Donnerstag, 31. Mai 2007

Charles Lindbergh ist souverän gestorben

Charles Lindbergh, der berühmte Erst-Überflieger des Atlantischen Ozeans, ist souverän gestorben. Eher durch Zufall ist man an eine Biographie über diesen Amerikaner geraten (1). Ein aufregendes Leben (1902 - 1974). Abbruch des Studiums, Kunst-, Post- und Militärflieger, schließlich die bis zu jenem Zeitpunkt in der Geschichte nie dagewesene Popularität eines einzelnen, ganz bescheidenen, jungen Menschen aufgrund der Atlantik-Überquerung im Jahr 1927.

Seine Ehe mit der Schriftstellerin Anne Morrow Lindbergh. Die Entführung und Ermordung ihres ersten Baby's. Die weiteren sechs Kinder. Das geradezu zwanghafte, ständige "Unterwegs-Sein" in der ganzen Welt. Die Kontakte zur Wissenschaft, zur Technik, zur Politik, auch zum nationalsozialistischen Deutschland. Schließlich der führende Kopf des Widerstandes gegen den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg (1939 - 1941) ("America First"). Viele halten ihn für einen geeigneten Präsidentschafts-Kandidaten. Doch seine Niederlage in dieser Auseinandersetzung prägt das geschichtliche Urteil über ihn bis heute: "Defaitist, "Nazi", "Antisemit".

Schließlich aktiver Militärflieger im Krieg gegen Japan. Im Alter noch einmal zusammen mit seinen Kindern aktive Teilnahme an der Umweltschutzbewegung. Alle diese "Stationen meines Lebens" (so der deutsche Titel seiner Lebenserinnerungen) sind aufregend genug von einem in seiner Jugend äußerlich so schlacksig daher kommenden, jungenhaft wirkenden Amerikaner, der vom Typ her äußerlich zumeist sehr "easy-going" wirkt.

Aber was auch immer sonst an seinem Leben bestaunens- oder beklagenswert sein mag, sein Tod war außerordentlich souverän (1, S. 504-516). Am 24. Juli 1974 sagen die Ärzte dem krebskranken Lindbergh in einem Krankenhaus in New York, nachdem eine Chemotherapie nicht durchgeschlagen ist, dass sie ihm "keine Hoffnung auf Genesung" mehr machen können.
Sie wollten die Chemotherapie intensivieren, gaben ihm aber nur noch ein paar Wochen. Lindbergh, der den Tod noch weit von sich wies, stellte alle möglichen medizinischen Fragen. "Es ist als ob das Feuer der Krankheit in ihm wütet und ihn verschlingt," versicherte Anne (...) (seine Frau). "Er hatte immer ein feuriges Wesen, und so passt es irgendwie zu ihm."
Seine Kinder versammeln sich um ihn, kommen aus aller Welt angereist. Auch der jüngste Sohn, mit dem er bis dahin über viele Jahre hin in erbittertem Streit gelebt hatte. Lindbergh trifft letzte Absprachen über seine unveröffentlichten Lebenserinnerungen ("Autobiography of Values"). Er geht sein Testament noch einmal durch. Und er setzt überall zwischen die Namen seiner Kinder nun auch noch den Namen seines jüngsten Sohnes.

Zu Hause sterben
Ein wenig später erschreckte er alle Anwesenden mit einer unerwarteten Forderung. "Ich will heim", sagte er zu Anne, "nach Maui."
Er will nicht im Krankenhaus sterben, sondern auf Hawaii. Dies ist einer seiner letzten Wohn- und Lebensorte. Alle Ärzte raten ab. Alles wird immer wieder neu erwogen. Alles zögert. Schließlich wird der Hausarzt in Hawaii Dr. Milton Howell angerufen und Lindbergh erklärt ihm:
"Milton, ich habe hier elf Ärzte ... und sie sagen, sie können mir nicht mehr helfen. Ich habe noch acht bis zehn Tage, und ich will zum Sterben nach Hause. Lieber lebe ich noch zwei Tage in Maui als zwei Monate in diesem Krankenhaus in New York."
Obwohl alle die Köpfe schütteln, besorgt sind, ob er überhaupt noch den Flug überlebt, setzt er es durch.
Die Ärzte warfen dem Patienten vor, er wolle nichts mehr von der Medizin wissen. Lindbergh erwiderte, die Medizin habe getan, was sie tun konnte, das Problem sei nun nicht mehr medizinischer, sondern philosophischer Natur.
In erster Reaktion muss man als Leser geradezu schmunzeln darüber, was da in New Yorker Krankenhäusern im Jahr 1973 alles so "debattiert" worden ist. Auch bei vielem, was nun folgt. Aber es wird spürbar, dass hinter all dem mehr steckt. Es klingt schon in diesem schlichten Satz an, dass und wie ernst Charles Lindbergh über den Tod an sich dachte. Dass es Lindbergh ernst ist, wird auch an kleinen Details erkennbar:
Ein junger Arzt untersuchte Lindbergh flüchtig - nach der Landung in Honolulu - und sagte fröhlich, er werde im Handumdrehen wieder gesund sein. Obwohl der junge Mann es gut gemeint hatte, ärgerte sich Lindbergh über seine törichte Bemerkung und schimpfte ihn aus.
Zu Milton Howell sagte er schließlich zur Begrüßung:
"Ich weiß, dass ich sterben muss ... Ich weiß, dass ich nur noch wenig Zeit habe. Ich will nichts Unnötiges. Ich will keine großen Worte." Er bat Howell, ihm dabei zu helfen, seinen Tod "konstruktiv zu gestalten".
Lindbergh's ganze Familie ist schließlich in dem Landhaus über dem Meer auf Hawaii versammelt. Alles ist geheim. Denn sonst wäre die Ruhe vor der Weltpresse dahin.
Lindbergh begann diese Reise wie alle anderen mit Checklisten. Meist widmete er morgens, wenn er sich relativ stark fühlte, alle Kraft den letzten Vorbereitungen und gab genau an, wie er jeden Schritt seines Abschieds ausgeführt haben wollte. "Dermaßen detailliert," schrieb Jon (ein Sohn) in ein Tagebuch, "dass wir anderen alle entsetzt sind. Wie spricht man über solche Dinge mit jemandem, der einem so nahesteht, und der sterben muß. Es mag ganz vernünftig sein, aber man muß sich erst daran gewöhnen ... Er betrachtet den Tod als ein letztes Abenteuer und stürzt sich mit aller Kraft auf seine Vorbereitung."
"Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer ..."

Jede Einzelheit wird durchgegangen. Das Grab, dessen Ort er sich schon früher ausgesucht hatte, soll jetzt schon ausgehoben werden. Dies tun seine Söhne. Die Entwässerung des Grabes wird sachlich durchdiskutiert. Das Holz des Sarges - "sägerauh", "einheimisch", "zolldicke Bretter" - ohne alle Schnörkel. Lindbergh legt Wert auf die Auskleidung des Sarges mit "biologisch abbaubaren Materialien". Noch nicht einmal eine metallene Gürtelschnalle will er an der Hose haben. Alle Einzelheit des Grabsteines und seiner Inschrift werden festgelegt. Ein Psalm aus der Bibel soll darauf stehen:
"Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer ..."
(Die nicht eingemeißelte Fortsetzung dieser Zeilen lautet: "... so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.")
Als nächstes wandten sie ihre Aufmerksamkeit der Begräbniszeremonie zu. Lindbergh wollte vor der Beerdigung einen kurzen Gottesdienst, am Grab ein Gebet und ein geistliches Lied, und einen oder zwei Tage später einen nur wenig längeren Gedenkgottesdienst. Er verbat sich jegliche Lobreden. Statt dessen wollte er mehrere Textstellen der unterschiedlichsten Denker vorlesen lassen als sichtbares Zeichen seiner Überzeugung, dass keine Kultur oder Religion ein Monopol auf die Wahrheit habe. Anne legte ihm eine Reihe von Texten vor, aus denen er Jesajas, Bernhard von Clairvaux, Gandhi, Augustinus, die Mundaka-Upanischaden und ein Navajo-Gebet auswählte. Anne schlug ihrem Mann auch mehrere Lieder vor. Als sie ihm eins vor sang, das sie für geeignet hielt, schüttelte Charles den Kopf und sagte, das sei nicht gut. "Aber die Melodie ist von Bach", erwiderte Anne, "etwas Besseres gibt es nicht." - "Die Musik ist in Ordnung", erwiderte Charles, "aber die Worte sind kitschig." Anne überlegte, was sich da machen ließ, aber er löste das Problem: "Wir nehmen einfach hawaiische Lieder," sagte er, "da versteht keiner, was es heißt."
 Lindbergh bittet auch den Arzt, die Familie vor der Weltpresse zu vertreten:
"Dann hätte ich gern, dass sie ihre Fragen beantworten. Ich wünsche mir, dass dabei eine gewisse Würde bewahrt bleibt, was Sie gewiss gut können."
"Der Tod ist gleich hier, neben dir."
Stundenlang saß zumindest ein Familienmitglied bei Lindbergh, wenn er zwischen seinen Nickerchen oder am Abend seinen Erinnerungen nach hing - an seine Mutter, an "Brother", an die frühen Tage der Luftfahrt, an den Krieg. Auch "America First" war ihm noch gegenwärtig, und eines Tages sagte er zu Land (einem Sohn): "Lass nicht zu, dass deine Mutter mich großartig verteidigt." Jeden Abend musste man ihm berichten, wie weit sein Grab war. Eines abends fragte Anne Charles im Kreise der Söhne, ob er beschreiben wolle, wie er sich fühle, denn, so sagte sie, "du erlebst jetzt etwas, was wir alle einmal durchmachen müssen". Er antwortete, er habe bisher nicht erkannt, dass "der Tod ständig so nahe ist - er ist gleich hier, neben dir", und er fühle sich dabei völlig "entspannt". "Für euch, die ihr zuschaut, ist es schwerer als für mich", fügte er hinzu.
Am 25. August war das Grab fertig. Als Lindbergh am Abend ein Ventil für seine bereitliegende Sauerstoffmaske verstellen wollte,
damit er mehr Luft bekam, fiel sein Arm herab und er versank ins Koma. Anne, Land und eine Krankenschwester blieben die ganze Nacht hindurch bei ihm, und seine Frau hielt seine Hand. Am nächsten Morgen, Montag, den 26. August, schien Lindbergh friedlich da zu liegen. Nach einem zeitigen Frühstück gingen Anne und Land ins Schlafzimmer; da atmete er kaum noch. (...) Mehr als zehn Minuten saßen sie da, und es wurde immer stiller im Zimmer. "Und dann", erinnerte sich Land, "ging er einfach."
Stillschweigend verließen alle den Raum und ließen Anne mit Charles allein. Sie küsste ihn ein letztes Mal. Gern wäre sie noch länger mit ihm allein geblieben. - - - Seine Lebenserinnerungen "Stationen meines Lebens" erschienen 1978. Sie endeten mit den Worten:
"Nach meinem Tod kehren die Moleküle, aus denen ich bestanden habe, zur Erde und zum Himmel zurück. Sie kamen von den Sternen. Ich stamme von den Sternen."
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  1. Berg, A. Scott: Charles Lindbergh. Karl Blessing Verlag, München 1999

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