Mittwoch, 6. April 2022

Die westsibirischen Jäger und Sammler in der Taklamakan

Eine große mesolithische Völkergruppe zwischen Kaspischem Meer und Baikalsee
- Zwei neue archäogenetische Studien lassen ihr Kerngebiet und ihre Schicksale deutlicher erkennbar werden

Im Oktober 2021 ging eine überraschende Meldung durch die Fachwelt: Die ältesten Wüstenmumien der Taklamakan sind gar nicht europäischer, indogermanischer Herkunft, sondern einheimischer Herkunft (1). Dieser Blog brauchte eine Weile, um diese Meldung zu "verdauen". Aber jetzt, wo man es für sich anfängt einzuordnen, muß man sich sagen: Nichts ist naheliegender als dieser Umstand.

Bis 2021 sind also die Wüstenmumien in der Taklamakan aus der Zeit um 2.000 v. Ztr., denen vorwiegend europäisches Aussehen zugesprochen worden war, ganz selbstverständlich als vorwiegend indogermanisch angesprochen worden - so wie das auch in älteren Beiträgen hier auf dem Blog geschehen ist. Nach neuesten archäogenetischen Untersuchungen der Jahre 2021 und 2022 weisen die Wüstenmumien und anderen Menschenfunde der Taklamakan aber zumindest in der Frühbronzezeit - um 2.000 v. Ztr. - eine sehr einheitliche einheimische westsibirische Jäger-Sammler-Genetik auf.

Ähnliches könnte deshalb auch für die kulturellen Elemente gelten, die im Zusammenhang mit diesen Wüstenmumien so eindrucksvoll feststellbar sind. Zwar sind westliche Einflüsse in ihnen unübersehbar - domestizierte Tier- und Pflanzenarten, die sowohl von den bronzezeitlichen Indogermanen im Norden des Tianshan wie von der bronzezeitlichen Marghiana-Kultur im Westen übernommen worden sein könnten. Viele andere kulturelle Elemente könnten aber - nach derzeitigem Forschungsstand - nun ebenso einheimischen Ursprungs sein wie die Genetik - und vielleicht auch die Sprache - dieser Menschen. Durch die neuen archäogenetischen Erkenntnisse sind diesbezüglich dieser Themen also ganz neue Fragen aufgeworfen worden.

Abb. 1: Zwischen Kaspischem Meer und Baikalsee - Verbreitungsgebiet der westsibirischen Jäger und Sammler - Route mit Fundorten, an denen ihre Genetik gefunden wurde; weitere Fundorte liegen im Süden und Osten der Wüste Taklamakan (untere Bildmitte) (G-Maps) - Gebirgszüge ihrer Heimat sind Pamir, Tianshan und Altai

Im westlichen Asien allgemein, also zwischen Kaspischem Meer und Baikalsee schälen sich damit immer deutlicher die westsibirischen Jäger und Sammler (Wiki) als ein mesolithisches Ursprungsvolk heraus. Es hatte eine ähnlich weite Verbreitung wie die beiden zeitgleichen großen mesolithischen Ursprungsvölker Europas (Stgen2020). Es war nach Norden zumindest bis Nordkasachstan verbreitet (dort repräsentiert durch die nachherige Botai-Kultur, die 25 % ihrer Genetik von ihnen geerbt hatte), im Süden war sie verbreitet bis in den Ost-Iran, traditionell Turan-Region genannt (Stgen2018), also vielleicht bis an das Ostufer des Kaspischen Meeres (repräsentiert in der nachherigen Marghiana-Kultur mit 13 %), das liegt 3000 Kilometer südlich von Nordkasachstan. Das ist eine Entfernung als ob man drei mal quer durch Deutschland reisen würde von Norden nach Süden.

Sie war verbreitet bis an den Süd- und Ostrand der Taklamakan und wird dort repräsentiert durch die ältesten Wüstenmumien der Taklamakan, die wohl zu 100 % ihre Genetik repräsentieren. So das Ergebnis der erwähnten Studie aus dem Oktober 2021 (1). Es handelt sich hier um die sogenannte Xiaohe-Kultur (Wiki, engl) am Tarim-Fluß , benannt nach einem dortigen berühmten Fundort. 

Im Osten war sie dann noch verbreitet bis zum Baikal-See. Zumindest lebte am Baikalsee eine diesem Ursprungsvolk sehr nah verwandte Vorfahrengruppe (G-Maps). 

Diese Herkunftsgruppe trug zur Entstehung bei unter anderem

  1. der Marghiana-Hochkultur in Tadschikistan (3.900-2.800 v. Ztr.) (Wiki) (13% der Genetik derselben),
  2. der Botai-Kultur in Nordkasachstan (3.700-3.100 v. Ztr.) (Wiki, engl) (25% der Genetik derselben), 
  3. der Chermurchek-Kultur (2.750-1.900 v. Ztr.) zwischen Tianshan- und Altai-Gebirge (~20% der Genetik derselben) 
  4. der Xiaohe-Kultur (Wiki, engl) am Tarim-Fluß (2.000 v. Ztr.) (100% der Genetik derselben)
  5. der Altai-Skythen, bzw. der Pazyryk-Kultur (20 bis 40% der Genetik).

Womöglich - womöglich! - sind diese Altai-Skythen die Vorfahrengruppe, die - anteilig - zur Entstehung der Turkvölker in Asien beigetragen hat, die sich im weiteren Verlauf bis nach Anatolien ausgebreitet haben. Womöglich.*) Im einzelnen ist zu dieser Aufzählung zu sagen:

  1. Die Marghiana-Kultur entstand durch Vermischung mit iranisch-neolithischen Bauern (die auch schon einen anatolischen Herkunftsanteil in sich trugen) (die zusammen 87 % zu ihrer Genetik einbrachten).
  2. Die Botai-Kultur entstand durch Vermischung mit osteuropäischen Jägern und Sammlern (die 75 % ihrer Genetik einbrachten).
  3. Die Chermurchek-Kultur ging hervor aus der Marghiana-Kultur - aber vermischt zu 60 bis 80 % mit Nachfahren der Botai-Kultur. 
  4. Die Xiaohe-Kultur (Wiki, engl) am Tarim-Fluß (2.000 v. Ztr.) hatte um 2.000 herum "westliche" Lebensweise angenommen, aber 100% der Genetik ihrer örtlichen Vorfahren beibehalten.
  5. Die Altai-Skythen entstanden durch Vermischung von Nachkommen westsibirischer Jäger und Sammler mit Indogermanen der zweiten indogermanischen Ostwanderung (Andronowo-Kultur) (die Indogermanen brachten 60-80 % zu ihrer Genetik ein) (Stgen2018).

Parallel zu den schon gut verstandenen Ursprungsvölkern Europas (Stgen2020) schält sich damit ein weiteres, sehr weit verbreitetes Ursprungsvolk heraus. In seiner Entstehung, Abgrenzung von anderen Ursprungsvölkern, sowie seinen nachfolgenden Schicksalen ist es allderdings immer noch erst in viel gröberen Umrissen erkennbar als das für die europäischen Ursprungsvölker gilt.

Völkergeschichte der Taklamakan - Die Nebel lichten sich

Im Oktober 2021 und Ende März 2022 sind zwei neue archäogenetische Studien erschienen zur Völkergeschichte jener Region, die durch die berühmten - europäisch anmutenden - Wüstenmumien der Taklamakan seit zwei Jahrzehnten zumindest in Fachkreisen so mancherlei Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

Mit ihnen hat die Völkergruppe der westsibirischen Jäger und Sammler einen deutlicheren Umriß erhalten. Denn mit ihnen wird verstanden, daß Angehörige dieser Völkergruppe auch im Tarim-Becken gelebt haben und mit ihren Nachkommen in kleineren Anteilen genetisch Einfluß genommen haben auf die nachfolgende Völkergeschichte dieser Region. Die Genetiker sagen, daß diese Jäger und Sammler den "Ancient North Eurasian" (Wiki) nahestanden, die um 15.000 v. Ztr. am Jennissei in Sibirien lebten (Fundort Afontova Gora), also unmittelbar nördlich des von uns angedeuteten Ausbreitungsgebietes der westsibirischen Jäger und Sammler. Viel muß das - für sich genommen - noch nicht heißen. Denn auf diese "Ancient North Eurasian" werden ja auch viele andere Ursprungsvölker zurückgeführt (Wiki). Aber schon die räumliche Nähe läßt diese These bezüglich der westsibirischen Jäger und Sammler besonders naheliegend erscheinen.

In der Botai-Kultur ist diese Herkunftsgruppe zum ersten mal festgestellt worden. Wir stellen eine Karte mit den auf Wikipedia genannten Fundorten dieser Kultur zusammen (G-Maps) (s.a. Abb. 1). Das ist einerseits das namengebende Dorf Botai (Wiki) am Fluß Imanburlyq (Wiki) in Nordkasachstan. Und das ist andererseits der Fundort Krasny Jar (Wiki) im östlichen Kasachstan. Beide Fundorte liegen grob 1.500 Kilometer voneinander entfernt.

Die Botai-Kultur entwickelte sich vergleichsweise spät, nämlich zeitlich parallel zur Marghiana-Kultur im Süden ihres Verbreitungsgebietes. Von Botai bis in den Ost-Iran, bis nach Turan, wo die westsibirische Herkunftskomponente als Teil der Marghiana-Kultur ebenfalls nachgewiesen wurde, sind es - wie gesagt - 3.000 Kilometer.

Von Krasny Jar bis Tekes an der Südgrenze Kasachstans und bis an die Nordhänge des Tianshan-Gebirges sind es 1.500 Kilometer (G-Maps).Von Aksu auf der dortigen Südseite des Tianshan über Lopnor bis zur Südseite der Taklamakan sind es 1.000 Kilometer (G-Maps). Diese Region gehört - nach den genannten Studien (1, 2) - neuerdings ebenfalls zum Verbreitungsgebiet der westsibirischen Jäger und Sammler. Aus archäogenetischer Sicht hatten wir über die Botai-Kultur hier auf dem Blog 2020 festgehalten (Stgen2020):

"Die Angehörigen der Botai-Kultur gehörten zu der Völkergruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler, hatten sich aber zu etwa einem Viertel mit den westsibirischen Jägern und Sammlern, die am Baikal-See gelebt haben, vermischt."

Es mag dahin stehen, ob diese Ausführungen - seit die neueren Studien erschienen sind - schon das letzte Wort zu dieser Sache waren. In der Oktober2021-Studie heißt es dazu (1):
Die früh- und mittelbronzezeitlichen Individuen von den Fundorten Xiaohe und Gumugou im östlichen Tarimbecken bilden eine enge Verwandtschaftsgruppe mit vorbronzezeitlichen zentralasiatischen und sibirischen Individuen, die alle einen hohen Anteil an Ancient North Eurasian Herkunft miteinander teilen (zum Beispiel die kupferzeitliche Botai-Kultur). Ein zeitgleiches Individuum vom Fundort Beifang im südlichen Tarim-Becken steht sogar den frühbronzezeitlichen Individuen der Baikal-Region genetisch noch näher.
The EMBA individuals from the eastern Tarim sites of Xiaohe and Gumugou (Tarim_EMBA1) form a tight cluster close to pre-Bronze Age central steppe and Siberian individuals who share a high level of ancient North Eurasian (ANE) ancestry (for example, Botai_CA). A contemporaneous individual from the Beifang site (Tarim_EMBA2) in the southern Tarim Basin is slightly displaced from the Tarim_EMBA1 towards EBA individuals from the Baikal region.
Weiter heißt es (1):
Die frühebronzezeitlichen Tarim-Gruppen formen, obwohl sie über 600 Kilometer Wüste voneinander entfernt sind, eine genetisch homogene Population, die einen einschneidenden populationsgenetischen Flaschenhals durchlaufen hat, wie dies durch die hohe genetische Verwandtschaft untereinander und durch die wenig enge genetische Verwandtschaft nach außen nahegelegt wird, ebenso wie durch die begrenzte Vielfalt ihrer nur männlich  oder weiblich weitergegebenen Haplogruppen.
The Tarim_EMBA1 and Tarim_EMBA2 groups, although geographically separated by over 600 km of desert, form a homogeneous population that had undergone a substantial population bottleneck, as suggested by their high genetic affinity without close kinship, as well as by the limited diversity in their uniparental haplogroups.

Und weiter (1): 

Wir modellierten die Individuen des Tarimbeckens als eine Vermischung von zwei einheimischen eiszeitlichen asiatischen genetischen Gruppen: die Ancient North Eurasian, wie sie von einem Individuum von dem Fundort Afontova Gora aus dem Oberen Paläolithikum in der Unteren Jennissei-Region in Sibirien bekannt geworden sind (AG3) (72%) und einer eiszeitlichen nordostasiatischen Population, die durch die bronzezeitlichen Baikal-Menschen repräsentiert werden (etwa 28%).
We modelled the Tarim Basin individuals as a mixture of two ancient autochthonous Asian genetic groups: the ANE, represented by an Upper Palaeolithic individual from the Afontova Gora site in the upper Yenisei River region of Siberia (AG3) (about 72%), and ancient Northeast Asians, represented by Baikal_EBA (about 28%).

Die Genetiker sprechen dieses Tarim-Volk sogar als die eigentlichen Vertreter der westsibirischen Jäger-Sammler-Genetik an, die ja sonst in ursprünglicher Form noch nirgendwo gefunden worden war und die anderwärts (Baikal, Botai, Turan usw.) nur in Anteilen zu finden war. Sie sprechen von einer "isolierten Population". Sie schreiben (1): 

Die Genome der Tarim-Mumien geben uns einen Referenzrahmen für die genetische Modellierung nacheiszeitlicher Populationen und für die Rekonstruktion der Völkergeschichte Asiens.
The Tarim mummy genomes thus provide a critical reference point for genetically modelling Holocene-era populations and reconstructing the population history of Asia.

Das Tarim-Volk ist laut dieser Studie schon vor etwa 10.000 Jahren - also als Jäger und Sammler - entstanden.

Obwohl es sich also um ein völlig einheimisches Volk zu handeln scheint, scheint es die Haltung domestizierter Tiere - Schafe, Ziegen, Rinder - und damit einhergehende Käse-Herstellung, sowie den Anbau von Getreide - Weizen, Gerste - schon im Späten Neolithikum und in der Frühen Bronzezeit von außen angenommen zu haben (ähnlich wie die Botai-Kultur im nördlichen Kasachstan). Angeborene Rohmilchverdauung liegt bei diesem ursprünglichen Tarim-Volk - wie auch sonst in dieser Zeit auf der Welt - nicht vor. Der Genetiker Spencer Wells schrieb zu dieser Studie auf Twitter etwas verdaddert (Tw):

Ich muß ständig an diese Ancestral-North-Eurasians denken, die Jahrtausende im Tarim-Becken lebten, völlig isoliert, und die dann plötzlich entschieden: "warum nicht, klar wir übernehmen in Gänze eure Steppenkultur - aber keinerlei Vermischung ("Fraternisierung")."
Original: Can’t stop thinking about those Ancestral North Eurasians chilling in the Tarim basin for thousands of years, completely isolated, then suddenly deciding "why yes, we will adopt your steppe culture in its entirety - but no fraternizing."

Nun, das sind typische Äußerungen der ersten Überraschung. Nachdem er das länger auf sich hat wirken lasen, wird Spencer Wells - so wie wir - dazu sagen: Dasselbe sehen wir ja inzwischen auch bei anderen indogermanisch beeinflußten oder eine indogermanische Sprache sprechenden Völkern, die aus dem Kaukasus in Anatolien einwanderten (Hurriter, Mitanni, Hethiter und andere). Auch hier wurden Elemente der Steppenkultur übernommen, sogar ihre Sprache, sogar ihre Mentalität, ohne daß - bislang zumindest - ein nennenswerter genetischer Einfluß der Indogermanen in diesen Völkern hat gefunden werden können. Ähnliches findet sich auch sonst in ganz unterschiedlichen Regionen in Europa im Spätneolithikum und in der Bronzezeit (auf Sardinien etwa oder im Ostseeraum). Und ähnliches wäre - dementsprechend - natürlich auch für das Tarim-Becken denkbar. 

Aber dort muß man sich sowieso erst einmal mit dem archäologischen Kenntnisstand genauer vertraut machen, bevor man vorschnell Urteile fällt. Die Einwicklungen dort erstrecken sich ja ebenfalls über viele Jahrtausende. Und die wenigsten Menschen im Westen hatten bislang zu diesen Jahrtausenden einen guten Überblick. Auch dieser Blog hat sich erst vor zwei Jahren angefangen, in die dortige Jahrtausende alte Geschichte einzuarbeiten.

4.000 v. Ztr. - Eine erste iranische Hochkultur breitet sich bis zum Altai-Gebirge und bis zur Seidenstraße aus

Wenn wir also einen weiteren Überblick gewinnen wollen über die Entwicklungen in der Völkergeschichte Innerasiens und im Tarim-Becken, tun wir gut daran, uns zunächst den archäologischen Forschungsstand in Umrissen vor Augen zu führen. An entlegener Stelle hatten wir das hier auf dem Blog auch schon im November 2020 getan (Stgen2020). Da wir das aber sowieso auch uns selbst alles noch einmal erneut in Erinnerung rufen müssen, referieren wir hier noch einmal das dort Zusammengestellte. Wir hatten geschrieben:

... Noch einige Eindrücke von dem aktuellen Forschungsstand zum Spätneolithikum und zur Bronzezeit Innerasiens (10-16).

Die spätneolithischen und bronzezeitlichen Ausbreitungsbewegungen europäischer Völker und Kulturen bis an den Nord- und Westrand Chinas werden aus archäologischer Sicht immer genauer nachvollziehbar (10-12). Im November 2020 waren wir auf eine Grafik gestoßen, die gerade die früheste dieser Ausbreitungsbewegungen sehr gut zusammen faßt nach dem derzeitigem Forschungsstand (Abb. 2) (10). Diese Grafik wurde erstellt, um insbesondere die Einführung von westlichem Weizen und westlicher Gerste nach China besser verstehen zu können.

Abb. 2: Kulturen zwischen Tadschikistan und Mongolei ab 4.000 v. Ztr. - Die iranisch-neolithische "Oxus-Zivilisation" (BMAC) breitet sich ab 3.900 v. Ztr. aus, die indogermanische Afanassiewo-Kultur ab 3.300 v. Ztr. (aus: 10)

Dargestellt ist auf dieser, wie die hier auf dem Blog schon behandelte iranisch-neolithische Hochkultur der Marghiana (auf der Karte benannt als "Oxus-Zivilisation") (Wiki) (Stgen2019) *) sich vom Ost-Iran (Turan) (Gonur Tepe), bzw. von Tadschikistan aus am Nordhang des Tianshan-Gebirges entlang bis in den Süden des Altai-Gebirges ausgebreitet. In ihren östlichen Teilen, insbesondere im Altai-Gebirge wird diese Kultur von den Archäologen "Chemurchek-Kultur" benannt. 

Mit der Chemurchek-Kultur (2.750-1.900 v. Ztr.) im Altai-Gebirge hatten wir uns ebenfalls schon beschäftigt. Dieses Volk hatte - nach früheren Ausführungen - zu 60 bis 80 % genetische Botai-Herkunft und zu 20 bis 40 % iranisch-neolithische Marghiana-(BMAC-)Herkunft. Die einheimische Botai-Genetik hat im Norden des Altai 80 % betragen, im Süden des Altai 60 %. Mit dieser Chermurchek-Kultur hat sich also ebenfalls in kleineren Anteilen erneut einheimische, westsibirische Jäger-Sammler-Genetik in dieser Region ausgebreitet (Stgen2020).

Die anthropomorphen Stelen dieser Kultur gleichen sehr zeitgleichen anthropomorphen Stelen in Europa und Arabien (Abb. 3) (13). Im Westen sind sie - neben anderem - ein Anzeichen von "Hochadel", der also damit auch in der Chermurchek-Kultur anzunehmen ist, zumal diese ja aus der Marghiana-Hochkultur hervorgegangen ist. Diese Kultur ist gerade erst neu von den Archäogenetikern eingeordnet worden - wie wir in einem früheren Beitrag berichteten (Stgen2020). Die Archäologen benennen als einen Ausgangsort dieser Kultur (12, S. 6) ...
... den Fundort Sarazm in Tadschikistan am Zarafshan-Fluß, flankiert von Bergen und unterhalb der Oase von Samarkand. In der Keramik findet man Einflüsse aus der südlichen zentralasiatischen Oasenkultur von Namazga II. In Sarazm finden sich Belege für Weizenanbau 3.905-3.645 v. Ztr..
... the site of Sarazm in Tajikistan, on the Zarafshan river, flanked by mountains and upstream from the oasis of Samarkand. (...) The ceramic forms (...) reflect influences from the south Central Asian oasis culture of Namazga II. Sarazm has evidence for wheat cultivation (T. aestivum/ durum) from the mid-4th millennium BCE (3905-3645 cal. BCE) (Isakov, 1996; Isakov et al., 1987; Spengler & Willcox, 2013).

Diese Hochkultur also hat sich von der Region des östlichen Iran und von Samarkand aus bis zum Altai-Gebirge hin ausgebreitet.

Abb. 3: Die anthropomorphen Stelen der Chermurchek-Kultur, die sowohl Männer wie Frauen des Hochadels dieser Kultur darstellen (aus: 12) - Sie ähneln stark zeitgleichen aus ganz Europa (13)

3.000 v. Ztr. - Die ersten Indogermanen kommen

Grob tausend Jahre später erfolgte dann im nördlichen Steppen-Raum die Ausbreitungsbewegung der ersten Welle der Indogermanen, der indogermanischen Afanassiewo-Kultur, ebenfalls bis zum Altai-Gebirge. 

Nachkommen dieser ersten indogermanischen Zuwanderung lebten bis in die Eisenzeit in der Dsungarei, an Fundorten wie Shirenzigou. Auch die Oktober2021-Studie bestätigt, daß in der Dsungarei (u.a. am Fundort Shirenzigou) ab etwa 3.000 v. Ztr. sowohl kulturell wie genetisch die erste Welle der indogermanischen Zuwanderung in Form der Afanassjewo-Kultur (Wiki) festgestellt werden kann. Der Verbreitungsraum dieser Kultur erstreckte sich zwischen den Nordhängen des Tianshan und den Südhängen des Altai-Gebirges. Aus Sicht der Archäologie Xianjiang's wird dazu referiert (12, S. 5):

Im Nordwesten hatte sich die Afanassiewo-Kultur ausgebreitet, deren Zentrum westlich des Altai und im Minusinsk-Tal lag. Sie repräsentiert den frühesten Beleg für spätneolithisch/bronzezeitliche Herdenhaltung in der östlichen Steppe und ist jüngst auf 3.300 bis 2.500 v. Ztr. datiert worden. Die wirtschaftliche Grundlage der Afanassiewo-Kultur beruhte zu bis zu 50 % auf der Jagd, außerdem auf der Haltung einer Mischung von domestizierten Herdentieren, wobei Schafe und Ziegen mit Rindern kombiniert wurden. Weizenkörner, die auf 3.000 v. Ztr. datiert werden, sind jüngst in Verbindung mit Afanassiewo-Keramik an dem Fundort Tongtiandong im westlichen Xinjiang am Südufer des Irtysch-Flusses gefunden worden.
Original: To the northwest was the Afanasievo, centred on the western Altai and Minusinsk basin. It represents the earliest evidence for Éneolithic/ Bronze Age herding in the eastern steppe region (Frachetti, 2008, 2012) and has been recently dated to 3300-2500 cal. BCE (Svyatko et al., 2009). The Afanasievo economy included up to 50% reliance on hunting, together with a mix of domestic herds combining sheep/goat and cattle. Wheat grains dating from c. 3000 BCE associated with Afanasievo pottery have recently been found at the site of Tongtiandong in western Xinjiang on the south bank of the Irtysh river (Yu & He, 2017).

Neben Jagd und Herdenhaltung ist von Seiten der Afanassiewo-Kultur also auch Ackerbau getrieben worden. Der Irtysch (Wiki) ist ein Fluß, der im Altai entspringt. Er fließt durch die weiten Steppen Kasachstans und erreicht über sie östlich des Urals das Westsibirische Tiefland. Er fließt insbesondere durch die Stadt Omsk und mündet schließlich in den Ob (Wiki), mit dem zusammen er den Arktischen Ozean erreicht. Der Irtytsch spielt auch für die Geschichte des ugrischen Volkes der Chanten, die eng mit dem nordsibirischen Volk der Nganasanen verwandt sind, eine große Rolle (siehe Blogbeiträge von Anfang 2022).

2.000 v. Ztr. - Die zweite Welle der Indogermanen kommt

Die Archäologen schreiben (12):

Die Chermurchek- und Xiaohe-Kulturen entstanden aus Populationen des Altai und der Mongolei, sowie aus eurasischen Populationen heraus, während sich eine dritte frühe Gruppe, die Tianshanbeilu-Kultur am östlichen Ende des Tianshan von Oasen-Bauern in Gansu und dem Hexi-Korridor herleitet. Im frühen 2. Jahrtausend v. Ztr. breiteten sich neue eurasische, bäuerliche Herdenhalter vom Westen her aus, die dieselben Landstriche besiedelten wie die Chemurchek-Kultur. Sie breiteten sich entlang der westlichen Hügel und Berge von Xianjiang aus, entlang des Tianshan Richtung Osten und nach Süden in den Pamir bis an das westliche Ende der tibetischen Hochebene. Diese Gruppe wies im Großen und Ganzen eine Ähnlichkeit auf mit dem Andronowo-Kultur, die sich weit über Eurasien in der späteren Bronzezeit ausbreitete, am meisten mit der östlichen Federowo-Variante.
Qiemu’erqieke and Xiaohe/Gumugou emerged out of Altaic/Mongolian and east Eurasian populations [11–13], while a third early group, the Tianshanbeilu culture, appearing in the oasis of Hami at the eastern end of the Tianshan, had its ancestry to the east in early oasis farming populations in Gansu and the Hexi Corridor. [10, 14]. By the early 2nd millennium BCE, new Eurasian agro-pastoralists moved in from the west, occupying some of the same lands as the southerly expansion of Qiemu’erqieke peoples. They spread into the western hills and mountains of Xinjiang, along the Tianshan towards the east, and south into the Pamirs, close to the western end of the Tibetan Plateau. This group shared broad affinity with the loosely defined Andronovo complex that appeared widely across Eurasia in the later Bronze Age [15–17], more specifically the eastern Federovo variant [18].

In den Oasenstädten der Seidenstraße ist in späteren Jahrtausenden auch Tocharisch, eine westindogermanische Sprache gesprochen worden. Von dieser Sprache möchten wir hier auf dem Blog auch gerne annehmen, daß sie erst mit der zweiten Welle der indogermanischen Ausbreitung nach Innerasien gelangt ist. Aber das ist alles gegenwärtig noch Spekulation.

Abb. 4: Die bronzezeitliche Chemurchek-Kultur südlich des Altai-Gebirges (2.500-1.700 v. Ztr.), die Xiaohe-Kultur am Tarim-Fluß (2.200-1.500 v. Ztr.) (aus: 3)

Von der Xiaohe-Kultur wird von Seiten der Archäologen gesagt, daß sie weitgehend akeramisch gewesen sei und von dem Anbau von Weizen und Gerste, sowie von Rinderhaltung lebte (12, S. 4f). Daß die Xiaohe-Kultur von anderen Kulturen abgeleitet werden könnte, etwa von der Chermurchek-Kultur wird von den Archäologen aufgrund des sehr unterschiedlichen kulturellen Inventar-Vergleichs - auffallenderweise - verneint. 

Damit soll nur ausschnitthaft einiges zum archäologischen Forschungsstand jener Völker und Kulturen gesagt werden.

Die frühbronzezeitliche Bevölkerung des Tarim-Beckens weist noch keine europäische Herkunft auf

Am 21. Oktober 2021 war die Überraschung perfekt: In Menschenfunden der Frühen und Mittleren Bronzezeit im Tarimbecken war keine europäische oder Steppen-Genetik gefunden worden (1). Betitelt war die Studie "Die genetischen Ursprünge der Tarim-Mumien". Das verleitete zunächst leicht zu dem Mißverständnis, daß es ganz allgemein um die Tarim-Mumien ginge. Tatsächlich geht es aber nur um die ältesten Mumien-Funde aus der Zeit zwischen 2.100 und 1.800 v. Ztr.. Mit der Studie war also noch nichts über die jüngeren Wüstenmumien gesagt.

Mitautoren der Studie waren - neben vielen Chinesen - Johannes Krause und Christina Warinner, zwei Autoren, die einen Zweifel an der Seriosität der Studie erst gar nicht aufkommen lassen. Ebensowenig der Ort, an dem die Studie veröffentlicht worden war, nämlich "Nature". Der Archäogenetiker Lazaridis schrieb auf Twitter sehr richtig und sehr differenziert (Tw): 

"Das ist eine hoch interessante Studie! Sehr schön wäre gewesen, wenn phänotypische Informationen zu den untersuchten Individuen und - aus dem Genom heraus - voraussagbare Phänotypen zugänglich wären, um die Korrespondenz zu sehen - wenn es eine solche gibt - mit jenen Mumien, die in der westlichen Welt durch Viktor Mair und andere bekannt gemacht worden sind."
"This is a very interesting study! It would have been nice if phenotypic information on the studied individuals and predicted phenotypes were available, to see the correspondence -if any- with the mummies popularized in the West by V. Mair and others."

Auch seine erste Äußerung enthalt viel Überraschung. Nun, dazu ist eben jetzt Ende März eine zweite Studie erschienen, in der auch dieser Frage genauer nachgegangen wird (siehe gleich).

Damit ist allerdings weiterhin ungeklärt, wie eine westindogermanische Sprache bis an den Ostrand des Ausbreitungsgebietes der Indogermanen gelangen konnte. Die Forscher schreiben (1): 

(Archäogenetische) Studien zu den Fundorten und Zeitepochen, an und in denen die tocharischen Texte des ersten Jahrtausends entdeckt worden sind, sind notwendig, um die spätere Völkergeschichte des Tarimbeckens zu verstehen.
Studies of the sites and periods where first millennium ad Tocharian texts have been recovered - are necessary to understand the later population history of the Tarim Basin.

Als nächstverwandte Sprachen zum Tocharischen werden oft Hethitisch, Luwisch und Lykisch genannt (die indogermanischen Sprachen in Anatolien) (Wiki). Das würde heißen, daß sich die Tocharer von den Vorfahren dieser drei Völker, die womöglich nördlich des Kaukasus lebten, abgespalten haben und gen Osten gewandert sind, womöglich grob um 2.000 v. Ztr.. 

Man könnte - womöglich ganz willkürlich - mutmaßen, daß die Andronowo- und Sintashta-Kultur das Muttervolk aller Satem-Sprachen ist, und daß die südlicher existierende Poltavka-Kultur das Muttervolk von Hethitisch, Luwisch und Lykisch ist. Dabei wäre zu mutmaßen, daß die Glockenbecher-Kultur und die Schnurkeramik-Kultur im Westen sprachlich der Poltavka-Kultur näher gestanden hätten, da sie ja wie Tocharisch, Hethitisch, Luwisch und Lykisch Kentum-Sprachen blieben. Wilde Spekulation, ja. Aber jetzt, wo deutlich wird, daß die Zuwanderung der Tocharisch-Sprachigen in spätere Jahrhunderte fallen könnte als 1.700 v. Ztr., dürften solche Gedankengänge womöglich neu zu erörtern sein.

***

Nun die neueste archäogenetische Studie, die direkt aus China kommt. Sie präsentiert die archäogenetischen Daten von etwa 100 Individuen aus dem Tianshan-Gebirge, dem Tarim-Becken und der Dsungarei aus der Zeit zwischen 2000 v. Ztr. bis bis zur Zeitenwende (0 v./n. Ztr.), also aus Bronzezeit, Eisenzeit und Antike (3) (Abb. 1). 

Abb. 5: Fundorte der sequenzierten Menschenfunde - Die Funde in der Dsungarei sind vorwiegend Die bronzezeitlich (orange), im Tianshan-Gebirge und im Südrand des Tarim-Beckens vorwiegend eisenzeitlich (grün und blau) (aus 3)

Zu den Ergebnisses berichtet die "Chinesische Akademie der Wissenschaften" (4):

"Zusammengefaßt tragen bronzezeitliche Xinjiang-Populationen eine lokale Herkunftskomponente des Tarim-Beckens in sich, vermischt mit Herkunftsanteilen von drei unterschiedlichen Gruppen, die an das Tarim-Becken angrenzten: Menschen der Afanassiewo-Kultur (einer indoeuropäischen Steppenkultur), Menschen der Chermurchek-Kultur (die BMAC-Herkunft aus Zentralasien mit sich brachte) und Herkunft von einer nordostasiatischen Population, die Shamanka genannt wird.
"In all, Bronze Age Xinjiang populations were found to contain ancestral components of the 'local' Tarim Basin population mixed to varying degrees with those of three groups from the surrounding regions: the Afanasievo, an Indo-European-associated Steppe culture, a group called the Chemurchek, who contained BMAC ancestry from Central Asia, and ancestry from a Northeast Asian population called the Shamanka," said  Prof. FU, the last corresponding author of this paper.

Shamanka (Wiki) ist eine kleine Ortschaft in der Republik Burjatien (Wiki), die zu Rußland gehört. Die Republik Burjatien liegt am Ostufer des Baikalsees und reicht bis zum Jablonowy-Gebirge. Die dort lebenden Burjaten (Wiki) bilden die nördlichste Sprach- und Volksgruppe der heutigen Mongolen.

Abb. 6: Herkunftsanteile der sequenzierten Menschenfunde (aus 3)

In der beigegebenen Grafik (Abb. 6) sehen wir für die Bronzezeit ("BA"),

  • daß sich Afanassiewo-Leute (hellgrün) mit westsibirischer Jäger-Sammler-Genetik (hellblau) und mongolischer Genetik (rosa) vermischt haben (vermutlich Vorfahren der Altai-Skythen),
  • daß sich iranisch-neolithische Genetik (BMAC) mit westsibirischer Jäger-Sammler-Genetik (hellblau) und mit "karelischer" Genetik (grau) (ugrischer Nganasanen-Genetik?) vermischt haben (vermutlich Chermurchek-Kultur),
  • daß sich westsibirische Jäger und Sammler (rosa) mit Menschen mit mongolischer Genetik vermischt haben (welche Kultur?),
  • daß es (ab 2.000 v. Ztr.) Menschen mit reiner Andronowo-Genetik gegeben hat (orange),
  • daß sich Menschen mit Andronowo-Genetik mit Menschen der Chermurchek-Kultur (braun/rosa) vermischt haben.

Für die Eisenzeit ("IA") sehen wir, daß sich in größeren Herkunftsanteilen in den Menschen und Kulturen Afanassiewo-Genetik, Andronowo-Genetik, monoglische Genetik, westsibirische Jäger-Sammler-Genetik, BMAC-Genetik miteinander mischt. Dasselbe gilt für die Antike ("HE"). Wir sehen also

  • (einheimische) westsibirische Jäger-Sammler-Herkunft ("AfontovaGora3", "TMBA") (dunkelgrün / hellblau)
  • iranisch-neolithische Marghiana-Herkunft (BMCA, "Gonur2") (braun / gelb) 
  • mongolische Burjaten, bzw. "Shamanka"-Herkunft (rosa)
  • Afanassiewo-Herkunft der ersten indogermanischen Ostwanderung (hellgrün),
  • Andronowo-Herkunft (orange) und daraus folgend Sintashta-Herkunft (hell-orange) der zweiten indogermanischen Ostwanderung.

"TMBA" steht für "Tarim Bronzezeit" und repräsentiert die lokale, einheimische, sibirische Jäger-Sammler-Herkunftskomponente. Diese ist - offenbar - sowohl dunkelgrün wie auch hellblau gekennzeichnet. Die ältesten Funde dieser Herkunftsgruppe stammen vom Jennissei in Sibirien aus der Zeit um 15.000 v. Ztr. (Fundort Afontova Gora). Dort fanden sich auch die bislang frühesten Belege für blonde Haarfarbe weltweit. Somit muß es gar nicht so überraschend erscheinen, daß die Wüstenmumien so "europäisch" aussehen.

"Karelia" steht (offenbar) für die mesolithische Jäger-Sammler-Population in Karelien. Diese wird in der Studie mal eben so parallel gesetzt mit der sibirischen Botai-Herkunftsgruppe (3; Suppl, S. 5). Hier sind uns die Zusammenhänge noch nicht ganz klar.

Sicher scheint zu sein: Von der "Afontova Gora"-Jennissei-Bevölkerung aus der Zeit um 15.000 v. Ztr. stammt - nach jetzigem Kenntnisstand - sowohl die weit verbreitete Herkunftsgruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler ab (die sich doch eigentlich auch bis Karelien ausgebreitet hatte - ?) wie auch die Botai-Herkunftsgruppe wie auch die Herkunftsgruppe des Tarim-Beckens. Dabei könnte sich aber zum Beispiel die blonde Haarfarbe nur bei den osteuropäischen Jäger und Sammlern gehalten haben, während sich andere Merkmale nur bei den Botai- oder den Tarim-Jägern- und Sammlern gehalten haben könnten. Will heißen: Womöglich haben alle drei Tochter-Populationen noch lange Phasen der Isolation voneinander durchlaufen.**)

Wie es zu diesen drei Tochter-Populationen gekommen ist - ausgehend von der Jennissei-Population um 15.000 v. Ztr. - und welche selektiven und Vermischungs-Prozesse damit verbunden waren, welche Verwandtschafts-Verhältnisse zwischen ihnen bestehen, wird uns sicherlich künftig noch genauer klar werden.

Abb. 7: Verbreitung und Häufigkeit der blonden Haarfarbe im metallzeitlichen Xiangjang (3, Supp, S. 45) in der Bronzezeit (schwarz umrandet), Späten Bronzezeit (grau umrandet), Eisenzeit (gelb umrandet) und Antike (lila umrandet) - "North" = Dsungarei, "West" = Altai-Gebirge, "South" = Tarim-Becken

Im bronzezeitlichen Tianshan-Gebirge ist für ein Individuum helle Haarfarbe nachgewiesen. Im eisenzeitlichen Tianshan-Gebirge hatten vier von 18 Individuen helle Haarfarbe, einer davon sehr stark nach blond tendierend (Abb. 7). Die blonde Haarfarbe kam also insbesondere mit der zweiten indogermanischen Ostwanderung nach Innerasien.

In der Eisenzeit hatten unter den Altai-Skythen ("West") zwei von 15 Individuen blaue Augenfarbe (Abb. 8). Es gab also im eisenzeitlichen Altai-Gebirge - unter den Pazyryk-Skythen - häufiger helle Haar- als Augenfarbe.

Abb. 8: Die Häufigkeit der blaue Augenfarbe in Xiangjiang in Bronze- und Eisenzeit, archäogenetisch bestimmt (aus 3, Suppl, S. 44) - - "North" = Dsungarei, "West" = Altai-Gebirge, "South" = Tarim-Becken

Es wird auch ausgeführt (4):

Zwei frühbronzezeitlichen Tarim-Mumien im östlichen Xinjiang hatten (laut Archäogenetik) dunkelbraune bis schwarze Haare und dunklere Haut trotz ihrer archäologisch als "westlich" eingeordneten Körpermerkmale. Und eine jüngere dritte Mumie aus der späten Bronzezeit hatte diesbezüglich eher mitteldunkle Hautfarbe.
Two Early Bronze Age Tarim Basin mummies in east Xinjiang were found likely to have had dark brown to black hair and darker skin, despite their archeologically-identified "western" features, and a more recent third mummy from the Late Bronze Age was likely to have had a more intermediate skin tone.

Es wird betont, daß die Völkergeschichte rund um das Tarim-Becken seit der Bronzezeit nicht durch "genetic replacements" gekennzeichnet ist, sondern durch wiederholte, zum Teil komplexe Vermischungen.

Beachtenswert ist jedoch weiterhin, daß auch nordostasiatische, also mongolische Herkunft schon während der Frühen Bronzezeit in Xiangjang zu finden ist. Diese hat sich also früher nach dorthin ausgebreitet als bislang bekannt war.

Wir sehen also in der Frühen Bronzezeit in Xiangjiang einheimische Tarim-Herkunft vermischt mit mongolischer "Shamanka"-Herkunft, wir sehen einheimische Herkunft vermischt mit Afanassiewo- und "Shamanka"-Herkunft. Wir sehen einheimische Herkunft vermischt mit "karelischer" (also vermutlich ugrischer) Herkunft und BMCA-Herkunft. Ab 2.000 v. Ztr. die Andronowo-, bzw. Shintashta-Herkunft hinzu kommen. Während der Eisenzeit und der Antike kommen noch hinzu:

  • Han-chinesische Herkunft (dunkelgrün)
  • karelische Herkunft (wohl gleichbedeutend mit ugurischer Ngananasan-Herkunft)

In zwei Fällen sind in Gräbern eineiige Zwillinge miteinander bestattet worden (3; Supp, S. 15). Zwillinge scheinen also lebenslang miteinander zusammen geblieben zu sein.

Soweit ein erster Einblick in die genannten Studien. Um so tiefenschärfer das "archäogenetische Mikroskop" eingestellt wird, um so mehr Prozesse der Ethnogenese, der Volkswerdung und des Untergangs von Völkern wird man feststellen können und genauer eingrenzen können in diesem Raum. Jahrtausende von Geschichte und die Schicksale von zehntausenden von Menschen, von ganzen Kulturen verbergen sich hinter diesen farbigen Balken der Grafik 6. 

Die in diesen Beitrag behandelten beiden archäogenetischen Studien wären es wert, noch viel detaillierter aufgearbeitet zu werden als das in diesem Beitrag geschehen konnte bislang. Vielleicht können wir das künftig noch nachtragen.

_____________

*) Aber diese Hypothese steht - zumindest für unser Verständnis - noch auf mancherlei wackligen Füßen (Stgen2018). Der Ursprung der Turkvölker wird von Sprachhistorikern gerne auch in der Manschurei verortet (Stgen2021), wobei die Zuordnung dieser Erkenntnis zur Archäogenetik ebenfalls noch wenig klar ausgearbeitet zu sein scheint - soweit wir das sehen.
**) Zu beachten wäre außerdem, daß sich nach Karelien während der Bronezezeit auch die ugrische "Nganasanen"-Jäger-Sammler-Herkunftsgruppe ausgebreitet hat, zusammen mit der ugrischen Sprachfamilie (zu der unter anderem die Chanten, Ungarn, Karelier und Esten gehören). Soll man die Ergebnisse dieser Studie so verstehen, daß sich diese ugrische Nganasan-Herkunft auch schon während der Bronzezeit bis über den Baikalsee hinaus nach Süden ausgebreitet hat? Die letzte Sprecherin einer ugrischen Sprache hat der estnische Filmemacher und Völkerkundler Lennart Meri ja noch in den 1970er Jahren östlich vom Baikalsee für einen seiner Filme interviewt (siehe andere Beiträge hier auf dem Blog). - Soviel wir aber bislang mitbekommen haben, sind Botai- und Nganasanen-Herkunft doch sehr unterschiedliche Herkunftsgruppen, ebenso wie Botai- und osteuropäische Jäger und Sammler.

______________

  1. Zhang, F., Ning, C., Scott, A., Fu, Q., Bjørn, R., Li, W., ... & Cui, Y. (2021). The genomic origins of the Bronze Age Tarim Basin mummies. Nature, 599(7884), 256-261, https://www.nature.com/articles/s41586-021-04052-7
  2. What is the latest research on the Tarim Basin mummies? (Quora
  3. Vikas Kumar, Wenjun Wang, Jie Zhang, Yongqiang Wang, (...) E. Andrew Bennett, Qiaomei Fu: Bronze and Iron Age population movements underlie Xinjiang population history. Science, 31 Mar 2022, Vol 376, Issue 6588, S. 62-69, DOI: 10.1126/science.abk1534, https://www.science.org/doi/abs/10.1126/science.abk1534; Supp. (pdf)
  4. Chinese Academy of Sciences Headquarters: 5,000-year population history of Xinjiang brought to light in new ancient DNA study, 31.3.2022, https://www.eurekalert.org/news-releases/947799, https://phys.org/pdf567948272.pdf
  5. Bading, Ingo: Die Altai-Skythen und ihre Vorgängerkulturen, 2020, http://studgendeutsch.blogspot.com/2020/11/die-altai-skythen-und-ihre-vorganger.html 
  6. Bading, I.: Die Frühbronzezeit in den Fürstentümern der Seidenstraße - "Götter, Gräber und Gelehrte" - Ein neues Kapitel, 2007, https://studgendeutsch.blogspot.com/2007/11/die-vor-wenigen-wochen-erffnete.html
  7. Bading, I.:  Turkvölker, Indogermanen, Sarmaten und Hunnen - Zwischen Mongolei und Kaukasus  Die Geschichte der Völker in der Mongolei und rund um das Altai-Gebirge, 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/11/turkvolker-indogermanen-sarmaten-und.html
  8. .
  9. .
  10. Daniel Yang: Wann wurden Weizen und Hochlandgerste in China eingeführt? Quelle: China Tibet Online, 17.03.2020, http://german.tibet.cn/de/culture/news/202003/t20200317_6754986.html
  11. Jia P, Caspari G, Betts A, Mohamadi B, Balz T, Cong D, et al. (2020) Seasonal movements of Bronze Age transhumant pastoralists in western Xinjiang. PLoS ONE 15(11): e0240739. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0240739, https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0240739
  12. A new hypothesis for early Bronze Age cultural diversity in Xinjiang, China. A. Bettsa, P. Jiaa, I. Abuduresule. Archaeological Research in Asia, 2019
  13. Bading, Ingo: Die ältesten Eigendarstellungen seßhafter, europäischer Völker (ab 4200 v. Ztr.) , Dezember 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/12/die-altesten-eigendarstellungen-der.html
  14. Prestel, Peter; Graichen, Gisela: Das Gold von Tuva. Schliemanns Erben - Spezial 1. ZDF 2002, https://youtu.be/1sOHDO_a5aI. [Grabungen Hermann Parzingers]
  15. Prestel, Peter; Graichen, Gisela: Das Geheimnis der Eismumie. Schliemanns Erben - Spezial 2, ZDF 2006, https://youtu.be/aTcRuHE8J3c. [Grabungen Hermann Parzingers 2006]
  16. Prestel, Peter; Graichen, Gisela: Das Vermächtnis der Steppenkrieger. Schliemanns Erben 32, ZDF 2010, https://youtu.be/6PcDHUSc_2w. [Archäologe Rüdiger Krause, Spiralstadt Arkaim im Ural (Wiki), Andronowo-Kultur, 2.000 v. Ztr., Sarmaten 200 v. Ztr.]

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Ok, ich bin Laie und den Artikel noch nicht ganz durch. Aber verstehe ich das richtig, dass sich die Schnurkeramikkultur auch im Tarim-Becken finden laesst und die Sonnenscheibe von Nebra ebenfalls mit der Schnurrkeramikkultur in Verbindung steht und damit die Schnurkeramikkultur von Asian bis Westeuropa verbreitet war?

Ingo Bading hat gesagt…

ja, insgesamt richtig. Die Schnurkeramiker haben sich als Andronowo-Kultur im nördlichen Asien bis zum Tianshan-Gebirge und bis zum Pamir-Gebirge verbreitet. Sie tragen (wie wir) einen kleineren Anteil anatolisch-neolithischer Genetik in sich von der Vermischung mit den vor ihnen in Europa einheimischen Bauernvölkern her. Sie sind die Indogermanen der ZWEITEN indogermanischen Ausbreitungswelle gen Osten (ab 2.200 v. Ztr.).
Die Indogermanen der ersten Ausbreitungswelle hatten diese anatolisch-neolithische Komponente noch nicht. Sie sind bekannt als Afanassievo-Kultur (ab 3.000 v. Ztr.).
Die meisten skythischen Völker rund um das Altai-Gebirge dürften von der zweiten Ostausbreitung her abstammen.
Aber die Einzelheiten sich diesbezüglich noch nicht vollständig geklärt.
Nein, explizit Schnurkeramik wird die Kultur im Tarimbecken nicht genannt. Wie viel von der Kultur im Tarimbecken durch Indogermanen beeinflußt ist, läßt sich zur Zeit noch nicht sicher sagen, da es von mehreren Seiten her kulturelle Einflüsse gab. Man hat die Kultur des Tarim-Beckens zu vorschnell als indogermanisch angesprochen, da man in buddhistischen Textresten aus dem Frühmittelalter gefunden hat, daß damals im Tarimbecken eine indogermanische Sprache gesprochen wurde, nämlich das Tocharische. Wie das Tocharische in das Tarim-Becken gelangt ist, ist noch völlig ungeklärt und sehr interessant, da es sich deutlicher von anderen indogermanischen Sprachen unterscheidet.

Ingo Bading hat gesagt…

die Himmelsscheibe von Nebra ist in Sachsen-Anhalt gefunden worden. Daraus kann nicht abgeleitet werden, daß sich das in ihr enthaltene Wissen auch bis zum Tarim-Becken ausgebreitet hat.
Im Tarim-Becken findet sich viel Sonnen-Symbolik, Spiral-Symoblik, unter anderem als Tatoo's auf den Wüstenmumien und bei der Anlage der Grabanlagen mit Pappelholz. Ob das auf indogermanische Einflüsse zurück geht, ist aber völlig ungeklärt.

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