Samstag, 23. August 2008

"More evidence"? - Bertrand Russell und Gott

Ein schönes Beispiel dafür, wie der Atheismus zumeist nur als eine Art "Antithese" zum Theismus gedacht und formuliert wird, aber nicht als eine wirklich unabhängig von ihm formulierte Alternative (oder gar als eine weltgeschichtliche Prozesse endlich einmal abschließende Synthese), gab Jan Philipp Rentsma schon vor zwei Jahren in einem Interview mit dem "Humanistischen Pressedienst". Er berief sich dabei auf Bertrand Russel und sagte:
Am wohlsten fühle ich mich bei der Anekdote von Bertrand Russell. Ein besorgter Student fragte ihn, was er, der notorische Atheist, denn sagen würde, wenn er dereinst wider Erwarten vor Gott stünde. Die Antwort: „You should have given us more evidence."
Man sollte meinen, daß selbst diese Antwort noch sehr theistisch gedacht ist, das heißt: unselbständig. So, als ob man erwartet, daß einem etwas "gegeben" werden müßte, als ob man sich in dieser Frage passiv verhalten dürfe.

Immanuel Kant fordert uns auf, selbständig zu denken, uns unseres Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Und das heißt auch, unumschränkte Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu übernehmen, zumal in den Entscheidungen über Gott oder über den Sinn des menschlichen Lebens und der Welt. Nach seinem Tod in dem Fall, daß man wider Erwarten doch "vor Gott" stünde (- so, so? wo denn?), die Schuld Gott zuzuschieben dafür, entspricht doch ganz und gar nicht dieser Selbstverantwortung und ist doch sehr kindlich-biblisch gedacht.

Einem sich selbstverantwortlich fühlenden Menschen bliebe in diesem Fall nur zu sagen übrig:
"Oh, Schitt, da habe ich nicht aufgepaßt, als ich in der Welt herumwuselte. Da Du ja Gott bist, also Ziel und Sinn allen menschlichen Lebens, konntest Du Menschen nicht so in die Irre führen, daß es ihnen nicht doch im Prinzip hätte möglich sein können und müssen, diesen Sinn, dieses Ziel zu erkennen."
In einer solchen Situation die Schuld "Gott" zuzuschieben für eigene Unfähigkeiten oder Verantwortungslosigkeiten, das klingt also doch immer noch sehr theistisch-unselbständig ... Und man darf vermuten, daß gerade in diesem Umstand zu suchen ist die oftmals zu beobachtende leichte Anfälligkeit von Atheisten für "Rückfälle" aller Art. Prominentestes Beispiel derzeit: Jürgen Habermas. - Da gefällt einem doch viel besser etwa Theodor Storm:
Der Glaube ist zum Ruhen gut,
doch bringt er nicht von der Stelle.
Der Zweifel in ehrlicher Männerfaust -
der sprengt die Pforten der Hölle.
Das gilt sicherlich vom theistischen und atheistischen "Glauben" gleichermaßen.

Die "naturalistische Wende"

Der "Humanstische Pressedienst" scheint übrigens eine gute Quelle zu sein, wenn man sich - auch - über "den Zweifel in ehrlicher Männerfaust" in der heutigen Zeit informieren will (wobei selbstredend die martialische, testosteron-geladene Rhethorik des Theodor Storm gar nicht mehr in unsere heutige Zeit paßt). In einer Buchrezension aus dem letzten Monat heißt es jedenfalls:
Lange Zeit dominierte in ethischen Diskussionen die Annahme, naturwissenschaftliche Erkenntnisse seien für die Begründung von Positionen zu Kultur und Moral von geringer Bedeutung. Aufgrund der Erkenntnisse der Evolutionstheorie und Genforschung, der Hirnforschung und Soziobiologie deutet sich in dieser Hinsicht eine Wende an: Der Naturalismus mit seiner Orientierung am biologischen Erbe des Menschen gewinnt zunehmend an Bedeutung und tritt als Konkurrent zu den davon abstrahierenden Auffassungen über Ethik, Gesellschaft und Kultur auf. Der Philosoph Franz Josef Wetz spricht gar von der Möglichkeit eines „naturalistic turn".
Vielleicht will "Gott" uns ja mit diesem "naturalistic turn" einiges erleichtern? ;-) Wir sollten jedenfalls seinen "Wink mit dem Zaunpfahl" nicht übersehen!

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