Samstag, 18. Oktober 2025

Dion, Dodona und der Olymp

Griechenland nördlich von Delphi
- Einiges zur politischen und Kulturgeschichte von Epirus, Thessalien und Makedonien

Delphi (Wikinl), das berühmte Orakel des klassischen, antiken Griechenland (Wiki) liegt in der wilden Gebirgslandschaft Phokis (s. Abb. 2). 70 Prozent von Griechenland bestehen aus Gebirgslandschaft. Die kulturellen Zentren des  klassischen, antiken Griechenland lagen aber so gut wie alle am Meeresufer. Und sie lagen so gut wie alle südlich von Delphi.

Abb. 1: Gefunden auf der makedonischen Halbinsel Chalkidiki, in Kallikrateia, 440 v. Ztr., Grabstein - Mädchen mit Taube, heute Archäologisches Museum Thessaloniki (Ancient)

Dieser Umstand muß selbst einem Nebenfach-Magister-Absolventen für Alte Geschichte wie dem Autor dieser Zeilen erst einmal klar werden. Nach Delphi hin orientiert waren aber auch alle Länder und Regionen nördlich von Delphi: Über 250 Kilometer bis hin zum Olymp (Wiki) erstreckt sich da Thessalien (Wiki). Westlich von Thessalien erstreckt sich Epirus (Wiki). Und nördlich von Thessalien erstreckt sich über weitere 170 Kilometer Makedonien (Wiki). Alle diese Länder sind noch heute so benannt wie in der Antike.

Dem heiligen Griechenland nähern wir uns hier auf dem Blog in kleinen Schritten. 2016 referierten wir Eindrücke von einem Urlaub in Pamphylien, der heutigen Südtürkei. Und zwar von Alanya und Side (Stg2016, a). 2022 referierten wir Eindrücke von einem Urlaub an der nördlichen Adria, in Pula und seinem Umland (Stg2022). Und im vorliegenden Beitrag referieren wir vorbereitende Studien für einen Urlaub im südlichen Makedonien, nämlich an der "Olympischen Riviera" (s. TuiWikivoyageWikiCom) in Platamonas-Nei Pori (Wiki) in Sichtweite der 1204 von einem deutschen König erbauten Burg Platamonas (Wiki) (Abb. 3), aus einer Zeit, in der es einen deutschen König von Thessaloniki gab (Wiki). Denn die Venezianer überzeugten die Anführer des dritten Kreuzzuges, nicht in die Levante zu ziehen, sondern Byzanz zu erobern. Und als Folge dieser Eroberung ist auf dem Boden des Byzantinischen Reiches im 13. Jahrhundert für mehrere Jahrzehnte ein "Lateinisches Kaiserreich" nordeuropäischer Kreuzritter entstanden.

Aber dazu kommen wir weiter unten noch einmal. Zunächst einmal zurück in die Antike. 

Abb. 2: Zur Orientierung - Eine Karte des antiken Griechenland

Die antiken Thessalier, die im Süden des Olymp und im Süden des geplanten Urlaubsortes lebten, wurden von den übrigen Griechen mitunter als „barbarischer“ angesehen als die übrigen Griechen. Denn in Thessalien war das gesellschaftliche Leben aristokratischer, ländlicher und weniger städtisch geprägt als weiter im Süden in Attika oder in Ionien. Allerdings wurde Thessalien klar als griechisch angesehen und die thessalische, adlige Reiterei ist in der Antike bewundert worden.

Etwas weniger gesichert war die Zugehörigkeit zum griechischen Kulturkreis für die Stämme in Epirus. Aus beiden Regionen, aus Thessalien und Epirus sind kaum antike Kunstwerke und Skulpturen überliefert, weder aus klassischer Zeit, noch aus hellenistischer oder römischer Zeit. Ein deutlicher Hinweis auf ihre Randlage in antiker Zeit.

Die nördlichen Randgebiete der antik-griechischen Welt

Anders liegen die Dinge nun aber bezüglich von Makedonien im Norden des Olymp. Die Makedonen galten den Griechen ursprünglich als "Barbaren". Aber der makedonische Adel und der makedonische Königshof sind ab etwa 400 v. Ztr. doch noch - und dann auch noch sehr entscheidend - in den Lichtkegel der griechischen Geschichte getreten (Wiki). Aufgrund ihres raschen politischen und wirtschaftlichen Aufstieges zogen sie schon bald viele griechische Gelehrte und Künstler an ihre politischen, kulturellen und religiösen Zentren. Dies waren insbesondere die antike Hauptstadt von Makedonien Pella (Wiki) und das religiöse Zentrum Dion (Wiki), das 30 Kilometer östlich vom Olymp liegt.

Das Makedonische Königreich war dann in viele antik-griechische Kriege verwickelt und ging aus diesen schließlich mit Alexander dem Großen (336-323 v. Ztr.) als neue politische Vormacht in Griechenland hervor. 

Aus dieser und der nachfolgenden Zeit - insbesondere aus hellenistischer und römischer Zeit - ist in Makedonien viel kostbarer Schmuck, sind vor allem viele Kunstwerke und Skulpturen überliefert. Von letzteren werden im vorliegenden Beitrag einige zusammen gestellt. Viele dieser Kunstwerke sind heute im Archäologischen Nationalmuseum in Thessaloniki ausgestellt, der Hauptstadt Makedoniens seit römischer Zeit.

Abb. 3: Blick vom Strand von Nei Pori auf die deutsche, später venezianische Burg von Platamonas und auf den Olymp

2021 haben die Archäogenetiker die frühesten Indogermanens Griechenlands, die Nachkommen der 3.300 v. Ztr. am Mittleren Dnjepr entstandenen "Jamnaja-Kultur", für die Zeit ab 2.400 oder 2.200 v. Ztr. festgestellt. Und zwar identifizierten sie als solche menschliche Überreste in bronzezeitlichen Gräbern des Dorfes Elati bei Kozani im Westen des Olymp (Stg2021).

Um sich regional zu orientieren, kann man sich auf Google Maps einen Weg heraus suchen von  Dion (Wiki) in Makedonien östlich des Olymp über den Gipfel des Olymp (Wiki) hinweg nach Elati bei Kozani, einem Dorf nahe des Mittleren Haliakmon, des längsten Flusses Griechenlands (GMaps) (s. Abb. 4).

Die ersten Griechen (und Makedonen)

In diesem abgelegenen Dorf Elati waren Menschen bestattet worden mit 50 % jener indogermanischen "Steppengenetik", die sich in der Folgezeit über ganz Griechenland und über den ganzen ostmediterranen Raum verbreitet hat - zusammen mit indogermanischen Sprachen wie des Griechischen und des Makedonischen (Stg2021). Die Menschen des gesamten östlichen Mittelmeerraumes haben in der Antike dieselbe Genetik aufgewiesen: 92 % mediterrane, bäuerliche Genetik und 8 % Steppengenetik. Also auch die Makedonen der Region nördlich des Olymp. 

Vermutlich haben sich Menschen mit dieser Genetik ähnlich völkermordend in Griechenland ausgebreitet wie sie dies zeitgleich in Armenien südlich des Kaukasus getan haben (Stg2023). Wir lesen beispielsweise über Thessalien (Wiki):

Es erfolgte ein starker Bevölkerungsrückgang und Zerstörungen am Übergang vom Frühhelladikum II ins Frühhelladikum III (ca. 2200 v. Ztr.). Die Ursachen werden noch diskutiert. In jedem Falle veränderten sich die Siedlungsstrukturen, die Begräbnissitten, die gesamte materielle Kultur.

Dies war das "Kommen der Griechen", also von Menschen mit indogermanischer Sprache, Genetik und Kultur. Indem man sich dieses Gewaltsame der Eroberung Griechenlands durch die Griechen bewußt macht, wird man auch aufmerksam, daß viele antik-griechische Mythen und Erzählungen doch auffallend grausam sind: Apollon zieht dem Flußgott Marsyas die Haut ab, Apollon tötet die Schlange Python bei Delphi und verschüttet eine zuvor dort verehrte Quelle und vieles ähnliche mehr. Womöglich ist das alles ein "Nachhall" des "Kommens der Griechen" um 2.200 v. Ztr..

Im Westen des Olymp lebten also um 2.200 v. Ztr. die "ersten Griechen". Und diese waren dementsprechend - aus Sicht der Menschen, die südlich des Olymp gelebt haben: "Hyperboräer". 

Abb. 4: Der Weg von  Dion (Wiki) in Makedonien östlich des Olymp über den Gipfel des Olymp (Wiki) hinweg nach Elati bei Kozani, einem Dorf nahe des Mittleren Haliakmon, des längsten Flusses Griechenlands (GMaps)

Aber nun zu Makedonien, das wie gesagt erst ab dem 4. Jahrhundert v. Ztr. in den Lichtkegel der griechischen Geschichte tritt. Die wesentlichsten Teile Makedoniens sind geographisch nach Süden ausgerichtet, zur Ägäis hin und zum "Thermaischen Golf" (Wiki) zwischen der heutigen "Olympischen Riviera" am östlichen Fuße des Olymp und der "dreifingrigen" Halbinsel Chalkidike. Dieser "Thermaische Golf" ist das Meeresgebiet der Nordwestägäis. Er ist benannt nach der antiken Stadt Therma (Wiki), dem heutigen Thermi, das südlich der heutigen makedonischen Hauptstadt Thessaloniki liegt. 480 v. Ztr. hat der Hafen von Therma der Persischen Flotte als Ausgangsbasis gedient für die beabsichtigte, dann gescheiterte Eroberung Griechenlands. Damals mußte der makedonische König sich den Persern unterwerfen. Im Uhrzeigersinn münden in den Thermaischen Golf ...

  • südlich des Olymp, schon in Thessalien - der sagenumwobene Fluß Pinios, auf den wir noch zu sprechen kommen werden,
  • weiter nördlich der schon erwähnte längste Fluß Griechenlands, der Haliakmon (heute der Aliakmonas), der vom Pindos-Gebirge kommend das Olymp-Gebirge im weiten nördlichen Bogen umrundet und dann in den Thermaischen Golf mündet.
  • Es folgt dann der Loudias, der ursprünglich die Verbindung darstellte der antiken makedonischen Hauptstadt Pellas mit dem Meer.
  • Und dann folgt der Fluß Axios.

Einen Überblick über die antike griechische, makedonische und römische Geschichte der Region östlich des Olymp und der dortigen "Olympischen Riviera" erhalten wir in dem gut geschriebenen Wikipedia-Artikel "Geschichte und Archäologie Pierias" (Wiki).

Abb. 5: Phyrrus von Epirus (295-272 v. Ztr.) (Wiki)

In diesem heißt es (Wiki):

Die Besiedlung verlagerte sich in der Bronzezeit von den Bergen in Richtung Meer. Die Metallverarbeitung, die Seefahrt und der damit verbundene Handel brachten einigen Wohlstand in die Region. Die archäologischen Funde aus dieser Epoche stammen unter anderem aus Platamonas (dem antiken Heraklion), Aiginio, dem antiken Methone, dem antiken Pydna, Pigi Artemidos, Trimbina, Kitros (Louloudies) und Korinos.

Das antike Heraklion befand sich auf jenem Berg, auf dem später die mittelalterliche Burg Platamonas errichtet wurde (Abb. 3). Darüber heißt es (Wiki):

Seit der Bronzezeit ist eine Besiedlung des Burghügels nachgewiesen. Die (...) vorchristliche Stadt Herakleion (Ηράκλειον) erstreckte sich von der Kuppe des Burghügels bis zu dessen Füßen. Um 360 v. Ztr. beschrieb Skylax den Ort als „die erste makedonische Stadt hinter dem Fluß Pinios“. Der Historiker Titus Livius beschreibt die Lage präziser: „Zwischen Dion und Tempe auf einem Felsen liegend.“

Auch auf das hier erwähnte sagenumwobene Tempe-Durchbruchstal im Süden werden des Olymp werden wir weiter unten noch zu sprechen kommen. Die Reste der antiken makedonischen Stadt Leibethra (Wiki) liegen nördlich davon. Und noch weiter nördlich folgen Louloudies (Wiki) und Pydna (Wiki). 

Ein religiöses Zentrum der Makedonen - Dion (Wiki) - lag wie schon erwähnt 30 Kilometer östlich des Olymps. Dion lag im südlichen Makedonien, die antike Hauptstadt Makedoniens - Pella (Wiki) - lag und liegt 80 Kilometer weiter nördlich. Die Thermophylen übrigens liegen hundert Kilometer weiter südlich.

Der Thermaische Golf reichte in der Antike über den Loudias-See bis nach Pella, so daß Pella damals direkteren Zugang zum Meer hatte als heute. Der Tragödien-Dichter Euripides starb in Pella, während er einer Einladung des Makedonen-Königs gefolgt war.

Abb. 6: Mädchenbüste, 2. Jhdt., Thessaloniki (Wiki)

430 v. Ztr. eroberte Athen die Stadt Platamonas / Herakleion (Wiki), um von dort aus den Thermaischen Golf bis zur Chalkidike zu kontrollieren, wo sich aus dieser Zeit dementsprechend auch griechische Grabsteine fanden (Abb. 1).

440 - 340 v. Ztr. - Die Rolle der Chalkidike im Peloponnesischen Krieg  

Spätestens seit den Perserkriegen war die Kultur Makedoniens sehr stark von Griechenland beeinflußt. Der Adel des Landes war sehr reich. In seinen Gräbern findet sich immer wieder prächtiger Goldschmuck, der heute im Archäologischen Museum Thessaloniki ausgestellt ist. In diesem Museum kann man sich auch sonst einen Eindruck verschaffen von dem Kulturreichtum der Geschichte Makedoniens.

Auf der makedonischen Halbinsel Chalkidike gab es früh viele griechische Kolonie-Städte, die die Makedonen ebenfalls in Berührung mit Hochkultur brachten. Die griechischen Städte auf der Halbinsel Chalkidike spielten im Peloponnesischen Krieg sogar eine große Rolle (Wiki):

Nach den Perserkriegen in der Mitte des fünften Jahrhunderts vor Ztr. schloß sich die ganze Landschaft dem Attischen Seebund an. 432 v. Ztr. entwickelte sich ein Konflikt zwischen Athen und Korinth, beziehungsweise Sparta um die Autonomie der Stadt Potidaia, welcher als Mitauslöser des Peloponnesischen Krieges angesehen wird. Potidaia trat 431 v. Ztr. aus dem attischen Seebund aus und wurde nachfolgend im Rahmen des Peloponnesischen Krieges von Athen belagert und anschließend eingenommen.
Der Chalkidische Bund existierte an der Nordwestküste der Ägäis seit ca. 430 v. Ztr. Mit der Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg 404 v. Ztr. löste sich auch der attische Seebund auf.
Philipp II. von Makedonien eroberte die Kolonien der griechischen Stadtstaaten auf der Halbinsel im Zweiten Olynthischen Krieg, und Chalkidiki wurde nach Zerschlagung des Chalkidischen Bundes 348 v. Chr. endgültig Teil des Makedonischen Königreich.

Wir lesen (Wiki):

Als Archelaos I. im Jahre 413 v. Ztr. König von Makedonien wurde, legte er den Grundstein für die spätere Großmachtstellung Makedoniens. Der Staat Makedonien war bis zu Archelaos’ Amtsantritt nur schlecht geführt worden und seine Organisation war nur rein systematisch. Archelaos leitete eine Reihe innerer Reformen ein und verbesserte die Verwaltung, das Militär und den Handel erheblich. Er versuchte, die Macht der Krone zu vergrößern, ließ eine Unmenge hochwertiger Münzen prägen, verbesserte die Organisation seines Militärs und baute die kulturellen Kontakte zu den Griechen aus.

Ein halbes Jahrhundert später, 340 v. Ztr., zur Zeit Alexanders des Großen, entstand der "Derveni-Papyrus" (Wiki), das älteste überlieferte Buch Europas. Dieses ist 1962 nördlich von Thessaloniki gefunden worden.

340 v. Ztr. - Orpheus-Dichtungen in Makedonien

Dieser Papyrus enthält bruchstückhafte Dichtungen des Orpheus zusammen mit ihrer sehr hochstehenden philosophische Deutung.

Abb. 7: Aphrodite, Thessaloniki, 1. bis 2. Jhdt, Archäologisches Museum Thessaloniki (Flickr)

In letzterer heißt es zum Beispiel (Wiki):

Dieses Gedicht ist den Menschen fremd und rätselhaft, obwohl [Orpheus] nicht beabsichtigte, streitbare Rätsel zu erzählen, sondern vielmehr große Dinge in Rätseln. Tatsächlich spricht er mystisch, und zwar vom ersten bis zum letzten Wort. Wie er auch in dem bekannten Vers deutlich macht: Denn nachdem er ihnen befohlen hatte, „Türen an ihre Ohren zu schließen“, sagt er, daß er nicht für die Vielen Gesetze erläßt [sondern sich an diejenigen wendet], die rein sind im Hören.

Zumindest wird hier einiges von dem Geist dieser Erörterung deutlich. Über diejenigen, die die Derveni-Gräber angelegt haben, in denen sich der Papyrus fand, sagt uns ChatGPT:

Bestattet wurden dort reiche makedonische Adelige und Angehörige der Oberschicht, die enge Beziehungen zur damaligen makedonischen Königsfamilie hatten. Die Funde - darunter der berühmte Derveni-Krater (ein monumentaler Bronzemischkrater mit Reliefs) und die Derveni-Papyrusrolle (das älteste erhaltene Buch Europas) - deuten darauf hin, daß die Bestatteten eine hochgebildete, wohlhabende Schicht mit Interesse an Orphik und religiös-philosophischen Strömungen waren.

Alle diese Dinge sind heute im Archäologischen Museum von Thessaloniki ausgestellt.

279 v. Ztr. - Der "Pyrrhus-Sieg" gegen die Römer

Pyrrhus von Epirus (295-272 v. Ztr.) (Wiki) (Abb. 5) war Feldherr in der Generation nach Alexander dem Großen. Von ihm leitet sich der Begriff "Pyrrhus-Sieg" ab. Aber man möchte doch meinen, daß die antiken Griechen schon in der Zeit vor Alexander dem Großen untereinander sehr viele "Pyrrhus-Siege" errungen haben, wodurch sich der Niedergang der antiken, griechischen Polis-Freiheit ergeben hat

Abb. 8: Statue des Dionysos, der sich auf einen Baumstamm lehnt, um den sich ein Weinzweig rankt, Thessaloniki, 2. Jahrhundert n. Ztr. (Wiki)

Dieser makedonische Feldherr Pyrrhus soll jedenfalls nach seinem Sieg über die Römer in der Schlacht bei Asculum 279 v. Ztr. einem Glückwünschenden gesagt haben:

„Noch einen solchen Sieg über die Römer, - und wir sind vollständig verloren!“

Was für ein erschütternder Satz. Und wie viele Pyrrhus-Siege hat die westliche Kultur seither und insbesondere im 20. Jahrhundert gegeneinander errungen!!!

In der Schlacht von Asculum hatte Pyrrhus so starke Verluste hinnehmen müssen, daß seine Armee auf Jahre hinaus geschwächt war. Und der Pyrrhische Krieg ging schließlich tatsächlich verloren. Will denn kein Volk in seinem Übermut sich seither an solche Siege erinnern und aus der Geschichte lernen? - ???

150 v. Ztr. - Makedonien wird römische Provinz

Die Folge einer solchen Vielzahl von Pyrrhus-Siegen in der griechischen und makedonischen Geschichte war, daß auch Makedonien ab etwa 150 v. Ztr. zur römischen Provinz geworden ist. Die Hauptstadt dieser Provinz war nun - wie heute noch - Thessaloniki.

 Abb. 9: Statue des Dionysos, , der sich auf einen Baumstamm lehnt, um den sich ein Weinzweig rankt, Thessaloniki, 2. Jahrhundert n. Ztr. (Wiki)

146 v. Ztr. erbaute der römische Konsul Gnaeus Egnatius die Via Egnatia (Wiki), eine Straße in West-Ost-Richtung, die von der Ostküste der Adria auf dem Landweg bis nach Byzanz führte, und zwar durch Illyrien, Makedonien und Thrakien hindurch. Es war eine der meist benutzten Straßen des Römischen Reiches. Von dem antiken Pella aus führte eine abzweigende Straße auch nach Süden nach Pydna (Wiki) und Dion.

Erst aus römischer Zeit haben sich wirklich viele antik-griechische Skulpturen aus Makedonien überliefert (Abb. 6 bis 13). Dieser Umstand macht einmal erneut deutlich, daß das "Herabsinken" zur römischen Provinz noch keineswegs das Ende der kulturellen Hochblüte der antik-griechischen Kultur bedeutete.

Abb. 10: Aphrodite, Thessaloniki, entdeckt 2018 (Arch

Beispielsweise die Skulpturen eines Portikus der Kolonnaden auf dem römischen Forum der Hautstadt Thessaloniki, genannt "Die Verzauberten" (Wiki) (Abb. 12 und 13). Sie stammen aus dem 2. Jahrhundert n. Ztr.. Sie hatten unzählige Jahrhunderte überstanden und sind 1864 nach Paris abtransportiert worden. Dort sind sie noch heute im Louvre zu besichtigen!

Das Gebäude, das sie bis 1864 schmückten, war schon zur Zeit des Abtransports verfallen. Es ist danach ganz abgerissen worden.

2017 wurden im Archäologischen Museum Thessaloniki Nachbildungen dieser Skulpturen aufgestellt, da die Originale von Frankreich nicht zurück gegeben werden.

Abb. 11: Isis-Kopf aus dem Serapeion in Thessaloniki, 2. Jhdt. (Inst)

Und immer wieder werden neue, kostbarste Kunstwerke aus dem Boden Makedoniens gegraben. 2018 wurde etwa in Thessaloniki eine Aphrodite entdeckt (Abb. 10).

Abb. 12: Karyatide, Thessaloniki, 2. Jhdt. n. Ztr. - Nachbildung des im Louvre ausgestellten Originals im Archäologischen Museum in Thessaloniki (Wiki)

Im 2. Jahrhundert nach der Zeitrechnung war Thessaloniki das politische und kulturelle Zentrum von Makedonien. Dementsprechend haben sich dort auch so viele wertvolle Skulpturen erhalten. Wir lesen (Inst):

Das Heiligtum der ägyptischen Gottheiten, bekannt als „Sarapeion“, wurde nach dem großen Brand von 1917 im westlichen Teil von Thessaloniki entdeckt. (...) Möglicherweise im 3. Jahrhundert v. Ztr. gegründet, blieb es bis zum 4. Jahrhundert n. Ztr. in Betrieb und war eines der ältesten und bedeutendsten Heiligtümer der ägyptischen Gottheiten in der Ägäis. Die Gottheiten des Heiligtums waren das heilige Paar Isis und Sarapis sowie ihr Sohn Harpokrates. Trotz ihrer ägyptischen Wurzeln weisen die im Heiligtum gefundenen Statuen, Kult- und Votivreliefs sowie Weihinschriften einen deutlich griechischen Charakter auf.
The sanctuary of the Egyptian deities, known as the “Sarapeion,” was discovered in the western part of Thessaloniki after the great fire of 1917. Today, it is buried in the vicinity of Prolemaion & Antigonidon Streets. Possibly founded in 3rd cent. BCE, it remained active until 4th cent. CE - it was 1 of the oldest & most important sanctuaries of the Egyptian divinities in the Aegean. The sanctuary deities were the holy couple of Isis & Sarapis & their son, Harpokrates. In spite of their Egyptian roots, the statues, the cult & votive reliefs & dedicatory inscriptions found in the sanctuary have a distinctly Greek character.

Also noch in dieser Zeit lebte der Geist der antik-griechischen Kultur auch noch in einer solchen Form fort.

Abb. 13: Mänade, Thessaloniki, 2. Jhdt. n. Ztr. - Nachbildung des im Louvre in Paris ausgestellten Originals im Archäologischen Museum in Thessaloniki

Diese Kultur lebte noch fort bis zur Ausbreitung des Christentums und bis zu jenem Tag im Jahre 362 n. Ztr., als Kaiser Julian der Abtrünnige den letzten Orakelspruch von Delphi erhielt (Wan2017):

Im 4. Jahrhundert nach Christus war das Ende des großen Orakels (von Delphi) gekommen. Mit dem Heiden-Edikt des Kaisers Theodosius im Jahr 381 n. Ztr. wurde es endgültig geschlossen. Der letzte überlieferte Orakelspruch richtete sich 362 n. Ztr. an Kaiser Julian. (...) Dieser Julian  bekam den Beinamen „der Abtrünnige“, denn in einer Zeit, als die römischen Kaiser längst Christen waren, hielt er am alten Glauben fest. Er bemühte sich, dem Heidentum wieder zur Vormachtstellung im Reich zu verhelfen und das seit Konstantin „dem Großen“ (...) begünstigte Christentum zurückzudrängen. Ein Jahr vor seinem Tod (er starb 363 mit 31 oder 32 Jahren) ließ Julian in Delphi fragen, ob das Orakel in dieser mehr und mehr christlichen Welt noch Zukunft habe. Pythia antwortete darauf: „Künde dem Kaiser, das schöngefügte Haus ist gefallen. Phoibos Apollon besitzt keine Zuflucht mehr, der heilige Lorbeer verwelkt, seine Quellen schweigen für immer, verstummt ist das Murmeln des Wassers.“

Wiederum ein erschütterndes Geschehen, das von den letzten Apollon-Priestern in Delphi offensichtlich auch als ein solches erlebt worden ist und in solche Worte gefaßt worden ist. Was für eine Hochblüte einerseits (s. die Abbildungen dieses Beitrages). Und was für ein Niedergang für unzählige Jahrhunderte danach.

1204 bis 1261 - Das Lateinische Kaiserreich und die Festung Platamonas

Was folgte, war "Mittelalter". Was folgte, war zunächst die Einwanderung der Goten auf dem Balkan. Sie starben dort wieder aus. Ihnen folgten die Slawen. Die heutigen Bewohner Makedoniens und Griechenlands tragen in sich zu nicht unerheblichen Anteilen genetisch slawische Herkunftsanteile. Durch diese sind sie genetisch und physisch "nordeuropäischer" geworden als dies ihre antiken Vorfahren gewesen waren, die nur acht Prozent Steppengenetik in sich getragen haben. 

Aber solche "Barbaren" und Nordeuropäer aus dem Norden kamen immer einmal wieder neu nach Griechenland. 1190 war Kaiser Friedrich Barbarossa auf dem Dritten Kreuzzug im Süden Anatoliens mit 68 Jahren beim Überschreiten eines Flusses ertrunken (Wiki). Von solchen Schicksalen ließen sich die Ritter des christlichen Abendlandes aber nicht abschrecken. Sie versammelten sich zum Vierten Kreuzzug und sie entschieden sich - in Absprache mit der damaligen Groß- und Seemacht Venedig und zugunsten der Interessen Venedigs - nicht in die Levante in das damalige "Heilige Land" zu ziehen und dort unfruchtbar zu verbluten, sondern - inzwischen etwas weltlicher gesinnt - das christlich-orthodoxe Konstantinopel zu erobern. Und dies gelang ihnen auch im Jahr 1204.

In der Folge wurde das vormalige byzantinische Kaiserreich für mehrere Jahrzehnte umgewandelt in ein "Lateinisches Kaiserreich". Dieses bestand bis 1261. Aber von diesem weiß heute niemand mehr etwas, außer jene, die sich etwas genauer mit der Geschichte dieser Region befassen. Einer der Befehlshaber dieses Kreuzritter-Heeres war ein Deutscher namens Bonifatius I. von Montferrat (1150-1207). Er wurde "König von Thessaloniki" und erbaute unter anderem die Festung Platamonas an der heutigen "Olympischen Riviera". Er ... (Wiki):

... baute die Festung in ihrer heutigen Form 1205 auf den Mauern einer byzantinischen Festung aus dem 6. bis 10. Jahrhundert. Ab 1389 fiel die Burg und die Ortschaft unter die Herrschaft des Osmanischen Reiches.

Die Taten dieses Bonifatius von Montferrat wurden besungen nicht von Homer, aber immerhin doch auch von Sängern und Trobadouren. 

Anhang

Die Eiche von Dodona

Es sei noch auf zwei Orte "nördlich von Delphi" aufmerksam gemacht, die in der antik-griechischen Kultur von Bedeutung waren. Oben war erwähnt worden, daß die Zugehörigkeit von Epirus zum griechischen Kulturkreis nicht ganz so gesichert war wie die Thessaliens. Das Pindos-Gebirge trennt Thessalien und Epirus voneinander. In Epirus lag aber nun jenes griechische Orakel, das als das älteste aller überregionalen griechischen Orakel gilt: Dodona (Wiki(Fotop(Abb. 14).

Schon Homer ist sowohl in Zusammenhang mit Achill als auch in Zusammenhang mit Odysseus auf das Orakel von Dodona zu sprechen gekommen. Als Achill seinen Freund Patroklos vor Troja in den Kampf schickt, ohne - aufgrund seines Zornes auf Agamemnon - selbst mitzukämpfen, spricht er Zeus als den Herren des Orakels von Dodona an:

Zeus, pelasgischer, weitab wohnender, Herr von Dodona,
Wo der Winter so rauh. Dort lagern am Boden die Selloi,
Deine Seher, um dich mit nie gewaschenen Füßen.
Wie schon einmal das Wort du erhörtest meines Gebetes,
Ehrend mich, und mächtig schlugst du das Volk der Achäer;
Also gewähre auch jetzt mir wiederum dieses Verlangen:
Ich zwar bleibe noch hier am Sammelplatz der Schiffe,
Doch den Gefährten entsend ich mit Scharen der Myrmidonen,
Um zu kämpfen; gib Ruhm, O weithindonnernder Zeus, ihm,
Und ermutige ihm im Innern das Herz, daß auch Hektor 
Es erfahre, ob auch allein er zu kämpfen verstehe,
Unser Gefolgsmann, oder ob die unnahbaren Hände
Dann nur wüten, wenn ich in Ares’ Gewühl mich begebe.

Und über Odysseus heißt es bei Homer:

Noch sei er fort nach Dodona: aus hochbewipfelter Eiche
Spricht dort Zeus, der Gott, dessen Rat er zu hören verlange,
Wie er wohl Heimkehr finde ins liebe Land seiner Heimat,
Heimlich oder daß alle ihn sähen; denn lange sei er ferne.

Diese Randgebiete der antik-griechischen Welt lagen also sehr wohl im Blickfeld dieser Kultur.

Abb. 14: Dodona in Epirus - Dort, wo die heilige Eiche des antiken Griechenland stand (Fotop)

Und wenn schon von der heiligen Eiche von Dodona (Wiki) die Rede ist, mag auch von dem Tempe-Durchbruchstal (Wiki) des Flusses Pinios die Rede sein, der seinen Weg südlich des Olymp nach Osten in die Ägäis hinein sucht. Dieses Tal beginnt 14 Kilometer südlich von Platamonas-Nei Pori.

Das Tempe-Durchbruchstal

Dieses Tal gehört noch zum nördlichen Thessalien und spielt ebenfalls in der griechischen Mythologie eine gewisse Rolle (Wiki):

Am östlichen Ende des Tales befand sich in der Antike ein Apollon-Heiligtum. Der Legende nach soll sich Apollon hier von seiner Schuld reingewaschen haben, die er durch die Tötung der in Delphi herrschenden Python auf sich geladen hatte. Dabei verliebte sich Apollon in die Nymphe Daphne, die jedoch in einen Lorbeerstrauch verwandelt wurde. Apollon brach einen Zweig von diesem Strauch ab und brachte ihn nach Delphi, wo er ihn einpflanzte. Zur Ehrung dieses Ereignisses gab es alle acht Jahre eine Prozession von Delphi ins Tempe-Tal. Ein Jüngling unterzog sich einer rituellen Waschung, dann schnitt man Lorbeerzweige und brachte sie nach Delphi.

Delphi liegt 250 Kilometer weiter im Süden. Über das Tempe-Durchbruchstal zwischen dem Olymp im Norden und dem Ossa im Süden erfahren wir weiter (Wiki):

In der Antike wurde es von griechischen Dichtern als beliebter Aufenthaltsort von Apollo und den Musen gepriesen. Am rechten Ufer des Pineios befand sich ein Apollontempel, in dessen Nähe die Lorbeeren gesammelt wurden, mit denen die Sieger der Pythischen Spiele gekrönt wurden.

Die Archäologen haben die Überreste dieses Apollontempels noch nicht gefunden (!) (laut ChatGPT). Das Tempe-Tal ist insbesondere dann auch noch in römischer Zeit von vielen Dichtern besungen worden (Wiki):

Zahlreiche lateinische Schriftsteller, Dichter und Historiker haben in ihren Werken das Tempe-Tal beschrieben und es mit zahlreichen Adjektiven wie „schattig“, „grün“, „idyllisch“, „waldbedeckt“ und anderen beschrieben. Der größte Geograph der Antike, Strabon, der Dichter Ovid in seinen Metamorphosen, Vergil, der Lyriker Horaz, der Epiker Lukan, Plinius, Seneca und viele andere sprachen in überschwänglichen Beschreibungen, um die Schönheit des Tals hervorzuheben. Vom lateinischen Schriftsteller Claudius Aelianus aus dem frühen 3. Jahrhundert n. Ztr. stammt vielleicht die beste Beschreibung der natürlichen Erhabenheit Tempis:
"Tempi ist eine Gegend zwischen Olymp und Ossa, zwischen hoch aufragenden Bergen ... In der Mitte fließt der Pinios, dessen viele Nebenflüsse zum Anschwellen seines Wassers beitragen. Diese Gegend bietet zahlreiche Orte der Erholung, die die Natur selbst gestaltet hat, ohne daß die Kunst wesentlich dazu beigetragen hätte. Der Efeu mit seinen buschigen Ranken wächst hier in Hülle und Fülle und windet sich um die hohen Baumstämme, so wie die Büsche auf den Berggipfeln üppig wachsen und die gesamte Oberfläche der Felsen bedecken."
Der niederländische Maler und Kartograf Abraham Ortelius schrieb 1595:
„In Tempe hat die Natur all ihre Gaben großzügig verstreut: Bergketten, Hänge, Klippen, gurgelnde und kühle Bäche, die aus den Felslöchern sprudeln, eine vielfältige Flora mit unzähligen Grüntönen, hoch aufragende und uralte Bäume und in der Mitte einen mythischen Fluß, dessen trübes Wasser ruhig, still und unaufhörlich dahinfließt.“

Dieses Durchbruchstal Tempe ist noch heute der Hauptverbindungsweg zwischen Thessalien und Makedonien. 

Aufgrund seiner geographischen Lage wurden hier über die Jahrtausende immer wieder Schlachten geschlagen (Wiki):

Im Jahr 480 v. Ztr. versammelten sich 10.000 Athener und Spartaner in Tempe, um Xerxes' Invasion aufzuhalten. Dort angekommen, wurden sie jedoch von Alexander I. von Makedonien gewarnt, daß das Tal umgangen werden könne und daß Xerxes' Armee überwältigend groß sei; dementsprechend zogen sich die Griechen zurück.

Hier waren die Makedonen also erstmalig in den Lichtkegel der Geschichte getreten. Und weiter hören wir über den Abwehrkampf der Makedonen gegen die römische Oberherrschaft, in dem es schon 279 v. Ztr. einen "Pyrrhus-Sieg" gegeben hatte (siehe oben) (Wiki): 

Während des Dritten Makedonischen Krieges im Jahr 169 v. Ztr. durchbrachen die Römer hier die Verteidigung des Perseus von Makedonien und besiegten ihn später in der Schlacht von Pydna. Während des Aufstands von Andriskos im Jahr 148 v. Ztr. war das Tal Schauplatz eines weiteren Konflikts.

Und auch in der Goten-Zeit spielte dieses Tal wieder eine Rolle (Wiki)

Nach einigen Jahrhunderten römischen Friedens wurde der Paß im Ersten Gotenkrieg (376-382) erneut durchdrungen, als - in den Worten des Dichters Claudian „Thessalien trauerte, weil das Tal von Tempe keine Hilfe war, während die Goten über die eroberten Felsen des Berges Oeta lachten“. 

Der britische Arzt und Dichter Mark Akenside war nie in Griechenland. Aufgrund vieler früherer poetischer Beschreibungen, die er gelesen hatte, dichtete er 1744 in seinen "The Pleasures of the Imagination":

Fair Tempe! haunt belov'd of sylvan powers,
Of nymphs and fauns; where in the golden age
They play'd in secret on the shady brink
With ancient Pan: while round their choral steps,
Young hours and genial gales with constant hand
Shower'd blossoms, odours; shower'd ambrosial dews,
And spring’s elysian bloom.
Schönes Tempe! Ort, geliebt von den Zauberwesen des Waldes,
von den Nymphen und Faunen; dort wo im goldenen Zeitalter
sie verborgen spielten am schattigen Ufer
mit dem alten Pan, und um ihre Chorschritte 
regneten blühende Stunden und freundliche Winde mit steter Hand
Schauer von Blüten, Düften und ambrosischem Tau
und der elysische Frühling blühte.

Ein schönes Gedicht! Sein Landsmann William Smith stellte 1854 in seinem "Dictionary of Greek and Roman Geography" aber gegenüber solchen Phantasien richtig, daß sich die Landschaft des Tals „eher durch wilde Erhabenheit auszeichnet als durch die waldige Schönheit, die [manche Autoren] ihr zuschreiben … Keiner dieser Autoren scheint seine Bilder nach tatsächlichen Beobachtungen gezeichnet zu haben“.

Abb. 15: "Wilde Erhabenheit" - Felsen im Tempe-Tal (Wiki)

Womöglich macht es viel Sinn, daß Dodona so weit im Norden liegt und daß es auch im Tempe-Tal Mythen rund um Apollon gibt. Denn zugleich mit jenen "Hyperboräern", die jenseits des Olymps gelebt hatten, scheint sich ja doch insbesondere auch der Apollon-Kult nach Griechenland ausgebreitet zu haben (Stg2023).

April 1941

Und noch ein weiteres mal kamen Nordeuropäer gewaltsam nach Makedonien und Griechenland.

Abb. 16: Deutsche Panzer unterhalb der Burg Platamonas, April 1941

Am 18. April 1941 durchbrachen Teile der deutschen 6. Gebirgsdivision unter Ferdinand Schörner und Balck zuerst bei Platamon die dort verteidigenden australischen Truppen und später dann am Fluß Pinios im Tempe-Tal erneut (Wiki) (HistoryGuild) (Abb. 16 und 17). 

Abb. 17: Deutsche Panzer überqueren den Pinios-Fluß in der Tempe-Schlucht am 18. April 1941

In den Kämpfen kamen auf beiden Seiten je etwa 140 Soldaten ums Leben oder wurden verwundet.

__________

  1. Sophia Koulidou: New Bronze Age cemetery and earlier settelement at Platamwnas, Pieria, Greece. Conference Presentation. (Acad)
  2. Andreas Poltermann: Deutsche Besatzungspolitik gegenüber Griechenland (1941-1944) - die Spaltung der griechischen Gesellschaft wird verschärft, 2020 (pdf)

Donnerstag, 25. September 2025

Der Sieg über die Galater (228 v. Ztr.)

Die zahlreichen antiken Skulpturen zum Thema "Sterbender Gallier" - Wie entstanden sie?

Der keltische Stamm der Volker (Wiki) stammte aus der Gegend zwischen Obermain-Tal und Thüringer Wald. Seine Südwanderung vollzog sich hundert Jahre vor derjenigen der "Kimbern und Teutonen". So bedrohlich wie die Kimbern und Teutonen hundert Jahre später den Römern erschienen sind, so bedrohlich sind schon die Volker hundert Jahre zuvor den Griechen in Delphi in Griechenland und in Pergamon in Kleinasien erschienen.

Abb. 1: Gefallener Galater (Archäol. Nationalmuseum Venedig) (Tour) - Römische Mamorkopie einer Skulptur des Weihgeschenks der Attaliden an Athen

Die Volker dürften auf dem Staffelberg und dem benachbarten Dornig Siedlungszentren gehabt haben. Dort gibt es Grab- und Siedlungsfunde seit der Bronzezeit (Stg2019). Natürlich auch anderwärts in Oberfranken und Thüringen.

Sie dürften damit Nachkommen der keltischen Urnenfelderkultur (der "Goldhut-Kultur") gewesen sein, die sich um 1200 v. Ztr. vom heutigen Serbien aus bis an das Schlachtfeld der Tollense in Mecklenburg, bis nach Großbritannien, bis nach Nordwestspanien und bis nach Norditalien ausgebreitet hat (Stg2025). Angehörige dieser Kultur kamen vermutlich vierhundert Jahre später auch bis zum Königsgrab von Seddin im nördlichen Brandenburg (Dtfk2025).

Ihre Fürsten dürften gelebt haben wie der Keltenfürst vom Glauberg (um 420 v. Ztr.) (Wiki) im benachbarten mittleren Hessen.

Noch die heutigen Bewohner des Obermain-Tales stammen höchstwahrscheinlich zu mehr als der Hälfte von jenen Volkern ab, die damals in ihrer Heimat im Obermain-Tal geblieben sind und mit "Regenbogenschüsselchen" (Wiki) als Währung Handel trieben.

Alexander der Große (Wiki) überschritt den Hellespont 334 v. Ztr., um sein großes Alexanderreich zu erobern. Er starb 323 und es entstanden mehrere Diadochen-Reiche.

Abb. 2: Die Königreiche von Bithynien und Pergamon und das Reich der Galater um 200 v. Ztr. (Wiki)

Zur selben Zeit waren die Volker in Oberfranken und Thüringen nicht weniger unternehmungslustig. Sie hatten nur noch keine Schrift, mit Hilfe derer ihre Eroberungszüge aufgezeichnet werden konnten. Deshalb vollzogen sie sich anfangs im "Dunkel der Geschichte".

Sie siedelten zuerst an der Rhone und in Tolosa, im heutigen Toulouse an der Garonne in Südfrankreich. Und 43 Jahre nach Alexanders Tod plünderten sie 280 v. Ztr. auch reiche Goldschätze aus Delphi in Mittel-Griechenland. Über ihren Anführer Brennus wird berichtet (Wiki):

Brennus fiel mit mehreren Stämmen 280 v. Ztr. in die Balkanhalbinsel ein und unterlag 279 v. Ztr. bei Delphi einem griechischen Heer. Über diesen Kriegszug berichten mehrere antike Autoren, etwa Pausanias, Diodor oder Junianus Justinus. Brennus kooperierte während des Feldzugs mit einem anderen keltischen Heer, das unter Führung eines gewissen Akichorios stand. Makedonien und Griechenland waren durch die jahrzehntelangen Diadochenkämpfe erheblich geschwächt. Die Kelten umgingen die Thermopylen und schnitten damit die griechischen Verteidiger faktisch ab. Anschließend wurde ein aitolisches Heer geschlagen und die Stadt Kallipolis in Aitolien geplündert und zerstört. Schließlich erreichten die Kelten unter Brennus, denen es vor allem um Beute ging, Delphi, während Akichorios mit seinen Truppen noch nicht aufgeschlossen hatte. Wahrscheinlich erreichten die Kelten sogar den heiligen Distrikt von Delphi selbst. Ein Heer phokischer und aitolischer Truppen griff dann jedoch die Kelten an, die hohe Verluste erlitten und zurückgeschlagen wurden, wobei dieses Ereignis in der Folgezeit teils verklärt wurde. Brennus erlitt beim Angriff schwere Verwundungen und starb kurz darauf, vielleicht durch Selbstmord. Nach der Abwehr der keltischen Invasion wurde in Griechenland das Fest Soteria gestiftet (etwa: „Rettungsfest“). Die übrigen nach Griechenland eingedrungenen Kelten gründeten unter der Führung ihres neuen Herrschers Komontorios in Thrakien ein Fürstentum, dessen Hauptstadt Tylis war.

Die Kelten verschleppten Goldschätze von Delphi nach Tolosa, wo es als "Gold von Tolosa" (Wiki) in die Geschichte eingegangen ist. Denn das Wort "aurum Tolosanum" wurde später bei den Römern, nachdem sie Tolosa erobert hatten, zu einem Synonym für einen Unglück bringenden Gegenstand.

Abb. 3: Gallier, der seine Frau tötet, bevor er sich selbst tötet, um der Gefangenschaft zu entgehen " ("Galatergruppe Ludovisi") (Wiki)

Ein Teilstamm der Volker, die Tektosagen, die sich ins Rhone-Tal ausgebreitet hatten und auch in Tolosa gelebt hatten, verbündeten sich mit dem König Nikomedes I. von Bithynien, einem Diadochen-König (Wiki):

275 v. Ztr. wurden sie von Nikomedes I. als Söldner nach Bithynien geholt, um ihm dort im Kampf gegen seinen Bruder zu unterstützen und ihm den Thron zu sichern. Bald machten sie sich selbständig und zogen plündernd durch das westliche Kleinasien. In der sogenannten „Elefantenschlacht“ 275, 268 oder 267 v. Ztr. wurden die Galater von Antiochos I. geschlagen und erhielten Wohngebiete beiderseits des Halys zugewiesen. Die Tektosagen besiedelten das Gebiet um Ankyra (Ankara).

Die Galater forderten und erhielten Tributzahlungen von den angrenzenden Reichen.

Attalos I. (Soter, „Retter“) (269 v. Ztr.-197 v. Ztr.) (Wiki) war König von Pergamon. Seine Vorgänger hatten Tribut an die Galater gezahlt. Attalos verweigerte diesen Tribut, wurde von den Galatern angegriffen und besiegte sie in mehreren Schlachten. Die Galater waren mit dem Gegenkönig Antiochos aus Sardes verbündet, gegen den Attalos ebenfalls Schlachten schlug.

Eine Umschau auf dem Schlachtfeld der sterbenden Gallier

In Erinnerung an die Siege gegen diese Gegner brachte Attalos um 228 v. Ztr. im Atheneheiligtum von Pergamon ein "Weihgeschenk" dar, das sogenannte "große" "Attalidische Weihgeschenk", bzw. das "Galateranathem". Für dieses wurden zahlreiche, wertvolle, seither sehr berühmt gewordene Skulpturen geschaffen, die einen Höhepunkt des Bildhauer-Schaffens des hellenistischen Zeitalters darstellten. Sie wurden so sehr bewundert, daß in römischer Zeit zahlreiche Mamorkopien von ihnen geschaffen wurden und an vielen Orten aufgestellt wurden.

Sie hatten zumeist sterbende Krieger zum Thema, insbesondere den "Sterbenden Gallier" (WikiCom). Die Skulpturen sind vermutlich von dem Bildhauer Epigonus (Wiki) geschaffen worden. Vermutlich sind sie als Figurengruppe geschaffen worden. Die Originale waren zwar Bronzeskulpturen. Diese sind aber irgendwann eingeschmolzen worden. Während die römischen Marmorkopien derselben die Zeitenläufe zum Teil überstanden haben und heute auf verschiedene Museen insbesondere in Italien verteilt sind, auf Museen in Neapel, Rom und Venedig zum Beispiel (Wiki):

Im Bereich des Heiligtums errichteten Attalos I. und Eumenes II. Siegesdenkmäler, insbesondere die gallischen Widmungstafeln.

Die Weihinschrift lautete:

König Attalos (weiht) der Athene die Dankesgaben für die Kämpfe im Krieg. Für die Schlacht im hellespontischen Phrygien gegen Antiochos. Für die Schlacht gegen die tolistoagischen und tektosagischen Gallier und Antiochos bei Aphrodision. Für die Schlacht gegen die tolistoagischen Gallier bei den Quellen des Flusses Kaikos. Für die Schlacht gegen ... (die Stadt) Selge und Antiochos. Für die Schlacht bei ... gegen Lysias und die anderen Generäle des Antiochos. Für die Schlacht bei ... gegen Antiochos. Für die Schlacht ... in Karien gegen Antiochos.

Die berühmteste Skulptur dieser Figurengruppe ist der "Sterbende Gallier".

Abb. 4: Gefallene Gallierin oder Amazonin (Wiki) - Römische Kopie, vermutlich einer Skulptur des "Kleinen Attalidischen Weihgeschenks" für Athen 

Fast ebenso bedeutend ist die Skulptur "Ein Gallier, der seine Frau tötet, bevor er sich selbst tötet, um der Gefangenschaft zu entgehen" ("Galatergruppe Ludovisi") (WikiCom). Wir lesen über diese (UniHamburg):

Der sterbende Gallier bildet zusammen mit der Galatergruppe Ludovisi einen Teil des großen Weihgeschenkes/ Siegesmonuments des Attalos I. In 234/233 v. Ztr. besiegte Attalos I. von Pergamon den gallischen Stamm der Tolistoagier an den Kaikosquellen. Es war einer von drei Galaterstämmen, die 278/277 v. Ztr. über den Hellespont nach Kleinasien gelangten und dortige Städte zur Tributzahlung zwangen (Wenning 1978, 37). Attalos I. weihte die Skulpturengruppe der Athena Polias im heiligen Bezirk von Pergamon. Der erhaltene Rundsockel (H: 2,20 m, ø 3,15 m) im Temenos wird als die Aufstellungsbasis des Geschenks gesehen (Andreae 2001, 92; Mandel 2007, 168). Die Figur weist für griechische Plastik typische physische Erscheinung eines Galaters auf: kurzes struppiges Haar, Schnurrbart, markante Gesichtszüge, mit Torques um den Hals – eine ausführliche Beschreibung liefert Diodor V 28, 1-3 (Künzl 1971, 6f). Das zerbrochene Horn auf der Plinthe unter dem linken Unterschenkel des sterbenden Galliers regte eine Diskussion um die Person des Sterbenden an. Laut Michaelis (1893, 132) könnte er dem tubicen des Epigonos (Plin. nat. 34, 88) entsprechen, einem Blasmusikanten, der die kämpfenden Truppen antreibt (dazu auch Wenning 1978, 2f). Laut Wenning (1978, 3) wurde das Horn nicht vom Kopisten hinzugefügt, sondern war schon im Original vorhanden um möglicherweise der Figur individuelle Züge zu verleihen. Es gibt keine weiteren Angaben zum Bildhauer. Die genaue Komposition der einzelnen Skulpturen des Anathems ist nicht bekannt. Einen Hinweis könnte die Ritzung auf der Plinthe des Galliers liefern: konzentrische Kreise mit eingeritzen Linien. Laut Andreae (1998, 83) könnte es eine Anleitung zur Aufstellung der Skulpturen sein.

Dasselbe Thema "sterbende Gallier", bzw. "sterbende Krieger" wurde dann später auf der Akropolis in Athen wiederholt als "kleines" Attalidisches Weihegeschenk (WikiCom). 

Abb. 5: Gefallener Galater ("Galata morto") (Wiki) - Römische Mamorkopie einer Skulptur des Weihgeschenks der Attaliden an Athen

Unter dem letzteren fanden sich unter anderem die "vier gefallenen Krieger" (WikiCom), darunter eine Amazone (WikiCom), ein auf die Knie gestürzter Krieger (WikiCom) und andere sterbende oder gefallene Krieger mehr. Über diese lesen wir (WikiCom):

Die vier Statuen gefallener Krieger (...) stammen mit Sicherheit aus einem einzigen Fund. Es handelt sich um römische Kopien einiger Figuren aus der Weihgabe, die ein Dynast aus Pergamon – wahrscheinlich Attalos II. (159–138 v. Ztr.) – anfertigte und damals an der Südmauer der Akropolis von Athen aufgestellt wurde, um die Siege über die Galater zu feiern. Von dem ursprünglichen Werk, das rund 50 Statuen umfaßt, die sich auf vier Schlachten beziehen (Amazonomachie, Gigantomachie, Schlacht bei Marathon und Schlacht gegen die Galater), wurden nur einige wenige, die besiegte Figuren darstellten, in Rom kopiert und in den Thermen des Agrippa ausgestellt, um seinen Sieg über die Galater (37 v. Ztr.) zu feiern. Die vier Statuen der Farnese-Sammlung, die im Nationalen Archäologischen Museum von Neapel ausgestellt sind, stellen eine tote Amazone (Inv. 6012), einen toten Riesen (Inv. 6013), einen toten Perser (Inv. 6014) und einen verwundeten Gallier (Inv. 6015) dar.

Ziel dieser Weihgaben war es, so sagt und ChatGPT, die Überlegenheit der Attaliden zu zeigen, aber gleichzeitig auch die Tapferkeit und die Würde der Feinde hervorzuheben.

Weiter ChatGPT:

Das Galateranathema war nicht nur ein Kriegsdenkmal, sondern ein politisches Manifest: Die Attaliden präsentierten sich als Verteidiger der griechischen Welt gegen „Barbaren“. Durch die Aufstellung auf der Akropolis in Athen knüpften sie bewußt an das kulturelle Prestige Athens und die Perserkriege an. Künstlerisch gehört es zum Höhepunkt des Hellenismus: Pathos, Realismus und die Darstellung des „edlen Feindes“.

Weitere Kunstwerke zu diesem Thema finden sich heute in Venedig, so ein toter Kelte, der auf seinem Schild liegt (WikiCom) (Abb. 1 und 5).

Skulpturen der hellenistischen Epoche

Mit solchen Kunstwerken wurde die Epoche der Hellenistischen Kunst (Wiki) eingeleitet. Wir lesen (Wiki):

Attalos I. (269–197 v. Ztr.) ließ zur Erinnerung an seinen Sieg bei Kaikos gegen die Gallier – von den Griechen Galater genannt – zwei Serien von Votivgruppen anfertigen: Die erste, die auf der Akropolis von Pergamon geweiht wurde, enthält den berühmten Gallier, der sich und seine Frau umbringt; das Original ist verloren gegangen; die zweite Gruppe, die Athen geschenkt wurde, besteht aus kleinen Bronzen von Griechen, Amazonen, Göttern und Riesen, Persern und Galliern. Artemis Rospigliosi im Louvre ist wahrscheinlich eine Kopie einer dieser Figuren; Kopien des Sterbenden Galliers waren in der Römerzeit sehr zahlreich. Der Gefühlsausdruck, die Eindringlichkeit der Details – hier buschiges Haar und Schnurrbärte – und die Heftigkeit der Bewegungen sind charakteristisch für den pergamenischen Stil.

Als Attalos 46 Jahre alt war, heiratete er um 223 v. Ztr. die 30 Jahre jüngere Apollonis (gest. 159 v. Ztr.) (Wiki). Mit dieser hatte er vier Söhne (Wiki):

Sowohl in literarischen als auch in inschriftlichen Überlieferungen wird sie aufgrund ihrer Bescheidenheit und Frömmigkeit bewundert sowie für ihren Verzicht auf ehrgeizige politische Aktivitäten und für die Erziehung ihrer Söhne wird sie als Idealkönigin gelobt. Die brüderliche Eintracht unter ihren Söhnen, bei denen sich laut Plutarch die Jüngeren stets schützend vor den Ältesten als ihren König stellten, war ein herausragendes Merkmal der attalidischen Königsfamilie, während sich die anderen hellenistischen Dynastien ihrer Zeit untereinander blutig bekämpften. Apollonis hat ihren Mann um viele Jahre überlebt und ist in hohem Alter wahrscheinlich gegen Ende der Herrscherzeit Eumenes’ II. († 158 v. Ztr.) gestorben.

Unter der Herrschaft ihrer Söhne wurde Pergamon zu einem Kulturzentrum des Hellenismus, in dem man bestrebt war, ein neues Athen zu schaffen. Auf dieser Linie wurde ein Jahrhundert später der berühmte Pergamon-Altar (Wiki) errichtet, der sich heute im Pergamon-Museum in Berlin befindet.

Mittwoch, 10. September 2025

Die Slawen - Entstehung und Ausbreitung im Frühmittelalter

Sie fand so statt, wie es die Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert annimmt

Wir Deutschen sind unserer Herkunft nach Germanen. So haben wir immer gedacht. Südlich des Mains aber stammen wir Deutschen etwa zur Hälfte von Kelten ab (Stg2024). Und östlich der Elbe - sowie auch in Ostbayern und in Österreich - stammen wir zu 10 bis 40 % von Slawen ab. Die Sorben im Spreewald und in der Lausitz stammen sogar zu 88 % von Slawen ab. So lautet das Ergebnis einer neuen archäogenetischen Studie von Seiten der Arbeitsgruppe rund um Johannes Krause in Leipzig (1) (IDW). 

Abb. 1: Eine typische Halskette der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.), vermutlich des Urvolkes der Slawen - Gefunden im Wald bei dem Dorf Werchnja Syrowatka (Wiki) im ukrainischen Oblast Sumy, Nordostukraine  (Wiki)

Konsequenterweise sollte dasselbe, was für die Sorben gilt, dann auch etwa für die Kaschuben in Westpreußen gelten, für die "wasserpolnisch" sprechenden Oberschlesier, für die Slowenen in Kärnten oder für andere slawische "Reliktbevölkerungen" im deutschsprachigen Raum.

In welchem Umfang umgekehrt Polen, Tschechen, Slowaken und Slowenen von Germanen abstammen aus Regionen westlich der Elbe und westlich von Bamberg, Passau und Salzburg, wird sicherlich in künftigen Studien noch genauer heraus gearbeitet werden. Man wird annehmen können, vom Umfang her vielleicht ähnlich wie die Sorben.

Archäologisch scheint sich nach derzeitigem Stand die Ethnogenese der Slawen im Rahmen der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Wiki) (WikiCom) vollzogen zu haben im Süden Weißrußlands und im Norden der Ukraine, zwischen den Pripjet-Sümpfen im Westen und dem Oberen Dnjepr im Osten - umgeben von den Goten im Westen, den Sarmaten im Osten und ab 375 n. Ztr. von den Hunnen im Süden (1).

Diese Studie dürfte den letzten Sargnagel darstellen für die Theorie von der vorgeblichen "Slawenlegende" (Wiki), nach der es eine frühmittelalterliche Ausbreitung von Slawen aus der Region östlich der Pripjet-Sümpfe gar nicht gegeben habe. Wir werden zu dieser Theorie von der "Slawenlegende", die immer nur von Randgruppen innerhalb der Wissenschaft vertreten wurde, am Ende dieses Beitrages noch einige Erläuterungen gegeben. 

Zunächst einmal aber die neue Studie selbst. In ihr wurden mehrere hundert Menschenreste aus der Zeit der Völkerwanderung und danach analysiert aus Sachsen-Anhalt und aus Thüringen, und zwar von Gräberfeldern aus der Nähe 

  • von Deersheim nördlich des Harzes,
  • von Brücken-Hackpfüffel südlich des Harzes,
  • von Steuden und Niederwünsch südwestlich von Halle, 
  • von Obermöllern westlich, sowie 
  • von Rathewitz östlich von Naumburg an der Saale.

Es handelt sich also um eine Region grob zwischen Braunschweig und Leipzig (s. GMaps) (Abb. 4).

Abb. 2: Der 2010 gefundene Brjansker Schatz (Wiki) aus der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Historia

Diese Region wurde verglichen mit schon publizierten Archäogenomen aus den Regionen Polen-Nordwestukraine, sowie Nordwest-Balkan. Bevor von der Slawenzuwanderung berichtet wird, kommt die Studie zunächst noch auf folgendes, außerordentlich überraschendes Ergebnis über die Zeit davor, über die Völkerwanderungszeit zu sprechen. Und zwar ist die Rede von Menschenfunden von den Fundorten bei Brücken südlich des Harzes, sowie von Obermöllern und Rathewitz bei Naumburg an der Saale (1):

Überraschenderweise stellten wir eine hohe Anzahl von Individuen mit nicht-lokaler, südeuropäischer Abstammung in der Elbe-Saale-Region Ostdeutschlands während der Völkerwanderungszeit fest, obwohl diese Region nie Teil des Römischen Reiches war. (...) Wir ermitteln an allen vier untersuchten völkerwanderungszeitlichen Fundorten der Region einen durchschnittlichen Anteil südeuropäischer Abstammung zwischen etwa 15 % und 25 %. (...) Obwohl über die Gründe und Umstände ihrer Einwanderung in die Elbe-Saale-Region nur spekuliert werden kann, paßten sich diese Neuankömmlinge offenbar den Kleidungs-Gewohnheiten und Traditionen der einheimischen Bevölkerung an, was zu einer recht homogenen materiellen Kultur innerhalb einer Gruppe von Individuen mit unterschiedlichem genetischen Hintergrund führte.
Unexpectedly, we detect a high number of MP individuals with non-local, Southern European ancestry in the Elbe-Saale region of Eastern Germany, although this area was never part of the Roman Empire. Using qpAdm36,37, we measure on average between approximately 15% and 25% of Southern European ancestry in all 4 MP sites of the region. (...) Although the causes and circumstances of their movement to the Elbe-Saale region remain open for speculation, these newcomers apparently adapted the fashions and traditions of the local populations, resulting in a rather homogenous material culture within a group of individuals with diverse genetic backgrounds.

Das heißt, die bestatteten Individuen nordeuropäischer, südeuropäischer oder gemischter Abstammung unterschieden sich in den feststellbaren kulturellen Merkmalen - wie Grabart oder Grabausstattung - nicht voneinander.

Abb. 3: Die Westausbreitung der slowenischen Karantanen nach Kärnten, Oberösterreich und bis Osttirol ab 590 n. Ztr.

Brachten hier Krieger vom Stamm der Thüringer, die Militärdienst im römischen Reich geleistet hatten, "Kriegskameraden" aus dem Süden mit? Oder Ehefrauen? In der Studie wird diese Frage bewußt völlig offen gelassen. 

Es heißt dann weiter (1):

Diese Vielfalt ist jedoch in der darauffolgenden slawischen Zeit verschwunden. Im Gegensatz zur vorhergehenden Völkerwanderungszeit hat sich das genetische Profil Ostdeutschlands während der slawischen Zeit erheblich verschoben und überschneidet sich nun fast ausschließlich mit dem von heutigen slawischsprachigen Bevölkerungsgruppen (z. B. von Polen und Weißrussen), was auf einen grundlegenden Austausch der genetischen Abstammung hindeutet (Abb. 2b,c). Ein ähnliches Muster ist auf dem Nordwestbalkan, in Polen und in der Nordwestukraine sowie in der Wolga-Oka-Region in Rußland zu beobachten. Dies verdeutlicht, daß dieser Zustrom neuer genetischer Herkunft nicht auf bestimmte Regionen beschränkt war, sondern weite Teile Mittel- und Osteuropas betraf. Das stimmt mit den eher einfachen, sehr ähnlichen archäologischen Horizonten überein, die während der slawischen Zeit zu beobachten sind.
However, this diversity had collapsed in the subsequent SP (Supplementary Note 6). In contrast to the preceding MP, the genetic profile of Eastern Germany during the SP has shifted considerably and clusters nearly exclusively with present-day Slavic-speaking populations (for example, Poles and Belarussians), indicative of a fundamental replacement of genetic ancestry (Fig. 2b,c). A similar pattern is seen in the Northwestern Balkans, Poland–Northwestern Ukraine as well as the Volga-Oka region in Russia28, illustrating that this influx of new genetic material was not limited to certain regions but affected wide areas of Central and Eastern Europe, consistent with the rather simple, very similar archaeological horizons observed during the SP.

Genau jene Sachverhalte, die hier benannt sind, sind der Sargnagel für jede andere Theorie zur Entstehung und Ausbreitung der Slawen.

Abb. 4: Archäogenetisch erforschte Fundorte zur Westausbreitung der Slawen - Zwischen Braunschweig und Leipzig ab 650 n. Ztr. (GMaps)

In der im Zitat erwähnten Abb. 2c - hier im Beitrag als Abb. 5 eingestellt - ist dieser Bevölkerungsaustausch auf einer Grafik zur Hauptkomponentenanalyse der genetischen Verwandtschaft aufgetragen und veranschaulicht. Wir sehen im Nordwestbalkan während der Völkerwanderungszeit mehrheitlich südeuropäische Herkunft - aber auch nordeuropäische Herkunft (hellgelbe Punkte). Die ersteren gehen auf die romanische Bevölkerung zurück, die letzteren auf die germanischen Zuwanderer (Goten, Langobarden und andere). Wir sehen, daß in Thüringen während der Völkerwanderung das genetische Spektrum sehr stark Richtung Germanen hin verschoben ist. Aber auch die überraschenden 15 bis 25 % südeuropäische Herkunft sind zu sehen (hellrote Punkte). Wir sehen in Polen und der Nordwest-Ukraine während der Völkerwanderung fast nur germanische Genetik (hellblaue Punkte). Das waren vor allem die Goten.

Dann verschwindet die vorhergehende Bevölkerung in allen drei Regionen völlig. Die südeuropäische Herkunft im Nordwest-Balkan verschwindet. Die vorwiegend nordeuropäische Herkunft in Thüringen verschwindet und die nordeuropäische Herkunft in Polen und in der West-Ukraine verschwindet. In allen drei Regionen taucht eine neue osteuropäische Genetik auf, die in allen drei Regionen einander sehr ähnelt (orangene, dunkelrote und dunkelblaue Punkte). Dabei weist die polnisch-westukrainische Raum noch die vergleichsweise größte genetische Vielfalt auf. Und man sieht, daß Teilpopulationen dieser Vielfaltsverteilung sich einerseits nach Thüringen und andererseits in den Nordwest-Balkan-Raum ausgebreitet haben. Im Nordwest-Balkan-Raum scheint dabei noch am ehesten eine gewisse Vermischung mit der vorhergehenden Bevölkerung vor Ort stattgefunden zu haben - in Thüringen und Polen-Westukraine deutlich weniger.

Abb. 5: Der Bevölkerungsaustausch beim Übergang von der Völkerwanderungszeit zur slawischen Zeit (aus 1)

Was für ein faszinierender Vorgang. Faszinierend wegen seiner Eindeutigkeit. Und was für ein sonderbares Geschehen zugleich: In weite Räume zwischen Elbe, Drau und Dnjepr, in denen kurz zuvor noch Germanen gesiedelt hatten, breiten sich nun Slawen aus. Wohin sind die Germanen verschwunden? Was geschah denn nun sogar mit den Thüringern?

Das Reich der Thüringer ist 531 von den Franken zerschlagen worden, möglicherweise in Zusammenarbeit mit den Sachsen. Wir lesen (Wiki):

Das Reich wurde zerschlagen und unter den Siegern aufgeteilt. Das Gebiet nördlich des Harzes ging vermutlich an die Sachsen, der Süden wohl an die Franken. Die Gebiete östlich der Saale konnten von den Franken nicht gehalten werden und wurden von Slawen besiedelt. Als Tribut wurde den südlichen Thüringern der sogenannte Schweinezins auferlegt, demzufolge sie dem fränkischen Königshof jährlich 500 Schweine liefern mußten. Das Iringlied erzählt eine von den Ereignissen inspirierte Geschichte vom Untergang des Reiches der Thüringer und dem Ende Herminafrieds. 

Aber das Iringlied (Wiki) ist nicht erhalten. Sein Inhalt aber ähnlich erschütternd wie das Nibelungenlied. Den Zeitgenossen war das Erschütternde des Untergangs ganzer germanischer Königsreiche und Volksstämme durchaus bewußt und wurde dementsprechend auch in Liedern festgehalten. Er beruhte oft auf Mord innerhalb der eigenen Verwandtschaft.

Abb. 6: Die Westausbreitung der slawischen Stämme in siedlungsarme Räume 650/700 n. Ztr.

Jetzt zunächst, was in der Studie selbst dazu ausgeführt wird (1):

Die Thüringer blieben und gründeten ein Königreich, das die Elbe-Saale-Region umfaßte. Nachdem die Franken dieses Königreich in den 530er Jahren unterworfen hatten, ging die Bevölkerung zurück, einige Gräberfelder wurden jedoch weiter genutzt. Im 7. Jahrhundert werden Slawen erstmals östlich der Saale erwähnt, sie dehnten sich jedoch bald nach Westen aus und bildeten eine Kontaktzone zwischen slawisch- und germanischsprachigen Gruppen.
The Thuringians stayed and established a kingdom, which included the Elbe-Saale region13,14. After the Franks subdued this kingdom10,15 in the 530s, the population declined, while some cemeteries continued14,16. During the seventh century, Slavs are first mentioned east of the Saale, but they soon expanded westward17, forming a contact zone between Slavic- and Germanic-speaking groups.

Warum ging die Bevölkerung zurück? Warum ging die Bevölkerung östlich der Elbe zurück, während dasselbe doch westlich der Elbe gar nicht zu beobachten war? Fragen, zu denen es vermutlich noch wenig Antworten gibt.

Die Slawen in der "Gotengeschichte" des Jordanes

Die Slawen spielen schon in der Gotengeschichte des römisch-gotischen Geschichtsschreibers Jordanes (gest. nach 552), genannt der "Getica" (Wiki), eine Rolle. Diese ist übrigens auch sonst mehr als lesenswert (UniFreiburg). Denn in ihr findet sich sozusagen die "Eigensicht" der Goten auf ihre eigene Geschichte wieder, und zwar sozusagen auch aus ihrem eigenen "Gesichtskreis" in der Zeit um 550 n. Ztr. herum. Es findet sich in ihr also die Geschichte und die Völkerwelt ihrer Zeit aus ihrer eigenen Sicht, wobei Jordanes auch sonst griechische und römische Geschichtsschreiber heranzieht. Jordanes erwähnt schon bei der Beschreibung des geographischen Raumes, innerhalb der sich seine Gotengeschichte vollzieht, die Slawen (zit. n. Wiki):

Inmitten dieser Flüsse liegt Dakien, umgeben von den hohen Alpen [Karpaten] wie von einem Kranz. Nahe ihrem linken, nach Norden geneigten Gebirgskamm und beginnend an der Quelle der Weichsel lebt das bevölkerungsreiche Volk der Veneter, das ein weites Land bewohnt. Obwohl ihre Namen heute auf verschiedene Stämme und Orte verstreut sind, werden sie doch hauptsächlich Sklaveni und Antes genannt. Der Sitz der Sklaveni erstreckt sich von der Stadt Noviodunum [wohl am Donaudelta] und dem Mursianus genannten See [wohl an der Mündung der Drava in die Donau] bis zum Danaster [Dnister] und nordwärts bis zur Weichsel. Sie haben Sümpfe und Wälder als Städte. Die Antes, das tapferste dieser in der Biegung des Pontusmeeres [Schwarzes Meer] lebenden Völker, breiten sich vom Danaster bis zum Danaper [Dnjepr] aus, die viele Tagesreisen voneinander entfernt sind.

Schon im Zusammenhang mit der Behandlung der spätbronzezeitlichen Schwedenschanze bei Horst bei Pritzwalk in der Prignitz in Nordbrandenburg nahe dem Königsgrab von Seddin aus der Zeit um 800 v. Ztr. war uns bewußt geworden, daß dort - wie auch noch zu Cäsars Zeiten in Südengland -     Wallanlagen "Sümpfe und Wälder" als Schutz nutzten und deshalb inmitten derselben angelegt worden sind (Stgr2019). Das mögen auch die Slawen so gemacht haben.

Abb. 7: Der Svantevit-Stein, verbaut in der Kirche von Altenkirchen auf Rügen (Wiki) - Entweder der Grabstein eines Slawenfürsten oder die Darstellung eines Priesters des Gottes Svantevit aus der Zeit vor 1168

Das von Jordanes so umschriebene Gebiet deckt sich im Großen und Ganzen mit der archäologischen Prag-Koltschak-Kultur (Wiki). Jordanes beschreibt den Gotenkönig Ermanarich als einen der bedeutendsten Könige in der Geschichte der Goten. Erst der Tod des Ermanarich im hohen Alter habe den Hunnen die Möglichkeit gegeben, die Goten im Jahr 376 n. Ztr. zu besiegen (Jordanes):

Sein Tod gab den Hunnen die Übermacht über die Goten, die, wie erwähnt, im Osten saßen und Ostrogoten hießen.

Jordanes beschreibt die Hunnen als außerordentlich häßliche Menschen, die schon deshalb als Krieger Erfolg hatten, weil sie so häßlich aussahen und die gegnerischen Krieger so in Schrecken versetzten. Ermanarich hat nach Jordanes ein großes Reich mit vielen Völkern beherrscht, das vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee gereicht habe. Er habe große Kriegserfolge gegen die Heruler errungen und sei dann gegen die Slawen in den Krieg gezogen (Jordanes):

Nach dem Sieg über die Heruler rückte der nämliche Hermanarich gegen die Veneter, die, wenngleich man sie als Krieger verachtete, doch - durch ihre Zahl stark - anfangs Widerstand zu leisten versuchten. Aber nichts vermag die Menge der Feigen, besonders wenn Gott es zugibt, und ein zahlreiches Heer gegen sie anrückt. Diese, die, wie wir am Anfang unserer Darstellung, das heißt im Völkerverzeichnis, auseinandergesetzt haben, von einem Stamm entsproßten, haben jetzt drei Namen: Veneter, Anten und Sklawenen. Sie wüten jetzt überall - wegen unserer Sünden; damals jedoch dienten sie alle dem Hermanarich. Ebenso unterwarf er auch das Volk der Ästen, die weithin die Küsten des germanischen Ozeans bewohnen; durch Klugheit und Tapferkeit, und herrschte über alle Völker Scythiens und Germaniens, wie über seine eigenen Untertanen.

Ab 540 n. Ztr. breiten sich diese Slawen-Stämme dann in die von den Goten verlassenen Gebiete nördlich der Unteren Donau aus und "wüten jetzt überall - wegen unserer Sünden". Damit ist gemeint: Sie überschreiten auch die Donau und unternehmen Plünderungszüge in die dortigen oströmischen Provinzen (Wiki). Mit den erwähnten Ästen werden die nachmaligen Esten an der Ostsee gemeint sein.

568 ziehen die Langobarden von der pannonischen Tiefebene ab nach Norditalien (Wiki), ihnen folgen unter der Herrschaft der Awaren die Slowenen. Ab 590 n. Ztr. stößt der Slowenen-Stamm der Karantani in den Alpenraum vor und besiedelt Kärnten (Wiki). Die Herrschaftseinsetzung des Fürsten von Karantanien erfolgte bis ins 15. Jahrhundert hinein auf Slowenisch an dem "Fürstenstein" (Wiki) nördlich des heutigen Klagenfurt von Seiten eines Freibauern.

In Böhmen war im Zuge der Westausbreitung der Slawen die Prag-Koltschak-Kultur (Wiki) entstanden, in Mecklenburg und Pommern entstand ab 590 v. Ztr. aus ihr die Sukow-Dziedzice-Gruppe (Wiki). Man nimmt an, daß sie aus Slawen von der oberen Oder entstand.

Wir lesen in der neuen Studie (1):

Wir kommen zu der Einschätzung, daß ungefähr 82 ± 1 %, 83 ± 6 %, 93 ± 3 % und 65 ± 4 % des lokalen Genpools im Nordwestbalkan, in Ostdeutschland, in Polen-Nordwestukraine und im Wolga-Oka-Tal während der slawischen Zeit durch Migranten aus Osteuropa ersetzt worden sind.
We calculate that approximately 82 ± 1%, 83 ± 6%, 93 ± 3% and 65 ± 4% of the local gene pool in the Northwestern Balkans, Eastern Germany, Poland–Northwestern Ukraine and the Volga-Oka valley, respectively, were replaced during the SP by migrants from Eastern Europe.

Das bedeutet also für das Elb-Saale-Gebiet 83 % neue genetische Herkunft. Von den vorher dort lebenden Germanen hätten sich dementsprechend 17 % der genetische Herkunft gehalten - als Herkunft der verbliebenen Restbevölkerung. 

Anhand dieser Daten wird auch ausdrücklich einer Studie von 2023 widersprochen, die von einer genetischen Kontinuität in der Provinz Posen zwischen Mittelbronzezeit und dem Mittelalter ausgegangen war, und die wir hier auf dem Blog auch behandelt hatten (s. Stg2023), und die mit der Theorie von der "Slawenlegende" noch zusammen gepaßt hätte. Auch unsere eigenen, diesbezüglichen Überlegungen (s. Stg2023) zu dieser angenommenen Kontinuität dürften sich damit weitgehend erledigt haben.

Abb. 8: Wenden auf dem Felde beim Vesper (1876 - ?) (Ak)

Weiter heißt es in der Studie über die Fortdauer der slawischen Genetik im heutigen Deutschland (1):

Wir stellen eine ausgeprägte Dualität im Westen, das heißt, in Ostdeutschland fest: Die heutige deutschsprachige Bevölkerung Sachsens weist einen slawischen, genetischen Herkunftsanteil von etwa 40 % auf, während die slawischsprachigen Sorben der Oberlausitz (Sachsen) einen slawischen, genetischen Herkunftsanteil von 88 % aufweisen (vergleichbar mit den heutigen Polen) (...). Dies steht im Einklang mit früheren Studien zur genetischen Abgeschlossenheit der Sorben und ist damit vereinbar, daß sie die Nachkommen dieser slawischen Gruppen darstellen, die ab dem 12. Jahrhundert nur minimal (oder zumindest weniger) in die reproduktiven Netzwerke der sich ausbreitenden deutschsprachigen Besiedlung östlich von Elbe und Saale integriert waren. Umgekehrt vermuten wir, daß die deutsche Ostsiedlung und die frühere fränkische Eroberung wahrscheinlich mit dem Rückgang der slawischen Abstammung in der deutschsprachigen Bevölkerung in Zusammenhang stehen.
We observe a profound duality to the west, in Eastern Germany, with the present-day German-speaking population from Saxony exhibiting around 40% SP ancestry and the Slavic-speaking Sorbs of Upper Lusatia (Saxony) exhibiting 88% SP ancestry (comparable to modern Poles) (Extended Data Fig. 7). This agrees with previous studies on the genetic isolation of the Sorbs33,48 and is consistent with them representing the descendants of these Slavic groups that were minimally (or at least less) integrated into the reproductive networks of the expanding German-speaking settlement east of Elbe and Saale from the twelfth century onwards49,50,51. Conversely, we suggest that the German eastward expansion and earlier Frankish conquest is probably associated with the reduction in SP ancestry observed in the German-speaking population.

Welche Fülle von Schlußfolgerungen lassen sich aus diesen Angaben ziehen. In fast allen Regionen östlich der Elbe und östlich des Oberlaufes Drau sind aus der slawischen Zeit Volksstämme bekannt. Die Heveller etwa im Land Brandenburg, die Karantanen in Kärnten.

Die "Wenden" und die "Windischen"

Es ist ja auch bekannt, daß die deutschen Siedler des Hochmittelalters Dörfer anlegten neben den bis dahin bestehenden Fischerdörfern, den weiter bestehenden "Kiezen" (Wiki).

Abb. 9: Wenden-Hochzeit im Spreewald! - Ein wendischer Hochzeitszug mit dem Brautpaar an der Spitze, welcher heute noch nach alter Tradition ausgeübt wird, April 1931. Osterkirchgang. Fotograf: Georg Pahl (Wiki) (weitere Fotografien dazu: ab).

Der Autor dieser Zeilen selbst stammt zur Hälfte von Brandenburgern ab - und diese offensichtlich zu bis zu 40 % von den Hevellern oder auch den Wenden (Wiki). Zudem stammt er zu einem Achtel von Oberösterreichern ab, die auch einen slawischen Herkunftsanteil in sich tragen werden. Er ist also seiner Herkunft nach ein 20%- bis 30%iger Heveller - laut Ancient Origin-Analyse von MyHeritage (Stg2025), bzw. ein "Stodorane", so der Eigenname der Heveller (Wiki):

Das Siedlungsgebiet der Heveller erstreckte sich von Spandau entlang der Fluß- und Seeufer des Havelbogens über Brandenburg an der Havel bis hinter Rathenow. In dieses von der Geschichtswissenschaft erschlossene Siedlungsgebiet wanderten dem archäologischen Befund zufolge Anfang des 8. Jahrhunderts slawische Gruppen ein. Die ältesten slawischen Dendrodaten stammen aus dem Jahr 736. Hauptburg und Sitz des Herrschers war seit dem 10. Jahrhundert die Brandenburg. Diese ist dendrochronologisch auf das Jahr 906 datiert. Die übrigen Burgen der Heveller – der Bayerische Geograph berichtet von insgesamt 8 Burgen („civitates“) – entstanden bereits ab 870. Dazu gehörten Rathenow, Potsdam und Spandau.

Aus einigen Adelsgeschlechtern der Heveller gingen womöglich auch Teile des märkischen Uradels hervor, zum Beispiel die Familie Kahlbutz (Wiki) aus Kampehl bei Ruppin. Zu einem dieser märkischen Adelsgeschlechter hat auch meine Oma immer eine besondere Verbindung empfunden (in ihrem Fall zur Familie von Katte in Zolchow) (s. Prbl2017, a).

Wie spannend auch, daß wir Heveller, Sorben, Kaschuben, Oberschlesier, Slowenen und so weiter jetzt über Gentests nachweisen können, ob und in welchem Umfang wir solcher Herkunft sind, oder ob wir etwa eher Nachkommen "slawisierter" zugewanderter Deutscher sind.

Abb. 10: Kirchgang im Spreewald! - Alte Wendinnen aus Burg in der traditionellen Spreewaldtracht nach dem Kirchgang bei der Unterhaltung auf der Straße, März 1931 - Fotograf Georg Pahl (Wiki)

Ich habe auch die Vermutung, daß sich der slawischen Herkunftsanteil in bäuerlichen Unterschichten östlich der Elbe in größerem Umfang gehalten haben könnte (also in den "Kiezen") also unter den Fischern und sogenannten Halbbauern als unter den Vollbauern auf den Dörfern. Denn letztere haben in früheren Jahrhunderten immer unter sich geheiratet. Und unter diesen finde ich zumindest in meinem Stammbaum fast nur deutsche Familiennamen (Bading, Mohr, Meinecke und so weiter), während mir der Familienname meiner Halbbauern-Oma Bleis slawisch anmutet - so wie auch ihr Äußeres und das Äußere ihrer Familie (Preußenbl2017). Allerdings scheinen die Familiennamen auch in ihrem Stammbaum vorwiegend deutscher Herkunft zu sein (z.B. Eggert, Rahne, Wollbrügge). Wir lesen (Wiki):

Die Franken (im "Leben des Heiligen Martinus", der "Chronik von Fredegar" und bei Gregor von Tours), die Langobarden (Paulus Diakonus) und die Angelsachsen (Widsith) bezeichneten die Slawen im Elbe-Saale-Gebiet und in Pommern als „Wenden“ oder „Winden“ (siehe Wenden). Die Franken und die Bayern der Steiermark und Kärntens nannten ihre slawischen Nachbarn „Windische“, was sich noch heute in den Namen widerspiegelt, die deutschsprachigen slowenischen Städten und Dörfern gegeben werden. Beispiel: Slowenisch Slovenj Gradec heißt auf Deutsch: Windisch-Graetz.

Die Forscher der neuen Studie schlußfolgern aus ihren Daten, daß sich die Ethnogenese der Slawen um 1000 v. Ztr. vollzogen haben muß. 

Die Ethnogenese des Urvolks der Slawen - Östlich der Pripjet-Sümpfe

Um diese Zeit herum sollen sich die nachmaligen baltischen Völker (Prußen, Masuren, Litauer, Letten) (Wiki) von den nachmaligen slawischen Völkern getrennt haben. Die Slawen tragen zwei Drittel baltische Herkunft in sich und ein Drittel einer Herkunft - mit höherem anatolisch-neolitischen Bauern-Anteil - dessen Ursprung noch nicht genau lokalisiert werden kann.

Man möchte übrigens vermuten, daß es die räumliche Nähe zu den Hunnen und Awaren war, die die Slawen dazu brachte, sich nach Westen auszubreiten. Denn sonst hätten sich ja auch die baltischen Völker nach Westen ausbreiten können. In der Studie heißt es (1):

Wir schließen daraus, daß eine Region, die sich über den Süden von Weißrußland und den Norden der Ukraine erstreckt, der beste räumliche Annäherung für die Herkunft der slawisch-zeitlichen Individuen unserer drei Studien-Regionen ist.
We infer a region spanning the south of Belarus and north of Ukraine as the best spatial proxy for the origin of the SP individuals in our three study transect.

Im Anhang heißt es zu diesen Fragen (1, Anhang, S. 127):

Mit phylogenetischen linguistischen Methoden wurde der Zeitpunkt der Trennung der slawischen und baltischen Sprachen im Mittel auf 1660 v. Ztr. (95 % HPD 3040-530 v. Chr.) berechnet. Archäologisch gesehen folgte auf die Kulturen der Spätbronzezeit in den Gebieten, in denen dieser Vermischungsprozess stattgefunden zu haben scheint, die Milograd-Kultur (ca. 7. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) in Weißrussland und der Nordukraine, die später allmählich von der Zarubintsy-Kultur (ca. 3. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) abgelöst wurde. Aus der Zarubintsy-Kultur entwickelte sich im 2. Jahrhundert n. Chr. im selben Gebiet die sogenannte Kiewer Kultur (in ihrer Frühphase auch als Post-Sarubintsy-Kultur bekannt), die erste materielle Kultur, die Ähnlichkeiten mit jenen frühmittelalterlichen Kulturphänomenen aufweist, die sicher den frühen Slawen zugeordnet werden können.
Tatsächlich stimmt die geografische Ausdehnung der Milograd-, Zarubintsy- und Kiewer Kulturen in der Nordukraine, Weißrußland und Westrußland gut mit unseren aDNA-Berechnungen überein. Mithilfe von MOBEST schließen wir, daß eine Region, die sich über den Süden von Weißrußland und den Norden der Ukraine entlang des Flusses Dnjepr im heutigen Polesien erstreckt, der beste räumliche Indikator für den Ursprung der SP-Individuen in unseren drei Untersuchungstransekten ist. Ein solches Gebiet steht zudem im Einklang mit dem archäologischen Konsens, der die Entstehung der Slawen als ethnische Gruppe im südlichen Bereich der Waldzone, hauptsächlich im oberen Dnjepr-Becken, verortet.
With phylogenetic linguistic methods, the divergence time of the Slavic and Baltic languages was calculated at a median time of 1660 BCE (95% HPD 3040 – 530 BCE)146. Archaeologically, the Late Bronze Age cultures in the areas where this process of admixture seems to have taken place were followed by the Milograd Culture (c. 7th c. BCE-1st c. CE) in Belarus and Northern Ukraine, which was later gradually replaced by the Zarubintsy culture (c. 3rd c. BCE - 1st c. CE). From the Zarubintsy culture, the so-called Kyivan culture (also known as the post-Zarubintsy culture during its early phase) developed during the 2nd century CE in the same area, which is the first material culture featuring similarities with those early medieval cultural phenomena that can be surely associated with early Slavs. 
Indeed, the geographical extent of the Milograd, Zarubintsy  and Kyivan cultures in Northern Ukraine, Belarus and Western Russia agrees well with our aDNA evidence. Using MOBEST, we infer a region spanning the South of Belarus and North of Ukraine along the Dnjepr river in present-day Polesia as the best spatial proxy for the origin of the SP individuals in our three study transects. Such an area is further consistent with the archaeological consensus which locates the formation of the Slavs as an ethnic group in the southern area of the forest zone, mostly in the upper Dnjepr basin.

Die Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Wiki) (WikiCom) und ihre Vorgängerkulturen grenzten im Norden an baltische Volksstämme, im Westen an die Goten und im Osten und Süden an die Sarmaten. Die Hunnen stießen im Süden von ihnen durch das Siedlungsgebiet der Sarmaten hindurch nach Westen. Die Kiewer Kultur entstand aus der Sarubinzy-Kultur (3.-1. Jhdt. v. Ztr.) (Wiki). Deren Vorgänger-Kultur war die Milograd-Kultur (7.-1. Jhdt. v. Ztr.) (Wiki). 

Abb. 11: Sorbinnen an der Dreschmaschine, 1930er Jahre (Ausschnitt - Sorabicon)

Christliche Berichterstatter haben - wenn auch durch ihre christliche Brille hindurch - so doch manches Wertvolle über die heidnische Religion, sowie die heidnischen Sitten der Slawen berichtet. Sie berichten insbesondere von ihrer großen Gastfreundlichkeit, Herzlichkeit, Offenheit und ähnlichen Eigenschaften (2). 

Es gibt auch mancherlei Erkenntnisse zur slawischen Mythologie (Wiki). Auch in der slawischen Mythologie entsteht die Welt - wie in der urindogermanischen Mythologie und wie noch im Orpheus-Mythos - aus einem "Urei".

Zur vorgeblichen "Slawenlegende"

Während des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde im Rahmen des sogenannten "Volkstumskampfes" zwischen Deutschen und Slawen von verschiedenen deutschen Wissenschaftlern infrage gestellt, daß die Slawen tatsächlich im Frühmittelalter von vormaligen Germanenstämmen verlassene Räume östlich der Elbe, des Bayerischen Waldes und bis Ostbayern und Kärnten hinein besiedelt hätten.

Unter deutschen Vertriebenen werden diese Ansichten zum Teil noch heute vertreten - wie sich auch in verschiedenen Kommentaren hier auf dem Blog in den letzten Jahren gezeigt hat. Es wurde die Meinung vertreten, die ostgermanischen Stämme wären gar nicht vollständig abgewandert, sondern in Teilen in ihrer Heimat zurück geblieben und später "slawisiert" worden, und zwar durch das sogenannte "Kirchenslawische" (Wiki), das im Rahmen der Slawenmission durch Kyrill und Method eingeführt worden sei.

Vertreter solcher Sichtweisen waren vor allem der Breslauer und Kieler Germanist Professor Walther Steller (1895-1971) (Wiki) (Sühnekreuz), sowie in seiner Nachfolge der emeritierte Münchener Professor Helmut Schröcke (1922-2018) (Wiki). Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einer sogenannten "Slawenlegende" (Wiki). Es würde sich dabei mehr oder weniger um eine bewußte Geschichtsfälschung der Kirche handeln (3). 2015 erschien ein Buch, dessen Titel diese Theorie gut auf den Punkt bringt: "Der Slawen-Mythos - Wie aus Ostgermanen ein Volk der 'Slawen' mit fremder Sprache und Mythologie wurde". Es stammt von einem - offenbar schwer okkultgläubigen - Berliner Autor namens Árpád von Nahodyl Neményi (geb. 1958) (Wiki).

Wir hatten schon in früheren Beiträgen hier auf dem Blog angedeutet, daß sich die Erkenntnisse der Archäogenetik in den letzten Jahren in eine andere Richtung bewegen als von dieser kleinen Minderheiten-Meinung innerhalb der Wissenschaft angenommen. 2022 hatten wir darauf hingewiesen, daß die Goten genetisch ausgestorben sind und durch Slawen ersetzt worden sind (Stg2022, s.a. Stg2022a). Und wir hatten im selben Jahr im Artikel über die Archäogenetik des antiken Griechenlands hervor gehoben, daß die antiken Griechen weniger Steppengenetik in sich trugen als die heutigen Griechen (Stg2022b), ...

... die noch einen weiteren Zufluß dieser indogermanischen "Steppen"-Herkunft durch die Slawen des Frühmittelalter erhalten haben.

Und 2023 hatten wir getitelt "An der mittleren Donau - Die Goten sterben aus, unter den Awaren kommt es zur Zuwanderung der Slawen" und hatten als Grundgedanken formuliert "Unter den Großreichen von Turk-Völkern organisiert sich die slawische Völkerwelt" (Stg2023):

Die slawische Völkerwelt formierte und organisierte sich somit im Rahmen der Großreiche von Turk-Völkern und bestand dann bis heute fort, während jene Turk-Völker, von denen diese Großreiche getragen und organisiert gewesen waren - die Hunnen, Bulgaren, Awaren und Landnahme-Ungarn - heute in den meisten Teilen genetisch, sprachlich und kulturell längst wieder untergegangen sind.

Vermutlich ist auch diese These mit der neuen Studie bestätigt. Wir hatten auch auf den sehr differenzierten Wikipedia-Artikel zur Ethnogenese der Kroaten (Wiki) hingewiesen und diesen zitiert.

Abb. 12: Zwei Sorbinnen aus Bautzen 1950 (Wiki)

2023 waren wir zwischenzeitlich auch Theorien nachgegangen, nach denen sich die Ethnogenese der Slawen im südlichen Ostpreußen während der Mittelbronzezeit vollzogen haben könnte (Stg2023), was die neue Studie so nicht findet. Außerdem fragten wir in dem damaligen Beitrag anhand einer weiteren Theorie (Stg2023):

Eine Studie stellt genetische Kontinuität in der Provinz Posen von der vorgotischen Bevölkerung bis ins Mittelalter fest. 

Auch das ist durch die neue Studie nicht bestätigt worden, wie oben schon erwähnt wurde. Letztes Jahr hatten wir dann auf die "slawischen" Herkunftsanteile in Ostbayern hingewiesen (Stg2024),  

Außerdem noch der Hinweis: In der traditionellen "Rasseforschung" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde wie selbstverständlich ausgegangen von der Existenz einer sogenannten "ostischen Rasse". Schon 2019 hatten wir hier auf dem Blog hervor gehoben, wie wenig sich die slawischen und die germanischen Mitteleuropäer in ihrer groben Herkunftsgruppenzusammensetzung voneinander unterscheiden (Stg2019, s.a. Stg2022). Der kenntnisreiche "Nrken19" postet neuerdings dazu (X):

Proben aus der Zeit der slawischen Westausbreitung aus Polen weisen 45 % Steppengenetik, 16 % westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik (WHG), 36 % anatolisch-neolithische Bauern (EEF) und 2 bis 3 % sibirische Genetik auf, während die deutschen Proben 49 % Steppe, 17 % WHG, 34 % EEF und 0 % sibirische Genetik aufweisen.
Slavic period samples from Poland score 45% steppe, 16% WHG, 36% EEF and 2 to 3% Siberian while the German ones score 49% steppe, 17% WHG, 34% EEF and 0% Siberian.

Auch vier Prozent Unterschied im Anteil der Steppengenetik mögen schon - wie wir inzwischen wissen - insgesamt einen Unterschied machen. Dennoch sind die Unterschiede insgesamt gesehen denkbar gering. Es könnte allerdings auch vermutet werden, daß sich diese genetisch ähnlichen Völkergruppen Jahrtausende lang getrennt voneinander weiter entwickelt haben und deshalb sich über Selektion die Unterschiede doch noch in einer Weise vergrößert worden sind, die sich allein anhand der Herkunftsgruppen-Zusammensetzung gar nicht erkennen läßt.

Abb. 13: Weibliche Figur mit Horn - Auf dem vierseitigen Götterstein von Sbrutsch, Ostgalizien, 1000 n. Ztr. (Wiki)

Ergänzt sei noch: Um 1000 n. Ztr. wurde 70 Kilometer südwestlich der heutigen Kreisstadt Tarnopol in Ostgalizien, bzw. in der Westukraine der "Götterstein von Sbrutsch" (Wiki) aufgestellt. 1848 wurde er wieder entdeckt. Heute ist das Original in Krakau aufgestellt  (Wiki):

Die Säule ist vertikal in drei Ebenen unterteilt, die offenbar die Unterwelt, die menschliche Welt und die himmlische Welt darstellen sollen. Im unteren Bereich ist von drei Seiten eine Figur dargestellt, die die darüberliegende Welt trägt. Der russische Historiker und Archäologe Boris Rybakow identifizierte die Figur daher als Veles, den Gott des Totenreichs. Auf der mittleren Ebene sieht man Menschen (zwei Frauen und zwei Männer), die sich an den Händen halten und eine Art Reigen (Chorowod) ausführen, vermutlich im Zuge eines religiösen Rituals. Auf der oberen Ebene sind zwei weibliche und zwei männliche Figuren dargestellt, die aufgrund ihrer Größe und dominanten Position als Gottheiten interpretiert werden. Die weibliche Figur mit dem Ring identifiziert Rybakow als Lada, die Göttin der Liebe, der Ehe und des Frühlings. Die weibliche Figur mit dem Horn gilt als Mokosch, die Göttin der Weiblichkeit und der Fruchtbarkeit. Die männliche Figur mit dem Schwert und dem Pferd wird mit Perun in Verbindung gebracht, dem Gott des Donners und des Krieges. Die männliche Figur, unter der das Sonnensymbol angebracht ist, wird mit Chors oder Daschbog assoziiert.

Wenn man einmal festen Boden unter den Füßen hat bezüglich der Entstehung und Ausbreitung der Slawen, kann man den damit verbundenen archäologischen, sprachwissenschaftlichen und historischen Fragen noch nach vielen Richtungen hin weiter nachgehen. 

_________________

  1. Joscha Gretzinger, Felix Biermann, Hellen Mager, (...) Harald Meller, Walter Pohl, Zuzana Hofmanová, Johannes Krause: Ancient DNA connects large-scale migration with the spread of Slavs. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-09437-6. Published 03 September 2025 (Nature)
  2. Kurt von Zydowitz: Glaubensumbruch ein Verhängnis. 700 Jahre germanisch-deutsche Geschichte. Band 3: Geschichte der Deutschen im Osten. Verlag Mein Standpunkt, Westerstede 1984
  3. Wolff, Franz: Ostgermanien. Schwertine-Verlag 1965; ders.: Ostgermanien. Waren die Ostvölker Slawen? Widerlegung einer polnischen Legende. Grabert-Verlag, Tübingen 1977

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