares in anderen Breiten sehr wohl zusammengeht. Da kommt die nüchtern wirkende Forscherin ins Erzählen. ...
Und an anderer Stelle erfährt man (Pampers):
Prof. Keller forschte in Costa Rica, Kamerun, Indien und den USA, wo sie Eltern beim Umgang mit Neugeborenen gefilmt und sie nach Erziehungszielen befragt hat. Mit solchen Studien kann sie erklären, warum Afrikanerinnen Babys schütteln – und deutsche Mütter ihren Nachwuchs mit Lernspielzeug überhäufen.
Aber nun kurz angedeutet einigen Forschungs-Ergebnisse:

.... "(Europäische) Eltern schauen ihren Säuglingen heute viel häufiger direkt ins Gesicht als früher und reden mehr mit ihnen", sagt Heidi Keller, "dafür hat der Körperkontakt mit den Jahren deutlich abgenommen." Zur Illustration legt die Forscherin ein weiteres Video ein, einen Schwarzweißstreifen aus den siebziger Jahren. Auch da trägt der Vater das Kind auf dem Schoß, doch die Blickwechsel sind seltener, richten sich mehr zur Welt als zueinander. ... (Zeit 2004)
Da man selbst (geboren 1966) als Kleinkind noch in der "Schwarzweiß-Film"-Zeit betreut worden ist, drängt sich einem die Frage auf, ob es auch an solchen Veränderungen liegt, wenn später geborene Kinder ein anderes Generationengefühl zum Ausdruck bringen.

Mit dem Jahr 1968 hat sich ja gesellschaftsweit etwas sehr deutlich verändert, nämlich das Verhältnis zur Geschlechtlichkeit. Und dadurch könnte sich ja - über psychische Umwege - auch das Eltern-Kind-Verhältnis verändert haben. Und noch kurz zu geographischen Kulturunterschieden. Dazu heißt es in der "Zeit" von 2004 zum Beispiel:
Anders als die deutsche Mutter möchte die Nso-Frau in Kamerun, dass ihr Kind schnell motorisch selbstständig wird, damit es bei der Erziehung des nächsten Kindes nicht stört und bald als Teil der Gemeinschaft kleine Aufgaben erfüllen kann. (Zeit 2004)
Dazu möchte man bemerken: Was hier als "Wollen" definiert wird, könnte aus der Sicht der Forschungen der amerikanischen Psychologen Daniel G. Freedman und J. P. Rushton auch einfach als das Abspulen eines anderen, genetisch vorgegebenen körperlichen und seelischen Reife-Entwicklungs-Programms interpretiert werden, das von der Umwelt gar nicht besonders stark beeinflußt werden kann, höchstens dadurch, daß die Umwelt genau jene Reifung unterstützt und dann davon redet, sie "wolle" sie unterstützend, die sich sowieso mehr oder weniger von selbst abspult.

Wenn man sieht, daß jemand gut laufen kann, hilft man ihm und macht Laufen zum Lern-Programm. (Afrika) Wenn man sieht, daß jemand nicht besonders viel Lust zum Aufstehen und Bewegen hat in einer bestimmten Altersstufe, macht man andere Erziehungsziele zum Programm. (Europa) Solchen Zusammenhängen sollte noch detaillierter nachgegangen werden.

[leicht überarbeitet, gekürzt, einige Verweise aktualisiert; 29.6.09]

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