- Tscherkessien war die Heimat von zwei Fünfteln der Vorfahren der Späten Urindogermanen
- Das heißt, die Europäer sind tatsächlich genau auch das: "Kaukasier"
- Und das heißt auch: die Tscherkessen könnten als entfernte Brüder aller heutigen Europäer angesprochen werden
- Unter dem Dach des Großreiches der Maikop-Kultur hat es vielfältige Ethnogenesen gegeben
- Nach 2.400 v. Ztr. kam indogermanische Steppengenetik erstmals umfangreicher in den Nordkaukasus, seitdem hat sich die Herkunftszusammensetzung dort nicht mehr wesentlich verändert
- Vermutlich hat der Lebensraum Steppe jene Veränderungsbereitschaft mit sich gebracht, von der die Menschheitsgeschichte seit dem Spätneolithikum durch die Indogermanen geprägt ist
Die Urheimat des Volkes der Späten Urindogermanen, deren Nachkommen sich von 3.300 v. Ztr. ab über ganz Europa ausgebreitet haben, war der Untere Dnjepr. Die Vorfahren dieser Späten Urindogermanen stammten zu 20 % von den Menschen der Dnjepr-Donez-Kultur der Ukraine ab. Außerdem stammten sie zu 30 bis 40 % aus Tscherkessien im Nordkaukasus ab, sowie zu 40 bis 50 % von der Mittleren Wolga (s. Stg2024 und das folgende).*) Die genannten 30 bis 40 % Herkunft aus Tscherkessien können auf die damalige Darkveti-Meshoko-Kultur (4.500 bis 3.800 v. Ztr.) (Wiki) in dieser Region zurück geführt werden. Da Tscherkessisch aller Wahrscheinlichkeit nach eine "Ursprache" des Kaukasus ist (vergleichbar dem Baskischen in Nordspanien), ist es nicht unwahrscheinlich, daß noch die heutigen Tscherkessen - ihrer Sprache und Genetik nach - die unmittelbaren Nachfahren der Darkveti-Meshoko-Kultur sind.
Wenn im späten 19. Jahrhundert von den Europäern die Rede war, daß sie einer sogenannten "kaukasischen Rasse" angehören würden (Wiki), so lag man damit damals also - vor dem Hintergrund der heutigen Erkenntnisse aus der Archäogenetik - gar nicht so falsch. Allerdings könnte man die Europäer mit gleichem Recht "Wolga-Leute" oder "Dnjepr-Leute" nennen.
Die Bauernvölker des Kaukasus, die iranisch-anatolisch-neolithischer Herkunft waren, haben Jahrtausendelang beharrlich unter sich geheiratet und eine kulturelle Heiratsgrenze am nördlichen Fuß des Kaukasus ("Piemont") aufrecht erhalten (s. Abb 1). Das war schon 2019 in einer archäogenetischen Studie festgestellt worden (s. Abb 1) (Stgen2022). Die Ausbreitung der indogermanischen Steppengenetik in Richtung Kaukasus zwischen dem 6. und 3. Jahrtausend v. Ztr. endete an dieser Grenze.
Das heißt, die indogermanische Steppengenetik hat sich - im Wesentlichen - bis in die Spätbronzezeit, bis 2.400 v. Ztr. nicht in den Kaukasus ausgebreitet, also auch nicht bis zum Hauptkamm des Kaukasus. Dies ist ein wesentlicher Umstand, den es für alle folgenden Ausführungen im Hinterkopf zu behalten gilt.
Das ist auch der Grund, weshalb man bislang - zum Beispiel - beim klar indogermanischen Volk der Hethiter in Anatolien keine indogermanische Steppengenetik gefunden hat. Es muß allerdings mindestens ein Volk als sprachlich und kulturell indogermanisiert angenommen werden für die Zeit der Maikop-Kultur. Denn daß die anatolischen indogermanischen Sprachen (Wiki) aus einer anderen Region als aus dem Kaukasus stammen, ist mehr als unwahrscheinlich. Vielleicht wird man vermuten können, daß eine Form des Frühen Urindogermanisch eine Art Verkehrssprache ("lingua franca") innerhalb der Maikop-Kultur dargestellt hat. Denn auch die kulturelle Einheitlichkeit der Maikop-Kultur über die genannte genetische Grenze am Fuße des Kaukasus hinweg weit in die Steppe hinein macht diesen Umstand wahrscheinlich. Allerdings kann auch diese Frage aktuell nicht als definitiv geklärt gelten.
Angesichts der heutigen sprachlichen Vielfalt im Kaukasus muß im übrigen auch nicht zwangsläufig angenommen werden, daß es eine solche Vielfalt nicht auch schon unter dem Dach des Großreichs der Maikop-Kultur gegeben hätte.
Nur in selteneren Ausnahmefällen kam indogermanische (Steppen-)Genetik in größeren Anteilen auch schon vor 2.400 v. Ztr. in den Kaukasus und nach Anatolien. Diese ist für 4.100 v. Ztr. in Menschenfunden der Areni-Höhle in Armenien festgestellt worden (s. Stgen2022). Während sich die frühen anatolisch-indogermanischen Sprachen mit der Kura-Araxes-Kultur über Anatolien ausgebreitet haben können, wobei nur ein dünner Schleier von mitgenommener "Steppen"-Genetik auf die eigentlichen sprachlichen Ursprünge zurück weist, kommt Steppen-Genetik dann besonders ausgeprägt erst mit der Trialeti-Kirovakan-Kultur (Wiki, eng) des Südkaukausus ab 2.200 v. Ztr. nach Armenien. Im Rahmen dieser Kultur ist ein berühmter Silberbecher gefunden worden, der eine wesentliche Geschichtsquelle für diese Ausbreitungsbewegung darstellt (Stgen2023). Mit dieser Kultur kam höchstwahrscheinlich das Armenische nach Anatolien. Beim Armenischen handelt es sich aber nicht um eine frühe Abzweigung jener frühen urindogermanischen Sprache, sondern um eine Abzweigung von der späten urindogermanischen Sprache der Jamnaja- und Katakombengrab-Kultur. Das Armenische kam zur selben Zeit nach Armenien wie das Griechische nach Griechenland kam - und offenbar unter vergleichbaren Umständen (archäologischer Zerstörungshorizont).
Abb. 2: Tscherkessien im Nordwestkaukasus um 1830 (aus: GfbV) - Es deckt sich geographisch recht gut mit der Verbreitung der Darkveti-Meshoko-Kultur im 5. Jahrtausend v. Ztr. in derselben Region |
Abgesehen von diesem genannten Grundzug der Völkergeschichte rund um den Kaukasus sind sowohl südlich wie nördlich des "Piedmont", des nördlichen Fußes des Kaukasus, im Laufe der Jahrtausende viele Völker entstanden und auch wieder vergangen. Im Wesentlichen wurde dabei aber die genannte Heiratsgrenze bis 2.400 v. Ztr. innegehalten.
Mesolithische Völker im Kaukasus
In abgelegenen Tälern des Kaukasus haben anfangs (siehe unten) noch mesolithische Restbevölkerungen gelebt, und zwar gab es dort einerseits Menschen mit reiner osteuropäischen Jäger-Sammler-Herkunft und andererseits - wichtiger noch - Menschen mit rein kaukasisch-neolithischer Jäger-Sammler-Herkunft. Solche Restbevölkerungen in Rückzugsräumen sind auch im ganzen übrigen Europa konstitutiv für die Ethnogenesen des Mittel- und Spätneolithikums. Und das ist auch im Kaukasus so.
Der Wildreichtum, den unter anderem die Saiga-Antilope am Fuße des Kaukasus und die Wisente im Kaukasus darstellen, hat zur Lebensgrundlage dieser Jäger und Sammler gehört, die in dieser großartigen Berglandschaft lebten (2).
Während die osteuropäischen Jäger und Sammler an der Mittleren Wolga konstitutiv sind für die Ethnogenese des Urvolkes der Frühen Indogermanen, der Chwalynsk-Kultur, sind die kaukasischen Jäger und Sammler konstitutiv für das Entstehen der Darkveti-Meshoko-Kultur im Nordwestkaukasus und den aus ihr hervorgehenden Folgekulturen bis hin zu den Tscherkessen.
Als vorläufig noch isoliert für sich stehende Erkenntnis muß benannt werden, daß die Völkergruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler um 6.100 v. Ztr. über die genannte genetische "Grenze" am nördlichen Fuß des Kaukasus hinweg bis in den nördlichen Kaukasus hinein verbreitet war. Dort ist sie danach dann aber offenbar abgelöst worden von Menschen vor allem kaukasisch-iranischer Herkunft (1). Inmitten des nachmaligen Verbreitungsgebietes der recht bedeutenden Nowoswobodnaja-(Maikop-)Kultur mit ihren berühmten Dolmen (Wiki), einer Untergruppierung der Maikop-Kultur, in der dortigen Satanaj-Höhle im historischen Siedlungsgebiet der Tscherkessen (Wiki) 70 Kilometer südöstlich der Stadt Maikop im Gubs-Tal (Wiki, a, GMaps) - dem vormaligen Siedlungsgebiet des stolzen Tscherkessen-Stammes der Beslenejer (Wiki) (Abb 2) - sind 1963 und 1975 die Überreste osteuropäischer Jäger/Sammler gefunden worden. Als solche sind sie soeben in einer neu veröffentlichten archäogenetischen Studie identifiziert worden (1).
Da durch diese neue Studie die Heimat und das Volk der Tscherkessen im Nordwestkaukasus bedeutsam wird, erarbeiten wir parallel zwei weitere Beiträge: In einem tragen wir erste Eindrücke über die Herkunft, Kultur und Geschichte der Tscherkessen zusammen (Stg2024). In einem weiteren erste Eindrücke über die Erfahrungen der Soldaten jener etwa 30 deutschen, rumänischen und slowakischen Divisionen, die zwischen Sommer 1942 und Januar 1943 in der Kalmückensteppe nördlich des Kaukasus, am Terek-Fluß am Fuße des Kaukasus, im Hochgebirge des nördlichen Kaukasus, sowie im vorgelagerten Waldkaukasus den Zweiten Weltkrieg erlebten (Wiki) (s. Stg2024).
Osteuropäische und kaukasische Jäger und Sammler trafen Jahrtausende lang im Kaukasus aufeinander, ohne daß dabei neue Völker entstanden
Wie wir unten noch sehen werden, ging aus der Nowoswobodnaja-(Maikop-)Kultur (Wiki) im nachmaligen Tscherkessien die bedeutende bronzezeitliche Kura-Araxes-Kultur Anatoliens hervor (deren Angehörige - zumindest in Teilen - Hurritisch und Hattisch gesprochen haben können).
Abb. 3: Die Ethnogenese der Vor-Maikop-Kultur nördlich des Kaukasus 4.500 bis 4.000 v. Ztr. (aus 1) |
Doch zurück ins 7. und 6. Jahrtausend v. Ztr., in jene Zeit des europäischen Frühneolithikums, in der sich rund um die Mittelmeer-Küsten der Ackerbau ausbreitete, und in der im Wiener Becken die Bandkeramik entstand. In derselben Zeit stießen im Kaukasus bäuerliche Kulturen aus dem Süden auf dort einheimische Jäger und Sammler (1):
Die ältesten Individuen in dieser Studie stammen aus der Satanaj-Höhle in Rußland (SJG001, 6221-6082 v. Ztr.) und von der frühneolithischen Stätte Arukhlo in Georgien (5885-5476 v. Ztr., n=4). SJG001 datiert vor der Ankunft des Vorderasiatischen Neolithikums im Kaukasus und überschneidet sich im PC-Raum mit osteuropäischen Jägern und Sammlern (EHGs), obwohl es geografisch nahe (ca. 50 km) an Stätten kaukasischer Jäger und Sammler (CHG) im Südkaukasus liegt, deren Individuen ein anderes genetisches Abstammungsprofil aufweisen.The oldest individuals in this study are from Satanaj cave in Russia (SJG001, 6221–6082 cal bc), and from the early Neolithic site of Arukhlo in Georgia (5885–5476 cal bc, n = 4; Fig. 1). SJG001 predates the arrival of the Near Eastern Neolithic into the Caucasus and overlaps with Eastern European hunter-gatherers (EHGs) in PC space, despite being geographically close (about 50 km) to Caucasus hunter-gatherer (CHG) sites in the South Caucasus, whose individuals carry a different genetic ancestry profile (Fig. 2a).
Zu dieser neuen Erkenntnislage heißt es im Diskussionsteil (1):
SJG001 hat eine enge genetische Verwandtschaft mit Jäger-Sammler-Gruppen aus Karelien und der Samara-Region, im Gegensatz zu den geographisch näher gelegenen mesolithischen und neolithischen Individuen in der Ukraine, womit ein lange fortbestehendes Erbe der EHG-Abstammung in einem großen Gebiet Osteuropas bezeugt wird.SJG001 shares a close genetic affinity to hunter-gatherer groups from Karelia and the Samara region, as opposed to the geographically closer Ukraine_Mesolithic and Neolithic individuals, attesting to a lasting legacy of EHG ancestry across a large area of eastern Europe.
Das heißt: Jene Einmischung westeuropäischer Jäger und Sammler, die später bei den osteuropäischen Jägern und Sammlern der Ukraine, der Dnjepr-Donez-Kultur, zu beobachten ist, hatte sich um 6.100 v. Ztr. noch nicht bis in den Nordwestkaukasus hinein ausgebreitet.
Diese Erkenntnis enthält nun vielerlei, keineswegs unbedeutende Schlußfolgerungen. Zunächst: Wer hätte gedacht, daß die Völkergruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler, die bis hinauf nach Karelien und bis herunter in die Ukraine verbreitet war, sogar im nördlichen Teil des Kaukasus lebte? Der hier genannte Menschenfund um 6.100 v. Ztr. liegt zeitlich noch einige Jahrhunderte vor der Ausbreitung von Hirten- und Bauernkulturen von Anatolien und vom Iran her in den Kaukasus hinein.
a) Bauern im Südost-Kaukasus
Menschen der bäuerlichen Shulaveri-Shomu-Kultur im heutigen Georgien, die zur Hälfte iranisch- und zur Hälfte anatolisch-neolithische Genetik in sich trugen (in Abb. 3 "Georgia_Neolithic"), wurden dann - mit einer Zeitstellung um 5.500 v. Ztr. gefunden. Und zwar in einer Höhle bei Arukhlo (Wiki, GMaps) in Georgien inmitten des Kaukasus - südlich von Tiflis und südlich des Hauptkammes des Kaukasus. Es handelt sich um die bis jetzt nördlichst-gelegene bekannte Siedlung dieser reichen, bäuerlichen Shulaveri-Shomu-Kultur. Diese Kultur hat schon in großen Bottichen Wein verarbeitet. Die Ausgrabungen dort hatten schon 1966 und 1978 bis 1985 stattgefunden (1, Anhang, S. 11f). Die Menschenfunde dieses Ortes trugen den höchsten Anteil von kaukasisch-iranischer Genetik innerhalb der Shulaveri-Shomu-Kultur (s. Abb. 3: "Georgia_Neolithic"). An der Ausbreitungsgrenze ("Frontier") haben sich diese Bauern also offenbar noch einmal erneut mit einheimischen kaukasischen Jägern und Sammlern vermischt.
b) Bauern im Nordwest-Kaukasus
Zu schlußfolgern ist aufgrund dessen weiterhin: Im Nordwest-Kaukasus müssen zeitgleich auch noch unvermischte Angehörige der kaukasischen Jäger und Sammler (bzw. der iranisch-neolithischen Völkergruppe gelebt haben - beide zeitlich aufeinanderfolgenden Völkergruppen sind ja genetisch fast identisch). Und diese hinwiederum haben offenbar in bedeutender Weise auf nachfolgende Ethnogenesen genetisch Einfluß genommen. Und von diesen stammen deshalb noch heute alle genetisch indogermanisierten Europäer - zumindest in kleinen Anteilen - ab. Denn die dortige bäuerliche Darkveti-Meshoko-Kultur entstand offenbar dadurch, daß sich Menschen der Shulaveri-Shomu-Kultur im Nordwestkaukasus um 5.000 v. Ztr. noch einmal erneut zur Hälfte mit unvermischten Angehörigen der Kaukasus-iranischen Völkergruppe vermischt haben (in Abb. 3 "Caucasus_Eneolithic").
Daraus hinwiederum darf man schlußfolgern, daß Menschen der Völkergruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler und Menschen der Kaukasus-iranischen Völkergruppe am Hauptkamm des Kaukasus mehrere Jahrtausende lang aufeinander getroffen waren, ohne daß beide Völkergruppen schon zu diesem frühen Zeitpunkt sich in einem bleibenden Ethnogenese-Prozeß miteinander vermischt hatten. (Zumindest soweit bislang bekannt.)
c) Menschen an der Straße von Kertsch
Allerdings vermischten sich um 4.500 v. Ztr. nahe der Straße von Kertsch am Südende des Asowschen Meeres, ganz im Westen der Kalmücken-Steppe noch einmal unvermischte Angehörige der Kaukasus-iranischen Völkergruppe mit noch mesolithisch lebenden Menschen der Dnejpr-Donez-Kultur (Abb. 3: "Steppe_Eneolithic_outlier_West", Individuum "KHB003"). Die ersteren könnten entweder von der Wolga her nach Westen gekommen sein, bevor es zur Ausbreitung der Chwalynsk-Kultur von der Mittleren Wolga aus ab 4.500 v. Ztr. kam. Oder sie könnten über den Nordwestkaukasus hinweg bis zur Straße von Kertsch gekommen sein (oder gar direkt vom Zagros-Gebirge schon während der PPNB-Zeit). Dann müßten sie aber nördlich des Kaukasus die osteuropäischen Jäger und Sammler verdrängt und ersetzt oder zumindest umgangen haben. Dieses Vermischungsereignis nahe der Straße von Kertsch - in Abb. 3 benannt "Steppe_Eneolithic_outlier_West" - ähnelt genetisch ein wenig dem zeitgleichen Vermischungsereignis, aus dem das Volk der Frühen Urindogermanen an der Mittleren Wolga, die Chwalynsk-Kultur, hervor gegangen ist. In der Studie heißt es über die Menschenfunde nahe der Straße von Kertsch (1):
KHB003 (4318-4057 v. Ztr.) vom am weitesten im Westen gelegenen Fundort weist eine höhere genetische Nähe zu westeuropäischen Jägern und Sammlern (WHG) und zu anatolisch-neolithischer Herkunft auf (|Z| > 3). Es kann modelliert werden als eine Zwei-Wege-Mischung zwischen CHG und Ukraine-Neolithikum.KHB003 (4318-4057 cal bc) from the western-most site has a higher genetic affinity to Western hunter-gatherer (WHG) and Anatolia Neolithic-like ancestry (|Z| > 3), and can be modelled as a two-way mixture between CHG and Ukraine_Neolithic.
Wie wir schon von der vorherigen Studie aus dem Frühjahr 2024 wissen, hatten sich in der Ukraine die osteuropäischen Jäger und Sammler mit hereinkommenden westeuropäischen Jägern und Sammlern vermischt, daher die hier genannte letztere Komponente. Wie hier sich allerdings die anatolisch-neolithische Herkunft mit einer Zwei-Wege-Mischung vereinbaren läßt, verstehen wir noch nicht. Das scheint uns widersprüchlich formuliert. Oder sie stammt von Menschen der Darkveti-Meshoko-Kultur, bei denen es ja einen anatolisch-neolithischen Herkunftsanteil gab.
d) Ethnogenese an der Mittleren Wolga
Zeitgleich geschah um 4.500 v. Ztr. an der Mittleren Wolga dann jedenfalls das oben genannte Einzigartige, daß sich an der Ostseite des Kaspischen Meeres und entlang des Unterlaufes der Wolga noch unvermischte Schafs- und Rinderhirten der iranisch-neolithischen Völkergruppe nach Norden ausbreiteten (in Abb. 3: CHG) und dort - einmal erneut - auf unvermischte Angehörige der osteuropäischen Jäger und Sammler trafen. Und hier ergab sich dann erst jener Ethnogenese-Prozeß, der zum Volk der Frühen Urindogermanen führte, zur Chwalynsk-Kultur mit ihrer sehr einzigartigen, exzentrischen Ausbreitungstendenz und dieser ganz neuen, exzentrischen Hirten-Kultur des Volkes der Frühen Urindogermanen.
Gelegenheit zu vergleichbaren Ethnogenese-Prozessen wie jenem an der Mittleren Wolga könnte es aber - wie schon an mehreren Stellen deutlich wurde - durchaus auch schon in anderen Regionen und auch in früheren Jahrtausenden gegeben haben, zum Beispiel in der Nähe des Hauptkammes des Kaukasus oder an der Straße von Kertsch. Dieser Umstand könnte noch einmal deutlich machen, daß die weltgeschichtlich so bedeutsame und folgenreiche Ethnogenese der Frühen Urindogermanen an der Mittleren Wolga an ganz bestimmte räumliche Bedingungen gebunden gewesen sein muß und auch an Bedingungen genau dieses Zeitalters.
Man möchte fast vermuten, daß es der zeitlichen Bedingungen des Mittel- und Spätneolithikums bedurfte und auch genau dieser Region an der Mittleren Wolga, damit ein solcher Ethnogenese-Prozeß solche weltgeschichtlich nachhaltigen Folgen mit sich bringen konnte. Erst zu diesem Zeitpunkt mögen sich die noch mesolithisch lebenden Völker am Nordrand der Ausbreitung der bäuerlichen Kulturen wieder verstärkt auf sich selbst besonnen haben, selbstbewußter geworden sein im Angesicht der Bauern-und Hirten-Kulturen aus dem Süden. Und dadurch mögen sie sowohl kulturell wie auch demographisch anteilsmäßig - ausgesprochener als zuvor - auf Ethnogenese-Prozesse dieser Zeit Einfluß genommen haben. Und dabei müssen die klimatisch sehr schwankenden Lebensbedingungen der Steppe Einfluß genommen haben, darauf, daß in dieser nur sehr veränderungsbereite, wandlungsfreudige Menschen überleben konnten (mehr dazu weiter unten).
Andererseits war ein solcher nachhaltiger Ethnogenese-Prozeß um so leichter, als bäuerliche Kulturen in der Steppe zwischen Dnjepr und Wolga zwar gegenüber mesolithischen Völkern schon deutlich erhöhte Siedlungsdichten aufgewiesen haben werden, aber keineswegs so hohen Siedlungsdichten wie die von der vollbäuerlichen, aus der mitteleuropäischen Bandkeramik hervorgegangene Cucuteni-Tripolje-Kultur westlich des Dnjepr und die bäuerlichen Kulturen südlich des nördlichen Fußes des Kaukasus ausgebildet hatten. Die nicht oder nur wenig Ackerbau-mäßig bearbeitete Steppe bildete kulturgeschichtlich somit einen völlig neuen Lebens- und Wirtschaftsraum, der Jahrtausende lang Einflüsse nehmen sollte auf die Weltgeschichte. Solche hier ausgebildeten "mittleren" Steppen-Siedlungsdichten könnten Jahrtausende-lang der Hauptfaktor gewesen sein dafür, daß jeweils hälftige Herkunfts-Anteile Anteil an Ethnogenese-Prozessen nehmen konnten. Herkunftsanteile, die sonst in Europa von vollneolithischen Herkunftsanteilen demographisch "erdrückt" wurden.
Ethnogenesen nach 4.500 v. Ztr.
a) Von der Chwalsynsk- zur Steppen-Maikop-Kultur
Ab 4.500 v. Ztr. beginnt also die demographische Ausbreitung der Frühen Urindogermanen von der Mittleren Wolga aus Richtung Süden, und zwar anfangs, was es zu beachten gilt, schwerpunktmäßig östlich der Wolga, später dann auch westlich der Wolga (s. Abb. 5). In Abbildung 4 ist die Ethnogenese der indogermanischen Vor-Maikop-Kultur nördlich des Kaukasus zwischen 4.500 und 4.000 v. Ztr. grafisch dargestellt als "Steppe Eneolithic" (1):
f4-Statistiken zeigen, daß Steppen_Äneolithikum-Individuen aus dem Nordkaukasus eine größere Nähe zu CHG haben als Individuen aus Chwalynsk (...) und daß sie modelliert werden können mit 55 % CHG-ähnlicher und 45 % EHG-ähnlicher Abstammung.f4-statistics show that Steppe_Eneolithic individuals from the North Caucasus have a higher affinity to CHG than individuals from Khvalynsk (Extended Data Figs. 4 and 6 and Supplementary Table 9), and can be modelled as 55% CHG-like and 45% EHG-like ancestry.
Dieses Geschehen wird ja hier auf dem Blog schon seit 2019 eingeordnet. Innerhalb der Menschen mit Steppengenetik in der Steppe gab es nach dieser Studie dann ab 4.000 v. Ztr. noch leichtere Verschiebungen in den Herkunftsanteilen, und zwar in Richtung auf osteuropäische Jäger-Sammler, deren Herkunftsanteil nun 52 % ausmachte (in Abb. 4: "Steppe_Eneolithic" und "Late_Steppe_Eneolithic").
Am Fuße des Kaukasus und am Rande der Steppe rund um Nalchik ist es zur Vermischung von Menschen mit Steppengenetik und Menschen der Shulaveri-Shomu-Kultur gekommen. Jahrtausende lang hatten ja die Hirten des Kaukasus ihre Winterviehweiden in der Steppe, ihre Sommerviehweiden im Gebirge. Nachkommen der Chwalynsk-Kultur mit hälftigen Anteilen EHG/CHG-Herkunft vermischten sich mit Menschen der Shulaveri-Shomu-Kultur, wobei letztere 55 % der Herkunft beitrugen. Oder, im Originalton der Studie (1):
Die Individuen ZO1002 und ZO1004 (3953-3713 cal v. Ztr.) sind in PCA und ADMIXTURE in Richtung des Kaukasus-Clusters verschoben (...) und weisen im Vergleich zu den Late_Steppe_Eneolithic-Individuen weniger EHG-bezogene Abstammung auf und werden daher als Late_Steppe_Eneolithic_outlier bezeichnet. Unter Verwendung proximaler Quellen konnten wir beide als eine Zwei-Wege-Mischung aus Caucasus_Eneolithic (55 % ± 6,4) und Steppe_Eneolithic (45 % ± 6,4)-Abstammung modellieren (...). Zusammen mit den Individuen Nalchik und Steppe_Maykop_outlier1 spiegelt dies den Genfluß zwischen eneolithischen Gruppen wider, die in der Steppe und in den Ausläufern des Kaukasus leben.The individuals ZO1002 and ZO1004 (3953–3713 cal bc) are shifted towards the Caucasus cluster in PCA and ADMIXTURE (Fig. 2b and Extended Data Fig. 2), and carry less EHG-related ancestry compared to the Late_Steppe_Eneolithic individuals, and are thus labelled Late_Steppe_Eneolithic_outlier. Using proximal sources, we could model both as a two-way mixture of Caucasus_Eneolithic (55% ± 6.4) and Steppe_Eneolithic (45% ± 6.4) ancestries (Fig. 2d and Supplementary Table 13). Together with the Nalchik and Steppe_Maykop_outlier1 individuals, this reflects gene flow between Eneolithic groups living in the steppe and the Caucasus foothills.
Für welchen Zeitraum sich diese Vermischung etablierte scheint einstweilen nicht klar zu sein. Ebenso wenig scheint klar zu sein, ob sie auf nachfolgende Ethnogenesen Einfluß genommen hat. Es steht zu vermuten, daß es sich um eine lokal und zeitlich begrenzte Vermischung handelte, die auf nachfolgende Ethnogenesen keinen Einfluß genommen hat. Aber immerhin könnte man es als naheliegend ansehen, daß sich in der Gegend von Nalchik das Herrschaftszentrum der weit ausgedehnten Maikop-Kultur befand.
b) Von der Chwalynsk- zur "Manych-Kultur"
Dann gab es eine Ethnogenese, die bis heute auf alle Europäer und auf alle Völker mit Steppengenetik-Anteilen nachwirkt: In der Kalmücken-Steppe nördlich des Kaukasus vermischen sich Menschen der Chwalynsk-Kultur mit Menschen der dortigen Darkveti-Meshoko-Kultur (Abb. 3: "Eneolithic Intermediate"). Beide Seiten steuerten jeweils zur Hälfte die Herkunft bei, so daß der von den Menschen der Chwalynsk-Kultur mitgebrachte Herkunftsanteil osteuropäischer Jäger und Sammler in der entstehenden Population 26 % betrug. (In der Studie vom Frühjahr 2024 waren hierfür 30 % osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunft angeführt worden [s. Stg24].) Einen ähnlichen Anteil nahm die anatolisch-neolithische Herkunft hier ein, während die iranisch-neolithische Herkunft etwa die Hälfte betrug. Diese Herkunft etablierte sich in einer Region nördlich des nördlichen Fußes des Kaukasus.
Kulturell ist diese genetisch neue Population in der Kalmücken-Steppe von den Archäologen - soweit wir wissen - noch gar nicht als eigenständige Gruppe charakterisiert worden. Vom Blickwinkel der Genetik her hätte man womöglich Grund, sie "Manych-Kultur" zu nennen. (Entsprechend des in der Studie vom Frühjahr 2024 in den Mittelpunkt gestellten Fundortes Remontnoye könnte man auch von "Remontnoye-Kultur" sprechen [s. Stg24].) Aus sprachgeschichtlicher Sicht sollte sie eine mittelurindogermanische Sprache gesprochen haben. Denn sonst wäre nicht erklärbar, wie das Urindogermanische sich zum Unteren Dnjepr sollte ausgebreitet haben können.
Wie wir schon aus Blogbeiträgen von Anfang dieses Jahres wissen, hat diese Kultur offenbar gute demographische Ausbreitungsmöglichkeiten besessen und genutzt und sich aufgrund dessen entlang des Manych bis zum Don und von dort bis zum Unteren Dnjepr ausgebreitet. Diese Kultur dürfte also höhere Siedlungsdichten und fortschrittlichere Wirtschaftsweisen aufgewiesen haben als die mesolithische Dnjepr-Donez-Kultur dieses Raumes. Am Unteren Dnjepr bildete sich aus der Vermischung mit den dortigen Bewohnern die Sredni-Stog-Kultur und aus dieser dann ab 3.300 v. Ztr. das Volk der Späten Urindogermanen, das Volk der Jamnaja-Kultur. Das Volk der "Manych-Kultur", das diese Ethnogenese voran trieb, wurde damit zu einem der bedeutendsten Vorfahren-Völker aller heutigen Europäer. Zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil stammen damit alle heutigen Europäer aus - Tscherkessien, bzw. aus dem Nordkaukasus.
Die vormals in der Region des nördlichen Kaukasus lebenden osteuropäischen Jäger und Sammler haben offenbar auf die nachfolgenden Ethnogenesen in diesem Raum keinen genetischen Einfluß mehr genommen. Das kann nur heißen, daß sie in diesem Raum genetisch vollständig "ersetzt" worden sind, sprich, daß sie in diesem Raum ausgestorben sind.
Abb. 4: Die genetischen Verschiebungen innerhalb der Maikop-Kultur 4.500 bis 3.500 v. Ztr. (aus 1 |
Innerhalb des Großreiches der frühen Maikop-Kultur ist es dann - ähnlich wie innerhalb der zeitgleichen Sredni-Stog-Kultur am Unteren Dnjepr zu weiteren Verschiebungen in den Herkunftsanteilen in den vielen "Reichsteilen", bzw. in den vielen dort lebenden Stämmen, Völkern und Sprachgruppen gekommen.
c) Von der Darkveti-Meshoko- zur Nowoswobodnaja- und zur Kura-Araxes-Kultur
Dazu muß zunächst folgendes erläutert werden: Das in der Grafik von Abbildung 4 genannte Dorf Nowoswobodnaja (vormals "Tsarskoy") (Wiki, russ) liegt in dem schon genannten bergigen Waldgebiet von Tscherkessien, 50 Kilometer südöstlich der Stadt Maikop (GMaps). Es weist archäologisch und geschichtlich vielfältige Zeugnisse auf. 1861 traf sich hier der russische Kaiser Alexander II. mit einer Delegation von in der Heimat verbliebenen Tscherkessen zusammen. Zur Erinnerung daran wurde hier 1881 eine Kapelle errichtet. Diese ist heute verfallen.
Innerhalb der archäologischen Forschung hat es in der letzten 100 Jahre viele Erörterungen gegeben zur Datierung und zur geschichtlichen Herkunft und Einordnung der in der Umgebung dieses Dorfes vorgefundenen vielfältigen archäologischen Zeugnisse, sprich, der "Nowoswobodnaja-Kultur" (Wiki, engl). Diese weist nämlich deutliche Eigenständigkeit gegenüber der zeitgleichen Maikop-Kultur auf. Am ehesten dürfte sich der heutige Forschungsstand mit den folgenden Ausführungen decken (Wiki):
Einige Archäologen, darunter Sergei Korenevsky, bevorzugen die Hypothese der Existenz einer allgemeineren Maikop-Nowoswobodnaja-Kulturgemeinschaft, die viele lokale Varianten umfaßte, wie sie beispielsweise in der Siedlung Galjugajewskaja (Bezirk Kurski, Region Stawropol, Rußland) gefunden wurden.Some archaeologists, including Sergei Korenevsky, prefer the hypothesis of the existence of a more general Maykop-Novosvobodnaya cultural community, that included many local variants such as found at the Galyugayevskaya settlement (Kursky District, Stavropol Krai, Russia).
Bei Nutzung einer allen verständlichen Verkehrssprache konnten ja einzelne Regionen der Maikop-Kultur ihre eigene Sprache und Kultur weiter führen. So könnte die staatliche Struktur der Maikop-Kultur modelliert werden. (Nach Wikipedia haben die Archäologen Trifonov und Shishlina erst jüngst wieder bei Nowoswobonaja gegraben. Man darf deshalb auf weitere Erkenntnisse gespannt sein.)
Nach der Genetik handelt es sich bei der Nowoswobodnaja-Kultur (Wiki), berühmt durch ihre vielen Dolmen, um Nachkommen der Darkveti-Meshoko-Kultur. Während es in der übrigen Maikop-Kultur südlich des nördlichen Fußes des Kaukasus während des 4. Jahrtausends noch einmal zur Erhöhung des Kaukasus-iranischen Herkunftsanteils um 28 % gekommen ist (!), hat sich dieser in der Nowoswobodnaja-Kultur sogar auf 42 % erhöht (Abb. 4 von unten: "Maykop" und "Maykop_Novovobodnaya"). Das heißt, daß es zu jenem Zeitpunkt immer noch unvermischte Kaukasus-Jäger-Sammler in abgelegenen Tälern des Kaukasus gegeben hatte, die nun "integriert" wurden, bzw. die womöglich sogar bedeutend zur Ausprägung einer neuen Kultur beigetragen haben. Außerdem nahmen Nachkommen von Menschen der Shulaveri-Shomu-Kultur genetisch Einfluß auf beide Kulturen mit 50 % und 17 % Herkunftsanteilen. Indogermanische Steppen-Genetik kommt in beiden Kulturen, gelegen nördlich des Hauptkammes des Kaukasus nicht vor. Das schließt aber - wie schon gesagt - nicht aus, daß kulturell oder sogar sprachlich indogermanische Einflüsse unterstellt werden müssen im Verlauf der hier stattfindenden Ethnogenesen. Schließlich hatte sich Steppen-Genetik ja zwischenzeitlich schon - vermutlich über den Gebirgspaß der nachmaligen "Georgischen Heerstraße" (Wiki) - bis in die Areni-Höhle im heutigen nördlichen Armenien ausgebreitet, weit südlich des Hauptkamms des Kaukasus. Und sie breitete sich dort in weiteren Jahrhunderten - mit der Kura-Araxes-Kultur bis ins Innere Anatoliens aus.
Da die Lebensweise der aus der Nowoswobodnaja-Kultur hervorgehenden Kura-Araxes-Kultur mit ihrer Halbseßhaftigkeit in abgelegeneren Siedlungsräumen zwischen den vollneolithischen Dörfern und Städten Anatoliens sehr derjenigen zeitgleicher indogermanischer Kulturen in Europa ähnelt, wird schon seit längerem vermutet, daß die Kura-Araxes-Kultur Anatoliens kulturell vom Volk der Frühen Urindogermanen beeinflußt gewesen ist. Gegebenenfalls hat sie sogar schon (Verkehrs-)Sprachen in Anatolien verbreitet, die von der Sprachforschung heute vom Frühen Urindogermanischen abgeleitet werden und die sich zumindest in nachfolgenden Jahrtausenden dann in Anatolien finden (Hethitisch, Lykisch, Lydisch usw., will heißen die anatolischen indogermanischen Sprachen) (Wiki). Wir lesen in einem späteren Abschnitt der Studie (1):
Individuen, die mit der Kura-Araxes-Kultur in Georgien (3600/3300–2400 cal v. Chr., n = 6) in Verbindung gebracht werden, stimmen in der PC- wie in der ADMIXTURE-Analyse mit schon bekannten Kura-Araxes-Individuen aus Armenien und Dagestan ebenso wie mit Maykop-Individuen überein (...), was auf eine Kontinuität des Kaukasus-Abstammungsprofils während der Mittleren Bronzezeit hindeutet, jedoch auch auf Heterogenität zwischen verschiedenen Kura-Araxes-Gruppen (Supplementary Table 14). Wenn Maykop-Gruppen als einzige Herkunfts-Quelle unterstellt werden, gelangt man zu gut passenden Herkunfts-Modellen (von P = 0,09 bis P = 0,7; Supplementary Table 15), wobei Maykop_Novosvobodnaya die beste Quelle für Kura-Araxes-Individuen aus Georgien und Armenien darstellt (Berkaber, Kalavan, Karnut und Shengavit) und Maykop als paßendste Herkunfts-Quelle für Talin (P = 0,2). Im Gegensatz dazu werden zur Herkunfts-Modellierung von Individuen aus Kaps in Armenien oder Velikent in Dagestan zusätzliche Herkunft aus Armenia_C oder Iran_C benötigt, bzw. aus beiden.Individuals associated with the Kura–Araxes culture in Georgia (3600/3300–2400 cal bc, n = 6) fall close in PC space and ADMIXTURE with published Kura-Araxes individuals from Armenia and Dagestan, as well as Maykop individuals (Figs. 2b and 3a and Extended Data Fig. 2), suggesting continuity of the Caucasus ancestry profile during the MBA, but with heterogeneity20 among different Kura–Araxes groups (Supplementary Table 14). Using Maykop groups as a single source results in well-fitted models (from P = 0.09 to P = 0.7; Supplementary Table 15), with Maykop_Novosvobodnaya as the best source for Kura–Araxes individuals from Georgia and Armenia (Berkaber, Kalavan, Karnut and Shengavit), and Maykop as the best source for Talin (P = 0.2). By contrast, individuals from Kaps in Armenia or Velikent in Dagestan require additional ancestry from either Armenia_C or Iran_C, or both.
Talin (Wiki) ist eine Kleinstadt im Nordwesten Armeniens. Der Satz, daß "Maykop_Novosvobodnaya die beste Quelle für Kura-Araxes-Individuen aus Georgien und Armenien darstellt", dürfte für mancherlei Erkenntnisschübe im Verstehen der sprachgeschichtlichen Zusammenhänge beitragen. Aber auch hier wird noch einmal deutlich, mit was für komplexen Ethnogenese-Prozessen man es im Kaukasus zu tun hat. Daß hier die Nowoswobodnaja-Kultur als eine wesentliche Ursprungs-Kultur der Kura-Araxes-Kultur angesprochen wird, dürfte, soweit uns das erkennbar ist, gerade für eine "kleine" Sensation innerhalb der Archäologie und innerhalb der historischen Sprachwissenschaften sorgen. Denn wir finden bis dato Zusammenhänge zwischen der Nowoswobodnaja- und der Kura-Araxes-Kultur auf keinem Wikipedia-Artikel erwähnt (weder auf dem deutschen, englischen oder russischen). Das könnte bedeuten, daß man diese Zusammenhänge bisher von archäologischer Seite aus bislang so deutlich nicht gesehen hatte.
d) Westsibirische Herkunft - Sie kommt in die Steppen-Maikop-Kultur hinein und verliert sich dann wieder
Innerhalb der Steppe kommt es aber erstaunlicherweise noch zu bedeutenden genetischen Verschiebungen. Und zwar zu einer hälftigen Einmischung von Menschen westsibirischer, genetischer Herkunft. Dies ist auch der wichtigste Herkunftsanteil der frühen, recht europäisch aussehenden Wüstenmumien in der Taklamakan in Innerasien - wie wir erst seit zwei bis drei Jahren wissen (Stgen2022).
Zwei Mißverständnissen darf man in diesem Zusammenhang nicht verfallen. Erstens: Diese "westsibirische Herkunft" darf nicht mit der Naganasan-Herkunft verwechselt werden, die sich erst später in Westsibirien ausgebreitet hat, und die den Kern der finno-ugrischen Völkergruppe bildete und die mit einem deutlich asiatischeren Menschentypus einher geht. Zweitens: Die in der Studie diesbezüglich erwähnte Botai-Kultur trug selbst nur 25 % westsibirischer Herkunft in sich (und zu 75 % osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunft), insofern dürfte explizit diese keineswegs als der eigentlich Ursprung dieser Beimischung infrage kommen. Es darf aber daran erinnert werden, daß die viel später lebenden Altai-Skythen, bzw. die Pazyryk-Kultur 20 bis 40% westsibirische Genetik aufweisen, und daß die vielleicht in der Pazyryk-Kultur wurzelnden Turkvölker bis heute - zumindest kulturell - als Repräsentanten dieser Herkunftsgruppe gelten können. Auch die germanische Gott-Vorstellung Odin und die ihnen ähnelnden Narten-Sagen des Kaukasus könnten ja von den Sarmaten und Alanen in der Eisenzeit von den Altai-Skythen übernommen und nach Westen in den Kaukasus und in den germanischen Bereich Europas übermittelt worden sein (siehe andere Beiträge hier auf dem Blog: Stgen2020, Stgen2024).
Von der fast vollneolithisch anmutenden Kelteminar-Kultur (Wiki) südöstlich des Kaspischen Meeres wird man zunächst annehmen können, daß ihre Träger rein iranisch-neolithischer Herkunft waren. Von dort ausgehend wird sich diese Herkunft entlang der Wolga nach Norden ausgebreitet haben. Aber nördlich der Kelteminar-Kultur könnte die westsibirische Herkunft die Hauptrolle gespielt haben. Und in diesem Raum könnten sich Angehörige des Volkes der Frühen Urindogermanen mit Angehörigen der westsibirischen Herkunftsgruppe vermischt haben.
Auf jeden Fall überraschend, daß es auch schon zu so früher Zeit zur Vermischung zwischen urindogermanischer und westsibirischer Herkunft gekommen ist, auch wenn sich die Nachkommen dieser Vermischung offenbar nicht nachhaltiger in der turbulenten Weltgeschichte nördlich des Kaukasus scheinen gehalten zu haben.
Wie aber war es zu dieser westsibirischen Einmischung gekommen? Das Verbreitungsgebiet der westsibirischen Völkergruppe erstreckte sich zumindest bis in die Nähe des Ostufers des Kaspischen Meeres. Die Chwalynsk-Kultur hatte sich nicht nur westlich der Wolga, sondern insbesondere auch in der frühen Phase ihrer Ausbreitung am Ostufer der Wolga und des Kaspischen Meeres nach Süden ausgebreitet - wie man entsprechenden Verbreitungskarten entnehmen kann. Also ostwärts der nachmaligen Handelsstadt Astrachan an der Wolga (Abb. 5: 1a) und ostwärts des Nordostufers des Kaspischen Meeres (Abb 5: 1c).
Offenbar hat sich in diesem Bereich oder von diesem Bereich ausgehend eine neue Misch-Population gebildet, die sich dann hinwiederum über die Wolga hinweg nach Westen ausgebreitet hat und die dort vorherrschende Steppen-Maikop-Kultur mit reiner indogermanischer Steppen-Genetik zu größeren Teilen ersetzt hat. Vielleicht waren auch größere Teile der dortigen Bevölkerungen nach Westen oder nach Süden über den Kaukasus hinweg abgewandert. In der Studie heißt es zu dieser Verbindung mit westsibirischer Herkunft (1):
Diese Verbindung ist rätselhaft und steht bisher mit keinem bekannten archäologischen Phänomen in Zusammenhang.This link is enigmatic and not yet related to any known archaeological phenomenon.
Diese hälftig westsibirische Steppen-Maikop-Kultur hat dann im Bereich Nowoswbodnaja 41 % der dortigen Herkunft neu eingebracht (Abb. 4: "Steppe_Maykop_oulier_1"), während Menschen der Nowoswobdnaja-Kultur 38 % Herkunft zu einer weiteren Unterpopulation der Steppen-Maikop-Kultur beigetragen haben (Abb. 4: "Steppe_Maykop_outlier_2"). Aber diese Unterpopulationen haben offenbar auf spätere Ethnogenesen keinen Einfluß mehr ausgeübt, sind also - nach derzeitigem Kenntnisstand - genetisch ausgestorben.
Es wird dennoch insgesamt deutlich, welch eine Dynamik es in den Völkerbewegungen insbesondere nördlich des Kaukasus vor, während und nach der der Maikop-Kultur gegeben hat. Unter dem Dach des anzunehmenden Großreiches der Maikop-Kultur haben sich über die Jahrhunderte immer wieder beträchtlich unterschiedliche Ethnogenese-Prozesse und Herkunftsverschiebungen ergeben, die insbesondere auch mit Halbseßhaftigkeit zu tun gehabt haben. Dieser Umstand ist jedenfalls in ein allgemeineres Bild der Geschichte der Maikop-Kultur einzufügen. Hierfür die angemessenen Interpretationen und Deutungen zu liefern, wird sicherlich die Aufgabe der diese Region bearbeitenden Archäologen der nächsten Jahre sein.
Nach 3.300 v. Ztr. - Die Jamnaja-Kultur
Als nächstes tritt dann die Jamnaja-Kultur in der Steppe nördlich des Kaukasus auf. Sie weist ihre wiederum ganz eigene, spezifische Genetik auf, die unabhängig von westsibirischen genetischen Einflüssen entstanden ist, und deren Entstehungsprozeß schon im Frühjahr 2024 geklärt worden ist und in mehreren Blogartikeln hier auf dem Blog behandelt worden ist. Das westsibirisch-indogermanische Mischvolk der Steppen-Maikop-Kultur wird also wiederum genetisch vollständig von den Jamanja ersetzt. Vielleicht hat sich das westsibirisch-indogermanische Mischvolk der Steppen-Maikop-Kultur bei der Eroberung der Tripolje-Cucuteni-Kultur um 3.500 v. Ztr. "verbraucht" (?) (s. Stg2022).
Die Jamnaja-Kultur findet sich in der Folge-Grafik (Abb. 6) als "Yamnaja_North_Caucasus" und "North_Caucasus (NCC)" dargestellt mit der Zeitstellung 2.500 v. Ztr.. Allerdings suggeriert die Grafik, daß die Einmischung von 15 % Ukrainisch-neolithischer Herkunft zeitgleich zur Einmischung von 15 % Nowoswobodnaja-Herkunft geschehen sei. Das ist natürlich nicht der Fall. Die erstere Einmischung hatte sich ab 3.300 v. Ztr. bei den Kern-Jamnaja am Unteren Dnjepr etabliert, die letztere Einmischung wird erst stattgefunden haben, nachdem die Jamnaja sich bis an den Fuß des Kaukasus und womöglich darüber hinaus ausgebreitet hatte.
Es tritt also im Nord-Kaukasus noch ein 21%iger Herkunftsanteil der Nowoswobnaja-Kultur hinzu (wobei die westsibirische Herkunftskomponente wiederum keine Rolle gespielt hat, was zeigt, daß es unvermischte Nowoswobodnaja-Menschen weiterhin und parallel zu den Menschen mit westsibirischer Einmischung gegeben hatte).
Abb. 6: Ethnogenesen rund um den Kaukasus um 3.000 v. Ztr. |
Von der Jamanaja-Kultur zur Katakombengrab-Kultur hat es dann nördlich des Kaukasus offenbar 100%ige genetische Kontinuität gegeben (s. Abb. 6: "Catacomb"). Der Nowoswobnaja-Herkunftsanteil sinkt allerdings in dieser Zeit im Nordkaukasus von 21% auf 15% (s. Abb. 6: "Catacomb").
Ab 2.400 v. Ztr.
Der Grund dafür, daß in Abbildung 6 "North_Caucasus" und "Yamnaja_North_Caucasus" unterschieden werden, obwohl die Unterschiede in den Herkunftsanteilen zwischen beiden nicht sehr groß sind, wird erst deutlich, wenn man sich Abbildung 7 ansieht. Auf dieser kann nämlich nachvollzogen werden, daß regionale Untergruppen der Kura-Araxes-Kultur ab 2.400 v. Ztr. durch unterschiedlichen Zustrom von Jamanaja-Genetik gekennzeichnet sind.
Diese Veränderungen ab 2.400 v. Ztr. vollziehen sich zeitgleich und parallel zur Ankunft von Steppengenetik in Nordgriechenland und von dort aus dann im übrigen Griechenland.
Abb. 7: Ethnogenesen rund um den Kaukasus um 2.000 v. Ztr. |
a) Jamnaja-Genetik kommt in den Kaukasus und nach Armenien und bleibt in den Kaukasus-Völkern bis heute erhalten
Ab 2.200 v. Ztr. mischte sich 36 % Jamnaja-Genetik bei den Kura-Araxes-Leuten der Region Berkaber (Wiki) in Nordarmenien ein (Abb. 7: "Caucasus_MBA"). Mit ihnen kam die Sprache des Armenischen nach Armenien.
Kurze Zeit später mischten sich ab 2.100 v. Ztr. zu 21 % Nachkommen von Kura-Araxes-Leuten aus der Region Berkaber in Nordarmenien bei Jamnaja-/Nach-Katakombengrab-Leuten in der Steppe nördlich des Kaukasus ein (Abb. 7: "Post_Catacomb"). Womöglich sind sie als Frauen in Nordarmenien geraubt worden oder sonst als Sklaven über den Kaukasus geholt worden?
Ab 2000 v. Ztr. leben in Nordossetien in der Region des Berges Arkhon (4.100 m) und des von dort nach Norden abfließenden Flusses Arkhon und der dortigen heutigen Landschaftsschutzgebiete (unter anderem Arkhonskiy Pereval GMaps), etwa 63 Kilometer südwestlich von Wladikawkas, der heutigen Hauptstadt der Republik Nordossetien-Alanien, Menschen, die zur Hälfte Jamnaja- und zur anderen Hälfte Kura-Araxes-Genetik in sich trugen (Abb. 7: "Arkhon").
Im Osten des Kaukasus kommt es nur zu einem Zustrom von elf Prozent Jamnaja-Genetik (Abb. 7: "Highland_MBA_east"). Und diese Genetik hält sich dort bis 1500 v. Ztr. (Abb. 7: "Highland_LBA_east"). In der Studie heißt es dazu (1):
Individuen aus der letzten Phase der Mittleren Bronzezeit und der Späten Bronzezeit des Kaukasus-Clusters sind in der Hauptkomponentenanalyse deutlich nach oben in Richtung des Steppen-Clusters verschoben (...). Dies ist das erste Mal, daß sich vorgeschichtliche Individuen in der Hauptkomponentenanalyse mit heutigen Populationen decken.The final MBA and LBA individuals from the Caucasus cluster are markedly shifted upwards on PC2 towards the Steppe cluster (Fig. 3b). This marks the first time in which ancient individuals fall within the same PC space as present-day populations.
Diese Ausführungen beziehen sich auf die Hauptkomponenten-Analyse in Abbildung 8. Das heißt, daß die heutigen Völker des Kaukasus im Groben seit der Späten Bronzezeit genetische Kontinuität aufweisen, daß sie auch heute zwischen elf und 36 % Jamnaja-Genetik aufweisen. Das gilt auch für die Herkunftszusammensetzung seither in Armenien.
b) Westsibirische Genetik kommt in die Steppe nördlich des Kaukasus
Zeitgleich kommt es ab etwa 2.200 v. Ztr. erneut zu einem Zustrom von westsibirischer Genetik aus der Gegend von Kumsay in Kasachstan ("ANE") in die Steppe nördlich des Kaukasus (Abb. 7: "Lola_1" und "Lola_2"). Wie wir in Abb. 8 sehen, steht diese "Kumsay-Genetik" der Genetik der Okunew-Kultur (Wiki, engl) sehr nahe, die eine sehr charakteristische Kulturgestaltung aufweist (vielleicht Ähnlichkeit aufweist mit der Kultur der Wüstenmumien der Taklamakan [?]). Aus dieser Kultur sind auch viele Rinderwagen-Darstellungen bekannt. In der Okunew-Kultur lag nun nicht nur westsibirische Herkunft vor, sondern auch Jamnaja- und Baikal-Genetik.
Womöglich ist diese Einmischung nun wiederum ermöglicht worden dadurch, daß zuvor in der Steppe ansässige Jamnaja-/Katakombengrab-Stämme nach Süden in den Kaukasus und nach Armenien abgewandert waren. In der Population "Lola_1" vermischen sich zwei Drittel Okunew-Genetik mit einem Drittel Jamnaja-Genetik. Damit wird die Jamnaja-Genetik insgesamt sicherlich mehr als die Hälfte betragen haben in der resultierenden Bevölkerung.
Die Ortschaft Kumsay (GMaps) liegt etwa 20 Kilometer östlich der Ortschaft Bayganin (Wiki) und Bayganin hinwiederum liegt etwa 350 Kilometer nordöstlich des Wolgamündung (GMaps). Dies könnte durchaus auch die Region sein, aus der das erste mal (siehe oben) westsibirische Genetik in die Steppe nördlich des Kaukasus gekommen war.
c) Schnurkeramik-Genetik kommt in die Nordschwarzmeer-Steppe - Die Ethnogenese der Skythen
Ab 1400 v. Ztr. vermischen sich Sintashta-Leute, also Nachkommen der ostmitteleuropäischen Schnurkeramik-Kultur, die tausend Jahre zuvor das erste Volk waren, das Streitwagen benutzte, und deren Nachkommen zeitgleich in Indien als "Arier" auftreten (s. Stg2020, Stg2021), irgendwo in der Nordschwarz-Meer-Steppe mit Jamnaja-Leuten hälftig zur Srubnaja-Kultur (Wiki, engl) und breiten sich als solche bis an den Fuß des Kaukasus aus (Abb. 7: "Srubnaya"). Hier kam also indogermanische Schnurkeramik-Genetik mit indogermanischer Jamnaja-Genetik zusammen.
Im westlichen Kaukasus mischen sich dann 31 % Srubnaya-Leute mit dort noch unvermischt lebenden Nachkommen von Kura-Araxes-Leuten (Abb. 7: "Highland_LBA_west").
Ab 1100 v. Ztr. entstehen die Skythen der dortigen Steppe als Vermischung aus 33 % Srubnaja-Genetik mit 67 % Lola_1-Genetik (Abb. 7: "Steppe_Prescytian"). Da die Lola_1-Genetik zu mehr als der Hälfte aus Jamnaja-Genetik bestand, tragen die dabei entstehenden Skythen in sich - grob - 70 % Jamnaja-Genetik und 30 % westsibirische- und Baikal-Genetik (wobei die Schnurkeramik-Genetik innerhalb des Steppen-Genetik-Anteils auch Kugelamphoren-Genetik beinhaltete).
Abb. 8: Vorgeschichtliche Populationen des Kaukasus (farbig) nähern sich bis 1200 v. Ztr. genetisch den heutigen Populationen des Kaukasus (grau hinterlegt) an (aus 1) |
In Abb. 8 werden die neu sequenzierten vorgeschichtlichen Menschenfunde in der Hauptkomponentenanalyse dargestellt vor dem Hintergrund der grau dahinter gelegten heutigen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Völkern des Kaukasus (basierend auf 102 sequenzierten Individuen). Die schwarz umrandeten Zeichen sind Individuen, die für diese Studie neu sequenziert worden sind, die anderen Zeichen markieren Individuen, die schon in anderen Studien sequenziert worden waren. Links, a) die Individuen aus dem Zeitraum 3.900 bis 2.100 v. Ztr. (3. Jahrtausend v. Ztr.), rechts, b) die Individuen aus dem Zeitraum 1.900 bis 1.100 v. Ztr. (2. Jahrtausend v. Ztr.).
Wir sehen, daß links (a) Kaukasus- und Steppen-Cluster genetisch noch getrennt bleiben, während es rechts (b) zur umfangreicheren Vermischung zwischen beiden Clustern sowohl in der Steppe wie im Nordkaukasus und und Armenien kommt.
Die gestrichelten Linien mit Pfeilen deuten die erst in letzterem Zeitraum geschichtlich breiter auftretenden Vermischungen zwischen den Nach-Jamnaja-Volksstämmen in der Steppe und den Nach-Kura-Araxes-Gruppen im Kaukasus an. Außerdem wird das Hereinkommen der Okunew-Genetik mit einem gestrichelten Pfeil angedeutet.
Als Ergebnis nähern sich die Menschenfunde des 2. Jahrtausends v. Ztr. der Herkunftszusammensetzung an, wie sie im Wesentlichen bis heute weiter besteht. Dabei bleibt die vormalige Kaukasus-Genetik auf der Südseite des Hauptkammes in weiteren Teilen erhalten, während die Völker auf der Nordseite des Kaukasus bis heute zwischen 10 und 30 % Steppengenetik in sich tragen. Dieser Umstand mag sich mit dem späteren Hereinkommen der Skythen und Sarmaten noch einmal leicht in Richtung westsibirischer Genetik verschoben haben.
Die Veränderungsbereitschaft und Wandelfreude in der Steppe
Die Studie geht davon aus, daß der verwandtschaftliche Zusammenhalt und die verwandtschaftliche Kontinuität der Bauernkulturen des Kaukasus rund um eine jeweilige Grabstätte deutlich höher war als in den Steppen-Kulturen nördlich des Fußes des Kaukasus. Es finden sich in den Kurganen der Steppe nur in Ausnahmefällen gleichzeitig lebende Verwandte miteinander bestattet. Noch weniger finden sich Menschen in Generationenabfolge innerhalb desselben Grabhügels bestattet. Dieser Umstand macht im ganz Besonderen deutlich, welche umfassenden Folgen die halbseßhafte Lebensweise in der Steppe mit sich gebracht hat. Selbst wenn eine Kultur und Herkunftsgruppe als solche längere genetische und kulturelle Kontinuität innerhalb eines bestimmten Gebietes aufweist, bringt es offenbar die Halbseßhaftigkeit mit sich, daß immer wieder andere Familien in einem jeweiligen Kurgan vor Ort ihre Toten bestattetet haben. Kurgane sind in keinem Fall "Familiengrablegen", sondern einfach nur Stätten, wo man Gestorbene begräbt - wenn man gerade in ihrer Nähe ist und einen Gestorbenen hat!
Der verwandtschaftliche Zusammenhalt in den Steppen-Kulturen muß deshalb nicht so wesentlich geringer gewesen sein. Aber es gab eben eine viel höhere Mobilität, Veränderungsbereitschaft und vermutlich deshalb auch Veränderungsnotwendigkeit in diesen Kulturen. Genau das spiegelt sich ja auch in den vielen Ethnogenesen in der Steppe und von der Steppe ausgehend über die Jahrhunderte hinweg wider. In Trockenjahren mußten weit entlegene Weidegründe aufgesucht werden. In guten Jahren kamen dann womöglich wieder ganz andere Gruppen vor Ort - womöglich auch genetisch inzwischen neu formierte. In der Studie heißt es über die diesbezüglichen Verhältnisse vor 2.400 v. Ztr. (1):
Alle mit dem Piedmont assoziierten Maikop-Individuen sind geprägt von kaukasischer Herkunft, die sie von südneolithischen und eneolithischen Gruppen geerbt haben. Diese Gruppen wurden wahrscheinlich durch die Aufrechterhaltung enger Verwandtschaftsbeziehungen in zusammenhängenden Gemeinschaften aufrechterhalten, was sich auch in gemeinsamen architektonischen Konstruktionsmerkmalen in einigen Maikop-Hügeln widerspiegelt. Im Gegensatz dazu deuten die genetische Variabilität und die Seltenheit enger biologischer Beziehungen in den vier Steppen-eneolithischen Gruppen auf unterschiedliche und flexiblere Verwandtschaftsstrukturen hin, die das Fortbestehen unterschiedlicher kultureller Praktiken widerspiegeln.All piedmont-associated Maykop individuals carry Caucasus ancestry inherited from southern Neolithic and Eneolithic groups, which was probably maintained by keeping close kinship ties in cohesive communities, also reflected in shared architectural construction features in some Maykop mounds. By contrast, the genetic variability and scarcity of close biological relationships in the four Steppe Eneolithic groups suggest different and more flexible kin structures, which echo the persistence of varying cultural practices.
Das ist natürlich noch sehr zurückhaltend und abstrakt formuliert.
Ein anderer Unterschied, der hier nicht thematisiert ist, auf den wir aber auch erst jüngst gestoßen waren (s. Stgen2024), ist ja auch der, daß den Gräbern in der Steppe ganze Rinderwagen mit ins Grab gegeben worden sind, während den Gräbern im Gebirge die ziehende Ochsen mit ins Grab gegeben worden sind. In der Tat weisen ja noch die Konstruktionsmerkmale der Kurgane der Jamnaja-Kultur vergleichsweise hohe Variabilität auf.
Womöglich wird man deshalb schlußfolgern können: Die Steppe selektierte Menschen in Richtung auf Veränderungsbereitschaft. Nur wer langfristiger veränderungsbereit war, war befähigt, als Familie und Kultur in einer nicht durch dichte bäuerlich Besiedlung erschlossenen Steppe zu überleben. Ist es dieser Umstand, der dem Naturraum Steppe als Ursprungsraum von neuen, viel veränderungsbereiteren Völkern eine so große Bedeutung für die Menschheitsgeschichte seither gab? Veränderungsfreudigere indogermanische Völker treffen seither rund um den Erdball auf beharrungsfreudigere Völker. Und indem es - immer wieder - zur Vermischung von beiden Völkereigenschaften kam, wurden die bisherigen beharrungsfreudigeren Völker zu größerer Veränderungsfreude hinüber gerissen. Zugleich wurde die Veränderungsfreude abgebremst und "gezügelt" durch die Beharrlichkeit und konservativere Lebenshaltung der Bauernvölker, mit denen sich die zuwandernden Indogermanen vermischten.
Das würde heißen: Die Nordschwarzmeer-Steppe mit ihren Klimaschwankungen selektierte die Menschen in Richtung Veränderungsbereitschaft. "Konservative" Menschentypen konnten als Hirten in der Steppe nicht überleben. Nur wer bereit war, "alles hinter sich zu lassen", völlig neue Weidegründe aufzusuchen, nicht an alten Gewohnheiten zu kleben, überlebte auf Dauer in der Steppe.
Der soziale, demographische und gesellschaftliche Erfolg der seit 10.000 v. Ztr. evoluierten neolithischen Bauerngesellschaften, sowie ihre Evolutionsstabilität beruhten sozusagen genau auf dem Gegenteil. Sie beruhten darauf, daß in ihnen ein vorwiegend konservativer, beharrlicher Menschentyp selektiert worden war. Das ist sehr deutlich erkennbar zum Beispiel an der Bandkeramik: Über das weite Verbreitungsgebiet der Bandkeramik hinweg - von der Kanalküste bis östlich der Karpaten - gleichen die Siedlung nach vielen Merkmalen hin wie ein Ei dem anderen. Das heißt: Ein erfolgreiches gesellschaftliches Lebensmodell wurde beharrlich über die Generationen hinweg kopiert und noch einmal kopiert, in ganz neue Lebensräume getragen und auch dabei so gut wie gar nicht verändert.
Auf diese Weise mag die "weltgeschichtliche Bühne" vorbereitet worden sein, auf der dann die veränderungsbereiten Indogermanen ihr weltgeschichtliches Feuerwerk abbrennen konnten.
Dieser Blogbeitrag hat sich redlich bemüht, die genannte Studie (1) auszuwerten. Wie deutlich wird, werden durch diese Studie eine Fülle von Geschichtsepochen und damit verbundenen Völkerbewegungen abgedeckt. Deshalb kann natürlich weder garantiert werden, daß wirklich alle wesentlichen Erkenntnisse von uns schon heraus destilliert worden sind, noch auch, daß jede einzelne Erkenntnis von uns schon präzise richtig verstanden und eingeordnet worden ist. Solche Dinge können dann ggfs. künftig noch ergänzt und korrigiert werden.
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*) Ein Tagungsbeitrag auf einer Archäologen-Tagung in Budapest im April 2024 hatte uns im August 2024 sehr erwartungsvoll gestimmt gegenüber der baldigen Veröffentlichung einer neuen archäogenetischen Studie (Stgen2024). Diese Studie ist vor zwei Wochen in der Fachzeitschrift "Nature" erschienen (1). Die Archive jener Institute, die in den letzten Jahrzehnten mit der archäologischen Erforschung des Kaukasus und der Steppe nördlich davon befaßt gewesen sind, sind ein weiteres mal nach noch nicht sequenzierten Skelettresten durchkämmt worden, so daß mit dieser Studie die Archäogenetik-Daten für die Region rund um den Kaukasus grob verdoppelt wird mit neuen 102 Individuen von 38 archäologischen Fundorten für einen Zeitraum von 6.000 Jahren. Von diesen 102 Individuen stammen ...
- 7 aus Mesolithikum und Neolithikum,
- 11 aus dem 5. Jahrtausend v. Ztr.,
- 30 aus dem 4. Jahrtausend v. Ztr.,
- 51 aus dem 3. Jahrtausend v. Ztr. und
- 42 aus dem 2. Jahrtausend v. Ztr..
________
- Ghalichi, A., Reinhold, S., Rohrlach, A.B. et al. The rise and transformation of Bronze Age pastoralists in the Caucasus. Nature (2024). https://doi.org/10.1038/s41586-024-08113-5 (Nature 30 October 2024)
- Henry M. Mix: Der Große Kaukasus - Rußlands Dach der Welt. Expeditionen ins Tierreich (NDR 05.01.2022)
- Dergachev, V. A.: О скипетрах, о лошадях, о войне: этюды в защиту миграционной концепции М.Гимбутас (On sceptres, on horses, on war: Studies in defence of M. Gimbutas’ migration concepts), 2007 (Scribd)
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