Eine Monogamie-These für Säugetiere und staatenbildende Insekten?
Ursprünglich im November 2007 stellten wir auf „Studium generale“ die Frage, ob Monogamie an der Wurzel aller Intelligenz-Evolution auf der Erde steht (5, 6). Diese Frage hatte sich, so berichteten wir, aus den Forschungen des britischen Soziobiologen Robin Dunbar ergeben, über die er selbst im „Science Magazine“ im September berichtet hatte (Science, 7.9.2007). Dunbar ist schon seit Jahrzehnten einer der wichtigsten und innovativsten Vertreter der „Social Brain-Hypothese“, Verfasser des sehr differenziert argumentierenden Buches „Klatsch und Tratsch“.
Dunbar hatte schon vor Jahren festgestellt (das ist das Thema von „Klatsch und Tratsch“), dass die (zur Körpergröße relative) Gehirngröße einer Primatenart korreliert mit der Größe der Gruppe, in der diese Primatenart lebt, weil die Größe der Gruppe Anforderungen an Kommunikation stellt. (Die lang andauernden und offenbar notwendigen Sitzungen „sozialen Fellkraulens“ bei Primaten wurden, so die bestechende These Dunbar’s, bei der Gehirnevolution des Menschen zunehmend durch das gesprochene Worte ersetzt – allerdings bis heute nicht ganz vollständig …).
Und dieser Zusammenhang zwischen Gruppengröße, Gehirngröße und Differenzierungsgrad der Kommunikationsfähigkeit gilt nun offenbar von Schimpansen über Zwischenstufen des Homo erectus bis hinauf zum Homo sapiens sapiens, dessen durch seine Gehirngröße natürlicherweise vorgegebene Gruppengröße nach der bei den Primaten insgesamt festgestellten Korrelations-Kurve ungefähr 150 beträgt („Dunbar’s Zahl“). Bei menschlichen Jägern und Sammlern und auch noch bei den Hutterern teilen sich die Gruppen in der Regel, wenn sie eine absolute Zahl von 150 erreicht haben, weil die menschliche Psyche nicht dazu ausgestattet zu sein scheint, dauerhaft in größeren Gruppen zu leben. Diese Zahl findet sich deshalb auch sonst sehr häufig in menschlichen, sozialen Zusammenhängen, wie Dunbar und andere in immer neuen Forschungen aufzeigen konnten und in immer wieder neuen Ansätzen aufzeigen.
Nun hatte Dunbar in den letzten Jahren seine Forschungen ausgeweitet auf Nicht-Primaten, um auch dort Bestätigungen für die social brain-Hypothese zu finden. Dies erfolgte aufgrund der Kritik anderer Forscher an der Allgemeingültigkeit seiner These. Und tatsächlich fand Dunbar bei Nicht-Primaten diese Korrelation nicht – zu seiner Überraschung. Und sicherlich zunächst auch zu seiner unerwarteten Enttäuschung. Aber schließlich fand er noch etwas viel Überraschenderes, das sich dann bei näherem Hinsehen auch als plausibel erweist: Über so große, vielfältige und weitläufige, von Dunbar untersuchte Stammbaum-Linien von Nicht-Primaten hinweg wie den Fleischfressern (Carnivoren), den Paarhufern, den Fledermäusen und den Vögel stellte er überall eine Korrelation fest zwischen der Gehirngröße einer Art und der Strenge der jeweiligen monogamen Lebensweise derselben. Umso polygamer um so vergleichsweise kleiner die (zur Körpergröße relative) Gehirngröße derselben!
Plausibel ist ein solches Ergebnis deshalb, weil es nahe legt, dass die Primaten zur Lösung von Problemen des Zusammenlebens in Gruppen Gehirn-Potentiale nutzten und weiter evoluierten, die zunächst zur Lösung von Problemen im Zusammenleben von monogamen Paaren evoluiert worden waren.
Läge dieses Forschungsergebnis auf den ersten Blick nicht so quer zu allen vorherrschenden „nicht-konservativen“, „liberalen“ Lebensanschauungen und gesellschaftlicher Moral von heute, so wäre doch über dieses Forschungsergebnis sicherlich häufiger berichtet worden, als das bislang geschehen ist. Da die Evolution selbst das „Hohelied der Treue“, der ehelichen, viel ernster zu nehmen scheint, als das in unserer heutigen Gesellschaft noch üblich ist, tut sich eine Wissenschafts-Berichterstattung, die gerne spöttelt, „entzaubert“ und „desillusioniert“ schwer mit Forschungsergebnissen, die von vornherein zu „verzaubern“ geeignet sind. (Denn "natürlich" ist Monogamie nur eine Illusion …)
Da könnte plötzlich erkennbar werden - einmal auf’s Neue - wie wichtig derzeit und künftig das von der „Templeton Foundation“ angeregte und erneut intensivierte interdisziplinäre Gespräch zwischen Naturwissenschaft und - - - Theologie ... sein könnte. Denn wer sollte sich heute noch so stark für die Aufrechterhaltung monogamer Lebensweise interessieren (nun sogar als evolutionäre Wurzel aller Intelligenz-Evolution und Sozial-Evolution), wenn nicht die - - - Theologen? Wer hätte das übrigens gedacht. Daß die Evolutionsforschung theologische Grundannahmen bestätigt!? (Nun, Michael Blume und andere haben dafür ja auch schon andernorts mancherlei Hinweise gefunden.)
Einmal erneut jedenfalls ein Hinweis darauf, wie sehr heute tatsächlich Theologen die Wissenschaft und die Wissenschafts-Berichterstattung befruchten könnten. Wenn man nicht im letzten Monat auf dem Workshop der „Templeton Foundation“ in Frankfurt gewesen wäre siehe frühere Beiträge), hätte man das gar nicht (mehr) für möglich halten wollen. Denn man kannte keine Theologen, die sich bis ins Detail hinein mit modernster naturwissenschaftlicher Forschung beschäftigen. (Und letzteres ist notwendig, wenn man als Theologe wirklich mitreden will.)
Denn zumindest Theologen und christlichen Darwinisten wie man sie bei der „Templeton Foundation“ antrifft (wenn schon sonst niemandem), müssen solche hier referierten Forschungsergebnisse doch wichtig vorkommen. Und Theologen müssten doch eigentlich auch eher geneigt und befähigt sein, solche Forschungsergebnisse in größere Zusammenhänge einzuordnen.
In bisher nur periphere Forschungs-Diskussionen wurden nämlich in dieser Woche wieder einmal neu gewonnene Erkenntnisse eingeordnet, als – nur ein halbes Jahr nach den oben erwähnten Forschungsergebnissen von Robin Dunbar - wiederum neue Forschungen einer Gruppe um den britischen Biologen William O. H. Hughes veröffentlicht worden sind (Science, 30.5.2008) (1) (s. a. Abb. 1). Es handelt sich um Erkenntnisse, die sich unübersehbar passgenau einordnen in das, was schon Robin Dunbar letzten Herbst in derselben Zeitschrift veröffentlichte. Aber niemand erwähnt diesen auffälligen Sachverhalt, niemandem scheint dies aufzufallen – noch nicht einmal die Forscher um Hughes selbst, die die neuen Ergebnisse zutage gebracht haben.
Auch Forscher selbst sind – gerade bei heutigen, weiter gefassten interdisziplinären Forschungen – auf gute Wissenschafts-Berichterstattung angewiesen. Dies wird hier einmal aufs Neue deutlich. Und auf theologische „Beratung“ vielleicht auch …, damit nicht heute der Atheismus so wie vor 200 Jahren der philosophische Idealismus zum „Forschungshemmnis“ wird.
Durch die Wissenschafts-Presse dieser Woche (2 – 4) geistern die neuen Forschungsergebnisse von Hughes und Koautoren „nur“ als eine Widerlegung einer vor einigen Jahren von Seiten des Soziobiologen Edward O. Wilson ausgesprochenen Vermutung zur Evolution des Altruismus bei sozialen Insekten. Die Insektenforscher Edward O. Wilson (Harvard) und Bert Hölldobler (Würzburg) hatten - schließlich auch in Zusammenarbeit mit dem Religions-Soziobiologen David Sloan Wilson - Zweifel daran geäußert, dass die lange – und gerade von Edward O. Wilson selbst seit 1975 - favorisierte und popularisierte Theorie vom Verwandten-Altruismus allein oder vorwiegend den Altruismus sozialer Insekten erklären kann. Sie glaubten deshalb neuerdings, nicht nur für Insekten, sondern auch für Menschen verstärkt Theorien zur „Gruppenselektion“ heranziehen zu müssen, um die hohen Grade von dort vorherrschendem Altruismus vollständig erklären zu können.
Doch scheinen auch sie es sich wiederum etwas zu einfach gemacht zu haben. Und sie rechneten dabei vielleicht auch nicht mit der Einfachheit und Schlichtheit, mit der die Evolution selbst arbeitet, und wie es schon bei Dunbar’s Monogamie-These vom September 2007 deutlich geworden war.
Denn die Gruppenselektions-Hypothese bezüglich der Evolution des Altruismus bei sozialen Insekten scheinen nun die Forscher um Hughes auf ziemlich einfache und gründliche Weise entkräftet zu haben. Dass aber die Forscher dabei noch ganz neue, spannende Zusammenhänge aufdeckten, das wurde bislang nirgends erwähnt.
Von Forschungen über die relativen Gehirngrößen unterschiedlicher Insekten-Arten und das Zuordnen derselben zu Gruppengrößen – wie es Robin Dunbar für so viele andere Zweige des Artenstammbaumes schon getätigt hat – ist dem Autor dieser Zeilen bis heute nichts bekannt geworden. Bei den Insekten scheinen auch nicht einzelne, individuelle Gehirne „intelligent“ zu sein (im Sinne von Lernen durch Versuch und Irrtum), sondern die eher starren Verhaltensprogramme selbst, die wahrscheinlich viel starrer allein durch die Gene gesteuert werden.
Ob sich die „social brain“-Hypothese also an Insektenstaaten wird bestätigen können, muß einstweilen dahingestellt bleiben. Aber – und das ist das Erstaunliche – es lässt sich ein Zusammenhang aufzeigen, nämlich dass monogame Lebensweise an der evolutionären Wurzel der Evolution komplexer sozialer Gruppen bei soziallebenden Insekten steht. Und genau diesen Zusammenhang haben die Forscher rund um Hughes anhand von Stammbaum-Analysen und -Vergleichen von mehreren hundert Insektenarten aufgezeigt.
Erst wenn Insekten bei ihrer Evolution sozialer Systeme sterile Arbeiterkasten evoluiert haben, so Hughes und Mitarbeiter, kann es sich die Evolution erlauben, die Königin einer solchen Insektenart polygam leben zu lassen. Vorher nicht. Polygame Lebensweise ist also nach ihren Ergebnissen bei der Evolution sozialen Verhaltens der Insekten immer eine abgeleitete evolutionäre Form, an der stammesgeschichtlichen Wurzel steht über den gesamten Insektenstammbaum hinweg immer monogame Lebensweise als die ursprüngliche evolutive Form.
Und das legt nahe, dass der Verwandten-Altruismus, der insbesondere durch Monogamie stabilisiert wird, auch bei komplexer sozial lebenden Insekten und auch wenn sie in abgeleiteter Form polygam leben, immer noch die evolutionäre Wurzel des Altruismus bildet. Was zunächst in auffälligerem Gegensatz zu der neuen These von Edward O. Wilson stehen würde. Aber wohlgemerkt, nur die evolutionäre Wurzel ...
Monogamie nun also als evolutionäre Wurzel der Evolution von Insektenstaaten!? Das hatte doch Dunbar gerade erst für die Evolution komplexer sozialer Gruppen bei den Primaten aufgezeigt. Welch eine neue, offenbar erstaunlich tief reichende evolutionäre Konvergenz. (Siehe dazu der hier auf dem Blog schon oft erwähnte Simon Conway Morris.)
Monogame Lebensweise, so zeigen Hughes und Koautoren auf, schuf bei den Insekten die evolutionäre Voraussetzung für die Evolution eusozialer Sozialsysteme, also solcher, in denen Tiere lebenslang bei der Jungenaufzucht anderen Tieren helfen, ohne selbst Nachkommen zu haben. Das ist ja – aus Sicht der Evolution – die stärkste Ausprägung von Altruismus: auf Nachkommen zu verzichten, um dafür anderen bei der Aufzucht von Nachkommen zu helfen.
Man kann also nun zusammenfassend sagen: Während die Primaten die durch monogame Lebensweise (bei Nichtprimaten-Vorgänger-Linien) evoluierten Gehirnkapazitäten weiter evoluierten, um Probleme des psychischen Zusammenlebens in größeren sozialen Gruppen zu lösen (Dunbar), evoluierten die eusozialen Insektenarten die durch monogame Lebensweise evoluierten Altruismus-Potentiale ihrer nicht-eusozialen Vorgängerlinien im Stammbaum ebenfalls weiter zur Lösung der Probleme des Zusammenlebens in größeren sozialen Gruppen (Hughes).
Bei eusozialen Insekten ist es also evolutionär gesehen einfach der Mechanismus des Verwandten-Altruismus, der - ursprünglich zumindest - die Altruismus-Potentiale bereitstellt. Bei Primaten ist es zusätzlich noch der Mechanismus der „sozial brain“-(Intelligenz-)Evolution. Aber auch bei letzterem Mechanismus kommt es stark an auf die Unterscheidung bekannt/fremd in sozialen Beziehungen, was an „Dunbar’s Zahl“ erkennbar wird.
Hier könnten sich also weitreichende evolutionäre Konvergenzen andeuten, die letztlich auch weiterfragen lassen in Richtung komplex-arbeitsteiliger menschlicher Gesellschaften. Man glaubt zu ahnen, dass hier beide Mechanismen – jene, die große Primaten-Sozietäten ermöglichen, und jene, die arbeitsteilige Insektenstaaten ermöglichen – zusammen laufen und zugleich wirksam sind. Wie genau, das wird noch zu entschlüsseln sein …
Und da sollte sich – aus der evolutionären Grundlagen-Forschung heraus – kein neues Vertrauen in die Sinnhaftigkeit (der Wiederbelebung) menschlicher Religiosität ergeben, die eine sozialpsychologische Stabilisierung menschlicher Monogamie ermöglicht, wie wir inzwischen (unter anderem von Michael Blume) wissen? Und die nicht nur in monotheistischen Religionen, sondern auch schon bei vormonotheistischen Religionen (sowohl im indoeuropäischen wie sicherlich auch im ostasiatischen Bereich) wie auch bei nachmonotheistischer Religiosität ähnliche Wirkungen gehabt haben wird oder haben kann?
Monogamie also nun als jener Form menschlichen Zusammenlebens, fast über alle Zweige des Arten-Stammbaumes hinweg die Evolution von komplexer-sozialem Leben und Intelligenz ermöglichte?
Und noch eine Frage drängt sich auf: Auf der Südhalbkugel leben die ursprünglicheren Jäger-Sammler-Völker, auch die Bantu-Völker in Afrika, noch in größeren Häufigkeiten polygam als in den Gesellschaften auf der Nordhalbkugel. Ist es vielleicht ein Fehler, wenn man aus dieser Tatsache ableitet, dass der erste Homo sapiens sapiens vor 200.000 Jahren polygam gelebt hat? Auch das könnte – wie bei den Insekten – nur eine evolutionär „abgeleitete“ Lebensform sein. - Wird man aufgrund all dieser Sachverhalte sich erneut Lovejoy’s Monogamie-These der Intelligenz-Evolution beim Menschen ansehen müssen, die in den 1970er Jahren einiges Aufsehen erregt hatte?
Allerhand Stoff jedenfalls für weiteres Nachdenken und Forschen.
- Übrigens erkennt Hughes laut „New Scientist“ (2) an, dass Edward O. Wilson noch nicht vollständig widerlegt ist. Der dort gebrachte Einwand von Wilson gegenüber Hughes scheint zwar nicht besonders überzeugend. Aber es bleibt in gegenseitiger Anregung und Kritik sicherlich noch genug Arbeit zu tun übrig, um alle Ursachen und Bedingungen der Evolution des Altruismus bei sozialen Insekten zu verstehen und damit der Evolution von Altruismus (Intelligenz und arbeitsteiligen Gesellschaften) überhaupt.
Ursprünglich im November 2007 stellten wir auf „Studium generale“ die Frage, ob Monogamie an der Wurzel aller Intelligenz-Evolution auf der Erde steht (5, 6). Diese Frage hatte sich, so berichteten wir, aus den Forschungen des britischen Soziobiologen Robin Dunbar ergeben, über die er selbst im „Science Magazine“ im September berichtet hatte (Science, 7.9.2007). Dunbar ist schon seit Jahrzehnten einer der wichtigsten und innovativsten Vertreter der „Social Brain-Hypothese“, Verfasser des sehr differenziert argumentierenden Buches „Klatsch und Tratsch“.
Dunbar hatte schon vor Jahren festgestellt (das ist das Thema von „Klatsch und Tratsch“), dass die (zur Körpergröße relative) Gehirngröße einer Primatenart korreliert mit der Größe der Gruppe, in der diese Primatenart lebt, weil die Größe der Gruppe Anforderungen an Kommunikation stellt. (Die lang andauernden und offenbar notwendigen Sitzungen „sozialen Fellkraulens“ bei Primaten wurden, so die bestechende These Dunbar’s, bei der Gehirnevolution des Menschen zunehmend durch das gesprochene Worte ersetzt – allerdings bis heute nicht ganz vollständig …).
Und dieser Zusammenhang zwischen Gruppengröße, Gehirngröße und Differenzierungsgrad der Kommunikationsfähigkeit gilt nun offenbar von Schimpansen über Zwischenstufen des Homo erectus bis hinauf zum Homo sapiens sapiens, dessen durch seine Gehirngröße natürlicherweise vorgegebene Gruppengröße nach der bei den Primaten insgesamt festgestellten Korrelations-Kurve ungefähr 150 beträgt („Dunbar’s Zahl“). Bei menschlichen Jägern und Sammlern und auch noch bei den Hutterern teilen sich die Gruppen in der Regel, wenn sie eine absolute Zahl von 150 erreicht haben, weil die menschliche Psyche nicht dazu ausgestattet zu sein scheint, dauerhaft in größeren Gruppen zu leben. Diese Zahl findet sich deshalb auch sonst sehr häufig in menschlichen, sozialen Zusammenhängen, wie Dunbar und andere in immer neuen Forschungen aufzeigen konnten und in immer wieder neuen Ansätzen aufzeigen.
„Dunbar’s Zahl“
Nun hatte Dunbar in den letzten Jahren seine Forschungen ausgeweitet auf Nicht-Primaten, um auch dort Bestätigungen für die social brain-Hypothese zu finden. Dies erfolgte aufgrund der Kritik anderer Forscher an der Allgemeingültigkeit seiner These. Und tatsächlich fand Dunbar bei Nicht-Primaten diese Korrelation nicht – zu seiner Überraschung. Und sicherlich zunächst auch zu seiner unerwarteten Enttäuschung. Aber schließlich fand er noch etwas viel Überraschenderes, das sich dann bei näherem Hinsehen auch als plausibel erweist: Über so große, vielfältige und weitläufige, von Dunbar untersuchte Stammbaum-Linien von Nicht-Primaten hinweg wie den Fleischfressern (Carnivoren), den Paarhufern, den Fledermäusen und den Vögel stellte er überall eine Korrelation fest zwischen der Gehirngröße einer Art und der Strenge der jeweiligen monogamen Lebensweise derselben. Umso polygamer um so vergleichsweise kleiner die (zur Körpergröße relative) Gehirngröße derselben!
Plausibel ist ein solches Ergebnis deshalb, weil es nahe legt, dass die Primaten zur Lösung von Problemen des Zusammenlebens in Gruppen Gehirn-Potentiale nutzten und weiter evoluierten, die zunächst zur Lösung von Problemen im Zusammenleben von monogamen Paaren evoluiert worden waren.
Dunbar’s Monogamie-These (2007)
Läge dieses Forschungsergebnis auf den ersten Blick nicht so quer zu allen vorherrschenden „nicht-konservativen“, „liberalen“ Lebensanschauungen und gesellschaftlicher Moral von heute, so wäre doch über dieses Forschungsergebnis sicherlich häufiger berichtet worden, als das bislang geschehen ist. Da die Evolution selbst das „Hohelied der Treue“, der ehelichen, viel ernster zu nehmen scheint, als das in unserer heutigen Gesellschaft noch üblich ist, tut sich eine Wissenschafts-Berichterstattung, die gerne spöttelt, „entzaubert“ und „desillusioniert“ schwer mit Forschungsergebnissen, die von vornherein zu „verzaubern“ geeignet sind. (Denn "natürlich" ist Monogamie nur eine Illusion …)
Da könnte plötzlich erkennbar werden - einmal auf’s Neue - wie wichtig derzeit und künftig das von der „Templeton Foundation“ angeregte und erneut intensivierte interdisziplinäre Gespräch zwischen Naturwissenschaft und - - - Theologie ... sein könnte. Denn wer sollte sich heute noch so stark für die Aufrechterhaltung monogamer Lebensweise interessieren (nun sogar als evolutionäre Wurzel aller Intelligenz-Evolution und Sozial-Evolution), wenn nicht die - - - Theologen? Wer hätte das übrigens gedacht. Daß die Evolutionsforschung theologische Grundannahmen bestätigt!? (Nun, Michael Blume und andere haben dafür ja auch schon andernorts mancherlei Hinweise gefunden.)
Hochzeiten für christliche Darwinisten
Einmal erneut jedenfalls ein Hinweis darauf, wie sehr heute tatsächlich Theologen die Wissenschaft und die Wissenschafts-Berichterstattung befruchten könnten. Wenn man nicht im letzten Monat auf dem Workshop der „Templeton Foundation“ in Frankfurt gewesen wäre siehe frühere Beiträge), hätte man das gar nicht (mehr) für möglich halten wollen. Denn man kannte keine Theologen, die sich bis ins Detail hinein mit modernster naturwissenschaftlicher Forschung beschäftigen. (Und letzteres ist notwendig, wenn man als Theologe wirklich mitreden will.)
Denn zumindest Theologen und christlichen Darwinisten wie man sie bei der „Templeton Foundation“ antrifft (wenn schon sonst niemandem), müssen solche hier referierten Forschungsergebnisse doch wichtig vorkommen. Und Theologen müssten doch eigentlich auch eher geneigt und befähigt sein, solche Forschungsergebnisse in größere Zusammenhänge einzuordnen.
In bisher nur periphere Forschungs-Diskussionen wurden nämlich in dieser Woche wieder einmal neu gewonnene Erkenntnisse eingeordnet, als – nur ein halbes Jahr nach den oben erwähnten Forschungsergebnissen von Robin Dunbar - wiederum neue Forschungen einer Gruppe um den britischen Biologen William O. H. Hughes veröffentlicht worden sind (Science, 30.5.2008) (1) (s. a. Abb. 1). Es handelt sich um Erkenntnisse, die sich unübersehbar passgenau einordnen in das, was schon Robin Dunbar letzten Herbst in derselben Zeitschrift veröffentlichte. Aber niemand erwähnt diesen auffälligen Sachverhalt, niemandem scheint dies aufzufallen – noch nicht einmal die Forscher um Hughes selbst, die die neuen Ergebnisse zutage gebracht haben.
Teilweise noch schläfrige, atheistische Wissenschaft und Wissenschafts-Berichterstattung
Auch Forscher selbst sind – gerade bei heutigen, weiter gefassten interdisziplinären Forschungen – auf gute Wissenschafts-Berichterstattung angewiesen. Dies wird hier einmal aufs Neue deutlich. Und auf theologische „Beratung“ vielleicht auch …, damit nicht heute der Atheismus so wie vor 200 Jahren der philosophische Idealismus zum „Forschungshemmnis“ wird.
Durch die Wissenschafts-Presse dieser Woche (2 – 4) geistern die neuen Forschungsergebnisse von Hughes und Koautoren „nur“ als eine Widerlegung einer vor einigen Jahren von Seiten des Soziobiologen Edward O. Wilson ausgesprochenen Vermutung zur Evolution des Altruismus bei sozialen Insekten. Die Insektenforscher Edward O. Wilson (Harvard) und Bert Hölldobler (Würzburg) hatten - schließlich auch in Zusammenarbeit mit dem Religions-Soziobiologen David Sloan Wilson - Zweifel daran geäußert, dass die lange – und gerade von Edward O. Wilson selbst seit 1975 - favorisierte und popularisierte Theorie vom Verwandten-Altruismus allein oder vorwiegend den Altruismus sozialer Insekten erklären kann. Sie glaubten deshalb neuerdings, nicht nur für Insekten, sondern auch für Menschen verstärkt Theorien zur „Gruppenselektion“ heranziehen zu müssen, um die hohen Grade von dort vorherrschendem Altruismus vollständig erklären zu können.
Doch scheinen auch sie es sich wiederum etwas zu einfach gemacht zu haben. Und sie rechneten dabei vielleicht auch nicht mit der Einfachheit und Schlichtheit, mit der die Evolution selbst arbeitet, und wie es schon bei Dunbar’s Monogamie-These vom September 2007 deutlich geworden war.
Denn die Gruppenselektions-Hypothese bezüglich der Evolution des Altruismus bei sozialen Insekten scheinen nun die Forscher um Hughes auf ziemlich einfache und gründliche Weise entkräftet zu haben. Dass aber die Forscher dabei noch ganz neue, spannende Zusammenhänge aufdeckten, das wurde bislang nirgends erwähnt.
Nicht Gruppenselektion, sondern Monogamie bewirkt Altruismus
Von Forschungen über die relativen Gehirngrößen unterschiedlicher Insekten-Arten und das Zuordnen derselben zu Gruppengrößen – wie es Robin Dunbar für so viele andere Zweige des Artenstammbaumes schon getätigt hat – ist dem Autor dieser Zeilen bis heute nichts bekannt geworden. Bei den Insekten scheinen auch nicht einzelne, individuelle Gehirne „intelligent“ zu sein (im Sinne von Lernen durch Versuch und Irrtum), sondern die eher starren Verhaltensprogramme selbst, die wahrscheinlich viel starrer allein durch die Gene gesteuert werden.
Ob sich die „social brain“-Hypothese also an Insektenstaaten wird bestätigen können, muß einstweilen dahingestellt bleiben. Aber – und das ist das Erstaunliche – es lässt sich ein Zusammenhang aufzeigen, nämlich dass monogame Lebensweise an der evolutionären Wurzel der Evolution komplexer sozialer Gruppen bei soziallebenden Insekten steht. Und genau diesen Zusammenhang haben die Forscher rund um Hughes anhand von Stammbaum-Analysen und -Vergleichen von mehreren hundert Insektenarten aufgezeigt.
Erst wenn Insekten bei ihrer Evolution sozialer Systeme sterile Arbeiterkasten evoluiert haben, so Hughes und Mitarbeiter, kann es sich die Evolution erlauben, die Königin einer solchen Insektenart polygam leben zu lassen. Vorher nicht. Polygame Lebensweise ist also nach ihren Ergebnissen bei der Evolution sozialen Verhaltens der Insekten immer eine abgeleitete evolutionäre Form, an der stammesgeschichtlichen Wurzel steht über den gesamten Insektenstammbaum hinweg immer monogame Lebensweise als die ursprüngliche evolutive Form.
Abb. 2: Tiefe, lebenslange Verbundenheit bis in den Tod: Der Grabstein eines Ehepaares in Athen, um 345 v. Ztr. - Thraseas und Euandria (Wiki) |
Hughes’ Monogamie-These (2008)
Und das legt nahe, dass der Verwandten-Altruismus, der insbesondere durch Monogamie stabilisiert wird, auch bei komplexer sozial lebenden Insekten und auch wenn sie in abgeleiteter Form polygam leben, immer noch die evolutionäre Wurzel des Altruismus bildet. Was zunächst in auffälligerem Gegensatz zu der neuen These von Edward O. Wilson stehen würde. Aber wohlgemerkt, nur die evolutionäre Wurzel ...
Monogamie nun also als evolutionäre Wurzel der Evolution von Insektenstaaten!? Das hatte doch Dunbar gerade erst für die Evolution komplexer sozialer Gruppen bei den Primaten aufgezeigt. Welch eine neue, offenbar erstaunlich tief reichende evolutionäre Konvergenz. (Siehe dazu der hier auf dem Blog schon oft erwähnte Simon Conway Morris.)
Monogame Lebensweise, so zeigen Hughes und Koautoren auf, schuf bei den Insekten die evolutionäre Voraussetzung für die Evolution eusozialer Sozialsysteme, also solcher, in denen Tiere lebenslang bei der Jungenaufzucht anderen Tieren helfen, ohne selbst Nachkommen zu haben. Das ist ja – aus Sicht der Evolution – die stärkste Ausprägung von Altruismus: auf Nachkommen zu verzichten, um dafür anderen bei der Aufzucht von Nachkommen zu helfen.
Evolutionäre Konvergenzen zwischen Primaten und - - - Insekten
Man kann also nun zusammenfassend sagen: Während die Primaten die durch monogame Lebensweise (bei Nichtprimaten-Vorgänger-Linien) evoluierten Gehirnkapazitäten weiter evoluierten, um Probleme des psychischen Zusammenlebens in größeren sozialen Gruppen zu lösen (Dunbar), evoluierten die eusozialen Insektenarten die durch monogame Lebensweise evoluierten Altruismus-Potentiale ihrer nicht-eusozialen Vorgängerlinien im Stammbaum ebenfalls weiter zur Lösung der Probleme des Zusammenlebens in größeren sozialen Gruppen (Hughes).
Bei eusozialen Insekten ist es also evolutionär gesehen einfach der Mechanismus des Verwandten-Altruismus, der - ursprünglich zumindest - die Altruismus-Potentiale bereitstellt. Bei Primaten ist es zusätzlich noch der Mechanismus der „sozial brain“-(Intelligenz-)Evolution. Aber auch bei letzterem Mechanismus kommt es stark an auf die Unterscheidung bekannt/fremd in sozialen Beziehungen, was an „Dunbar’s Zahl“ erkennbar wird.
Hier könnten sich also weitreichende evolutionäre Konvergenzen andeuten, die letztlich auch weiterfragen lassen in Richtung komplex-arbeitsteiliger menschlicher Gesellschaften. Man glaubt zu ahnen, dass hier beide Mechanismen – jene, die große Primaten-Sozietäten ermöglichen, und jene, die arbeitsteilige Insektenstaaten ermöglichen – zusammen laufen und zugleich wirksam sind. Wie genau, das wird noch zu entschlüsseln sein …
Lovejoy’s Monogamie-These (1970er Jahre)
Und da sollte sich – aus der evolutionären Grundlagen-Forschung heraus – kein neues Vertrauen in die Sinnhaftigkeit (der Wiederbelebung) menschlicher Religiosität ergeben, die eine sozialpsychologische Stabilisierung menschlicher Monogamie ermöglicht, wie wir inzwischen (unter anderem von Michael Blume) wissen? Und die nicht nur in monotheistischen Religionen, sondern auch schon bei vormonotheistischen Religionen (sowohl im indoeuropäischen wie sicherlich auch im ostasiatischen Bereich) wie auch bei nachmonotheistischer Religiosität ähnliche Wirkungen gehabt haben wird oder haben kann?
Monogamie also nun als jener Form menschlichen Zusammenlebens, fast über alle Zweige des Arten-Stammbaumes hinweg die Evolution von komplexer-sozialem Leben und Intelligenz ermöglichte?
Und noch eine Frage drängt sich auf: Auf der Südhalbkugel leben die ursprünglicheren Jäger-Sammler-Völker, auch die Bantu-Völker in Afrika, noch in größeren Häufigkeiten polygam als in den Gesellschaften auf der Nordhalbkugel. Ist es vielleicht ein Fehler, wenn man aus dieser Tatsache ableitet, dass der erste Homo sapiens sapiens vor 200.000 Jahren polygam gelebt hat? Auch das könnte – wie bei den Insekten – nur eine evolutionär „abgeleitete“ Lebensform sein. - Wird man aufgrund all dieser Sachverhalte sich erneut Lovejoy’s Monogamie-These der Intelligenz-Evolution beim Menschen ansehen müssen, die in den 1970er Jahren einiges Aufsehen erregt hatte?
Allerhand Stoff jedenfalls für weiteres Nachdenken und Forschen.
- Übrigens erkennt Hughes laut „New Scientist“ (2) an, dass Edward O. Wilson noch nicht vollständig widerlegt ist. Der dort gebrachte Einwand von Wilson gegenüber Hughes scheint zwar nicht besonders überzeugend. Aber es bleibt in gegenseitiger Anregung und Kritik sicherlich noch genug Arbeit zu tun übrig, um alle Ursachen und Bedingungen der Evolution des Altruismus bei sozialen Insekten zu verstehen und damit der Evolution von Altruismus (Intelligenz und arbeitsteiligen Gesellschaften) überhaupt.
(ursprünglich veröffentlicht 5.6.2008)
_________________________________Abb. 3: Peter Paul Rubens - Selbstportrait mit Frau und Sohn, 1639 |
Literatur:
- W. O. H. Hughes, B. P. Oldroyd, M. Beekman, F. L. W. Ratnieks (2008). Ancestral Monogamy Shows Kin Selection Is Key to the Evolution of Eusociality Science, 320 (5880), 1213-1216 DOI: 10.1126/science.1156108
- Fanelli, Daniele: Altruism needs selfish genes to evolve after all. In: New Scientist, 30.5.2008
- Jessl, Malte: Soziale Familienplanung. Spektrum direkt, 3.6.2006
- Klärner, Diemut: Soziale Insekten – Vom Nutzen königlicher Polygamie. In: FAZ.net, 5.6.2008
- Bading, Ingo: Ist die monogame Bindung der Kern aller Intelligenz-Evolution auf der Erde? Eine unerwartete - aber womöglich grundlegende - neue Erkenntnis des britischen Anthropologen Robin Dunbar, Studium generale, 15. November 2007, studgendeutsch.blogspot.de/2008/08/ist-die-monogame-bindung-der-kern-aller.html
- Bading, Ingo: Das menschliche Gehirn ist evoluiert, "um zu lieben". Studium generale, 16. November 2007, http://studgendeutsch.blogspot.de/2007/11/das-menschliche-gehirn-ist-evoluiert-um.html
- Boomsma, Jacobus J.: Kin Selection versus Sexual Selection - Why the Ends Do Not Meet. In: Current Biology, Volume 17, Issue 16, 21 August 2007, Pages R673-R683 Available online 20 August 2007. https://doi.org/10.1016/j.cub.2007.06.033, http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982207015709