Vielmehr waren sie immer schon bei uns heimisch
Und die heutigen Kühe des Vorderen Orients sind seit 2.200 v. Ztr. gedeckt worden von indischen Stieren
Die Archäogenetik der Milchkühe als Erkenntnisquelle der Historiker
"Die Hausmaus als Erkenntnisquelle der Historiker" haben wir schon vor elf Jahren hier auf dem Blog behandelt (St. gen. 2008). Nun wird in Umrissen erkennbar, wie die Archäogenetik der Milchkühe (1) zu einer zunehmend sichereren Erkenntnisquelle der Historiker und Archäologen wird. Erste Ergebnisse dazu sollen im vorliegenden Beitrag referiert werden.
Lange wehrten sich ja "rückwärtsgewandte", traditionsbewußte Menschen in Europa gegen die Einsicht, daß der Ackerbau und die seßhafte Lebensweise im Vorderen Orient entstanden seien und auch von Menschen, die aus dem Vorderen Orient stammten, nach Europa und bis nach Skandinavien ausgebreitet worden seien, und daß deshalb auch fast alle wesentlichen domestizierten Pflanzenarten Europas (Getreide u.a.) im Vorderen Orient domestiziert worden seien. Aber sie mußten sich, soweit sie davon Kenntnis nahmen - durch die Forschungen der C14-Revolution seit den 1950er Jahren und mehr noch durch diejenigen der Genetischen Revolution der beiden letzten Jahrzehnte - eines völlig anderen belehren lassen. Diese Forschungen zeigten auf: Die Lehre "Ex oriente lux", "Das Licht", sprich, die Domestikation, "kam aus dem Osten" stimmte.
Auch bezüglich der Kühe (Wiki, engl) hatte die moderne C14- und die genetische Revolution bis vor Kurzem noch die Lehre des "Ex oriente lux", des "Aus dem Osten kam das Licht" gelehrt. Aber die Wendungen der Forschung sind nicht vorhersehbar. Und zumindest betreffend der Kühe scheint sich in der Archäogenetik nun - 2019 - eine Wende angebahnt zu haben (1), auch wenn das sonst nirgendwo in der Öffentlichkeit größer herausgestellt wird.
Nun, die Beziehung zwischen Menschen und Auerochsen, bzw. ihren domestizierten Nachfahren, den Milchkühen ist uralt und ist selbst eine sehr wechselhafte. In der Eiszeit bildeten Auerochsen ein wesentliches Jagdwild des Menschen. Sie fanden deshalb auch wiederholt eindrucksvollste Darstellungen in der Kunst des Menschen, in ihren Höhlenmalerein und Elfenbein-Schnitzereien. Bis vor wenigen Jahren war die Forschung noch davon ausgegangen, daß der europäische Auerochse der Eiszeit ausgestorben sei und nie domestieziert worden wäre (2). Aber eine soeben neu erschienene Studie verweist diese Annahme in das Reich der Fabel (1). Dieser Umstand läßt uns einen neuen Blick werfen auf die Rolle des Auerochsen und seiner Nachfahren, der Bullen und Milchkühe, in der Menschheitsgeschichte.
Erst vor wenigen Wochen haben wir ja hier auf dem Blog herausgearbeitet, daß sich in der Menschheitsgeschichte die Entstehung ganzer Völker vollziehen konnte im Zusammenspiel mit der Herdenhaltung von Rindern. Dies gilt etwa für die Entstehung der heutigen Hirtenvölker in Ostafrika (3). Ähnliches kann aber etwa auch für das Urvolk der Indogermanen angenommen werden, die von der Wissenschaft in der Regel als ein Hirtenvolk wahrgenommen werden, das keinen sehr intensiven Ackerbau betriebe habe. Aber hier auf dem Blog hatten wir auch schon herausgearbeitet, welche neue Bedeutung die Rinder durch die Erfindung des Rades erhielten, welche geradezu staatenbildende Funktion der Rinderwagen nicht nur in Indien, sondern seit dem Mittelneolithikum auch in Europa für die Völkergeschichte gehabt haben dürfte, beginnend in der Kugelamphorenkultur Ostmitteleuropas (4), ein Umstand, der damit auch Einfluß genommen haben kann auf die Ethnogenese und Ausbreitung der Indogermanen. Die Ausbreitung in Europa erfolgte - vermutlich - auf den von Rinderwagen breit getretenen und für sie geschaffenen Wegen.
Auch die Völker indogermanischer Herkunft führten ja mit aller größter Wahrscheinlichkeit nicht nur die von Pferden gezogenen Streitwagen mit sich. Vielmehr waren noch die Völkerbewegungen des assyrischen Reiches oder der germanischen Völkerwanderung ab 375 v. Ztr. von dem Schritttempo jener Rinderwagen bestimmt, auf denen die Völker alles, was sie hatten, mitführten, ihre Familien, all ihr Hab und Gut, ihr Getreide, ihr Handwerkszeug, ihre Waffen und ihre Schätze und kulturellen Güter.
Auch auf dem Gebiet der Religion ist dem schwerfälligen, erdverbundenen Rind vom Menschen bis heute Bedeutung zugesprochen worden. In Kulturen des Mittelmeerraumes wird der Stierkampf bis heute gepflegt, die Überwindung des dumpfen Erdhaften, das sich - verkörpert im männlichen Stier - auch sehr aggressiv und bedrohlich äußern kann, durch die Beherztheit und Wendigkeit des wachen, aufgeweckten Menschen oder gar des Gottes. Man vergleiche die Sagen von Zeus, der sich die Gestalt eines Stieres gibt, man vergleiche die weit verbreiteten Mithras-Darstellungen, in denen der Stier von einem Sonnengott getötet wird.
Doch die genannte neue archäogenetische Studie zur Geschichte der Rinderhaltung in den Hochkulturen der Antike führt zur Revision auch von so manchem Geschichtsbild, das auch wir hier auf dem Blog in früheren Jahren gezeichnet hatten (2, 5), und über die auch andernorts aufschlußreich berichtet worden war (6-8). Bis 2007 und 2012 waren genetische und archäogenetische Studien allein an mütterlich oder väterlich vererbten, nichtkodierenden Haplotypen der Rinder weltweit möglich. Und aufgrund dieser war herausgearbeitet worden, daß alle europäischen domestizierten Rinder aus dem Nahen Osten stammen würden. Nun, im Jahr 2019, seitdem die Archäogenetiker Routine erlangt haben in der Arbeit mit archäogenetischen Gesamtgenom-Studien, entwerfen sie ein ganz neues, viel differenzierteres Bild (1). Ein Bild, das in vielen Details erst noch in nähere Beziehung gesetzt werden muß zu der parallelen Geschichte menschlicher Völker und Kulturen in den jeweiligen geschichtlichen Großräumen und Großepochen der Menschheitsgeschichte. Darauf können im folgenden nur erste Schlaglichter geworfen werden.
Und nun zu der aktuellsten Studie auf diesem Forschungsgebiet (1). Woher stammten denn die da von den Bandkeramikern und den nachfolgenden europäischen Völker gemolkenen Kühe? Wirklich aus dem Vorderen Orient? Nein. Die modernen domestizierten Rinder gliedern sich in drei genetisch und auch phänotypisch klar voneinander zu unterscheidende Gruppen (s. Abb. 1, graue Sternchen). Sie gliedern sich in: europäische Rinder (Europäische Bos taurus), westafrikanische Rinder (Afrikanische Bos taurus) und indische (Buckel-)Rinder (Bos indicus). In den geographisch dazwischen liegenden Regionen - wie Ostafrika und dem Nahen Osten - gibt es heute auch genetisch dazwischenliegende Rinder-Populationen, also Populationen, die aus der Vermischung der ursprünglich getrennten Rinder-Populationen hervorgegangen sind. Aber ab wann fanden die Vermischungen statt?
Und die heutigen Kühe des Vorderen Orients sind seit 2.200 v. Ztr. gedeckt worden von indischen Stieren
Die Archäogenetik der Milchkühe als Erkenntnisquelle der Historiker
"Die Hausmaus als Erkenntnisquelle der Historiker" haben wir schon vor elf Jahren hier auf dem Blog behandelt (St. gen. 2008). Nun wird in Umrissen erkennbar, wie die Archäogenetik der Milchkühe (1) zu einer zunehmend sichereren Erkenntnisquelle der Historiker und Archäologen wird. Erste Ergebnisse dazu sollen im vorliegenden Beitrag referiert werden.
Lange wehrten sich ja "rückwärtsgewandte", traditionsbewußte Menschen in Europa gegen die Einsicht, daß der Ackerbau und die seßhafte Lebensweise im Vorderen Orient entstanden seien und auch von Menschen, die aus dem Vorderen Orient stammten, nach Europa und bis nach Skandinavien ausgebreitet worden seien, und daß deshalb auch fast alle wesentlichen domestizierten Pflanzenarten Europas (Getreide u.a.) im Vorderen Orient domestiziert worden seien. Aber sie mußten sich, soweit sie davon Kenntnis nahmen - durch die Forschungen der C14-Revolution seit den 1950er Jahren und mehr noch durch diejenigen der Genetischen Revolution der beiden letzten Jahrzehnte - eines völlig anderen belehren lassen. Diese Forschungen zeigten auf: Die Lehre "Ex oriente lux", "Das Licht", sprich, die Domestikation, "kam aus dem Osten" stimmte.
Auch bezüglich der Kühe (Wiki, engl) hatte die moderne C14- und die genetische Revolution bis vor Kurzem noch die Lehre des "Ex oriente lux", des "Aus dem Osten kam das Licht" gelehrt. Aber die Wendungen der Forschung sind nicht vorhersehbar. Und zumindest betreffend der Kühe scheint sich in der Archäogenetik nun - 2019 - eine Wende angebahnt zu haben (1), auch wenn das sonst nirgendwo in der Öffentlichkeit größer herausgestellt wird.
Nun, die Beziehung zwischen Menschen und Auerochsen, bzw. ihren domestizierten Nachfahren, den Milchkühen ist uralt und ist selbst eine sehr wechselhafte. In der Eiszeit bildeten Auerochsen ein wesentliches Jagdwild des Menschen. Sie fanden deshalb auch wiederholt eindrucksvollste Darstellungen in der Kunst des Menschen, in ihren Höhlenmalerein und Elfenbein-Schnitzereien. Bis vor wenigen Jahren war die Forschung noch davon ausgegangen, daß der europäische Auerochse der Eiszeit ausgestorben sei und nie domestieziert worden wäre (2). Aber eine soeben neu erschienene Studie verweist diese Annahme in das Reich der Fabel (1). Dieser Umstand läßt uns einen neuen Blick werfen auf die Rolle des Auerochsen und seiner Nachfahren, der Bullen und Milchkühe, in der Menschheitsgeschichte.
Erst vor wenigen Wochen haben wir ja hier auf dem Blog herausgearbeitet, daß sich in der Menschheitsgeschichte die Entstehung ganzer Völker vollziehen konnte im Zusammenspiel mit der Herdenhaltung von Rindern. Dies gilt etwa für die Entstehung der heutigen Hirtenvölker in Ostafrika (3). Ähnliches kann aber etwa auch für das Urvolk der Indogermanen angenommen werden, die von der Wissenschaft in der Regel als ein Hirtenvolk wahrgenommen werden, das keinen sehr intensiven Ackerbau betriebe habe. Aber hier auf dem Blog hatten wir auch schon herausgearbeitet, welche neue Bedeutung die Rinder durch die Erfindung des Rades erhielten, welche geradezu staatenbildende Funktion der Rinderwagen nicht nur in Indien, sondern seit dem Mittelneolithikum auch in Europa für die Völkergeschichte gehabt haben dürfte, beginnend in der Kugelamphorenkultur Ostmitteleuropas (4), ein Umstand, der damit auch Einfluß genommen haben kann auf die Ethnogenese und Ausbreitung der Indogermanen. Die Ausbreitung in Europa erfolgte - vermutlich - auf den von Rinderwagen breit getretenen und für sie geschaffenen Wegen.
Auch die Völker indogermanischer Herkunft führten ja mit aller größter Wahrscheinlichkeit nicht nur die von Pferden gezogenen Streitwagen mit sich. Vielmehr waren noch die Völkerbewegungen des assyrischen Reiches oder der germanischen Völkerwanderung ab 375 v. Ztr. von dem Schritttempo jener Rinderwagen bestimmt, auf denen die Völker alles, was sie hatten, mitführten, ihre Familien, all ihr Hab und Gut, ihr Getreide, ihr Handwerkszeug, ihre Waffen und ihre Schätze und kulturellen Güter.
Auch auf dem Gebiet der Religion ist dem schwerfälligen, erdverbundenen Rind vom Menschen bis heute Bedeutung zugesprochen worden. In Kulturen des Mittelmeerraumes wird der Stierkampf bis heute gepflegt, die Überwindung des dumpfen Erdhaften, das sich - verkörpert im männlichen Stier - auch sehr aggressiv und bedrohlich äußern kann, durch die Beherztheit und Wendigkeit des wachen, aufgeweckten Menschen oder gar des Gottes. Man vergleiche die Sagen von Zeus, der sich die Gestalt eines Stieres gibt, man vergleiche die weit verbreiteten Mithras-Darstellungen, in denen der Stier von einem Sonnengott getötet wird.
Doch die genannte neue archäogenetische Studie zur Geschichte der Rinderhaltung in den Hochkulturen der Antike führt zur Revision auch von so manchem Geschichtsbild, das auch wir hier auf dem Blog in früheren Jahren gezeichnet hatten (2, 5), und über die auch andernorts aufschlußreich berichtet worden war (6-8). Bis 2007 und 2012 waren genetische und archäogenetische Studien allein an mütterlich oder väterlich vererbten, nichtkodierenden Haplotypen der Rinder weltweit möglich. Und aufgrund dieser war herausgearbeitet worden, daß alle europäischen domestizierten Rinder aus dem Nahen Osten stammen würden. Nun, im Jahr 2019, seitdem die Archäogenetiker Routine erlangt haben in der Arbeit mit archäogenetischen Gesamtgenom-Studien, entwerfen sie ein ganz neues, viel differenzierteres Bild (1). Ein Bild, das in vielen Details erst noch in nähere Beziehung gesetzt werden muß zu der parallelen Geschichte menschlicher Völker und Kulturen in den jeweiligen geschichtlichen Großräumen und Großepochen der Menschheitsgeschichte. Darauf können im folgenden nur erste Schlaglichter geworfen werden.
Erste Domestikation im vorkeramischen Neolithikum des Fruchtbaren Halbmonds
Für die Entstehung der ersten nordwestanatolischen Bauernkultur um 6.800 v. Ztr. spielte das domestizierte Rind eine wichtige Rolle. Domestiziert wurde das Rind aber nicht von dieser,
sondern schon 2000 Jahre früher an den Mittelläufen von Euphrat und
Tigris. In einer wichtigen Studie des Jahres 2012 hieß es dazu
einleitend (9):
Die frühesten Anzeichen der Domestikation des wilden Auerochsen finden sich in Dja'de im Tal des Mittleren Euphrat, datiert auf das Frühe Vorkeramische Neolithikum B (PPNB, 8.800-8.300 v. Ztr.) und in Cayönü im Oberen Tal des Tigris in der Übergangszeit zwischen der Frühen und der Mittleren Phase des Vorkeramischen Neolithikums B (um 8.200 v. Ztr.).
Original: The earliest signs of wild aurochs domestication are seen at Dja'de in the Middle Euphrates Valley, dating to the Early Pre-Pottery Neolithic (EPPNB; 10,800–10,300 cal. BP, Helmer et al. 2005) and at Çayönü in the High Tigris Valley, between the Early and Middle PPNB (around 10,200 cal. BP, Hongo et al. 2009).
Diese fast schon städtische Kultur des PPNB war gekennzeichnet von im
Grundriß rechteckigen Häusern, die mit aufwendig hergestellten Terrazzofußböden ausgelegt waren, durch die Verehrung despotisch
wirkender Kaffeebohnen-Augen-Göttinnen und durch die Herrschaft ebenso despotisch
wirkender Stadtdespoten ("plastered skulls"). Weiter heißt es in der
Studie (9):
Nach der beginnenden Domestikationsphase, die etwa eineinhalb Jahrtausende dauerte, begann das domestizierte Rind aufzutauchen in Westanatolien und Südosteuropa um 6.800 v. Ztr., im südlichen Italien um 6.500 v. Ztr. und in Mitteleuropa um 6.000 v. Ztr.. Archäozoologische Daten, festgestellte Fettreste in Keramik und die Verbreitung genetisch angeborener Erwachsenen-Rohmildverdauung verweisen alle auf eine zunehmende Bedeutung von Rindern für die Fleisch- und Milchproduktion.
Original: After an initial breeding phase lasting some 1.5 millennia in an area between the Levant, central Anatolia and western Iran, domestic cattle started to appear in western Anatolia and southeastern Europe by 8,800 cal. BP, southern Italy by 8,500 cal. BP, and Central Europe by 8,000 cal. BP. Archaeozoological (Helmer and Vigne 2007; Vigne 2008) residual lipid (Craig et al. 2005; Evershed et al. 2008) and lactase persistence data (Itan et al. 2009) point to an increasing economic importance of cattle for meat and milk production.
Die domestizierten Rinder sollen von nur 80 weiblichen Tieren abstammen (9), die also vermutlich am Mittleren Euphrat (Wiki) lebten, wo sich auch sehr alte Wandmalerei erhalten hat (Spektr. d. Wiss. 2007). Soweit ein Blick auf den Forschungsstand des Jahres 2012.
Die Bandkeramiker, die ersten Ackerbauern Europas, besaßen zwar - nach archäogenetischen Studien der letzten Jahre - selbst noch keine genetische Anlage, um als Erwachsene Rohmilch verdauen zu können - dennoch aber fand man Reste von Milchprodukten an ihrer Keramik (10). Dieser Umstand legte nahe, daß die Bandkeramiker und andere frühneolithische Bauernvölker die Milch zu Käse und anderen Produkten verarbeiteten, die ihnen dann verdaubar waren. Eine 2017 erschienene Studie zu Profilen des Schlachtalters von Rindern über das gesamte Verbreitungsgebiet der Bandkeramik hinweg zeigte (was aufgrund der großen auch sonst vorliegenden Einheitlichkeit dieser Kultur erwartet werden konnte), daß die Rinder über das gesamte Verbreitungsgebiet gemolken wurden und die Milch verarbeitet wurde, allerdings nicht zu besonders hohen Anteilen (10):
Auch die ersten Bauern Europas haben schon ihre Rinder gemolken
Die Bandkeramiker, die ersten Ackerbauern Europas, besaßen zwar - nach archäogenetischen Studien der letzten Jahre - selbst noch keine genetische Anlage, um als Erwachsene Rohmilch verdauen zu können - dennoch aber fand man Reste von Milchprodukten an ihrer Keramik (10). Dieser Umstand legte nahe, daß die Bandkeramiker und andere frühneolithische Bauernvölker die Milch zu Käse und anderen Produkten verarbeiteten, die ihnen dann verdaubar waren. Eine 2017 erschienene Studie zu Profilen des Schlachtalters von Rindern über das gesamte Verbreitungsgebiet der Bandkeramik hinweg zeigte (was aufgrund der großen auch sonst vorliegenden Einheitlichkeit dieser Kultur erwartet werden konnte), daß die Rinder über das gesamte Verbreitungsgebiet gemolken wurden und die Milch verarbeitet wurde, allerdings nicht zu besonders hohen Anteilen (10):
Von der Rinderhaltung der Bandkeramiker war bislang angenommen worden, daß sie auf die Fleischproduktion fokussiert war und nur in geringem Maße auch der Milchproduktion diente. Unsere Ergebnisse zeigen, daß das Schlachtalter der Tiere abgestimmt war auf ihre vorherige Fähigkeit zur Milchproduktion, was in allen Regionen und Zeitstufen der Bandkeramik praktiziert wurde.
"Linearbandkeramik cattle husbandry was previously believed to have been focused on meat production with some element of milk production. Our results show that slaughter management associated with dairy husbandry was practised in all LBK regions and periods as well as meat production. The detection of milk lipids in ceramics is clear proof dairying was practised. The level of milk production during the LBK was not intensive."
Der Balkan, Anatolien, Levante und Indien - vier Ursprüngsregionen der Rinder-Domestikation
Und nun zu der aktuellsten Studie auf diesem Forschungsgebiet (1). Woher stammten denn die da von den Bandkeramikern und den nachfolgenden europäischen Völker gemolkenen Kühe? Wirklich aus dem Vorderen Orient? Nein. Die modernen domestizierten Rinder gliedern sich in drei genetisch und auch phänotypisch klar voneinander zu unterscheidende Gruppen (s. Abb. 1, graue Sternchen). Sie gliedern sich in: europäische Rinder (Europäische Bos taurus), westafrikanische Rinder (Afrikanische Bos taurus) und indische (Buckel-)Rinder (Bos indicus). In den geographisch dazwischen liegenden Regionen - wie Ostafrika und dem Nahen Osten - gibt es heute auch genetisch dazwischenliegende Rinder-Populationen, also Populationen, die aus der Vermischung der ursprünglich getrennten Rinder-Populationen hervorgegangen sind. Aber ab wann fanden die Vermischungen statt?
Um die genetische Herkunft und Geschichte der modernen Rinder-Populationen besser verstehen zu können, wurden die Gesamtgenome von 67 archäologisch gewonnenen Rinderknochen des Vorderen Orients und Europas ausgewertet. Sie wurden vor dem Hintergrund der genetischen Verwandtschaft der heutigen Rinder-Populationen miteinander verglichen und zu ersteren in Beziehung gesetzt (Abb. 1) (1).
Unsere modernen domestizierten Rinder stammen also - wie gesagt - von eiszeitlichen Auerochsen ab. Die ersten Auerochsen wurden schon - wie gesagt - seit 8.500 v. Ztr. in den Kulturen am Ober- und Mittellauf von Euphrat und Tigris domestiziert. Ein sequenzierter epipaläolithischer Aurochse aus der Zeit um 7.000 v. Ztr. in Marokko (Abb. 1: Th7) steht dieser Herkunftsgruppe genetisch sehr nahe. Von dieser südlevantinisch-neolithischen Herkunftsgruppe des Akeramischen Neolithikums stammen die neolithischen, bronzezeitlichen und auch noch eisenzeitliche Rinder des südlichen Levanteraumes ab (Herkunftsgruppe c in Abb. 1). Allerdings auch nicht jene Rinder, von denen - etwa - in der Bibel die Rede ist. Denn als solche unvermischte Population sind diese Rinder nach der Eisenzeit - sozusagen - ausgestorben, bzw. sie sind nach und nach vollständig vermischt worden sowohl mit Rindern anatolischer als auch mit Rindern indischer Herkunft.
Die iranisch-anatolisch-neolithischen Rinder
Spätestens ab 7.000 v. Ztr. lebten in Abu Ghosh (Wiki), zwölf Kilometer westlich des heutigen Jerusalem, auch Rinder, die genetisch jener Population nahestanden, die im nachfolgenden Neolithikum in Anatolien und im Iran lebten und die auf eine eigene Domestizierung von Auerochsen zurück gegangen sein muß (Abb. 1: Abu1 and Abu2). Rinder dieser Genetik gab es auch um 5.500 v. Ztr. in der berühmten anatolischen Ausgrabungsstätte Çatalhöyük (Ch22) und 5.000 v. Ztr. in Armenien (Gyu2) (Herkunftsgruppe b in Abb. 1). Angesichts ihres vergleichsweise großen neolithischen Verbreitungsraumes dürfte - übrigens - nicht ganz uninteressant sein zu erfahren, an welchem Ort diese Herkunftsgruppe das erste mal domestiziert worden ist. Die hier schon in deutscher Sprache benannten Umstände sollen noch einmal im Originalzitat der Studie angeführt werden (1):
"Two ~9000-year-old samples from the Levantine Aceramic village of Abu Ghosh (Abu1 and Abu2), a 7500-year-old sample from the early Anatolian settlement Çatalhöyük (Ch22), and a 7000-year-old Armenian aurochs (Gyu2). These four genomes fall close to the Anatolia and Iran ancient domestic cattle cluster (Fig. 1A, cluster b) and reveal this as the oldest ancestral stratum of B. taurus."Es ist auch auffallend, daß trotz der Überschneidung des Verbreitungsgebietes der iranisch-anatolisch-neolithischen Rinder mit dem Verbreitungsgebiet der südlevantinisch-neolithischen Rinder - etwa in Abu Ghosh - beide Rinder-Populationen über das Neolithikum bis in die Eisenzeit hinein genetisch scheinen getrennt voneinander geblieben zu sein (s. Abb. 1). Ob dieser Befund nicht zu eine Erklärung herausfordert? Darüber wird in der Forschungsstudie - soweit übersehbar - nichts gesagt.
Auch die iranisch-anatolisch-neolithische Herkunftsgruppe der domestizierten Rinder muß in ihrer ursprünglichen, unvermischten Form heute als ausgestorben gelten. Die Rinder, die in der Ilias geopfert werden und die Ernährungsgrundlage darstellten des belagernden Heeres der Griechen vor Troja, hatten sich schon mit Rindern anderer geographischer Herkunft vermischt.
Die Balkan-neolithischen Rinder
Die dann erstmals auf dem Balkan domestizierten Rinder (Herkunftsgruppe a in Abb. 1) waren genetisch schon jene Rinder, die heute noch in Europa verbreitet sind. Sie haben sich vergleichsweise unvermischt bis heute gehalten. Nennen wir sie die Balkan-neolithische Herkunftsgruppe. Sie steht genetisch nahe dem Genom eines mesolithischen Auerochsen auf den britischen Inseln um 5.000 v. Ztr. (in Abb. 1: CPC98).
Damit sind Aussagen von Studien aus den Jahren 2007 und 2012 revidiert, über die berichtet wurde mit Titeln wie "Der Auerochse - Jagdwild in der Eiszeit, in Europa niemals domestiziert" oder "Ursprung aller Hausrinder liegt in einer kleinen Auerochsen-Herde im Nahen Osten" (2, 5, 7, 8).
Interessanterweise scheint diese Herkunftsgruppe nach der Eisenzeit, also zur Zeit des Römischen Weltreiches oder an seinem Ende im heutigen Georgien mit anatolisch-neolithischen Rindern vermischt worden zu sein, die auch schon indische Rinder-Genetik in sich hatten (Abb. 1, rote, nach unten zeigende Dreiecke). Dem Anhang der Studie (S. 6) entnehmen wir, daß es sich hier um Rinder der Sassaniden handelt aus der Zeit 400 bis 1000 n. Ztr..
Die südlevantinischen-neolithischen Rinder und die iranisch-anatolischen-neolithischen Rinder haben unter den modernen Rindern keine unvermischten Nachkommen mehr, sondern wurden in der Bronze- und Eisenzeit, sowie danach mit Rinderpopulationen anderer geographischer Herkunft vermischt. Hier nun kommen die Rinder indischer Herkunft ins Spiel.
Damit sind Aussagen von Studien aus den Jahren 2007 und 2012 revidiert, über die berichtet wurde mit Titeln wie "Der Auerochse - Jagdwild in der Eiszeit, in Europa niemals domestiziert" oder "Ursprung aller Hausrinder liegt in einer kleinen Auerochsen-Herde im Nahen Osten" (2, 5, 7, 8).
Interessanterweise scheint diese Herkunftsgruppe nach der Eisenzeit, also zur Zeit des Römischen Weltreiches oder an seinem Ende im heutigen Georgien mit anatolisch-neolithischen Rindern vermischt worden zu sein, die auch schon indische Rinder-Genetik in sich hatten (Abb. 1, rote, nach unten zeigende Dreiecke). Dem Anhang der Studie (S. 6) entnehmen wir, daß es sich hier um Rinder der Sassaniden handelt aus der Zeit 400 bis 1000 n. Ztr..
Die südlevantinischen-neolithischen Rinder und die iranisch-anatolischen-neolithischen Rinder haben unter den modernen Rindern keine unvermischten Nachkommen mehr, sondern wurden in der Bronze- und Eisenzeit, sowie danach mit Rinderpopulationen anderer geographischer Herkunft vermischt. Hier nun kommen die Rinder indischer Herkunft ins Spiel.
2.200 v. Ztr. - Indisch-neolithische Rinder kommen in den Levanteraum
Nach 2.200 v. Ztr. kam in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum im Levanteraum und im Nahen Osten etwa 35 % indische Rinder-Genetik zu der hier zuvor einheimischen nahöstlichen Rinder-Genetik dazu, und zwar wurde diese über männliche Bullen ausgebreitet wie das mitochondriale Genom aufzeigt (1):
After ~4000 yr B.P., hybrid animals (median 35% indicine ancestry) are found across the Near East, from Central Asia and Iran to the Caucasus and Mediterranean shores of the southern Levant.In der Studie wird darauf hingewiesen, daß sich in ähnlicher Zeitstellung - also ab 2.500 v. Ztr. - auch die Yamnaya-Genetik der Indogermanen nach Westen ausbreitete, und daß sich auch der Wasserbüffel und asiatische Elefanten in dieser Zeit nach Westen ausbreiteten. - Es dürfte aber verfrüht sein zu behaupten, daß allein die indogermanischen Völkerwanderungen diesen genetischen Umbruch unter den Rindern des Nahen Ostens auslösten, zumal der Schwerpunkt derselben in Kontinental- und Nordeuropa lag, und zumal sich Yamnaya-Genetik bislang selbst bei den indogermanischen Hethitern nicht feststellen ließ.
Vielmehr darf gemutmaßt werden, daß die Ausbreitung der indischen Rinder-Genetik parallel ging mit der - hier auf dem Blog schon mehrmals angesprochenen, aber bislang archäologisch noch nicht sehr gut erklärten und illustrierten - Ausbreitung der iranisch-neolithischen Genetik in den ostmediterranen Raum hinein während der Bronzezeit und danach.
Indische Rinder kommen nach Afrika ab 700 n. Ztr.
Ergänzung, 28.10.2020: In Afrika gibt es heute über 150 einheimische Rinder-Rassen, die phänotypisch sehr unterschiedlich aussehen, zum Teil gebuckelten Rindern aus Indien ähneln, zum Teil nicht gebuckelten aus dem Nahen Osten (Abb. 2). Sie weisen jeweils sehr unterschiedliche, rassetypische Anpassungen an ihren Lebensraum auf. Nun ist in einer neuen Studie (11) aufgezeigt worden, daß auch in Afrika Rinder aus Indien eingeführt worden sind, aber erst ab 700 n. Ztr. (11). Bis dahin hatte es in Afrika nur Rinder aus dem Nahen Osten gegeben. Letztere waren aber nicht so gut an das heiße Klima Afrikas angepaßt wie es die indischen Rinder waren. Andererseits waren die Rinder des Nahen Ostens schon besser an Krankheitserreger angepaßt, die in Afrika verbreitet waren.
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Anmerkung: Der Abschnitt, in der auf Literaturangabe 9 Bezug genommen wird, war der Anfang eines seit 2012 unveröffentlicht gebliebenen Aufsatzentwurfes zu diesem Thema hier auf dem Blog. Da seine Ergebnisse weiterhin gültig sein dürften, wird dieser Abschnitt hier mit eingefügt. Der damals vorgesehenen Titel lautete "Wie entstand die erste nordwestanatolische Bauernkultur um 6.800 v. Ztr.?"
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Anmerkung: Der Abschnitt, in der auf Literaturangabe 9 Bezug genommen wird, war der Anfang eines seit 2012 unveröffentlicht gebliebenen Aufsatzentwurfes zu diesem Thema hier auf dem Blog. Da seine Ergebnisse weiterhin gültig sein dürften, wird dieser Abschnitt hier mit eingefügt. Der damals vorgesehenen Titel lautete "Wie entstand die erste nordwestanatolische Bauernkultur um 6.800 v. Ztr.?"
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- M. Pereira Verdugo et al., Ancient cattle genomics, origins and rapid turnover in the Fertile Crescent, Science 365:6449, 173-176, 12. Juli 2019, DOI:10.1126/science.aav1002
- Bading, Ingo: Der Auerochse - Jagdwild in der Eiszeit, in Europa niemals domestiziert, 7.4.2007, https://studgendeutsch.blogspot.com/2007/04/der-auerochse-jagdwild-in-der-eiszeit.html
- Bading, Ingo: Die genetische Geschichte der Alten Ägypter, Juli 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/07/die-genetische-geschichte-der-alten.html
- Bading, Ingo: 3.100 v. Ztr.: Der Rinderwagen in der Weltgeschichte - Prozessionen an Königsgräbern lassen um 3.100 v. Ztr. staatliche Strukturen in Norddänemark erkennen, 21.10.2010, https://studgendeutsch.blogspot.com/2010/10/3100-v-ztr-der-rinderwagen-in-der.html
- Bading, Ingo: 5. April 2007 "Ob blond, ob braun" - alle europäischen Rinder stammen aus dem Nahen Osten, 5.4.2007, https://studgendeutsch.blogspot.com/2007/04/ob-blond-ob-braun-alle-europischen.html
- Grampp, Karl: In: Die Deutsche Volkshochschule ...
- Ursprung aller Hausrinder liegt in einer kleinen Auerochsen-Herde im Nahen Osten Mainzer Anthropologen berechnen gemeinsam mit französischen und englischen Kollegen die Größe der ersten domestizierten Kuhherde 29.03.2012, http://www.uni-mainz.de/presse/51060.php
- Budde, Joachim: Flaschenhals im Nahen Osten Alle Hausrinder stammen von 80 Tieren ab Paläogenetik. Deutschlandfunk, 25.05.2012, http://www.deutschlandfunk.de/flaschenhals-im-nahen-osten.676.de.html?dram:article_id=206917
- Bollongino, R.; Burger, J.; Powell, A.; Mashkour, M.; Vigne, J.-D.; Thomas, M. G. (2012). "Modern taurine cattle descended from small number of Near-Eastern founders". Molecular Biology and Evolution. 29 (9): 2101–2104, doi:10.1093/molbev/mss092, https://academic.oup.com/mbe/article/29/9/2101/1077727
- The evolution of dual meat and milk cattle husbandry in Linearbandkeramik societies, 2. August 2017, Proc. Roy. Soc. B., http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/284/1860/20170905?etoc
- The mosaic genome of indigenous African cattle as a unique genetic resource for African pastoralism. Kwondo Kim, Taehyung Kwon, Tadelle Dessie, DongAhn Yoo, Okeyo Ally Mwai et al. doi:10.1038/s41588-020-0694-2, Nature Genetics, 28. September 2020, pp1099 - 1110 https://www.nature.com/articles/s41588-020-0694-2.
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