Samstag, 17. März 2007

Naturwissenschaft GEGEN die "Entzauberung" unserer Welt

In gegenwärtigen Diskussionen und Forschungen in Grenzbereichen zwischen Philosophie, Religionswissenschaft und Naturwissenschaft - vor allem rund um die sogenannte "Naturalisierung" unseres Menschenbildes - fällt auf, wie wenig dabei auf Denker und Forscher wie Konrad Lorenz (1903 - 1989) und die von ihm begründete Klassische Verhaltenswissenschaft Bezug genommen wird. Und doch war es gerade diese von Konrad Lorenz begründete Wissenschaftsrichtung, die den Durchbruch in der "Naturalisierung" unseres Menschenbildes herbeigeführt hat. Doch eine Durchsicht beispielsweise des von Thomas Metzinger (Mainz) 2006 herausgegebenen Bandes "Grundkurs Philosophie des Geistes", der viele wichtige Texte zu gegenwärtigen Debatten rund um die Hirnphysiologie und Bewußtseins-Philosophie zusammen stellt, macht geradezu schmerzlich deutlich, wie viel gewonnen sein könnte, wenn man das Denken von Konrad Lorenz mehr in gegenwärtige Diskussionen mit einbeziehen würde. Ich fand ihn in diesem ganzen Buch eigens zusammen gestellt für Philosophie-Studenten und -Doktoranden nirgends erwähnt, auch nicht in den dort gebrachten reichhaltigen Literatur-Verzeichnissen. Auch der Hirnphysiologe Wolf Singer (Frankfurt/Main) ist sich der Bedeutung der Klassischen Verhaltensforschung für die Geschichte seiner Wissenschaftsrichtung - unter anderem innerhalb der Geschichte Max-Planck-Gesellschaft - durchaus klar bewußt und stellt sie auch heraus. Aber auch bei ihm werden selten konkretere Bezüge zum Denken von Konrad Lorenz hergestellt.

Dabei enthalten die Bücher von Konrad Lorenz eine Fülle von Einsichten, angefangen von einfachsten Alltags-Beobachtungen bis hin zu komplexester Theorie-Bildung - und zwar immer anhand anschaulichster Empirie (was einen deutlichen Unterschied darstellt zu den meist anglo-amerikanischen Denkern, auf die sich Metzinger vor allem bezieht). Wichtige Bücher von Lorenz sind auch heute noch "Die acht Totsünden der zivilisierten Menschheit", "Die Rückseite des Spiegels" und besonders "Der Abbau des Menschlichen". Der letztere Buchtitel hat wohl noch am wenigsten Beachtung gefunden, obwohl er ausdrücklich als zweiter Teil des Klassikers "Die Rückseite des Spiegels" gedacht war. Ich möchte nur einiges aus dem letzten der drei genannten Buchtitel hier aufgreifen. Denn hier kommt Lorenz eindeutig auch auf Religiosität zu sprechen, die für ihn KEINE Nebensache war, sondern hier geradezu im Mittelpunkt jenes "Menschlichen" steht, das besonders im 20. Jahrhundert so überdeutlich und rasch "abgebaut" wird.

Im ersten Teil dieses Werkes kommt es ihm darauf an, so überzeugend wie möglich aus den naturwissenschaftlichen Tatsachen die "schöpferischen" Aspekte der Evolution herauszuarbeiten, ihre "Freiheitsgrade", ihre "Ungeplantheit", aus der er vor allem die Verantwortlichkeit des Menschen ableitet, der sich nicht darauf verlassen könne und dürfe, daß alles schon "vorherbestimmt" sei und determiniert sei, daß also tatsächlich die Zukunft "offen" sei. Eine ganz wichtige Frage für alle moderne Philosophie und Religiösität, die selten so klar und wissenschaftlich umsonnen wird wie hier bei Konrad Lorenz. Lorenz zeigt eben auf, daß ein "naturalistisches" Weltbild keine Einbahnstraße ist hin zu einer sogenannten "Entzauberung" unserer Welt, sondern ganz im Gegenteil.

Das arbeitet er dann im zweiten Teil noch stärker heraus. Hier geht es ihm unter anderem um eine Kritik des "Szientismus", also der Weltsicht, "daß nur das Realität besitzt, was in der Terminologie der exakten Naturwissenschaften ausgedrückt und durch Quantifizierung bewiesen werden kann". Zum Beispiel finden sich hier solche Sätze wie der folgende: "Wer die Wahrheit in sich aufgenommen hat, daß der menschliche Erkenntnisapparat ein im Laufe der Evolution entstandenes System ist, empfindet es nicht (...) als Widerspruch gegen das Prinzip der Naturwissenschaft, daß wir von 'unbegreiflichen Geheimnissen' umgeben sind. Für ihn ist 'unbegreiflich' nicht 'über-' oder 'außernatürlich'." Im Zentrum steht das Gebiet der "Wertempfindungen", der "emotionalen Erlebnisse", die Wirklichkeit des "nur Subjektiven". Lorenz stellt die Frage: "Gibt es an sich Schönes?" Und er antwortet:
"Wir empfinden die Unvoraussagbarkeit des organischen Geschehens als Freiheit, wir empfinden die Schöpfung als Wert, weil wir selbst schöpferisch sind. In unserem begrifflichen Denken sind Vorgänge am Werk, die denen der Evolution zumindest weitgehend analog, wahrscheinlich aber nur ein spezieller Fall von ihnen sind. Im Geiste des Menschen gibt es gedankliche Einheiten, Ideen, Traditionen, Hypothesen, Dogmen usw., deren jede in sich genügende Geschlossenheit und Einheitlichkeit besitzt, um mit einer anderen in Wechselwirkung zu treten - nicht viel anders, als dies die verschiedenen Arten der Lebewesen im Verlauf der Evolution getan haben."
Und einige Sätze später noch deutlicher:
"Zur Zeit sind diese, in unseren Wertempfindungen sich abspielenden Schöpfungsvorgänge die einzigen, die auf unserem Planeten noch eine wesentliche Rolle spielen. Es ist unsere Pflicht, ihnen Wirklichkeit zuzuerkennen und den im wahrsten Sinne kategorischen Befehlen zu folgen, die sie an uns richten."
Im dritten und vierten Teil behandelt er dann eine Vielzahl von Fehlentwicklungen in modernen Gesellschaften (Themen sind etwa: "Werbung", "Indoktrinierung", "nationaler Haß", "Sinnentleerung" und vieles andere mehr.) Und im Nachwort gibt er dann "Das Credo des Naturforschers", in dem es unter anderem heißt:
"Ich fühle mich gedrängt, ein Nachwort zu schreiben, das sich an alle jene richtet, die den Vertreter der evolutionären Erkenntnistheorie für einen krassen Materialisten halten, weil er das Wort 'Gott' nicht ausspricht. (...) Es scheint unmöglich zu sein, dem esoterischen Ideisten beizubringen, daß unser Bestreben, diese Welt in all ihrer säkularen Dieseitigkeit, so weit es uns möglich ist, zu erkennen, daß dies kein Verzicht auf alles Transzendente bedeutet." "Wer an einen Gott glaubt (...) weiß (...) mehr über das Wesen des Kosmos als jeder ontologische Reduktionist. Auch der naivste Monotheist (...) ist gegen Wertblindheit gefeit."

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