Freitag, 11. Oktober 2024

Brückenkopf Nikopol Februar 1944 - Abschnürung und Ausbruch

Verteidigung und Räumung des Brückenkopfes Nikopol durch das Armeekorps Schörner
- Die Schlacht am Unteren Dnjepr 1943/44 - Teil 3

Der Kampf um den Brückenkopf Nikopol zwischen November 1943 und Februar 1944 hätte - wenn es nach dem Willen des befehlenden Generals Erich von Manstein gegangen wäre - nicht mit dem Verlust alles eingesetzten deutschen Materials an schweren Waffen und Fahrzeugen, der Ausrüstung von elf Divisionen enden müssen so wie es dann Mitte Februar 1944 geschehen ist, da die Fahrzeuge auf dem Rückzug im Schlamm stecken geblieben sind und aufgegeben werden mußten. Manstein hatte eine rechtzeitige Räumung des Brückenkopfes vorgeschlagen. Der Oberbefehlshaber Adolf Hitler hatte sich dagegen entschieden.

Abb. 1: "Nikopol 1944" (Reibt) - Deutsche Panzer - vermutlich auf dem Weg, die Durchbrüche der Sowjets von Norden her auf den Brückenkopf zu stoppen oder zu verlangsamen

Im folgenden soll ein grober Überblick über die Abläufe gegeben werden. Es wird deutlich werden, daß an vielen Stellen noch viele Einzelheiten hinzugefügt werden könnten. Zu viele Divisionen waren beteiligt. Zu wechselnd das Bild, an zu vielen unterschiedlichen Orten gleichzeitig vollzog sich das Geschehen.

Aber es haben sich doch auch erstaunlich viele Amateur-Fotografien von deutschen Soldaten aus den Kämpfen rund um Nikopol - und zum Teil auch Kriwoi Rog - erhalten. Sie werden gegenwärtig von ukrainischen Lokalhistorikern vor Ort gesammelt (s. z.B. Reibert). Auch viele Todesanzeigen von gefallenen deutschen Soldaten in deutschen Zeitungen, die in der Region gefallen sind, sind da zusammen gestellt. Zumindest für Kriwoi Rog wird auch die deutsche Besatzungszeit von örtlichen Historikern, Journalisten und Interessierten aufgearbeitet. Das von Lokalhistorikern gezeichnete Bild ist da mitunter doch facettenreicher ist als man es bislang gekannt und vermutet hatte.

Eine erste Phase der freundlichen Zusammenarbeit zwischen den Deutschen und den ukrainischen Nationalisten bis Winter 1942, die eine umfangreiche Förderung des ukrainischen Kultur- und Bildungswesens mit einschloß, wird da unterschieden von einer zweiten Phase, in der man deutscherseits den Ukrainern keine Schulbildung mehr über das 14. Lebensjahr hinaus zugestehen wollte (Literatur dazu schon im letzten Beitrag).

Zu der deutschen Besatzungspolitik innerhalb der Ukraine gibt es also auf den ersten Blick kein einheitliches Bild. Offenbar sind die ukrainischen Nationalisten - im Gegensatz zu der freundschaftlichen Zusammenarbeit mit Erich Ludendorff im Jahr 1918 - im Jahr 1941 sehr früh auf sehr deutliche Distanz gegangen zu einer Zusammenarbeit mit den Deutschen. Sie wurden von deutscher Seite vor den Kopf gestoßen, als gleich am Anfang des Krieges gegen die Sowjetunion deutlich wurde, daß von deutscher Seite aus die Gründung eines ukrainischen Staates nicht vorgesehen war. Dieser Umstand spiegelt sich unter anderem in der Geschichte des Bataillons Nachtigall (Wiki) wieder. Auf dem ukrainischen Wikipedia-Artikel zur "Organisation ukrainischer Nationalisten" (OUN) wird all das schon vergleichsweise differenziert dargestellt (Wiki):

Deutschen Dokumenten zufolge änderte sich die Situation nach (einer Zeit) der loyalen Haltung der OUN und einer gewissen Zusammenarbeit mit der "Abwehr" (dem deutschen militärischen Geheimdienst) in der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs im August-September 1941 radikal. Die erste Welle von Massenverhaftungen von Mitgliedern der OUN(b) erfolgte auf geheimen Befehl des Chefs des RSHA, Reinhard Heydrich. 1.500 Menschen wurden verhaftet, mehrere Hundert davon in Wolhynien. Bis November 1941 hatten sich die Beziehungen zwischen der OUN (b) und Deutschland so stark verschlechtert, daß am 25. November 1941 eine geheime Weisung der deutschen Polizei „014-UdSSR“ erlassen wurde, aus der hervorgeht, daß die Gruppe um Bandera einen Aufstand im Reichskommissariat vorbereiten würde und daß alle als Plünderer zu verhaften, zu verhören und zu eliminieren seien.

In Kriwoi Rog dauerte allerdings die freundschaftliche Zusammenarbeit - nach den örtlichen Historikern - zumindest was die Förderung des ukrainischen Kultur- und Bildungssektors von deutscher Seite aus betrifft, noch bis zum Winter 1942 an. Auf solche Umstände ist unserer Kenntnis nach in der deutschen öffentlichen Berichterstattung noch nie hingewiesen worden. Vielleicht ist das in deutschsprachiger wissenschaftlicher Spezialliteratur vergraben. Am ehesten finden sich noch Hinweise z.B. auf die 14. Waffen-SS-Grenadier-Division „Galizien“ (Wiki), deren Angehörige Ende 1943 im Raum um Lemberg rekrutiert worden sind, und an die vor Ort gelegentlich in den letzten Jahren noch erinnert wird (Welt/oD).

Der Angriff zum Abschnüren des Brückenkopfes Nikopol ab 30. Januar 1943

Aber nun zu den deutschen Verteidigungsbemühungen im Brückenkopf von Nikopol 1943/44. An der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol verteidigte nordöstlich von Kriwoi Rog das LVII. Panzerkorps, an dessen rechtem Flügel die 62. Inf. Div. stand, sowie beiderseits der Ortschaft Sofijewka (Wiki) (GMaps) am Fluß Kamenka die hessische 15. Inf. Div. (letztere mit ihrem 106. und 81. Gren. Reg.). Dann folgte weiter östlich das deutsche XXX. Armeekorps mit der 123. Inf. Div. (nicht eingezeichnet) und der 16. Pz.Gren.Div. an seinem linken Flügel (Willmer1968) (s. Abb. 2). Beim XXX. Armeekorps wurde Ende Januar von deutscher Seite her entsprechend der Feindaufklärung der gefährlichste, massivste Durchbruch erwartet.

Abb. 2: Der Angriff an der Nordfront des Brückenkopfes am 30. Januar 1944 auf das LVII. Panzerkorps und das XXX. Armeekorps - Von Westen nach Osten gehörten zum LVII. PzK die 62. Inf. Div. und die 15. Inf. Div. (mit 106. und 81. Gren. Reg.). Dann folgt das XXX. AK mit 123. Inf. Div. (nicht eingezeichnet) und 16. Pz. Div. (aus: Willmer1968)

Nach einer Divisionsgeschichte der 15. Infanterie-Division aus dem Jahr 1968 wird festgehalten (n. Willmer1968):

Am 30. Januar 1944 beginnt Punkt 4:00 Uhr bei völliger Dunkelheit mit einem gewaltigen Trommelfeuer die Schlacht. Die Lage der Einschläge war vom Divisionsgefechtsstand Juliewka durch die hellen Aufflammungen genau zu beobachten. Sie lagen in großer Ausdehnung rechts von der 15. I.D. im Abschnitt des XXX. Armeekorps und beim linken Nachbar, der 62. I.D.. Mittendrin lag - "in ein unheimliches Dunkel gehüllt" (Willemer) - der Abschnitt der 15. Infanteriedivision.

Womöglich hatte man sowjetischerseits erkannt, daß der Bereich der 15. Infanteriedivision keine "Schwachstelle" innerhalb der deutschen Front darstellte, da sie als besonders kampfstark galt. Weiter heißt es (n. Willmer1968):

Bei Dämmerungsbeginn legte der Gegner das Artilleriefeuer in die Tiefe und der Angriff begann. Die rechte Nachbardivision der 15., die 123. I.D. wird nur vom Ausläufer des Angriffs getroffen und hält stand. Dagegen gelingt den Sowjets ein Einbruch im Abschnitt der 16. Panzergrenadierdivision, die sich nach rechts an die 123. I.D. anschließt. Auch beim linken Nachbarn der 15., bei der 62. I.D., gelingt dem Gegner der Einbruch. Bald steht er tief im Kampffeld. Der Anschluß der 62. I.D. an das rechts anschließende G.R. 106 geht verloren. Daraufhin bildet das Flügelbataillon des G.R. 106 einen Abwehrhaken und hält so als Eckpfeiler der Front den ganzen Tag über gegen laufende Angriffe stand.

Nun kamen von deutscher Seite Panzer-Einheiten wie solche auf Abb. 1 fotografiert zum Einsatz (n. Willmer1968):

Die 6. Armee setzte daraufhin eine gepanzerte Kampfgruppe, bestehend aus der 9. und 23. Panzerdivision mit wenigen Panzern in Marsch. Diese wird unter dem Befehl der 15. I.D. im Raum der linken Nachbardivision (62.) zum Gegenangriff angesetzt. "Die Division begrüßt diese Entlastung, versteht aber nicht, warum die gepanzerte Gruppe nicht in dem weit gefährlicheren Angriffsraum des XXX. A.K. zum Einsatz kommt." (Willemer, S. 167) (...)
Am 30. Januar setzt Tauwetter ein, so daß die Wege verschlammen und die Zuführung der gepanzerten Eingreifreserve verzögert wird. Der Gegenangriff kommt somit erst am 31. Januar in Gang. Obwohl er nicht voll durch schlägt, werden die sowjetischen Angriffsspitzen zurück geworfen und die Abwehrfront der 62. I.D. gefestigt. Am Abend des selben Tages wird die Panzergruppe dann schließlich doch noch zum XXX. A.K. in Marsch gesetzt. Hier steht der sowjetische Angreifer mittlerweile kurz vor dem Durchbruch. Am 1. Februar 1944 greift der Feind sowohl beim XXX. A.K., bei der 62. I.D. und auch im Abschnitt der 15. I.D. an, deren Divisionsreserven längst auf dem linken Flügel eingesetzt wurden. Die Division kann zwar ihre Stellungen behaupten, muß sich aber mit Rücksicht auf die Gesamtentwicklung auf eine Sehnenstellung zurückziehen. Am 2. Februar tobt der Großkampf auf der gesamten Front; nur mit Mühe kann die 15. I.D. ihre Stellungen halten.

Die sowjetischen Angriffe sind - wie schon erwartet worden war - so massiv, daß die deutsche Front insgesamt zurück genommen werden muß (n. Willmer1968):

Vor allem beim XXX. Armeekorps hat sich die Lage schließlich so verschärft, daß am Morgen des 3. Februar um 3:30 Uhr bei der Division der Befehl zum Zurückgehen eingeht. (...) Die Truppe mußte auf den völlig verschlammten Wegen 7-10 km weit in die rückwärtige Stellung geführt werden. Bei Tagesanbruch war dies geschafft, die ganze Division befand sich abwehrbereit in der Ursula-Stellung.

Nun stand die 15. ID westlich von Juliewka (ukr. Nowojuliwka) (GMaps). 300 Meter westlich des Dorfausgangs vom heutigen Nowojuliewka sieht man auf Google Maps einen Grabhügel. Südöstlich des Dorfes Wyssoke Pole (GMaps) findet sich ebenfalls ein Grabhügel. Vielleicht ist letzterer der "Grabhügel 5,7" auf dem linken Flügel der 15. ID., der, wie wir im folgenden hören werden, "ständig ein Krisenpunkt" bleibt. In der Gegend gibt es aber sicherlich noch weitere Grabhügel, die dafür infrage kommen könnten. 

Abb. 3: Rücknahme der Front der 62. und 15. Infanteriedivision auf die "Ursula-Stellung" nordöstlich von Kriwoi Rog (aus: Willmer1968)

Aber die Notwendigkeit weiterer, umfangreicher Rücknahmen der Front deutet sich an, auf die von der Divisionsführung vorausschauend reagiert wird (n. Willmer1968):

Inzwischen waren aber die Sowjets beim deutschen XXX. Armeekorps durchgebrochen, und der Gegner bedrohte somit die rechte Divisionsflanke. Von dieser Sorge getrieben, ließ die Divisionsführung eine Sehenstellung in der Schleife des Flusses Ingulez südlich von Krivoi Rog erkunden und ausbauen. Außerdem werden alle nicht unbedingt benötigten Trosse als Sicherheitsbesatzung zum Südufer des Ingulez verlegt. So soll verhindert werden, daß die um Krivoi Rog stehenden deutschen Kräfte im Falle eines feindlichen Durchbruches abgeschnitten werden.

Wir wollen hier der Schilderung nicht mehr im einzelnen folgen. Im weiteren Verlauf verteidigte die 15. Infanterie-Division dann am Ostrand von Kriwoi Rog (Abb. 4) und ist dann unter zähen Abwehrkämpfen durch die Stadt Kriwoi Rog zurück nach Westen gegangen. 

Abb. 4: Kriwoi Rog während der deutschen Besatzung - Eine der ersten Farbaufnahmen der Stadt (aus: HistoryKR2023)

Im Wehrmachtbericht wurde die Division in diesen Tagen zum Stolz ihrer Angehörigen zwei mal erwähnt (n. Willmer1968):

"23.2. Die Stadt Krivoi Rog wurde nach erbitterten Kämpfen und nach Zerstörung aller kriegswichtigen Anlagen geräumt."

Und (n. Willmer1968):

"26.2. Im Südabschnitt der Ostfront hat sich die hessische 15. I.D. unter Führung von Generalmajor Sperl hervorragend bewährt."

Soweit können wir bislang mit diesem Bericht an das Kampfgeschehen vor Ort "heranzoomen". In der weiter gefaßten kriegsgeschichtlichen Darstellung von Major Dr. Frenck, festgehalten noch im Mai 1944, werden die geschilderten Ereignisse noch etwas anders dargestellt (Frenck1944, S. 20f):

Am 30.1. um 5.00 Uhr früh trat die sowjetische 3. ukrainische Front (...) an der Nordfront der Armee zu dem erwarteten Durchbruchsangriff zum Dnjepr an. Er nahm am ersten Tag einen unerwarteten Verlauf. Denn sein Schwergewicht lag zwar im Abschnitt des XXX. Armeekorps westlich des Busuluk (...), führte aber gerade dort trotz eines einstündigen Trommelfeuers von stärksten Außmaßen (...) zu keinem Erfolg. Seine nur durch schwächere Panzergruppen unterstützte massierte Infanterie wurde schon in den Bereitstellungen durch das wirksame eigene Artilleriefeuer soweit zerschlagen, daß es zu keinem zusammenhängenden Angriff auf breiter Front kam. (...) Das XXX. Armeekorps mit der 16. Panzergrenadier-Division, der 123. und 46. Infanteriedivision erzielten einen vollen Abwehrerfolg.

Das war - wie wir gesehen haben - von der Führung der 15. Infanterie-Division vor Ort etwas anders eingeschätzt worden. Frenck schreibt dann über die Gegend weiter westlich, und zwar östlich des Flusses Saksahan (Ssakssagan) (Frenck1944, S. 21ff): 

Dahingegen glückte den Sowjets zwischen Selenyj Gai und Kamenopol ostwärts des Ssakssagan mit dem geringen Aufwand von 3 Divisionen ein Überraschungserfolg. Die 62. Infanterie-Division, durch das starke Vorbereitungsfeuer offenbar sehr stark mitgenommen, hielt dem Druck nicht stand und konnte nach Verlust von 1/3 ihrer Gefechtsstärke die 8 km breite und 6 km tiefe Einbruchsstelle gerade noch notdürftig abriegeln.

Die beiden hier genannten Ortschaften finden sich heute unter "Kamjane Pole" und "Selenyi Hai" (GMaps), das heißt, westlich von Sofijewka (heute "Sofijiwka") am Fluß Kamenka. Der Angriff vom 30. Januar 1944 an der Nordfront auf die Sehne des Brückenkopfes und die weitere Entwicklung des Angriffes findet sich auch auf der folgenden Karte dargestellt (Abb. 5).


Abb. 5: Der entscheidende sowjetische Angriff an der Nordfront der deutschen Brückenkopfes Nikopol in Richtung Apostolowo - Er zwang schließlich zur Aufgabe des Brückenkopfes (Wiki)

Frenck schreibt weiter - wir bringen nur grobe Ausrisse aus seiner Darstellung (Frenck1944, S. 21ff):

Die Lage bekam ein völlig verändertes Bild, als der Feind am 31.1. seine örtlichen Einbrüche beim XXX. Armeekorps (...) unter Einsatz von etwa 130 Panzern zu einem 12 km breiten und 4 km tiefen Einbruch nach Süden und Südwesten erweitern konnte. (...) Das XXX. Armeekorps (...) schoß 70 Panzer ab und verhinderte einen Durchbruch.

Dennoch, so Frenck (Frenck1944, S. 21ff) ... 

... stand der Feind damit nur noch 30 km vor den für die Gruppe Schörner, insbesondere den Brückenkopf entscheidenden Verbindungen. (...) Der Flaschenhals am Dnjepr-Knie wurde immer enger. Die Bewegungsfähigkeit aller Fahrzeuge und schweren Waffen näherte sich im Schlamm dem Nullpunkt. Die Infanteristen wateten bis zum Stiefelschaft im Dreck.

Wenn man es recht versteht, befindet sich heute an dem Ort der genannten Kämpfe 12 Kilometer westlich des Busuluk eine sowjetische Kriegsgräberstätte (s. Abb. 7).

Abb. 6: Nordfront des Brückenkopfes Nikopol am 1. Januar 1944 (LdW) - Ganz links die 62. Infanterie-Division zwischen den Flüssen Ssakssagan und Kamenka

Sie befindet sich zwischen den Dörfern Petrowe und Schyroke auf dem Gelände des ehemaligen Dorfes Vysokoye (WCom) (GMaps):

Massengrab sowjetischer Soldaten, die bei der Befreiung gefallen sind im November 1943 - Januar 1944. 5061 Menschen wurden begraben, geborgen in der Steppe zwischen den Dörfern Shiroke (Menzhinka) und Petrovo. (...) Im Zeitraum 2010-2016 wurden 867 Überreste sowjetischer Soldaten begraben.

Siehe auch (Yt). Die künstlerische Gestaltung der Kriegsgräberstätte möchte man sogar als ansprechend charakterisieren (Abb. 7). Ob ihr Pathos allerdings der angemessene Ausdruck für einen Sieg des Kommunismus in der Ukraine ist, mag aus heutiger Sicht doch sehr dahin stehen. Wenn wir die Lagekarte vom 1. Januar 44 richtig lesen, hat in dieser Ortschaft die deutsche 16. Panzergrenadier-Division verteidigt (Abb. 6).

Abb. 7: Kriegsgräberstätte auf dem Gelände des ehemaligen Dorfes Vysokoye, 12 Kilometer westlich des Flusses Basuluk (Wiki)

Der Befehlshaber der Armeegruppe Schörner, General Schörner, hat nun am 1. Februar erneut die Räumung des Brückenkopfes Nikopol beantragt.

Keine Genehmigung zur Räumung des Brückenkopfes, 31. Januar 1944

Immer noch wurde diese nicht erteilt. Es wurde ebenso wenig genehmigt, daß die 3. Gebirgsdivision aus dem Brückenkopf insgesamt heraus gezogen würde (Frenck1944, S. 24):

Die Armee stellte daraufhin die 3. Gebirgsdivision als Reserve in die Tiefe des Brückenkopfes.

Das heißt, die 3. Gebirgsdivision, die südlich von Nikopol und vom dortigen Dnjepr den Brückenkopf verteidigte, dürfte schon zu diesem Zeitpunkt nach Norden über den Dnjepr herüber geholt worden sein. Bei diesem Anlaß werden viele Fotografien entstanden sein (Abb. 8 bis 12). Aber die Verlegung, bei denen viel fotografiert wurde, waren nicht die eigentlichen Kampflagen, die voraus gingen, und die auch sehr schnell wieder folgen sollten. Denn die Lage für die Armeegruppe wurde nun schnell bedrohlicher (Frenck1944, S. 24):

Am 2. Februar verlor die 15. Infanterie-Division Kamenka. (...) Bei Scholochowo war der Flaschenhals bis auf wenige Kilometer zu. 

Das Dorf Scholochowo (Wiki) (GMaps) liegt am Zusammenfluß des Busuluk mit der Solonaja (Ssolenaja). Scholochowo liegt 36 Kilometer nordwestlich von Nikopol auf dem Weg nach Krivoy Rog. Vierzehn Kilometer hinter Scholochow Richtung Krivoy Rog liegt das erwähnte Dorf Kamenka. 

Abb. 8: 3. Gebirgsdivision: "2 cm-Flak auf Selbstfahrlafette der Divisions-Fla-Kompanie. Kampf im Nikopol-Brückenkopf, Winter 1943/44. Alles verschlammt, kaum noch ein Vorwärtskommen"

Bei diesen Gegenden handelt es sich um eine archäologisch inzwischen bestens erforscht Region der Urheimat der Späten Urindogermanen, der Jamanaja-Kultur, der Vorfahren aller heutigen Europäer (s. Stgen2024). Auch auf Wikipedia findet sich die Angabe (Wiki):

In der Nähe von Scholochowo wurden Siedlungen und ein Grabhügel aus der Bronzezeit (III. - Anfang des I. Jahrtausends v. Ztr.) und eine Stätte aus der skythisch-sarmatischen Zeit (IV.-II. Jahrhundert v. Ztr.) entdeckt. In den 1976 ausgegrabenen Hügeln wurden reiche skythische Gräber gefunden. Es wurden Überreste der Siedlung der Tschernjachiw-Kultur des 4. Jahrhunderts entdeckt.

Mit Tschernjachiw-Kultur wird archäologischerseits das Volk der Goten benannt, die sich - zusammen mit ihren sagenhaften Königen - in dieser Region die Schlachten mit den Hunnen lieferten, die sie verloren haben. 

Am 3. Februar 1944 endlich wurde die Aufgabe des Brückenkopfes Nikopol von der obersten deutschen Führung genehmigt. 

Beginn des Abzuges aus Nikopol, 3. Februar 1944

Nächstes Angriffsziel der Sowjets war zu diesem Zeitpunkt schon - nachdem sie Scholochowo und Kamenka eingenommen hatten: Apostolowo (Frenck1944, S. 28):

Die mit schwachen Kräften auf weiter Flur allein kämpfende 9. Panzerdivision verteidigte die Stadt am 5.2. zusammen mit der eingesetzten Heeres-Flak und Alarmeinheiten bis zum letzten Schuß. (...) Erst als die Stadt von Osten und Westen vor der Einschließung stand und die Rohre der Flak nach der letzten Granate gesprengt worden waren, ging die Division mit 7 Panzern, im übrigen ohne Fahrzeuge und Nachrichten-Mittel zu Fuß beiderseits der Bahn hinhaltend kämpfend in Richtung Kronau zurück, um sich dort neu zu ordnen und zu munitionieren.

Hier wird nun wieder ein deutsches Dorf genannt. 

Abb. 9: Handschriftlich steht auf der Rückseite: "Unsere drei Trossfahrzeuge während der Überfahrt über die Nikopolbrücke, 3.2.44" (Reibt)

Es handelt sich um das deutsche Kolonisten-Dorf Kronau (Wiki) (GMaps). Es bis Herbst 1943 Teil der deutschen Mennonitensiedlung Kronau am Inguletz, die zu diesem Zeitpunkt schon eine bewegte Geschichte hinter sich hatte. Als Teil der Gesamtgeschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert hatte sie alles erlebt, was es in dieser so zu erleben galt: Bürgerkrieg, Massaker ganzer Dörfer, Hungersnöte, Deportationen der Männer und vieles andere mehr. In einem künftigen Blogbeitrag soll das genauer behandelt werden. Frenck schreibt weiter (Frenck1944):

Die Armee, fast bewegungsunfähig (...), nur noch auf den zu Fuß durch den Schlamm watenden Grenadier, das Tragtier des Gebirgsjägers, das Pferd, die wenigen schlammbeweglichen Panzer und Zugmaschinen sowie auf die Transport-Ju's angewiesen, wandelte zwei bittere Wochen hindurch am Rande des Abgrundes. Himmel und Hölle hatten sich gegen sie verschworen. Die Wegelage steigerte sich von Stunde zu Stunde mehr zur Katastrophe. Im zähen Schlamm blieb ein Kraftfahrzeug nach dem anderen liegen. (...) Ein großer Teil aller Räder-Kraftfahrzeuge im Kampfraum mußte bereits als verloren angesehen werden.

Das Glück der Armeegruppe Schörner war, so schreibt Frenck, daß die Sowjets ihre Angriffsspitzen des Durchbruch-Angriffs teilten - Richtung Kriwoi Rog und Richtung Nikopol. Außerdem blieben sie selbst im Schlamm stecken. So gelang es den Sowjets zwar nicht, den Kessel vollständig abzuschnüren.  

Aber es mußten dennoch schwere und verlustreiche Ausbruchkämpfe am schmalen Durchbruch von Seiten mehrerer jener deutschen Divisionen geführt werden, die auch schon an der Molotschna und an der Südfront des Brückenkopfes in monatelangen schweren Abwehrkämpfen gestanden hatten. So unter anderem in Ortschaften wie Kostromka und Solotaja Balka am Dnjepr-Knie, in denen es heute große sowjetische Kriegsgräber-Gedenkstätten gibt.

Abb. 10: Handschriftlich steht auf der Rückseite: "Die rettende Nikopol-Brücke, Aufnahme 3.2.44. Im Hintergrund die Stadt" (Reibt)

Die dritte Gebirgsdivision konnte nun noch per Bahn Richtung Scholochowo und Kamenka gefahren werden. Sie wurde an der dortigen Front am 4. Februar ausgeladen und konnte noch am selben Tag und am Folgetag die Verteidigung dort aufnehmen (Frenck1944, S. 31):

258. I.D. drückte im Angriff den aus Scholochowo auf Alexandrowka vorstoßenden Feind zurück, 3. Geb. Div. schlug bei Hp.Tok mit Panzern angreifenden Feind zurück, so daß Flaschenhals an der Kamenka offen blieb.

Am 6. und 7. Februar wurde der Brückenkopf Lepaticha auf der linken, östlichen Seite des Dnjepr geräumt. 

Abb. 11: Übersetzen über den Dnjepr (aus Rolf Hinze/Rückzugskämpfe) (FdW)

Über diese waren mehrere andere deutsche Divisionen von der Südfront des Brückenkopfes auf die rechtsseitige Dnjepr-Seite hinüber geholt worden (Frenck1944):

Es gingen über den Dnjepr die 335. I.D., Teile 111. I.D. und Masse Art. 97. Jg.Div.. Bildung zweier engster Brückenköpfe Bol. Lepaticha und Ssergejewka. Feind drückte stark nach und erzielte kleine Einbrüche.

Ein Soldat namens Stauch, Angehöriger der hessischen 9. Infanterie-Division, die hier gar nicht genannt wird, aber ebenfalls über Lepaticha zurück ging, fand sogar noch Zeit zu einer künstlerischen Darstellung der auf der Rückzugsstraße im Schlamm stecken gebliebenen Fahrzeuge (Abb. 13). 

Am 8. Februar 1944 waren die Sowjet-Soldaten dann schon selbst über den Dnjepr übergesetzt und es heißt (Frenck1944):   

Gruppe Schörner entschloß sich, am 8.2. durch Angriff 17. und 302. I.D. den Raum Marinskoje - Nowo Woronzowka zu öffnen und mit dem Ausbruch zu beginnen.

Also die Nürnberger 17. Infanterie-Division, die schon bei Alt-Nassau an der Molotschna den Ostwall verteidigt hatte, sowie die mecklenburgische 302. Infanterie-Division, die weiter nördlich den Ostwall verteidigt hatte und die dann die südöstlichste Stellung des Brückenkopfes Nikopol gehalten hatte, sind jetzt Divisionen, die den Ausbruch der Armeegruppe Schörner freikämpfen müssen.

Durchbruch zwischen Kostromka und Solotaja Balka (ab 7. Februar 1944)

Die Ortschaften, denen gegenüber der Weg freigekämpft werden mußte, waren die beiden Ortschaften am Westufer des Dnjepr-Knies (GMaps). 50 Kilometer weiter westlich in Kronau (Wiki) (GMaps) stand die 9. Panzerdivision. Frenck schreibt über den 7. und 8. Februar (Frenck1944, S. 32):

9. Pz.Div. trat mit beweglichen Teilen aus dem Raum Kronau nach Osten an, um in Zusammenwirken mit 97. Jg.Div. Ausbruch Gruppe Schörner zu unterstützen. In Südwestteil von Bol. Kostromka eingedrungen. (...) Stadt Nikopol nach Zerstörung aller wirtschaftlichen und militärischen Einrichtungen planmäßig geräumt. 900 Schwerverwundete aus Nikopol im Bahntransport in die Ausbruchsstelle vorgefahren.

Bei "Bol. Kostromka" handelt es sich um "Bolschaja-Kostromka". Bolschaja ist ein anderen Wort für "groß", so daß der Name gleichbedeutend sein dürfte mit dem heutigen Namen Welyka Kostromka (Wiki), zu Deutsch Groß-Kostromka. Im Norden der Ortschaft gibt es auch noch Klein-Kostromka (Mala Kostomka = Малая Костромка) (Wiki). 

Abb. 12: Dritte Gebirgsdivision in der Nähe von Nikopol - nicht nur Infanterie, sondern auch Kanoniere und Panzerfahrer haben inzwischen ihre Fahrzeuge stehen gelassen und waten im Schlamm zurück

Ähnliche Vorsilben gibt es übrigens für Lepaticha auf der linken Seite des Dnjepr. Auch da gibt es ein Groß-Lepeaicha (Welyka Lepaticha oder Bolschaja Lepaticha) und ein Klein-Lepeticha (Mala Lepeticha). Bei Frenck ist vermutlich falsch von "Bollwerk Kostromka" die Rede. Es wird sich dabei um ein falsches Verständnis der Abkürzung "Bol." handeln.

In Groß-Kostromka soll übrigens ein "Held der Sowjetunion" im tapferen Kampf sein Leben gelassen haben. Er hätte im Kampf 26 deutsche Soldaten mit sich in den Tod genommen, so wird berichtet (Wiki). Das ist eine Art der Heldenverehrung, die es auf deutscher Seite nicht gibt. Soweit übersehbar, ist nie gezählt worden, wie viele feindliche Soldaten ein deutscher Soldat erschossen hat. (Aber wir mögen uns irren.) Bolschaja Kostromka war viele Tage lang schwer umkämpft. Es gibt dort deshalb auch eine sowjetische Kriegsgräberstätte (Drt). In Bolschaja Kostromka wollten die Sowjets der Armeegruppe Schörner von Norden her den Rückzug abschneiden. Das Grenadier-Regiment 21 als Teil der 17. Infanterie-Division half mit, Bolschaja Kostromka zu halten (LdW):

Am 8. Februar 1944 erfolgte zusammen mit der 3. Gebirgs-Division bei Apostolowo ein Gegenangriff nach Norden. Es gelang, eine Verbindung zum eingeschlossenen XVII. Armeekorps herzustellen und zwei Wochen offen zu halten, so daß dieses bei Bolschaja-Kostromka abfließen konnte.

Auch die 302. Infanterie-Division hatte teil an den Kämpfen um Bolschaja-Kostromka. 

Abb. 13: Rückzug des Grenadier-Regiment 116 im Rahmen hessischen 9. Inf. Div. bei Lepeticha Anfang Februar 1944 - Die Fahrzeuge im Schlamm versunken (wwii)

Wir lesen zunächst noch einmal über den Einsatz dieser Division an der Südfront des Brückenkopfes Nikopol und dann bei seiner Räumung (LdW):

Die linke Flanke war an das ca. 15 km breite, dicht bewachsene Flußtal des Dnjepr angelehnt. Das Grenadier-Regiment 570 wurde am Nordufer des Flusses eingesetzt, so daß die Division die verbliebene HKL nur noch stützpunktartig besetzen konnte. In schweren Abwehrkämpfen wurde der linke Flügel der Division von den Uferhöhen am Dnjepr heruntergedrückt. Anschließend festigte sich die Frontlinie in einer nun verkürzten Frontlinie, die bis Januar 1944 gehalten werden konnte. Da die Regimenter von den vorherigen Kämpfen stark geschwächt waren, wurden die III. Bataillone aufgelöst und auf die Regimenter verteilt. Die eigene Frontlinie lag unter beständigen russischen Angriffen.

Und zur großen Lage wechselnd (LdW)

Am 31. Januar und 1. Februar 1944 stieß die 8. russische Gardearmee mit überlegenen Kräften von Norden her in die Brückenkopffront mit der Absicht, den Brückenkopf abzuschnüren. Angesichts der bedrohlichen Lage wurde der Brückenkopf Nikopol aufgegeben. Die Division überschritt als Nachhut die Brücke von Kamenka nach Nikopol. Die von Apostolowo nach Süden vorgehenden russischen Verbände hatten inzwischen Bolschaja-Kostromka genommen und so 11 deutsche Divisionen bis auf eine kleine Lücke von etwa 7 km eingeschlossen. Die 302. Infanterie-Division erhielt den Auftrag, den über Bolschaja-Kostromka vorgestoßenen Feind zurückzuwerfen und Bolschaja-Kostromka zu nehmen, um ein Abfließen der deutschen Verbände zu ermöglichen. Der Angriff der Division begann am 8. Februar mit den bereits eingetroffenen Teilen der Division und führte zur Rückeroberung von Bolschaja-Kostromka. Bis zum 26. Februar 1944 wurde der Ort unter schweren Verlusten gehalten, dann konnten sich die Reste der Division über den Inguletz zurückziehen.

Wie dramatisch sich das Geschehen entwickelte, wird auch daran erkennbar, daß die Sowjets auf der Ostseite der Ausbruchsfront, am Ufer des Dnjepr-Knies bei Solota Balka (GMaps) sehr bald einen Brückenkopf bilden konnten (wie schon erwähnt). Solota Balka liegt in der Luftlinie nur wenige Kilometer nördlich des Stammeszentrums der Späten Urindogermanen bei Michailowka (Mykhailivka) (Wikirussukr), wo, wie wir gleich hören werden, die Sowjets ebenfalls schon gelandet waren. Sie waren ebenso südlich von Michailowka bei der bei Ruine Falz Fein gelandet.

Abb. 14: Karte der Region Nikopol, Dneprowka und Lepaticha, auf der auf der Westseite des Dnjepr auch das Dorf Girly eingetragen ist

Über den 9. und 10. Februar 1944 wird von den sowjetischen Landeköpfen auf der rechten, westlichen Seite des Dnjepr berichtet (Frenck1944, S. 33):

Feind bildete zwischen Michailowka und Solotaja Balka weitere Landeköpfe, um Gruppe Schörner in den Rücken zu fallen und sich mit der nördlichen Angriffsgruppe im Raum Bol. Kostromka zu vereinigen.

Über den 11. und 12. Februar wird berichtet (Frenck1944, S. 34):

Osthälfte von Solotaja Balka genommen. Bereits Masse von 6 Schützen Divisionen und 3 mech. Brigaden des II. Gd.mech.Kps. über den Dnjepr gesetzt. (...) Süd- und Ostteil von Bol. Kostromka genommen. 320. I.D. nahm Höhe 3 km ostwärts Bol. Kostromka.

Und über den 13. und 14. Februar (Frenck1944):

In den feindlichen Landköpfen am Dnjepr, insbesondere bei Ruine Falz Fein und Solotaja Balka heftige Kämpfe. Feind versuchte in letzter Stunde von dort Ausbruch Gruppe Schörner nach Süden zu verhindern. Gruppe Schörner nach Süden abgedreht. (...) Durch einen Großangriff auf Bolschaja Kostromka versuchte Feind heute noch einmal, die Gruppe Schörner abzuschneiden. 97. Jg.Div. und 302. I.D. schlugen Angriff zurück und gewannen im feindbesetzten Nordteil des Ortes Boden.

Um das Dorf Marjanske am Dnjepr-Knie (GMaps) fanden ebenfalls schwere Kämpfe statt (Wiki):

Am 11. Februar 1944 rückte das 179. Regiment (...) in Richtung Marjanske vor, um die Straße nach Nowo Woronzowka zu unterbrechen. Mehr als 70 sowjetische Soldaten starben in den Kämpfen um die Befreiung von Marjanske, darunter: Gardemajor V.I. Fokin, Gardehauptmann A.K. Kamenev, Gardeunterleutnants M.I. T. M. Vorobyov und andere. Im Zentrum des Dorfes liegt ihr Massengrab.

Über den 14. und 15. Februar 1944 ist zu lesen (Frenck1944, S. 34):

Erbittertes Ringen an den Dnjeprlandeköpfen. Tiefer Einbruch bei Solotaja Balka wurde beseitigt, Feind drang in Südteil von Girly ein.

Das Dorf Girly findet sich auf der Karte in Abb. 14. Im weiteren wird die Ortschaft "Werchne Michailowka" erwähnt, das könnte für "Oberes Michailowka" stehen. Es handelt sich jedenfalls um eine Häusergruppe südlich von Nowossemeniwka (GMaps) (s. Abb. 15), die auf Google Maps heute gar nicht mehr ausgewiesen ist. Sie darf nicht verwechselt werden mit dem Dorf Michailowka am Dnjepr-Ufer. Frenck schreibt (Frenck1944):

Feind stieß mit stärkeren Kräften in die Westflanke des IV. A.K. und erzielte auf Werch. Michailowka einen 4 km tiefen Einbruch, saß der Gruppe Schörner damit im Rücken.

Zum 15. und 16. Februar heißt es (Frenck1944, S. 35):

Frost, Besserung der Wege- und Versorgungslage. Da Gruppe Schörner kräftemäßig nicht in der Lage, den tiefen Einbruch bei Werch. Michailowka zu beseitigen, wurden IV. und XVII. A.K. heute Nacht auf die allgemeine Linie Nowo Woronzowka Nord Bolschaja Kostromka zurück genommen.

Damit, so Frenck, war der Ausbruch abgeschlossen.

Abb. 15: Die Ausbruchskämpfe der Armeegruppe Schörner (aus Rolf Hinze/Rückzugskämpfe) (FdW) - Werchne Michailowka liegt nordöstlich von Bolschaja Kostromka - Der sowjetische Brückenkopf zwischen Solotaja Balka und Ruine Falz Fein ist nicht dargestellt   

Das heißt aber nicht, daß die Kämpfe um Bolschaja Kostromka zu Ende gewesen wären. Am 19. Februar 1944 fiel dort bei einem Gegenstoß Karl Pongratz, Angehöriger der 3. Gebirgsdivision (RegioWiki). Ob er einer derjenigen war, der von dem "Helden der Sowjetunion" mit in den Tod genommen worden ist?

Ebenso gingen die Kämpfe westlich von Solotaja Balka weiter. Im Südteil der Ortschaft Chreschtscheniwka (Wiki), von Solotaja Balka einige Kilometer landeinwärts gelegen, gibt es ebenfalls eine sowjetische Kriegsgräberstätte (GMaps). Die dort begrabenen Soldaten werden in den Kämpfen Ende Februar gefallen sein. 

Abb. 16: Neue Angriffe auf die noch nicht gefestigte deutsche Front bei Schirokoje am 5. März 1944 (aus Rolf Hinze/Rückzugskämpfe) (FdW)

Nach der Aufgabe von Bolschaja Kostromka und weiterer Rücknahme der Front verläuft diese am 5. März schließlich am rechten Dnjepr-Ufer nördlich von Dultschina (heute: Dudtschany) (Wiki) (GMaps) (s. Abb. 16).

Rückblick: Der Ablauf der Räumung von höherer Warte aus gesehen

Über die Schicksale 3. Gebirgs-Division im Brückenkopf heißt es zusammenfassend (Wiki):

Es begann in der ersten Februarhälfte die planmäßige Räumung des Brückenkopfes. Der Rückzug nach Westen war äußerst schwierig, weil tagelanger Regen die Straßen unpassierbar gemacht hatte. Schlamm und Morast behinderten die Rückführung der schweren Waffen, so daß vor allem die Geschütze der Artillerie gesprengt werden mußten.
Bei diesem Rückzug wurde die 3. Gebirgs-Division zum ersten Mal eingekesselt, konnte aber bis zum 12. Februar nach Krassnyj bei Nikolajew ausbrechen. Die Lagekarte des OKH vom 29. Februar 1944 zeigte als Momentaufnahme die angespannte Situation der Heeresgruppe Süd. Die Gebirgs-Division war darauf in einem Raum nordwestlich des ehemaligen Brückenkopfgebietes im Zentrum der Verteidigungslinie des XXIX. Armeekorps zu finden. In der Zeit vom 13. bis 27. Februar zogen sich die Verbände der Gebirgs-Division stets bedrängt von der Roten Armee bis zum Fluß Ingulez zurück. Angelehnt an den Fluß wurde wieder Front gemacht und den nachstoßenden Sowjeteinheiten bis zum 7. März energischer Widerstand entgegengesetzt, ehe aufgrund einer erneuten Überflügelung durch die Rote Armee (Beresnegowatoje-Snigirjower Operation) der Rückzug angetreten werden mußte.

Es kann nun auch noch einmal eine Zusammenfassung der Rückzugsschlacht um Nikopol vom 30. Januar bis 29. Februar 1944 gegeben werden (Wiki):

Das deutsche IV., XVII. und XXIX. Armeekorps befand sich noch in einem östlichen Frontvorsprung an der Dnjepr-Linie. Um die Wehrmacht von der Richtung eines Hauptangriffes aus dem Raum 40 Kilometer nordwestlich von Saporischja abzulenken, begann am 30. Januar von Süden her durch die 5. Stoßarmee eine neue Offensive gegen den Nikopoler Brückenkopf. Um diesen Stoß aufzuhalten, wurden zwei deutsche Panzerdivisionen dorthin verlegt, ein Umstand der bald dem sowjetischen Hauptangriff nützte. Nachdem der Fehler erkannt wurde, wurden die 9. Panzer-Division zurückverlegt, doch der sowjetische Hauptstoß hatte derweil die Verbindung zu dem bei Kriwoi Rog stehenden XXX. Armeekorps abgeschnitten. Am 5. Februar befreite die sowjetische 46. Armee (General Glagolew) die Kleinstadt Apostolowo, rechts von ihr spaltete die 8. Gardearmee (General Tschuikow) die 6. Armee in zwei Teile. General Hollidt befahl daraufhin seinen abgeschnittenen Armeeteilen den Rückzug. Die 4. Ukrainische Front, die am 31. Januar eine Offensive begann, eroberte mit der 3. Gardearmee (General Leljuschenko) den Nikopoler Brückenkopf und befreite am 8. Februar zusammen mit Teilen der 6. Armee der 3. Ukrainischen Front die am nördlichen Dnjepr-Ufer liegende Stadt Nikopol.
Am 11. Februar begann ein Gegenschlag des XXXX. Panzerkorps in Richtung auf Apostolowo, um den noch offenen Korridor entlang des rechten Dnjeprufers für die zurückweichenden deutsche Truppen zu halten. Die sowjetischen Truppen wurden zwar verlangsamt, aber die zurückgehenden Einheiten der Wehrmacht erlitten hohe Verluste. Am 17. Februar setzte die 3. Ukrainische Front ihre Offensive fort, die sowjetische 37. und 46. Armee befreiten am 22. Februar Kriwoi Rog und erreichte zum 29. Februar den Fluß Ingulez.
Die Rote Armee zerschlug zwölf deutsche Divisionen (darunter drei Panzer-Divisionen und eine motorisierte) und eroberte die Mangan- und Eisenerzvorkommen.

Rund um die Ortschaft Apostolowo finden sich wiederum viele Grabhügel der Urindogermanen. Über das hier erwähnte XXX. Armeekorps lesen wir (Wiki):

Zu Beginn 1944 waren dem XXX. Korps die 46., 257., 304., 306. und 387. Infanterie-Division sowie die 16. Panzer-Grenadier-Division unterstellt. Das Oberkommando der übergeordneten 1. Panzerarmee wurde aus dem Dnjepr-Bogen herausgezogen und in die westliche Ukraine umgruppiert. Der Frontabschnitt der 6. Armee (Generaloberst Hollidt) verlängerte sich dadurch vom Brückenkopf Nikopol bis ostwärts Kirowograd, wo das LVII. Panzerkorps als linker Flügel die Front bis nordwestlich Kriwoi Rog verlängerte. Die Russen griffen wieder verstärkt das XXX. A.K. an, die 9. Panzer-Division mußte zur Stützung eingreifen. Einsetzendes Tauwetter machte das Gelände bald unpassierbar, Wasser sickerte in die Unterstände ein. Als die kurzweilig zugewiesene 24. Panzer-Division plötzlich abgezogen wurde, folgte am 31. Januar der Durchbruch der sowjetischen 8. Gardearmee und zweier Panzerkorps auf Apostolowo. Mit großer Mühe gelang es, dem um Kriwoj Rog konzentrierten XXX. Korps am Fluß Ingulez eine Zwischenstellung aufzurichten. Am 22. Februar wurde Kriwoj Rog geräumt, am 26. Februar setzten die erwarteten schweren Angriffe auf den Ingulez-Abschnitt ein.

Detaillierter ist zu erfahren (Wiki):

Hinter der deutschen Frontlinie im Brückenkopf von Nikopol befand sich die sumpfige Überschwemmungsebene des Dnjepr, die im Winter selten zufror. Die einzigen Ausgänge vom Brückenkopf waren eine Behelfsbrücke im nördlichen Sektor östlich von Nikopol und ein Paar einspuriger Pontonbrücken am äußersten südlichen Ende des Brückenkopfes bei Velikaya (Bolshaya) Lepetikha. Der Rest des Sektors der 6. Armee, der nach Norden und leicht nach Osten ausgerichtet war, erstreckte sich zwischen Stellungen 29 km nördlich von Krivoi Rog und 48 km nördlich von Apostolovo, wo die einzige Eisenbahnlinie, die die Armee versorgte, nach Norden und in Richtung Nikopol abzweigte. Die Stellungen verliefen über offene Steppe, die rechtwinklig durch zahlreiche Schluchten und die Wasserläufe von fünf großen Flüssen geteilt war.

In einem sowjetischen Film mit englischen Untertiteln ist die Eroberung der Brückenkopfes von Nikopol Thema (Yt). Die großen Verluste an Waffen und Fahrzeugen aller Art auf deutscher Seite werden in diesem Film heraus gestellt.

Wie man auf deutschen Lagekarten aus dem Januar 1944 für die Kämpfe rund um Nikopol und westwärts Nikopol entnehmen kann, war das gesamte Gebiet des heutigen Kachowka-Stausees eine feuchte Niederung. In dieser Region verteidigte das XXXX. Armeekorps unter dem Gebirgsjäger-General Ferdinand Schörner (1892-1972) (Wiki). Über Schörner lesen wir (Wiki):

Ende Oktober 1943 Monats übernahm Schörner die Führung der in diesem Brückenkopf stehenden drei Korps, die als Gruppe Schörner oder Armeeabteilung Nikopol bezeichnet wurden. Am 17. Februar 1944 erhielt Schörner das Eichenlaub zum Ritterkreuz für die erfolgreiche Räumung des Brückenkopfes bei Nikopol. Allerdings gab er einen Rückzugsbefehl über den Dnjepr so spät, daß die Armeegruppe Nikopol alle ihre Kraftfahrzeuge verlor.

Solche zurückgelassenen deutschen Wehrmachtfahrzeuge mag man auf einem der wenigen zeitgenössischen Fotografien aus dem Februar 1944 von einer Ausfallstraße von Nikopol sehen (s. Abb. 17). 

Abb. 17: Die Überreste des Armeegruppe Schörner - Im Februar-Schlamm des Jahres 1944 stecken geblieben und zurückgelassen: Wehrmachtfahrzeuge rechts und links der Ausbruchstraße von Nikopol nach Frosteinbruch und nach Einnahme durch die Rote Armee, Ende Februar 1944 (Wiki)

Noch genauer lesen wir über dieses von Schörner geführte Armeekorps (Wiki):

Ende Oktober 1943 wurde das Korps bei der 8. Armee eingesetzt, um den ersten sowjetischen Angriff auf Kriwoy Rog abzuschlagen. In dieser Zeit waren unterstellt: 14. und 24. Panzer-Division, 376. Infanterie und Teile der 3. SS-Division Totenkopf. Ab 27. November 1943 wurde das Generalkommando nach ihren Kommandierenden Generalen auch als Gruppe Schörner und ab 1. Februar 1944 als Gruppe von Knobelsdorff bezeichnet. Den ganzen Winter war der Großverband im Rahmen der 1. Panzerarmee zusammen mit dem XVI. Armeekorps für die Verteidigung im Dnjepr-Brückenkopf von Nikopol zuständig. Der übergeordneten Gruppe Schörner (Generalkommando XXXX.) waren dabei Ende 1943 große Teile der 6. Armee taktisch zugeteilt:
XVII. Armeekorps, General der Gebirgstruppe Hans Kreysing
123., 125. und 294. Infanterie-Division
IV. Armeekorps, General der Infanterie Friedrich Mieth
24. Panzer-Division
3. Gebirgs-, 17., 79., 111., 258. und 302. Infanterie-Division
XXIX. Armeekorps, General der Panzertruppe Erich Brandenberger
97. Jäger-, 9. und 335. Infanterie-Division
1944
Nachdem die Rote Armee die Nikopol-Kriwoi Roger Operation vom 10. Januar bis 29. Februar 1944 erfolgreich gegen das deutsche LVII. und LII. Armeekorps begonnen hatte, drohte der Gruppe von Knobelsdorff die Abschneidung aller Verbindungen. Schließlich mußte der Brückenkopf von Nikopol Mitte Februar geräumt werden. Während der zweiten Phase der Dnjepr-Karpaten-Operation mußte sich das Korps ab 5. März 1944 dem allgemeinen deutschen Rückzug durch die südwestliche Ukraine anschließen.

Wenn man es der Lagekarte recht entnimmt, befand sich der Befehlsstand von Schörner zeitweise östlich des Dorfes Marjanske am Nordufer des Dnjepr (GMaps).

Soweit ein grober Überblick über die Abläufe eines höchst vielfältigen Geschehens. Bei Gelegenheit sollen noch weitere Details dem hier gezeichneten Bild hinzugefügt werden. Man erhält als Deutscher ein ganz anderes Verhältnis zu dieser Landschaft, wenn man sich tiefergehender mit solchen Vorgängen beschäftigt, die erst zwei oder drei Generationen zurück liegen. Die Ukraine ist damit nicht mehr "irgendein" Land. Es ist zu viel hier geschehen, es sind zu viele Anstrengungen unternommen worden, als daß es uns jemals wieder ganz gleichgültig lassen könnte, was in dieser Landschaft und den Menschen darin geschieht.

Wir wollen uns in diesem Zusammenhang daran erinnern: Diejenigen Kräfte, die in allen Völkern glaubwürdig für ein gedeihliches Miteinander der Völker stehen, tauchen in der Politik und in den großen Medien im Grunde gar nicht mehr auf. In Politik und Medien weltweit ist eine "Zwischenwelt" entstanden und geschaffen worden, die mit den Lebensinteressen der Völker, für die diese zu sprechen vorgeben, gar nichts mehr zu tun hat. 

Völker Europas, schaut auf die Ukraine. Hier liegen eure Wurzeln. Und ein Land, in dem man wurzelt, das ehrt man.

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  1. Major Dr. Frenck: Die Winterschlachten der 6. Armee im Großen Dnjepr-Bogen, im Brückenkopf Nikopol und im Raum Nikopol-Apostolowo-Kriwoi Rog vom 10.1. bis 18.2.1944. Armee-Oberkommando 6, Mai 1944 (wwii)
  2. Marc: Die Schlacht um Krivoi Rog30. Januar - 22. Februar 1944. Nach: Wilhelm Willemer, Paul Zärban: Die 15. Infanterie-Division im Zweiten Weltkrieg. Selbstverlag, Wiesbaden 1968 (15ID)
  3. Wie Kriwoi Rog während der Besatzung aussah (1941-1944) (HistoryKR2023)
  4. Rolf Hinze: Rückzugskämpfe in der Ukraine 1943/44 (FdW
  5. Lagekarte (wwii).
  6. Sowjetische Wochenschau offenbar über die Einnahme des Brückenkopfes Nikopol Anfang 1944 (Yt)
  7. Roman Digger: Wilde Amateur-Ausgrabungen am Brückenkopf Nikopol (Yt)

Sonntag, 6. Oktober 2024

Die Verteidigung des Brückenkopfes Nikopol bis Januar 1944

Die Schlacht am Unteren Dnjepr 1943/44 - Teil 2

Die Verteidigung des Brückenkopfes Nikopol zwischen Oktober 1943 und Januar 1944 ist ein sehr weitläufiges Geschehen, von dem man durch "hölzerne" Worte in Überblicksdarstellungen keinen wirklichen Begriff bekommt. 

Abb. 1: Landschaft bei Nikopol, Aufnahme von 1943 (Reibt)

Einen Begriff bekommt man nur, wenn man ganz nah heran "zoomt". Will heißen, das Geschehen wird erst dann "greifbarer", "konkreter", wenn sich Tagebuch-Einträge einzelner Soldaten zu diesem Geschehen finden. Sie bilden im folgenden das Rückgrat der Ausführungen. Zwar geben die Tagebuch-Auszüge immer nur kleinste Ausschnitte aus dem Gesamt-Geschehen. Aber von ihnen ausgehend kann man leicht Rückschlüsse auf das übrige Geschehen ziehen. Inhaltsüberblick zum folgenden Beitrag:

  • Landschaftsbilder vom Dnjepr
  • Der Salzburger Obergefreite Matthäus Lindner und sein 250-Kilometer-Fußmarsch von Melitopol nach Cherson (Oktober 1943)
  • Die Verteidigung der Südfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943
  • Der Berliner Oberleutnant Herbert Schrödter und der Kampf an der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943
  • "Ari-Pickel" oder "Netschajews Grab"? An der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943
  • Angriffe bei der 3. Gebirgsdivision an der Südfront des Brückenkopfes Nikopol, 30. Dezember 1943
  • Stellung vor dem "Ari-Pickel" ("Netschajew's Grab") am 15. Januar 1944 (Tagebuch Schrödter)
  • Verlegung einer Einheit vom "Ari-Pickel" ("Netschajew's Grab") per Bahn nach Kriwoi Rog, 29. Januar 1944 (Tagebuch Schrödter)
  • Aufrollen eines eingenommenen Grabens nördlich Kriwoi Rog, 17. Februar 1944 (Tagebuch Schrödter)
  • Aufrollen eines eingenommenen Grabens nördlich Kriwoi Rog, 21. Februar 1944 (Tagebuch Schrödter)

Wir beschäftigen uns so intensiv mit dem Kampfgeschehen am Unteren Dnjepr 1943/44, das sei noch einmal in Erinnerung gerufen, weil wir damit zugleich auch in ein näheres Verhältnis treten können zu der Region, in der sie stattgefunden haben, eine Region, die vor 5000 Jahren die Urheimat des Volkes der Späten Urindogermanen, der Jamnaja bildete, der kulturellen und genetischen Vorfahren aller heutiger Europäer (siehe mehrere andere Beitrag aus dem Jahr 2024 hier auf dem Blog). 

Die Frontlinie an der Molotschna nördlich und südlich von Melitopol hatte im Oktober 1943 - wie im letzten Beitrag nur überblicksartig und ausschnittsweise angedeutet worden war - gegenüber den nicht enden wollenden Massenangriffen der Sowjets aufgegeben werden müssen (Stgen2024).

Abb. 2: Fähre bei Nikopol, 24. Oktober 1943 (Reibt)

Der deutsche Oberste Befehlshaber Adolf Hitler legte sich darauf fest, daß der Brückenkopf Nikopol als Frontvorsprung gegenüber der Roten Armee gehalten werden sollte. Einerseits wurde das Mangan-Eisenerz in der Region nördlich von Nikopol Richtung Kriwoi Rog abgebaut (wird es bis heute). Und andererseits bestand die Hoffnung, von diesem Brückenkopf ausgehend baldmöglichst das wirtschaftlich wichtige Donezbecken zurück erobern zu können.

Südlich des Nikopoler Südufers des Dnjeprs wurde also eine neue deutsche Verteidigungslinie aufgebaut, ebenso wie entlang des Unterlaufs des Dnjepr bis hinunter nach Cherson (s. Abb. 5). Ein wichtiger deutscher Dnjepr-Übergang südlich des Dnjepr-Knies nach Süden blieb in der Folgezeit für die dort kämpfenden Truppen immer auch der Ort Lepeticha am Dnjepr (s. Abb. 5).

Abb. 3: Blick auf die Dnjepr-Niederung, wohl Sommer 1943 (Aufnahmen aus dem Filmarchiv Karl Höffkes, AKH)

Im Innern des Brückenkopfes Nikopol scheint es noch lange friedlicher zugegangen zu sein. Offenbar schon im Sommer 1943, bevor die Region Nikopol zur Verteidigung vorbereitet worden ist, sind in dieser Region - offenbar von verschiedenen Deutschen - Filmaufnahmen gemacht worden (siehe Filmarchiv Karl Höffkes). Auf ihnen geht es äußerlich noch sehr friedlich und geruhsam zu. Es gibt da Filmaufnahmen, die offenbar von einem zivil Reisenden und seiner Frau aufgenommen worden sind. Beide sind in Zivilkleidung unterwegs, sowie mit einem Zivilauto. Sie reden und lachen mit den Einheimischen. Es wird in den Aufnahmen unter anderem die Getreideernte gezeigt, es wird das Wettrennen auf einer provisorischen Pferderennbahn aufgenommen. Es wird sich dabei wohl um das Freizeitvergnügen von Etappen- oder Besatzungsoffizieren handeln. Es wird das ländliche Leben gezeigt. 

Landschaftsbilder vom Dnjepr

Dann gibt es aber auch Filmaufnahmen, die zeigen, daß die Front inzwischen deutlich näher gekommen ist. Schilfrohr-Wände werden als Fliegertarnung aufgestellt. Es wird dann die sehr unprosaische Überführung des Leichnams eines gefallenen deutschen Soldaten vom Südufer zum Nordufer des Dnjepr gezeigt. Auf der Fähre scheinen auch Leichtverwundete mitzufahren. Die beteiligten Soldaten scheinen noch nicht einmal Gewehre mit sich zu führen. Insgesamt scheint es sich um eine sehr friedliche Szenerie zu handeln. Niemand scheint mit Fliegerangriffen zu rechnen.

Die gezeigte Fähre über den Dnjepr scheint nicht direkt zwischen Nikopol und Kamenka gefahren zu sein - denn dort gab es eine Brücke. Vielleicht fuhr sie einige Kilometer flußabwärts. 

Es wird auf den Aufnahmen auch die Schönheit des Dnjeprs und seines Umlandes eingefangen. Auch schon bevor hier das Flußbett in den 1950er Jahren zu den eindrucksvollen, weiten Wasserflächen des Kachowka-Stausee aufgestaut worden ist, war der Flußlauf des Dnjepr eindrucksvoll. Dementsprechend hat er ja auch schon immer bedeutsame Völker angezogen: Die Späten Urindogermanen, die Skythen, die Goten, die Wikinger und viele, viele andere Völker, vor allem aus dem Osten (Hunnen, Awaren, Mongolen usw. usf.). 

Abb. 4: Der Dnjepr bei Nikopol, wohl Ende 1943 (Aufnahmen aus dem Filmarchiv Karl Höffkes, AKH)

Wie schon am Ende des letzten Blogbeitrages angedeutet, wurden während des deutschen Rückzugs von der Molotschna hinüber zum Unteren Dnjepr vereinzelt zurück gehende deutsche Heeresteile von sowjetischen motorisierten Einheiten überholt und eingekesselt. Von einem solchen Geschehen berichtet der damals 20-jährige Salzburger Obergefreite Matthäus Lindner. 

Der Salzburger Obergefreite Matthäus Lindner - 250 Kilometer Fußmarsch nach Cherson (Oktober 1943)

In seinem Bericht geht es keineswegs so idyllisch zu wie auf den eben behandelten Etappen-Filmaufnahmen. Lindner stammte von einem Bauernhof aus dem Dorf Obertrum nahe dem Wallersee bei Salzburg. Als Angehörigem der 4. Gebirgs-Division (Wiki) war er einer Batterie-Fernsprech-Abteilung zugeteilt. Er hatte die Aufgabe, Telefonkabel entlang der Front zu verlegen. 

Mit seinem Tagebuch-Bericht befindet man sich als Leser mitten in den deutschen Rückzugskämpfen zwischen Melitopol und Cherson. Die in ihm erwähnte deutsche 370. Infanterie-Division stand unter dem Befehl von Generalleutnant Fritz Becker. Nach diesem ist dann auch die eingeschlossene "Gruppe Becker" benannt worden (Abb. 5), innerhalb der sich Lindner mit bewegt haben wird. Matthäus Lindner hat die eigentlichen Kämpfe an der Molotschna nicht erlebt, sondern wurde erst nach ihrem Ende dorthin verlegt. Er schreibt (TbLindner):

22.10. Verladen der Batterie auf die Bahn bei Simferopol. Es gibt neuen Einsatz. Fahrt über Dschankoj Sywasch in den Raum westlich Melitopol. Utlink Abschnitt.
25.10. Ausladung und gleich in den Einsatz. Nördlich von uns 370. Infanterie-Division Verhinderung eines feindlichen Durchbruchs bei Akimozoka Danilowka Petrowsk. Feuerstellung, Leitungsbau auf Beobachtungsstelle Gleich Feuer-Kommando Abwehrkampf, Sperrfeuer.
26.10 Absetzen bei Nacht. Neue Auffangstellung, Leitungsbau. Höre im Telefon von einer kritischen Lage. Massive Feindangriffe nördlich von uns, starker Gefechtslärm. Russische Panzerverbände reißen die Front auf.
27.10. Stellungswechsel in Richtung Westen. 30 Kilometer Leitungsabbau bei Tag, entlang der Hauptkampflinie 100 Meter vom Feind, bekommen Maschinengewehrfeuer. In der Nacht mußten die Jäger etwas zurück, so lag unsere Feuer-Leitung der Hauptkampflinie entlang. Ein etwa 150 m eingesehenes Stück mußten wir überqueren. Feind nimmt uns mit Maschinengewehren unter Feuer. Ich habe die Kabeltrommel. Ein Jäger-Maschinengewehr hält den Russen nieder. Rettete uns dieser Maschinengewehr-Schütze das Leben? Vorgeschobener Beobachter, Unteroffizier Gutmann sah es als Tapferkeit. Bei Konstantinowka. Den ganzen Tag Marsch. Wettlauf mit der Zeit. Ganz ebenes Gelände, Kilometerweit kein Baum, kein Haus "Nogaische Steppe". Links von uns 51. russische Panzerarmee überholt uns. (…) 
Links offene Flanke. Wieder den ganzen Tag Gewaltmarsch. 51. russische Panzerarmee stößt in Richtung Dnjepr. Zunehmende Verschlechterung. Leuchtzeichen hinter uns, bei Nacht.
29.10 Feind überquert Rollbahn Cherson-Perekop schneidet auch uns ab. Er ist schon 70 Kilometer hinter uns. Gros der 4. Gebirgs-Division, 4. Rumänische Brigade, Gruppe Fett (genannt nach ihrem Kommandanten), Teile des 668. Grenadier Regiment Panzerabwehrgeschütze, 5 Hornissen, Panzerjäger Abt. 93 mit ...
30.10. .. etlichen Sturmschützen im Kessel. Auch etliche versprengte Gruppen. Trosse werden von feindlichen Panzern überfahren. Igel um Askanja Nowa.

Um sich wenigstens im groben die Geographie klar zu machen, sei an dieser Stelle noch einmal eine Karte von diesen Rückzugskämpfen eingestellt (s. Abb. 5).

Abb. 5: Die überholte und eingeschlossene 4. Gebirgsdivision kämpft sich bis Februar 1944 zurück zum deutschen Brückenkopf bei Cherson (aus Paul Carell/Verbrannte Erde)

Lindner schreibt weiter (TbLindner):  

31.10. Hauchdünne Chance nach Westen durchzubrechen. Nachmittag Formierung zum Durchbruch. In Marschkolonnen. Marschzahl 16 Westen. Die vorderen Bataillone waren mit etlichen Hornissen und Sturmschützen verstärkt. Voraus 2. Bataillon 91. Nördliche Gruppe. Das Antreten vollzog sich unter schweren feindlichen Artilleriegranaten-Salven (Stalin-Orgel) und Panzerfeuer. Kurz vor dem Durchbruch traf ich wieder Franz Strasser, Erhard, ein Obertrumer. Sahen die Jäger in Marschkolonnen in einem Kilometer Entfernung dahinziehen. Das feindliche Feuer verstärkt sich.
31.10. Die nördliche Gruppe Gebirgsjäger-Regiment 91 und eine rumänische Gruppe traten auf die Orte Tschapinka und Petrowka an. Gebirgsjäger-Regiment 13 in Richtung Stassny. Sämtliche übrigen Verbände in der Mitte, so auch 5. Batterie Angreifende Bataillon haben große Verluste. Hauptmann Wolferseder 2. Bataillon 91 gefallen, desgleichen sein Adjutant. Verwundete werden so weit als möglich mitgenommen. Gruppe Fett wehrt 20 feindliche Panzer ab. 13 abgeschossen. Schweres Feuer auf die Kolonnen. Ab 4 Uhr Nachmittag geht es im Laufschritt auf offenem Gelände. Aus den Orten, die nur noch vom Feind besetzt waren, heftige 762 und Stalinorgel-Feuer. Unsere Zugtiere, die im Tandem die Geschütze zogen, erhielten Treffer und die Tragtierführer. Unser Batteriekoch, Unteroffizier Istler gefallen. Franz Winkelhofer verwundet. Hatten mehrere Tote und Verwundete. Die Geschütze der 5. Batterie wurden gesprengt. Etliche Stunden geht es im Laufschritt durch den aufgerissenen Ring. Unsere Rucksäcke gehen verloren. Marschrichtung Westen. Die Jägerbataillone greifen weiter an. Gebirgsjäger-Regiment 13 über Stassny hinaus. Gebirgs-Jäger 91 bei Krassnaja Polanka. Überrennen die Russen, aber mit großen Verlusten. 4. Abteilung Artillerie-Regiment 94 bildet Nachhut. Aber noch massives Feuer auf den Kolonnen. Es war schon Nacht, als wir auf die ersten Sicherungen der 13. deutschen Panzer-Divisionen bei Novi Gai trafen (13. Panzer-Division hatte nur noch bei 20 Panzer). Halt bei Buinj. Todmüde, es war schon Nacht. Etliche Stunden Schlaf. Seit Tagen keine Rast. Nur kurzes Halten zum Essen. Feldküche kochte.
?.11. Auf Marsch. In russischer Kälte Schlaf. Morgens ging es wieder weiter. Unsere vier Mann werden nicht geweckt. Die Gefechtsbatterie (ohne Geschütze) war schon weg, als wir wach wurden. Hatten noch großes Glück. Um 7 Uhr im nächsten Dorf, noch Sicherungen der 13. Panzerdivision. Unsere Einheit hatte uns schon abgeschrieben, nach dem großen Durcheinander. Im nächsten Dorf trafen wir zu unserem Haufen. Marsch bis Bolschoj Kopani. (…)
2.11. 250 Kilometer seit 26. Oktober eine ungeheure Marschleistung, zum Umfallen müde. Es schmerzten die Füße (angeschwollen) teils voll Blasen, wir hatten ja nicht Zeit, die Schuhe auszuziehen.
3.11. Marsch bis Rdenskoje. Auffangstellung. Russe war mit dem Gros der Panzerverbände zur Landenge Perekop gestoßen. Er schneidet dadurch die ganze Krim ab. Unsere auf der Krim verbliebenen Divisionsteile, hauptsächlich Trosse und Verpflegungseinheiten u.a.m. Sanitäter-Kompanie hatte später harte Gefechte als Alarmeinheiten zu bestehen (Zur Verteidigung der Krim). Mehrere Obertrumer blieben für immer dort. Brandstätter Eduard, Mariacher Sepp. Vermißt wurden Noppinger Sepp, Lindner und andre aus Hallwang u.a.m. Die Überlebenden wurden später von Eupatoria, nach Rumänien, verschifft und kamen dann wieder zu unserer Division.
4.11. Bildung des ungefähr 20 x 7 Kilometer großen Cherson Brückenkopfes, jenseits des mächtigen Dnjepr (1 Kilometer breit) mit Konka (ein Flußarm)
5.11. bis Weihnachten. Verteidigung des Brückenkopfes. Häufige Angriffe des Feindes, mit Panzern unterstützt, dann wieder in den Lagunen, am Konka Fluß und Dnjepr Auen, versucht den Brückenkopf einzudrücken. Dünengelände, feiner Flugsand verlegte die Maschinenpistolen und Gewehre. Teile von unserer Batterie hatten Sicherung diesseits des Flusses und am Ingulez, der hier in den Dnjepr mündet. Wir hatten noch keine Geschütze, waren bei einer Alarmeinheit. Viel Wache besonders in der Nacht. Zur Unterstützung war Zwillingsflack eingesetzt. Unteroffizier Gutmann auf vorgeschobener Beobachtung gefallen. Unteroffizier Hellmich bei Sicherung gefallen. 3. Bataillon 13 verhindert ein Abschneiden der Front in den Konka-Auen. Erstmals gibt es neue Panzerfaust.
24.11. Feind landet hinter der Konka, ein Flußarm. Durch Lagunen und Schilf bis zum Bahndamm Aleschki. Gegenstoß der 91. Jäger. Feind muß zurück in den Sumpf. Dort hielt er sich mehrere Tage. Durch Umgruppierung mit den 13. Jägern. Gemeinsam wurde dann Feind aufgerieben. So leicht schreibt sich das, welche Opfer es aber gekostet hat?
Anfang Dezember mußten wir einen Spähtrupp mit Sturmbooten machen in die Konka-Auen. Wir sahen Gott sei Dank keine Russen. Außer den vielen Posten (Wachen) bei der Alarmeinheit hatten wir eine ruhige Kugel diesseits des Stromes.
15.12. Großangriff der Russen auf Brückenkopf. Front kommt in Bewegung
Russisches Bataillon mit Panzern unterstützt. Starkes Artilleriefeuer. Schlachtflieder Jl 2 greifen im Erdkampf ein mit Bordkanonen.
16.12. Nach stundenlangem mörderischen Kampf bleibt der Angriff in den Dünen liegen. 12 Panzer feindlich abgeschossen. Wirksam unterstützt durch die Ar. des Rgt. 94.
17.12. Feind gibt nicht auf, greift fast pausenlos an. Großer Einsatz von Munition und Material. 26 feindliche Panzer abgeschossen. In Stuka 87 als fliegende Panzerjäger mit 3,7 Bordkanone ausgerüstet, greifen feindliche Panzer an.
18.12. Wieder starker Gefechtslärm. (…) Um 22.25 wird auf höherem Befehl, die fast einen Kilometer lange Eisenbrücke über Dnjepr und Konka gesprengt. Keine feste Verbindung mit dem Kampf-Bataillon mehr, Fluß ist teilweise zugefroren. Jenseits stauen sich die Kolonnen. Alles muß nun mit Fähren über den Strom gebracht werden. Das Eis war teilweise zu schwach. Forderte auch wieder Verluste von Menschen und Material. Die lange Eisenbahnbrücke über den Strom wurde von der Organisation Todt erbaut. Kostete Unsummen von Reichsmark, war kaum erbaut, auch gedacht für den Rückzug der Krimarmee: Daraus wurde nichts. Feind schnitt den Weg ab. Das Gesetz des Handelns lag schon länger nicht mehr bei uns.
19.12. Verkleinerung des Brücken-Kopfes um Bahnhof Aleschki und beginnend teilweise Räumung.
20.12. 6.15 geht Nachhut der 13. Jäger über den Strom. Sieben Wochen aufreibender Kampf. Für was? Auch wieder Verluste.
29.12. Sicherung und Verteidigung diesseits des Stromes. Abwehr russischer Übersetzversuche.
25.12. Weihnachten in der Stadt Cherson. Sämtliche Mannschaft der Batterie wieder beisammen. Auch hatten wir schon wieder Geschütze (5 Batterie) Feldgottesdienst. Marketender Waren.

Ein aufregender, wenn nicht aufwühlender Bericht. Lindner hat als einfacher Soldat immer auch die größere Lage im Blick. Soweit zur deutschen 4. Gebirgsdivision. 

Die Verteidigung der Südfront des Brückenkopfes Nikopol

Die oberösterreichische 3. Gebirgsdivision verteidigte in dieser Zeit das Südufer des Dnjepr gegenüber von Nikopol Richtung Süden (s. Abb.). 

Abb. 6: Verteidigung des linken Dnjepr-Ufers, 1. November 1943

Die deutsche Aufstellung südlich von Nikopol ist der Lagekarte vom 1. November 1943 zu entnehmen. Von Osten nach Westen verteidigten hier (Abb. 6):

  • die mecklenburgischen 302. Inf. Division,
  • die oberösterreichische 3. Gebirgs-Division,
  • die Nürnberger 17. Infanterie-Division,
  • die 335. Infanterie-Division,
  • die hessische 9. Infanterie-Division
  • die 97. Jäger-Division

Alle diese Divisionen sollten beim Ausbruch aus dem Nikopoler Brückenkopf im Februar 1944 bei Bolshaja Kostromenka (Groß-Kostromenka) noch einmal eine wichtige Rolle spielen. Es handelt sich im Wesentlichen um dieselben Divisionen, die schon den "Ostwall" an der Molotschna verteidigt hatten. Die 73. Inf.-Division schließlich wurde bei Bolschaja (Groß-)Lepaticha am Dnjepr-Ufer in Reserve gehalten.  

Abb. 7: An der Südfront des Brückenkopfs Nikopol - Im Bereich der 55. Grenadier-Regiments, das der 17. Infanterie-Division unterstellt war (Reibt)

Die Südfront des Brückenkopfes Nikopol wurde unter anderem über Kamenka (GMapsWiki) an der Südseite der Dnjepr-Senke von Nikopol aus versorgt. Die Brücke bei Kamenka ermöglichte auch die Versorgung der deutschen Division auf der Südseite des Dnjepr. Und sie ermöglichte die Rücknahme der Divisionen auf die Nordseite kurz vor der Räumung des Brückenkopfes Nikopol im Februar 1944. So ist es auch in der Ortsgeschichte festgehalten (Wiki):

Während des Großen Vaterländischen Krieges (1941-1945) bauten die Deutschen 1943 mit Hilfe der örtlichen Bevölkerung eine Brücke zwischen Nikopol und Kamenka-Dneprovskaya, um die am linken Ufer stationierten verteidigenden Armeen schnell mit Gütern über den Dnjepr versorgen zu können.

Dieser Umstand ist auch gut einer Karte der 15. Flak-Division vom 7. Oktober 1943 zu entnehmen. Da finden sich sogar drei Übergänge eingezeichnet, wobei es sich auch um Fähren gehandelt haben kann (Abb. 7).

Abb. 8: Deutsche Brücke von Kamenka nach Nikopol über die Dnjepr-Senke hinweg (wwii)

Im Gegensatz zu den heißen Abwehrkämpfen an der Süd- und an der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol lagen die behelfsmäßigen Brücken und Fähren über den Dnjepr noch im Etappengebiet. Deshalb konnte es hier noch vergleichsweise friedlich zugehen wie Filmaufnahmen entnommen werden kann (vielleicht aufgenommen von Kriegsberichterstatter Goetz Hirt-Reger aus Baden bei Wien, vielleicht auch aufgenommen von anderen) (1) (Abb 8 und 9).

Abb. 9: Der Dnjepr irgendwo in der Region rund um Nikopol, wohl Ende 1943 (Aufnahmen aus dem Filmarchiv Karl Höffkes, AKH) - Offenbar Blick auf das Südufer - von wo die Leiche eines deutschen Gefallenen durch eine eisfreie Rinne geholt wurde

An den Fronten aber fielen die Soldaten und das nicht nur vereinzelt. Am 28. November fiel etwa der Obergefreite Karl Klocke aus Wüsten bei Bad Salzuflen in Westfalen (Abb. 11) (wois). Er fiel neun Kilometer südostwärts von Dnjeprowka. Dnjeprowka lag im Verteidigungsbereich der oberösterreichischen 3. Gebirgsdivision, allerdings in der Nähe zur Divisionsgrenze zur anschließenden 302. Infanterie-Division.

Abb. 10: Der Dnjepr bei Nikopol, wohl Ende 1943 - (Aufnahmen aus dem Filmarchiv Karl Höffkes, AKH) - Offenbar Blick auf das Südufer

Eine Ortschaft neun Kilometer südostwärts (GMaps) von Dnjeprowka (ukr. Dniprowka [Saporischschja]) (WikiukrGMaps) ist das Dorf Podowe (Saporischschja) (GMaps). Auf dem Friedhof seines westlichen Nachbardorfes Sapowitne (Saporischschja) findet sich eine sowjetische Kriegsgräberstätte (GMaps), wo Soldaten jener Zeit bestattet sind. 

Über die Kämpfe der oberösterreichischen 3. Gebirgsdivision in diesem Raum lesen wir (Wiki):

Bis zum 14. November 1943 wurde die Division in den Brückenkopf von Nikopol an den Dnjepr zurückgedrängt. (...) (Es folgte die) Verteidigung des Brückenkopfes von Nikopol. (...) Das Divisionshauptquartier lag zeitweise in Dnjeprowka, während der Verteidigungsbereich Gebirgsjäger südöstlich davon verlief. Linker Nachbar war die 302. Infanterie-Division, rechter Nachbar die 17. Infanterie-Division. Der Korpsgefechtsstand befand sich im nordwestlich gelegenen Nikopol.
Der Brückenkopf selbst wurde erst ab 20. November attackiert. In dem mehr als zehn Tage dauernden Kämpfen mußte auch die in der Tiefe bereitgehaltene 24. Panzer-Division eingreifen. In Zusammenarbeit mit dieser ostpreußischen Panzer-Division gelang es der 3. Gebirgs-Division unter hohen eigenen Verlusten alle Angriffe der Roten Armee abzuwehren. Am Ende der Schlacht wurden vor der Front der Gebirgs-Division 146 abgeschossene sowjetische Panzer und 2000 tote Rotarmisten gezählt. Ein weiterer Großangriff fand in der Zeit vom 19. Dezember bis Weihnachten 1943 statt. Auch hier war der Einsatz der 24. Panzer-Division notwendig, mit deren Hilfe es den hart bedrängten Gebirgsjägern gelang, ihre Stellungen zu halten bzw. wieder zurückzuerobern.

Gerade als am 30. Januar der entscheidende sowjetische Großangriff von Norden her auf die Sehnenstellung des Brückenkopfes Nikopol beginnen sollte, wurde die wertvolle 24. Panzer-Division aus dem Brückenkopf Nikopol abgezogen, weil sie andernorts dringend gebraucht wurde. 

Abb. 11: Südfront des Brückenkopfes Nikopol am 1. Januar 1944 (LexdWehrm)

Am selben 19. Dezember 1943 mußten auch schwere Angriffe an der Nordfront des Brückenkopfes abgewehrt werden wie wir gleich weiter unten sehen werden. Die Sowjets stießen sich auf beiden Seiten die Köpfe ein, was dazu führte, daß sie ihre Kräfte umgruppierten und nun ab 30. Januar 1944 von Norden her die Sehnenstellung ins Visier genommen haben.

Abb. 12: Obergefreiter Karl Klocke (geb. 1920, gefallen am 28. November 1943 neun km südostwärts von Dneprowka - Er stammte aus Westfalen aus der Ortschaft Wüsten (wois)

Auch schwere Luftkämpfe gab es über dem Brückenkopf Nikopol. Der Jagdflieger Leutnant Johannes Bunzek aus Groß-Strehlitz in Oberschlesien, Angehöriger der 7./JG 52, hatte von Januar bis Dezember 1943 75 Feindflugzeuge abgeschossen, bis ihn über Nikopol das Schicksal ereilte (JG52):

Am 11. Dezember 1943 stieß er beim Angriff auf Il-2 über dem Brückenkopf von Nikopol südwestlich Werbljushka mit einem von ihm abgeschossenen La-7-Jäger zusammen, wobei seine eigene Maschine in der Luft explodierte und er dabei den Tod fand.

Nachträglich wurde ihm das Ritterkreuz verliehen.

Der Kompagnie-Führer Herbert Schrödter an der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943

Die Berliner 257. Infanterie-Division (s. balsi) stand seit 8. Dezember 1943 55 Kilometer westlich von Saporoschje und etwa 50 Kilometer nördlich von Nikopol in Verteidigung des heute nicht mehr vorhandenen Dorfes Boshidar (GMaps) (FdW) (TbSchrödter). Dieses Dorf lag nur drei Kilometer östlich von "Netschajews Grab", dem offenbar in der sowjetischen Kriegsgeschichtsschreibung und in der ukranischen geschichtlichen Erinnerung größere Aufmerksamkeit zugesprochen wird (siehe gleich).

Hier verteidigt der Berliner Lehrersohn und Oberleutnant Herbert Schrödter mit seiner Kompanie. Die vorderste Schützenlinie ist nur alle 50 bis 100 Meter durch ein Schützenloch gesichert. Am 19. Dezember brechen 25 T34 durch diese Schützenlinie hindurch und rollen in das Dorf Boshidar hinein. Dort befindet sich in einem der Bauernhäuser der Bataillonsgefechtsstand. Auf diesem hält sich zu diesem Zeitpunkt auch Schrödter gerade auf. Er erlebt aus nächster Nähe mit, wie die im Dorf gut getarnt in den Gärten stehenden neun deutschen Geschütze gleichwertigen Kalibers es mit diesen Panzern aufnehmen. Da sie gut getarnt sind, werde sie offenbar von keinem der sowjetischen Panzer erkannt. So gelingt es ihnen, nach und nach 23 der 25 Panzer auf kürzeste Entfernung abzuschießen (TbSchrödter).  

Abb. 13: Deutscher Soldatenfriedhof im Brückenkopf Nikopol, Dezember 1943 (Reibt)

Der 23. Panzer war dann doch noch mitten durch die Dorfstraße geprescht und hatte unerfahrene aus der Frontlinie fliehende deutsche Soldaten auf freiem Feld verfolgt und mit dem Maschinengewehr nieder gemäht. Dann war er in das Dorf zurück gekehrt. Dort ist er dann schließlich doch noch abgeschossen worden. Am Folgetag wurden auf gleichen Weise noch einmal 11 von 15 Panzern abgeschossen. Diesmal hatten sie von der linken Flanke her angegriffen. Rückblickend hieß es zu diesen Abwehrerfolgen im Divisionsbefehl vom 14. Januar 1944 (Vexilli):

In der zweiten Dezemberhälfte stand der linke Flügel der Division im Brennpunkt schwerer Abwehrkämpfe. Hier versuchte der Feind, einen entscheidenden Durchbruch in Richtung Nikopol zu erzwingen. Er trat am Morgen des 19. Dezember 1943 mit zwei Garde-Schtzn.Div., Teilen zweier weiterer Divisionen, Teilen eines Pz.-Korps mit etwa 100 Panzern, dazu drei Sturm-Pi.Batl. unterstützt von mehreren Granatwerfer- und Salvengeschütz-Rgt. im wesentlichen gegen den Abschnitt der zwei Bataillone des Gren.Rgt. 477 zum Groß-Angriff an.
Das II./Gren.Rgt. 477 unter Führung von Hptm. Schlegtendal kämpfte bis zum letzten Mann um Ljubimowka und erlag nur der ungeheuren feindlichen Übermacht.
Das III./Gren. Rgt. 477 bewährte sich erneut unter Führung von Hptm. Gust als Eckpfeiler der HKL und hielt in hin- und herwogenden Gefechten im Nahkampf mit feindlichen Panzern und Infanterie Boshidar und die Höhe westl. davon. (...)
66 abgeschossene russische Panzer sind Zeugen unseres Abwehrsieges bei Boshidar und Ljubimowka.

Ljubimowka liegt westlich von "Netschajews Grab", das bei diesem Anlaß also genommen worden war. Herbert Schrödter, Oberleutnant und Chef einer Kompanie des letzteren Regiments, schrieb am 25. Dezember ein wenig in Weihnachtsstimmung in sein Tagebuch (Vexilli):

Tagelang hat uns die rote Flut berannt und bestürmt. Wir haben ihr standgehalten. Zwar hat der Feind beim linken Nachbarn Gelände gewonnen und steht in unserer Flanke, aber wir sitzen noch in Boshidar. Er hat uns mit schwerer Artillerie betrommelt, aber es half ihm nichts. Er hat fast ein ganzes Panzerkorps geopfert. Wir haben es ihm zerschlagen. Er hat uns, vor allem unserem linken Nachbarn, schwere Verluste zugefügt, aber wir weichen nicht.

Den ganzen Tag über hatte Schrödter erregt auf einen neuen Sturmangriff der Sowjets gewartet, der dann aber doch nicht mehr angegriffen hat (Vexilli). Am 28. Dezember mußte das Dorf Boshidar aufgegeben werden (Vex):

Wir selbst haben unsere Stellungen zwar behauptet, aber der Feind steht links so tief in unserer Flanke, daß er unseren vorspringenden Frontkeil abzuschnüren droht. Wir müssen also zurück.

Am 28. Dezember 1943 verließ das Bataillon bei dichtem Nebel das Dorf Boschidar (TbSchrödter).

Abb. 14: Tagebuch Herbert Schrödter: "So verließ ich mit meiner Nachhut das Dörfchen Boshidar in dichtem Nebel" - Am 28. Dezember 1943 (Vexilli)

Schrödter fand sogar noch Zeit, eine Fotografie seiner Nachhut anzufertigen (Abb. 12). Die Einheiten gingen nach Süden auf das nur wenige Kilometer entfernte Kitaigorodka (ukr Kytajhorodka) (GMaps) zurück.

"Ari-Pickel" oder "Netschajews Grab" an der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943

Nur wenige Kilometer westlich von Boshidar und Kitaigorodka lag nun "Netschajews Grab" (Wiki) (GMaps), dem im ukrainischen geschichtlichen Gedächtnis einige Bedeutung zugesprochen wird. Schrödter hatte erwähnt, daß dem Feind in dem dortigen Abschnitt ein tieferer Einbruch gelungen war. Aber die sowjetischen Quellen sprechen auch hier von den furchtbarsten Kämpfen - sowjetischer Angriff und deutscher Gegenangriff, sowjetischer Angriff und deutscher Gegenangriff mehrmals im Wechsel.

Bei "Netschajews Grab" handelt es sich um ein skythisches Hügelgrab aus dem 4. Jahrhundert v. Ztr., das auch archäologisch höchstes Interesse auf sich gezogen hat, und das sich im 19. Jahrhundert auf dem Landbesitz der Familie Netschajew befunden hatte. Daher stammt der Name. Der Grabhügel liegt 50 Kilometer nördlich von Nikopol - und damit einmal erneut mitten in der Urheimat der Späten Urindogermanen, der Jamnaja-Kultur ab 3.300 v. Ztr. und ihrer Vorgängerkultur, der Sredni-Stog-Kultur, der Vorfahren der 1944 hier auf beiden Seiten kämpfenden Soldaten. Ukrainische Archäologen, die sich mit diesem Grabhügel beschäftigen, referieren auch die Schicksale dieses Grabhügels während des Zweiten Weltkrieges. Sie schreiben (Daragan/Polin2021):

Eine besonders tragische Rolle spielte der Hügel während des Großen Vaterländischen Krieges, als er einer der wichtigsten Stützpunkte der Wehrmachtstruppen bei der Offensive der Roten Armee Nikopol-Kriwoi Rog im Dezember 1943 - Januar 1944 war, bei der die Kriwoi Rog-Nikopol-Gruppe besiegt wurde, und bei der diese um jeden Preis versuchte, das Mangan- und Eisenerzbecken von Nikopol und Krivoy Rog zu halten.

Wie wir den Schilderungen aus dem Tagebuch von Herbert Schrödter entnehmen können (siehe gleich), spielte dieser Grabhügel - zumindest auf deutscher Seite in keiner Weise die Rolle, die ihm hier zugesprochen wird ("wichtigster Stützpunkt"). Weiter heißt es (Daragan/Polin2021):

Mehr als eineinhalbtausend sowjetische Soldaten wurden in den Kämpfen um Netschajew's Grab getötet. Der Hügel selbst, insbesondere seine Spitze, war mit Unterständen und Verbindungsgängen sowie Hunderten von Granatenkratern übersät. (...) Alle Fakten deuten darauf hin, daß es sich bei dem Hügel früher um einen der größten skythischen Königshügel in der nördlichen Schwarzmeerregion handelte, er hatte eine Höhe von mindestens 20 Meter. 

Rund um Netschajews Grab tobten die Kämpfe zwischen dem 5. Dezember 1943 und dem 15. Januar 1944.

Zwischenbetrachtung

Und einmal erneut lesen sich die sowjetischen Erinnerungen an diese Kämpfe - sozusagen - "erregter", "nervöser" und damit zugleich auch "pathetischer" und "überspannter" als sich üblicherweise deutsche Erinnerungen an diese Kämpfe lesen, auch etwa die von Herbert Schrödter. Deutscherseits wurde auch in schwersten Lagen, in denen schon fast alles verloren scheint, Ruhe bewahrt. Bis natürlich auf die Ausnahmen unerfahrener oder sehr kraß abgekämpfter Soldaten und Einheiten. Bei Schrödter finden sich auch dafür Beispiele (siehe unten). Man kann aber allen sowjetischen Berichten - und auch noch dem heutigen pathetischen Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen Sowjetsoldaten - entnehmen, daß den sowjetischen Soldaten aller Ränge im Grunde voll bewußt war, daß sie jederzeit "verheizt" wurden. Und zwar oft genug "bedenkenlos".

Zugleich aber war ihnen bewußt, daß "Aufmucken" dagegen überhaupt nichts nützte, weder ganz unten, noch ganz oben. Die Tuchatschewski-Krise des Jahres 1938 und die ständige Überwachung durch Parteibonzen und Kommissare innerhalb der Roten Armee hatte die Soldaten aller Ränge zutiefst eingeschüchtert. Sie befanden sich also insgesamt in einer ganz anderen seelischen Lage als die große Mehrheit der deutschen Soldaten. Deshalb lesen sich auch noch heute viele russische oder ukrainische Berichte und Darstellungen von diesen Kämpfen so "gezwungen", so "geschwollen", so "übertrieben", "überspannt". Es spricht nicht ansatzweise echte Ehrlichkeit aus ihnen. 

Die Molotschna-Linie nennen sie ein "zweites Verdun", "Netschajews Grab" nennen sie "einen der wichtigsten Stützpunkte der Wehrmachtstruppen". Man hat noch heute insgesamt nicht den Eindruck, als ob Ukrainer und Russen zu einer entspannten, gelassenen und ruhigen Betrachtung der damaligen Ereignissen gefunden hätten. Belege für eine solche Haltung konnte der Autor dieser Zeilen jedenfalls bislang nicht finden. Im nächsten Beitrag werden wir etwa noch das Foto eines heutigen Denkmals auf einer sowjetischen Kriegergräberstätte bringen: Was für ein übertriebenes, hohles Pathos - noch heute. Im Grunde die einzige Rechtfertigung für dieses Pathos könnte man darin sehen, daß die Sowjetunion damals mit den "westlichen Demokratien" verbündet war. Aber ist das wirklich eine Rechtfertigung? - Wir lesen weiter, was die beiden ukrainischen Archäologen schreiben, wobei sogar diese nüchtern arbeitenden Wissenschaftler noch eher einen  ideologischen Zungenschlag drauf haben als ruhige Sachlichkeit (nach Google-Übersetzer) (Daragan/Polin2021):

Die „Höhe 167,3“ des Netschajew-Grabes war einer der wichtigsten Verteidigungspunkte der feindlichen Nikopol-Gruppe und stellte sich als „Schlüssel“ zu Nikopol und diesem Teil der Front heraus. Die brutale Besetzung dieser Höhe dauerte vom 5.12.1943 bis zum 15.01.1944 praktisch ununterbrochen.

Wozu hier das Wort "brutal"? Krieg ist sowieso "brutal", seinem Wesen nach. Aber warum sollte es gerade hier noch brutaler zugegangen sein als anderwärts? Über den 6. Dezember 1943 schreiben sie (evraz):  

Am folgenden Tag wurden jedoch die beiden sowjetischen Bataillone, die Netschajews Grab besetzten, umzingelt infolge des mächtigen Angriffs des Feindes aus dem Westen. In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember konnten sie aus der Schule (?) ausbrechen. Netschajews Grab ergab sich dem Feind. Bis zum 18. Dezember 1943 dauerten heftige Stellungskämpfe im Bereich rund um den Hügel ununterbrochen an.

Am 19. Dezember, am selben Tag, an dem die 25 Panzer bei Herbert Schrödter wenige Kilometer weiter östlich durchgebrochen waren und abgeschossen werden konnten, wurde auch die Gegend um "Netschajews Grab" erneut massiv angegriffen. Hier aber war der sowjetische Angriff deutlich erfolgreicher als etwas weiter östlich (evraz): 

Am 19. Dezember 1943 wurde in der Region von Netschajews Grab eine Offensivoperation gestartet, um die tief gestaffelte Verteidigung des Feindes in Richtung Nikopol zu durchbrechen. Am selben Tag wurde die Höhe von 167,3 Netschajews Grab erneut im Sturm erobert.

Von "tief gestaffelt" kann - wie so oft (und wie auch schon an der Molotschna) - gar keine Rede sein. Vielmehr war die deutsche Verteidigung vermutlich einfach straffer und besser organisiert und hat wesentlich und punktgenauer auf das Angriffs-Geschehen reagiert. Deutscherseits wurde - wie auch sonst an der Front üblich - die Rückeroberung befohlen (evraz):

Am 21. Dezember wurde die Anhöhe jedoch durch den Gegenangriff des Feindes an der Flanke der vorrückenden Gruppe der Roten Armee vom Feind erobert. Vom 22. Dezember 1943 bis zum 15. Januar 1944 kam es zu ständigen und erfolglosen blutigen Kämpfen mit dem Ziel, das die Anhöhe umgebende Land zu erobern, das bei Frühlingswetter für den Feind über eine Entfernung von bis zu 30 km sichtbar war. Aufgrund der zunehmenden Erschöpfung und der geringen Anzahl sowjetischer Truppen im Raum von "Netschajews Grab" wurden die aktiven Kampfhandlungen von nun an bis Ende Januar 1944 eingestellt.

Also nicht nur die deutschen Truppen, auch die sowjetischen waren zutiefst erschöpft. Der Schwerpunkt der Angriffstätigkeit wurde sowjetischerseits ab diesem Zeitpunkt auch weiter nach Westen verlegt. Dort sollte der Brückenkopf Nikopol an seiner Basis abgeschnürt werden. Auch das gehört zur Schieflage der Darstellung der ukrainischen Archäologen: Nicht die Deutschen wählten die Angriffsschwerpunkte, nein, inzwischen führte diesbezüglich längst die sowjetische Seite "Regie". Sie wollte entweder an dieser oder an jener Stelle durchbrechen. Deutscherseits wurde immer nur gehalten, solange es ging. 

Abb. 15: Gebirgsjäger der 3. Gebirgsdivision an der Südfront des Brückenkopfes Nikopol, Oktober 1943 (Fb) - Sie geben ein "gutes Bild" ab, sind aber genauso reihenweise gefallen wie weniger "kernig" aussehende Soldaten anderer Divisionen

Ab 30. Januar 1944 ging genau dieses Halten weiter westlich bei der deutschen 62. Infanterie-Division  nicht mehr. Sie stand dort zwischen den Flüssen Ssakssagan und Kamenka. Und hier gelang dann überraschend der entscheidende sowjetische Durchbruch. Er konnte deutscherseits nun nicht mehr zurück geworfen werden und in den Folgetagen mußte der Brückenkopf insgesamt aufgegeben werden (dazu mehr im nächsten Beitrag). 

Angriffe bei der 3. Gebirgsdivision an der Südfront des Brückenkopfes Nikopol, 30. Dezember 1943

Für die spätere Kriegsgeschichtsschreibung verfaßte der an führender Stelle in den Kämpfen von Nikopol beteiligte deutsche Major Dr. Frenck im Mai 1944 eine erste Darstellung der Kämpfe aus deutscher Sicht. Er hielt fest (Frenck 1944, S. 7):

Den ersten vergeblichen Ansatz zur Durchführung ihres Operationsplanes hatten die Sowjets zwischen dem 30.12.43 und 1.1.44 gemacht. Die beiden Korps im Brückenkopf Nikopol wiesen die Angriffe ohne nennenswerten Geländeverlust zurück. Die Wiedergewinnung von Nowo Troizkij kostete die 3. Geb.Div. damals allerdings weit mehr Opfer als alle späteren Kämpfe.

Auf einer Karte ist zu sehen (Reibt): Die 3. Gebirgsdivision verteidigte südlich von Dnjeprowka die kleinen Dörfer Zwitkowe (GMaps) und Hurtkowe (GMaps) in Richtung Süden. Vielleicht hundert Meter nördlich von Zwitkowe lag der Flecken Nowo Troizkij, bis wohin die sowjetische Fronlinie nach Norden ausgebuchtet war. Dort gibt es heute keine Gebäude mehr. 

Abb. 16: Nordfront des Brückenkopfes Nikopol am 1. Januar 1944 (LdW) - Ganz links die 62. Infanterie-Division zwischen den Flüssen Ssakssagan und Kamenka

In der Liste der heutigen ukrainischen Dörfer mit diesem Namen findet sich dieser Flecken ebenfalls nicht (Wiki). Die Gebäude dort werden während des Kampfes zerstört und nicht wieder aufgebaut worden sein. Auf dem Friedhof des westlichen Nachbardorfes befindet sich ein Massengrab und eine Gedenkstätte (GMaps).

"Meine Kompagnie wurde aufgerieben"

Am 4. Januar 1944 schreibt ein "Willy" - Angehöriger einer nicht genannten Einheit - aus dem "Brückenkopf Nikopol" an "Frl. Erika Hölzl" in Berghausen in Oberbayern (Reibt):

Liebe Erika!
der Menschenmangel und der ständige Einsatz macht es fast unmöglich, oft und viel zu schreiben. Am 27.12. kam ich wieder zu meiner alten Einheit und somit wieder in den vordersten Graben. Seit dem ist schon vieles geschehen.
Meine Kompagnie wurde aufgerieben bis auf sieben Mann. Ich bin heute einer ältesten "Kämpfer" der Einheit geworden. Das ist leicht verständlich. Die ununterbrochenen Angriffe der Russen erfordern eine Masse von Leuten. Ein Beispiel am 31. zum 1. Januar griff er in Divisions-Stärke auf einem kleinen Abschnitt unseres Bataillons an. Nach großem Kampf und Gegenstößen wurde der Russe, der in unsere Stellung eingebrochen war, wieder rausgeworfen.
Alles Erlebte ist schwer zu schildern oder in Worte zu kleiden. Ich hoffe nur eines, daß es mich bald erwischt und ich somit die Heimat wiedersehe. In diesem Sinne grüße ich Dich recht lieb und wünsche ein baldiges Wiedersehen.
Nochmals innige Grüße Dein Willy

Er macht wahrlich nicht viele Worte um das Erlebte. Aber man hat eine klare Vorstellung von dem, was er erlebt hat. 

Zurück zur Nordfront des Brückenkopfes (Abb. 13). Am 10. Januar 1944 befindet sich Oberleutnant Schrödter mit seinen Einheiten einige Kilometer südlich von Kitaigorodka (Wiki). Er schreibt unter anderem in sein Tagebuch  (TbSchrödter):

Unser Kommandierender General, General Schörner, hat sich etwas Neues ausgedacht. Er gibt laufend Berichte zur Lage heraus, die sofort allen Kompanieangehörigen bekanntzugeben sind. Da diese Blätter aber erst abends kommen, brauche ich die halbe Nacht, um sie in allen Bunkern vorzulesen. Man kann es nicht riskieren, diese Verlesungen einmal auszulassen. Schörner taucht oft mitten in der Nacht an der Front auf, und Nichtbefolgen seiner Befehle bedeutet u. a. Todesstrafe. Nach dem Hörensagen hat Schörner schon Soldaten wegen geringerer Vergehen erschießen lassen. Über ihn laufen die tollsten Gerüchte herum. Er ist gefürchtet. Aber wo Schörner ist, steht die Front.

Der Folgetag, der 11. Januar, ist einer der wenigen, an denen Oberleutnant Schrödter in seinem Tagebuch einmal landschaftliche Eindrücke festhält (TbSchrödter):

Im Morgendämmer steige ich aus dem Bunker und erlebe einen Sonnenaufgang, wie ich ihn in solcher Pracht nur noch während meiner Seefahrtzeit auf den Meeren erlebt habe. Die grenzenlose, weite, baumlose Schneelandschaft liegt in blendendem Weiß unter einem zartblauen Himmel. Der östliche Horizont glüht in allen Farben des Rot vom blassen Gelb bis zum brennenden Dunkelrot. Seine brennende Lichtfülle bricht sich in Milliarden von Schneekristallen, die glitzernd und gleißend wie funkelnde Brillanten das Sonnenlicht in winzigen, flimmernden Sternchen tausendfältig zurückstrahlen. Ein hinreißender, überwältigender Anblick. 

Vielleicht sind es solche Sonnenaufgänge gewesen, die unsere Vorfahren, die Urindogemanen dazu gebracht haben, Eos, der Göttin der Morgenröte, besondere Verehrung angedeihen zu lassen. Vielleicht auf jenen Grabhügeln mit flacher oberer Plattform, die als ihre Heiligtümer interpretiert werden (Stgen2024). 

Stellung vor "Netschajew's Grab", 15. Januar 1944

Ab 13. Januar 1944 werden die Einheiten, denen Schrödter angehört, um wenige Kilometer nach nach Westen verschoben. Am Morgen des 15. Januar 1944 schaut Schrödter morgens aus dem Bunker, den er in der Nacht bezogen hat, weiß, daß er sich einen Kilometer hinter der Hauptkampflinie befindet und sieht 200 Meter hinter sich den sogenannten "Ari Pickel". So nennt er ihn ziemlich nüchtern. Es handelt sich um "Netschejew's Grab" (TbSchr):

Schräg hinter mir ragt der steile Hügel des „Ari-Pickels“ aus der Ebene. Zwei Mann sitzen da oben drin, ein Leutnant und ein Gefreiter. Viele graue Flecken auf der weißen Schneedecke zeugen von dem Beschuß, den die B-Stelle erleiden muß. Aber dicke Stahlplatten schützen die Beobachter. (...) Ich benutze die Zeit, um einmal auf die B-Stelle im „Ari-Pickel“ zu klettern und mir einiges erklären zu lassen und durch das Scherenfernrohr zu gucken. Im Allgemeinen lieben die Artilleriebeobachter keinen Besuch, weil sie mit Recht befürchten, daß ihre B-Stelle dadurch erkannt würde.

An diesen Ausführungen wird deutlich, als wie unspektakulär "Netschajew's Grab" von deutscher Seite aus angesehen worden ist, sie sahen in ihm einen "Ari-Pickel", weiter nichts. Andernorts wären Kirchtürme oder Wassertürme für denselben Zweck genutzt worden. Damit wird erst deutlich wie überspannt noch heutige ukrainische Darstellungen zu diesem Thema sind. Man könnte die Kämpfe rund um diesen Grabhügel auch einfach exemplarisch darstellen für Kämpfe wie es sie überall an der Front gegeben hat. Aber dann würde womöglich der "Pathos" entfallen müssen und es würde einfach nur gesagt werden müssen, daß es allüberall nur ein dumpf-resigniertes, abgestumpftes, erbärmliches Kämpfen und Sterben war. Hüben wir drüber. Halten wir noch die letzten Worte der Archäologen über das Schicksal von Netschajew's Grab im Zweiten Weltkrieg fest (evraz)  

Der Feind verließ bereits am 1. Februar 1944 die Stellungen im Bereich von 167,3 Netschajew's Grab und startete einen Angriff auf Lukievka - Chkalovo - Nikopol. „Höhe 167,3 Netschajews Grab“ wurde endgültig und unwiderruflich befreit.

Es handelte sich allerdings bei dem hier genannten "Angriff" nicht um einen Angriff, sondern um einen Gegenangriff auf die weiter westlich durchgestroßenen Panzermassen, deren Durchbruch den Brückenkopf von Nikopol schließlich zum Einsturz bringen sollte. Deshalb wurden auch die deutschen Truppen bei Netschajews Grab zurück genommen. Die ganze Zeit über war die Rote Armee im Angriff, nicht die deutsche. Die Brutalität, die vom sowjetischen Staats- und Parteiapparat ausging und sich auf jeden einzelnen Soldaten, auf jeden einzelnen Bürger auswirkte, wird aber noch heute - in psychologischer Umkehrung - der deutschen Besatzung zugesprochen. Diese hatte freilich einiges dazu getan, sich ebenfalls bei den Ukrainern verhaßt zu machen. Aber dieser Umstand erklärt nicht die völlig übertrieben-pathetische Art der Darstellung. Wenn dieser Umstand im Vordergrund stünde, könnte viel nüchterner über alles geschrieben werden (so wie es ja beispielsweise auch die Kriegsgeschichtsschreibung und das Gedenken der westlichen Demokratien in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg tut). 

Verlegung per Bahn nach Kriwoi Rog, 29. Januar 1944

Inzwischen folgen wir Oberleutnant Schrödter, der mit seinen Einheiten ab 29. Januar über den Bahnhof Nikopol und mit Hilfe eines Transportzuges nach Kriwoi Rog am Inguletz verlegt wird. Dabei übernachten sie am Bahnhof Nikopol. Schrödter berichtet über den nächsten Morgen (TbSchr):

Ich betrete die Bahnhofshalle. Da fällt mein Blick auf ein großes Plakat an der Wand: „Am .. wurden .. erschossen, weil sie sich nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub einen Tag unerlaubt in Nikopol aufgehalten haben ... gez. Schörner.“ Das ist eine deutliche Warnung. Typisch Schörner. Hoffentlich kann Schörner, wenn er einmal vor dem Herrgott steht, alle Erschießungen verantworten, die er befohlen hat. 

Der Sohn, der das Tagebuch seines Vaters bearbeitet ins Internet gestellt hat, schreibt als Anmerkung dazu: Schörner ist nach dem Krieg vor Gericht gestellt worden. Man hat ihm nur eine juristisch anfechtbare Erschießung nachweisen können. Das hätte daran gelegen, daß Schörner immer einen Kriegsgerichtsrat an seiner Seite mitgeführt hätte.

Schrödters Bataillon ist auf den Bahnhof Nikopol in einer Dreiviertelstunde verladen. Es wird am Bahnhof Kriwoi Rog wieder ausgeladen und maschiert durch die Stadt, um bei dem Dorf Losowatka (Wiki) nördlich von Kriwoi Rog neue Stellungen zu beziehen.

Industrie- und Bergbaugebiet Kriwoi Rog

Zwischenbemerkung: In Kriwoi Rog wird in den letzten Jahren die Geschichte der deutschen Besatzungszeit von 1941 bis 1944 aufgearbeitet (7-11). Bis zum November 1941 hatte es eine enge Zusammenarbeit der Deutschen mit den ukrainischen Nationalisten gegeben. Diese haben auch den ersten Bürgermeister für Kriwoi Rog unter deutscher Besatzung stellten. Die Amtssprache wurde Ukrainisch und das ukrainische Kulturleben wurde sehr gefördert (7). Im November ist scheinbar - begründet oder unbegründet - der Verdacht aufgekommen, daß größere Teile der ukrainischen Nationalisten für den NKWD arbeiten würden. Die führenden ukrainischen Nationalisten wurden daraufhin von deutschen Einsatzkommandos festgenommen, vernommen und - - - erschossen. Ab Winter 1942 gab es ein Wende in der deutschen Besatzungspolitik, Ziel sollte es von nun an sein, daß es keine Bildung für Ukrainer über das 14. Lebensjahr hinaus geben sollte. Man sieht den Berichten der ukrainischen Lokalhistoriker (7-11) aber an, daß sie sich insgesamt um differenzierte Betrachtung bemühen.  

Abb. 17: Bergbau- und Industrie-Gebiet rund um Kriwoi Rog (aus Obermaier1942)

Zurück zu Oberleutnant Schrödter. Ab 11. Februar beginnt das scheußliche Tauwetter, das dem Rückzug der Armeegruppe Schörner so viele unüberwindbare Schwierigkeiten bereitet. Schrödter berichtet, daß sich die sowjetischen Scharfschützen die deutschen Kompagnie-Führer vornehmen und zwei durch Kopfschuß fallen. Er hofft, daß er aufgrund seiner Kriegserfahrung verschont bleibt. Am Abend des 15. Februar brechen die Sowjets plötzlich in den Graben seiner Kompagnie ein. Er rollt den Graben auf, findet aber keine russischen Soldaten mehr in ihnen. Doch zwei deutsche Gefangene haben sie mitgenommen, darunter den Spieß seiner Kompagnie, mit dem er gerade vorher noch gesprochen hatte (TbSchr):

Vor zwanzig Minuten saß er noch in meinem Unterstand, jetzt sitzt er drüben. Nur knapp einhundert Meter entfernt steht die ganze deutsche Front und kann ihm nicht helfen!

Zwei Nächte später, am 17. Februar 1944 mitten in der Nacht erfolgt für Schrödter ein böses Erwachen. 

Aufrollen eines Grabens nördlich Kriwoi Rog, 17. Februar 1944

Draußen tobt einer der wildesten Schneestürme dieses Winters und fegt den deutschen Soldaten den Schnee mit Wucht ins Gesicht. Sie können kaum sehen, geschweige denn hören. Schrödter ist zu diesem Zeitpunkt mit seiner Kompagnie gerade in Reservestellung. Der Regimentskommandeur gibt ihm den Auftrag (TbSchr): 

„Der Russe ist im Abschnitt der 11. Kompanie eingebrochen und hat den Graben in etwa zweihundert Metern Breite besetzt. Sie müssen ihn wieder hinauswerfen. Beeilen Sie sich!“

Nur sehr verhalten spricht zwischen den Erinnerungszeilen die Nervosität Schrödters mit hindurch (TbSchr): 

Ich steige im jagenden Wirbel der Schneeflocken zur 10. Kompanie hinunter und gehe in den altbekannten Bunker. (...) Leutnant von Arnim (...) berichtet mir, daß die Sowjets bereits die Einbruchstelle bei der 11. Kompanie erweitert hätten und in seinen Kompanieabschnitt eingedrungen waren und einen Teil seines Grabens besetzt hatten. Leutnant X hat sie aber inzwischen mit seinem Pionierzug im Gegenstoß wieder hinausgefeuert. Ich drehe mich nach dem Leutnant um. Es ist der Leutnant mit der Hornbrille, mit dem ich aus Meseritz gekommen war. Er sitzt in einer Ecke auf dem Boden und zieht schweigend und lässig an seiner Zigarette.
Der Abschnitt der 10. Kompanie ist also feindfrei. Er reicht bis an den kleinen Hügel, in dem sich noch ein Bunker befindet. An dem Hügel macht der Graben einen fast rechtwinkligen Knick nach rückwärts, und von da ab sitzt der Iwan noch im Graben. Es ist dieselbe Stelle, an der damals der Stoßtrupp eingedrungen war und meinen Spieß erwischt hat. Unser derzeitiger Bataillonsabschnitt eignet sich auch besonders gut für solche Überfälle, denn die beiden Frontlinien kommen sich hier ganz besonders nahe. An manchen Stellen ist der russische Graben kaum mehr als dreißig Meter entfernt.
Also los! Ich folge dem Graben in Richtung auf den Hügel hin. Hinter mir stapfen die Männer durch den Schnee. Der Graben bietet keinen Schutz mehr, denn er ist völlig zugeweht. Aber das dichte Schneetreiben deckt uns vor Feindsicht. Immer wieder steigen wir über die frischen Leichen von Rotarmisten, die vor einer Stunde bei dem Gegenstoß des Pionierzuges gefallen sind. Es sind junge Kerle dabei. Die Pioniere haben ja ordentlich aufgeräumt!
Wir haben den Hügel erreicht. (...) Der zweite Zug setzt inzwischen zum Angriff an. Der Zugführer ist Ritterkreuzträger, ein Gruppenführer trägt das EK I. Es ist derselbe Unteroffizier, der damals im Christischtscher Wald das MG-Nest der Roten mit einer Wurfgranate aus der Leuchtpistole vernichtet hat.

Schrödter folgt dem angreifenden Zug in den nächsten Bunker (TbSchr):

Da liegt ein Verwundeter: Der Unteroffizier mit dem EK I. Er hat einen Durchschuß durch beide Oberschenkel. Ob er nun hier liegen bleiben soll, fragt er. Ich lasse ihn gleich von zwei Männern forttragen, aber die beiden fehlen mir nun auch. Ich arbeite mich durch den Sturm vorwärts. Der erste Bunker ist genommen. Beim zweiten kommen mir zwei Männer entgegen und schreien durch den Sturm: „Zwei Mann gefallen, durch Paktreffer!“ Dieser verdammte Schneesturm. Es ist wieder die alte Geschichte. Der Russe greift mit Rückenwind an, und wir haben den schneidenden Ostwind und den treibenden Schnee im Gesicht. Er bläst uns derart an, daß wir nur für Sekunden die Augen öffnen können. Der Russe aber sitzt in unseren Bunkern in Deckung und schießt uns einfach ab, sobald der Wind die wirbelnden Schneemassen wie einen Vorhang hebt und die Sicht für einen Augenblick freigibt.
Zwei Bunker haben wir schon. Aber der Pak-Treffer hat den Männern einen Schock versetzt. Es stockt etwas. (...) Wir sollen Bunker stürmen, die man nicht sieht! Aber der Iwan muß raus aus dem Graben. Wenn wir es bis zum Abend nicht geschafft haben, bringt er in der Nacht Verstärkung heran, und dann wird die ganze Stellung unhaltbar.
Ich dränge die Männer vorwärts. Mir fällt auf, daß es so wenige sind. Da erkenne ich einen fast verschneiten Bunkereingang. Wie von einer plötzlichen Eingebung getrieben, zwänge ich mich durch den engen Einstieg und lasse mich hinuntergleiten. Sieh da! Hier sitzen vier Landser und warten gleichmütig den Lauf der Dinge da oben ab. Ich brülle sie wütend an und jage sie hinaus. Vorwärts, angreifen! Nun geht es langsam vorwärts, ran an den dritten Bunker. Aber wo liegt er wohl? Der Graben ist längst zugeweht. Man kann nicht mehr erkennen, wo er einmal langlief. Ich versuche, mir den Stellungsplan und den Grabenverlauf ins Gedächtnis zu rufen. Hier muß etwa die Stelle sein, wo der Graben eine Biegung zum Feind hin macht. Aber zu sehen ist nichts. Wenn ich die Augen öffnen will, schlägt mir der Schnee hinein. Es ist schon mehr ein Kampf gegen den Schnee als gegen den Iwan. Wir stapfen weiter, stürzen, bleiben eine Weile liegen, um Kraft und Atem zu schöpfen. Die Männer zögern. Die gefallenen Kameraden sind nicht mehr zu sehen. Der Schnee hat sie schon begraben.
Die MGs geben keinen Schuß mehr von sich. Die Schlösser sind eingefroren. Die Muni-Schützen, die ihre Kästen einen Augenblick abstellen, finden sie nur mit Mühe wieder. Sie sind in den lockeren Schnee eingesunken und in kurzer Zeit zugeweht. Meine MPi ist völlig vereist. Diese Mistdinger taugen überhaupt nichts. Mein Tarnanzug ist durchgeweicht. Der Schnee ist in Stiefel und Ärmel gedrungen und hat sich in Wasser aufgelöst. Die Handschuhe sind klatschnaß, die Finger steif. Den Männern geht es ebenso. Sie sind kaum noch vorwärts zu kriegen.
Es fällt schon lange kein Schuß mehr. Kann uns der Iwan auch nicht mehr sehen? Oder hat er sich schon zurückgezogen? Oder gehen wir in der falschen Richtung vor? Und die Pak? Wo steht die verfluchte Pak? Der russische Graben ist hier höchstens hundert Meter entfernt.
Nach einiger Zeit finden wir den dritten Bunker doch noch. Er ist leer. Also hat sich Iwan anscheinend doch abgesetzt. Jetzt fehlt nur noch ein Bunker, wenn ich die Karte richtig im Kopf habe.
Nach einiger Zeit finden wir den dritten Bunker doch noch. Er ist leer. Also hat sich Iwan anscheinend doch abgesetzt. Jetzt fehlt nur noch ein Bunker, wenn ich die Karte richtig im Kopf habe.

Auch diesen Bunker finden sie schließlich. Und auch dieser Bunker ist leer. Zwei Tage später sollte es für Schrödter allerdings nicht mehr so glimpflich abgehen.

Aufrollen eines Grabens nördlich Kriwoi Rog, 21. Februar 1944

Am 21. Februar aber beginnt nämlich dasselbe Spiel aufs Neue (TbSchr):

An dem großen Strohschober in unserer zweiten Linie oben am Rand des Hanges kommen mir die ersten Männer des Zuges entgegen, die der Russe nun schon zum zweiten Mal aus dem Graben geworfen hat. Allen voran der Feldwebel, der den Zug „führt“. Ich befehle ihm, sich dem Gegenstoß anzuschließen. Seine Männer machen zögernd kehrt, aber der Feldwebel macht Einwände. Ich erkenne sofort, daß dieser schlappe Haufen völlig demoralisiert ist. Der Feldwebel ist ein Feigling. Darum hat auch der Zug versagt, weil sein Führer nichts taugt. So lasse ich sie denn lieber zurückgehen und steige mit meinen Männern allein den Hang hinunter.
Der zweite Gegenstoß beginnt. Meine Uhr zeigt 6 Uhr. Es ist schon hell. Der Himmel ist klar. Die Luft ist kalt. Die Sicht ist ausgezeichnet. Es ist die scheußlichste Angriffsposition, die man sich denken kann. Die Bolschewiken sitzen in den Bunkern und im Schutz des Grabens, während wir über eine völlig freie, verschneite Fläche angreifen müssen, die außer dem tiefen Schnee keinerlei Deckung bietet. Außerdem ist der Hang zum Gegner hin noch leicht geneigt, so daß er auch den letzten Mann deutlich auf der glatten, weißen Schneefläche sehen kann.
Da geht es auch schon los! Bruch-bruch-brach! Granatwerfer! Wir sind also erkannt. Kein Wunder, mit unserer grünbunten Tarnbekleidung heben wir uns bestens von der weißen Schneedecke ab. Schon beim ersten Einschlag lagen wir flach im Schnee. Jetzt ist eine kleine Pause entstanden. Sie korrigieren ihre Schießwerte. Ehe die nächste Salve kommt, müssen wir hier weg sein. Da ich vorn an der Spitze liege, drehe ich mich um und will den Männern einen Befehl zurufen. Da laufen doch wahrhaftig schon welche zurück! Ich donnere sie an, daß sie sich sofort hinwerfen und wieder zurück gekrochen kommen. Das sind die Kerle, die im Bruchteil einer Schrecksekunde eine Panik auslösen und alles mit zurück reißen. Rumm-wumm – eine neue Serie von Einschlägen. Zwischen den Einschlägen brülle ich: „Ran an den Graben, dann können uns die Werfer nicht fassen!“ Und dann: „Gruppenweise vorarbeiten! Sprung auf, marsch-marsch!“ Ich springe auf und laufe vorwärts. Ein paar beherzte Landser springen sofort mit. Gutes Beispiel wirkt besser als Erklärungen. Wir arbeiten uns sprungweise vor. Noch zweihundert Meter. Das Granatwerferfeuer hat aufgehört. Vom Graben her fallen nur vereinzelte Schüsse. Ich erkenne ihn auch noch gar nicht. Da das Vorarbeiten durch den tiefen Schnee sehr anstrengend ist, stehe ich einfach auf und gehe vorwärts. Es bleibt ruhig. Auch die Männer folgen mir nun aufrecht gehend. So nähern wir uns dem Graben, die Waffen schußbereit haltend.
„Vorsicht, Herr Leutnant, die Russen haben ein MG im Graben!“ Der Ruf kommt schräg von vorn. Da erkenne ich sie auch schon. Schräg links, fünfzig Meter entfernt, liegen drei deutsche Landser hinter einer kleinen, flachen Schneewehe. Drei Landser mit einem leichten Maschinengewehr (lMG). Sie haben bei dem überraschenden Angriff der Russen heute Nacht den Graben nach rückwärts verlassen, sind aber gleich wieder hinter dieser kleinen Schneewelle in Stellung gegangen und haben die Sowjets von hier aus in Schach gehalten. So liegen sie seit drei Stunden hier im Schnee, fünfzig Meter vor dem besetzten Graben, die Mündung ihres MG auf die Einbruchstelle gerichtet, und schießen auf alles, was sich im Graben bewegt.
Mit ein paar Sprüngen bin ich bei ihnen und werfe mich neben sie in den Schnee. Von hier kann ich das besetzte Grabenstück ziemlich gut übersehen. Ich erkenne auch das russische schwere Maschinengewehr. Es steht genau an der Stelle, an der ich auf den Graben gestoßen bin. Um das MG herum liegt ein Wall von Toten. Ich zähle zwölf Leichen. Das war die Arbeit der drei mutigen Männer! Dieses MG war die stärkste Waffe, die die Russen im Augenblick zur Verfügung hatten. Wenn sie es zum Einsatz bringen könnten, hätte ich einen verdammt schweren Stand. Deshalb versuchen die Iwans immer wieder unter Lebensgefahr, es in Stellung zu bringen. Aber sobald ein Rotarmist versuchte, an das MG heranzukommen, jagten die drei ihre Garben dazwischen. Es war ein erbitterter Kampf. Drei Männer legen eine zwanzigfache Übermacht lahm, weil sie Mut haben!
Mein Plan ist schon fertig. Zuerst muß das MG genommen werden. Ein paar kurze Befehle: „1. Zug greift den ersten Bunker rechts an! MG Möller schirmt gegen den zweiten Bunker rechts ab! Kompanietrupp zu mir, wir nehmen das MG! Fertig – Angreifen!“ Ich krieche mit meinem Kompanietrupp in einem kurzen Bogen seitlich auf das MG zu. Die drei Männer mit dem lMG geben mir Feuerschutz. Ratternde Feuerstöße klatschen zwischen tote und lebendige Russen an ihrem MG/08. Gewehrschüsse peitschen uns entgegen. Wir erwidern das Feuer, abwechselnd kriechend und schießend. Die Roten lassen von dem MG ab und ziehen sich in den Bunker zurück, von wo aus sie sich erbittert zur Wehr setzen. Ein Sprung – ich bin an dem russischen MG. Das erste Beutestück. Die Iwans haben nun ihre stärkste und gefährlichste Waffe verloren. Ein schwerverwundeter Iwan versucht, zu den russischen Stellungen zurück zu kriechen. Ich lasse ihn gewähren. Er kommt vor Schwäche kaum vorwärts und wird es sowieso nicht schaffen.
Ich krieche nun mit meinen Männern zwischen den erdbraunen Leichen hindurch auf den ersten Bunker zu. Mein 1. Zug ist ja schon im Begriff, ihn frontal anzugreifen, und ich kann ihn nun, da ich schon im Graben bin, auch noch von der Seite angreifen. Der Graben ist zwar zugeschneit, aber infolge des eingesackten Schnees markiert er sich als schmale, langgestreckte Rinne. Wir haben den Bunker jetzt in die Zange genommen, denn wir liegen fast im Halbkreis um ihn herum. Neben mir liegt mein treuer Melder, schräg vor mir zwei Mann mit einem lMG, hinter mir einige andere und der Sani. Flach in den Schnee gedrückt, die weitgeöffneten Augen aufmerksam auf den Bunker gerichtet, die Waffen schußbereit haltend, pirschen wir uns heran, näher und näher.
Die Roten haben kaum noch Bewegungsfreiheit. Sie sind auf den Bunker zusammengedrängt und auf das kleine Grabenstück daneben, das für den Posten schneefrei gehalten wird. Sobald ein Iwan den Kopf über den Grabenrand erhebt, peitschen ein paar Schüsse von uns herüber. Die Russen wehren sich und schleudern aus der Deckung Handgranaten gegen uns. Schießen können sie nicht mehr, denn ehe sie ihr Gewehr in Anschlag bringen können, prasseln ihnen unsere Kugeln um die Ohren.
Da ruft mich die MG-Bedienung an, die schräg rechts vor mir liegt. Ich blicke hinüber. Der Schütze 2 hebt seinen Arm. Er ist blutrot und hat eine seltsame Form. Knochen zerschossen. Der erste Verwundete. Ich schicke ihn durch eine Handbewegung nach hinten, und er kriecht zurück. Hinter mir liegt ja der Sani. Ich drehe mich um und sehe ihn schon. Er hebt seine Nase über eine Schneewehe und lugt wie ein Hase über die Deckung.
Der Schuß kam drüben von dem zweiten Bunker. Der ist ja auch voller Iwans, die ihren bedrängten Kameraden Feuerunterstützung geben. Ich warne daher durch Zuruf: „Achtung vor dem zweiten Bunker rechts!“ Gleichzeitig treibe ich zur Eile: „Ran an den ersten Bunker - Hurraaah!“ Wir springen geschlossen auf den Bunker zu. Die Russen antworten mit einer Serie von Handgranaten, die sie uns entgegenschleudern. Mit einem dumpfen, erstickten Ton explodieren sie in der tiefen Schneedecke. Wieder stürzt einer meiner Männer verwundet in den Schnee.
Die Salve hat uns wieder auf den Boden gezwungen. Immerhin sind wir jetzt auf dreißig Meter heran. Einbruchsentfernung.
Bevor ich zur letzten Phase, dem Einbruch in den Graben, fertig machen kann, zieht mein Melder neben mir noch eine Handgranate ab und wirft sie hinüber. Sie fliegt im Bogen auf den Graben zu und will in den Postenstand fallen. In demselben Augenblick aber hebt gerade ein Iwan plötzlich den Kopf, um schnell einen kurzen Blick über den Grabenrand zu werfen. Da knallt ihm die Handgranate genau auf den Stahlhelm, prallt ab und springt in kurzem Bogen weiter auf den hinteren Grabenrand , wo sie donnernd zerkracht. Der Iwan war blitzschnell verschwunden. Aber die Situation war von so origineller Komik, daß wir später darüber schallend gelacht haben.
Mein Melder ist nicht zu bremsen. Er zieht noch eine Handgranate ab, springt auf und wirft sie im Laufen zum Iwan hinüber. Ich rufe ihn zurück. Der ist imstande und springt allein in den Graben.
„Fertigmachen zum Einbruch!“ Alte Hasen wissen, was sie jetzt zu tun haben: Handgranate bereitlegen, auf Kommando gleichzeitig werfen und im Augenblick der Detonation bei „Sprung auf-marsch-marsch!“ die letzten zwanzig bis dreißig Meter im Laufschritt, aus allen Waffen schießend, auf den Graben bzw. die feindliche Stellung zustürmen. (Die Methode kann aber je nach Lage wechseln.) Ich hebe meine MPi, um nochmal auf den Bunker zu feuern. Da versagt sie. Beim Robben durch den tiefen Schnee ist sie in den Schnee geraten und streikt.
Immer das alte Lied mit unseren Waffen. Dem russischen Winter sind sie nicht gewachsen. Vor allem diese MPi taugt nichts. Im Sommer geht sie zu leicht los und im Winter bei großer Kälte versagt sie. Die russische MPi schießt bei jedem Wetter! Ähnlich ist es mit unserem MG 42. Eine hervorragende Waffe mit hoher Schussfolge und entsprechend vernichtender Wirkung – wenn sie schießt! Aber bei den eisigen Temperaturen tut sie das oft nicht!
Während mir dieser Gedanke blitzartig durch den Kopf geht, und ich meine Maschinenpistole vor Wut am liebsten weggeschmissen hätte, da heben sich plötzlich drüben im Graben zwei Hände. Sie ergeben sich! Wir stellen das Feuer ein, ich rufe die Russen an, und dann kommen sie heraus. 2 – 4 – 6 – 8 Mann. Ich hebe, auf dem Bauch liegend, vor Freude den Arm und rufe: „Hurra, wir haben gewonnen!“ Der vorderste Rotarmist kommt auf mich zu. Er beugt sich zu mir nieder, streckt mir beide Hände entgegen und sagt: „Sspassiba, pan, sspassiba!“ (ukrainisch: "Danke, Herr, danke!") Er ist glücklich, daß er am Leben bleibt. Nun wollen sie auch gleich nach hinten, von der Front weg, und fragen mich wiederholt: „Nasad, pan?“ ("Nach hinten, Herr?") Aber ich gebe dem Sani Befehl, sie zunächst in die Grube hinter dem abgeschossenen Tigerpanzer zu bringen und dort zu warten, bis wir auch die übrigen Bunker ausgeräumt haben. Er kann ja inzwischen die Verwundeten versorgen.
Nun ran an den zweiten Bunker! Wir robben uns an den Unterstand heran. Um ihn besser sehen zu können, erhebt sich einer meiner Männer und stellt sich aufrecht auf den Hügel des eben eroberten Bunkers. Ehe ich ihn anrufen kann, kracht ein Schuß, und der Soldat bricht lautlos zusammen. So ein Leichtsinn! Wie kann man sich da oben in voller Größe als Zielscheibe hinstellen, wenn der Gegner in sechzig Metern Entfernung auf der Lauer liegt und um sein Leben kämpft! Es ist ein Jammer, denn auch dieser Mann war einer der besten und anständigsten Soldaten meiner Kompanie. Und die werden sowieso immer seltener.
Der Sani ist schon neben mir. „Herr Leutnant, geben Sie mir Feuerschutz, ich hole ihn zurück!“ Ich will mich aber nicht in Einzelaktionen zersplittern, zumal der Mann wahrscheinlich tot ist. Deshalb sage ich: „Nein, wir müssen alle vorwärts, dann kommt er ohnehin hinter uns zu liegen. Dann können Sie sich um ihn kümmern!“
Ich feuere die Männer nochmals an: „Vorwärts, ran an den zweiten Bunker!“ Wir schieben uns durch den Schnee näher heran. Dabei müssen wir uns flach in den Schnee drücken, denn der Iwan schießt auf alles, was sich bewegt. Wieder ein Verwundeter! Wir müssen schneller voran. Am besten in einem Anlauf ran, aus allen Knopflöchern feuern und drauf! Ich schätze die Entfernung. Es ist nicht mehr weit. Also: „Auf-marsch-marsch!“ Mit ein paar schnellen Sätzen springe ich vorwärts. Da fühle ich plötzlich einen stechenden Schmerz im rechten Fuß, knicke um und sinke in den Schnee. Ich meine sogar, ich hätte es knacken gehört. Aber es war doch kein Schuß gefallen!? Der Fuß schmerzt. Ich will mich aufrichten, sinke aber wieder zurück. Fuß gebrochen oder verwundet? Ich weiß es nicht. Ist jetzt auch egal. Ich krieche nun auf allen Vieren auf den Bunker zu. Rechts fällt ein Mann, schwer getroffen. Das sieht man schon an der Art, wie er fällt und liegen bleibt. Man bekommt einen Blick dafür. Mein Fuß schmerzt rasend, aber der Kampf nimmt alle meine Sinne und Gedanken in Anspruch. Ich registriere nur im Unterbewußtsein, daß ich mich vor Schmerzen immer von einer Seite auf die andere wälze, während ich den Kampf leite. Jetzt kann ich vor Schmerzen auch nicht mehr weiterkriechen und bleibe liegen. Inzwischen sind wir so nahe an den Bunker herangekommen, daß wir ihn stürmen können. Ich kommandiere: „Handgranaten fertigmachen zum Einbruch!“ Aber die Handgranaten sind alle! So eine Schweinerei! Das hat mir noch gefehlt! Aber da kommt mir zum Glück blitzartig ein Gedanke. Ich verfalle auf eine List. Beim ersten Bunker hatten wir unser etappenweises Vorpreschen immer mit Hurra-Rufen begleitet, und die Russen hatten sofort mit einer Salve von Handgranaten geantwortet. Versuchen wir es hier einmal auf eine etwas andere Weise. Einmal muß ihr Vorrat ja erschöpft sein, und dann haben wir leichtes Spiel. Auf mein Kommando brüllen wir also alle „Hurra!“, bleiben aber ruhig am Boden liegen. Prompt antworten die Russen mit einer Serie von Würfen. Es sind dicke, übergroße Handgranaten dabei. Jedesmal, wenn wir jetzt brüllen, fliegt eine Kaskade von Handgranaten aus dem Unterstand auf uns zu, verpufft aber immer wirkungslos im Schnee. Die Sowjets wagen nicht mehr, den Kopf über die Deckung zu erheben, weil sie von unserem Gewehrfeuer niedergehalten werden. Sie werfen ihre Granaten auf gut Glück in unsere Richtung, ohne jemand zu treffen.
Dann gehen wir ran an den Bunker. Der erste Landser steht dicht davor, als noch einmal eine Handgranate auf ihn zu fliegt. Der Deutsche aber dreht, aufrecht stehend, nur den Oberkörper zur Seite, bis die Handgranate explodiert ist, und geht dann auf den Bunker los. Wir knallen noch ein paar Feuerstöße auf den Unterstand, die Iwans werfen noch einige Handgranaten, aber dann ist ihr Widerstand gebrochen. Mit erhobenen Händen kommen drei Iwans heraus. Natürlich sind das nicht alle. „Skolko ischtscho tam?“ (Wie viele sind noch da?), radebreche ich. Sie antworten, daß noch einige unten seien, die sich nicht herauswagten. Ich befehle einem Iwan, sie herauszurufen. Wir täten ihnen nichts. Der Russe wendet sich zum Bunker und ruft: „Sowjetski kamerati, iditje ssuda. Niemietski soldati nie streljajut!“ ("Sowjetische Kameraden, kommt her, die deutschen Soldaten schießen nicht!") Nach einigem Zögern kommen dann noch die letzten drei Iwans herausgekrochen.
Ich schicke sie ebenfalls zu dem Loch hinter dem Panzerwrack. Diese Grube sollte wohl mal ein Unterstand werden. Dort haben sich inzwischen vierzehn Gefangene gesammelt. Ich kommandiere einen Landser ab, der die Gefangenen zum Bataillon hinaufbringen soll. Während diese Gruppe langsam den Hang hinaufsteigt, wende ich mich dem nächsten Bunker zu.
Drei Bunker sind noch zu nehmen. Mein Fuß schmerzt jetzt nicht mehr so sehr. Wie ein Hund krieche ich auf allen vieren durch den Schnee. Meine MPi ist hoffnungslos vereist. Ich will nun den dritten und vierten Bunker gleichzeitig angreifen. Mit Hurra eröffnen wir den Sturm. Unsere Gewehrkugeln schlagen in die Deckung und in das Holz des Unterstandes. Russische Handgranaten explodieren mit dumpfem Knall. Wenn die Roten den Kopf zu heben wagen, prasseln ihnen unsere Kugeln um die Ohren. Da sie nichts mehr sehen, ist ihr Widerstand ziellos und schwach. Wir gehen einfach auf die Bunker los, und wenn die Iwans Handgranaten werfen, drehen sich die Landser einfach nur zur Seite, um die Splitter nicht in den Bauch zu kriegen. Einer meiner Männer wird aber doch noch verwundet. Dann muß sich auch diese Bunkerbesatzung ergeben. Wieder kommen sechs Russen mit erhobenen Händen heraus.
Im vierten Bunker rührt sich nichts. Ob sie uns täuschen wollen? Da meldet sich Grenadier Schlodder: „Herr Leutnant, den nehme ich allein!“ Er kriecht von der Seite her an den Bunker heran bis auf die Decke, zieht eine Handgranate ab und lässt sie in den Bunkerschornstein fallen. Dann springt er an den Eingang. Drinnen explodiert die Handgranate mit gedämpftem Krachen, und in demselben Augenblick stößt der Grenadier die Bunkertür auf und springt hinein. Der Bunker ist leer. Die Iwans waren unbemerkt geflüchtet.
Ich sage Schlodder ein paar Worte der Anerkennung. Er ist der Typ eines schnodderigen Berliners. Ein richtiger Rabauke, aber für solche Unternehmen genau der richtige Mann. „Herr Leutnant, Sie denken woll, ick bin Unteroffizier? Nee, nee, hier, ick bin einfacher Landser!“ Mit diesen Worten zieht er seine Wintertarnjacke von der Schulter und zeigt mir seine einfache Schulterklappe. Es soll wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, aber ich nehme mir vor, ihn zu einer Auszeichnung einzureichen.
Auch der fünfte Bunker ist leer. Schlodder wollte hier sein Bravourstück nicht wiederholen. Ist auch besser. Man soll das Schicksal nicht herausfordern. Außerdem ist es schade um die Bunkeröfen, die dabei natürlich kaputt gehen, und die wir ja noch brauchen.
Der Gegenstoß ist beendet. Ich krieche, immer noch auf allen vieren, zum Tigerwrack zurück, lasse mich in die Grube gleiten und sitze nun vor den Gefangenen. Auch meine Männer sammeln sich hier. Die Iwans hocken in ihren dicken, braunen Wintermänteln vor mir und sehen mich erwartungsvoll an. Nur einer fragt mich nochmals etwas unsicher: „Nasad, Pan?“ ("Zurück, Herr?") Als ich ihm bestätige: „ Da, da, tschaß nasad!“ ("Ja, ja, in einer Stunde!"), geht eine Welle der Erleichterung durch den Haufen. Sie werden munter, und die ersten schicken sich an, aus der Grube zu klettern. Aber ich rufe sie zurück. Ich will erst noch einiges von ihnen hören.
Es sind Strafnikis, Angehörige eines Strafbataillons. Sie hatten vorgestern auch schon hier angegriffen. Sie waren 120 Mann und hatten 40 Mann verloren. Heute früh mußten sie mit den restlichen 80 Mann den Angriff wiederholen. Auch dieser Angriff kostete sie wieder fast 20 Tote und 21 Gefangene. Und nun hocken sie hier und sind froh, daß sie das Leben haben. Aber so ganz geheuer ist es ihnen hier vorn nicht. Ich spüre, wie es sie „nach hinten“ zieht.
Ein Russe sitzt völlig apathisch auf dem Grubenrand. Sein Unterschenkel ist von einer Kugel zerschmettert und blutüberströmt. Er hat Durst und bittet mich um Wasser. Aber ich habe nichts zu trinken. Jetzt erkenne ich ihn. Es ist derselbe, der vorhin zurück zu kriechen versuchte. Er hat es als aussichtslos aufgegeben und ist zurückgekommen. Nun sitzt er still und zusammengesunken da. Einige Minuten sind vergangen, als der Schwerverwundete plötzlich laut aufjammert. Seine verkrampfte Hand beginnt, wie in einem epileptischen Anfall, schnelle Kreise vor seinem Gesicht zu beschreiben. Dabei stößt er auf- und abschwellende unartikulierte Laute aus. ... uahuähuähuahuahuaaahhoooo ... Delirium. Immer matter wird die Stimme. Dann sinkt der Oberkörper langsam nach hinten und fällt leblos zurück. Seine Kameraden blicken betroffen und erschüttert auf dieses Sterben. Wir konnten ihm nicht mehr helfen.
Ich schicke die letzten sechs Gefangenen mit dem Sanitäter und zwei Mann zurück. Unter den Gefangenen sind noch einige Schwerverwundete. Mit dem eben Verstorbenen habe ich also 21 Gefangene gemacht.
Ich lasse nun die eroberten Bunker wieder besetzen. Die Meldung über den erfolgreich beendeten Gegenstoß habe ich dem Sani mitgegeben: Feindverluste: 20 Tote, 21 Gefangene. Beute: 1 sMG, 25 Gewehre. Eigene Verluste: 2 Tote, 4 Verwundete.
Die beiden Gegenstöße haben mich 4 Tote und 8 Verwundete gekostet. Das ist trotz des Erfolges teuer bezahlt.

Ein "übliches" Kampfgeschehen wie es sich in diesen Jahren an allen Teilen der Ostfront abspielt. Während des Ausruhens vom Kampf stellt sich heraus, daß sich Schrödter während des Kampfes den Fuß gebrochen hat. Sein Fronteinsatz ist damit einmal erneut für mehrere Monate beendet. Mit Lazarettzügen wird er innerhalb mehrerer Wochen nach Deutschland zurück transportiert.

Im dritten und letzten Beitrag zur "Schlacht am Unteren Dnjepr 1943/44" sollen die Abschnürung und Räumung des Brückenkopfes Nikopol in den beiden Wochen zwischen 30. Januar und 16. Februar 1944 behandelt werden. 

_____________

  1. Mit der Kamera an der Ostfront. Ein Film von Karl Höffkes aus dem Jahr 2010. Ausschnitte aus Teil 2: Im Jahr 1943 (Yt) (Yt); v.a. Material Nr 1574 (AKH)
  2. Deutsche Wochenschau von Ende 1943 über den Rückzug in den Brückenkopf Nikopol (Yt)
  3. Deutsche Wochenschau aus dem Dezember 1943 oder Januar 1944 über die Verteidigung des Brückenkopfes Nikopol (Yt) (Yt)
  4. Tagebuch Obergefreiter Matthäus Lindner (Salzburg), 4. Gebirgsdivision, Dezember 1943 (TbLindner)
  5. Tagebuch Leutnant Herbert Schrödter (Berlin), 257. Infanteriedivision, Dezember 1943/Januar 1944 (TbSchrödter)
  6. Obermaier, Franz: Ukraine - Land der schwarzen Erde. Wiener Vlgs. Wien 1942
  7. Katya Koshevaya: Die Behörden von Krywyj Rih während der deutschen Besatzung. (kryvyi-rih-yes2022)
  8. Maria Lysohor: Wie es den Einwohnern von Krywyj Rih während der Kriegsjahre gelang, sich kulturell und pädagogisch zu bereichern (kryvyi-rih-yes2023)
  9. Wie Kriwoi Rog während der Besatzung aussah (1941-1944) (HistoryKR2023)
  10. Kriwoi Rog durch die Linse eines deutschen Soldaten (1941-1944) (Rudana2019)
  11. Tatsächlich wurde Kriwoi Rog vollständig von den Besatzern befreit (HistoryKR2022)
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