Freitag, 23. März 2007

Religiosität und die Fähigkeit ... zu täuschen (sich und andere)

Der schottisch-amerikanische Musiker David Byrne sagt mit so wenig Worten so viele kluge Dinge auf einmal, wie man dies selten so komprimiert und klug hört, so daß ich mich veranlaßt fühle, das doch auch einmal ins Deutsche zu übersetzen. - Offenbar haben Musiker manchmal die Fähigkeit, Dinge zu sehen und zu berücksichtigen, die vorwiegend sich im rationalen Bereich bewegende Naturwissenschaftler eher geneigt sind herunterzuspielen. Das folgende ist vielleicht einer der besten Kommentare zu dem neuen Buch von Richard Dawkins "God Delusion". Nach David Byrne unterliegen höchstwahrscheinlich nicht nur intelligente Menschen, die an einen monotheistischen Gott glauben, einer Täuschung (einem "Wahn"), sondern auch andere intelligente Menschen - wie Richard Dawkins -, die etwas ableugnen, was sie eigentlich besser wissen könnten oder gar sollten. - Doch hören wir, wie David Byrne sich selbst ausdrückt:

"Es scheint manchmal, daß ein Mensch sich um so besser täuschen kann, um so klüger er ist - sich selbst und ... natürlich auch andere. Intelligenz, verbunden mit einem Willen gibt einem die Fähigkeit zu analysieren und nachzudenken - aber gleichzeitig gibt es einem auch die Fähigkeit zu lügen und abzuleugnen, zu ignorieren und zu täuschen. Man kombiniere das alles mit ein bischen Charisma und schon ist das Menü fertig.

Das wird der Grund sein, warum intelligente Menschen religiös sein können. Ja, das ist eine arrogante Behauptung - sie setzt voraus, daß Religion und Intelligenz inkompatibel sind, daß niemand mit klaren Sinnen an unbewiesene, übernatürliche, glaubens-basierte Szenarien glauben kann. Aber das ist natürlich nicht der Fall. Ich mag persönlich glauben (glauben!), daß viele religiöse Annahmen irrational sind und an Irrsinn grenzen - aber ich kann sowohl ihre Effizienz sehen - ihre Anziehungskraft und Nützlichkeit - als auch ihre Schönheit empfinden. Man muß sicherlich kein Katholik sein, um in Ehrfurcht unter dem Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle zu stehen; kein Muslim, um die Verlockung des seelenvollen Rufes des Muezzins zu hören und die Energie der Massentänze der Gläubigen im Gebet zu empfinden; kein Hindu oder Jude, um einen Text zu lesen und sich an ihm zu erfreuen, der vollgefüllt ist mit erstaunlichen und überraschenden Metaphern (Bildern) und Analogien. Diese Tänze, Musik, Bilder, Metaphern sind, so scheint es mir doch, tief verwurzelt - sie sind wie die angeborenen nervlichen Verschaltungen für grammatikalische Strukturen, über die (Noam) Chomsky spricht - und sie sind deshalb ähnlich genetisch vererbt. Der Tanz, der Religion ist, ist in uns evoluiert, um freigesetzt zu werden und ausgedrückt zu werden in tausend verschiedenen Formen, von denen keine irgend einen logischen Sinn ergibt, und von denen alle, wenn wir auf sie buchstäblich schauten, eine große Hilfe in der Ableugnung notwendig machen. Gott ist in der Verschaltung selbst, vererbt in den Genen.

Das ist - soweit ich sehe - der Grund, warum die gegenwärtige (kleine) Welle von Atheismus ebenfalls ableugnet - die jüngsten Bücher von (Richard) Dawkins, (Daniel C.) Dennett und Harris zum Beispiel. Sie leugnen ab, daß diese Fähigkeit der Menschen zu glauben, angeboren ist. Ja, sie geben zu, daß Religion viele Annehmlichkeiten bietet und Sicherheit, Stabilität und Gemeinschaft - sehr anziehend und verführerisch - aber sie stoppen kurz davor zuzugeben, daß wir genetisch veranlagt sind zu glauben, daß es in unserer ganz besonderen Natur liegt, daß es ein Teil von dem ist, was es heißt, Mensch zu sein. Vielleicht ein unlogischer Teil, aber all unsere angeborenen Charakteristika sind nicht für immer angepaßt (der Kontext ändert sich, die Welt ändert sich) oder auch nur rational von einer bestimmten Sicht der Dinge aus (muß der Pfauenschwanz tatsächlich SO groß sein? Ist das nicht ein klein wenig zu verschwenderisch im Verbrauch von Ressourcen?).

(...)

Ich glaube, diese verrückten unlogischen Anleihen - Glaube, Leugnung, Religion - sind nicht Neurosen (so lange man nicht der einzige ist, der solche Empfindungen hat), sondern sind Überlebens-Mechanismen, die in uns evoluiert sind. Sie mögen ihren praktischen Nutzen überlebt haben - wie ein Anhang mögen sie 'Organe' sein, deren Nützlichkeit fragwürdig und marginal geworden ist, aber sie begleiten uns immer noch, werden immer noch benutzt und - benutzen uns."

Ich empfinde diesen Text als einen ganz hervorragenden, weil er etwas klar macht, was auch Konrad Lorenz versuchte, klar zu machen (siehe früherer Beitrag). Nämlich die Tatsache, daß wir von Nicht-Rationalität umgeben sind (also von Erscheinungen, die nicht rational erklärbar sind oder zumindest nicht vollständig rational erklärbar sind), und daß es deshalb nicht nur erstaunlich ist, daß ein kleiner (immer größer werdender) Teil dessen, was wir sehen und erfahren, rational erklärbar ist, sondern mindestens ebenso erstaunlich, daß ein großer Rest verbleibt, der sich einer vollständig rationalen Erklärung, einem vollständig rationalen Begreifen entzieht. Daß es sich bei diesem Rest zum Teil um etwas prinzipiell nicht vollständig rational Erklärbares und Begreifbares handelt, kann man sich an den Erkenntnissen der modernen Astronomie und Atomphysik ebenso klar machen, wie an den Erkenntnissen der modernen System- und Chaostheorie (Theorie von Nichtgleichgewichts-Schwankungen).
Und der gebrachte Text macht ebenso klar, daß auch unsere rationalen Annäherungen an diese vielen nichtrationalen Dinge in der Welt viel Nicht-Rationales oder nicht vollständig Rationales, viel Täuschung und Selbsttäuschung beinhalten können und beinhalten. Und zwar - und das ergibt sich doch offenbar auch aus der Natur der Sache - bei denen, die intelligenter sind und viel wissen, oft noch viel mehr als bei denen, die weniger intelligent sind und weniger viel wissen. (Nun, je nachdem ...)

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