Die Tatsache, daß es nicht nur Diktatur durch Verängstigung und Terror, sondern auch Diktatur durch Verwöhnung gibt (siehe
früherer Beitrag), wird bei der Beurteilung politischer Verhältnisse in Geschichte und Gegenwart naiverweise viel zu selten berücksichtigt. Der deutsche Historiker Klaus Hildebrand hat das 20. Jahrhundert
"Das Zeitalter der Tyrannen" genannt. Dies geschah unter ausdrücklichem Einschluß solcher "demokratischer" Politiker wie Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt, nachdem bekannt geworden war, daß auch die Westalliierten schon sehr früh während des Zweiten Weltkrieges (also zum Beispiel auch vor Bekanntwerden von all dem, was heute mit dem Namen Auschwitz in Verbindung gebracht wird) Kriegsziele verfolgt haben, die weder damals noch heute mit dem Völkerrecht oder auch nur irgendeinem Begriff von Humanität vereinbar waren. Sondern die schlicht Kriegsverbrechen darstellten.
Daß dies auch für die Methoden der Kriegsführung der Westalliierten gilt, darauf hat ja erst jüngst wieder das Buch
"Der Brand" von Autor Jörg Friedrich aufmerksam gemacht. Zu welcher Art von Politik heutige Demokratien des Westens alles fähig sind, darauf braucht ja an dieser Stelle gar nicht ausführlicher eingegangen werden.
Auch ist schon vor vielen Jahren bekannt geworden, daß der sogenannte Friedens-Flug von Rudolf Heß nach England am 20. Mai 1941 der
"Botengang eines Toren" gewesen ist (so der Buchtitel des Historikers Rainer F. Schmidt). Es handelte sich um eine wohlvorbereitete Täuschungsaktion des britischen Geheimdienstes unter voller Mitwisserschaft der gesamten britischen politischen Führung. Aber zu welchem Zweck wurde diese Aktion eigentlich eingeleitet? Zu diesem Thema ist inzwischen eine weitere Studie des britischen Historikers
Martin Allen erschienen. Soweit man das nach etwas oberflächlicherem Lesen übersehen kann, bestätigt dieses neue Buch vollständig die Tatsachen, die schon von Rainer F. Schmidt genannt worden waren (allerdings merkwürdigerweise ohne dieses Buch auch nur an einer einzigen Stelle zu erwähnen).
Ein neu veröffentlichtes Dokument
Ein neu veröffentlichtes Dokument fällt in diesem Buch von Martin Allen besonders in die Augen. (S. 412, S. 204 - 206) Da der Autor dieser Zeilen selbst
seine Magisterarbeit über die Thematik der britischen Kriegszielpolitik während des Zweiten Weltkrieges geschrieben hat und dazu viele "Dokumente zur Deutschlandpolitik" der britischen Regierung nach 1939 studiert hat (
I. Reihe, Band 1 bis 4), und deshalb auch so ein bischen die "Stimmung" und Argumente in britischen Regierungskreisen der damaligen Zeit zu kennen glaubt, glaubt man auch die Bedeutung dieses neuen Dokumentes im Zusammenhang der übrigen einschätzen zu können.
Es handelt sich um einen Brief, datiert auf den 28. Februar 1941, von dem britischen Wirtschaftsminister Hugh Dalton, zugleich Leiter des britischen Geheimdiensts SOE (der Labour-Partei zugehörig) an den damaligen britischen Außenminister Anthony Eden, nachdem zuvor eine Besprechung mit Winston Churchill stattgefunden hatte. Die in dem Brief erwähnte
"Mssrs HHHH Operation" ist jene britische Geheimdienst-Operation, die Rudolf Heß und seinen Beratern Karl und Albrecht Haushofer (Vater und Sohn) eine innerbritische Opposition gegen die Churchill-Regierung unter Führung eines Lords Hamilton vorspielte (nach den Worten Churchills:
"Mummenschanz ist die Parole"), um Rudolf Heß nach England zu locken. Die vier H beziehen sich auf die vier Anfangsbuchstaben der Familiennamen der involvierten Personen. Hier nun der Text des Briefes von Dalton:
Dear Minister,
I have been in deep contemplation ever since the matter we discussed yesterday with the P.M., and feel I must put my concerns to you before we take any further action.
Leeper's assessment on Saturday was pretty close to the mark, and his conclusion that despite being unable, probably, to win in Europe, we could win world war has, of course, been bandied about for the last month or two. However, what Winston now proposes is a truly terrible thing, and I am not sure my conscience will allow me to participate.
I have always maintained that in this war body-line bowling of the Hun is justified, and the Mssrs HHHH Operation, once we took it over, was intended to fulfill that function, but I do not believe we can be morally justified to use it to cause the suggested end result.
I feel we must have another meeting to discuss where we are going to take this matter, and I would appreciate your opinion. Can I suggest a joint car again next Saturday?
Yours Ever,
H.D.
Dies ist ein überraschendes, bemerkenswertes Dokument, das auch eine heftige ablehnende Gegenreaktion von Winston Churchill hervorrief. Robert Vansittard, berühmt-berüchtigter Verfasser des Buches "Black Record" und einer der geistigen Mentoren der britischen Außenpolitik jener Zeit, schrieb an den im Brief ebenfalls erwähnten Rex Leeper betreffend der
"Hugh Dalton Angelegenheit":
"Ich habe Winston selten so außer Fassung gesehen wie gestern, als er den Brief von HD erhielt. ..." (S. 206)
Wie aus den beiden schon genannten Büchern hervorgeht, ist der größte Teil der britischen und amerikanischen Akten zu dem Flug von Rudolf Heß immer noch unter Verschluß und bislang nur weniges über deren Inhalt bekannt. Das wenige gibt Anlaß zu vielerlei Spekulation und Deutungsmöglichkeit. Aber folgendes scheint doch aus diesen beiden Briefen hervorzugehen:
Bis zu diesem Gespräch am 28. Februar 1941 hatte der britische geheimdienstliche "Mummenschanz" betreffend Rudolf Heß nach der Kenntnis von Hugh Dalton zu etwas anderem dienen sollen als danach. Aber wozu davor? Wozu danach?
Wer kennt sich mit Cricket aus?
Bei dem Begriff "body-line bowling" handelt es sich, wie man dem betreffenden Wikipedia-Eintrag entnehmen kann, um einen Begriff aus der Geschichte des Cricket-Spiels. (Wikipedia
deutsch,
englisch.) "Bodyline" ist eine bestimmte, von der britischen Nationalmanschaft entwickelte Cricket-Taktik, die in den Jahren 1932/33 angewandt wurde, um einen bestimmten hervorragend befähigten australischen Nationalspieler zu übervorteilen. Diese Taktik rief sogar eine politische Krise zwischen Großbritannien und Australien hervor, da die wiederholt verlierenden Australier der britischen National-Mannschaft, die diese Taktik anwandte, Unsportlichkeit vorwarfen:
"Eine Mannschaft versucht, Cricket zu spielen, die andere nicht."
Wenn man sich nun mit Cricket genauer auskennen würde (was der Autor dieser Zeilen nicht von sich behaupten kann), würde man die Verwendung des Begriffes vielleicht leichter verstehen. Im Wikipedia-Eintrag liest man darüber folgendes:
"Bodyline, also known as fast leg theory, was a cricekting tactic devised by the English cricket team for their 1932–33 Ashes tour of Australia, specifically to combat the extraordinary batting skill of Australia's Don Bradman. A Bodyline bowler deliberately aimed the cricket ball at the body of the opposing batsman, in the hope of creating legside deflections that could be caught by one of several fielders in the quadrant of the field behind square leg."
Gut, wer sich mit Cricket gut auskennt, mag den Implikationen der Verwendung dieses Begriffes in diesem Brief noch weiter nachgehen. Der deutsche Übersetzer des genannten Buches tut beides ganz offensichtlich nicht. Er übersetzt mit den Worten
"Knochenkegeln [gemeint ist eine unfaire Kriegführung]" viel zu oberflächlich und unpräzise, was noch vorsichtig und zurückhaltend beurteilt sein mag. Denn es geht ja hier nicht um Kriegführung, sondern um Friedensanbahnungen, bzw. die Vortäuschung von solchen. Im Grunde ist es also ganz falsch übersetzt. Man wohl wenigstens so viel sagen:
Dem gegnerischen Spieler wird ein Ball zugeworfen, den er aber nicht auffangen - können - soll, sondern der sich - indem er von seinem Körper abprallt - gegen seine eigene Mannschaft wenden soll. Das kann leicht auf Rudolf Heß übertragen werden und seine Hoffnungen auf Friedensanbahnung.
17.7.14: In
diesem Video sieht man, dass der Ball mit voller Wucht auf den gegenüberstehenden Spieler geworfen wird, von dem er abprallt, da dieser ihn nicht mit dem Schläger spielen kann.
Dalton jedenfalls fand den
bisherigen Zweck des "Mummenschanzes" gegenüber Rudolf Heß als
"unsportliches" Body-Line. Wahrscheinlich meinte er damit das Vortäuschen eines Friedenswillens, um den Krieg zwischen England und Deutschland zu verlängern.
"Überlagernde Geheimdienst-Operationen" (ergänzt am 14.10.2009)
Von überlagernden Geheimdienst-Operationen weiß auch Alexander von Bülow in seinem Buch "Im Auftrag des Staates" manches Beispiel zu geben. Das heißt, vielen Beteiligten wird nur ein beschränktes Ziel der Operation genannt (das "need-to-know"-Prinzip). Und erst im Nachhinein - oder während der Operation - erfahren sie, daß ihre eigene Operation durch eine zweite überlagert ist, deren Ziele über die zuvor genannten Ziele hinausgehen. So wurden - offenbar - die Twintower schon vor dem Anschlag von 9/11 zur Sprengung vorbereitet von der Firma "Controlled Demolition" unter der "beschränkten" Vorgabe, daß im Fall eines Anschlages Nachbargebäude sollten geschützt werden können. Und diese Operation wurde dann durch eine zweite Operation - nämlich die Flugzeug-Entführungen - überlagert. Jeder der Beteiligten mußte nur das wissen, was zur Ausführung
seiner Aufgabe wichtig war. Und so scheint es auch bei dem verheerenden
Bombenanschlag von 1995 in Oklahoma City gewesen zu sein, der damals entscheidend zur Wiederwahl von Bill Clinton beitrug. Und so war es offenbar auch in vielen Fällen beim linksextremistischen Terrorismus in Deutschland und Italien der 1970er Jahre und dem dabei von Geheimdiensten bis heute geschickt ausgenutzten "Wissensgefälle" zwischen allen näher und ferner Beteiligten.
Das, was Churchill (Eden, Vansittart etc.) also ab einem bestimmten Zeitpunkt mit dem unter anderen Vorgaben vorbereiteten
"Mummenschanz" bezweckten, ging weit über die zuvor Dalton bekannten Zwecke hinaus. Und daß Dalton auf die "Zielerweiterung" erschreckt, schockiert reagierte, machte Menschen vom Schlage eines Vansittart gar nichts aus, während Churchill offenbar doch noch "außer Fassung" geraten konnte darüber, daß jemand nicht so simpel schien mitspielen zu wollen wie er selbst.
Die überlagernde Operation hatte schlicht zum Ziel die Ausweitung des bisher bloß europäischen Krieges zu einem Weltkrieg, also den Kriegseintritt der Sowjetunion gegen Deutschland.
-------------
Hier noch eine vollständige deutsche Übersetzung des Briefes:
"Lieber Minister,
ich habe lange nachgedacht, nachdem wir gestern die Angelegenheit mit dem Premier-Minister erörtert haben, und ich fühle, daß ich Ihnen meine Bedenken mitteilen muß, bevor wir weitere Aktionen unternehmen.
Leepers Feststellung vom Samstag kam der Sache ziemlich nahe, und seine Schlußfolgerung, daß wir wahrscheinlich den Krieg in Europa nicht gewinnen können, wohl aber einen Weltkrieg, wurde wohl schon seit ein, zwei Monaten unter die Leute gebracht.
Doch was Winston jetzt vorschlägt, ist ein wirklich schreckliches Ding, und ich bin nicht sicher, ob mein Gewissen es mir erlauben wird, mich daran zu beteiligen.
Ich habe immer daran festgehalten, daß in diesem Krieg body-line bowling mit den Hunnen gerechtfertigt ist, und daß die Herren HHHH Operation, als wir sie übernommen haben, das Ziel hatte, diese Funktion zu erfüllen, aber ich glaube nicht, daß wir es moralisch rechtfertigen können, daß wir sie dazu benutzen, um das vorgeschlagene Ergebnis zu erzielen.
Ich spüre, daß wir uns erneut zu einer Unterredung treffen müssen, um zu diskutieren, wohin wir diese Sache bringen werden, und ich würde gerne Ihre Auffassung in Erfahrung bringen. Darf ich für nächsten Sonnabend wieder ein gemeinsames Auto vorschlagen?
Immer der Ihrige,
H.D."