- Insbesondere zu den Goldapliken auf ihren Königsgewändern
Anfang der 1960er Jahre wurde in der antiken Stadt Chaltschajan (Wiki), 400 Kilometer südlich von Samarkand im heutigen Usbekistan (nahe der heutigen Stadt Denov), die Skulptur eines Saken gefunden (Abb. 1, 2). Sie fand sich in der Empfangshalle des Palastes der Stadt, vormals angebracht in 3 Meter Höhe. Heute ist sie im Archäologischen Museum in Termez in Usbekistan ausgestellt.
Abb. 1: Skulptur eines Saken aus der antiken Stadt Chaltschajan (Wiki), heute Usbekistan, 1. Jhdt. n. Ztr.
Bei ihrem Anblick kommt einem der Gedanke, daß sie - vom Gesichtsausdruck her gesehen - genauso gut auch mitten in Deutschland hätte geschaffen, bzw. gefunden worden sein können. Sie mag beispielsweise in entfernerer Weise erinnern an den berühmten Mainzer "Kopf mit der Binde", der im Dommuseum in Mainz ausgestellt ist und um 1240 n. Ztr. vom Naumburger Meister geschaffen wurde.
Abb. 2: Skulptur eines Saken aus der antiken Stadt Chaltschajan (Wiki), 1. Jhdt. n. Ztr.
Beide Kunstwerke wurden räumlich 5.500 Kilometer voneinander entfernt (G-Maps) und zeitlich tausend Jahre von einander entfernt geschaffen.
Räumlich mußt du quer durch Usbekistan reisen, durch Kasachstan, bis nach
Astrachan an der Wolga. Heute gehört es zu Rußland. Dann mußt du quer
durch die Ukraine reisen, über Kiew, Lublin, Breslau, Dresden und
Frankfurt, um schließlich nach Mainz zu gelangen, also vom Amudarja zum Rhein.
Für die Sarmaten des ersten Jahrhunderts n. Ztr. übrigens, die aus der Region südlich des Ural stammten, war das keine Entfernung, die zu überwinden für sie unüberwindlich gewesen wäre. Im Gegenteil: Sie waren in den nachchristlichen Jahrhunderten in beiden Regionen zu Hause, in China und in Asien ebenso wie am Rhein und im römisch regierten England.
Abb. 3: Der Mainzer "Kopf mit der Binde", geschaffen vom Naumburger Meister (Wiki), 1240 n. Ztr. (Rev)
Zeitlich freilich mußt du über die Christianisierung der germanischen Völker hinweg springen, mußt du den Untergang der skythischen Völker in Asien im Hunnensturm an deinem Auge vorbei ziehen lassen, sowie ihre weiteren Schicksale im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Turkvölker in Asien, um zu verstehen, daß ein solcher dargesteller Gesichtsausdruck heute nicht mehr der typische ist, den du in Usbekistan antreffen kannst.
Der Issyk-Kurgan
In den letzten Monaten sind zwei neue Studien erschienen über die serienmäßig hergestellten Goldapliken an den Königsgewändern der Altai-Skythen, die sich in ähnlicher Form auch im China der Jahrhunderte vor und nach der Zeitenwende finden lassen und auf die kulturellen Kontakte zwischen beiden Regionen verweisen (1, 2) (Abb. 4, 5).
Abb. 4: Der Skythen-König vom Issyk-Kurgan (Wiki) in Kasachstan, ein etwa 18-jähriger Prinz (4./3. Jhdt. v. Ztr.)
Ein solches Königsgewand fand sich etwa im Issyk-Kurgan des "Sonnenkönigs" der Saka-Skythen (Wiki) aus dem 4. oder 3. Jahrhundert v. Ztr., das sich 50 Kilometer östlich des heutigen Alma-Ata ("Almaty"), der Hauptstadt des heutigen Kasachstan befindet. Dieser Kurgan war umgeben von 45 weiteren königlichen Hügelgräbern. Das Gewand dieses Skythen ist heute fest in der Staats-Ikonographie Kasachstans verankert.
Dieses Grab befand sich im östlichen Skythien, unmittelbar nördlich der Sogdiana und deren Hauptstadt Samarkand.
Eine Inschrift auf einem Silberbecher, der diesem Grab beigegeben worden ist, scheint in der Saka-Sprache der Kushan (Wiki) verfaßt worden zu sein, einem Stamm der Saka-Skythen ("Yuezhi"), der - verdrängt von den Hunnen - zwischen 100 und 250 n. Ztr. Nordindien beherrschte.
Abb. 5: Ähnliche serienmäßig hergestellte Gold-Artefakte in der Steppe und in China (aus: 1)
Ein stolzes, indogermanisches Volk waren sie, die Saken, bzw. Altai-Skythen (Wiki). Nach und nach wollen wir uns hier auf dem Blog noch mehr mit ihrer Kultur und Geschichte beschäftigen. Vor eineinhalb Jahren hatten wir damit schon in einem ersten Artikel begonnen (3).
Eine ihrer Städte war die eingangs schon erwähnte antike Stadt Chaltschajan (Wiki), 400 Kilometer südlich von Samarkand, gelegen im heutigen Usbekistan nahe der heutigen Stadt Denov (G-Maps).
Sie lag am Fluß Surxondaryo, eines nördlichen Nebenflusses des Amudarya
(Oxus). Sie existierte im 1. Jhdt. n. Ztr. zur Zeit des Reiches von
Kushan. Sie befand sich in einer Region, die 329 v. Ztr. von Alexander
dem Großen erobert worden war, der die Prinzessin von Samarkand heiratete.
In der Stadt Chaltschajan mischten sich skythische,
griechische und indische kulturelle Elemente - es kam offenbar bald auch zu genetischer Vermischung der hier aufeinander treffenenden genetischen Herkunftsgruppen.
Abb. 6: Gewand einer Saken-Fürstin mit Gold-Aplikationen (Taksai, Kasachstan) (aus: 1)
Seid gegrüßt, ferne Verwandte am Amudarja, über zwei Jahrtausende von uns getrennt, über 6000 Kilometer von uns entfernt - und doch uns in vielen Grundzügen so nah. Ob uns euer Schicksal etwas zu sagen hat?
So wie Lennart Meri (1929-2006) (Wiki, engl), der estnische Filmemacher und frühere Staatspräsident der Republik Estland, in seinen bewegenden Filmdokumentationen der 1970er bis 1990er Jahre (4-9) der Verwandtschaft der Völker finno-ugrischer Sprache nachgespürt hat, so spüren wir hier auf dem Blog mit besonderem Schwerpunkt der Verwandtschaft der Völker indogermanischer Sprache nach. Dabei fühlen wir uns dem Geist Lennart Meri's eng verbunden. Er hat Pionierarbeit geleistet.
Für ihn war geistiges Schaffen jene Höhle der Freiheit, die noch blieb in der Ära, in der der Menschentyp des "Sowjetmenschen" vorzuherrschen begann. In den Fußstapfen von Lennart Meri wollen wir weiter gehen. Und auch über die wenig beachtete finno-ugrische Völkergruppe sollen hier auf dem Blog - in Ergänzung zu den bisherigen (10) - noch weitere Blogartikel erscheinen.
_________
Liu, Y., Tan, P., Yang, J., & Ma, J. (2022). Social agency and
prestige technology: serial production of gold appliqués in the early
Iron Age north-west China and the Eurasian steppes. World Archaeology, 1-21 (Academia)
Liu, Y., Li, R., Yang, J., Liu, R.,
Zhao, G., & Tan, P. (2021). China and the steppe: technological
study of precious metalwork from Xigoupan Tomb 2 (4th–3rd c. BCE) in the
Ordos region, Inner Mongolia. Heritage Science, 9(1), 1-16.
Lennart Meri: Völker im Zeichen des Wasservogels, 1970; Englisch "The people of the water bird": https://youtu.be/hYzYe3jAOyQ; Russisch (Yt), Original Estnisch "Veelinnurahvas" (Yt) [Encyclopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum, Teil 1]
Lennart Meri: Die Winde der Milchstraße, 1977; Englisch "The Winds of the milky weay", https://youtu.be/Vgc1Nu3oSVs; Original Estnisch "Linnutee tuuled" (Yt) ["Encycolopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 2]
Lennart Meri: Die Stimmen von Kaleva, 1986; Englisch "Sounds of Kaleva", (Ausschnitt: Yt, Yt); Russisch (Yt); Original Estnisch "Kaleva hääled", https://jupiter.err.ee/1073584/kaleva-haaled ["Encycolopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 3]
Lennart Meri: Die Söhne von Toorum, 1990; Englisch "The Sons of Toorum": https://youtu.be/iX7nHETRNow; Russisch: "Сыновья Тоорума" (Yt)
Original Estnisch "Toorumi pojad" ["Encycolopaedia Cinematographica
Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 4] [Über die Chanten, sowie ihren
Bärenkult]
Lennart Meri. Der Schamane, 1997, https://youtu.be/1LgY3vFpMxI , Russisch (Yt) ["Encycolopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 5] [aufgenommen 1977]
Jaak Lõhmus: Tänze auf der Milchstraße, 2011; Original Estnisch "Tantsud Linnuteele", https://youtu.be/9MSdTqN2mjw [(L Meri's Filmschaffen]
- Gibt es mesolithische Ursprünge des Weihnachtsfestes?
- So lebten die Mesolithiker - wohl - überall in Europa, also die ost- und die westeuropäischen Jäger und Sammler
- Im Land am Ob östlich des Ural
"Jugra" (Wiki) ist das Land der Chanten (Wiki) und der Mansen östlich des Ural am Fluß Ob und seinen Seitenflüssen, insbesondere des Irtytsch. Das Land deckt sich zum Teil mit dem heutigen "Autonomen Kreis der Chanten und Mansen/Jugra" (Wiki). Es wird traditionellerweise auch "Jugorien" (Wiki) genannt oder Englisch "Yugra" (Wiki)*).
Abb. 1: Eine Frau der Chanten (aus: "Die Söhne von Toorum", 1990) (aus: 2)
Laut Volkszählung haben sich sowohl die Chanten wie die Mansen des Autonomen Kreises der Chanten und Mansen innerhalb der letzten siebzig Jahre fast verdoppelt, von 12.000 Menschen auf 19.000, bzw. von 6.000 auf 11.000. Nur ein geringer Bruchteil von ihnen lebt in Städten.
In zwei Filmen hat sich der estnische Filmemacher Lennart Meri (1929-2006) (Wiki, engl),
der nachmalige Staatspräsident der Republik Estland, mit den Chanten
beschäftigt, einer ist 1970, der zweite, wichtigere 1990 erschienen (1, 2). Diese Filme wecken auch sonst Interesse für diese Völker. Beide ursprünglich hier beheimateten Völker, die Chanten wie die Mansen, sprechen eine ugrische Sprache und sind auch
genetisch mindestens zur Hälfte ugrisch-sibirischer Abstammung.
Nach den neuesten Erkenntnissen der Archäogenetik handelt es sich um Völker, die während der Bronzezeit hervorgegangen sind aus einer Vermischung von Menschen sibirischer Abstammung mit Menschen indogermanischer Abstammung (3). Und zwar habe diese stattgefunden innerhalb einer Region bis zu hundert Kilometer südlich des heutigen Jekaterinburg (Sverdloswsk), und zwar in der dortigen bronzezeitlichen, schnurkeramischen Cherkaskul-Kultur (Wiki), die in den Bereich der Andronowo-Kultur gehörte, und in der auf sie folgenden spätbronzezeitlichen, schnurkeramischen Mezhovskaya-Kultur (Wiki), die ebenso in den Bereich der Andronowo-Kultur gehörte (Abb. 2). Diese Region liegt - klimatisch gesehen - in der eurasischen Steppe (8, S. 4). Um von dieser Region in die heutige, tausend Kilometer weiter nördlich gelegenene, Wasser- und Sümpfe-reiche westsibirische Heimat der Chanten und Mansen zu gelangen, mußten diese
an den 400 Kilomter östlich gelegenen Fluß Tura gelangen (bei der heutigen Stadt Tjumen) (auch in der Steppe), um über diesen flußabwärts
an den Fluß Tobol zu gelangen, um über diesen flußabwärts die Steppe zu verlassen, um
an den Irtytsch zu gelangen und um über diesen wiederum flußabwärts
an den Fluß Ob zu gelangen.
Das sind - wie gesagt - ungefähr tausend Kilometer, also so weit wie einmal quer von Süden nach Norden durch Deutschland hindurch (G-Maps) (Abb. 2). Es scheint das alles noch heute sehr dünn besiedeltes Gebiet zu sein (wenige Städte).
Und man könnte sich auch vorstellen, daß die Chanten und Mansen in ihrer heutigen Heimat Menschen verdrängt haben, die noch ursprünglichere Ngananasanen- oder Nenzen-Herkunft und Kultur aufwiesen, und die heute nur noch weiter nördlich zu finden sind.
Abb. 2: Die Chanten und die Mansen in der Bronzezeit und danach - Über die Flüsse Tura, Tobel und Irtytsch bis zum Ob
Diese weite Entfernung muß auch nicht gar zu ungewöhnlich erscheinen, denn andere Nachfahren dieses Volkes, die Wolga-Tataren und Baschkiren, gelangten ja in den Jahrhunderten nach der Bronezeit tausend Kilometer weiter nach Westen an die Wolga (G-Maps) (Abb. 3) (und von dort ja noch weiter nach Westen bis nach Ungarn) (3).
Auf dem Wikipedia-Artikel über den Steppen-Oblast Tscheljabinsk im Süden des Ural ist über diese genannte bronzezeitliche Urheimat der Chanten und Mansen zu lesen (Wiki):
Es finden sich zahlreiche Siedlungen der Frühen Bronzezeit in dem Gebiet, die der Andronowo-Kultur zugeordnet werden. Darunter die Siedlungen Arkaim und Sintaschta aus den 2. Jahrtausend v. Chr.. Bislang wurden 22 Siedlungsorte entdeckt.
Es wird davon ausgegangen, daß Sarmaten in dieser Zeit (nach der Bronzezeit) die Region besiedelten.
Die Region wurde ursprünglich (im Mittelalter) von den Baschkiren besiedelt. Diese lebten jahrhundertelang unter mongolischer Herrschaft. Nominell gehörte das Gebiet aber seit dem 16. Jahrhundert zum Zarentum Rußland.
Die Nennung der Sintashta-Kultur macht darauf aufmerksam, daß man davon wird ausgehen dürfen, daß hier im Süden des Ural auch das Ausgangsgebiet der Südwanderung der sogenannten "Arier" bis nach Nordindien lag, bzw. noch weiter nach Osten bis in die Mongolei.
Über die Bronzezeit und über das Mittelalter hinweg haben sich die Chanten und Mansen jedoch - im auffälligen Gegensatz zu der vielfältigen Geschichte, die sich im Süden von ihnen abspielte - ihre mesolithische Lebensweise als Fischer und
Jäger des Waldes in Westsibirien erhalten. Und so leben sie zum Teil noch bis heute.
Teile dieses Volkes haben schon in der Bronzezeit auch Rinder gehalten und die Lebensweise von Bauern oder Pferdezüchtern angenommen, sie haben sich - am Oberlauf des Irtytsch und anderwärts - mit Sarmaten, Hunnen, Mongolen und Awaren vermischt, woraus dann die Wolga-Tataren, Baschkiren und die Vorfahren der frühmittelalterlichen Ungarn entstanden sind, welche sich dann - als diese Ungarn - bis nach Ungarn ausgebreitet haben, wo sich ihre Sprache bis heute erhalten hat (3).
Das, was wir hier ausführen, sind sicher nur bruchstückhafte Ausschnitte aus einer vermutlich sehr viel reicheren Geschichte dieses Volkes, zu der noch einmal wesentlich dichter Fakten zusammenzutragen wären.
Abb. 3: Die Baschkiren und Wolga-Tataren breiten sich von der Urheimat der Chanten und Mansen (südlich des Ural und südlich von Jekaterinenburg) nach Westen bis zur Wolga (bei Kasan) aus
Die Bezeichnung "Ugor" für die Länder östlich des Ural am Mittellauf des Flusses Ob (und seinem Zusammenfluß mit dem Irtytsch) stammt aus dem den Chanten westlich benachbarten Volk der Komi. Sie ist - vermutlich - zugleich die Wurzel für die Bezeichnung "Ugrier", die für die gesamte ugrische Sprach- und Völkergruppe benutzt wird.
Jugorien/Jugra am Mittellauf des Ob wurde im Mittelalter auch mehrere Jahrhunderte lang von Handelsleuten aus der nordrussischen Handelsstadt Nowgorod am Wolchowsee besucht und war dieser Stadt auch tributpflichtig, allerdings im Wechsel mit der Goldenen Horde der Mongolen, denen sie ebenfalls Kriegsdienste leisteten (Wiki) (auch noch 1582 gegen die Kosaken unter Jermak).
Die Chanten und Mansen haben unter Befehl ihrer Prinzen und Herzöge Krieg geführt. Sie waren als solche zeitweise Vasallen der Mongolen, zeitweise Vasallen der Handelsstadt Nowgorod am Wolochowsee.
Die Chanten und Mansen verteidigen ihre überlieferte, heidnische Religion
Nach russischen Quellen seit dem 14. Jahrhundert ist in Jugra/Jugorien das Idol einer "Goldenen Frau" (Wiki) verehrt worden in einem Schrein gemeinsam mit dem Idol einer kupfernen Gans, dem Gott der Wasservögel. Der Schrein habe sich bei dem Dorf Belogorje befunden in der zentralen Belogorje-Region, also am Ob in der Nähe des Zusammenflusses mit dem Irtytsch, vielleicht in der Nähe der heutigen Provinzhauptstadt Khanty-Mansiysk.
Der Thron der Göttin, der in einem Schrein aufgestellt war, sei gebaut gewesen wie ein Nest und mit unterschiedlichen Walkstoffen ausgeschmückt gewesen, mit Leintüchern und Fellen. Menschen aus entlegenen Regionen wären hierher kommen, um vor dem Thron der Göttin Rinder und Pferde zu opfern. Die Gottheit würde den Reichtum der Wasservögel behüten (Wiki).
In der Ortschaft Samarovo am Zusammenfluß von Ob und Irtytsch sei auch der Gott des Flusses Ob verehrt worden, der zugleich als der Gott der Fische (Wiki) galt. Er sei - aus christlicher Sicht - "unverschämt" dargestellt gewesen, nämlich als ein Holzbrett mit einer Nase aus metallenem Rohr, mit Augen aus Glas, mit kleinen Hörnern auf dem Kopf, mit Stoffteilen behängt, bekleidet mit einem purpurnen Mantel über einer vergoldeten Brust. Waffen - Bogen, Pfeile, Speere, Rüstung - wären neben ihm gelegen.
Über die Waffen wäre gesagt worden, daß der Gott des Flusses Ob oft im Wasser zu kämpfen habe, um andere Vasallen zu unterwerfen. (Was er wohl über die Ölpest von heute sagt, mit der er seit Jahrzehnten konfrontiert wird - siehe unten?)
Die goldenen Frau findet sich dargestellt auch auf mehreren europäischen
Karten des 16. Jahrhunderts. Als die Kosaken unter Jermak Jugra/Jugorien und damit den Westteil Sibiriens 1582 eroberten (festgehalten in einem berühmten, dramatischen russischen Gemälde aus der Zeit um 1900), verteidigten die Ob-Ugrier diese ihre
heiligsten Gottheiten.
Es wird berichtet, daß die Götterstatue des Flusses Ob nach Konda (also
Richtung Westen) gerettet worden sei, daß aber die
- - - "Götzenverehrung" auch dort dann irgendwann ausgerottet worden sei von christlichen Pfaffen. 1714/15 kamen die christlichen Missionare nämlich zu den Mansi in Konda. Ein Dorfältester und Pfleger eines Heiligtums - ein Mann namens Nahratch Yeplayev - sagte zu ihnen laut ihrer Berichte (Wiki):
"Wir wissen alle, warum ihr hergekommen seid. Ihr wollt uns mit eurer sanftzüngigen Schmeichelei von unserem alten Glauben abbringen. Und ihr wollt unseren verehrten Helfer schädigen und zerstören. Aber es ist alles vergeblich, denn: Schlagt ruhig unsere Köpfe ab. Wir werden euch das nicht erlauben."
Doch schließlich einigte man sich auf einen Kompromiß, den der Dorfälteste dann folgendermaßen zusammen faßte (Wiki):
"Wir werden die Vorschriften und Ukase des Herrschers befolgen. Eure Lehren werden wir deshalb nicht verwerfen. Wir bitten euch nur, die Gottheit, die unsere Väter und Großväter verehrt haben, nicht abzuweisen. Und wenn ihr uns taufen wollt, dann ehrt unsere Gottheit ebenso, tauft sie in einer ehrenvolleren Weise - mit einem goldenen Kreuz. Dann werden wir eine Kirche bauen und schmücken mit all den Bildwerken, die dazu gehören und wir werden die unseren dazwischen setzen."
Eine großzügige, schöne, tolerante Haltung, allerdings auch nur eingenommen unter äußerem politischen und militärischem Druck. Natürlich konnte sich diese Haltung auf Dauer nich halten. Natürlich. Die Mansen hatten es schließlich mit - - - "Christen" zu tun, mit: "Christen". Noch heute erleben sie die Abwertung der Natur und ihres Flußgottes durch dieses "Christen" in ihrem Land wie sie sich in den katastrophalen Begleiterscheinungen der Ölförderung kundtut (siehe unten).
Die heidnischen Gottheiten sind von christlichen Eiferern später verbrannt worden. Viele heilige Bildnisse und Gegenstände sind von den Mansen aber auch versteckt worden. Und ihre Verstecke sind über Generationen hinweg geheim gehalten worden. Diese Geheimhaltung gelang selbst noch während eines Aufstandes der Mansen und seiner Niederschlagung in den 1930er Jahren unter Stalin. Wobei es zu vielen Toten und Erschießungen kam. Einige dieser heiligen Gegenstände existieren noch heute (Wiki).
Noch im 20. Jahrhundert lebten die Chanten so wie
die Menschen im Mesolithikum und bis zur Einführung des Ackerbaus
überall in Europa gelebt haben: als Fischer und als Jäger. Lennart Meri hat sich erstmals mit den Chanten
beschäftigt in seinem Film "Völker im Zeichen des
Wasservogels" (1). Dieser Film gab einen ersten Überblick über die vielen, damals noch existierenden Völker der finno-ugrischen Sprachgemeinschaft.
Ab Minute 9 dieses Filmes wurden von Meri die Chanten
behandelt. Diese leben in Wäldern östlich des Ural und bis hinüber zum Jenissei und
noch weiter (1). Es werden Fischer an abgelegenen Flüssen dargestellt. Es werden ihre
ursprünglichen Fischfangtechniken dargestellt, insbesondere ihre selbstgebauten Reusen. Es wird darauf
hingewiesen, daß es Elemente
in ihrem Kulturleben gibt, die es sonst in Sibirien nicht gibt, und die auf
südliche Einflüsse aus der Steppe zurückzuführen sind.
Daß sich die Vorfahren der Chanten schon in der Bronzezeit mit indogermanischen Schnurkeramikern vermischt haben, sieht man
den
Menschen in der Filmdokumentation auch an. Sie sehen zum Teil
europäischer aus als die Nenzen und Ngananasanen im Norden (in der Tundra an der
Küste des Eismeeres). Es werden in dem Film auch Tanz und
Gesänge rund um die Totenwache bei einem erlegten Bären gezeigt, die in diesem Volk bedeutsam sind.
Die Verehrung des Bären erinnert an die oben geschilderte Verehrung der Wasservögel und der Fische. Die Verehrung des Bären mutet auf den ersten Blick sehr urtümlich - und auch fremdartig - an. Das alles läßt sich - bei der Kürze der Behandlung in diesem Film - noch nicht sehr gut verstehen und einordnen.
Die Totenwache im Haus des Bären
Erst
in seinem zweiten Film zu den Chanten, "Die Söhne von Toorum - Eine Totenwache der Chanten beim
erlegten Bären", aus dem Jahr 1990 (2) bekommt man einen eingehenden und
umfassenderen Blick in die Art dieser Menschen, in ihr Alltagsleben und in ihr religiöses Leben und Erleben. Dieser Film ist deshalb auch so aufwühlend und erlaubt so viele
Rückschlüsse auf die mesolithische Vergangenheit Europas überhaupt. Man erhält - womöglich - einen Blick in das Leben
ursprünglicher, mesolithischer Völker Nordeuropas und Nordasiens, wie man
ihn so - und authentischer - sonst wohl nur noch selten erhalten kann (2) (1'30):
"Sogar
heute noch sind sie Jäger und Fischer des Waldes. Sie fertigen
alles aus Holz, einschließlich ihrer Öfen, um nichts zu sagen von
Grabstätten für Bären, Opferstangen und schönen Schlitten. Die Chanten
haben zwei Heimstätten. Im Frühling, nach der Jagd-Saison, ziehen sie
von den Winterhütten zum Flußufer. Dort hat jede Familie ihre eigenen
Fischplätze und Fischhütten, Sommerhütten und Sandstrände. Die Flüsse
sind Nahrungsquelle und gleichzeitig die Verkehrsader."
Die
hier gezeigten Chanten leben östlich des Ural am Mittellauf des Ob und
des Agan, eines
Zuflusses des Ob. Hier leben - laut Filmsprecher - 20.000 Menschen auf
einem Gebiet von der
Größe Westeuropas. 200 Menschen leben auf einem Gebiet von der Größe Belgiens.
Sie haben die älteste Jäger-Sammler-Kultur in Eurasien bewahrt, so der Filmtext.
Das Leben in der Familie und in Einehe scheint schon in solchen Kulturen in Europa eine große Rolle gespielt zu haben. Es gibt in der Evolutionären Anthropologie gegenwärtig eine populäre Forschungsmeinung, nach der die Monogamie erst mit der christlichen Kirche in europäischen Völkern durchgesetzt worden wäre. Die Chanten und Mansen wären da sicherlich eines von vielen Gegenargumenten (die Berichte des Tacitus über die Germanen wären ein anderes).
In der kleinen Gemeinschaft ist die Welt der Männer und der Frauen scheinbar immer ein wenig getrennt. Die verheirateten Frauen verbergen sogar - im Film von Anfang an - ihre Gesichter vor anderen verheirateten Männern der Gemeinschaft, offenbar um sie nicht in Versuchung zu führen (so der Sprecher des Filmes). Natürlich kann das alles auch beeinflußt sein von christlichen Missionaren. Das müßte man noch gründlicher untersuchen, um hier zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Während der ernsten und lustigen Darbietungen während der Totenwache beim erlegten Bären gibt es auch harmlose und zugleich derbere erotische Anspielungen.
Aber welche Rolle spielt der erlegte Bär? Er wird wie ein Verwandter besucht und behandelt. Sehr ehrenvoll. Er erhält ein eigenes Haus, eine eigene Schlafstätte, eigene Bekleidung, Essen. Alle
küssen den von den Jägern erlegten toten Bären, als er ins Dorf gebracht
wird. Eine alte Frau sagt dabei:
"Komm mir nicht zu nahe, erschrecke mich
nicht, wenn ich im Frühling oder im Herbst Beeren im Wald sammele, wenn
ich Vogelbeeren sammle oder wenn ich Preiselbeeren sammle."
Der erlegte Bär ist also für die Menschen die Verkörperung aller Bären, die im Wald leben. Und diese Worte machen deutlich,
daß der Bär Jahrtausende lang eine reale Bedrohung darstellte für die Menschen, die in den riesigen europäischen Urwäldern lebten. Der Wald war ja zu jener Zeit noch nicht gerodet und die Menschen lebten vornehmlich an den Ufern von Gewässern.
Die Landschaft, in der die Chanten leben, gleich sogar auffallend der Landschaft, in der die Menschen heute zum Beispiel in Brandenburg leben: Kiefernwälder und Gewässer.
Die zitierten Worte der Frau machen auch geradezu die "Notwendigkeit" deutlich, daß
die Menschen mit dem Fell und mit dem Kopf des erlegten Bären tagelang Umgang
pflegen, ihn als Sohn ihres Gottes Toorum verehren, dessen Söhne auch sie selbst sind, ihn also als "Bruder" verehren und sich viele Geschichten erzählen darüber, wie er hier auf Erden gekommen ist und was er hier alles erlebt hat, gemeinsam mit seinen "Brüdern", den Menschen, die vom selben Gott abstammen.
Sie beziehen ihn als ihren Bruder in ihr alltägliches Leben ein, sie kleiden ihn, legen ihn schlafen,
geben ihm zu essen. In seiner Gegenwart "singen und sagen" sie all die Geschichten und Sagen, die ihnen - vielleicht schon seit Jahrtausenden - wichtig und heilig sind. Wenn man dieses tagelange Feiern gemeinsam mit dem Schädel und dem Fell des erlegten Bären gesehen hat, versteht man besser, daß wilde Tiere überhaupt eine so
große Rolle spielen im Übergang vom Mesolithikum zum Neolithikum. Etwa auch wilde Stiere, die im Frühneolithikum der Türkei verehrt wurden. Sie
stellen eine reale Bedrohung dar. Aber der Mensch macht sich auch viele Gedanken über ihr Leben, er vermenschlicht sie, er unterstellt ihnen "Schicksale", er bezieht sie in seine religiösen Praktiken und in seine Feiern mit ein. Er nimmt sie mit in seine Häuser. (Das alles ist sehr gut sichbar auch in den Tierdarstellungen auf dem Göbekli Tepe.)
Während der Feierlichkeiten rund um den erlegten Bären wird erstaunlicherweise auch ein "Gesangs-Stab" geschnitzt (2) (46'30). Auf ihm wird mit Zeichen symbolisch eingetragen, was während der Feierlichkeiten geschah. Als das Filmteam schon einmal einige Jahre zuvor bei den Chanten weilte, wurde auch dieser Umstand auf dem damaligen Gesangsstab festgehalten. Diese Gesangsstäbe stellen damit eine Art "Chronik" der Chanten-Gemeinschaft dar, eine Vorstufe der Schrift.
Beim Ansehen und Erleben all dieser Feierleichkeiten rund um einen erlegten Bären, neben dem im Haus unter anderem das kleine Pflänzchen einer sibirischen Kiefer gestellt wird, das mit einem Glöckchen behängt wird, könnte man auch auf den Gedanken kommen, daß in solchen Traditionen - letztlich - auch die Wurzeln des nordeuropäischen Weihnachtsfestes beruhen könnten. So auch der Filmtext (2) (19'30):
"Die sibirische Kiefer, ein entfernter Vorläufer des christlichen Weihnachtsbaumes der baltischen Finnen, ist die lebendige Verbindung zwischen dem Haus des Bären und ihrem Gott."
Wenn man die Feierlichkeiten rund um den erlegten Bären erlebt, könnte man annehmen, daß es vormals ähnliche Feierlichkeiten auch gab rund um gefangene Fische (siehe oben der genannte Fisch- und Flußgott) oder um erlegte Wasservögel (siehe oben die "kupferne Gans"), gegebenenfalls ebenfalls in ihnen gewidmeten Häusern oder Schreinen. Menschenfunde westeuropäischer Jäger und Sammler aus dem Mesolithikum hat man übrigens ebenfalls oft in Zusammenhang mit der Niederlegung von Bärenschädeln gefunden (Stgen2020), was aufzeigt, daß diese Verehrung des Bären etwas für Europa (und Asien) Uraltes ist.
Chanten - Fast 100 % sibirische Genetik
Die Chanten (Wiki) wurden früher - so auch auf den Fotografien von der Sibirien-Reise des Arktis-Forschers Fritjof Nansen (1861-1930) (Wiki, engl) im Jahr 1913 - "Ostjaken" genannt (Wiki):
Um
500 n. Chr. wanderten sie als pferdezüchtende Nomaden vom Oberlauf des
Irtysch nach Norden, bis an den unteren Ob. Sie paßten sich dabei den
lokalen Umweltbedingungen an und übernahmen die Rentierhaltung von den
uralischen Völkern. Die ursprüngliche Pferdezucht lebt nur noch in den
Mythen. Andererseits verbreiteten sie zentral- und südasiatische
Kulturelemente nach Norden. Man nimmt an, daß sich Chanten und Mansen
erst im 13. Jahrhundert getrennt haben, wobei die beiden frühen
Phratrien (Clan-Verbände) darauf hindeuten, daß die frühen
Neuankömmlinge ältere sibirische Völker assimilierten.
Der Weg vom Oberlauf des Irtysch - etwa bei der Stadt Saissan (Wiki) und in der Gegend des Saissansees - bis hinab zu seiner Mündung in den Ob bei der heutigen Stadt Chanty-Mansijsk (Wiki) beträgt 2.300 Kilometer. Er führt über die Stadt Omsk (G-Maps).
500 n. Ztr., in der Zeit der beginnenden Awaren-Herrschaft, die nach
ihrer Niederlage 552 n. Ztr. gegen die Türk gen Westen zogen, wichen
die Chanten und Mansen entlang dieses langen Flußlaufes nach Norden aus
und nahmen im Norden die Lebensweise der Rentier-Hirten, der Fischer und
Jäger an. Da sich bäuerliche Traditionen bei ihnen gar nicht finden, könnte man annehmen, daß sie auch als Pferdezüchter eher eine halbnomadische Lebensweise beibehalten hatten.
Abb. 4: Chanten ("Ostjaken") am Jennisei, aufgenommen von Fritjof Nansen 1913 (Wiki) (4)
Die Chanten lebten zur Zeit von Fritjof
Nansen's Sibirien-Reise im Jahr 1913 auf Hausbooten auf dem Jennisei - so wie auch die dortigen Keten. Insofern können die Chanten
den Weg vom Irtytsch zum Ob ebenfalls auf Booten zurück gelegt haben. Über die Chanten ("Ostjaken") auf dem Unteren Jenissei schreibt Nansen (4):
Der
Eindruck, den der erste Jenissei-Ostjake auf mich gemacht hat, blieb
auch hier zum Teil bestehen: einige erinnerten mich an Zigeuner. Mehrere
Gesichter von Männern und Weibern hätten recht gut Zigeunern angehören
können; meist aber sahen sie etwas weniger europäisch aus. Überdies
schienen mehrere mit russischem Blut gekreuzt zu sein. Am auffallendsten
trat das bei einigen Männern hervor, die ganz braunes Haar hatten, zwei
oder drei sogar auch einen blonden oder doch jedenfalls braunen Bart.
Man kann freilich nicht genau wissen, ob dies an einer Kreuzung mit
Russen liegt oder ursprünglich ist. Sollte dieses Volk anfänglich blond
gewesen sein, so müßte man eher glauben, daß die vielen Dunkelköpfe
unter ihnen der Vermischung mit anderen Eingeborenenstämmen, vielleicht
hauptsächlich mit Tungusen und Samojeden, zu verdanken seien; aber das
ist unsicher. Jedenfalls war die Zahl der Dunklen überwiegend. Der
Bartwuchs war bei einigen etwas kräftiger, als man bei einem asiatischen
Volk hätte erwarten sollen. Die Frauen hatten durchgehends ein
asiatischeres Aussehen als die Männer, von ihnen schienen mehrere
typische Kurzschädel zu sein, aber schrägliegende Augen hatten sie
nicht.
Auch hier glaubte ich, mehrere Gesichtstypen
unterscheiden zu können, besonders unter den Männern. Während einige
Gesichter kurz und breit waren und eine verhältnismäßig platte, nach
unten breite Nase hatten, gab es noch einen höheren, schmalern Typus,
der dem eines Europäers glich. Wenn die Augenbrauen sich manchmal ein
wenig nach außen in die Höhe zogen, sahen die Augen wohl etwas
schräggestellt aus. Welcher von beiden Typen der echte und ursprüngliche
der Jenissei-Ostjaken sein dürfte, ist schwer zu sagen.
Es wird hier gut erkennbar, aus welchen Erkenntnisinteressen die sogenannte "Rasseforschung" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts heraus entstand. Die Fragen, die Fritjof Nansen umsonnen hat, werden erst jetzt - durch die Archäogenetik - einigermaßen abschließend geklärt. Und wir wissen heute, daß das mehr europäische Aussehen vieler Chanten und Mansen zurückgeht auf die Vermischung ihrer Vorfahren mit Schnurkeramikern der Andronowo-Kultur während der Bronzezeit (3).
Die Mansen
Die Trennung der Welt der Männer und der Frauen ist sehr ausgeprägt bei den sibirischen Völkern, offenbar auch die Unterordnung der Frauen unter die Männer. So führt es auch Fritjof Nansen aus. Aber auch er weist darauf hin, daß vieles daraufhin deutet, daß die Dinge dann doch komplexer sind als es auf den ersten Blick erscheint, daß die Frauen also in unterschiedlichen Situationen durchaus sehr selbstbewußt ihre Position innehaben und geachtet werden.
Abb. 5: Eine Frau der Mansen (aus dem Lennart Meri-Film "Die Winde der Milchstraße") (5)
Ab
22'00 werden die Mansen im Nordural behandelt (5):
"Wir haben uns vor 5000
Jahren getrennt. Wir sind die nächsten Verwandten der Chanten und
Ungarn. Wir waren jene, die das Metall im nördlichen Sibirien eingeführt
haben. Ebenso die schönsten Boote."
Die Erdöl-Katastrophe in Westsibirien
In
dem Lennart Meri-Film von 1990 wird auch auf die Umweltzerstörung aufmerksam gemacht, die
durch die Erdölförderung im Gebiet der Chanten verursacht worden ist.
Ganze Flüsse waren Jahre lang mit einer Ölschicht bedeckt, Wälder wurden
gerodet oder niedergebrannt. Um zu jagen, mußten die Jäger in weit
entfernte Gebiete ziehen und ihre Familien mitnehmen. Ein Chante erzählt (2):
"Ich
bin nicht faul wie der Chef der Erdölförderung sagt. Es gab Fische im
Mai - aber nicht im Juni. Die Fische werden verkauft. Im Juni und Juli
verdiene ich nur 30 Rubel. In der Vergangenheit gab es im Heiligen See
immer Fisch. Aber der See wurde "auf den Kopf gestellt" und es gibt
keine
Fische mehr. 6 Tonnen Fische waren früher normal, heute sind 700 Pfund
ein guter Fang. Fische gibt es nur noch in weit entfernten Seen. Wir
wissen nicht, was wir tun sollen. Die Russen haben uns all unser Land
genommen. Wir können nicht mehr jagen. Was wir in unseren
Vorrats-Stelzhäusern
zurücklassen, wird gestohlen. Man muß seinen ganzen
Besitz mit sich nehmen. Früher sind wir mit 70 Jahren gestorben, heute
sterben
wir mit 14, 20 oder 30 an Leberschaden. Die Chanten beginnen, Selbstmord
zu begehen. So etwas gab es in der Vergangenheit nicht bei uns."
Auch
die Waldbrandgefahr ist in diesen Wäldern sehr hoch. Während die
Chanten es deshalb gewohnt sind, sehr sorgsam mit Feuer umzugehen,
scheinen die Russen damit zeitweise sehr sorglos umgegangen zu sein.
Der Autonome
Kreis der Chanten und Mansen/Jugra ist der größte Erdölproduzent Rußlands. 60 % des in Rußland geförderten Erdöls stammt von hier (6). Es soll hier ebenso
umfangreiche Erdöl-Vorräte geben wie in Saudi-Arabien! Die hier
zugewanderten Russen und Menschen vieler anderer Völker können deshalb
gutes Geld in Westsibirien verdienen. Auch fast 7.000 Deutsche lebten 2010 in
diesem Autonomen Kreis.
Aber es gibt auf dem deutschen Wikipedia auch - dankenswerter Weise - einen eigenen Artikel zur "Erdölkatastrophe in Westsibirien". Dieser macht erst bewußt, mit was für einer Katastrophe man es hier zu tun hat (Wiki):
Allein
über den Ob fließen jährlich mehr als 125.000 Tonnen Rohöl in das
Nordpolarmeer. (...) Durch die laufende Kontamination mit Erdöl waren
1989 bereits 28 größere Flüsse und 100 kleinere Gewässer biologisch tot
und der Fischfang auf dem Fluß Ob mußte eingestellt werden.
Dieser Beitrag kann nur einen ersten Einblick geben in das Leben dieser westsibirischen Völker. Über die Filme von Lennart Meri kann man sich einen Überblick verschaffen über das reiche kulturelle Leben und Erbe der finno-ugrischen Sprachfamilie. Dazu sollen noch weitere Beiträge hier auf dem Blog erscheinen.
Ergänzung 10.3.22: In der russischen völkerkundlichen Forschung wurde 2015 vor dem baldigen Aussterben der Lebensweise der Chanten und Mansen gewarnt. Es wird über die Religion dieser Völker ausgeführt (7):
... Eine Familie hatte ein Totem-Tier, etwa eine Gans, einen Bieber, einen Elch, einen Adler usw., von dem angenommen wurde, daß von ihm der Clan abstammte. ... Der Braunbär nahm eine besondere Position unter den Tieren ein, er war der "Herr des Waldes" und die Verkörperung der Gerechtigkeit auf Erden. Der Bär wurde als der jüngste Sohn des höchsten Gottheit Num Torum angesehen.
The tribal religion of the Khanty and Mansi resembled that of all the native peoples of northern Eurasia (Forsyth, 1994). They had a pantheon of nature Gods. Num Torem (Mikola Torum) was the chief God. All natural phenomena were alive for them. They believed that stones, rivers, plants, lightning, animals etc. had spirits and souls (Forsyth, 1994; Kulemzin & Lukina, 1992). The family had a totem animal, such as a goose, a beaver, an elk, an eagle, etc., from which the clan was supposed to be descended. Effigies of spirits were kept in sanctuaries in the forest (Forsyth, 1994). In these sacred places , the ritual ceremonies were performed from time to time, sacrificing animals. Sacrificed rites were also performed in the cemeteries, where the dead were laid in wooden boxes, along with their vessels, weapons, etc. for using in the other world (Forsyth, 1994). (...) A brown bear occupied a unique position among animals being ‘a master of the forest’ and the embodiment of justice on the earth. The bear was considered to be the youngest son of the principal deity Num Torum.
Und weiter (7):
... Num Torum hat seinen Sohn als einen Bären zur Erde geschickt und es wurde geglaubt, daß die Chanten die direkten Nachfahren des Sohns von Torum wären. Deshalb waren die Chanten das "Bären-Volk". ... Das Fleisch der Bären wurde als eine seltene Delikatesse angesehen. Um das Töten eines Bären zu rechtfertigen, wurde ein "Bären-Fest" abgehalten, um sicherzustellen, daß er keine Rache gegenüber seinem Jäger nehmen würde, und daß es immer mehr Bären geben würde. Der tote Bär wurde willkommen geheißen von den Bewohnern, die um ihn einen Tanz ausführten. ...
Unglücklicherweise besteht ein akutes Risiko, daß die Chanten und Mansen und andere eingeborene Völker aussterben.
Num Torum had had his son descend to the earth as a bear and it was believed that Khanty were direct descendants of the son of Torum. Therefore, the Khanty were the people of the bear (Kulemzin & Lukina 1992). Nevertheless, the indigenous peoples of Siberia killed bears for eating. Their flesh was considered a rare delicacy. In order to justify this, the “bear feast” was celebrated to ensure that it would not take vengeance on its killer and there would always be more bears. The dead bear was welcomed by settlers who performed a ritual dance around it. The bear skin with its head was placed in a successful hunter’s house. The bear head was decorated with a hat or a shawl and food and drinks were laid in front of it. The bear was the ‘guest’ of the feast and people danced, sang, swore and told tales. The Khanty and Mansi had a very rich tradition of oral poetry and stringed musical instruments. After several days of celebration, the bear flesh was cooked and eaten. The skull and sometimes skin of the bear were kept in special buildings (Forsyth, 1994; Kulemzin, 1972).
Unfortunately, the traditional cultures of the Khanty, Mansi and other indigenous population are at an acute risk of extinction.
Interessanterweise dagegen hält ein zum Teil sehr populäres "Ethnoblogging", das als Videoblogging (oft auf Russisch) zum Teil vergleichsweise hohe Zugriffszahlen erreicht (9, 10), und das den Stolz der Ureinwohner Sibiriens auf ihre Lebensweise, Kultur und Sprache womöglich zu erhöhen in der Lage ist. Dieses Ethnoblogging ist auch ein wichtiger Teil der Widerstandes gegen die Umweltzerstörung und die ökologischen Katastrophen in Sibirien.
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*) Diese Länderbezeichnung findet sich in der Landeskunde Sibiriens des
Schweden Philipp Johann von Strahlenberg aus dem Jahr 1730 als "Ugoria" (GB 1730), ebenso in einer völkerkundlichen Betrachtung zu den Chanten von Ferdinand Heinrich Müller aus dem Jahr 1837 (GB 1837).
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Lennart Meri: Völker im Zeichen des Wasservogels, 1970; Englisch "The people of the water bird": https://youtu.be/hYzYe3jAOyQ; Russisch (Yt), Original Estnisch "Veelinnurahvas" (Yt) [Encyclopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum, Teil 1]
Lennart Meri: Die Söhne von Toorum - Eine Bären-Totenwache der Chanten, 1990; Englisch "The Sons of Toorum - Khanty Bear Wake": https://youtu.be/iX7nHETRNow; Russisch: "Сыновья Тоорума" (Yt)
Original Estnisch "Toorumi pojad" ["Encycolopaedia Cinematographica
Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 4] [Aufnahmen aus September 1985 und August 1988 vom Leben der Chanten und über ihre viertägige Bären-Feier]
Lennart Meri: Die Winde der Milchstraße, 1977; Englisch "The Winds of the milky weay", https://youtu.be/Vgc1Nu3oSVs; Original Estnisch "Linnutee tuuled" (Yt) ["Encycolopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 2]
Yvonne Bangert, Sarah Reinke: Hoher Preis für Öl und Gas. Sibiriens Ureinwohner werden dem Energiehunger der Industriestaaten geopfert. Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen, Genf 19. Juli 2005, https://www.gfbv.de/de/news/hoher-preis-fuer-oel-und-gas-511/
Vorobeva, Victoria, Zoya Fedorinova, and Ekaterina Kolesnik. "Three
crucial crises in the development of the Khanty and Mansi unique
culture." Procedia-Social and Behavioral Sciences 206 (2015): 108-113 [XV International Conference "Linguistic and Cultural Studies: Traditions and Innovations”, LKTI 2015, 9-11 November 2015, Tomsk, Russia] (pdf)
Forsyth, James. A history of the peoples of Siberia: Russia's North Asian colony 1581-1990. Cambridge University Press, Cambridge 1992 (GB) (mehrere Folgeauflagen bis 2000)
Dudek, Stephan: Ethnoblogging - Synergien und Herausforderungen für indigenes Umweltwissen auf Social-Media-Plattformen. In: Kasten, Erich, ed. Mensch und Natur in Sibirien: Umweltwissen und nachhaltige Naturbeziehungen in Zeiten des Klimawandels. Kulturstiftung Sibirien GmbH, Fürstenberg/Havel; BoD–Books on Demand, 2021 (GB), S. 279ff
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