Magnus Enquist |
Stefano Ghirlanda |
Enquista und Ghirlanda stellen mit ihrer Arbeit nun die neue wichtige, in vielerlei Hinsicht tatsächlich entscheidende Frage: Was bewirkt denn das Herausfiltern von evolutionär schlecht-angepaßten kulturellen Merkmalen in unserer Kultur (oder in der Kultur des ostafrikanischen Australopithecus)?
"To prevent accumulation of maladaptive traits, it appears that each generation must 'filter out', or discard, at least some maladaptive culture. Such adaptive filtering is an important addition that may increase the adaptive value of culture. (...) The possibility of adaptive filtering changes dramatically the coevolutionary scenario for the evolution of social learning. As we saw earlier, in the absence of adaptive filtering genetic evolution is expected to improve social learning until culture is no longer adaptive. (...)
If adaptive filtering is sufficiently strong, however, culture is adaptive. (...) With sufficient adaptive filtering, adaptive culture is possible even if (...) new traits are on average maladaptive. Genetic evolution favors individual capacities for adaptive filtering under broader conditions than capacities for social learning. (...) There can be selection for adaptive filtering even when the adaptive value of culture is small, suggesting that selection for adaptive filtering may have been stronger than selection for social learning at the dawn of human culture."
Tatsächlich, man könnte mutmaßen, daß das "Projekt Mensch" schon sehr früh in einer evolutionären Sackgasse geendet wäre, wenn die genetische Evolution nicht stärker noch als das soziale Lernen an sich die Fähigkeit zum "adaptiven Filtern" kultureller Merkmale hervorgebracht hätte. Der Mensch ist fähig, auf so viele unsinnige Gedanken und "Macken" zu kommen, daß das sehr nötig gewesen sein könnte und immer noch nötig ist.
Die große Frage aber bleibt: Wo ist dieser Scanner? Wie sieht er aus? Nach welchen Kriterien filtert er? Wie sehen seine Auslöse-Mechanismen aus? Meine Vermutung wäre, daß auch dies (zunächst) sehr viel mit "Gruppenverantwortung", mit Verwandten-Altruismus zu tun hat: Reifere, erwachsene weibliche oder männliche Tiere/Menschen in der Gruppe oder auch junge, innovative, sorgen mit wachsamem Auge darüber, daß sich nicht allzuviele maladaptive kulturelle Merkmale in der Gruppe ansammeln, bzw. erfinden adaptive Merkmale. (Vielleicht gibt es hier auch eine Aufteilung der Aufgaben für "Jung" und "Alt": Die Jungen erfinden Neues, die Alten "filtern" davon das Nützliche heraus?) Hierbei kommt dann sicherlich auch zunehmend mehr das logische Denken mit ins Spiel, die Fähigkeit des Durchdenkens von Folgen des Handelns auf der "inneren Bühne" der eigenen Psyche, was in der Folge dazu führen könnte, daß darauf gedrängt wird, gruppen- oder individuen-schädliche kulturelle Merkmale, Verhaltensweisen zu meiden und nützliche (adaptive) Merkmale und Verhaltensweisen zu fördern.
In einem weiteren Schritt wäre über das Themenfeld Täuschung und Selbsttäuschung nachzudenken. Denn der Mensch besitzt in einzigartigem Maße die Fähigkeit, sich selbst zu täuschen und dabei nicht ausreichend über die Folgen seines Handelns nachzudenken. Auch läßt er sich leicht und gern von anderen - bewußter oder weniger bewußt - täuschen. Diese "cheater detection", das Erkennen von Täuschern und Täuschungen (in sich selbst und anderen) dürfte ein wichtiges Merkmal aller menschlichen Kulturen sein, die sich ihre genetische Überlebensfähigkeit bewahren (oder bewahren wollen). Da Menschen sich wohl nirgends so folgenreich belügen und betrügen wie in der Politik, bzw. in der Geschichte, müßte aus evolutionärer Sicht gefordert sein, daß die Fähigkeit zur "cheater detection" gerade bei Politikwissenschaftlern und Historikern besonders ausgeprägt sein sollte.
Die Anwendung auf heutige Verhältnisse westlicher Gesellschaften kann an dieser Stelle des Nachdenkens dem Leser überlassen bleiben, bzw. er kann auf "cheater detection"-Literatur in unserem Buchladen verwiesen werden. Man könnte auch folgendes formulieren: Zeitgeschichts-Forschung ist heute nur noch selten das Erforschen grundlegender Wahrheiten über menschliches Verhalten in der Geschichte, sondern zunächst einmal größtenteils: cheater detection. Abschließend noch einmal die Autoren:
Die große Frage aber bleibt: Wo ist dieser Scanner? Wie sieht er aus? Nach welchen Kriterien filtert er? Wie sehen seine Auslöse-Mechanismen aus? Meine Vermutung wäre, daß auch dies (zunächst) sehr viel mit "Gruppenverantwortung", mit Verwandten-Altruismus zu tun hat: Reifere, erwachsene weibliche oder männliche Tiere/Menschen in der Gruppe oder auch junge, innovative, sorgen mit wachsamem Auge darüber, daß sich nicht allzuviele maladaptive kulturelle Merkmale in der Gruppe ansammeln, bzw. erfinden adaptive Merkmale. (Vielleicht gibt es hier auch eine Aufteilung der Aufgaben für "Jung" und "Alt": Die Jungen erfinden Neues, die Alten "filtern" davon das Nützliche heraus?) Hierbei kommt dann sicherlich auch zunehmend mehr das logische Denken mit ins Spiel, die Fähigkeit des Durchdenkens von Folgen des Handelns auf der "inneren Bühne" der eigenen Psyche, was in der Folge dazu führen könnte, daß darauf gedrängt wird, gruppen- oder individuen-schädliche kulturelle Merkmale, Verhaltensweisen zu meiden und nützliche (adaptive) Merkmale und Verhaltensweisen zu fördern.
In einem weiteren Schritt wäre über das Themenfeld Täuschung und Selbsttäuschung nachzudenken. Denn der Mensch besitzt in einzigartigem Maße die Fähigkeit, sich selbst zu täuschen und dabei nicht ausreichend über die Folgen seines Handelns nachzudenken. Auch läßt er sich leicht und gern von anderen - bewußter oder weniger bewußt - täuschen. Diese "cheater detection", das Erkennen von Täuschern und Täuschungen (in sich selbst und anderen) dürfte ein wichtiges Merkmal aller menschlichen Kulturen sein, die sich ihre genetische Überlebensfähigkeit bewahren (oder bewahren wollen). Da Menschen sich wohl nirgends so folgenreich belügen und betrügen wie in der Politik, bzw. in der Geschichte, müßte aus evolutionärer Sicht gefordert sein, daß die Fähigkeit zur "cheater detection" gerade bei Politikwissenschaftlern und Historikern besonders ausgeprägt sein sollte.
Die Anwendung auf heutige Verhältnisse westlicher Gesellschaften kann an dieser Stelle des Nachdenkens dem Leser überlassen bleiben, bzw. er kann auf "cheater detection"-Literatur in unserem Buchladen verwiesen werden. Man könnte auch folgendes formulieren: Zeitgeschichts-Forschung ist heute nur noch selten das Erforschen grundlegender Wahrheiten über menschliches Verhalten in der Geschichte, sondern zunächst einmal größtenteils: cheater detection. Abschließend noch einmal die Autoren:
"Culture can remain adaptive, and imitation abilities continue to improve, if maladaptive traits are continuously filtered out. Thus the evolution of adaptive filtering may have been at least as important as the evolution of imitation for the origin of human culture. We may speculate that non-human animals have only rudimentary social learning abilities (compared to humans) not because social learning is especially difficult to evolve, but because it is not useful unless one cannot discriminate between adaptive and maladaptive cultural traits." "The evolution of such 'adaptive filtering' mechanisms may have been crucial for the birth of human culture."
Die Kultur muß insgesamt adaptiv sein und die menschliche Psyche ist fähig zu bewerten, ob sie das ist oder nicht. Der Mensch bleibt aufgefordert, diese seine psychischen Potentiale zu nutzen.
(ursprünglich veröffentlicht am 15.11.2007)
1. M ENQUIST, S GHIRLANDA (2007). Evolution of social learning does not explain the origin of human cumulative culture Journal of Theoretical Biology, 246 (1), 129-135 DOI: 10.1016/j.jtbi.2006.12.022
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