Samstag, 31. August 2019

Die Königin von Saba - Ihre Nachfahren haben sich bis heute genetisch unvermischt erhalten

Im Jemen auf der arabischen Halbinsel lebt ein uraltes Volk

Die Historizität der Königin von Saba (ggfs. um 700 v. Ztr.) (Wiki) aus dem heutigen Jemen ist umstritten und - möglicherweise - nur eine alttestamentarische Legende. Keine Legende ist, daß bei einer genetischen Untersuchung von 169 Nachfahren ihres Volkes heraus gekommen ist, daß diese sich vielleicht seit 10.000 Jahren unvermischt erhalten haben.

Abb. 1: Beduine aus Marib, 80 Kilometer nordöstlich von Sanaa - Fotografiert von Ingenieur Robert Deutsch 1931 (Wiki)

Zur Zeit der Araber ist in den letzten tausend Jahren durch den Sklavenhandel afrikanische Genetik in den Jemen gekommen. Aber nicht in Teile des Landesinneren wie die Region von Maarib (Wiki), der früheren Hauptstadt des Reiches von Saba (Wiki). Hier scheint sich bis heute eine Genetik erhalten zu haben, die repräsentativ ist für die Genetik des vorkupferzeitlichen Nahen Ostens überhaupt (!!!), bzw. sogar für die Genetik der "Natufier", also jener Völkergruppe, die im Nahen Osten erstmals - am Oberlauf von Euphrat und Tigris - zum Ackerbau übergegangen ist (1):

"Individuen aus Maarib scheinen genetisch unbeeinflußt geblieben zu sein von afrikanischen genetischen Einflüssen und haben deshalb Genome, die die jemenitische genetische Herkunft widerspiegeln wie sie vor der Vermischung mit Afrikanern vorlag. Diese Herkunft war vergleichbar mit jener Genetik wie sie vorlag während der Bronzezeit in entfernten nördlichen Regionen des Nahen Ostens. Nach der Bronzezeit hat es im Süden und Norden des Nahen Ostens unterschiedliche Entwicklungen gegeben: im Norden vermischten sich die Levantiner mit eurasischen Populationen, die Steppen-Genetik mitbrachten, und deren genetischer Einfluß niemals bis zum Jemen reichte, wo sich die Menschen stattdessen mit Afrikanern mischten, die zu der genetischen Struktur führte, die man heute im Nahen Osten beobachten kann."*)

Im Jemen in Maarib hat sich also vorkupferzeitliche nahöstliche Genetik ziemlich rein erhalten wie sie sonst im Nahen Osten nur noch seltener wird besichtigt werden können. 

Abb. 2: Beduine aus Schouba (Saba), fotografiert von Hans Helfritz 1935 (aus: 3)

Selbst genetisch nicht arabisierte religiöse Gruppen wie die Drusen und Kopten haben ja dennoch bronzezeitliche iranisch-neolithische Genetik in sich wie sie typisch war im antiken Mittelmeerraum.

Abb. 3: Der Reiseweg von Hans Helfritz 1935 nach Schobua (Saba) (aus: 3)

Ma'rib war in der Antike die Hauptstadt des Reiches von Saba. 24 v. Ztr. wurde die Stadt - allerdings erfolglos - von den Römern belagert.

Abb. 4: Beduine der Al Burek" aus Schobua (Saba), fotografiert von Hans Helfritz 1935 (aus 3) (UniKöln) (Wiki)

Wichtig ist es den Forschern auch zu betonen, daß afrikanische Genetik seit der Eiszeit bis zum Mittelalter keinen Einfluß auf den Jemen hatte, der sich heute noch in ihren Genomen widerspiegeln würde. 

Abb. 5: Beduine der Ma'ari, fotografiert von Hans Helfritz 1935 (aus: 3)

Und das, so möchten wir anfügen, obwohl doch - archäologisch gesehen - die Vorfahren der Natufier im Fruchtbaren Halbmond sehr ähnlich lebten wie die Buschleute in Südafrika (wiederholt aufgesuchte Camps in ähnlicher Verteilung in der Landschaft usw.) (in der Kulturstufe des Kebaran). Und das außerdem, obwohl der Jemen ja ziemlich dicht an Afrika grenzt.

Man darf sich allerdings wundern, daß in der Studie von "Steppen-Genetik", also von indogermanischer Genetik, die Rede ist. Ob das nicht von den Genetikern mit der kaukasus-neolithischen Genetik verwechselt wird, die ja doch viel verbreiteter ist im Nahen Osten seit der Kupferzeit? Oder sollten uns neuere Erkenntnisse zu dieser Thematik bislang entgangen sein, obwohl wir ja versuchen, alle neueren Studien dazu (2) im Auge zu behalten?

Abb. 6: Beduine der Al Quorab, einem der Bergstämme im Jemen (aus: 3)

Ergänzung 30.9.2023: Einen ersten bildlichen Eindruck von Bauten, Landschaft und Menschen des heutigen Gouvernats Saba kann man sich auf Wikipedia verschaffen (WikiCom) oder über einen vollständig zugänglichen deutschen Reisebericht aus dem Jahr 1935 von Hans Helfritz (1902-1995) (Wiki) (3) (s.a. MusKoelnTw). Hans Helfritz berichtet über seine Reise nach Saba 1935 (3, S. 26):

Auch ein Neger nimmt teil an unserer Reise, ein baumlanger Somali-Neger, Ali Ismail heißt er. Er will nach Hadramaut, um dort seinen Bruder, der im Dienste des Sultans von Terim steht, zu besuchen. (...) Ali war viel in der Welt herumgekommen, hatte in der nordarabischen Wüste großen Beduinenfürsten gedient, kannte Syrien und den Irak und hatte als Wagenlenker König Ibn Sa'uds mit dem Kampfwagen des Königs die Halbinsel vom Roten Meer bis zum Persergolf mehrmals durchrast.

Abb. 7: Die antike Stadt Marib im Jemen (Fotograf: Api/Wiki)

Und etwas später über dessen Einstellung zu den Bergstämmen im Innern des Jemen (3, S. 38):

Erhaben blickt er auf die halbnackten braunen Kerle; es sind ja nur arme Bedu's (Beduinen). Es ist merkwürdig, jeder Neger, den ich in diesem Lande getroffen habe, fühlt sich über die einfachen Leute der Wüste, die gewöhnlichen Bedu's, hoch erhaben. Selbst die Sklaven in Hadramaut. Um wie viel edler ist doch ein Beduine, ein Mensch, der mit der Natur verwachsen ist, als alle Neger und Städter, die seßhaft geworden feste Siedlungen bewohnen. (...) Er ist äußerst genügsam, aber auch ewig hungrig. Und deshalb bettelt er. Die Beduinen betteln den ganzen Tag während der Reise. 

Über das Gebiet der Ruinenstadt Saba herrschten traditionell zwei Stämme, die Al Burek und die Al Quorab (3, S. 45).


/ Ergänzt um Fotografien aus (3): 30.9.2023 /

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*) Original: "Individuals from Maarib appear to have been genetically isolated from the African gene flow and thus have genomes likely to reflect Yemens ancestry before the admixture. This ancestry was comparable to the ancestry present during the Bronze Age in the distant Northern regions of the Near East. After the Bronze Age, the South and North of the Near East therefore followed different genetic trajectories: in the North the Levantines admixed with a Eurasian population carrying steppe ancestry whose impact never reached as far south as the Yemen, where people instead admixed with Africans leading to the genetic structure observed in the Near East today."
__________ 
  1. Insight into the genomic history of the Near East from whole-genome sequences and genotypes of Yemenis. Marc Haber, Riyadh Saif-Ali, Molham Alhabori, Yuan Chen, Daniel E Platt, Chris Tyler-Smith, Yali Xue, bioRxiv 749341; 29.8.2019, doi: https://doi.org/10.1101/749341 https://www.biorxiv.org/content/10.1101/749341v1
  2. Bading, Ingo: Die genetische Geschichte der Alten Ägypter Die Geschichte der afroasiatischen Sprachfamilie insbesondere in Ostafrika, 8. Juli 2019 (Stgen2019)
  3. Helfritz, Hans: Geheimnis um Schóbua. Unter südarabischen Beduinen ins Land der Sabäer. Deutsche Verl. Ges., Berlin  1935 (70 S.) (UniHalle)

Freitag, 30. August 2019

Unsere Pferde - Sie stammen aus dem Vorderen Orient

Unsere modernen Pferderassen stammen von den Araber-Pferden ab - sogar die Islandpony's

Aus der Jahrtausende langen Geschichte der Pferdezucht, sowie der von ihr hervorgebrachten Vielfalt über die Völker der Welt hinweg hat sich seit 1500 Jahren nur eine Gruppe von Pferden bis zu uns heute erhalten, nämlich jene, die durch die Araber - und vielleicht vorher schon durch die Perser und Sassaniden - gezüchtet worden sind. Das zeigt eine neue genetische Studie aus dem Jahr 2019 auf (1).

Araber-Pferde gelten ja schon seit Jahrhunderten als die edelsten, rassigsten und schnellsten Pferde. Auffalllend ist aber in der neuen Studie, daß die Abstammung der heutigen Pferde von den Araberpferden so umfassend und eindeutig aufgezeigt wird, nämlich sogar zum Beispiel bei Islandpony's.

Abb. 1: "St. Simon" (1881-1908) - Einer der erfolgreichsten Zuchthengste in der Geschichte des Englischen Vollbluts (Wiki)

Die Shetland- und Island-Pony's, die von den Pferden der Wikinger und Briten abstammen, stammen letztlich auch aus dem persisch-islamischen Genpool (wenn wir das richtig verstehen). Die Studie sagt aber, daß noch viele Genome nördlich des Schwarzen Meeres und in Persien sequenziert werden müssen, um die Zucht-Geschichte der Pferde vollständig zu verstehen.

In den letzten 1.600 bis 600 Jahren seien die Pferde auch stark auf Schnelligkeit gezüchtet worden. Das gilt ja insbesondere für die Zuchtgeschichte des "Englischen Vollbluts" (Wiki) (s. Abb. 1) wie noch einmal in einer Studie aus dem Jahr 2022 verdeutlicht wird (2). Zur sei das nicht in so ausgeprägtem Maße der Fall gewesen. 

In der Studie von 2019 ist allerdings von den Pferden der antiken Hethiter und Griechen nichts zu lesen. Da die die Völker der Vorgeschichte ja auch Wagenrennen kannten wie durch die Ilias oder durch Felszeichnungen bis hoch in die Nordische Bronzezeit bezeugt, kann man sich nicht vorstellen, daß die Pferde nicht auch damals schon auf Schnelligkeit gezüchtet worden sein sollten. Aber vielleicht nicht mit so großer Nachhaltigkeit. Es bleiben jedenfalls auch nach dieser Studie noch allerhand Fragen offen.

Abb. 2: Die Abstammung der modernen Pferde von den Araber-Pferden (aus: 1)

Unter Pferdekennern ist ja immer schon bewundernd von dem Araber-Blutanteil in unseren verschiedenen Pferderassen gesprochen worden. Welche Pferde aber nun unsere nichtchristlichen Vorfahren geritten haben, ist durch diese Studie noch nicht gut geklärt.

Wir indogermanischen Völker Europas haben jedenfalls - nach den Ergebnissen dieser Studie - nicht nur den Ackerbau seit 7.500 Jahren und unsere Religion seit 1.400 Jahren aus dem Vorderen Orient übernommen, sondern seit 1.200 Jahren auch unsere Pferde. Vermutlich ist im Verlauf der Züchtung über Jahrhunderte nach und nach der Nicht-Araber-Blutanteil in den europäischen Pferderassen immer mehr verloren gegangen.

/ Zuerst als

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  1. Tracking Five Millennia of Horse Management with Extensive Ancient Genome Time Series. Antoine Fages, Kristian Hanghøj, Naveed Khan, Alan K. Outram, Pablo Librado, Ludovic Orlando. In: Cell, Volume 177, Issues 6, P 1419-1435.e31, May 30, 2019, Published:May 02, 2019, DOI:https://doi.org/10.1016/j.cell.2019.03.049, https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(19)30384-8
  2. Remer, V.; Bozlak, E.; Felkel, S.; Radovic, L.; Rigler, D.; Grilz-Seger, G.; Stefaniuk-Szmukier, M.; Bugno-Poniewierska, M.; Brooks, S.; Miller, D.C.; Antczak, D.F.; Sadeghi, R.; Cothran, G.; Juras, R.; Khanshour, A.M.; Rieder, S.; Penedo, M.C.; Waiditschka, G.; Kalinkova, L.; Kalashnikov, V.V.; Zaitsev, A.M.; Almarzook, S.; Reißmann, M.; Brockmann, G.A.; Brem, G.; Wallner, B. Y-Chromosomal Insights into Breeding History and Sire Line Genealogies of Arabian Horses. Genes 2022, 13, 229. https://doi.org/10.3390/genes13020229
  3. Bading, I.: Die Pferde der Hethiter - Erst um 2000 v. Ztr. treten domestizierte Pferde in Anatolien auf. 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/09/die-pferde-der-hethiter.html 
  4. Bading, I.: Unsere Pferde - Sie stammen von Don und Wolga, 2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/10/unsere-pferde-sie-stammen-von-don-und.html

Donnerstag, 29. August 2019

Unsere Hausschweine stammen NICHT aus dem Vorderen Orient

Nahöstliche domestizierte Schweine vermischten sich gleich anfangs auf dem europäischen Kontinent mit europäischen Wildschweinen

Vor einem Monat titelten wir: Unsere Hausrinder stammen nicht aus dem Vorderen Orient (1). Inzwischen ist eine vergleichbare Studie zur Herkunft der europäischen Hausschweine erschienen, die nun die Überschrift erlaubt: Unsere Hausschweine stammen nicht aus dem Vorderen Orient. Denn schon die Hausschweine der ersten Bauernkultur Europas, der Bandkeramiker, stammten nur zu 50 % aus Anatolien (2).

Abb. 1: Schweinchen-Figurinen aus der bandkeramischen Kultur in der Wetterau (ohne Maßstab). 1 Butzbach-Nieder-Weisel (Ankel/Meyer-Arendt, Anm. 41) und 2.4.6.8 Nieder-Mörlen (Schade-Lindig, Idole, Abb. 10, 31; 9, 33.34; 13,51). 3 Glauberg und 5 Butzbach-Nieder-Weisel (Schade-Lindig/Schade, Preziosen, Abb. 13,1.3).7 Bad Homburg-Nieder-Erlenbach (Zeichnung Schade-Lindig).

Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit daran, daß Hausschweine bis in 19. Jahrhundert hinein über die sogenannte "Eichelmast" (3) gehalten wurden. Bis dahin hatte jedes Dorf nicht nur einen Pferdehirten, einen Kuhhirten und einen Schafhirten, sondern eben auch eine Schweinehirten. Die Schweine wurden über weite Teile des Jahres gar nicht im Stall gehalten, sondern draußen in der Nähe des Waldes (3):

"Die Eichelmast trug auch dazu bei, daß das Hausschwein lange Zeit dem Wildschwein glich, da die Sauen sehr häufig durch Keiler gedeckt wurden."

Und aus der neuen Studie darf geschlossen werden, daß diese Vermischung von Haus- und Wildschweinen in Europa schon in den ersten Balkan-neolithischen Kulturen begann und in der Mittleren Bronzezeit weitgehend abgeschlossen war. 

[Ergänzung 22.1.22] Schon für die vorkeramischen, halbseßhaften Kulturen im östlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds, im Zagros-Gebirge ist festgestellt worden, daß sie männliche Schafe und Ziegen jagten - aber nicht weibliche, um die Bestände zu erhalten, und daß sie weibliche (Wild-)Sauen im oder nahe des Haushalts hielten, sie aber regelmäßig mit wilden Ebern decken ließen, so wie das zum Teil noch heute auf Neuguinea geschieht (9). So daß das im vorliegenden Blogartikel aufscheinende Geschehen in den frühen neolithischen Kulturen Europas nicht ungewöhnlich ist.

Das Schwein ist also zwar ursprünglich im Vorderen Orient domestiziert worden und die Genetik der nahöstlichen Hausschweine beeinflußte anfangs auch sehr stark diejenige der europäischen Hausschweine. Doch heute spielt sie in Europa kaum noch eine Rolle (2):

"Die ersten domestizierten Schweine, die aus dem Nahen Osten nach Europa eingeführt wurden, waren beträchtlich kleiner als die europäischen Wildschweine."
"The first domestic pigs introduced from the Near East were substantially smaller than European wild boars."

So führt die neue Studie aus. Ihr Ziel (2):

"Wir charakterisieren das Ausmaß, die Geschwindigkeit und den Mechanismus, durch den (die in Europa eingeführte) Schweine die Herkunft europäischer Wildschweine annahmen."
"Here we (...) characterized the extent, speed, and mechanisms by which" (introduced) "pigs acquired European wild boars ancestry."

Hierzu wurden 1.318 archäologisch gewonnene Schweineknochen untersucht, 262 von Wildschweinen, 592 von Hausschweinen, 464 mit unbekannter Zuordnung. Von ihnen gilt (2):

"Am frühesten tritt der mitochondriale nahöstliche Hausschwein-Haplotyp Y1 in unserer  kontinentaleuropäischen Untersuchungsgruppe 6.000 v. Ztr. in neolithischen Hausschweinen im heutigen Bulgarien auf, am spätesten in einem neolithischen Kontext 3.100 v. Ztr. in einem polnischen Exemplar."
"The first appearance of the" Near Eastern "mt-Y1 haplotype in our continental European dataset was ∼8,000 y ago in Neolithic Bulgarian pigs (Kovacevo: Kov18, Kov21), and its terminal appearance in a Neolithic context was ∼5,100 y ago in a Polish sample (AA134, _ Zegotki 2)."

Bei dem Fundort Zegotki handelt es sich um ein Dorf, das auf Deutsch Wiesengrund (Wiki) hieß.**) Bei den in Wiesengrund gefundenen Schweineknochen dürfte es sich um Hausschweine der Kugelamphorenkultur gehandelt haben.

In der Zeit danach findet sich nahöstliche mitochondriale Signatur nur selten und punktuell in Hausschweinen um 2.000 v. Ztr. im südwestlichen Griechenland, sowie in Sardinien und um 1200 n. Ztr. in Neapel, Korsika und in der Toskana.

Heutige europäische Hausschweine haben dann nur noch 4 % nahöstliche Hausschwein-Genetik in sich und das aufgrund vornehmlich von südeuropäischen Hausschwein-Rassen. Weiter (2):

"Zwei frühneolithische Schweine aus Herxheim, Deutschland (5.100 v. Ztr.) besaßen 54 % und 9 % nahöstliche Herkunft; ein domestiziertes Schwein von  la Baume d’Oulen (5.100 v. Ztr.) besaß 15 % davon; ein spätneolithisches Schwein von Durrington Walls in Großbritannien (Großsiedlung in der Nähe von Stonehenge) (2.500 v. Ztr.) besaß nur 5 %.
"2 early Neolithic samples from Herxheim, Germany (∼7,100 y BP: KD033, KD037) possessed ∼54% and ∼9% Near Eastern ancestry, respectively; a domestic pig from la Baume d’Oulen, France (∼7,100 y BP: AA288) possessed 15%; a Late Neolithic sample from Durrington Walls in Britain (∼4,500 y BP: VEM185) possessed ∼10%; and a 1,000-y-old Viking Age sample from the Faroe Islands (AA451) possessed only 5%."

Also schon die Hausschweine der Bandkeramik in Südhessen (Herxheim) um 5.100 v. Ztr. hatten zur Hälfte bis 90 % einheimische europäische Wildschwein-Genetik. Und in der Bronzezeit war der Anteil der nahöstlichen Genetik bei den europäischen Hausschweinen schon auf den heutigen Anteil zurückgegangen.

Bei dieser Gelegenheit fällt einem ein, daß es so manche schöne tönerene Hausschweine-Darstellung in der bandkeramischen Kultur gibt, die zeigt, daß Liebe und Zuneigung zu Hausschweinen Bestandteil des kulturellen Selbstverständnisses dieses ersten Bauernvolkes Europas gewesen ist (Abb. 1) (4, 5). Interessant ist außerdem die Angabe für La Baume d’Oulen um 5.100 v. Ztr.. Das ist eine Höhle im Rhonetal in Südfrankreich (6), wo es also um 5.100 v. Ztr. ebenfalls nur 15 % anatolische Hausschwein-Genetik gab. Weitere Untersuchungen in geringerer Sequenzierungs-Auflösung ergaben (2)

"acht domestizierte Schweine, die den nahöstlichen Wildschweinen und neolitischen domestizierten Schweinen des Nahen Ostens näher standen. ....Und zwar im Nördlichen Makedonien (5.650 v. Ztr.), Herxheim (5.100 v. Ztr.), Rumänien (5.100 und 4.000 v. Ztr.) und Serbien (4.500 v. Ztr.). (...) Sieben dieser Schweine gehörten auch die nahöstliche mitochondriale Y1-Haplogruppe."
"8 domestic pigs that are closer to Near Eastern wild boars and ancient Near Eastern domestic pigs. In all, this group comprised Neolithic pigs from contexts dating from 7,650 to 6,100 y BP, including the following: Madzhari, Northern Macedonia (∼7,650 y BP: BLT022, BLT023); Herxheim, Germany (7,100 y BP: KD033, KD032); Magura, Romania (7,100 y BP: BLT010); Plocnik, Serbia (∼6,650 y BP: AA212); Vinca Belo Brdo, Serbia (∼6,500 y BP: BLT014); and Cascioarele, Romania (∼6,000 y BP: AA072). Interestingly, 7 of these samples also possessed the Near Eastern mt-Y1 haplogroup."

Eine jünger datierte, zweite Gruppe von in geringerer Aufslöung sequenzierten Schweineknochen stand dann genetisch den europäischen Wildschweinen näher (2):

"Die zweite Gruppe von archäologischen europäischen Schweineknochen stand den wilden und modernen domestizierten europäischen Schweinen näher und schloß in sich ein Schweineknochen, die meistens in der Zeitstellung jünger sind als die der ersten Gruppe. ....
"The second group of ancient European samples was closer to wild and modern domestic pigs from Europe and included samples that are mostly younger in age than the first group. This second group consisted of 18 domestic samples from overall more recent archaeological sites dating from 7,100 to 900 y BP, including the following: Herxheim, Germany (7,100 y BP: KD037); Oulens, France (∼7,100 y BP: AA288); Bozdia, Poland (∼6,700 y BP: AA346; ∼900 y BP: AA343, AA341); Durrington Walls, England (∼4,500 y BP: VEM183, VEM184, VEM185); Utrecht, The Netherlands (∼2,300 y BP: KD025; ∼700 y BP: KD024); Basel, Switzerland (∼2,000 y BP: AA266); Coppergate, England (∼1,800 y BP: AA301); Undir Junkariusfløtti, Faroe Islands (∼1,000 y BP: AA451, AA411, AA414, AA418, AA440); and Ciechrz, Poland (∼900 y BP: AA139). (...) All of these samples possessed a European mtDNA signature."

Aus all dem ist insgesamt zu schlußfolgern: So wie schon die ersten neolithischen Kulturen auf dem Balkan einheimische europäische Hausrinder nutzten, so hatten sie auch schon - wenigstens zum Teil - einheimische, europäische Hausschweine. Diese Hausschweine konnten in den balkan-neolithischen Kulturen und in der Bandkeramik noch zu über die Hälfte anatolisch-neolithischer Herkunft sein. Aber in der Zeit danach ging dieser anatolisch-neolithische Herkunftsanteil innerhalb Europas stetig zurück bis er in der Mittleren Bronzezeit um 2.000 v. Ztr. in Europa nur noch eine verschwindende Rolle spielte.

Abb. 2: Niedliche tönerne Schweinchen-Darstellung aus Nieder-Weisel in der Wetterau in Hessen, 16 Zentimeter lang, Bandkeramik (v.a. Nummer 3 links unten) (aus: 4, s.a. 5)

Damit übrigens der mitochondriale genetische Anteil europäisch wurde, reichte das Decken durch Wildeber nicht aus, sondern es mußten weibliche Wildschweine eingefangen worden sein, denkbar als Frischlinge, nachdem das Muttertier erjagt worden war. Daß es in den frühen neolithischen Bauernkulturen - ähnlich wie auf Neuguinea - sehr beliebt war, Schweine zu päppeln, möchte man von den geschaffenen Figurinen durchaus ablesen.

Hausschweine in der Ertebolle-Kultur um 4.500 v. Ztr.?

Ergänzung 24.11.2013: Schon in einer Kieler Studie aus dem Jahr 2013 wurde übrigens in der mesolithischen Ertebolle-Kultur des westlichen Ostseeraumes um 4.500 v. Ztr. herum nahöstliche Hausschwein-Genetik gefunden, die auf kulturelle Kontakte zu den südlichen Bauernkulturen zurück geführt wird (7):

Surprising is the presence of three Ertebølle pigs from Grube–Rosenhof (specimens: E24, E44) and Poel (E69) from northern and northeastern Germany that possessed the Near Eastern haplotype Y1 (...). This result indicates the presence of animals with an ‘exotic’ domestic origin in a hunter-gatherer context (...). In addition, one of these specimens (E24) revealed a range of other domestic traits. (...) Finally, direct dating of E24 (4720–4582 cal BC, KIA 41338) confirmed its younger Ertebølle cultural affiliation (~4750–4450 cal BC). (...)
As Ertebølle and Neolithic groups (LBK, Stichbandkeramik and Rössen) coexisted for ~700 years (between 5500 and 4200 cal BC), the presence of a domestic pig dated from 4720 to 4582 cal BC at an Ertebølle site suggests that contact was frequent enough to be detected in the limited sample size analysed in this study. It seems that specimen E24 represents the earliest evidence of the first domesticated pigs introduced to the region.

Da nahöstliche Hausschwein-Genetik sowieso schnell zurückgegangen ist damals in Europa, ist der Nachweis von Hausschweinen in der Ertebolle-Kultur künftig sicher noch anders zu führen als durch Nachweis nahöstlicher Genetik.

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*) Wiesengrund gehörte bis 1918 zu Deutschland, da es inmitten der damaligen deutschen Provinz Posen lag, 100 Kilometer östlich der Stadt Posen, 15 Kilometer südlich der Stadt Hohensalza, zwischen den Städten Gnesen und Wloclawek an der Weichsel, das heißt: 50 km westlich von Gnesen und 65 km östlich von Wloclawek, außerdem 50, bzw. 60 km südlich von Thorn und Bromberg an der Weichsel (Wiki), 200 Kilometer nördlich von Breslau.
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  1. Bading, Ingo: Unsere Kühe - Sie waren schon immer bei uns einheimisch - Sie stammen NICHT (!) aus dem Vorderen Orient, 18. Juli 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/07/unsere-kuhe-schon-immer-waren-sie-bei.html 
  2. Ancient pigs reveal a near-complete genomic turnover following their introduction to Europe. Laurent A. F. Frantz, James Haile, Audrey T. Lin, Amelie Scheu, Christina Geörg, Norbert Benecke, (...) Wolfram Schier, (...) Joachim Burger, Allowen Evin, Linus Girdland-Flink, Greger Larson. In: Proceedings of the National Academy of Sciences Aug 2019, 116 (35) 17231-17238; DOI: 10.1073/pnas.1901169116 (Researchgate)
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Eichelmast
  4. Fröhlich, Madeleine: Figürliche Kunst der Linienbandkeramik aus Günthersdorf, Dezember 2017, http://www.lda-lsa.de/de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte/fund_des_monats/2017/dezember/
  5. Tönernes Schwein aus Nieder-Weisel , Wetteraukreis (Hessen). In: Andrea Streily und Kirtsen Hellström: Archäologische Funde in Deutschland ausgewählt und kommentiert von Svend Hansen. Berlin 2010, S. 22f (pdf
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Baume_d%E2%80%99Oullins, https://fr.wikipedia.org/wiki/Baume_d%27Oullins
  7. Use of domesticated pigs by Mesolithic hunter-gatherers in northwestern Europe. Krause-Kyora B, Makarewicz C, Evin A, Flink LG, Dobney K, Larson G, Hartz S, Schreiber S, von Carnap-Bornheim C, von Wurmb-Schwark N, Nebel Almut. Nat Commun. 2013;4:2348. doi: 10.1038/ncomms3348, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3903269
  8. Sabine Schade-Lindig: Kunst oder Kult - Figürliche Plastiken aus Bad Nauheim-Nieder-Mörlen und der geographischen Wetterau. 2012, S. 453ff (DocPlayer)
  9. Bading: Zagros, 2022, https://studgendeutsch.blogspot.com/2022/01/das-zagros-gebirge-in-der.html

Samstag, 24. August 2019

Ein neues Volk entstand in Wien - Die Bandkeramik

Die Entstehung des Volkes der Bandkeramiker, des ersten Bauernvolkes Europas
Soeben ist eine neue archäogenetische Studie über die Entstehung des ersten Bauernvolkes in Mitteleuropa, die Bandkeramiker, erschienen (11). Diese Entstehung hatte ich selbst gerade erst vor wenigen Monaten in einem Artikel und einem Video behandelt (12), die aus diesem Grund hier erneut veröffentlicht werden sollen - gemeinsam mit der spannenden Aktualisierung aus diesem Monat ganz unten.

Derzeit erforschen die Archäologen in Ungarn und Österreich - zwischen Plattensee und Wien (Abb. 1) - die Entstehung eines neuen Volkes. Es geht um die Entstehung jenes Volkes, das den Ackerbau und die seßhafte Lebensweise nach Mitteleuropa gebracht hat, nämlich des Volkes der Bandkeramiker (Wiki). Über die Bandkeramiker habe ich schon verschiedene Artikel veröffentlicht (z.B. 1). Wir wissen inzwischen, daß dieses Volk weitgehend ausgestorben ist und daß es genetisch aus der anatolisch-neolithischen Völkergruppe aus dem Mittelmeer-Raum hervorgegangen ist, wo es es noch heute am ehesten in Sardinien entfernt verwandte Nachkommen hat.

Inzwischen kann man aber auch erfahren, daß die bandkeramische Kultur sich von ihrer Vorgängerkultur nicht nur durch ihre imposanten 30 Meter langen Langhäuser unterscheidet, sondern auch in der Art ihrer Menschendarstellung (2, 3). Der in der Vorgängerkultur "Starcevo-Körös" oft dargestellte Fettsteiß bei übergewichtigen Frauen kommt in Menschendarstellungen der Bandkeramik gar nicht vor (3). 

In der Bandkeramik werden Menschen eher schlanker und hagerer dargestellt. So betonen inzwischen mehrere damit befaßte Archäologen. Auch findet sich die Darstellung von gelockten (hellen?) Haaren offenbar nur in der bandkeramischen Kultur.

Der deutsche Doyen der Bandkeramik-Forschung, Professor Jens Lüning aus Frankfurt am Main, hat sich schon 2016 Gedanken darüber gemacht, wie es zur Entstehung des Volkes der Bandkeramiker gekommen ist: "Geburt aus dem Widerspruch - Die Entstehung der Bandkeramik aus ihrer Mutterkultur Starcevo", lautet sein diesbezüglicher Aufsatz. Er meint, die Bandkeramiker wären religiöse und kulturelle "Abweichler" gewesen, die sich religiös und kulturell bewußt unterschieden hätten von ihrer Mutterkultur und bewußt in Gegensatz zu ihr getreten wären. - Macht es Sinn, sich Volkwerdung so vorzustellen?

Abb. 1: Zwischen Plattensee, Neusiedler See und Wien: Die Kultur des späten Starcevo (grün) und die früheste Bandkeramik (rot)
Fundorte: 1. Babarc; 2. Becsehely I-Bükkaljai-dűlő; 3. Brunn am Gebirge; 4. Gellénháza-Városrét; 5. Harc-Nyanyapuszta; 6. Medina; 7. Révfülöp; 8. Sármellék; 9. Szentgyörgyvölgy-Pityerdomb; 10. Tapolca-Plébániakert; 11. Tihany-Apáti; 12. Vörs-Máriaasszonysziget; 13. Zalaegerszeg-Andráshida-Gébárti-tó (aus: Oross/Banfy 2009)

Um die Entstehung eines neuen Volkes rankt sich fast immer ein großes Geheimnis. Oft gibt es Gründungsmythen. Wir können zum Beispiel die sprachliche Trennung des Volkes der Deutschen von dem der Franzosen grob zeitlich eingrenzen ("Straßburger Eide") und wir können manches darüber sagen, was bei der Entstehung des deutschen und des französischen Volkes und ihrer Sprachen alles vor sich gegangen sein mag. Tatsächlich sind "die Deutschen" auch von der Herkunft ihrer Volksbezeichnung her diejenigen, die ihrer ursprünglichen Sprache und Eigenart treu geblieben sind, während ja viele andere germanische Stämme sich sprachlich und kulturell viel stärker haben romanisieren lassen, bzw. das landesübliche Vulgärlatein übernommen haben. Und irgendwann wurde dieser Gegensatz den Menschen spürbar. Man mag jedoch noch so viel darüber forschen und man mag sich noch so viel darüber Gedanken machen. Das Wort von Hermann Hesse wird bezüglich solcher Themen immer seine Gültigkeit behalten, das da lautet:

"Allem Anfang wohnt ein Zauber inne."

Und das mag auch für die Entstehung des ersten Volkes von Ackerbauern in Mitteleuropa um 5.700 v. Ztr. nördlich des Plattensees gelten.

Aus der Ancient-DNA-Forschung wissen wir inzwischen, daß sich das Volk der Bandkeramiker von seiner Genetik her kaum unterscheidet von der Gruppe der anatolisch-neolithischen Bauernvölker, die sich um jene Zeit auch sonst rund um das ganze Mittelmeer und über ganz Europa hinweg auf demographischem Wege ausgebreitet hat. Allerdings haben sich bei den Bandkeramikern - im Unterschied zu den anderen Bauernvölkern dieser Völkergruppe - bis zu etwa 7 Prozent Gene einheimischer westeuropäischer Jäger und Sammler "eingeschmuggelt". Man dürfte sagen, daß sich die Kultur der mitteleuropäischen Bandkeramiker aber deutlich stärker von ihrer Vorgängerkultur Starcevo unterscheidet, als das mit 7 Prozent anderer Genetik erklärt werden kann.

Wir wissen inzwischen, daß sich Sprachen halten können, obwohl die Gene der diese Sprache Sprechenden schon lange ausgestorben sind (so in Polynesien festgestellt) (10). Und so kann man sich vorstellen, daß die Bandkeramiker zu nicht geringen Teilen die Sprache der einheimischen Jäger und Sammler angenommen haben und mit ihnen auch manche Mentalität, auch wenn über die Generationen der Volkwerdung hinweg nur 7 Prozent der Gene des neu entstehenden Volkes von den einheimischen Jägern und Sammlern übrig blieben. So scheint es am ehesten erklärbar zu sein, daß sich die Kultur der Bandkeramiker so deutlich von ihrer Vorgängerkultur unterscheidet.

Jens Lüning schreibt nach vorgehenden detaillierteren Betrachtungen (3, S. 279):

Die Siedlungen Brunn am Gebirge 2a und Pityerdomb (sind) trotz ihrer eigenartigen und noch stark von der Starčevokultur geprägten frühen Keramik nach den obigen Darlegungen zweifellos bereits als vollwertige Mitglieder der bandkeramischen Kultur zu betrachten: Die dort errichteten Gebäude gehören schon vollständig zum bandkeramischen Bautypus. Es gibt keine Hinweise auf Zwischen- oder Übergangsformen, und es gibt außerdem für diesen Haustypus in der Starčevokultur kein Vorbild, er ist eine Neuschöpfung (Lenneis 2000; Bánffy 2004: 70f.). Damit hatten die in diesen Häusern und Siedlungen lebenden Menschen den entscheidenden Schritt bereits vollzogen: die bandkeramische Familienstruktur war vollständig eingeführt und der soziale Umbau ihrer Gesellschaft abgeschlossen - „Linear Pottery Longhouse… there can be no doubt that its emergence marked the birth of a community‘s identity“ (Bánffy 2004: 71). Wer und was hatte das veranlaßt? Welche anderen Lebensbereiche hatten sich parallel dazu verändert?

So fragt Lüning. Mit diesem Artikel und dem begleitenden Video soll nur auf die neueren Forschungen und Forschungsfragen aufmerksam gemacht werden. Es soll damit zu der Thematik nichts Erschöpfendes gesagt sein.

Neue Erkenntnisse - 24.8.2019

Soeben wurde eine neue Studie veröffentlicht, in der vier Skelette aus der Formierungsphase der Bandkeramik aus Brunn am Gebirge bei Wien sequenziert wurden (11). Brunn am Gebirge liegt heute 13 Kilometer südlich des Stadtzentrums von Wien und 200 Kilometer nördlich des Plattensees. Und es wird immer besser und sicherer erkennbar, daß sich innerhalb dieser 200 Kilometer zwischen Plattensee und dem heutigen Wiener Becken die Ethnogenese der Bandkeramiker, der ersten Bauern Mitteleuropas vollzogen hat. Die Archäologen sprechen deshalb neuerdings von der "Formierungsphase" - engl. "Formative Phase" - der Bandkeramik. Das kann natürlich auch mit "Gründugnsphase" übersetzt werden. In der Studie heißt es (11):

Wir berichten von der bioarchäologischen Analyse von drei Individuen, die am Siedlungsort Brunn 2 in Brunn am Gebirge-Wolfholz beigesetzt wurden, eines der ältesten bandkeramischen Siedlungsorte in Mitteleuropa. Zwei der Individuen waren eine Mischung aus westeuropäischen Jägern und Sammlern und anatolisch-neolithischen Bauern, wobei einer von ihnen jeweils zur Hälfte von der jeweiligen Abstammungsgruppe abstammte. Das dritte Individuum war fast rein anatolisch-neolithischer Abstammung.
Original: In this report, we provide a bioarchaeological analysis of three individuals interred at the Brunn 2 site of the Brunn am Gebirge-Wolfholz archeological complex, one of the oldest LBK sites in central Europe. Two of the individuals had a mixture of Western Hunter Gatherer(WHG)-related and Anatolian Neolithic Farmer (ANF)-related ancestry, one of them with approximately 50% of each, while the third individual had approximately all ANF-related ancestry.

Und weiter (11):

Grab 1 wurde im südlichen Teil des Siedlungsortes Brunn am Gebirge 2 angelegt in einer Grube, aus der zuvor Lehm (für den Hausbau) entnommen worden war. Die Gräber 2 und 4 waren angelegt worden in Gräben von Häusern, die nicht mehr genutzt worden sind als die Gräber angelegt wurden. Das Grab 3 steht in keiner Verbindung mit einer Struktur oberhalb der Erde.
Original: Burial 1 was found in a clay extraction pit in the southern part of the Brunn am Gebirge site 2. Burials 2 and 4 were found in the long ditches of houses no longer in use at the time of burial. Burial 3 was not associated with an above-ground structure.

Wer sich mit der Archäologie der Bandkeramik schon beschäftigt hat, weiß, daß die bandkeramischen Häuser nicht gar zu lange benutzt wurden, und daß am selben Ort in der Nähe der alten neue erbaut wurden, wenn man das alte verfallen ließ. Die Mitteilung, daß sich die Gräber 2 und 4 an einem Haus befanden, das schon nicht mehr genutzt wurde, kann also nur heißen, daß sie ein oder mehrere Jahrzehnte nach Begründung der Siedlung angelegt worden sind. Vielleicht haben die Begrabenen an diesem Ort ihr ganzes Leben verbracht. Aber einer derselben ist nicht an diesem Ort, wo er bestattet wurde, geboren worden wie die Analysen zeigen (11).

Es handelt sich um drei Männer, die sich alle - so sagen die Analysen - wie typische jungsteinzeitliche Bauern ernährt haben, nicht mehr wie Jäger und Sammler (1):

The results of stable isotope analysis from dentin revealed that all three individuals grew up on a diet consistent with that of a Neolithic farming community.

Ihre Y-Chromosomen sind typisch für anatolisch-neolithische Männer, ihr mitochondriales Genom auch, allerdings gibt es solche mitochondrialen Haplotypen auch unter westeuropäischen Jägern und Sammlern. Somit ist zwar ein Mann von drei Männern fast rein einheimischer mitteleuropäischer genetischer Herkunft, ansonsten weisen Y-chromosomale und mitochondriale Haplotypen aber eher darauf hin, daß männliche Bauern der Starcevo-Kultur Frauen der einheimischen Fischer-Kultur am Plattensee und nordwärts geheiratet haben. Aber angesichts der noch sehr kleinen Untersuchungsgruppe kann auch Umgekehrtes noch gut möglich gewesen sein. Das wird sicher die künftige Forschung klären. Aktuellere weiterführende Literatur zu Brunn am Gebirge und zur Ethnogenese der Bandkeramiker (13-16).

 / Wegen inhaltlicher Verwarnung
Formulierungen leicht überarbeitet:
29.6.22 /
_________________________________________
  1. Bading, Ingo: Die weltgeschichtliche Bedeutung der bandkeramischen Kultur. Studium generale, Januar 2009, https://studgendeutsch.blo gspot.com/2009/01/die-weltgeschichtliche-bedeutung-der.html
  2. Michelle Claire Langley, Mirani Litster: Is It Ritual? Or Is It Children? Distinguishing Consequences of Play from Ritual Actions in the Prehistoric Archaeological Record. Current Anthropology 59(5), September 2018, DOI: 10.1086/699837 (Researchgate)
  3. Lüning, Jens: Geburt aus dem Widerspruch: Die Entstehung der Bandkeramik aus ihrer Mutterkultur Starcevo. In: Y. Ünsal (Hrsg.) Anatolien und seine Nachbarn vor 10.000 Jahren. Anatolian Metal VII. Veröff. Deutsches Bergbaumus. Bochum 214. Der Anschnitt, Beih. 31 (Bochum 2016) 273-289 (Academia)
  4. János Jakucs, Eszter Bánffy, Krisztián Oross, Vanda Voicsek, Christopher Bronk Ramsey, Elaine Dunbar, Bernd Kromer, Alex Bayliss, Daniela Hofmann, Peter Marshall, Alasdair Whittle: Between the Vinča and Linearbandkeramik Worlds: The Diversity of Practices and Identities in the 54th–53rd Centuries cal BC in Southwest Hungary and Beyond. Journal of World Prehistory September 2016, Volume 29, Issue 3, pp 267–336, Open AccessArticle First Online: 08 September 2016, https://link.springer.com/a rticle/10.1007/s10963-016-9096-x ?wt_mc=alerts.TOCjournals
  5. Stadler, Peter; Kotova, Nadežda Sergeevna: The Early LBK site at Brunn am Gebirge, Wolfholz (5670-5100 BC) - Locally established or founded by immigrants from the Starčevo territory? Budapest, L'Harmattan, 2013, p. 259-275
  6. Krisztián Oross, Eszter Bánffy: Three successive waves of Neolithisation: LBK development in Transdanubia. In: Documenta Praehistorica, December 2009, 36:175-189 DOI: 10.4312/dp.36.11 (Researchgate); auch hier: https://www.dlib.si/stream/URN:NBN:SI:DOC-GZS8XGO7/eb3447e3-6538-4676-b65e-9f308d8bd7ea/PDF
  7. Eszter Bánffy: Tracing the beginnings of sedentary life in the Carpathian Basin. On the formation of the LBK house. January 2013. In: Tracking the Neolithic house in Europe - sedentism, architecture and practice. Hrsg. von D. Hofmann, J. Smyth (Researchgate)
  8. Hans-Christoph Strien: Eine neue Seriation der ältesten Linienbandkeramik:Zeitliche und räumliche Differenzierung. (abgeschlossen 2011) In: Beitr. z. Ur- u. Frühgesch. Mitteleuropas 75, Varia neolithica VIII, 141 – 161 (Academia)
  9. Eszter Bánffy, Krisztián Oross: The Earliest and Earlier Phase of the LBK in Transdanubia. Tagung 2005, Tagungsband, S. 255 (Academia)
  10. Cosimo Posth, Kathrin Nägele, Heidi Colleran, Frédérique Valentin, Stuart Bedford, Kaitip W. Kami, Richard Shing, Hallie Buckley, Rebecca Kinaston, Mary Walworth, Geoffrey R. Clark, Christian Reepmeyer, James Flexner, Tamara Maric, Johannes Moser, Julia Gresky, Lawrence Kiko, Kathryn J. Robson, Kathryn Auckland, Stephen J. Oppenheimer, Adrian V.S. Hill, Alexander J. Mentzer, Jana Zech, Fiona Petchey, Patrick Roberts, Choongwon Jeong, Russell D. Gray, Johannes Krause & Adam Powell: Language continuity despite population replacement in Remote Oceania. In: Nature Ecology and Evolution; https://www.nature.com/articles/s41559-018-0498-2; referiert in MPG-Research News, Februar 2018 (Deutsch: shh.mpg)
  11. Interactions between earliest Linearbandkeramik farmers and central European hunter gatherers at the dawn of European Neolithization. ByAlexey G Nikitin, Peter Stadler, Nadezhda Kotova, Maria Teschler-Nicola, T Douglas Price, Jessica Hoover, Douglas J Kennett, Iosif Lazaridis, Nadin Rohland, Mark Lipson, David E. Reich,

Samstag, 10. August 2019

Die Indogermanen an der Nordgrenze Chinas - Neues über Yuezhi, Xiongnu, Weiße Hunnen und Skythen

Zur Archäogenetik der Dsungarei - und des benachbarten Tarim-Beckens

Die Inhalte dieses Blogartikels 
erläutere ich auch mündlich 
in einem Livestream 
(---> Youtube).

Die Zeit um 200 v. Ztr. wird in der chinesischen Geschichte als die "Zeit der streitenden Reiche" (Wiki) bezeichnet. Diese Zeit war nicht nur eine Blütezeit der chinesischen Kultur, sondern auch der chinesischen Philosophie, ebenso wie es zur gleichen Zeit im Westen, in der hellenischen Kultur eine Blütezeit von Kultur, Wissenschaft und Philosophie gegeben hat. Am Nord- und Westrand dieser Han-chinesischen Kultur lebten damals die halbnomadischen indogermanischen Yuezhi (Wiki) (500 v. Ztr.-200 n. Ztr.). Und scheinbar von Angehörigen dieses Volkes - oder eines ihnen nahe verwandten Volkes - konnten Archäogenetiker zehn Genome sequenzieren und die Ergebnisse vor drei Wochen veröffentlichen (1). Die Yuezhi waren vielleicht auch verwandt mit den etwas späteren Xiongnu (Wiki) (300 v. Ztr. bis 100 n. Ztr.) und von beiden könnten die noch späteren so genannten Weißen Hunnen (400-500 n. Ztr.) (Wiki) abstammen. Sie alle sind in chinesischen Schriftquellen immer wieder erwähnt.

Die neue Studie ist erarbeitet worden von chinesischen Archäogenetikern in Zusammenarbeit mit Johannes Krause (Jena). Zehn Menschen, deren Skelette chinesische Archäologen 2005, 2007 und 2009 in einer Ausgrabung im nordöstlichen Tianshan-Gebirge, am Fundort Shirenzigou, entdeckt haben, sind sequenziert worden. Das Tianshan-Gebirge trennt in dieser Region die Dsungarei (Wiki, engl) vom Tarim-Becken und ihren Oasenstädten der Seidenstraße ab. Die Dsungarei liegt südlich des Altai-Gebirges und in ihr liegt auch die Provinz-Hauptstadt Urumchi, wo es das berühmte Museum mit den Tarim-Mumien gibt. Die heutige Dsungarei ist historisch gesehen eigentlich nur die Ost-Dsungarei, zu der früher die heutige kasachische West-Dsungarei gehörte, auch Siebenstromland (Wiki) genannt. Der Fundort Shirenzigou (1)
liegt auf einer waldfreien Ebene im Tianshan-Gebirge, in einer Region, die die meiste Zeit des Jahres mit Schnee und Eis bedeckt ist (außer im Juni, Juli und August), und die in diesem Fall nicht geeignet ist für menschliches Leben. Die Ausgrabungen erbrachten große Mengen von Pferde-, Ziegen- und Rinder-Knochen, die zeigten, daß die Menschen von Shirenzigou ein eher nomadisches Leben lebten. Es wird angenommen, daß der Fundort aus einer umfangreichen Siedlung bestand, die von Herdenhaltern nur in kurzen Zeiten des Jahres aufgesucht wurden.
Original: It lies in the platform of the forest-free region of the Tianshan mountains, a region that was covered with snow and ice for the most time of the year (except for June, July and August), and in this case the region was not suitable for human habitation. The excavations of a large amount of horse, goat and bull bones showed that Shirenzigou people lived a more nomadic way of life and the site was believed to be a large-scale settlement used seasonally by pastoralists.

Über die vermutlich eher weitläufigen indogermanischen Verwandten der Tarim-Mumien am hier erforschten Fundort Shirenzigou heißt es nun (1):
Der genetische Herkunftsanteil, der sich deckt mit Menschen der Yamnaya-Kultur von Samara (an der Wolga) oder mit Menschen der Afanasievo-Kultur (in Sibirien) beträgt bei den Menschen von Shirenzigou zwischen 20 und 80 %.
Original: The Yamnaya_Samara or Afanasievo-related ancestry ranges from 20% to 80% in different Shirenzigou individuals.
Dies ist der indogermanische Herkunftsanteil. Aber über diesen heißt es weiter (1):
Die Menschen von Shirenzigou besaßen nicht jenen grünen Herkunftsanteil, der (in anderen Völkern) von den anatolisch- und europäisch-frühneolithischen Bauern stammt.
Original: Shirenzigou samples lack the green component that is enriched in Anatolian and European farmers when compared to the above present-day groups.
Was für eine spannende Erkenntnis. Und weiter heißt es:
Der asiatische Herkunftsanteil bei den Menschen von Shirenzigou sieht mehr nach dem nördlicher asiatischer Völker aus wie den Daur und den Hezhen als wie dem südlicher asiatischer Völker, denn sie haben jenen pinken Herkunftsanteil nicht, der sich bei südlichen Asiaten findet.
Original: The East Eurasian component in Shirenzigou looks more related to northern Asians such as Daur and Hezhen than to southern Asians as they do not have the pink component that is enriched in southern Asians.
Die Daur (Wiki) sind ein mongolisches Volk der Inneren Mongolei. Die Hezhen (Wiki) leben im Gebiet des Flusses Amur, sprechen eine tungusische Sprache. Bei ihnen gibt es noch Schamanen.

Abb. 1: Die Menschen von Shirenzigou weisen nicht den grünen anatolisch-neolithischen Herkunftsanteil der späteren (westlichen) indogermanischen Völker auf. Damit sind sie Nachkommen der frühesten Indogermanen (Samara, Karagash, Afanasievo, Poltovka), nicht der etwas späteren Indogermanen, die den anatolisch-neolitschen Herkunftsanteil aufweisen (Sintashta, Srubnaya, Andronovo). SHG=Skandinavische Jäger-Sammler, EHG=Osteuropäische Jäger-Sammler (aus: 1)

Zusammen mit der Grafik in Abbildung 1 können wir also feststellen: Die Menschen von Shirenzigou weisen nicht den grünen anatolisch-neolithischen Herkunftsanteil der späteren (westlichen) indogermanischen Völker auf. Damit sind sie Nachkommen der frühesten Indogermanen (Samara, Karagash, Afanasievo, Poltovka), und nicht der etwas späteren Indogermanen, die den anatolisch-neolitschen Herkunftsanteil seither aufgewiesen haben (Sintashta, Srubnaya, Andronovo).

Und bis 200 v. Ztr. haben sich die ursprünglichen Indogermanen im nordöstlichen Tianschan-Gebirge also noch nicht besonders stark mit Han-Chinesen vermischt, sondern vor allem mit Völkern aus der Mongolei. Vermutlich haben die Menschen von Shirenzigou also etwas zu tun mit den in den antiken Schriftquellen benannten .

Abb. 2: Die Chinesen, Koreaner und Japaner weisen zwei Herkunftsanteile auf: Atyal (blau) und Vorfahren der Ultschen (Ulchi, braun) (aus: 1)

Während man also bislang von einem Replacement der frühen indogermanischen Völker in Sibirien wußte durch spätere (westliche) indogermanische Völker, entdecken wir hier um 200 v. Ztr. noch Nachkommen der frühesten indogermanischen Zuwanderung nach Asien ab 3.500 v. Ztr. in Form der Afanasievo-Kultur (Wiki). Das Replacement war also doch nicht so vollständig wie man bislang angenommen hat.

Die zwei großen Herkunftsgruppen der Ostasiaten


Übrigens lernen wir hier - wie nebenbei - auch neues zur genetischen Geschichte Ostaisens hinzu, die ja vergleichend mitbetrachtet werden muß, um feststellen zu können, woher der asiatische Herkunftsanteil der Menschen von  Shirenzigou stammt (Abb. 2). Den braunen Herkunftsanteil haben Chinesen, Koreaner und Japaner gemeinsam mit einem Volk, das am Amurfluß nördlich von Nordkorea in Sibirien seit zehntausend Jahren als Fischervolk lebt, nämlich mit den Ultschen ("Ulchi"), die wir hier auf dem Blog schon mehrmals behandelt haben (7).  Der dunkelblaue Herkunftsanteil ist heute noch am unverfälschtesten repräsentiert durch die Atyal (Wiki, engl), Ureinwohner, die im gebirgigen nördlichen Innern Taiwans leben und das Fischervolk der Ami (Wiki, engl), austronesische Ureinwohner im Südosten Taiwans.

Wie man sieht, sind sie eng verwandt mit südchinesischen Völkern wie den Thai, den Dai und den Kinh und haben ihren - grob gesprochen - "südasiatischen" Herkunftsanteil vermutlich nur deshalb so "unverfälscht" und einheitlich erhalten, weil sie auf der abgelegenen Insel Taiwan leben. Von diesen beiden ursprünglichen Herkunftsgruppen stammen heute also alle Chinesen, Koreaner und Japaner ab wie man der Grafik (Abb. 2) entnehmen kann. Wahrscheinlich haben sich die beiden ursprünglicheren asiatischen Herkunftsgruppen - die nördliche und die südliche - miteinander vermischt in der Zeit als die Völker zum Ackerbau übergegangen sind, also etwa beginnend vor 8.000 Jahren. Ähnliches ist ja auch für Europa zu beschreiben.

Abb. 3: Die anatolisch-neolithischen Völker in Anatolien (Anatolia_N), in Mitteleuropa (Bandkeramiker=LBK_EN), in Spanien, sowie ihr Herkunftsanteil bei den indogermanischen Schnurkeramikern (Corded Ware), sowie bei den Armeniern. Der größere gelbe Herkunftsanteil stammt von den westeuropäischen Jäger-Sammlern (s. Abb. 1) (aus: 1)

Das Muster der genetischen Herkunftsanteile der Menschen von Shirenzigou deutet auf ein Vermischungs-Ereignis hin, das um 200 v. Ztr. noch gar nicht so lange her war. Die Menschen von Shirenzigou scheinen also das Ergebnis einer Ethnogenese eines Volkes wie dem der Weißen Hunnen ganz gut zu repräsentieren. Die Wissenschaftler halten für möglich (1) ...
... ein kürzliches Vermischungs-Ereignis zwischen Gruppen mit Yamnaya-Herkunft und ostasiatischer Herkunft.
Original: ... a recent admixture event between groups with Yamnaya-related ancestry and East Asian ancestry.
Weiter schreiben sie (1):
Von der sonstigen Archäologie her zeigt die der Fundplatz Shirenzigou die typischen Charakteristika der agro-pastoralen Yanbulake-Kultur des bronzezeitlichen Hami-Tales, das sich im südlichen Bogen des östlichen Tianshan-Gebirges befindet. Die Tier-Motive wie Hirsch-geformte Greife an dem Fundplatz spiegeln Einflüsse der Pazyryk-Kutur der Altai-Region wieder.
Original: The existing archaeological evidences suggest that the Shirenzigou site shows typical characteristics of the agro-pastoral Yanbulake Culture from the Bronze-Age Hami Basin located in the southern slope of the East Tianshan Mountains. The animal motifs such as the deer-shaped Griffin in the site also reflects the influences from the Pazyryk Culture from the Altai region.
Hirsch-Greif-Mischwesen sind ein Erkennungsmerkmal der Pazyryk-Kultur (Wiki). Diese stellt eine späte Variante der großen skythischen Völkergruppe dar, vermutlich eine solche, die ebenfalls durch Vermischung mit mongolischen Völkern entstanden ist. Allerdings könnte skythische-indogermanische Herkunft die anatolisch-neolithische Herkunftskomponente der (westlichen) Indogermanen aufweisen und das könnte ein Hinweis sein, daß es von dieser Kultur nur kuturelle, keine genetischen Einflüsse in Richtung der Menschen von Shirenzigou gegeben hat (so die vorläufige Vermutung des Bloginhabers).

Abb. 4: Archäologische Funde und Befunde, sowie Wandmalereien vom Fundort Shirenzigou (aus: 1)
 
Gläser der hier genannten Yanbulaq-Kultur (Wiki) sind nach chemischen Analysen aus China importiert worden. Die Wissenschaftler schreiben (1):
Die Menschen von Shirenzigou weisen auch eine Han-chinesische Herkunftskomponente auf, die in diese Region gelangt sein könnte durch bäuerliche Bevölkerungen in Regionen der Umgegend wie Gansu und Quinghai, die ebenso zu den heutigen Han-Chinesen beitrugen.
Original: The Shirenzigou samples also harbor a Han Chinese-related component, which may be introduced into this region by the farming populations from surrounding regions, such as Gansu and Qinghai, who also contributed to present-day Han Chinese.
Der indogermanische Anteil der Menschen von Shirenzigou dürfte also ursprünglich in Zusammenhang gestanden haben mit der ersten indogermanische archäologischen Kultur Asiens, der Afanasievo-Kultur. Über die Archäologie von Shirenzigou heißt es in der Studie (1):
The site was first excavated by a joint team consisted of the Hami Bureau of Cultural Heritage, Barkol County’s Cultural Relics Administration and the School of Cultural Heritage of North-west University between 2005 and 2007, and subsequently by the same team in 2009. (...)
From the late Bronze Age onward, the pottery and the funeral rituals of Barkol Steppe in the east Tianshan mountain region showed characteristics that were more typical of the oasis-based agricultural Yanbulake Culture of the Hami Basin. The Shirenzigou site also resembles the Pazyryk Culture, an early Iron Age culture from the Altai mountain. For example, horse sacrifice and animal motifs - golden plaques of tiger and rams - excavated from the Shirenzigou site were also popular among the Pazyryk people. Moreover, a bronze cauldron found in dwelling F2 may also indicate additional influences from the Han Chinese. In all, the current archaeological evidence shows that Shirenzigou people have a close relationship with populations of the Altai mountain as well as that of the Han Chinese. (...)
Nine individuals were from the burial tombs and the other one individual was from the dwelling. Five dated samples from this study (...) were dated around 200 BCE, corresponding to the Warring State Period or the Western Han Dynasty of the Chinese chronology.
___________________________________________
  1. Ning et al., Ancient Genomes Reveal Yamnaya-Related Ancestry and a Potential Source of Indo-European Speakersin Iron Age Tianshan, Current Biology (2019), https://doi.org/10.1016/j.cub.201 9.06.044
  2. Feng, Q., Lu, Y., Ni, X., Yuan, K., Yang, Y., Yang, X., ... & Lu, D. (2017). Genetic history of Xinjiang’s Uyghurs suggests Bronze Age multiple-way contacts in Eurasia. Molecular biology and evolution, 34(10), 2572-2582. doi: 10.1093/nar/gkx1032
  3. Genetic History of Xinjiang’s Uyghurs Suggests Bronze Age Multiple-Way Contacts in Eurasia, 2018, https://youtu.be/PUJetznRAV0
  4. Beautiful Xinjiang - with brief history of Uyghurs in Xinjiang, 2009, https://youtu.be/FgRU9gYNjzA
  5. Stephen Chen: Chinese engineers plan 1,000km tunnel to make Xinjiang desert bloom. South China Morning Post, 29 Oct, 2017, https://www.scmp.com/news /china/society/ article/2116750/chinese-engineers-plan-1000km-tunnel-make-xinjiang-desert-bloom
  6. Carr, Mariel:  The Mummy That Wasn’t There  What happens when a museum is forbidden to exhibit the star of its show?, 2.6.2016, https://www.sciencehistory.org/ distillations/ magazine/the-mummy-that-wasnt-there 
  7. Bading, Ingo: 8.000 Jahre lange genetische Kontinuität eines Fischervolkes in Ostsibirien, 5.2.2017, https://studgendeutsch.blogspot .com/2017/02/ 8000-jahre-lange-genetische-kontinuitat.html 
  8. Iron Age Indo-European Ancient DNA Found East Of Tarim Basin, July 26, 2019, http://dispatchesfromturtleisland. blogspot.com/2019/07/ iron-age-indo-european-ancient-dna.html
  9. Davidski: They mixed up Huns with Tocharians, July 28, 2019, http://eurogenes.blogspot.com /2019/07/they-mixed-up-tocharians-with-huns.html
  10. Quiles, Carlos: Iron Age Tocharians of Yamnaya ancestry from Afanasevo show hg. R1b-M269 and Q1a1, 25.7.2019, https://indo-european.eu/2019/07/iron-age-tocharians-of-yamna-ancestry-from-afanasievo-and-hg-r1b-m269-and-q1a1/
  11. Günther, Hans F. K.: Die nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens. Zugleich ein Beitrag zu Frage nach Urheimat und Herkunft der Indogermanen. J. F. Lehmann, München 1934; [Nachdr.] mit Ergänzung von Jürgen Spanuth. Verlag Hohe Warte, Pähl 1982

Sonntag, 4. August 2019

Es ist "amtlich" - Das Urvolk der Indogermanen war die Chwalynsk-Kultur um 4.500 v. Ztr. an der Mittleren Wolga

Der US-amerikanische Archäologe David Anthony hat am 1. August über den neuesten Forschungsstand informiert

Der emeritierte US-amerikanische Archäologe David W. Anthony (Wiki) ist einer der derzeit führenden Archäologen betreffend der Entstehung und Ausbreitung der Indogermanen. Hier auf dem Blog hatten wir schon auf seine Forschungen hingewiesen (1). In einem am 1. August dieses Jahres veröffentlichten Aufsatz (2) macht er mit dem neuesten Erkenntnisstand zur Entstehung des Volkes, bzw. der Völkergruppe der Indogermanen bekannt. Und das ist mehr oder weniger sensationell.

David W. Anthony ist Mitautor mehrerer Ancient-DNA-Studien der Forschungsgruppe von David Reich und er steht deshalb in engem Austausch über die neuesten Forschungsergebnisse dieser Forschungsgruppe. Aufgrund dieses engen Austausches kann er in diesem Aufsatz auf die neuesten Erkenntnisse dieser Forschungsgruppe hinweisen. Zwar ist es etwas ungewöhnlich, daß er damit nicht wartet, bis die betreffenden, sich sicherlich in Vorbereitung befindende Studie wenigstens im Preprint veröffentlicht ist. Dennoch ist es natürlich für uns sehr wertvoll, daß er schon zuvor "aus dem Nähkästchen" plaudert. Noch dazu, wo es sich um solche sensationellen Entdeckungen handelt. Es wird nichts weniger verkündet als die endgültige Lokalisierung und Datierung der Ethnogenese der Indogermanen.

Und zwar hat diese stattgefunden in der Chwalynsk-Kultur (4.700-3.800 v. Ztr.) (Wiki), benannt nach der russischen Stadt Chwalynsk an der Mittleren Wolga. Auf Wikipedia ist über diese Kultur zu erfahren (Wiki):

Das Gebiet der Chwalynsk-Kultur reichte von Saratow im Norden bis zum Nord-Kaukasus im Süden und vom Asowschen Meer im Westen bis zum Ural-Fluß im Osten.

Das ist im Grunde immer noch ein riesiges Gebiet. Aber immerhin haben wir jetzt einen konkreten Namen, eine konkrete Zeit und einen konkreten Ort. In den ersten Studien aus dem Jahr 2015 hatte man die Indogermanen noch als 50/50-Mischung von osteuropäischen und kaukasischen Jägern und Sammlern beschrieben. 2018 entdeckte man einen Anteil von 10 bis 18 % anatolisch-neolithischer Genetik bei den frühen (westlichen) Indogermanen.

Da die anatolisch-neolithische Genetik sich ab 5000 v. Ztr. nicht nur vom Balkan aus nach Osten ausbreitete (u.a. über die Cucuteni-Kultur im Süden, später über die Kugelamphoren-Kultur weiter im Norden), sondern zur gleichen Zeit auch von Anatolien aus nach Osten in den Kaukasus ausbreitete (!!!) (von wo aus sich umgekehrt gleichzeitig die kaukasisch-neolithische Genetik nach Anatolien ausbreitete) (!!!) (beides war uns bislang nicht so bekannt/bewußt gewesen), da man aber weiß, daß die anatolisch-neolithische Genetik der Indogermanen NICHT über den Kaukasus zu den Indogermanen gekommen sein kann (da es darin noch eine westeuropäische Jäger-Sammler-Komponente gibt), kann jetzt geschlußfolgert werden, daß sich der Herkunftsanteil der kaukasischen Jäger und Sammler VOR 5000 v. Ztr. genetisch von seiner Ursprungsregion im Kaukasus getrennt haben muß und sich dann irgendwann in dieser Zeit mit dem Herkunftsanteil der osteuropäischen Jäger und Sammler vermischt haben muß. Bekanntlich hat es schon ab 6.500 v. Ztr. neolithische Kulturen im Kaukasus gegeben, die in großen Bottichen Wein verarbeitet haben (1).*)  Andererseits war um 5.500 v. Ztr. Kaukasus-Genetik noch nicht bis Samara an der Mittleren Wolga vorgedrungen. Dort gab es um 5.500 v. Ztr. nur osteuropäischer Jäger und Fischer-Genetik. Und nun kommen die entscheidenden Worte von Anthony (2): 

Vor 4.500 v. Ztr. gelangt kaukasische Jäger-Sammler-Genetik zu den osteuropäischen Jägern und Fischern in die Steppen der Mittleren Wolga zwischen Samara und Saratow, zur gleichen Zeit wie domestizierte Rinder, sowie Schafe und Ziegen eben daselbst erscheinen. Das Labor von David Reich hat jetzt archäologische Gesamt-Genom-Daten von mehr als 30 Individuen von drei eneolithischen Begräbnisplätzen in den Steppen der Wolga zwischen den Städten Saratow und Samara (Khlopkov Bugor, Chwalynsk, and Ekaterinovka), die alle datiert sind auf die Mitte des 5. Jahrtausends v. Ztr..
Original: But  before 4500 BC, CHG ancestry appeared among the EHG hunter-fishers in the middle Volga steppes from Samara to Saratov, at the same time that domesticated cattle and sheep-goats appeared. The Reich lab now has whole-genome aDNA data from more than 30 individuals from three Eneolithic cemeteries in the Volga steppes between the cities of Saratov and Samara (Khlopkov Bugor, Khvalynsk, and Ekaterinovka), all dated around the middle of the fifth millennium BC. Many dates from human bone are older, even before 5000 BC, but they are affected by strong reservoir effects, derived from a diet rich in fish, making them appear too old (Shishlina et al 2009), so the dates I use here accord with published and unpublished dates from a few dated animal bones (not fish-eaters) in graves.
Weiter heißt es über die Menschen der Chwalynsk-Kultur (2):
Der Anteil der kaukasischen Jäger-Sammler-Genetik liegt bei zwei Individuen mit 20 bis 30 % beträchtlich unter dem Anteil derselben bei den späteren Yamnaya; aber das dritte Individuum von Chwalynsk hatte mehr als 50 % kaukasische Jäger-Sammler-Genetik - ebenso wie die Yamnaya. Die etwa 30 bisher noch nicht publizierten Individuen von den eneolithischen Grabstätten der Mittleren Wolga, einschließlich Chwalynsk, zeigen dieselben Vermischungen in unterschiedlichen Anteilen. Die meisten Männer gehörten zur Y-chromosomalen Haplogruppe R1b1a wie fast alle (späteren) Yamnaya-Männer, aber in Chwalynsk gab es auch eine Minderheit von anderen Y-chromosomalen Haplogruppen (R1a, Q1a, J, I2a2), die in (späteren) Yamnaya-Gräbern nicht oder nur selten (I2a2) auftreten.
Origihnal: The proportion of CHG in the Wang et al. (2018) bar graphs is about 20-30% in two individuals, substantially less CHG than in Yamnaya; but the third Khvalynsk individual had more than 50% CHG, like Yamnaya. The ca. 30 additional unpublished individuals from three middle Volga Eneolithic cemeteries, including Khvalynsk, preliminarily show the same admixed EHG/CHG ancestry in varying proportions. Most of the males belonged to Y-chromosome haplogroup R1b1a, like almost all Yamnaya males, but Khvalynsk also had some minority Y-chromosome haplogroups (R1a, Q1a, J, I2a2) that do not appear or appear only rarely (I2a2) in Yamnaya graves.

Offenbar hat dort also - zumindest unter den Männern - noch allerhand Selektion stattgefunden. Falls männliche Eliten mehr Kinder gehabt haben sollten als andere Bevölkerungsteile - was bei dem Volk von Chwalynsk - aufgrund vieler Hinweise - der Fall gewesen sein kann, könnte eine solche Selektion leicht erklärt werden. (Auch der dänisch-schwedische Archäologe Kristian Kristiansen macht auf die sehr unterschiedliche Ausbreitung von männlichen indogermanischen Y-Chromosomen und mitochondrialen weiblichen nicht-indogermanischen Haplotypen in vielen Regionen, wo Indogermanen später hingekommen sind, aufmerksam.) Jedenfalls heißt all das: Im Norden gab es mit der Samara-Kultur ein genetisch noch unvermischtes Volk osteuropäischer Jäger und Fischer. Und das diesem genetisch sehr ähnliche Volk der Chwalynsk-Kultur vermischte sich - ab etwa 4.700 v. Ztr. - mit kaukasisch-neolithischen Rinderzüchtern, die sich von Süden, vom Kaspischen Meer her die Wolga aufwärts ausbreiteten. Zu dieser Ausbreitungsbewegung bringt Anthony auch eine Karte von Fundstätten. Allerdings scheint es für diese archäologische Kultur, die sich da nach Norden ausbreitete, noch keinen fest umrissenen Namen zu geben. Jedenfalls nennt Anthony einen solchen - soweit übersehbar - nicht. (Weiter im Osten gab es die Kelteminar-Kultur, die schon große Häuser besaß. Aber um diese handelt es sich ja offenbar nicht.)

All das heißt also nun: Die kaukasus-neolithischen Völker (die wohl genetisch weitgehend identisch sind mit den kaukasischen Jägern und Sammlern) haben sich entlang der Küste des Kaspischen Meeres und von dort entlang des Unterlaufes der Wolga Richtung Norden mit ihren Haustieren - und sicherlich auch mit ihren angebauten Getreidesorten - ausgebreitet. An der Mittleren Wolga lebte aber ein streitbares, herrisches, hochmütiges Volk von Jägern und Fischern, die den südlichen Ankömmlingen nicht nur die Rinder geraubt haben werden, sondern - vielleicht - auch die Frauen. Es könnte ein früher Fall von "Raub der Sabinerinnen" vorliegen. Natürlich sind auch friedlichere Szenarien denkbar. :-) Handelsverbindungen und ähnliches.

Abb. 1: Die frühe Ausbreitung der Indogermanen (Chwalynsk-Kultur), abgelesen an der Verbreitung der Tierkopf-Zepter (aus: 3)

All das geschah zur selben Zeit als sich in Mitteleuropa die zuvor weiträumig sehr einheitliche, bevölkerungsdichte anatolisch-neolithische Bandkeramik auflöste und in regionalere Kulturen überging, die oft extensivere Weidewirtschaft betrieben, geringere Siedlungsdichte aufwiesen, "urtümlichere" Hausbauformen (trapezförmiger Grundriß) kannten und zugleich deutlich mehr einheimische, westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik aufwiesen (bis zu 20 %) als die Bandkeramiker. Es wird erkennbar, daß es in dieser Zeit parallele Entwicklungen, Ethnogenesen in den Ländern an Rhein, Oberer Elbe, Oberer Oder, Donau und so weiter gegeben hat wie am Mittellauf der Wolga. Zwischen beiden kulturellen Großräumen gab es allerdings noch die Dnjepr-Donez-Kultur, die - offenbar - nur einheimische europäische Jäger-Sammler-Genetik, sowie robusten Knochenbau (siehe unten) aufwies und bei ihrer urtümlichen Lebensweise geblieben und später - vermutlich - ausgestorben ist. Allerdings traf ein ähnliches Schicksal später auch die mittel- und spätneolithischen Völker Mitteleuropas, als sich jenes mittelneolithische Volk der Mittleren Wolga in späteren Jahrtausenden über ganz Europa - auf Kosten eben der mittelneolithischen Völker Mitteleuropas - ausgebreitet hat. Aber wie ging es - nach Anthony - nach 4.500 v. Ztr. weiter? Auch da ist hoch interessantes zu erfahren (2):

Wang u.a. (2018) entdeckten, daß sich das Volk der Mittleren Wolga hinunter bis zu den nordkaukasischen Steppen ausbreitete, wo es Grabstätten wie Progress-2 und Vonyuchka gibt, datiert auf 4.300 v. Ztr., wo derselbe Chwalynsk-artige Vorfahrentyp erscheint, eine Mischung aus Kaukasus-Jäger-Sammlern und Osteuropäischen Jäger-Sammlern ohne anatolisch-neolithische Bauern-Herkunft, jedoch mit Y-chromosomalen Haplogruppen R1b.
Wang et al. (2018) discovered that this middle Volga mating network extended down to the North Caucasian steppes, where at cemeteries such as Progress-2 and Vonyuchka, dated 4300 BC, the same Khvalynsk-type ancestry appeared, an admixture of CHG and EHG with no Anatolian Farmer ancestry, with steppe-derived Y-chromosome haplogroup R1b. (...) The Progress-2 individuals from North Caucasus steppe graves lived not far from the pre-Maikop farmers of the Belaya valley, but they did not exchange mates, according to their DNA.

Diese Ausbreitungsbewegung nach Süden ist von einem Archäologen der Moldavischen Republik, nämlich V. A. Dergachev schon in einem Buch aus dem Jahr 2007 anhand der Ausbreitung von Tierkopf-Zepter postuliert worden (Abb. 1 und 2). Der Buchtitel lautete "Über Zepter, Pferde und Krieg - Studien in Verteidigung von Marija Gimbutas" (3). Marija Gimbutas war jene berühmte litauische Archäologin, die zuerst die Urheimat der Indogermanen an der Wolga vermutet hatte. Allerdings hatte sie als das Urvolk der Indogermanen noch die Samara-Kultur nicht die Chwalynsk-Kultur angesprochen. Da wird man sich die Details noch einmal genauer anschauen dürfen zur Frühgeschichte dieses Volkes.

Abb. 2: Die Entwicklung der indogermanischen Tierkopf-Zepter (aus: 3)

 Anthony jedenfalls schreibt weiter (2):

Nach 5.000 v. Ztr. treten domestizierte Tiere an Siedlungsorten (vormaliger Jäger und Fischer) der Unteren Wolga auf, ebenso kommen neue Siedlungsorte dazu und Opferungen in Gräbern in Chwalynsk and Ekaterinovka. Kaukasus-Jäger-Sammler-Gene und domestizierte Tiere breitete sich nach Norden entlang der Wolga aus. (...) Nach etwa 4.500 v. Ztr. vereinigte die archäologische Chwalynsk-Kultur die archäologischen Stätten der Unteren und Mittleren Wolga in einer variablen archäologischen Kultur, die domestizierte Schafe, Ziegen und Rinder (sowie möglicherweise Pferde) hielt. Nach meiner Einschätzung dürfte Chwalynsk die älteste Phase des Urindogermanischen repräsentieren.
Original: After 5000 BC domesticated animals appeared in these same sites in the lower Volga, and in new ones, and in grave sacrifices at Khvalynsk and Ekaterinovka. CHG genes and domesticated animals flowed north up the Volga, and EHG genes flowed south into the North Caucasus steppes, and the two components became admixed. After approximately 4500 BC the Khvalynsk archaeological culture united the lower and middle Volga archaeological sites into one variable archaeological culture that kept domesticated sheep, goats, and cattle (and possibly horses). In my estimation, Khvalynsk might represent the oldest phase of PIE.

Das sind entscheidende Worte von einem der besten Kenner der Archäologie der Indogermanen. In welchem komplexen kulturellen und genetischen Wechselverhältnis diese Chwalynsk-Kultur der Indogermanen mit der stadtähnliche Cucuteni-Kultur im Westen stand (also jenseits der urtümlichen Dnjepr-Donez-Kultur), darüber schreibt Anthony (2):

Unter den 48 Individuen .... in Bulgarien und Rumänien aus der Zeit zwischen 5.800 bis 4.300 v. Ztr. wiesen nur drei irgendeine Form von Steppenherkunft auf. Alle drei dieser mit Steppen-Herkunft vermischten Ausnahmen fanden sich in der Warna-Region. Eine davon war der berühmte "Goldene Mann" von Warna, Grab 43. ...
Yet among 48 individuals with whole-genome aDNA from 16 Neolithic and Copper Age cemeteries in Bulgaria and Romania dated 5800-4300 BC, only three showed any ancestry from a steppe mating network (Mathieson et al. 2018). Around 95% of the southeastern European farmer population tested had no steppe relatives over a period of 1500 years. They must have actively avoided marriage with steppe people, a rule broken only among the elite towards the end of the Eneolithic. All three of the steppe-admixed exceptions were from the Varna region (Mathieson et al. 2018). One of them was the famous “golden man’ at Varna (Krause et al. 2016), Grave 43, whose steppe ancestry was the most doubtful of the three. If he had steppe ancestry, it was sufficiently distant (five+ generations before him) that he was not a statistically significant outlier, but he was displaced in the steppe direction, away from the central values of the majority of typical Anatolian Farmers at Varna and elsewhere. The other two, at Varna (grave 158, a 5-7-year-old girl) and Smyadovo (grave 29, a male 20-25 years old), were statistically significant outliers who had recent steppe ancestry (consistent with grandparents or great-grandparents) of the EHG/CHG Khvalynsk/Progress-2 type, not of the Dnieper Rapids EHG/WHG type. Again, this is surprising, because the Volga is much farther away from Varna than the Dnieper. All three graves were unusually well-equipped with typical Varna pottery and ornaments, and grave 43 was spectacularly rich. Steppe people occasionally became the parents of children whose local parents belonged to Old European elite families, presumably as the result of arrangements tied to political and economic negotiations. But the children were kept in the tell towns and lived and died there. Aside from these three elite-looking Varna-region individuals dated 4650-4450 BC (Krause et al. 2016; Mathieson et al. 2018: Supplementary Materials), the majority of Eneolithic farmers who lived near the steppe region had no steppe relatives, mirroring the absence of Anatolian Farmer ancestry in Eneolithic steppe cemeteries.

Wenn also schon um 4.600 v. Ztr. Menschen der Mittleren Wolga als Eliten - Könige - in der Königsstadt Warna (4) erkennbar sind, wird man die Ethnogenese der Indogermanen selbst wohl doch noch etwas früher ansetzen müssen. Wie auch immer. Diese Indogermanen stehen dann in einem Zusammenhang mit dem Nieder- und Untergang der großartigen Cucutenni-Kultur, von denen sie dann auch Genetik aufnehmen. Anthony (2):

Gräber von der Art der Steppe treten an den Rändern des Unteren Donau-Tales auf, in Suvorovo und Giurgiulesti.
Steppe type graves appeared on the fringes of the lower Danube valley, at Suvorovo and Giurgiulesti. Then about 4300-4200 BC the Varna/Karanovo VI-era tell towns of the lower Danube valley and the Balkans suffered a localized but sudden and total collapse resulting in the end of tell settlements and of most of their material culture traditions. The culture that replaced them in the lower Danube valley, Cernavoda I, was relatively impoverished and showed a mixture of steppe and Old European customs. I believe that the Suvorovo-Cernavoda I movement into the lower Danube valley and the Balkans about 4300 BC separated early PIE-speakers (pre-Anatolian) from the steppe population that stayed behind in the steppes and that later developed into late PIE and Yamnaya.

Was für eine spannende Geschichte. [Ergänzung 26.3.2020] In den Zusammenfassungen wissenschaftlicher Tagungen des letzten Jahres finden wir die Erwähnung weiterer Studien (12):

Wir untersuchen den populationsgenetischen Transitionsprozeß durch Daten aus genomweiter "Next-generation"-Sequenzierung von 30 eneolithischen und bronzezeitlichen Individuen von sieben archäologischen Stätten im südwestlichen Rußland. (...) Wir zeigen die früheste, bislang entdeckte Vermischung von osteuropäischer Jäger-Sammler-Herkunft mit iranisch-neolithischer Herkunft (die schon zuvor als "Steppen-Herkunft" beschrieben worden war.
We target the population-genetic transition processes through genome-wide next-generation sequencing data of 30 Eneolithic to Bronze-Age individuals from seven archaeological sites in southwestern Russia. (...) We show the earliest detected occurrence of mixed EHG and Iranian Neolithic-related ancestry (previously described as ‘steppe ancestry’).

Leider sind - unseres Wissens nach - bislang nur diese Zusammenfassung und keine weiteren Angaben und Daten veröffentlicht.

Aber diese Geschichte ist so komplex und neu, daß wir uns noch einmal das "große Bild" vor Augen halten wollen.

Halten wir uns das "große Bild" vor Augen

4.900 v. Ztr. ging in Mitteleuropa die Bandkeramik unter und es bildeten sich Regionalkulturen mit höherem Anteil einheimischer westeuropäischer Jäger-Fischer-Genetik heraus. 4.300 v. Ztr. bildete sich dann die Trichterbecherkultur, die erste Bauernkultur Skandinaviens. Was geschah parallel dazu an der Mittleren Wolga?

Vermutlich 4.700 v. Ztr. kam es dort zur 50/50-Vermischung zwischen osteuropäischen Jägern und Fischern und kaukasischen Herdenhaltern. Solche 50/50-Vermischungen sind punktuell sicherlich auch in Mitteleuropa vorgekommen. Nur dort hat sich daraus keine demographische Stabilität, kein Volk entwickelt. An der Wolga hingegen schon. Hier lagen offenbar andere Verhältnisse vor, die das "erleichtert" haben. An der Wolga hat man es auch mit viel weiträumigeren Gebieten zu tun als in Mitteleuropa. Vielleicht haben die unterschiedlichen Szenarien auch damit zu tun. Wir haben es mit Steppengebieten zu tun, nicht mit dicht von Urwald bewachsenen Gebieten Mitteleuropas, in der nur Rodungssiedler Rodungsinseln geschaffen hatten. Wie auch immer. Schon 4.500 v. Ztr. finden wir die Genetik der Urindogermanen in der Königsstadt Warna in Bulgarien, jene archäologische Städte, in der das älteste Gold Europas gefunden wurde. Um 4.300 v. Ztr. ist die bäuerlich-städtische Cucuteni-Kultur im Westen der Indogermanen untergegangen und die Urindogermanen haben dabei noch 10 bis 20 % der anatolisch-neolithischen Genetik der Cucuteni-Kultur in sich aufgenommen. Damit war die kulturelle und genetische Ethnogenese der Indogermanen im Wesentlichen abgeschlossen. Und all das geschah etwa in der Zeit, in der im westlichen Ostseeraum die Trichterbecherkultur und in Ostmitteleuropa die Kugelamphoren-Kultur entstanden und ihre Hochblüte erlebten. Und welche aufregenden Jahrtausende sollten dann erst noch folgen.

Während also die westeuropäischen Jäger und Fischer bei der Ethnogenese für frühneolithischen Bandkeramiker am Plattensee in Ungarn nur 7 % ihre Genetik einbringen konnten und nach Untergang der Bandkeramiker bis zu 20 % ihrer Genetik bei der Ethnogenese der mittelneolithischen europäischen Bauernkulturen (Lengyel-Kultur, Rössener Kultur, Stichbandkeramik etc. pp.), ist es kennzeichnend für die Entstehung des Volkes der Indogermanen, daß sich hier die Genetik der osteuropäischen Jäger und Fischer zu 50 % in die Ethnogenese des mittelneolithischen Volkes an der Wolga, nämlich der Indogermanen eingebracht hat.

Sicherlich sind solche Ethnogenesen, solche Neuentstehungen von Stämmen und Völkern in Osteuropa sogar häufiger in einem solchen Anteil geschehen. Aber an der Mittleren Wolga entstand dabei ein Geflecht aus Genetik und Kultur, aus seelischer Haltung, aus kulturellem Habitus wie es diese in keinem anderen Volk, keiner anderen Volksgruppe der Welt bis heute gibt: Sehr große Veränderungsbereitschaft, sehr große Streitlust, sehr großer Wille zu herrschen (davon wurde später die idelogische Lehre vom "Herrenvolk" abgeleitet), das seelische Erlebnis der Erhabenheit und Größe landschaftlicher Weite, endloser Ebenen, Großzügigkeit, adliger Sinn. Alles Eigenschaften, die den Indogermanen zugesprochen werden. Noch ein heidnischer Wikingerspruch sollte lauten:

Am engen Strand
an enger See
wird eng des Menschen Sinn.

Während nun die anatolisch-neolithische und die kaukasisch-neolithische Genetik und Kultur jeweils auf ihre emsige, fleißige, arbeitsame Weise sehr viel Dynamik in die Weltgeschichte gebracht haben, von denen auch die Entstehung der frühen Hochkulturen an Nil, Euphrat und Ganges bestimmt waren, sollte sich dieser Umstand noch einmal steigern, sollte noch einmal eine Beschleungigung in die Weltgeschichte hinein kommen mit der Kultur und Genetik der so abseitig entstandenen Indogermanen. Festzuhalten bleibt aber auch, daß die Indogermanen sich nach Europa hinein erst ab 2.700 v. Ztr. ausbreiten konnten (!), also nachdem dort die Tricherbecher-Kultur, die Michelsberger Kultur und die Kugelamphoren-Kultur lange Zeit Stabilität aufgewiesen hatten, und nachdem in diesen Kulturen nach 3.500 v. Ztr. auch der Rinderwagen üblich wurde. Welch lange Zeiträume der mittelneolithischen Stabilität in Mitteleuropa. Das darf man keineswegs außer Acht lassen für das Gesamtbild.

Es sind also von 4.300 v. Ztr. bis 2.700 v. Ztr. noch einmal 1.500 Jahre vergangen, in denen die Kultur der Indogermanen sich nicht wesentlich weiter nach Nordwesten ausbreiten konnte, obwohl dieser "Drang nach Westen" schon 4.500 v. Ztr. in Warna und 4.300 v. Ztr. beim Untergang der Cucuteni-Kultur manifest geworden war. Damit drängt sich der Eindruck auf, daß sich die Indogermanen nur dorthin ausbreiten konnten, wo die zuvor existierenden bevölkerungsdichten Bauernkulturen ihre innere Stabilität verloren hatten, bzw. - womöglich - von inen heraus einen Niedergang erlebten oder Auflösungserscheinungen zeigten.

Allerdings gibt es ja auch die These und Vermutung, daß die Erfindung des Rades und noch mehr des Sreitwagens sehr viel neue Dynamik in die Weltgeschichte hinein gebracht haben.

Noch einige Einzelheiten über die Chwalynsk-Kultur

Und halten wir auch noch einmal fest: Nicht die nördlich gelegenene und etwas frühere Samara-Kultur (Wiki) war die Urheimat der Indogermanen - wie Marija Gimbutas annahm, in dieser hat sich vermutlich nur die Ausgangspopulation der osteuropäischen Jäger und Fischer länger für sich gehalten als in der südlicher gelegenen Chwalynsk-Kultur, wo es umfangreich zur Vermischung mit kaukasisch-neolithischen Rinderzüchtern gekommen ist. Schon in der Samara-Kultur sind einige Gräber mit Steinhügeln oder niedrigen Erdschüttungen überdeckt, was als sehr frühe Formen des Kurgan (des typischen Hügelgrabes der Indogermanen, der "Kurgan-Kulturen") angesehen werden kann (Wiki):

Charakteristisch sind Tieropfer, die an den meisten Fundstellen gefunden wurden. Typischerweise wurden Köpfe und Hufe von Rindern, Schafen und Pferden in flachen Schalen über dem Grab platziert und mit Ocker bestreut. (...) Neben den Überresten von Pferden in den Gräbern sind auf Grabbeigaben auch Pferde dargestellt. Ob die Pferde bereits geritten wurden kann nicht beantwortet werden, aber als Fleischlieferant wurden sie bestimmt genutzt. Aus einer späteren Phase der Kupfersteinzeit ist ein Schlachtplatz mit zahlreichen Pferdeknochen bekannt.

In dieser ausgeprägten Bedeutung der Pferde unterscheidet sich diese Kultur von der Dnepr-Donez-Kultur, mit der es sonst viele kulturelle Ähnlichkeiten gibt. Die Chwalynsk-Kultur weist nun viele Ähnlichkeiten zur Samara-Kultur auf (Wiki):

Zwölf Gräber waren mit Steinhügeln bedeckt. Opferplätze, die denen in Samara ähnlich sind, mit Resten von Pferden, Rindern und Schafen, wurden ebenfalls gefunden. 
Das Volk der Chwalynsk-Kultur, also unsere Vorfahren, scheinen allerdings schnell einen Zug ins Große entwickelt zu haben. Hören wir doch (Wiki):
Bei Naltschik enthielt ein 67 m hoher und 30 m im Durchmesser messender irdener Kurgan ....

Halten wir dazu fest, daß das so bedeutende und eindrucksvolle Königsgrab von Seddin (Wiki) im nördlichen Brandenburg von späten Nachfahren der Chwalynsk-Kultur zehn Meter hoch war und einen Durchmesser von 63 Metern aufwies. Weiter (Wiki):

.... 121 individuelle Gräber, in denen die Bestatteten (...) auf einer Ockerstreuung ruhten und mit Steinen bedeckt waren. (...) Chwalynsk beweist die Weiterentwicklung des Kurgans. Es begann in Samara mit individuellen Gräbern oder kleinen Gruppen, die manchmal mit Steinen bedeckt wurden. Bei der Chwalynsk-Kultur finden sich Gruppengräber, die eine Familie oder lokale Gruppenzusammengehörigkeit widerspiegeln können. (...) Es gibt auch zahlreiche Belege für Schmuck: Muschelketten, Stein- und Tierzähne, Armringe aus Stein oder Knochen und Anhänger aus Eberhauern sowie Zähne von Bären, Wölfen und Hirschen.

Man spürt, daß man sich mit der Archäologie jener Kulturen erst noch sehr gründlich beschäftigen muß, bis man ein einigermaßen befriedigendes Gesamtbild des heutigen Kenntnisstandes geben könnte. Soweit übersehbar, betreibt übrigens der Arzt, Rechts-, Wirtschafts- und Sprachwissenschaftler Dr. Carlos Quiles (geb. 1981) aus Badajoz in Spanien (CarlosQuiles) den bislang einzigen deutschsprachigen Blog - außer dem unsrigen hier - zur Archäogenetik und zur Geschichte der Indogermanen (5). Hier kann man sich auch in deutscher Sprache über einige der neuesten Entwicklungen in der Forschung kundig machen. Die meisten Beiträge sind aber auch hier in Englisch erschienen. So ein solcher über eine jüngste Ausgrabung in Yekaterinovsky, 150 Kilometer nordwestlich von Saratow. Hier ist eine Grabstätte ausgegraben worden, über die im letzten Jahr berichtet worden ist (6):

Das Grab enthält das Skelett eines jungen Mannes mit traumatischen Verletzungen am Kopf, an den Beinen und an den Handknochen, sowie das Skelett einer jungen domestizierten Ziege, die reichlich mit roten Ocker bestreut war. Grabbeigaben bestanden aus drei Steinzeptern unterschiedlichen Typs, einem großen Gegenstand aus Horn in der Form eines Vogelkopfes, einer Steinaxt, Messer-artige Stücke aus Quarzit,  (...) Bieberzähne. Die Einzigartigkeit des Grabes wird deutlich anhand der vielfältigen Grabbeigaben und den erkennbaren rituellen Praktiken. Wir vermuten, daß hier ein Mann begraben wurde, der zur Elite der Gesellschaft gehörte.
The burial contains the skeleton of a young man with traumatic injuries of the skull, leg and hand bones of other individuals, skeleton of a young specimen of a domestic goat (Capra hircus) that was abundantly sprinkled with red ocher. Grave goods include three stone scepters of different types, a large item made of horn in the shape of a bird’s head, a stone adze, knife-like plates of quartzite, beads from the flaps of the shells (Unio), marmot cutters, decoration made from a beaver’s tooth. The uniqueness of the burial is determined by the combination of the composition of the grave goods and traces of ritual practices. To conclude, we suggest the buried man could belong to the elite of the society that left this burial ground.

Quiles hat übrigens auch dem jüngsten Aufsatz von Anthony einen neuen Beitrag gewidmet (7). Ergänzen wir hier nun vielleicht noch, was wir Ende Juli 2017 hier auf dem Blog - anhand (8) - aus den Forschungen der traditionellen physischen Anthropologie festgehalten hatten (9):

Andreas Vonderach hielt 2008 auch noch folgende interessante Beobachtung über die Ukraine fest, die unter dem Wissen, daß dort tatsächlich die Indogermanen entstanden sind, eine ganz neue Bedeutung bekommt:
"In der Ukraine zeigt sich mit der wahrscheinlich aus östlicheren Gebieten eingewanderten Kurgan-Bevölkerung ein völliger Bruch zur Vorbevölkerung der Dnepr-Donez-Kultur, die durch extreme Größenmaße und Robustizität, lange Schädel, breite Gesichter und Nasen und noch niedrigere Orbitae (Augenhöhlen) charakterisiert war. Der extreme, eher jungpaläolithische oder mesolithisch anmutende Typus der Dnepr-Donez-Kultur verschwindet gegen Ende des Neolithikums ohne erkennbare Spuren zu hinterlassen."
Die hier genannte Dnjepr-Donez-Kultur (Wiki) (5.000-4.200 v. Ztr.) wird von der östlicheren Yamna-Kultur (Wiki) (4.000-2.300 v. Ztr.) abgelöst, die heute allgemein den Indogermanen zugesprochen wird, und die aus der Samara-Kultur (5.200-4.400 v. Ztr.) (Wiki) an der mittleren Wolga und der parallelen Khvalynsk-Kultur (5.000-4.500 v. Ztr.) (Wiki) hervorgegangen ist. (Die frühe Yamna-Keramik läßt sich von der späten Khavalynsk-Keramik kaum unterscheiden.) Das westliche Drittel ihres Verbreitungsgebietes befindet sich nun auf dem Gebiet der vorhergehenden Dnjepr-Donez-Kultur. Bei der Entstehung der Indogermanen hat also auch schon ein Grazilisierungsprozeß stattgefunden, der durch Zuwanderung von Bevölkerung aus südlicheren Regionen (Pakistan, Iran, Kaukasus oder Levanteraum) zustande gekommen sein wird.

So schrieben wir also schon vor zwei Jahren, was die Ausführungen dieses Blogartikels noch einmal ergänzt.

Wildpferde neben Rindern, Schafen und Ziegen

[Ergänzung 25.11.2019] In einem jüngeren Blogartikel haben wir uns jüngst noch über die Rolle der Tierkopfzepter in der Chwalynsk-Kultur Gedanken gemacht (10). 

Außerdem: Im Jahr 2000 veröffentlichte David W. Anthony einen Artikel über die Stellung der Pferde - unter anderem - in der Chwalynsk-Kultur (11). Am Fundort Khvalynsk I am Westufer der Wolga wurden neben vielen Gräbern mit dem Inventar von Jägern und Fischern (z.B. Knochen-Harpunen), sowie mit einfachen Bronzegegenständen zwölf "Ritual-Depots" gefunden, also Orte ritueller Weihgaben, bzw. Opferstätten. Elf derselben enthielten Tierknochen, und zwar insgesamt von vier Pferden, 9 Rindern und 27 Schafen oder Ziegen. Darunter fanden sich mehrfach kombinierte "Schädel-Huf-Opferungen", also die Schädel der Tiere wurden gemeinsam mit ihren Hufen niedergelegt. Ein Grab enthielt 35 Astralagus-Knochen von Schafen, also Knochen des Sprunggelenkes. Sie stammten von mindestens 22 Schafen. An diesen Stätten ritueller Weihgaben fanden sich keine Knochen von wilden Tieren. Das wurde als Hinweis darauf angesehen, daß auch die geopferten Pferde schon domestizierte Tiere waren - oder doch eine Zwischenstellung einnahmen.

Abb. 3: Geschnitzte Knochenplatten mit Pferde-Darstellungen aus der Samara-Kultur (aus: 20)

Außerdem fanden sich in der Chwalynsk-Kultur und in der nördlicher gelegenen zeitgleichen Samara-Kultur geschnitzte Knochenplatten mit Pferde-Darstellungen (s. Abb. 3). 

All das sieht Anthony als Hinweise an darauf, daß das Pferd - neben Rindern, Schafen und Ziegen - für die Chwalynsk-Kultur eine bedeutende Rolle Tierart spielte. [Ergänzung Ende] 

[Ergänzung, 10.5.22: Laut jüngerer Beiträge hier auf dem Blog ist das Pferd erst um 2.200 v. Ztr. nördlich es Kaukasus domestiziert worden (s. Stgen2022).]

Abb. 4: Karte zum Ausgriff des Deutschen Reiches während des Zweiten Weltkrieges - Zur Verdeutlichung des Ortes der Schlacht von Stalingrad an der Unteren Wolga

Abschließend noch einmal eine Erinnerung an jenes weltgeschichtliche Ereignis, das uns Deutsche das letzte mal mit der hier behandelten Urheimat der Indogermanen an der Mittleren und Unteren Wolga in unmittelbarere Verbindung brachte. 

Gefallen, verstorben und verdorben in Stalingrad

In dieser Region hat vor 78 Jahren eine der bedeutendsten Schlachten der Weltgeschichte stattgefunden, die Schlacht von Stalingrad (Wiki). Als die deutschen Truppen 1942 bis Stalingrad an der Unteren Wolga gekommen waren, hatten sie sich - in der Tat und ohne daß sie es wußten - mitten in ihre einstige Urheimat vorgekämpft. Von Stalingrad 600 Kilometer wolgaaufwärts liegt die Stadt Chwalynsk (Wiki), nach der die archäologische Kultur des Urvolkes der Indogermanen, die Chwalynsk-Kultur (4.700-3.800 v. Ztr.) (Wiki) benannt ist. Am 23. August 1941 abends um 18 Uhr erreichte die 16. deutsche Panzer-Division aus Münster in Westfalen unter dem Ritterkreuzträger General Hans-Valentin Hube die Wolga bei Rynok, zehn Kilometer nördlich vom Stadtzentrum von Stalingrad (heute Wolgograd) (G-Maps). 

Abb. 5: Deutsche Soldaten an der Wolga bei Stalingrad - Im Hintergrund gut sichtbar die weite Steppe (aus: Süddt. Ztg., August 1942)

Dieser Vorort Rynok sollte - mit anderen nördlichen Vororten - dann sechs Monate lang zur Stätte härtester Kämpfe werden (Wiki):

Die 16. Panzer-Division hatte den Auftrag, die Stadt im Norden abzuriegeln. (...) Die Aufklärungs-Abteilung erreichte am 23. August die Wolga - sie war damit der erste deutsche Kampfverband der 6. Armee, dem ein Vorstoß bis zum Ufer des Flusses gelang. Dort mußte die Einheit eine Igelstellung bilden, da die Verbindung zu den nachrückenden Infanterie-Divisionen durch den schnellen Vormarsch abgerissen war. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die Division nur noch über 75 einsatzfähige Kampfpanzer, und auch die motorisierte Infanterie hatte bereits schwere Verluste erlitten.

Die deutschen Panzer griffen dann Richtung Norden Spartanovka an, das 15 Kilometer vom Stadtzentrum von Stalingrad entfernt liegt. Die 295. deutschen Infanterie-Division griff den Mamajew-Hügel an, der zwischen Rynok und dem Stadtzentrum liegt und die höchste Erhebung im Raum Stalingrad darstellt (G-Maps).

Abb. 6: Der Mamajew-Hügel (Wiki) nördlich vom Stadtzentrum von Stalingrad - Stätte härtester Kämpfe. Der Mamajew-Hügel wurde ab 13. September 1942 von der 295. deutschen Infanterie-Division angegriffen und hartnäckig verteidigt. An ihm starben 30.000 Soldaten. Blick auf die Wolga im Jahr 1959.

Am 19. November 1941, nach dem Beginn der Einkesselung, zog sich die 16. Panzer-Division von ihrer Stellung bei Rynok und Spartanovka, in der sie wochenlang schwere Kämpfe geführt hatte, zurück. In der Divisionsgeschichte heißt es (Wiki):

Die Operation der Division gegen Rynok schlug fehl. 4000 ihrer tapfersten Soldaten liegen entlang der Eisenbahnlinie von Frolow bis Stalingrad. Ein weites Feld aus Grabkreuzen erhebt sich aus der weißen Steppe.

Sie liegen - vermutlich - nahe den Grabstätten ihr ursprünglichen Vorfahren begraben. Im Januar 1943 wurde dann die gesamte 16. Panzer-Division ebenso wie die 295. Infanteriedivision, die am Majama-Hügel gekämpft hatte, im Rahmen der 6. Armee im Kessel von Stalingrad vernichtet. Nur 10 Prozent der über 100.000 deutschen, hier in Gefangenschaft geratenen Soldaten, haben die Gefangenschaft überlebt. Die meisten in Gefangenschaft geratenen Soldaten sind erfroren, verhungert und an Seuchen gestorben.

Abb. 7: Soldatengräber in Khutor Orehovo, nordwestlich von Stalingrad

In jener Region, in der einst ihre Vorfahren lebten, liegen sie zu Hundertausenden. Sie sind bedeckt von der Heimaterde ihrer Vorfahren. Und diese Vorfahren waren auch die Vorfahren der russischen Soldaten, die dort für ihr Heimatland gestorben sind (s. Abb. 6 und 7; weitere Bilder deutscher Soldaten an der Wolga: Bdarchv1, 2, 3, Al1, 2, 3, 4, Süddt. Ztg.).

__________________
*) Anthony benennt die von uns geschilderten Umstände im Original folgendermaßen (2): "This un-admixed kind of Caucaus Hunter Gatherer (CHG)  disappeared after about 5000 BC in the Caucasus and northwestern Iran, according to Wang et al. (2018) combined with Lazaridis et al. (2016) and the forthcoming Naramsimhan et al. (2018 posted on bioarxiv). After about 5000 BC Anatolian Farmer ancestry spread east through eastern Anatolia and Transcaucasia. (Areni-1, Armenia) into Iran (Seh Gabi) while CHG ancestry spread westward into Anatolia and the Levant."
**) Der genetische Vermischungsprozeß von kaukaus-neolithischen und anatolisch-neolithischen Kulturen nach 5.000 v. Ztr. ist für sich selbst ein auffälliges Geschehen: "All tested individuals dated after 5000 BC in the Caucasus and western Iran showed CHG & Anatolian Farmer admixture on a cline across Iran with greater Anatolian Farmer ancestry in western Iran and the Caucasus and less to none in eastern Iran (Narasimhan et al. 2018). After this mixing of populations happened, the un-admixed type of early CHG ancestry probably survived only in small isolated populations." Von dieser Vermischung ist auch die Maikop-Kultur nördlich des Kaukasus betroffen. Aber nun war viel zu viel anatolisch-neolithischer genetischer Anteil in dieser Kultur, um denselben Anteil bei den Indogermanen erklären zu können.


/ Ergänzt um Angaben 
nach (12): 26.3.2020 / 
_______________________________
  1. Bading, Ingo: Neue Forschungen zur Entstehung der Indogermanen, 2.7.2017, https://studgendeutsch.blogspot.com/2017/07/neue-forschungen-zur-entstehung-der.html 
  2. Anthony, David: Archaeology, Genetics, and Language in the Steppes - A Comment on Bomhard. In: Journal of Indo-European Studies, Vol. 47, Nr. 1 & 2, Frühjahr/Sommer 2019, S. 175, im Druck, hochgeladen auf Academia am 1.8.2019 (Academia)
  3. Dergachev, V. A.: On sceptres, on horses, on war: Studies in defence of M. Gimbutas’ migration concepts, Institute of Cultural Heritage of the Moldavian Republic 2007, behandelt von Carlos Quiles, 1.7.2018, https://indo-european.eu/2018/07/about-scepters-horses-and-war-on-khvalynsk-migrants-in-the-caucasus-and-the-danube/
  4. Bading, Ingo: Von Königen und Mäusen Die Warna-Kultur (4.400 v. Ztr.), das erste von Indogermanen gegründete Königreich - Ort der "Domestikation" der osteuorpäischen Hausmaus? 13. August 2011, https://studgendeutsch.blogspot.com/2011/08/von-konigen-und-mausen.html
  5. Quiles, Carlos: Indogermanische Völker und Sprachen. https://indogermanisch.eu/
  6. Quiles, Carlos: The unique elite Khvalynsk male from a Yekaterinovskiy Cape burial, 17.5.2018, https://indo-european.eu/2018/05/the-unique-elite-khvalynsk-male-from-a-yekaterinovskiy-cape-burial/
  7. Quiles, Carlos: Volga Basin R1b-rich Proto-Indo-Europeans of (Pre-)Yamnaya ancestry. 1.8.2019, https://indo-european.eu/2019/08/don-volga-r1b-m269-rich-proto-indo-europeans-of-pre-yamnaya-ancestry/
  8. Vonderach, Andreas: Anthropologie Europas. Völker, Typen und Gene vom Neandertaler bis zur Gegenwart. Ares-Verlag, Graz 2008
  9. Bading, Ingo: Ancient-DNA-Forschung und Physische Anthropologie gegenüber gestellt - Wie nehmen sich die Forschungsergebnisse der bisherigen Physischen Anthropologie aus vor den jüngsten Ergebnissen aus der ancient-DNA-Forschung?  27.7.2017, https://studgendeutsch.blogspot.com/2017/07/ancient-dna-forschung-und-physische.html  
  10. Bading, Ingo: "Tierkopfzepter" der Indogermanen - Ursprünglich abgeleitet aus menschlichen Oberschenkelknochen? Und was haben sie mit "Zauberstäben" gemeinsam? 28. Oktober 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/10/tierkopfszepter-der-indogermanen.html  
  11. Eneolithic horse exploitation in the Eurasian steppes: diet, ritual and riding. David W. Anthony, Dorcas R. Brown, Antiquity, Volume 74, Issue 283, March 2000, pp. 75-86  DOI: https://doi.org/10.1017/S0003598X00066163 (Researchgate)   
  12. Genome-wide ancient DNA investigation of Eneolithic individuals from south-western Russia reveals a genetic contact point between the forest-steppe and steppe populations. Kerttu Majander, Kerkko Nordqvist, Arkadii Korolev, Alexander Khokhlov, Roman Smolyaninov, Henny Piezonka, Päivi Onkamo, Johannes Krause, Wolfgang Haak. Vortrag auf dem Kongreß der "European Society for Evolutionary Biology" in Finnland, 19. bis 24. August 2019, https://app.oxfordabstracts.com/events/653/program-app/submission/123334, ist auch vorgesehen für das 89. Jährliche Treffen der "American Association of Physical Anthropologists" im April 2020 in Los Angeles, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1002/ajpa.24023.
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