Montag, 23. Juni 2025

Die Jade-Beil-Könige Westeuropas (4.600 v. Ztr.)

Als die soziale Ungleichheit ihren Anfang nahm
- Das Jade-Beil - Insignium von Herrschaft und Ungleichheit
- Die Anfänge der gesellschaftlichen Schichtung in Adel, Freie und Sklaven -  womöglich als Reaktion auf die Zunahme genetischer Inhomogenität

Das geschäftete Jade-Beil - es ist das Herrschaftszeichen, das Herrschafts-Insignium des Mittelneolithikums ab etwa 4.600 v. Ztr. (Abb. 1).

Abb. 1: Geschäftete Jade-Axt, Felsritzung, entdeckt 2013 bei Buthiers, 70 Kilometer südlich von Paris (Megal)

Solche Jade-Beile und Darstellungen derselben finden sich für diese Zeit vom Atlantik bis nach Mitteleuropa hinein (Abb. 1-4). Ähnliches gilt für Kupfer-Beile. Sie finden sich von der Donau im Westen bis zur Wolga im Osten (Abb. 4). Es werden auch immer mehr Felsritzungen aus dem Mittelneolithikum im heutigen Frankreich gefunden, in denen sich auch dieses Jade-Beil dargestellt findet  (s. WikiaMegl) (Abb. 5).

Nach dem Untergang der Bandkeramik

Aus der archäogenetischen Böhmen-Studie von 2021 wissen wir schon, was für einen lebhaften Wechsel von Völkerschaften und Kulturen es nach dem Untergang der Bandkeramik allein in einer so eng umgrenzten Region wie Böhmen gegeben hat (Stg21). Der Wechsel der Völkerschaften auf der Ebene unterschiedlicher genetischer Herkunftsanteile in den Menschen begann in Böhmen allerdings erst ab 4.300 v. Ztr.. Weiter im Westen, im heutigen Frankreich, begann er mindestens schon fünfhundert Jahre früher, ebenso in anderen Teilen des vormaligen Verbreitungsgebietes der Bandkeramik.

Die lebhafte Aufeinanderfolge von Völkerschaften ging parallel mit dem Entstehen der ersten Fürstentümer und Königreiche innerhalb von Europa. Diese bildeten sich - so hören wir weiter unten - vielleicht auf der Grundlage der Salzgewinnung und des Salzhandels. Durch die Herrschaft über Salz konnten von Landesregierungen bis in die Frühe Neuzeit hinein größere wirtschaftliche Überschüsse angehäuft werden, die dann nicht mehr auf alle Angehörigen der Gesellschaft gleichmäßig verteilt wurden, sondern die sich in einer sich neu bildenden Adelsschicht ansammelten. 

Der von uns schon seit langem geschätzte Mainzer Archäologe Detlef Gronenborn hat zusammen mit Koautoren in einem neuen Tagungsbeitrag (1) jenen Grundgedanken hervorgehoben und herausgearbeitet, dem auch wir hier auf dem Blog schon seit längerem Aufmerksamkeit schenken: Ab dem Mittelneolithikum entstehen in Mittel- und Nordeuropa großstaatliche Strukturen. Der Blick auf dieses Geschehen wird allmählich tiefenschärfer.

Abb. 2: Felsritzung eines Jade-Beiles, eines Herrschaftszeichens des Mittelneolithikums (Fb2020) - Hier aus der Axt-Grotte bei Buthiers 70 Kilometer südlich von Paris (s.a. Foucaulttalain, apdf)

In dem Tagungsbeitrag von Gronenborn und Mitautoren werden dazu viele uns bislang unbekannte Hinweise zusammen getragen. Mit diesem Tagungsbeitrag präsentiert sich uns der archäologische Forschungsstand auf einer neuen Stufe stehend. Er ermöglicht auch einige Schlußfolgerungen, zu denen man sich zuvor noch nicht ermutigt fand. Wir lesen  (1):

Insbesondere in Mitteleuropa beobachten wir einen deutlichen Bruch zwischen dem Früh- und dem Mittelneolithikum. Obwohl einige Autoren diesen Bruch als weniger einschneidend beschreiben, ist er dennoch in der materiellen Kultur, der Wohnarchitektur und der Bevölkerungsdynamik sichtbar. Dem Niedergang des Frühneolithikums geht eine Periode erheblicher sozialer Unruhen voraus, mit einem offensichtlichen Anstieg zwischenmenschlicher Gewalt und gruppeninterner Kriege während die Bevölkerungsdichte einen Höhepunkt erreichte. Parallel zu dieser Periode der Gewalt beobachten wir auch die Entstehung des Mittelneolithikums, wahrscheinlich unter westeuropäischem Einfluß. (...) Während der Bruch im westlichen Mitteleuropa sichtbar ist, scheint es im Osten eine gewisse Kontinuität zu geben, sowohl in der materiellen Kultur als auch in den Siedlungssystemen.
Particularly in Central Europe, we see a considerable rupture between the Early and the Middle Neolithic. While some authors have downplayed this rupture, it is nevertheless visible in material culture, in domestic architecture, and in population dynamics. The Early Neolithic decline is preceded by a period of considerable social unrest with an apparent increase in interpersonal violence and inter-group warring during the population peak. Somewhat parallel to this period of violence, we also see the emergence of the Middle Neolithic, likely under western European influence. (...) While the rupture in western Central Europe is visible, there appears to be some continuity in the east, both in material culture and also in settlement systems.

Wir wiesen ja schon daraufhin, daß der Umbruch auf genetischer Ebene in Böhmen viele Jahrhunderte später stattfand als weiter im Westen. Wir lesen weiter (1):

Dieser Übergang vollzieht sich in einer klimatisch unbeständigen Phase mit erheblichen und möglicherweise abrupten Veränderungen. Die neu entstehenden mittelneolithischen Gesellschaften in Mitteleuropa weisen eine zunehmende genetische Durchmischung auf, ein Phänomen, das auch archäologisch anhand der Zunahme mesolithischer Steinarten und Schmuckgegenstände wie Schneckenhäusern usw. beobachtet wurde. Während einige Gräber eine deutliche Veränderung des zugrunde liegenden Themas hin zu einer Betonung der Jagd erkennen lassen, deuten die Tiermaterialien aus Siedlungsstätten in Mitteleuropa nicht auf eine nennenswerte wirtschaftliche Verlagerung hin, und Isotopenuntersuchungen liefern bislang keine schlüssigen Ergebnisse. Generell scheint es derzeit so, daß sich mit der zunehmenden Durchmischung der zugewanderten Bauern mit der einheimischen Jäger- und Sammlerbevölkerung die Ideologien gewandelt haben, während die Landwirtschaft als Lebensgrundlage weiterhin Bestand hatte.
This transition happens during a climatically volatile phase with considerable and possibly abrupt changes. The newly emerging Middle Neolithic societies in Central Europe show an increase in genetic admixture, a pheomenon also observed archaeologically with the increase of “Mesolithic” lithic types and objects of adornment like snail shells, etc. While some burials do show a considerable change in the underlying theme towards an emphasis on hunting, the faunal materials from settlement sites across Central Europe do not suggest a considerable economic shift and isotopic studies are yet inconclusive. Generally, it currently seems that with the increasing admixture between incoming farmers and the indigenous hunter-gatherer populations, ideologies had changed while farming, as the subsistence base, continued.

Diese Ausführungen drängen den Gedanken auf, daß der soziale Zusammenhalt in der egalitären Gesellschaft der Bandkeramik nicht nur auf jener kulturellen Gleichförmigkeit über weite Regionen hinweg beruht haben könnte, die ja gut sichtbar ist im archäologischen Befund, sondern auch auf vergleichsweise hoher genetischer Homogenität - wie sie seit 2015 durch die Archäogenetik bekannt geworden ist. 

Abb. 3: Ein typisches Jade-Beil aus dem Mittelneolithikum, das auch in Felsritzungen dargestellt ist - Ein Prestige-Objekt, für dessen Fertigung tausend Arbeitsstunden benötigt werden (AYoung2011)

Übrigens wird - zumindest bislang - auch die Cucuteni-Tripolje-Kultur der Ukraine zumeist als egalitär beschrieben.

Der soziale Zusammenhalt in den westeuropäischen Großreichen seit dem Mittelneolithikum war also einerseits durch größere genetische Heterogenität geprägt, die aber zugleich - womöglich als Gegengewicht dazu - durch Elitenbildung (Hochadel), Herrschaft und soziale Schichtung wiederum zusammen gehalten worden sein mag. Und zwar durch eine Schichtung der Gesellschaft in Adel, Freie und Sklaven, durch "Machtausübung", durch "Herrschaft", durch "Unterwerfung" - in Form von Gewaltausübung, versinnbildlicht im Jade-Beil, bzw. im Kupfer-Beil.

Die genetische Heterogenität war im heutigen Südfrankreich und übrigen Frankreich schon ab dem Frühneolithikum erheblich größer als in Mitteleuropa, was uns schon andernorts erstaunte (Stg20), ein Umstand, der sich vielleicht nun auch in ein größeres Bild einordnet. Denn diese größere genetische Heterogenität im heutigen Frankreich könnte jenen Unruhe-Faktor dargestellt haben, der das Ende des Frühneolithikums in Mitteleuropa, also der Bandkeramik mit sich gebracht hat. Insofern könnte man es also auch von dieser Seite her als naheliegend erachten, daß die Ausbildung von Großreichen ihre ersten Anfänge aus der Region des heutigen Frankreich heraus genommen hat.

Der Adel Europas - Begann er ab 4.600 v. Ztr., der Jagd zu frönen?

Es wird sogar nahegelegt, daß der Umstand, daß der Adel bis heute bevorzugt der Jagd frönt, schon im Mittelneolithikum seinen Anfang genommen haben könnte, und daß dies darauf beruht haben könnte, daß sich der neue Adel anfangs vor allem aus Jäger-Sammler-Populationen rekrutiert haben könnte, wobei es aber recht bald zu genetischer Angleichung zwischen allen Schichten gekommen sein muß, da bislang keine unterschiedlichen Herkunftsverhältnisse zwischen Adel und übriger Bevölkerung festgestellt worden sind (auch zum Beispiel nicht im mykenischen Griechenland). Wir lesen interessanterweise (1):

Zunächst zeigen die Gesellschaften des Mittelneolithikums keine nennenswerten Veränderungen hin zu einer stärker hierarchischen Struktur. Doch ab der Mitte des 5. Jahrtausends kommt es an beiden Küsten Europas zu einer deutlichen Zunahme enormer Ansammlungen von Überschüssen, und zwar sowohl in der Region Carnac in der Bretagne als auch an der bulgarischen Küste an Orten wie Warna.
At first, Middle Neolithic societies do not show any notable changes towards a more hierarchical structure. But from the mid-5th millennium onwards there is a considerable increase of enormous accumulations of surpluses on either coast of Europe, both in the Carnac region in Brittany, as well as on the Bulgarian coast at locations like Varna. 

Eine "Accumulation of surpluses" könnte im Deutschen auch übersetzt werden als eine "Mehrwertabschöpfung" im Sinne von William Thompson und Karl Marx (Wiki). Also als Abschöpfung von Mehrwert, der sich aufgrund von Spezialisierung und arbeitsteiliger Differenzierung innerhalb einer Gesellschaft ergibt. Und soziale Schichtung heißt, daß dieser Mehrwert nicht auf alle Angehörigen der Gesellschaft gleichmäßig verteilt wird, sondern sich in einer Hochadels-Schicht ansammelt. 

In Warna kommen, wie wir hier auf dem Blog schon in mehreren Artikeln behandelt haben, die Frühen Urindogermanen von der Wolga mit ihren Kupferbeilen ins Spiel, deren früheste Ausbreitungsbewegung bis in den Raum der Mittleren Donau in Ungarn sich damit in einen gesamteuropäischen, bzw. gesamteurasischen Rahmen einordnet. Jener Mann, der in dem Grab mit der reichsten Goldausstattung in Warna begraben wurde, trug auch indogermanische Steppengenetik in sich. (Ein Kupferbeil führte um 3.100 v. Ztr. übrigens auch der Ötzi in Südtirol mit sich.)

Abb. 4: Die Verbreitung von Jade- und Kupferäxten um 4.600 v. Ztr. in Europa (aus: 1)

Wir lesen in dem Tagungsbeitrag weiter (1):

Für keine der beiden Regionen sind die genaue Machtbasis oder die territoriale Ausdehnung der Macht dieser politischen Führer bekannt. Während Chapman argumentiert, daß die territoriale Ausdehnung Warnas nur regional war, deuten französische Analysen der Jadeaxt-Netzwerke auf deutlich größere Einflußbereiche hin. Solche weiten Einflußbereiche werden auch durch die Verteilung von Kupferäxten im Osten und Jadeäxten im Westen nahegelegt.
For neither region is the exact power base nor the territorial extension of the power of these political leaders known. While Chapman has argued that the territorial extension of Varna was only regional, French analyses of the jade axe networks suggest much wider spheres of influence. Such wide spheres of influence are also suggested by the distributions of copper axes in the east and jade axes in the west (Fig. 7). 

- siehe dazu hier im Blogartikel Abb. 4. Und weiter lesen wir im Tagungsbeitrag (1): 

Regionen zwischen diesen Fundorten sind jedoch mit hochrangigen Gräbern übersät, die meist deutlich weniger kunstvoll gestaltet sind als die in der Region Carnac oder in Warna. Dennoch deuten diese Gräber darauf hin, daß politische Komplexität, die sich um hochrangige soziale Untergruppen - möglicherweise Abstammungslinien - entwickelte, kein auf bestimmte Regionen beschränktes Phänomen war, sondern möglicherweise weit verbreitet war. Da viele dieser Gräber entweder schwer zu entdecken oder zuvor zerstört worden waren, wurde das Phänomen politisch differenzierter neolithischer Gesellschaften bewußt oder unbewußt vernachlässigt. Erst nach den ersten Veröffentlichungen der Jadeaxtstudien von Pétrequin und Kollegen (2017) wurden die möglichen soziopolitischen Strukturen neolithischer Gesellschaften neu betrachtet. Die Macht einiger dieser Personen und ihre Ämter materialisierten sich in reich ausgestatteten Grabdenkmälern oder wurden in Felsgravuren dargestellt. Der gesamte Machtbereich wurde durch Symbole um Äxte und deren Stiele symbolisiert.
Regions in between these loci of accumulation are, however, dotted by high-status burials which are mostly much less elaborate than the ones either in the Carnac area or in Varna (Fig. 6). Nevertheless, these burials do indicate that political complexity, evolving around high-ranking social sub-groups – possibly lineages – were not a phenomenon limited to certain discrete regions, but were possibly widespread. As many of these burials were either difficult to detect, or had been previously destroyed, the phenomenon of politically differentiated Neolithic societies has been consciously or unconsciously neglected. Only after the first publications of the jade axe studies by Pétrequin and colleagues have the possible socio-political structures of Neolithic societies been reconsidered. The power of some of these individuals and the offices they held were materialized in extremely well-furnished burial monuments, or depicted in rock-engravings. The entire realm of power was signalled by symbols circling around axes and their hafting.

Man bezieht sich hier unter anderem auf die Felsritzungen von Vallée aux Noirs (Wiki) südlich von Paris und andere, eingangs genannte Darstellungen (s.a. Abb. 5).

Abb. 5: In Felsen geritzte Darstellungen von Jade-Beilen im nördlichen Frankreich ab 4.500 v. Ztr. (Megal)

Das im Vallée aux Noirs sehr groß dargestellte Jade-Beil (Abb. 1) findet sich auch anderwärts in Frankreich in Felsen eingeritzt (Megal). Wir lesen zur Deutung dieser eindrucksvollen Felsritzungen weiter (1):

Man könnte vermuten, daß sich diese Personen mit einer Aura des Übernatürlichen umgaben, auf der neben irdischen Gütern ihre Macht und ihr Einfluß beruhten. Eine der ungelösten Fragen lautet tatsächlich: Was veranlaßte diese Personen und wahrscheinlich auch ihre Angehörigen, politische Vorherrschaft über andere zu erlangen? Politisch aufstrebende Persönlichkeiten sind in jeder menschlichen Gesellschaft anzunehmen, doch warum kam es gerade in der fraglichen Zeit und an unterschiedlichen Orten auf dem europäischen Kontinent zu einer ausgeprägten Schichtung? Ein Gut, auf dem diese Macht möglicherweise beruhte, könnte Salz gewesen sein. Eine frühe Salzproduktion in limnischen Küstengebieten wurde sowohl für die Bretagne als auch für die Küste von Warna vorgeschlagen. Neben der Kontrolle der Salzproduktion könnten die Eliten auch in der Lage gewesen sein, die Salzverteilung im Landesinneren zu kontrollieren. Werden die Fundorte bestimmter Axttypen kartiert und vernetzt, ergeben sich frühe Fernwegesysteme (Abb. 9). Auch die Lage der Grabanlagen scheint, zumindest im Jungneolithikum, entlang früher Routen verlaufen zu sein, von denen einige bis ins Mittelalter genutzt wurden und auch mit dem Landtransport von Salz verbunden waren.
It may be suggested, that these individuals surrounded themselves with an aura of the super-natural, on which, apart from earthly commodities, their power and influence would have been based (Fig. 8). Indeed, one of the unresolved questions is: what led these individuals, and likely their kin, to gain political supremacy over others? Politically aspiring figures may be assumed for any human society, but why did stratification erupt specifically during the period in question and at opposing locations on the European continent? One commodity this power might have been based on could have been salt. Early salt production in limnic coastal environments has been proposed both for Brittany as well as for the coast of Varna. Apart from controlling the production of salt, elites might have also been able to control inland distributions. If the find-spots of certain axe types are plotted and connected in a network system, early long-distance route systems emerge (Fig. 9). Also, the location of enclosures, at least for the Young Neolithic, appears to have been aligned alongside early routes, some of which were in use until the Medieval periods and which were also connected with the overland transport of salt.

Die hier genannte Abbildung 9 zeigt das durch Funde eruierbare Fernhandelsnetz rund um die mittelneolithische Höhensiedlung des Kapellenberg bei Frankfurt am Main. Wir lesen weiter (1):

Ein Phänomen wurde schon früh beobachtet: Bestattungen herausragender Personen mit hohem Status sind sowohl regional als auch chronologisch diskret. Daher ist das gesamte Phänomen der Schichtung auf die zweite Hälfte des 5. Jahrtausends v. Ztr. beschränkt und scheint eher ein Boom-and-Bust-Phänomen zu sein. Vor 4000 v. Ztr. verschwinden diese hochrangigen Grabdenkmäler für einzelne oder nur wenige Personen aus den archäologischen Befunden Mitteleuropas, tauchen jedoch nach 4000 v. Ztr. in Skandinavien und auf den Britischen Inseln wieder auf. Einer der jüngsten Grabhügel in Mitteleuropa könnte der kürzlich am Kapellenberg im Rhein-Main-Gebiet entdeckte gewesen sein. Er scheint kurz nach 4200 v. Ztr. errichtet worden zu sein und gehört daher zur frühen Michelsberg-Phase in der Region, möglicherweise als Gründermonument. Von den beiden Äxten, die vermutlich aus dem im späten 19. Jahrhundert zerstörten Grab stammen, wurde eines aus Jade vom Monte Viso in den Westalpen gefertigt (Abb. 7), das andere aus Amphibolit unbekannter Herkunft. Beide könnten auf Fernverbindungen zwischen Eliten hinweisen, da die nächsten architektonischen Parallelen zum Monument in der Bretagne zu finden sind. Diese Fernbeziehungen zwischen Eliten sind nicht allzu überraschend, da sie bereits für das vorangegangene Mittelneolithikum sowohl durch Bestattungsfunde hochrangiger Personen als auch durch die Verbreitungsmuster von Jadeäxten dokumentiert sind. Dies stützt grundsätzlich die Annahme, dass hochrangige Personen über beträchtliche Entfernungen hinweg in gleichrangigen politischen Beziehungen interagierten. Unklar ist bislang, ob sich diese Gesellschaften neben den Unterschieden in der Bestattungspraxis auch hinsichtlich ihrer Lebensweise unterschieden. Die Belege sind spärlich, aber offenbar waren Gesundheitszustand und Ernährung der Verstorbenen der Cerny-Gesellschaften im Yonne-Tal trotz enormer Unterschiede in den Bestattungspraktiken recht ähnlich.
One phenomenon has been observed early on, namely that outstanding high-status burials are both regionally and chronologically discrete. Therefore, the entire phenomenon of stratification is restricted to the latter half of the 5th millennium cal. BC, and appears to be more of a boom-and-bust phenomenon. Before 4000 cal. BC these high-status burial monuments for single or only a few individuals vanish from the archaeological record in Central Europe but reappear in Scandinavia and the British Isles after 4000 cal. BC. In Central Europe, one of the latest burial mounds may have been the one recently discovered at Kapellenberg in the Rhine-Main area. It appears to have been erected shortly after 4200 cal. BC and would therefore belong to the early Michelsberg phase in the region, possibly constituting a founder monument. Of the two axes, likely stemming from the burial destroyed in the late 19th century, one was made out of jade from Monte Viso in the western Alps (Fig. 7), the other is of amphibolite of a yet unknown source. Both may indicate long-distance connections between elites, as the nearest architectural parallels to the monument are found in Brittany. These long-distance connections between elites are not all that surprizing, as they are documented already for the preceding Middle Neolithic both from high-status burial evidence as well as in jade axe distribution patterns. Inprinciple, this supports the ideas about peer polity interactions of high-status individuals across considerable distances. What is hitherto unclear is whether, apart from differences in burial efforts, these societies were differentiated by livelihood as well. The evidence is meagre, but apparently for Cerny societies in the Yonne Valley the health status and diet of the deceased were rather similar, despite enormous differences in burial practices.

In der Abbildung 6 des Tagungsbeitrages findet sich eingetragen eine "Friedberg long chamber", die aber sonst im Text oder im Literaturverzeichnis keinerlei Erläuterung findet (soweit wir erkennen können). 

Friedberg in der Wetterau (4.600 v. Ztr.) - Kultbau wie im Pariser Becken

Wir müssen recht lange suchen, bis wir im Internet weitere Hinweise dazu finden. ChatGPT hat uns bei dieser Suche sehr früh schmählich verlassen ... Aber schließlich stoßen wir auf den Bericht über eine Ausgrabung im November 2007 südlich von Friedberg in der Wetterau, die stattfand im Zuge des Baus einer dortigen Umgehungsstraße (Lohrschneider2007). 

Abb. 6: Kultbau mit zentralem Herrscher-Grab (?) bei Friedberg in der Wetterau, 4.600 v. Ztr. (aus: Lohrschneider2007)

In diesem Bericht findet sich offensichtlich dieselbe "long chamber" dargestellt. Es wurde dabei nämlich eine knapp 36 Meter lange neolithische Grabanlage oder ein Kultbau entdeckt, wie es ihn ähnlich zur gleichen Zeit in der Cerny-Kultur (4.700-4.300 v. Ztr.) (Wiki) im Pariser Becken gegeben hat (Lohrschneider2007):

Nach typologischen Kriterien handelt es sich dabei nicht um einen Wohnbau, da Längen- und Breitenrelation nicht stimmig wären. Dennoch steht er in der Tradition von Pfostenbauten, wie sie aus neolithischen Zusammenhängen hinlänglich bekannt sind und auch für Wohnbauten typisch waren. (...) Aus dem benachbarten westlichen Ausland sind vergleichbare Anlagen jedoch bekannt. Dort treten sie nicht als singuläre Bauform auf, sondern bilden ganze Anlagensysteme. Die auch als Bestattungsplatz dienenden Bauwerke sind nicht dem profanen Lebensbereich anzugliedern. Sie waren Dokumente des metaphysischen Selbstverständnisses dieser Kulturgruppe.

Wie gesagt, beziehen sich diese Ausführungen auf die Cerny-Kultur, in deren Zusammenhang auch viele der genannten Felsritzungen, bzw. Felsgravuren entstanden sind. Und es heißt weiter (Lohrschneider2007):

Auch hier liegen die langen, leicht trapezoid gestalteten Anlagen mit z.T. rundlichen Abschlüssen vor. An einem Ende sind sie in der Rekonstruktion mit Pfosten besetzt und bilden eine offene Pforte. Im umfriedeten Innenbereich sind ein oder zwei Gruben angelegt. In den Gruben waren meist Einzelbestattungen anzutreffen. In Frankreich werden die Anlagen mit einer inneren, kleinen Hügelschüttung rekonstruiert, möglicherweise über einem Zentralgrab. Dies ist aus der Befundlage jedoch nicht zwingend abzuleiten. Denkbar wäre ebenso eine vollständige Erdüberschüttung einer langen hölzern ausgebauten Grabkammer. Die Dimension aus Friedberg liegt in ihrer Längenausdehnung am mittleren unteren Rand der aus Frankreich bekannten Anlagen. Von diesen erreichen einzelne eine Längenausdehnung von über 100 m. Die Cerny-Gruppe wird im allgemeinen mit der in Deutschland weit verbreiteten mittelneolithischen Gruppe der Rössener Kultur parallelisiert. Damit liegt ein chronologischer Ansatz für das 5. Jahrtausend vor (4600-4300 v.Chr.).

Wenn es sich um eine vollständige Erdüberschüttung gehandelt hätte, würde ein sogenannter "Nichtmegalithischer Langhügel" (Wiki) vorliegen, etwa solche vom Typ Passy (Wiki), die auch der Cerny-Kultur zugerechnet werden.

Mehr zu den diesbezüglichen Bauten in der Cerny-Kultur findet sich auch anderwärts (etwa in französischer Sprache: Saintot2023, pdf). Der entdeckte Kultbau südlich von Friedberg gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit zur "Planig-Friedberg-Kultur" (4680 bis 4640 v. Ztr.), einer Untergruppe der Rössener Kultur (Wiki), die Verbreitungskarten nach sogar in der Wetterau oder im Rhein-Main-Gebiet als Hinkelstein-Kultur entstanden sein könnte (Abb. 7). 

Die Rössener Kultur in Mitteleuropa und ihre Vorläufer

Zu der genannten Untergruppe, der Planig-Friedberg-Kultur, gibt es noch keinen Wikipedia-Artikel. ChatGPT belehrt uns zunächst:

Die Planig‑Friedberg‑Gruppe ist eine regionale Variante innerhalb der mitteleuropäischen Rössener Kultur (circa 4790–4550 v. Ztr.) der mittleren Jungsteinzeit. Sie bildet gemeinsam mit Kulturen wie Großgartach, Rhein-Main- und Neckar-Gruppen eine Süddeutsche Ausprägung dieser Kultur.

In Abb. 7 sehen wir einen ungefähren Verbreitungsraum dieser Planig-Friedberg-Kultur, die, wie es scheint, aus der Hinkelstein- und Großgartach-Kultur hervorgegangen ist und in den Rössener Kultur überging (Abb. 7).

Abb. 7: Die Abfolge der nach-bandkeramischen Kulturen zwischen den Niederlanden und dem Elsaß -Planig-Friedberg scheint aus Hinkelstein am Mittel- und Oberrhein hervorzugehen und sich dann nach Osten auszubreiten (aus: Denaire2017)

Schon in der archäogenetischen Studie von 2020 deutet sich an, daß die Untergruppen der Rössener Kultur durchaus auch jeweils eine eigene Genetik aufgewiesen haben können, wobei die Planig-Friedberg-Kultur durch einen höheren Jäger-Sammler-Anteil geprägt gewesen sein kann, während die Rössener Kultur selbst wieder zur bandkeramischen Genetik zurück gekehrt wäre (Stg20). Das wird in den nächsten Jahren sicherlich noch zuverlässiger aufgeklärt werden auf größerer Datenbasis.

Wir müssen in jedem Fall ein bisschen Forschungsgeschichte betreiben, um uns näher an jene Funde in Friedberg in der Wetterau und in Planig bei Alzey in Rheinhessen heranzutasten, die namengebend für die Friedberg-Planig-Kultur waren. Die namengebenden Funde sind schon in der Zeit um 1900 herum gemacht worden, während die endgültige Namengebung dieser Kultur 1940 erfolgte. 

Die "Friedberg-Planig-Kultur" (4.600-4.500 v. Ztr.) 

Wir finden zunächst folgenden Hinweis (Dammers2003):

1940 war ein weiterer Meilenstein in der Archäologie des Mittelneolithikums: die Dissertation Armin Strohs faßte erstmals alle Rössener Funde Südwestdeutschlands zusammen, Gräberfelder, Siedlungen und Einzelfunde, und wertete sie systematisch aus. Der Fundort Planig, heute Ortsteil von Bad Kreuznach, kam zu einer gewissen Berühmtheit, weil Stroh mit seiner Hilfe eine Gruppe "Planig-Friedberg" definierte, die sich durch flächendeckend dichtes Doppelstichdekor auszeichnet, geradezu teppichartig wirkend mit ausgesparten geometrischen Motiven darin.

Nicht nur Planig kam zu einer gewissen Berühmtheit, sondern auch Friedberg in der Wetterau. Und letzteres um so mehr, nachdem dort 2007 der genannte Kultbau entdeckt wurde. 

Diese Dissertation von Armin Stroh aus dem Jahr 1940 ist dankenswerter Weise online frei zugänglich. Stroh schreibt von der "Siedlung Friedberg-Pfingstbrünnchen" und von der Siedlung "beim Schwalheimer Hohl" bei Friedberg (1940, S. 44f). Von einem Pfingstbrünnchen weiß man tatsächlich noch heute in Friedberg. Es lag 2015 in der dortigen Mielestraße (Wetterauer Ztg2015). Diese ist aber inzwischen zur Emil-Frey-Straße umbenannt worden. Das Schwalheimer Hohl aus der Zeit um 1900 wird heute die Straße "An der Hohl" zwischen Friedberg und dem Dorf Schwalheim sein. Somit hätten wir zwei frühe, mittelneolithische Ausgrabungsstätten grob lokalisiert, eine südlich des Stadtzentrums von Friedberg in der Wetterau und eine nördlich davon (GMaps).*) 

2017 erscheint erneut eine die verschiedenen Keramikstile vergleichende Studie. In einer zugehörigen Grafik (Abb. 7) werden - womöglich - Ethnogenese-Prozesse der großen Rössener Kultur deutlich, über die wir auf Wikipedia lesen (Wiki):

Die Rössener Kultur löste die Linienbandkeramik in deren westlichem Verbreitungsgebiet über die Zwischenstufen Hinkelstein, Großgartach und Planig-Friedberg ab. Diese „Ablösung“ erfolgte jedoch abrupt, denn die meisten Rössener Ansiedlungen gründeten sich nicht auf ältere bandkeramische Siedlungen, sondern entstanden vermutlich unabhängig neu.

Auch in Friedberg in der Wetterau endet die bandkeramische Siedlung völlig, während die Siedlungen der Planig-Friedberg-Kultur an anderen Plätzen rund um Friedberg entstanden. Die genannte Studie will die Zeitabfolge der Kulturen im Elsaß verstehen, bis wohin sich die Rössener Kultur Rhein-aufwärts ausgebreitet hat (Denaire2017):

Lediglich 12 Planig-Friedberg-Funde konnten in die Seriation einbezogen werden. Sie liegen deutlich zwischen Großgartach und Rössen.
Only 12 Planig-Friedberg assemblages could be included in the seriation. They fall clearly between Grossgartach and Rössen.

Und (Denaire2017):

Der Übergang zum nachfolgenden Planig-Friedberg-Stil erfolgte 4690-4610 v. Chr. (95 % Wahrscheinlichkeit; Ende GG/Anfang P-F; Abb. 15), wahrscheinlich 4680-4640 v. Chr. (68 % Wahrscheinlichkeit).
The transition to the succeeding Planig-Friedberg style occurred in 4690–4610 cal BC (95% probability; end GG/start P-F; Fig. 15), probably in 4680–4640 cal BC (68% probability).

Und (Denaire2017):

Sechs Fundgruppen von drei Fundstätten wurden durch die darauffolgende Planig-Friedberg-Phase datiert. Sie decken einen Zeitraum von 1-70 Jahren ab (95 % Wahrscheinlichkeit; Spanne P–F; Abb. 17), wahrscheinlich 1-40 Jahre (68 % Wahrscheinlichkeit). Planig-Friedberg stellt einen Übergang zwischen typischen Großgartacher und typischen Rössener Fundgruppen dar. Vollständig ausgebildete Rössener Fundgruppen entstanden zwischen 4670 und 4565 v. Chr. (95 % Wahrscheinlichkeit; Ende P–F/Beginn RS; Abb. 15), wahrscheinlich zwischen 4645 und 4585 v. Chr. (68 % Wahrscheinlichkeit).
Six assemblages from three sites have been dated from the subsequent Planig-Friedberg phase. These cover a period of 1–70 years (95% probability; span P-F; Fig. 17), probably 1–40 years (68% probability). Planig-Friedberg constitutes a transition between typical Grossgartach and typical Rössen assemblages. Fully formed Rössen assemblages emerged in 4670–4565 cal BC (95% probability; end P-F/start RS; Fig. 15), probably in 4645–4585 cal BC (68% probability).

Interessant ist, daß auch 2017 auf Verbindungen der Planig-Friedberg-Kultur zum Pariser Becken aufmerksam gemacht wird. 

Abb. 7: Der französische Archäologe Pierre Pétrequin (geb. 1943) mit Ehefrau bei Erforschung der mittelneolithischen Jade-Beile (2022) (Orgnac)

Das hatte sich ja auch durch die oben behandelte Ausgrabung von 2007 angedeutet (war diese dem französischen Autor bekannt?) (Denaire2017):

Die geringe Zahl der Planig-Friedberg-Gruben und -Gräber läßt keine weitere Zunahme der Siedlungsdichte erwarten, und das Siedlungsgebiet dehnt sich nicht aus (Denaire 2009, S. 266). Auch die Verbindungen zu anderen Regionen scheinen stabil zu sein. Ein Planig-Friedberg-Topf in einem der Gräber von Passy in der Yonne im Süden des Pariser Beckens (Spatz 1998) veranschaulicht das Ausmaß der Verbindungen zu dieser Zeit.
The small number of Planig-Friedberg pits and graves does not suggest any further increase in settlement density, and the area of inhabitation does not expand (Denaire 2009, p. 266). Links to other regions also seem stable. A Planig-Friedberg pot in one of the graves at Passy in the Yonne in the south of the Paris basin (Spatz 1998) illustrates the extent of connections at this time.

Zusammenfassung

In der Zusammenfassung der Studie, die den Ausgangspunkt für diesen Blogartikel bildete, heißt es (1):

Während des Zusammenbruchs des späten LBK, als sich das frühe Mittelneolithikum bildete (...), hatten Individuen und Untergruppen mit Jäger- und Sammler-Vorfahren offenbar die Chance, einen höheren sozialen und sogar politischen Status zu erlangen. Dies wird beispielsweise durch die Grabbeigaben der hochrangigen Cerny-Gräber deutlich, die eine Betonung der Jagd zeigen. Die Veränderungen in den Bestattungspraktiken, bei denen einzelne Individuen von der Gruppe isoliert und hervorgehoben werden - was wir ab dem Mittelneolithikum beobachten - könnten daher zumindest teilweise mit der Einbeziehung von Jäger- und Sammler-Vorfahren zusammenhängen. (...) Diese Prozesse nahmen auf beiden Seiten des europäischen Kontinents extreme Formen an: in der Bretagne im Nordwesten Frankreichs und entlang der Schwarzmeerküste in Bulgarien, wo die Netzwerke aus Jade- und Kupferartefakten die jeweiligen Einflussbereiche abgrenzten (Abb. 7). Es ist gut möglich, dass diese Einflußbereiche irgendwie mit den unterschiedlichen Prozentsätzen von Jäger- und Sammler-Vorfahren in den mittelneolithischen Gesellschaften zusammenhingen. Dieser Frage muss in zukünftigen Untersuchungen weiter nachgegangen werden.
During the collapse of the Late LBK when the Initial Middle Neolithic formed (...) individuals and sub-groups with hunter-gatherer ancestry apparently had the chance to  achieve higher social and even political statuses. This is, for instance, evident from the grave goods of the high-status Cerny burials which show an emphasis on hunting. Thus, the changes in burial practices with single individuals being isolated from the group and accentuated  –  which we see from the Middle Neolithic onwards – might  at least partly be related to the incorporation of hunter-gatherer ancestries. (...) These processes took on extreme forms on either  side of the European continent: in Brittany in northwestern France and along the Black Sea coast in Bulgaria,  with the networks of jade and copper artefacts delineating the respective spheres (Fig. 7). It may well be that these spheres of influence were somehow tied to the varying percentages of hunter-gatherer ancestry in the Middle Neolithic societies. This question will have to be explored further in future research.

Damit wird auch deutlich, daß die mittelneolithischen Großreiche auch als ein Teil der Geschichte der großen Völkergruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler angesehen werden kann, da ja deren Kultur offenbar maßgeblich zur Ethnogenese der nach-bandkeramischen Kulturen beigetragen hat. Erst mit der Ankunft der Indogermanen in Europa endet die Geschichte der Völkergruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler, so möchte man sagen.

Schon die politischen Philosophen der klassischen griechischen Antike waren damit beschäftigt, wie die Machtausübung und der Machtmißbrauch einzelner - seien es Könige, seien es Tyrannen - eingehegt, eingegrenzt werden kann. Es kann dies geschehen durch die Herrschaft des Rechts (Rechtsstaatlichkeit), durch "Gewaltenteilung" (Montesquieu), durch Mitbestimmung und "Volksherrschaft" ("Demokratie", "Republik"). Es kann dies auch geschehen durch die Mitbestimmung des Adels (Aristokratie).

Spätestens mit dem Aufkommen des fanatischen Monotheismus ist allerdings keineswegs mehr ausgeschlossen, daß politische Herrschaftsgestaltung, die äußerlich nach "demokratischen" Prinzipien ausgestaltet ist, nicht dennoch von innen heraus ganz anderen Prinzipien folgt. Geheimdienste und Geheimgesellschaften innerhalb derselben können spielend leicht alle genannten Prinzipien infrage stellen, solange Politiker, Wirtschaftsführer und Medienschaffende keine Verpflichtung haben, Mitgliedschaften und Verbindungen dieser Art öffentlich zu machen und solange elitäre Pädokriminalität von Regierungen weltweit vertuscht wird. So daß aus Sicht der mit solchen Methoden arbeitenden Geheimdienste mit einem Wort von Walter Ulbricht auch gesagt werden kann: "Es muß alles demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben."  

Solche Probleme wird es im Mittelneolithikum in Europa noch nicht gegeben haben. Da wird Macht noch offen und öffentlich ausgeübt worden sein, also vermutlich auch ohne Geheimpriesterschaften, die aus dem Hintergrund heraus sehr organisiert wirken und Macht ausüben.

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*) Es findet sich im Vorübergehen auch noch eine Ausgabe der Prähistorischen Zeitschrift von 1913, in der zu den typologischen Einordnungen der nach-bandkeramischen Siedlungen in der Wetterau unter anderem lesen (Arch):

... Und doch sind kleine Nuanecierungen vorhanden, die uns zwingen, den Heidelberg-Neuenheimer Typus von der Rössener Keramik als Unterabteilung abzusondern. (...) Diese Entwicklung setzt sich nämlich direkt fort im Friedberger Typus, wie man die an die Heidelberg-Neuenheimer sich anschließende Gruppe nach den wichtigsten Funden von der Schwalheimer Hohl bei Friedberg am besten benennt (s. Helmke, Die Altertumssammlung des Friedberger Geschichtsvereins und ihre Verwertung in der Schule, Die prähistorischen Altertümer. Friedberg 1904, Taf. I, oben; hier Abb. 42). Hier sind die Urformen teilweise nur sehr schwer zu erkennen, und wir müssen im Frieberger Typus die erste Stufe der südwestdeutschen Stichkeramik, die man bisher unter dem Namen der Großgartacher Kultur zusammenfaßte, erkennen. Das große Gefäß von Friedberg erscheint zwar in der Form gedrückter als das Heidelberger, da der Boden flacher ist, im Prinzip aber ist die Form die gleiche. Der obere Teil ist noch in rein Rössener Manier mit mehr breiten, von Doppelstichen ausgefüllten Flächen, aus denen wie dort gerade und Ziekzackbänder( sonst auch Dreiecke u. ä.) ausgespart sind, dekoriert. Also auch die Dekoration schließt sich an die Heidelberger Gruppe an.

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  1. Detlef Gronenborn, Nicolas Antunes, Maïté Rivollat: Jade, Salt, and Copper: Emerging Complexity in Central European early Agrarian Societies. In: From Sedentarisation to Complex Society. Settlement, Economy, Environment, Cult. Proceedings of the workshops in Lisbon, Teheran and Lima. Reichert Verlag, May 2025 (Resg)
  2. Lohrscheider, Frank: Archäologische Ausgrabungen - Friedberg B3 A, 2007 (pdf)
  3. Sylvie Saintot, Anne Hauzeur avec la collaboration de Jean-Luc Gisclon, Pierre-Jérôme Rey et Jean-Michel Treffort: Les nécropoles de type Passy de la plaine de l’Ain : quelles influences chrono-culturelles? 2023 (pdf)
  4. Dammers, Barbara. Hinkelstein-Grossgartach-Rössen: zum Mittelneolithikum in Rheinhessen. Verlag nicht ermittelbar, 2003 (pdf)
  5. Stroh, Armin. "Die Rössener Kultur in Südwestdeutschland." Bericht der Römisch-Germanischen Kommission (1938): 8-179 (freies pdf)
  6. W. Bremer: Eberstadt, ein steinzeitliches Dorf in der Wetterau. Prähistorische Zeitschrift 1913 (Arch)
  7. Denaire, A., Lefranc, P., Wahl, J. et al. The Cultural Project: Formal Chronological Modelling of the Early and Middle Neolithic Sequence in Lower Alsace. J Archaeol Method Theory 24, 1072–1149 (2017). https://doi.org/10.1007/s10816-016-9307-x (Springer)
  8. Serge Cassen, Valentin Grimaud, Laurent Lescop, Duncan Caldwell. Le rocher gravé de la Vallée aux Noirs (Buthiers, Seine-et-Marne). Bulletin du Gersar, 2014, Art Rupestre, 65, pp.25-37 (hal-science)
  9. Sheridan, Alison, et al. "Fifty shades of green: the irresistible attraction, use and significance of jadeitite and other green Alpine rock types in Neolithic Europe." A Taste for Green: A global perspective on ancient jade, turquoiseand variscite exchange. Oxford, Oxbow (2019): 97-120 (Resg)
  10. Pierre Pétrequin, Serge Cassen, Michel Errera, Sheridan, Alison: The Europe of jade. From the Alps to the Black Sea. Sidestone Press, Leiden 2017

Sonntag, 15. Juni 2025

Großkönige der Aunjetitzer Kultur (2.300 bis 1.600 v. Ztr.)

In Sachsen, Polen, Schlesien und Böhmen
- Von der Oder über die Elbe bis an die Donau, bis zur Weichsel und bis zur Weser

"Deutschlands erste Fürsten starben wie Pharaonen" titelte die deutsche Presse 2016 über den größten Grabhügel der Bronzezeit in Europa, der aus der Aunjetitzer Kultur (2.300 bis 1.600 v. Ztr.) (Wiki) hervorgegangen war (s. Stg19). Der dort bestattete Herrscher wurde auch als "Herr der Himmelsscheibe von Nebra" tituliert (Abb. 1).

Abb. 1: Insignien im Großreich der Aunjetitzer Kultur (1800 v. Ztr.) - Sie stehen für Himmelskunde und Selbstbehauptung - Dargebracht den Göttern im Angesicht des Sonnenuntergangs (Wiki), vielleicht bevor bedeutendere Teile des Volkes ihre Heimat verließen und erobernd gen Süden zogen, wobei die Götter zuvor um Glück gebeten worden sein mögen

Es handelt sich um den größten Grabhügel dieser Kultur, nämlich um den Bornhöck (Wiki), gelegen zwischen Halle und Leipzig zehn Kilometer westlich des Schkeuditzer Kreuzes, zehn Kilometer westlich der Autobahn A9 von Berlin nach München. Dieser Bornhöck ist um 1800 v. Ztr. errichtet worden, also zur Zeit des Hethiter-Reiches in Kleinasien, zur Zeit des Großreiches von Ägypten am Nil. 

Der Bornhöck ist gelegen nur zehn Kilometer westlich der heutigen A9, nur zehn Kilometer westlich des Schkeuditzer Kreuzes (zwischen Halle und Leipzig) - im Grunde als Abstecher leicht zu besuchen während einer Reise von Berlin nach München (GMaps). Allerdings ist der Hügel selbst bedauerlicherweise schon bis 1900 völlig abgetragen worden. Es ist heute nichts mehr von ihm zu sehen. Seine Anlage konnte aber unterhalb der Erdoberfläche 2014 bis 2017 archäologisch untersucht werden. Dabei wurden zuvor alle in Archiven verfügbaren Dokumente aus früheren Jahrhunderten zu der Geschichte und Erforschung dieses Hügels herangezogen.

Abb. 2: Dolchzepter der Aunjetitzer Kultur - Insignie und Waffe - Machtsymbol gefunden in den bedeutenden Grabhügeln von Łęki Małe, gelegen zwischen Breslau und Lodz - Standbild aus einem Dokumentarfilm über die Aunjetitzer Kultur aus dem Jahr 2022 (Yt2022)

2022 wurde ein bronzenes "Dreiecks-Zepter" der Aunjetitzer Kultur, das in einem Grabhügel nahe des Dorfes  Łęki Małe, gelegen auf halbem Weg zwischen Breslau und Lodz, gefunden worden war, zum leitenden Symbol eines einstündigen Dokumentarfilmes gwählt (Vodtv):

Ausgangspunkt des Films sind die mit Bronze- und Goldprodukten gefüllten Grabhügel, die sogenannten Fürstengräber aus der Ortschaft Łęki Małe bei Kościan in Großpolen. Es handelt sich um die größten erforschten Grabhügel in Polen. Sie wurden von Mitgliedern einer Gemeinschaft errichtet, die Archäologen heute als Aunjetitzer Kultur bezeichnen. In reich ausgestatteten Gräbern fanden Archäologen das titelgebende, sehr eindrucksvolle und für die Aunjetitzer Kultur charakteristische „Dolchzepter“.

In der deutschsprachigen Wissenschaft wurden diese "Dreiecks-" oder "Dolch-Zepter" zu einer Zeit, als noch zahlenmäßig viel weniger von ihnen bekannt waren, recht unprosaisch "Stabdolche" genannt (Wiki). Entsprechend werden sie im Englischen als "Staff daggers" (WikiCom) bezeichnet. In Zusammenhang mit dem genannten Dokumentarfilm (s.a.: GrodziskFb) sind jedenfalls eindrucksvolle Bilder entstanden, von denen in diesen Blogbeitrag einige eingebunden sind, weil sie die Welt der Aunjetitzer Kultur ein wenig anschaulicher machen (Abb. 2-6).

Die erstgenannte Titelzeile in der deutschen Presse und der dieser Dokumentarfilm machen jedenfalls sehr gut auf die Bedeutung der genannten Grabhügel und der Aunjetitzer Kultur aufmerksam, aus denen diese hervorgegangen sind. 

Abb. 3: Machtübernahme im Großreich der Aunjetitzer Kultur -  Standbild aus einem Dokumentarfilm zur Aunjetitzer Kultur aus dem Jahr 2022 (Yt2022)

Die Erforschung des Bornhöck hatte insgesamt zu einer Neubewertung seiner vormaligen Bedeutung geführt (Stg19):

Hier lag das Zentrum eines hierarchisch gegliederten Reiches,

ist der Tenor - ähnlich wie im Dokumentarfilm von 2022. Der Hallenser Archäologe Harald Meller (Stg19) ...

... vergleicht die Anlage mit den Pyramiden des pharaonischen Ägypten. Nicht nur, daß die Goldbeigaben ihn als gottgleichen Herrscher ausweisen. Sondern auch Organisation und Ressourcen, die für den Bau eingesetzt wurden, belegen bereits eine soziale Differenzierung und Arbeitsteilung, die Herrschaft ermöglichte und dabei weit über das hinausgeht, was etwa die Römer 2000 Jahre später in Germanien vorfanden.

Solche Aussagen muten gewagt an. Und ihr Inhalt ist noch keineswegs in das Geschichtsbild der Gegenwart eingegangen. Großreiche, staatliche Strukturen und proto-urbane Siedlungen gibt es in Europa schon ebenso lang wie in Ägypten und im Vorderen Orient. Das ist der grundlegende Wandel der Perspektive.  

Abb. 4: Herr über Leben und Tod (Yt2022) - Standbild aus einem Dokumentarfilm zur Aunjetitzer Kultur von 2022 (Yt2022)

Über die Ethnogenese, Herkunft und über den Ausbreitungsmodus der Aunjetitzer Kultur hatten wir hier auf dem Blog schon verstreut Hinweise zusammen getragen (Stg21). Aber sie waren noch nicht zu einem Gesamtbild zusammen gesetzt worden. Dazu soll im folgenden ein erster Versuch gemacht, nachdem die Veröffentlichung eines neuen Hortfundes der Aunjetizter Kultur in Ostbrandenburg östlich von Küstrin und südlich des Warthebruches unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte (siehe unten).

Ethnogenese der Aunjetitzer Kultur in Pommern? - Ethnozidaler Ausbreitungsmodus

Die aus Nordfrankreich und vom Rhein stammende Glockenbecherkultur hat ab 2.500 v. Ztr. in Böhmen ein sehr umfangreiches, vermutlich genozidales "genetic replacement" zustande gebracht (Stg25). Solche genozidalen "replacement"-Vorgänge sind für die italo-keltischen Kulturen über die Jahrtausende hin sehr oft in vielen Teilen Europas festgestellt worden (britische Inseln, iberische Halbinsel etc.). Sie deuten sich auch in derselben Zeit an für die Ankunft der indogermanischen Griechen und der Armenier in Griechenland und Armenien.

Zweihundert Jahre nach Ankunft der ersten Glockenbecherleute hat es dann aber offenbar in Böhmen ein erneutes genozidales "genetic replacement" gegeben, und zwar diesmal durch die Menschen der Aunjetitzer Kultur, deren Angehörige möglicherweise Nachfahren von Glockenbecher-Leuten waren, die sich bis in den Ostseeraum ausgebreitet hatten, die sich bis Pommern ausgebreitet hatten, und die von dort aus eine etwas "veröstlichte" Genetik mit nach Böhmen gebracht haben, wobei sie wiederum genozidal gegenüber kulturell und genetisch verwandten Nachfahren von Glockenbecher-Leuten scheinen vorgegangen zu sein.  

Abb. 5: Bestattet mit Waffe und Zepter - Standbild aus einem Dokumentarfilm zur Aunjetitzer Kultur (2022) (Yt2022)

Auf Verbreitungkarten zur Glockenbecherkultur sieht man - und aus sonstigen Zusammenhängen wissen wir - daß sich die Glockenbecherkultur zeitweise bis nach Dänemark (und Norwegen), bis an die Odermündung und bis ins Kulmer Land an der Weichsel (Kujawien) ausgebreitet hatte (s. Abb. 6).

Wir hatten hier auf dem Blog 2021 anhand einer damals erschienenen archäogenetischen Studie zu Böhmen referiert (Stg21):

Für die frühe Aunjetitzer Kultur (2.300 bis 1.600 v. Ztr.) vermuten die Forscher den zusätzlichen genetischen Beitrag von Glockenbecher-Populationen aus der späten Glockenbecher-Zeit (2.400 bis 2.200 v. Ztr.), die noch nicht sequenziert worden sind, um eine auftretende Verschiebung des genetischen Spektrums Richtung osteuropäischer und westsibirischer Jäger-Sammler-Genetik zu erklären. 
Eine solche genetische Umwälzung zeigt sich an dem Wechsel der Y-chromosomalen Linien noch deutlicher: 80 % der Y-chromosomalen Linien in der frühen Aunjetitzer Kultur sind neu, gehören aber zum Y-chromosomalen Glockenbecher-Spektrum.
All das würde nahelegen, daß es mit Aufkommen der Aunjetitzer Kultur noch einmal einen erneuten genetischen Umbruch in Böhmen gegeben hat, daß also eine Glockenbecher-Untergruppe unter dem Dach der Aunjetizer Kultur andere Glockenbecher-Untergruppen kriegerisch und/oder demographisch "verdrängt" hat. Der genetische Umbruch könnte 50 % der Genetik insgesamt betroffen haben, so die Forscher. Die Forscher sehen Hinweise darauf, daß die Indogermanen der Aunjetitzer Kultur aus dem Ostseeraum stammen. Wenn man sich Verbreitungskarten der Aunjetitzer Kultur ansieht (Wiki), könnte sie diesbezüglich am ehesten aus Pommern stammen.  

Die groben Umrisse der Kultur und Gesellschaft der bedeutenden frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur werden damit also eigentlich immer deutlicher sichtbar, ohne daß wir uns das hier auf dem Blog bislang ausreichend deutlich gemacht hatten - bei der Fülle der archäogenetischen Neuerkenntnisse, die sonst zu behandeln war.

Abb. 6: Das Glockenbecherphänomen und beeinflußte benachbarte Territorien (Resg2019)

Auch der vorliegenden Artikel wird dazu nur Ungenügendes leisten. Aber der englischsprachige Wikipedia-Artikel zu dieser Kultur gibt im Grunde schon einen guten Überblick (Wiki). Obwohl es im einzelnen viele Unterschiede geben wird gegenüber der späteren Urnenfelderkultur (1300 bis 750 v. Ztr.) (Wiki), so scheint es doch, als ob - gerade auch mit dem zeitlichen Abstand von heute - sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen der Aunjetitzer Kultur einerseits und der Urnenfelder-Kultur andererseits wahrnehmbar sind, zwischen der "Kultur der Himmelsscheibe von Nebra" und der "Goldhut-Kultur" (Stg25). 

Großreiche, stadtähnliche Siedlungen und "Reichsadel" seit dem Mittelneolithikum

Großreiche, Königreiche, Fürstentümer mit einer überregional heiratenden "Beamten-Elite", einem "Adel" hatte es in Europa schon im Mittelneolithikum ab 4.500 v. Ztr. gegeben. In Großsteingräbern und in Statuenmenhiren (Stg19) hat dieser Beamten-Adel Selbstdarstellung betrieben. Solche Statuenmenhire sind auch schon von dem sekundären Urvolk der Indogermanen am Mittleren Dnjepr ab 3.300 v. Ztr. aufgestellt worden. Auch dichter besiedelte Herrschaftszentren, umwallte Anlagen lassen sich schon für die Zeit des Mittelneolilthikums feststellen, nicht nur westlich des Volkes der Späten Urindogermanen am Mittleren Dnjepr (Cucuteni-Tripolje), sondern überall in Europa.

Ab 2.800 v. Ztr. breiten sich dann die halbnomadischen Indogermanen vom heutigen Südpolen, also Wolhynien aus nach und nach über ganz Europa aus. Sie benutzen die Großsteingräber der Vorgängerkulturen weiter, auch religiöse Anlagen benutzen sie weiter (s. Stonehenge). Die zuvor schon bestehenden großstaatlichen Strukturen, Großreiche (etwa der Kugelamphoren-Kultur) scheinen sie ebenfalls einfach weiter geführt zu haben - insbesondere nachdem die Schnurkeramiker und die Glockenbecherleute, die ursprünglich Herdenhalter waren, seßhaft geworden waren und Ackerbau betrieben. 

Abb. 7: Waffen und Herrschaftszeichen der Aunjetitzer Kultur (Antiquity) - Gefunden 2021 nahe des Dorfes Mauskow südlich des Warthebruches in Ostbrandenburg

Sowohl in der Aunjetitzer Kultur wie auch in der Urnenfelder Kultur gab es dann die ersten proto-urbanen Siedlungen, also stadtähnliche Anlagen, deren Existenz vor 15 Jahren hier auf dem Blog noch eine Sensation war (Stg10).

In Böhmen, Mähren und in der Slowakei hat sich die Aunjetitzer Kultur wirtschaftlich und demographisch ebenso erfolgreich entwickelt wie in Sachsen und östlich der Oder. In der Nähe von Prag gab es bedeutende "Fürstengräber", ebenso aber weiter nördlich zwischen Elbe und Weichsel, unter anderem eben auch nahe des Dorfes Łęki Małe zwischen Breslau und Lodz (siehe oben, bzw. siehe unten). In Böhmen, Mähren und der Slowakei gibt es etwa 1.400 dokumentierte Fundstätten der Aunjetitzer Kultur. Im Land östlich der Oder und der Neiße, also im heutigen Polen gibt es 550, im heutigen Deutschland 500 Fundstätten. Außerdem ist die Aunjetitzer Kultur auch in Nordostösterreich sowie in der Westukraine bekannt (Wiki). 

Insgesamt sind Aunjetitzer Bronze- und Keramikfunde jedoch sogar von Irland und Skandinavien bis hinab in die italienische Halbinsel und bis hinab in den Balkan gemacht worden. Diese Kultur hatte also eine große Strahlkraft, sie bezog auch ihre Rohstoffe und verschiedene Herstellungstechniken aus fast ganz Europa - etwa an der Himmelsscheibe von Nebra ablesbar, die auch als ein Abbild dieser Europa überspannenden Verbindungen angesehen werden kann (Abb. 1).

Die beiden großen Völkergruppen, die germanische und die kelto-italische, die einerseits von der Schnurkeramik-Kultur, andererseits von der Glockenbecher-Kultur abstammen (Stg24), mögen sich in jener Zeit sprachlich auch noch gar nicht so weit voneinander getrennt haben, als es dann für die Eisenzeit bezeugt, bzw. anzunehmen ist.

Abb. 8: Die Landschaft südlich des Warthebruchs - Hier das Dorf Mauskow (Feldpost-Karte, 1941)

Die Aunjetitzer Kultur könnte außerdem sogar ein sprachlich heute ausgestorbenes "Zwischenglied" zwischen beiden gebildet haben, in ihr könnte eine "vor-germanische" und "vor-keltische" Sprache gesprochen worden sein. Die Menschen der Aunjetitzer Kultur scheinen ja ab 1800 v. Ztr. den Weichselraum ganz verlassen zu haben und sich bis nach Nordwestitalien ausgebreitet zu haben. Von ihr scheinen die dortigen Ligurer abzustammen (Stg25), ja, vielleicht stammen ja sogar die in Ugarit im Levanteraum gefundenen Ösenhalsringe und Vollgriffdolche von ihnen (Stg10) - ähnlich wie ja vereinzelt zu jener Zeit auch schon Skandinavier auf Zypern bestattet wurden (Stg24). Sie könnten sogar die lusitanische Sprache auf die iberische Halbinsel gebracht haben (Stg25).

Aunjetitz international - Wanderungsbewegungen bis in die Levante, bis nach Italien, bis nach Spanien, bis an die Seidenstraße?

Die eingangs erwähnten "Stabdolche", dreieckigen Bronzezepter (Wiki) (WikiCom) waren verbreitet von Spanien über Irland, sowie über die Tarimwüste bis nach China. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, daß die Tocharer von der Aunjetitzer Kultur abstammen. Aus sprachgeschichtlicher Sicht sollen sie sich ja vergleichsweise früh von den anderen Indogermanen getrennt haben.

Die Gräberfelder der Aunjetitzer Kultur waren in der Regel weniger als ein Kilometer von der zugehörigen Siedlung entfernt. Die Gräber waren astronomisch ausgerichtet, was zusätzlich zur Himmelsscheibe auf fortgeschrittene astronomische Beobachtungen hinweist.

Abb. 9: Ein Landkreis südlich des Warthebruchs - Der Landkreis Oststernberg in der Neumark in Ostbrandenburg - Das Dorf Mauskow liegt ziemlich in der Mitte des Kreises

Während in der nachherigen Urnenfelder-Kultur Bronzeschwerter vorherrschten, herrschten in der Aunjetitzer Kultur die dreieckigen "Bronzezepter", "Stabdolche" vor (Wiki) (WikiCom) zusammen mit dreieckigen Vollgriffdolchen (s. Abb. 2, 7). Es ist nicht endgültig geklkärt, ob die dreieckigen Bronzezepter vornehmlich zeremonielle Funktion hatten und lediglich als Herrschaftszeichen genutzt wurden oder auch als Waffe. Inzwischen scheint es wenigstens einige Anhaltspunkte dafür zu geben, daß sie auch als Hiebwaffen genutzt wurden (siehe gleich).

Religiöse Vorstellungen und Zeremonien haben offensichtlich in beiden Kulturen eine ähnlich große Rolle gespielt wie etwa in der Ilias dargestellt, bzw. wie in der mykenischen und in der antiken Mittelmeer-Kultur. Es kann also vor allem auch Wahrsagerei angenommen werden

Südlich des Warthebruches in Ostbrandenburg - Dreiecks-Zepter als Weihgaben an die Götter (um 1700 v. Ztr.)

Mit den in der Bronzezeit weit verbreiteten, inmitten der Landschaft abgelegten Weihgaben an die Götter haben wir uns hier auf dem Blog schon beschäftigt. Sie wurden oft an landschaftlich besonderen, an landschaftlich schönen Orten niedergelegt (Stg21).

2021 hat ein Bauer auf einem Feld auf einer Anhöhe nahe eines Dorfes vier Kilometer südlich des Warthebruches (Wiki) in der Neumark in Ostbrandenburg, dreißig Kilometer östlich von Küstrin einen mit Steinen abgedeckten Hortfund der Aunjetitzer Kultur entdeckt (Baron2025). Die Anhöhe befindet sich am Nordwestrand des Dorfes  Mauskow (Wiki) (GMaps), die Anhöhe, auf der der Hortfund abgelegt worden war, war vom sogenannten "Mauskower Fließ" umflossen, der nach Norden in den Warthebruch abfließt (Abb. 7-16).

Abb. 10: Die Landschaft südlich des Warthebruchs - Hier das Städtchen Zielenzig - Die Landschaft erinnert ein wenig an die wellige Landschaft Hinterpommerns (Fb)

Mit der Region des Fundortes dieser Aunjetitzer Weihgabe an die Götter nahe dem Dorf Mauskow muß man sich erst ein wenig beschäftigen, da diese Region seit 1945 sehr aus dem Blickfeld geraten ist jener Deutschen, die dort bis 1945 mehr als achthundert Jahre gelebt hatten. Dies geschieht in diesem Beitrag zunächst vor allem anhand von Karten und Fotografien (Abb. 8 - 16).

Bis 1945 gehörte das Dorf Mauskow zum Kreis Oststernberg in der Neumark in Ostbrandenburg (Wiki) (Ostst). Die Hauptstadt des Landkreises Oststernberg war Zielenzig. Von Zielenzig fährt man nach Nordwesten hinaus über die Dörfer Langenfeld und Trebow nach Mauskow (s. Abb. 13). Alle drei genannten Dörfer sind offenbar - anhand der Karte ablesbar - Rodungsinseln inmitten von ausgedehnten Forsten. Von Mauskow geht die Landstraße weiter nach Limmritz, das am Südrand des Warthebruches liegt, der sich nach Westen bis nach Küstrin an der Oder hinzieht. Eine deutsche Karte von diesen Gegenden mit noch höherer Auflösung als den hier in den Blogbeitrag eingebundenen findet sich übrigens auch noch anderwärts (s. Archive).

Im Sommer 1985 fuhr der Verfasser dieser Zeilen von der Oder aus (Frankfurt an der Oder oder Küstrin?) Richtung Osten und kam dann zwei Wochen später von Ostpreußen und von der Marienburg aus, wenn er sich recht erinnert, auch über Küstrin an die Oder zurück. Und er war damals erstaunt, daß man da an weiten Regionen vorbei kam, die unter Wasser standen. Es wird sich um das Warthebruch gehandelt haben.

Abb. 11: Südlich des Warthebruches - Die Örtlichkeit des Hortfundes in Mauskow (Antiquity)

Über die 2021 bei dem Dorf Mauskow gefundene Aunjetitzer Weihgabe an die Götter (Abb. 7) lesen wir nun in einer neuen Veröffentlichung (Baron2025):

Der Hort umfaßt 15 Objekte: fünf Stabdolche, einen Dolchfragment, einen Meißel, eine Axt, eine Streitaxt, einen Röhrenschaft und fünf Nieten. Die Radiokarbondatierung einer Holzprobe aus der Fassung von Objekt Nr. 2 weist auf eine Datierung in die spätere Phase der Frühbronzezeit hin (Poz-164203: 1886–1694 v. Chr.). (...) Obwohl Stabdolche früher vorwiegend als zeremonielle Objekte galten, weisen die Stabdolche aus Mauskow deutliche Gebrauchsspuren wie Beschädigungen an Klingen und Tüllen auf, was darauf hindeutet, daß sie sowohl für zeremonielle als auch für Kampfzwecke gefertigt wurden.

In der Veröffentlichung werden die Stabdolche "halberds" genannt, also zu Deutsch Hellebarden. Letzteres sind aber mittelalterliche Waffen, die nur wenig Bezüge aufweisen zu den bronzezeitlichen Dreiecks-Zeptern, bzw. Stabdolchen.

Man wird jedenfalls annehmen können, daß es in dieser Gegend auch zumindest eine dörfliche Siedlung der Aunjetitzer Kultur gegeben hat, ja daß hier sogar eine Familie des Hochadels der Aunjetitzer Kultur angesiedelt war. Bandkeramische Funde gibt es zum Beispiel bei Angermünde (Brdbg). Ob sie bis in die Neumark östlich der Oder verbreitet war, scheint aktuell nicht sicher feststellbar zu sein. Die Neumark ist zwar von den Berliner Archäologen bis 1945 sehr intensiv erforscht worden, seither aber wissenschaftlich sehr vernachlässigt worden (Acad2007). Vielleicht sind also die drei Rodungsinseln schon von dieser angelegt worden, vielleicht auch erst von mittelneolithischen Nachfolgekulturen.  

Abb. 12: Die Landschaft südlich des Warthebruchs - Ein Findling auf einer Anhöhe bei Zielenzig (Fb) (Früher stand an dieser Stelle auch ein hölzerner Aussichtsturm)

Mauskow hat im Jahr 2005 die 600-Jahr-Feier seines Bestehens gefeiert (s. Mauskow2005). Mit diesem frühbronzezeitlichen Weihgaben-Fund von 2021 kann nun eine 3.700-Jahr-Feier anvisiert werden.

Mauskow liegt dreißig Kilometer südwestlich von Landsberg an der Warthe (Wiki). Es ist umgeben von den Landstädten Limmritz und Sonnenburg im Nordwesten, dem Landstädtchen Königswalde im Osten, der Kreishauptstadt Zielenzig (Wiki) 15 Kilometer südöstlich (GMaps). Und noch weiter südlich liegt das Städtchen Sternberg (s. Abb. 9). Mauskow ist außerdem umgeben von großen Wäldern ("Forsten"): dem Raudener Forst, dem Forst Limmritz, dem Königswalder Forst. Insofern könnten auch die Kiefern im Hintergrund von Aufnahmen des Dokumentarfilmes von 2022 Sinn ergeben (Abb. 3 bis 5). 

Abb. 13: Südlich des Warthebruches - Das Dorf Mauskow liegt - umgeben von Wäldern - nördlich der Kreishauptstadt Zielenzig

1939 hatte Mauskow 540 deutsche Einwohner (GenWiki), heute hat es 270 Einwohner polnischer Muttersprache. Das Dorf wird durch den "Mauskower Fließ" durchflossen (GB1921), der auch der Bezugspunkt des Hortfundes zu sein scheint. Dieses Mauskower Fließ kommt weiter nordwestlich des Dorfes - den Karten nach - auch an einem - vermutlich idyllisch gelegenen - See vorbei.

Abb. 14: Ein farbenfroher Sommertag auf dem Marktplatz von Zielenzig in der Neumark in den 1970er Jahren (Fb)

In Mauskow hat sich unter anderem eine Sage aus dem Dreißigjährigen Krieg erhalten, und zwar von einem Müller, dem die Mühle über dem Kopf von den schwedischen Soldaten angezündet worden ist, und der deshalb mit seiner Frau in seiner Mühle verbrannt ist.

Grund dafür war, daß er das Wasser rund um seine Mühle so weit aufgestaut hatte, daß die plündernden und requirierenden Soldaten nicht an die Mühle und ihre Kornschätze heran kamen und daß sie aus Zorn darüber oder aus Strafe die Mühle mit brennenden Pfeilen anzündeten. 

Abb. 15: Mauskow - Landkarte von 1936 (Landkarten) - - - (für Karte mit höherer Auflösung siehe hier: Archive)

Die anderen Dorfbewohner aber, die in die Wälder geflohen waren, behielten das Müller-Ehepaar in ehrendem Gedenken. Denn als sie in das Dorf zurück kamen, fanden sie die Mühle zwar verbrannt und die Müllersleute tot unter den Trümmern - aber das dort gelagerte Korn war in weiten Teilen erhalten geblieben. Und mit ihm konnten sie den nächsten Winter überstehen in einer Zeit, in der es viel Hungersnot gab. Das erhaltene Korn wurde gerecht auf alle Dorfbewohner aufgeteilt (Mauskow2005).

Abb. 16: Das Dorf Mauskow im Jahr 1905 - Der Hortfund dürfte auf der Anhöhe oben links gefunden worden sein - Nördlich der Anhöhe findet sich ein See (nicht auf der Karte)

Von dem Dorf Mauskow aus 300 Kilometer nach Südosten nahe dem Dorf Łęki Małe (Wiki), 100 Kilometer südwestlich von Lodz, 110 Kilometer nordöstlich von Breslau, gab es nun eine bedeutende Grabhügel-Gruppe der Aunjetitzer Kultur. 

Zwischen Breslau und Lodz - Die Fürstengräber von Łęki Małe 

Łęki Małe liegt zwei Kilometer von dem Städtchen Lututow (Wiki) entfernt, dessen Name abgeleitet war von mittelalterlichen deutschen Personennamen Ludolf. Beide Ortschaften lagen bis 1918 25 Kilometer von der Grenze zum Deutschen Reich bei Wieruszow, bzw. Wilhelmsbrück (Wiki) (GMaps) entfernt. Außerdem liegen beide 112 Kilometer von Breslau an der Oder entfernt (GMaps).

Nahe dieses Dorfes gab es bis in das 19. Jahrhundert hinein 14 Grabhügel der Aunjetitzer Kultur. Von diesen 14 haben sich bis heute vier erhalten und sind erforscht worden. 

Abb. 17: Chronologische Abfolge der Fürstengräber von Łęki Małe (aus: 3) - Grab 3 enthält 19 Angehörige der Fürstenfamilie

Diese erwiesen sich nun als sehr reich ausgestattet. In ihnen fanden sich wiederum Dreiecks-Bronzezepter, bzw. Stabdolche, die wie "Zepter" wirken, aber offenbar auch als Waffen benutzt wurden (s.o.). In einem derselben fand sich sogar ein Vollgriffdolch aus Gold (Wiki). 2022 wurde am größten erhaltenen Grabhügel ein Gedenkstein aufgestellt mitsamt eines Dreiecks-Bronzezepters.

In Grabhügel 3 sind die meisten Menschen bestattet, nämlich insgesamt 19. Es dürfte sich bei ihnen um die Angehörigen derselben Fürsten-, bzw. Königsfamilie gehandelt haben.

Über die Fürstengräber der Aunjetitzer Kultur lesen wir (3):

In Mitteleuropa wurden ungefähr 55 Grabhügel der Aunjetitzer Kultur gefunden. Die große Mehrheit der Grabhügel ist in der archäologischen Literatur behandelt aber nur etwa 60 % davon sind gemäß modernen wissenschaftlichen Maßstäben ausgegraben worden. Grabhügel sind auch aus Großpolen (Łęki Małe; Kowiańska-Piaszykowa 2008; Knapowska-Mikołajczykowa 1957) und Deutschland (Leubingen, Helmsdorf, Baalberge, Dieskau II, Nienstedt, Kleinkornbetha, Hohenbergen, Sömmerda I–II, Königsaue und Österkörner; Steffen 2010, 19; Kadrow 2001, 123; Gimbutas 1965, 262–268) bekannt. Die höchste Konzentration früher bronzezeitlicher Grabhügel findet sich jedoch in Nord- und Mittelböhmen (z.B. Brandýs, Březno, Mladá Boleslav-Čejetičky-Choboty, Horní Přím, Chotěšov, Kojetice, Konobrže, litovice,Odolena voda, Prag 5 – Řeporyje, Prag 6 – Bubeneč, Selibice, Stračovská lhota, Toužetín, Tursko, Zlončice und Želeč;Danielisová 2013, 81; Kruťová und Turek 2020).
Approximately 55 Uneticean barrows has been found in Central Europe; the majority of monuments was published in archaeological literature, but only approximately 60% of that number has been excavated according to modern standards. Barrows are also known from Greater Poland (Łęki Małe;Kowiańska-Piaszykowa 2008; Knapowska-Mikołajczykowa1957), and Germany (Leubingen, Helmsdorf, Baalberge, Dieskau II, Nienstedt, Kleinkornbetha, Hohenbergen, Sömmerda I–II, Königsaue and Österkörner; Steffen 2010, 19; Kadrow 2001,123; Gimbutas 1965, 262–268). However the highest concen-tration of the EBA barrows can be found in northern and cen-tral Bohemia (e.g. Brandýs, Březno, Mladá Boleslav-Čejetičky-Choboty, Horní Přím, Chotěšov, Kojetice, Konobrže, litovice,Odolena voda, Prague 5 – Řeporyje, Prague 6 – Bubeneč, Sel-ibice, Stračovská lhota, Toužetín, Tursko, Zlončice and Želeč;Danielisová 2013, 81; Kruťová and Turek 2004; Ernee 2020).
Abb. 18: Grabhügel von Łęki Małe im Vergleich mit anderen Fürstengräbern der Aunjetitzer Kultur (aus: 3)

Dieser Grabhügel mit 19 Bestatteten ist eine außergewöhnliche Erscheinung, wenn die bekannten Grabhügel der Aunjetitzer Kultur miteinander verglichen werden (Abb. 18). Es können inzwischen sogar Chronologien von Grabhügeln erstellt werden (Abb. 17-19).

Die Archäogenetik hat sich auch mit der Frühen Bronzezeit in Niederösterreich (Stg2010) beschäftigt (4).

Die Donau als genetische Grenze in der Frühbronzezeit

Sie stellt fest, daß die Donau dort auch eine genetische Grenze darstellte, daß also die oben genannten "genetic replacements" offenbar jeweils an der Donau endeten.

Die Menschen der Aunjetitzer Kultur nördlich der Donau in Niederösterreich haben zwischen 2.300 und 1.600 v. Ztr. mehr Steppengenetik als anatolisch-neolithische Genetik in sich getragen. 

Abb. 19: Entwicklung der Fürstengräber der Aunjetitzer Kultur in Schlesien (aus 3)

Die Menschen der zeitgleichen Unterwölbing-Kultur südlich der Donau haben mehr anatolisch-neolithische Genetik als Steppengenetik in sich getragen. Und zwar grob (4):

  • Aunjetitzer: 50 bis 55 % Steppengenetik, 35 % anatolisch-neolithische Genetik und 12 % westeuropäische Jäger-Sammler-Herkunft
  • Unterwölbing: 35 bis 45 % Steppengenetik, 40 bis 55 % anatolisch-neolithische Genetik und ebenfalls 12 % westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik.  

In beiden Völkern konnten nur 18 % der Menschen als Erwachsene rohe Milch verdauen (4).

Das sind einige Schlaglichter auf die Geschichte der Aunjetitzer Kultur, deren Bestehen im Weichselraum offenbar durch Abwanderungen unter anderem nach Norditalien ab 1800 v. Ztr. zu einem Ende kam.

Man darf noch auf viele weitere Details zur Erforschung dieser Kultur gespannt sein. 

_________

  1. Baron J, Nowak K, Grześkowiak M, Horváth A, Sinkowski S, Sych D.: Halberds of power: an Early Bronze Age hoard from Muszkowo in Poland. Antiquity. Published online 2025:1-8. doi:10.15184/aqy.2025.67 (Antiquity)
  2. 600 Jahre Mauskow. Oststernberger Heimatbrief 2/2005 (pdf)
  3. Dalia Anna Pokutta, Evgeny Vdovchenkov: The Unetice Culture Group in palaeosociological perspective. 2020 (Resg2020)
  4. Tracing social mechanisms and interregional connections in Early Bronze Age Societies in Lower Austria. Anja Furtwaengler, Katharina Rebay-Salisbury, Gunnar U Neumann, Fabian Kanz, Harald Ringbauer, (...) Ron Pinhasi, David Emil Reich, Johannes Krause, Philipp Stockhammer and Alissa Mittnik. bioRxiv. posted 10 February 2025 (bioRxiv2025)

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