Wenn man andere - sinnvoll, ja, sogar sehr sinnvoll - über die evolutionäre Bedingtheit menschlicher Religiosität diskutieren hört (sieht), kommen einem auch selbst wieder neue Gedanken. Mein jüngster Diskussion-Beitrag auf dem Netztagebuch von Michael Blume:
"Der wahre Künstler kennt keinen Stolz ..."
Wenn Religiosität sich ganz allgemein auf die innerseelische (innerpsychische) Erfahrung eines Bereiches bezieht, der "jenseits" von Raum, Zeit und Kausalität anzusiedeln ist, also jenseits der erstmals von Immanuel Kant herausgearbeiteten Grenzen der reinen Vernunft, wenn weiterhin Menschen von Tieren durch die Eigenschaft unterschieden sind, daß sie frei zwischen Gut und Böse unterscheiden können, dann sollte aus diesen beiden Tatsachen zweierlei für die Religionsgeschichte der Menschheit folgen:
1. Innerseelische Erfahrungen über diesen Bereich sind schwer an andere Menschen weiterzugeben. Dichter, Bildhauer, Maler, Musiker, Tänzer, Architekten, Liebende ... versuchen, darüber zu "stammeln". Den großen Schaffenden kamen selbst ihre größten Werke immer "unädaquat" vor gegenüber dem, was sie eigentlich hatten aussagen wollen. (Beethoven: "... Der wahre Künstler hat keinen Stolz; leider sieht er, daß die Kunst keine Grenzen hat, er fühlt dunkel, wie weit er vom Ziele entfernt ist und indes er vielleicht von Andern bewundert wird, trauert er, noch nicht dahin gekommen zu sein, wohin ihm der bessere Genius nur wie eine ferne Sonne vorleuchtet. ...")
2. Menschen, fasziniert von dem "Großen", was Künstler schaffen und tun können, wollen es ihnen gleich tun, ohne dafür wirklich befähigt oder begabt zu sein, oder ohne bereit zu sein, die Entbehrungen und das Leid auf sich zu nehmen, die mit solchem Schaffen nur allzu oft verbunden sind (wie wir ja aus der Kulturgeschichte wissen). Sie verwenden Mittel, die für Aussagen zu diesem Bereich nicht angemessen sind. Ihre Motive sind weiterhin oftmals nicht "reine" (selbstlose), sondern sie erkennen, wie sie gerade mittels Aussagen über diesen Bereich Einfluß, Macht und Ansehen unter den Menschen gewinnen können. (Sie kennen also - im Gegensatz zum wahren Künstler - sehr wohl "Stolz", wenn sie sich auch oft bemühen, ihn unter "Demut" heuchlerisch zu verbergen - sich selbst und anderen gegenüber.) Das Schlimmste aber: Sie verwenden ihr logisches Denken, das die Evolution nur zur Erkenntnis der Dinge in Raum, Zeit und Kausalitäts-Zusammenhängen herausmodelliert hat, um Aussagen über Dinge jenseits von Raum, Zeit und Kausalität zu machen.
Und sehr schnell sind dann die Stammes- und Weltreligionen entstanden.
Man könnte das Gefühl haben: Um so dichter solche "Religionen" noch dem künstlerischen Bereich selbst an sich stehen, um so phantasievoller ihre Mythen sind, um so freundlicher (menschenfreundlicher), um so adäquater sind sie noch dem genannten Bereich, um den es sich bei Religiosität eigentlich nur handeln kann.
Und um so fortgeschrittener die Vernunft-Erkenntnis in der Menschengeschichte ist (durch die Ausbildung komplexer, arbeitsteiliger Gesellschaften), um so inadäquater werden die religiösen Vorstellungen, da (aus heutiger Sicht) streng naturwissenschaftlich begrenzte Erkenntnis nicht mehr scharf unterschieden wird von Aussagen, die allein dem geisteswissenschaftlichen Erkenntnisbereich zuzuordnen sind (also jenem Erkenntnisbereich, dem Religion, Kunst und Philosophie in erster Linie zuzuordnen sind).
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