In einem sehr kurzen Überblicksartikel über die bisherigen Erkenntnisse der Archäogenetik von Seiten eines polnischen Archäogenetikers wird die folgende Grafik gebracht (1).
Abb. 1: Der Anteil der Steppengenetik, der anatolischen Bauerngenetik und der Jäger-Sammler-Genetik in heutigen europäischen Völkern (aus 1, nach 2) |
Diese Grafik ist immer noch eine sehr wertvolle Zusammenfassung grundlegender Erkenntnisse zur Archäogenetik der heutigen europäischen Völker. Sie stellt das vorläufige Ergebnis der wechselhaften Volkwerdung der europäischen Völker insbesondere während des Neolithikums dar. Im Groben haben sich die Herkunftsanteile innerhalb der europäischen Völker nämlich seit der Bronzezeit nicht mehr verschoben.
Das heißt nicht, daß auch kleinteiligere Herkunftsverschiebungen während der Eisenzeit und bis heute wesentliche Erkenntnisse zur Geschichte, Kulturgeschichte und Bevölkerungsgeschichte vermitteln. Zum Beispiel erhöhte die Einwanderung der Slawen nach Griechenland nach 600 n. Ztr. den dortigen Steppengenetik-Herkunftsanteil, die Einwanderung der Germanen nach Süddeutschland nach 500 v. Ztr. erhöhte auch dort den Steppengenetik-Anteil und die verschiedenen keltischen und zum Schluß germanischen Einwanderungen in England (ab 600 n. Ztr.) brachten ebenfalls Verschiebungen in den Herkunftsanteilen mit sich. Aber auf diese "kleinteiligeren" Erkenntnisse kommt es in der oben eingestellten Grafik zunächst nicht an.
Wir sehen, daß noch heute auf Sardinien die Menschen den höchsten Anteil von anatolischer Bauerngenetik ("neolithic Farmers") (Wiki) in sich tragen. Dennoch tragen sogar sie noch mehr Steppengenetik in sich als beispielsweise die antiken Griechen in sich getragen haben, die nur acht Prozent Steppengenetik aufgewiesen haben, also auch noch deutlich weniger Steppengenetik als die heutigen Griechen. (Ein Umstand, der immer wieder erneut zum Erstaunen Anlaß gibt. Schließlich waren die antiken Griechen "die" Inkarnation der Indogermanen schlechthin.)
Für Deutschland sind noch keine Herkunftsanteile eingetragen. Diese unterscheiden sich aber kaum von denen im heutigen Polen oder im heutigen Tschechien. Damit fallen beispielsweise die ganzen Rassetheorien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sich zusammen, mit Hilfe derer Völker gegeneinander aufgehetzt wurden, und nach denen es angeblich einen beträchtlichen genetischen Unterschied zwischen "Germanen" einerseits und "Slawen" andererseits gegeben hätte. Nichts davon ist in den Genomen zu sehen. Die Nationalsozialisten und nicht selten auch die Panslawisten sind Hirngespinsten hinterher gelaufen. Millionen von Menschen wurden durch diese kraß abgewertet und entmenschlicht.
Von der Eiszeit bis 6.500 v. Ztr. trugen alle Menschen in Europa nur Jäger-Sammler-Herkunft (Wiki) in sich (oranger Herkunftsanteil). Durch die Ausbreitung anatolisch-neolithischer Bauern rund um das ganze Mittelmeer und bis hoch hinauf nach Skandinavien (im Früh- und Mittelneolithikum) kam die noch heute im Mittelmeer-Raum überwiegende anatolisch-neolithische Bauerngenetik (Wiki) nach Europa.
Mittelneolithische Großreiche
Nach Vermischung mit den einheimischen Jägern und Sammlern entstanden im Mittelneolithikum Großreiche mit einer Beamtenelite in ganz Europa bis hinauf nach Irland (Stg20). Diese Beamtenelite wurde nicht selten in "Großsteingräbern" (Megalithen) bestattet. Sie stellte in vielen Regionen den angesehenen Verstorbenen (Königen) Statuenmenhire auf (Stg19). Sie unternahm ab 3.500 v. Ztr. Zeremonialumzüge auf Rinderwagen entlang von Heiligtümern, sowie von Gräberstraßen von verstorbenen Königen (Stg10). Mit solchen Rinderwagen ließ sich der Adel sehr oft auch gemeinsam bestatten. Das entsprach der Hochwertung der damals neuartigen Erfindung des Rades. Es kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß es in diesen mittelneolithischen Großreichen Sklaverei und Menschenopfer gegeben hat. Einige Hinweise darauf haben sich schon gefunden (Stg20).
In den mittelneolithischen Großreichen wurden sehr häufig Volkssternwarten ("Kreisgrabenanlagen") (Wiki) zum Feiern des Weihnachtsfestes und der Sonnenwende errichtet. In diesen Anlagen und in deren Umfeld versammelten sich über Tage und Wochen tausende von Menschen zur Feier des Weihnachtsfestes, der "geweihten Nächte". Es wurden viele Schweine aus diesem Anlaß geschlachtet. Entsprechendes wurde im Mittelelbe-Gebiet und bei Stonehenge von den Archäologen festgestellt (Stg20).
Alle diese kulturellen Erscheinungen gab es zur gleichen Zeit in ähnlicher oder abgewandelter Form auch in der Nordschwarzmeersteppe. Hier lebten die Menschen halbnomadisch, es gab Kurgane, in denen immer wieder andere Familien ihre Angehörigen bestatteten, in deren Umfeld es also aufgrund der schwankenden klimatischen Verhältnisse viel Bewegung und Veränderungsfreude gab (Stg24). Der Rinderwagen spielte dort dieselbe Rolle wie in Mitteleuropa oder im Kaukasus oder im Vorderen Orient. Auch Statuenmenhire wurden in der Nordschwarzmeersteppe aufgestellt.
Ab 3.000 v. Ztr. breitete sich mit den Völkern des Nordschwarzmeerraumes (der Jamnaja) (Wiki) die indogermanische Steppengenetik in ganz Europa aus, zunächst in Nordeuropa zusammen mit der Schnurkeramik-Kultur, von der die Germanen abstammen, wenig später in Südeuropa zusammen mit der Glockenbecher-Kultur, von der die Kelten und Italiker abstammen (Stg24). Mit diesen Ausbreitungsbewegungen anfangs halbnomadischer Völker innerhalb Europas kamen jene indogermanischen Sprachen nach Europa, die wir heute noch sprechen. Diese Steppenbewohner sind sowohl kulturell wie auch religiös und genetisch unsere unmittelbaren Vorfahren. Da Skandinavien und die britischen Inseln viel weniger dicht besiedelt waren, als Südeuropa, hat sich die indogermanische Steppengenetik in Nordeuropa viel umfangreicher durchgesetzt bis heute als in Südeuropa.
Der mediterrane Menschentypus bleibt also von der anatolisch-neolithischen Bauerngenetik geprägt. Diese hat die Grundlage vieler früher Hochkulturen seit etwa 6.500 v. Ztr. gelegt. Er trägt aber heute innerhalb Europas überall mehr Steppengenetik in sich als ihn die antiken Griechen und die antiken Menschen des östlichen Mittelmeerraumes (also auch die Thraker und die Phönizier) in sich getragen haben.
Man kann es auch so sagen: Die genetischen "Potentiale" des antiken Griechenland sind noch heute in Europa überall und allseits vorhanden. Sie wären sogar dann noch vorhanden, wenn die Menschen Nordeuropas genetisch aussterben sollten. Es gibt allerdings keinen wirklich triftigen Grund, warum die Menschen Nordeuropas ihrer demographischen Erneuerungsfreude weiterhin so gleichgültig gegenüber stehen sollten wie sie das seit vielen Jahrzehnten tun, indem ihre Kinderwünsche weit hinter der Verwirklichung ihrer eigenen Kinderwünsche zurück bleiben (Stg07a, Stg07b). Die genetischen "Potentiale" des Abendlandes dürften mit einer solchen demographischen Erneuerungsfreude doch sehr viel zu tun haben.
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- Golik, Pawel: Migrations Recorded in Our DNA. In: Academia. The magazine of the Polish Academy of Science, 2024 (pdf)
- Haak W. et al., Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe, Nature 2015, vol. 522.
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