Sonntag, 2. Juli 2017

Neue Forschungen zur Entstehung der Indogermanen

Wie entstanden die modernen europäischen Völker? 
- Ancient-DNA-Forscher David Reich berichtet über den aktuellen Forschungsstand

In diesem Beitrag möchte ich einige Ausführungen zum derzeitigen Stand der Forschungen zur Entstehung und Ausbreitung des weltgeschichtlich so bedeutenden Volkes der Indogermanen, bzw. der Indoeuropäer machen. Was dieses Gebiet betrifft, befindet sich die ancientDNA-Forschung gerade in rasanter Entwicklung. Aber das Bild ist in groben Umrissen schon fertig. Und außerordentlich überraschend.

Rasante Entwicklungen in der archäologischen Erforschung des Neolithikums und der Bronzezeit hat es in den letzten 25 Jahren insbesondere in Bezug auf das vorkeramische Neolithikum des Vorderen Orients und in Bezug auf die Bandkeramik Mitteleuropas gegeben, zwei Themen, die ich seit den letzten Semestern meines Studiums vor 25 Jahren sehr intensiv bearbeitet habe, auch hier auf dem Blog. Natürlich hat man parallel dazu immer auch die Geschichte der Indogermanen im Auge behalten. Aber hier hat es letztlich nie so rasante Neuerkenntnisse bislang gegeben wie bezüglich der anderen beiden Themen. Und genau dieser Umstand ändert sich gerade. Allerdings ändert sich der Kenntnisstand zur genetischen Geschichte Europas und des Vorderen Orients gerade überhaupt rasant.

Um mit diesen neuen wissenschaftlichen Entwicklungen Schritt zu halten, ist als Einstieg sicherlich außerordentlich nützlich (gibt es etwas Besseres?) ein Vortrag, den David Reich (Harvard), Humangenetiker von Harvard, hoch geschätzter Kollege, Freund und Schüler von Svaante Pääbo (Leipzig), erst kürzlich, im Mai 2017 in Israel (Yt) gehalten hat über seine Forschungen an genetischem Material, das aus archäologischen Knochen weltweit derzeit in immer größeren Zahlen sequenziert und ausgewertet wird.*)



David Reich ist heute einer der wichtigsten Forscher weltweit auf diesem Gebiet (neben Johannes Krause und anderen). Und er ist insbesondere - neben anderen - beteiligt an der Erforschung der genetischen Herkunft der Indogermanen, unserer Vorfahren, das weltgeschichtlich bedeutsamste Volk, das um 4.700 v. Ztr. in einer so entlegenen Region wie der Mittleren Wolga entstanden ist, bzw. sich nach dorthin ausgebreitet hat. (Als die deutschen Truppen 1942 bis Stalingrad an der Unteren Wolga gekommen waren, hatten sie sich mitten in ihre einstige Urheimat an der Wolga vorgekämpft, bzw. dicht in ihre Nähe. Und in dieser ihrer Urheimat fand dann eine der entscheidendsten Schlachten des weltgeschichtlich so bedeutsamen Zweiten Weltkrieges statt.) Die Indogermanen entstanden zwischen Mittlerer Wolga und Kaukasus etwa zur gleichen Zeit, als am Plattensee in Ungarn das heute ausgestorbene, damals so unglaublich erfolgreiche mitteleuropäische Volk der Bandkeramiker untergegangen ist (4.900 v. Ztr. und später). Man darf sich durchaus die Frage stellen: Warum ist das einst so erfolgreiche Volk der Bandkeramiker in Mitteleuropa heute genetisch ausgestorben und warum sind das Volk der Indogermanen und seine Nachkommen bis heute auf der Erde so erfolgreich geblieben? Die Antwort wird sich wahrscheinlich unter anderem in der besonderen Verhaltensgenetik des Volkes der Indogermanen finden.

Die Forschungen von David Reich und seiner Kollegen bringen Umwälzungen in unserem Wissen über die Entstehung der europäischen Völker wie es niemand hat erwarten können. Und diese Umwälzungen betreffen das Selbstverständnis der Völker der Nordhalbkugel natürlich im tiefsten Kern, so tief, wie diese Völker schon seit Jahrzehnten keine neuen Erkenntnisse mehr über sich selbst gewonnen haben. David Reich spricht in seinem Vortrag mit großem Recht davon, daß die Revolution rund um die Sequenzierung von genetischem Material aus archäologisch gewonnenen Menschenknochen ("ancient-DNA-Revolution") der letzten fünf Jahre ähnlich bedeutsam ist wie die C14-Revolution in den 1950er Jahren. Seit den 1950er Jahren können die Zeiträume der Entstehung, der Ausbreitung und des Untergangs der Völker der Weltgeschichte sehr genau datiert werden, was bis dahin nicht möglich war. Durch die C14-Revolution "vertiefte" sich unser Wissen um die Geschichte der ackerbautreibenden Kulturen weltweit schlicht um den doppelten Zeitraum. Hatten bis dahin Bücher, die den Kenntnisstand der Archäologie popularisierten, Titel tragen können wie "5000 Jahre Deutschland" (Jörg Lechler, 1937), ist es seither möglich, solchen Büchern potentielle Titel zu geben wie "8000 Jahre Bauern in Deutschland", bzw. "12.000 Jahre Getreide anbauende Kulturen im Vorderen Orient" und so weiter. Darüber wurde ja hier auf dem Blog schon häufiger berichtet.

Die neue Erkenntnis

Insbesondere ab Minute 20'35 trägt David Reich in diesem Vortrag nun Erkenntnisse vor, die besonders neu sind, und die man erst einmal auf sich wirken lassen muß. Es wird eine Grafik gezeigt, deren Aussage auch für diesen Blog ganz neu ist.  Diese Grafik zeigt eine "Hauptkomponenten-Analyse" der genetischen Verwandtschaftsbeziehungen von archäologischen und gegenwärtigen Populationen. Ihre Aussage: Vor dem Neolithikum waren die Völker in West- und Nordeuropa, in Anatolien und im Levanteraum genetisch voneinander so unterschiedlich wie sich heute noch Europäer und Ostasiaten genetisch voneinander unterscheiden. Mit dem Neolithikum in Europa (also ab etwa 6500 v. Ztr.) und mehr noch mit der Ausbreitung der Indogermanen während der Bronzezeit änderte sich das. Die frühen Bauernvölker Anatoliens und Mitteleuropas ebenso wie unsere Vorfahren, die Indogermanen an der Mittleren Wolga, lagen was die vormalige genetische Entfernung zwischen den vorneolithischen europäischen und vorneolithischen vorderorientalischen Völkern betrifft, ziemlich genau in der Mitte zwischen beiden.

Während die nordeuropäischen Jäger und Sammler, ebenso wie das erste mitteleuropäische Bauernvolk der Bandkeramiker in der Folgezeit genetisch ausstarben, leben die genetischen Nachfahren der vorderorientalischen Jäger und Sammler heute immer noch im Vorderen Orient und leben die genetischen Nachfahren der Indogermanen heute immer noch in Europa, Nordamerika und Australien. Es hat also - davon spricht David Reich in seinem Vortrag gar nicht! - in Europa genetisch in den letzten 8000 Jahren deutlich mehr genetische Veränderungen gegeben als im Vorderen Orient. Es ist sehr nahe liegend, daß der genetische und kulturelle Erfolg jener Völker, die in der hier zu Tage tretenden weltgeschichtlichen "Gruppenselektion" in Europa am erfolgreichsten waren - nämlich vor allem Indogermanen und Trichterbecherkultur - auch für jenes "Human Accomplishment" (Charles Murray), für jene kulturellen Errungenschaften verantwortlich sind, die in den letzten 3000 Jahren Menschheitsgeschichte vor allem hervorgebracht worden sind.

Es gab in Europa deutlich häufiger populationsgenetische Neuanpassungen über Gründer-, bzw. Flaschenhals-Populationen, während es im Vorderen Orient demgegenüber seit dem Vorneolithikum deutlich mehr populationsgenetische Kontinuität bis heute gegeben hat. (Das Aussterben der hellhaarigen, indogermanischen Eliten des Mittelmeerraumes am Ende der Spätantike ist noch nicht in das Blickfeld der Humangenetik geraten.) Es ist mehr als nahe liegend, die - sozusagen - "fortschrittlichere" Verhaltens- und Intelligenzgenetik der Mittel- und Nordeuropäer auf diese weltgeschichtlichen Gruppenselektions-Prozesse zurückzuführen etwa zwischen 5.500 v. Ztr. bis 600 n. Ztr.. Danach hat es keine grundlegenderen populationsgenetischen Veränderungen mehr in Europa gegeben. Erst in den letzten Jahrzehnten deutet sich an, daß es wieder zu massiven populationsgenetischen Veränderungen in Europa kommen kann. Diesbezüglich ist der Willensbildungs-Prozeß der europäischen Völker womöglich noch nicht abgeschlossen. Und da es sich um fortschrittliche Wissensgesellschaften handelt, könnte es sein, daß auf diesen Willensbildungs-Prozeß auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse Einfluß gewinnen. Deutlich ist, daß alte religiöse und ideologische Mächte unterschwellig sehr intensiv daran arbeiten, die modernen Wissensgesellschaften nicht ihrem Charakter entsprechend - nämlich über wissenschaftliche Aufklärung - funktionieren zu lassen. Es sind derzeit viel mehr Versuche zu beobachten, ganze Völker massiv zu verblöden und zu infantilisieren, sprich, es ihnen unmöglich zu machen, auf wesentlichsten Gebieten verantwortlich zu handeln.

Nach der erwähnten Grafik bilden, um das noch einmal etwas genauer auszuführen, 

  1. die vorneolithischen, neolithischen und bronzezeitlichen Populationen des Vorderen Orients ein genetisches Verwandtschafts-"Cluster" (eine Völkergruppe mit genetischen Gemeinsamkeiten sowohl über einen weiten geographischen Raum hinweg als auch über viele Zeitalter hinweg).
  2. Bilden die neolithischen und bronzezeitlichen Völker Kleinasiens, Europas und der Nordschwarzmeer-Steppen - Indogermanen - ein weiteres größeres Verwandtschafts-"Cluster". Und 
  3. bilden die vorneolithischen westeuropäischen wie osteuropäischen Jäger- und Sammler-Völker ein Verwandtschafts-"Cluster".

Diese drei Cluster sind sehr grob, wenn man bedenkt, daß im gleichen Cluster sich einerseits die ausgestorbenen Bandkeramiker und andererseits die Indogermanen befinden, deren Nachfahren wir heute sind und wenn man bedenkt, daß diese beiden Völker genetisch doch schon erhebliche Unterschiede untereinander aufgewiesen haben werden, da sie sich vermutlich nie begegnet sind. Es werden das ähnliche Unterschiede sein wie sie auch unter Populationen der in den beiden anderen Clustern zusammen gefaßten Völker zu finden sein werden.

Dennoch soll die Grafik ja einen Erkenntnisgewinn mit sich bringen. Dieser besteht darin, daß die Völker des europäischen Neolithikums - und zwar auch die Indogermanen - genetisch auf der Mitte zwischen zwei vorneolithischen Extremen stehen. Aus dieser Grafik folgt, daß die modernen europäischen Völker - also wir - genetisch grob auf der Mitte stehen zwischen den genetisch ausgestorbenen Jäger-Sammler-Völkern Europas und den genetisch nicht ausgestorbenen Völkern des Vorderen Orients. (Dabei erwähnt David Reich übrigens auch, daß schon das erste Eiszeitjäger-Volk der Eiszeit noch während der Eiszeit ausgestorben ist und durch ein anderes Volk ersetzt worden ist.)

Gegenüber der in dieser Grafik enthaltenen Erkenntnis ist die durch David Reich im weiteren dann gegebene Deutung dieser Erkenntnis sicherlich eher nur zweitrangig. Er deutet sie aus einer auffallend einseitigen multikulturellen, globalistischen Weltsicht heraus. Dem muß man sich nicht anschließen, wenn man sich klar macht, welche klaren genetischen Unterschiede es noch heute zwischen dem mitteleuropäischen und vorderasiatischen Raum gibt, die auch dann erheblich bleiben, wenn sie nicht so groß sind wie der Unterschied gegenüber dem ostasiatischen Raum.

Gestorben wie Moses, bevor er das verheißene neue Land betreten konnte 

So weit zum Kerninhalt des Vortrages. Kurz seien noch einigen andere Inhalte des Vortrages erwähnt. David Reich hält den Vortrag im Anschluß an einen vorangegangenen Vortrag von Svaante Pääbo. Und es wird schnell deutlich, wie viel er selbst Svaante Pääbo verdankt. Man hat aber schon in dem Buch von Svaante Pääbo nachlesen können, daß auch Pääbo und seine Forschungsgruppe mit großen Respekt David Reich gegenüber stehen, weil sie ihm hinwiederum viel verdanken. In der anschließenden Diskussion antworten übrigens beide und es ist faszinierend, dabei die gereifte Persönlichkeit von Pääbo zu erleben (Yt). Schon allein dieses großzügige, freundschaftliche Geben und Nehmen zwischen den Forschern zu verfolgen, ist sehr eindrucksvoll. So soll es sein.

In seinem Vortrag sagt David Reich dann aber auch noch viele andere faszinierende Dinge. Er sagt zum Beispiel auch, daß sein zweites großes Vorbild neben Svaante Pääbo der italienische Humangenetiker Luigi Luca Cavalli-Sforza war, und daß sich dieser einst in den 1960er Jahren wie Moses auf den Weg gemacht hatte, einen neuen geistigen Kontinent zu entdecken, nämlich die genetische Geschichte der menschlichen Völker und Sprachen, daß er aber - aus heutiger Sicht - starb, bevor er diesen riesigen, neuen geistigen Kontinent wirklich erreicht hatte, und daß er auf diesem Weg bis zum Schluß - aus heutiger Sicht - in den allergrößten Irrtümern befangen blieb.

Er war mit so gut wie allen Biologen seiner Zeit - etwa auch mit Konrad Lorenz - von einer großen Statik der menschlichen Genetik in den letzten zehn- oder auch hunderttausend Jahren ausgegangen. Diese ist ja auch etwa für die Buschleute Südafrikas, für die Bantus Afrikas, für die australischen Ureinwohner, die Andamanen, die Ureinwohner von Papua Guinea und - wie jüngst bekannt wurde - auch für die Menschen des Vorderen Orients recht umfangreich gegeben. Auf sie womöglich paßt das einstmals gern benutzte Schlagwort von dem "Mammutjäger in der Metro". Aber auch das stimmt nicht: Sie alle waren ja niemals Mammutjäger und die Mammutjäger selbst sind - siehe oben - ausgestorben.

In Europa jedoch und vermutlich auch in Ostasien haben sich noch viele Gruppenselektions-Prozesse abgespielt in den letzten zehntausend Jahren. Das hatte niemand der früheren Forscher-Generation vorausgesehen. Die alte Sichtweise ist also durch die Forschungen auf dem Gebiet der "jüngsten" und "lokalen" Humanevolution seit etwa 2005 sehr grundlegend umgestürzt worden. Seit dieser Zeit wissen wir, daß sich innerhalb weniger tausend, wenn nicht sogar hundert Jahre unglaublich viel auch hinsichtlich der Genetik des Menschen ändern kann dadurch daß er neue Kultur entwickelt, bzw. sich genetisch an neue Kultur anpasst (Gen-Kultur-Koevolution). Diese Erkenntnis war aber seit etwa dem Jahr 2000 immer nur aus den menschlichen Genomen der Gegenwart abgeleitet worden.

Und nun hört man in diesem Vortrag von David Reich, daß das genannte überkommene Geschichts-, Menschen- und Völkerbild von den Völkern der Nordhalbkugel anhand seines archäologischen genetischen Materials noch viel grundlegender als das schon seit 2005 geschehen war, geändert werden muß. David Reich spricht nun schon mit einer ganz anderen Sicherheit und Souveränität von Dingen, die bislang diesbezüglich in der Forschung immer noch gefehlt hatte. Eine der erstaunlichsten Erkenntnisse, die er vorträgt, ist jene, über die wir auch schon häufiger hier auf dem Blog berichtet haben, nämlich daß die meisten Völker, die es in der europäischen Geschichte gegeben hat, ausgestorben sind und von neuen Völkern ersetzt worden sind.

Es schält sich heraus, daß sich in dieser Eigenschaft der europäische Kontinent von anderen Erdregionen unterscheidet. Die bevölkerungsgenetische Kontinuität scheint zum Beispiel im Vorderen Orient - wie schon gesagt - in den letzten mehreren tausend Jahren wesentlich stetiger gewesen zu sein als das für Europa gesagt werden kann. Man wird vermuten dürfen, daß in dieser stetigen Neuentsteung von Völkern in Europa einer der Hauptgründe dafür beschlossen liegt, daß der angeborene Intelligenz-Quotient höher ist als auf der Südhalbkugel und daß auch die hier vorherrschende Verhaltensgenetik eine an moderne Kultur besser angepaßte ist als die traditionelle Verhaltensgenetik im Vorderen Orient und in anderen Erdregionen. Die vielen Gründerpopulationen, aus denen neue Völker hervorgegangen sind, ermöglichten viel mehr Selektion und Innovation als wenn genetische Kontinuität über die Jahrtausende hin vorgeherrscht hätte in Europa.

Aus dieser Sicht können sogar die gegenwärtigen demographischen Umbrüche auf der Nordhalbkugel eine neue Bewertung erfahren. Mit ihnen können nicht nur Befürchtungen hinsichtlich eines Abbruchs Jahrtausende langer kultureller und/oder genetischer Kontinuität verbunden werden, sondern auch Hoffnungen. Nämlich die Hoffnung, über damit verbundene günstige Selektionsprozesse zu neuen populationsgenetischen Anpassungen für die zukünftige, erfolgreiche Gesellschaftsform zu gelangen. Aber das sei nur in aller Zurückhaltung formuliert. Nichts Gewisses weiß man nicht, was die Evolution mit uns noch vor hat, bzw. was wir selbst aus uns über Geschichts- und Kulturgestaltung, über Familiengründung in Eigenverantwortung heraus machen. Die Evolution hat ihre Kinder nicht entlassen, sondern mit großer und immer wachsender Eigenverantwortung zur Gestaltung des künftigen Schicksals der Menschheit belegt.

David Reich berichtet auch von der erst kürzlich gemachten Entdeckung, daß sich DNA in hundertfacher Menge als sonst in archäologischen Knochen besonders hält im menschlichen Felsenbein. Über dies ist zu erfahren (Wiki):

Das Felsenbein oder die Felsenbeinpyramide ist der härteste Knochen des Säugetier- und Menschenschädels und ein Abschnitt des Schläfenbeins (Os temporale). Es umgibt das Innenohr (Labyrinth).

Diese Entdeckung gibt Hoffnung, daß erhaltene "ancient DNA" auch in solchen Regionen der Erde gefunden werden kann, in denen man solche bislang nicht hat finden können, weil es dort zum Beispiel zu heiß ist, um genetisches Material über viele Jahrtausende stabil zu erhalten.

2015 - Durchbruch! Es ist definitiv: Die Indogermanen stammen von der Mittleren Wolga

Was David Reich - aufgrund der Kürze seines Vortrages nur allzu schnell abhandelt, ist seit spätestens Mai 2015 durch die Veröffentlichung mehrerer neuer genetische Studien an Knochenresten untergegangener (nur archäologisch bekannter) Völker und Kulturen (z.B. 1) erkannt worden. Es muß das als der Durchbruch in der Indogermanen-Forschung gelten. Das Geschehen in der Wissenschaft hatten wir bislang vornehmlich nicht hier auf dem Blog, sondern auf unserem GooglePlus-Profil verfolgt. Die dortigen Einträge der letzten beiden Jahre sollen hier noch einmal zur weiteren Erläuterung eingestellt sein (unter Auslassung einiger damals noch vorliegender Irrtümer), bevor dann weiter unten noch zu weitergehenden, aktuellen Erörterungen unsererseits übergegangen werden soll. Im Mai 2015 hatten wir geschrieben (GooglePlus, 20.5.2015):

Wir stammen genetisch über die männliche Linie zu 2/3, also insgesamt zu einem Drittel von den Schnurkeramikern ab und zwar nur von einer kleinen Gründerpopulation, die sich durch immenses Bevölkerungswachstum von der Ukraine aus über ganz Europa verbreitet hat - ? Spannend! Einmal erneut wird hier jedenfalls deutlich, welche große Bedeutung Flaschenhals-, bzw. Gründerpopulationen für den Fortgang der Weltgeschichte haben!
Inzwischen - 2017 - hat David Reich selbst seine eigenen Forschungen wieder infrage gestellt was den hohen Männeranteil der Zuwanderer betrifft ("Failure to replicate a genetic signal for sex bias in the steppe migration into central Europe", PNAS 2017). Fünf Monate später hielten wir fest (GooglePlus, 15.10.2015):
Die ancient-DNA-Forschung wird immer spannender. Nun sind die erhaltenen Gene von Bauern, die um 6.000 v. Ztr. in der heutigen Türkei gelebt haben, untersucht worden, Ergebnisse:
1. ".... that the Anatolian Neolithic samples do not resemble any present - day Near Eastern populations (!!!) but are shifted towards Europe, clustering with Neolithic European farmers (EEF) from Germany, Hungary, and Spain" (!!!) Das heißt, die Bandkeramiker stammen tatsächlich aus Anatolien (das hatte ich bislang bezweifelt). Aber mehr noch: Sie sind SOWOHL in Europa ausgestorben (das war schon bekannt), ALS auch (wie jetzt bekannt wird) in Anatolien! Knapp 50 % der Y-Chromosomen des keramischen Neolithikums in Anatolien ähnelt den Y-Chromosomen der ersten Bauern Mitteleuropas. Letztere haben - laut dieser Studie - NUR (!!!) 7 bis 11 % mehr europäische Jäger-Sammler-Gene in sich, als ihre damaligen anatolischen Verwandten.
2. Ein weiteres Ergebnis: Die kupferzeitlichen Spanier sind genetisch noch nicht von der Zuwanderung der Schnurkeramiker aus der Ukraine beeinflusst (städtische Los Millares-Kultur ab 3.200 v. Ztr.): "Thus, the “Ancient North Eurasian”-related ancestry that is ubiquitous across present-day Europe arrived in Iberia later than in Central Europe".
3. Aber auch zu den genetischen Ursprüngen der Indogermanen - sprich der nachmaligen Schnurkeramiker - in der Ukraine um 5.200 v. Ztr. (also zu Beginn der bandkeramischen Zuwanderung in Mitteleuropa), hat diese Studie Wesentlichstes zu sagen: "Admixture between populations of Near Eastern ancestry and the Early Hunter Gatherers (EHG)(in der Ukraine) "began as early as the Eneolithic (5200 - 4000 BCE), with some individuals resembling EHG and some resembling Yamnaya." (Yamnaya ist das Urvolk der Indogermanen, der Kurgankultur, der späteren Schnurkeramiker.) "The Yamnaya from Samara and Kalmykia,  the Afanasievo people from the Altai (3300-3000 BCE), and the Poltavka Middle Bronze Age (2900-2200 BCE) population that followed the Yamnaya in Samara, are all genetically homogeneous, forming a tight “Bronze Age steppe” cluster (...), sharing predominantly R1b-Y-chromosomes (...), and having 48 - 58% ancestry from an Armenian-like Near Eastern source without additional Anatolian Neolithic or Early European Farmer (EEF) ancestry."

Da wir Europäer von diesen Schnurkeramikern abstammen, heißt das, dass wir also nicht zuletzt aus Armenien stammen. In einem Vortrag aus dem September 2016, der etwas ausführlicher ist als der hier eingangs erwähnte, sagt David Reich, daß die osteuropäischen Jäger-Sammler sich mit Menschen "aus dem nördlichen Nahen Osten vermischt" haben, also "aus Gegenden wie etwa Armenien oder dem Iran", wobei das Volk der Indogermanen entstand (Yt, 31'41). Was für eine spannende Ethnogenese der Indogermanen. - In diesem Zusammenhang ist womöglich von Interesse, daß das 2000 Jahre spätere indogermanische Königreich nördlich des Kaukasus um 3.600 v. Ztr. ("Maikop-Kultur"), dessen Königs- und Adelsgräber viel Gold und Edelsteine aufweisen, die intensivsten Handelskontakte nicht mit den damals gegründeten Städten Nordmesopotamiens über den Kaukasus hinweg hatte (wenn dann noch am ehesten auf dem Gebiet der Keramik), sondern viel deutlicher mit den Städten des nördlichen Iran (10). Womöglich hat also der nördliche Iran auch eine entscheidende Rolle bei der Ethnogenese der Indogermanen gespielt. Und man darf annehmen oder wird es sogar müssen, dass es da - wie auch sonst häufiger - eine Flaschenhalspopulation gegeben hat, eine Gründerpopulation, in der viel genetische Selektion, viel Gen-Kultur-Koevolution stattgefunden hat. Es geschah das während der Entstehungszeit der Bandkeramik in Mitteleuropa.

4. Aber damit sind noch keineswegs alle Ergebnisse dieser Studie referiert. Sie kann auch Aussagen dazu machen, WELCHE Gene konkret selektiert wurden bei den hier behandelten Ethnogenesen! Das muss man sich alles noch genauer anschauen!

Während ich das hier einstelle, kommt mir die Vermutung, daß das Indogermanen-Phänomen von Anfang an ein Elitenphänomen gewesen sein könnte, und daß diese Eliten sehr beweglich waren, während die von ihnen unterworfenen Völkerschaften - schon an der Mittleren Wolga und auch sonst - seßhafter blieben. Aber das nur eine Vermutung. Jedenfalls wird durch diese Ausführungen noch einmal illustriert, was David Reich in seinem Vortrag - aufgrund der Kürze desselben - nur sehr schnell behandelt. Im Januar 2016 hörten wir in Potsdam einen Vortrag von Johannes Krause, einem weiteren Schüler von Svaante Pääbo (2) zu dieser Thematik und im Mai 2016 schrieben wir über eine weitere neue Studie (GooglePlus, Mai 2016):

Wir stammen im Wesentlichen von den indogermanischen Zuwanderern ab, die etwa 2.500 v. Ztr. vom Nordschwarzmeer-Gebiet aus als Schnurkeramiker ganz Mittel- und Nordeuropa eroberten (siehe frühere Beiträge). Das wissen wir seit etwa einem Jahr sicher aus der Untersuchung von genetischem Material, erhalten in alten Knochen ("ancient DNA"). Diese Zuwanderer waren groß, hatten helle Haut. Aber erstaunlich: Nun kommt heraus, dass die Völker, die durch diese Zuwanderungen entstanden, in der Häufigkeit noch WENIGER blonde Haare, blaue Augen und helle Haut hatten als heute, dass Menschen mit diesen Eigenschaften innerhalb dieser Völker seit der Zuwanderung der Indogermanen also mehr Kinder hatten, als Menschen mit anderen Eigenschaften (braune Augen, dunklere Haut usw.).
Es deutet sich an, daß es noch vergleichsweise viel Selektion innerhalb der europäischen Völker gegeben haben muß, nachdem ihre Ethnogenese selbst über Gründerpopulationen längst abgeschlossen war. Auch diesbezüglich werden die nächsten Jahre Forschung sicherlich viel mehr Klarheit bringen. Es hat hier also in den letzten Jahrtausenden weiterhin Selektion stattgefunden, die erst jenes körperliche (und sicherlich auch seelische) Bild hervorbrachte, das wir uns heute von Indogermanen machen (groß, blond, blauäugig). So aber hatten die ursprünglichen Indogermanen womöglich gar nicht ausgesehen. Nach dem schon genannten Vortrag vom September 2016 (Yt, 43'32) Sie hatten braune Augen, braune Haare. Dabei sollen doch auch schon die indogermanischen Inder, die in Indien einwanderten, als "Blonde" bezeichnet worden sein, ebenso ihr Gott "Hari" (Wiki), bzw. "Harikesh" als der Goldhaarige nach der traditionellen Anthropologie (3, S. 23). Auch diesbezüglich sind womöglich manche neuen Fragen aufgeworfen. Im Mai 2016 schrieben wir weiter als erste Mutmaßungen über jene Selektionsprozesse, die zu einem höheren Anteil von Blonden und Blauäugigen führten:
In traditionellen Bauern-Gesellschaften haben die reicheren Bauern mehr Kinder als die ärmeren. Die indogermanischen Zuwanderer und ihre Nachfahren werden zumeist die wohlhabenderen Bauern und Adeligen gewesen sein. Auch mag das durch die Zuwanderung entstandene kulturelle Ideal insgesamt dazu beigetragen haben, dass die Häufigkeit der Körpermerkmale - und damit natürlich auch der psychischen Merkmale - der Indogermanen sich seit ihrer Zuwanderung bis heute in den von ihnen abstammenden Völkern noch ausbreiteten. Ob das nicht auch eine Bestätigung der These von Gregory Clark ist (in "A Farewell to Alms"), nach der sich aufgrund von Gen-Kultur-Koevolution in den vielen letzten Jahrhunderten Intelligenzgene in England ausbreiteten? Und damit auch eine Bestätigung von Nicholas Wade, der von gewissen Wissenschafts-Vertretern in den USA scharf angegriffen wurde, als er die Thesen von Clark weiter dachte?
Selektion jedenfalls findet statt in vielen angeborenen Merkmalen, die unser Menschsein ausmachen. Bis heute. Und regional unterschiedlich. Wodurch die Einzigartigkeit der Völker entstanden ist, die die Globalisierer heute zerstören wollen.
Und im Oktober 2016 (GooglePlus 10/2016):
Ich hatte hier schon darüber berichtet: Die ancient-DNA-Forschung brachte letztes Jahr definitiv an den Tag, dass wir heutigen Mittel- und Nordeuropäer von den Indogermanen aus der Ukraine abstammen, die ab 2.800 v. Ztr. als "Streitaxtleute" bzw. "Schnurkeramiker" mit ihren Streitwagen Mitteleuropa eroberten. Und ich sagte auch schon, dass dabei - vermutlich - häufig die Männer der einheimischen Rinderwagen-Kulturen getötet und die einheimischen Frauen geheiratet wurden. In einer neuen genetischen Studie, die gestern veröffentlicht wurde, wird das noch einmal eindrucksvoll bestätigt und bekräftigt: "For later migrations from the Pontic steppe during the LNBA, however, we estimate a dramatic male bias, with ~5-14 migrating males for every migrating female. We find evidence of ongoing, primarily male, migration from the steppe to central Europe over a period of multiple generations, with a level of sex bias that excludes a pulse migration during a single generation." Bei den kriegerischen Zuwanderern kamen also auf fünf bis 14 Männer eine Frau! Und sie wanderten sogar über mehrere Generationen zu. All das in deutlichem Kontrast zu der Ausbreitung des Ackerbaus selbst in Mitteleuropa 3.000 Jahre zuvor (durch die Bandkeramiker).

Nun, dieses Forschungsergebnis von dem hohen Männeranteil der Zuwanderer steht ja noch in der Diskussion, es wird als ungesichert gelten müssen. Ansonsten müssen das wahrlich herrische Leute gewesen sein, die fast als reine Männergruppen ganze Völker, ja, einen ganzen Kontinent unterwarfen, die dort ansässigen Männer töteten, ihre Frauen heirateten und auch noch ihre Sprache überall in diesen Völkern durchsetzten.

Die Hausmaus und die Ethnogenese der Indogermanen

Nun sollen noch ein paar ungeklärte Fragen rund um die Ethnogenese der Indogermanen erörtert werden, an denen wir in den letzten Tagen herumgebohrt haben. Die meisten dieser Fragen werden sich in den nächsten Jahren sicher überraschend schnell klären. Aber wir werden um so aufnahmebereiter sein für die neuen Forschungsergebnisse, um so intensiver wir uns mit einigen Aspekten des gegenwärtigen Forschungsstandes beschäftigt haben.

Abb. 1: Ein Steinadler - Der Götterbote des Zeus
Heiliges Tier der Indogermanen
Fotograf: Richard Bartz
(Wiki)

Für uns hier auf dem Blog, die wir die "Hausmaus als Erkenntnisquelle der Historiker" schon vor Jahren entdeckten, ist und bleibt eines der Hauptprobleme: Auf welchen Wegen ist die osteuropäische Hausmaus entstanden und wie hat sie sich ausgebreitet (4)? Für die westeuropäische Hausmaus sind grundlegende Gesetzmäßigkeiten der Entstehung und Ausbreitung - zumal in diesem Jahr mit einer weiteren spannenden, sehr anschaulichen Studie zur Hausmaus im Natufium im Vorderen Orient - geklärt (5). Verglichen damit stochern die Forscher bezüglich der osteuropäischen Hausmaus noch ziemlich im Dunklen herum (6). (Aktuelle Studien zu diesen Themen sind leicht über Google Scholar mit den Suchworten "house mouse archaeology" und zeitliche Eingrenzung, etwa auf "seit 2013" zu finden.) Diese osteuropäische Hausmaus ist schon 4.600 v. Ztr. im indogermanischen Königreich von Warna in Bulgarien anzutreffen wie wir schon früher hier auf dem Blog erörterten (7). Aber von wo kam sie?

Daß die osteuropäische Hausmaus unter wesentlich anderen Gesetzmäßigkeiten entstanden sein soll und sich ausgebreitet haben soll als die indische und die westeuropäische (wie bislang vorwiegend in der Forschung noch angenommen), kann uns nicht einleuchten. Vielmehr wird uns neuerdings beim Überdenken der Verhältnisse klar, daß sie - natürlich - in China am Gelben Fluß entstanden sein muß, da dort der Ackerbau und seine Vorstufen ähnlich alt ist wie im Natufium des Vorderen Orients. Merkwürdig, daß eine solche Möglichkeit kaum erörtert wird in der Literatur bislang. Dabei deutet das Ausbreitungsgebiet einer bestimmten genetischen Abstammungslinie der osteuropäischen Hausmaus ("weinerii") doch nur allzu deutlich auf diesen Umstand hin. Ihr Ausbreitungsgebiet beschränkt sich zunächst vor allem auf den traditionellen chinesischen Raum.

Wie breitete sich der Ackerbau von Georgien aus nach Norden aus?

Die sichere Erkenntnis, daß wir Indogermanen abstammen von den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres macht erst in vollem Umfang bewußt, daß wir rein archäologisch nur wenig sagen können über etwaige Szenarien zur Entstehung des Volkes der Indogermanen. Die wichtigste Frage ist jetzt: Mit welchen Ackerbau-Kulturen aus der Gegend südlich des Kaukasus, aus Armenien oder dem Iran konnten denn die Vor-Indogermanen in Berührung gekommen sein, um - ähnlich wie zur gleichen Zeit am Plattensee in Ungarn - mit diesen sich ausbreitenden Bauern ein neues Volk zu bilden? Und wo ist das geschehen? Wirklich an der Mittleren Wolga? Verglichen mit Mitteleuropa sind das dort im Osten doch viel weitere Räume. Wie breiteten sich Ackerbau und Rinderhaltung vom Kaukasus aus nach Norden aus?

Seßhafte, ackerbautreibende Kulturen gibt es in Georgien seit 8.000 v. Ztr. (Wiki). Seit 6.000 v. Ztr. wird dort Wein angebaut durch die Shulaveri-Shomu-Kultur (Wiki) (17, 18, 22). Derzeit ist sie die älteste Wein-anbauende Kultur weltweit, da die Zeugnisse hierfür im Iran deutlich jünger sind (22). Es ist zu erfahren, daß die Shulaveri-Kultur von der berühmten Hassuna- und Halaf-Kultur beeinflusst ist, bzw. abstammt, die sich zuvor im Zagros-Gebirge über weite Gebiete ausgebreitet hatte. Sie ist unter anderem berühmt wegen ihrer eindrucksvollen Keramik (Kaukasus-Wiki):

... Sie hielten Tiere wie Rinder und Schweine, bauten Getreide und Wein an. Von vielen Charakteristika der Shulaverischen materiellen Kultur (Rundlehm-Architektur, keramische Plastiken, anthropomorphe weibliche Figurinen, Obsidian-Industrie mit einer Betonung auf der Produktion lange prismatischer Klingen) wird angenommen, daß sie ihren Ursprung im Nahen Osten haben (Hassuna, Halaf).
In around ca. 6000-4200 B.C the Shulaveri-Shomu and other Neolithic/Chalcolithic cultures of the Southern Caucasus use local obsidian for tools, raise animals such as cattle and pigs, and grow crops, including grapes. Many of the characteristic traits of the Shulaverian material culture (circular mudbrick architecture, pottery decorated by plastic design, anthropomorphic female figurines, obsidian industry with an emphasys on production of long prismatic blades) are believed to have their origin in the Near Eatern Neolithic (Hassuna, Halaf).
Wie aber kamen nun ackerbautreibende Menschen von hier bis an die Mittlere Wolga, 2000 Kilometer weiter nördlich? Hermann Parzinger referiert (19):
Während des Bestehens der Bug-Dnjestr-Kultur im Westen des nordpontischen Raumes war im Bereich des Dnjepr-Knies und östlich davon die Sursker Kultur und im Bereich der Wolga-Mündung in das Asowsche Meer die Kultur von Rakušečnyj Jar verbreitet. Neuere 14C-Daten machen es inzwischen sehr wahrscheinlich, daß die beiden zuletzt genannten Kulturen sogar noch vor die Anfänge der Bug-Dnjestr-Kultur zurückreichen und bereits um die Mitte des 7. Jahrtausends v. Chr. eingesetzt haben könnten. Aus der Sursker wie aus der Rakušečnyj-Jar-Kultur sind Siedlungsstellen mit Resten von Behausungen bekannt, wobei jedoch unklar bleibt, ob sie ganzjährig besiedelt waren oder vielleicht nicht doch nur saisonal aufgesucht wurden. Als Lebensform dominierte weiterhin das Wildbeutertum; die Ernährung basierte also auf Jagd, Fischfang und Sammeltätigkeit. Es gibt allerdings immer wieder auch Hinweise auf einsetzende Viehzucht, insbesondere in den jüngeren Phasen beider Kulturen, aus denen sich gelegentlich Knochen von Rindern und Schweinen im Fundmaterial erhalten haben.
Nachdem die Ausbreitung der neolithischen Kulturen nach Europa hinein inzwischen gut aufgeklärt ist, wird eine der nächsten großen Herausforderungen der Forschung sein, die Verhältnisse diesbezüglich auch nördlich des Kaukasus genauer zu klären. David Anthony schrieb darüber 2007 noch (13, S. 186):
Many archaeologists have wondered if domesticated cattle and sheep might have entered the steppes through the Eneolithic farmers of the Caucasus as well as from Old Europe. Farming cultures had spread from the Near East into the southern Caucasus Mountains (Shulaveri, Arukhlo, and Shengavit) by 5800-5600 BCE. 
Diese wären aber nicht sehr weit verbreitet gewesen, hätten sich konzentriert auf wenige in Flußtälern gelegene Ortschaften in den oberen Tälern des Kura und des Araxes:
No bridging sites linked them to the distant European steppes, more than 500 km to the north and west. The permanently glaciated North Caucasus Mountains
habe ein Überschreiten verhindert. Die Zusammensetzung der in den Nordschwarzmeerkulturen angebauten Getreidesorten entspräche jener, die sich im Westen in der Cris-Kultur fände, nicht jener, die sich südlich des Kaukasus fände. Auch fänden sich in der Keramik keine Ähnlichkeiten mit der Keramik der frühesten Ackerbauern des Kaukasus. Dann schreibt er über die Gegend des wohl des heutigen Tschetschenien und Daghestan folgendes (13, S. 187):
In the western part of the North Caucasian piedmont, overlooking the steppes, the few documented Eneolithic communities had stone tools and pottery somewhat like those of their northern steppe neighbors; these communities were southern participants in the steppe world, not northern extensions of Shulaveri-type Caucasian farmers. (...) But only a few sites are published. The most important is the cemetery at Nalchik. (...) The Nalchik-era sites clearly represent a community that had at least a few domesticated cattle and sheep/goats, and was in contact with Khvalynsk. They probably got their domesticated animals from the Dniepr, as the Khvalynsk people did.

All diese Dinge wird sich die Archäologie jetzt sehr gründlich neu anschauen müssen. Es war gerade David Anthony, der die Vereisung des Kaukasus besonders betonte, daß es nur wenige Kontakte über ihn hinweg gegeben haben könne, und zwar gegen die Meinung anderer Forscher.

Das wichtigste Buch zum gegenwärtigen rein archäologischen Forschungsstand über die Indogermanen ist von  David W. Anthony aus dem Jahr 2008 ("The Horse, the Wheel and Language - How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World") (13). Dieses Buch ist im Internet frei zugänglich (Archive) und wird gründlich in mehreren englischsprachigen Wikipedia-Artikeln ausgewertet (z.B. Wiki und Wiki). Es finden sich auch weitere Arbeiten von Anthony (Academia.edu). Es berichtet, daß die Bug-Dnjestr-Kultur schon Steinmörser hatte, bevor sie durch die westlich benachbarte älteste vollneolithische Cris-Kultur Mahlsteine übernommen hat (13, S. 154). Schon die Bug-Dnjestr-Leute sprachen, so vermutet Anthony, eine Pre-Proto-Indogermanische Sprache. Als besonders dichte archäologische Fundregion beschreibt er die Dnjepr-Wasserfälle, wo im Zusammenhang mit Staudamm-Bauten in den Jahren 1927 und 1958 viele Ausgrabungen getätigt wurden. Hier auch finden sich die ältesten Grabfelder, bzw. Friedhöfe/Ahnenstätten in der Steppe, auf die vermutlich dann die wenig später in Gebrauch kommenden Kurgane, bzw. Grabhügel zurück geführt werden können. Es fanden sich in diesen Gräbern anthropologisch sehr unterschiedliche Menschentypen, sie wiesen auch häufig Kopfverletzungen auf (13, S. 157).

Resümee

Jedenfalls: Mit den neuen, aus der ancient-DNA-Forschung gewonnenen Erkenntnissen gibt es zugleich auch eine neue Sichtweise auf die Menschheitsgeschichte. Insbesondere erfährt auch das "Problem des Völkertodes" wie es ein Buchtitel der deutschen Anthropologin Ilse Schwidetzky einmal kurz nach dem Zweiten Weltkrieg benannt hatte, eine bedeutsame Klärung. Einerseits ist die These von Oswald Spengler, daß der "Untergang" einer Kultur gesetzmäßig erfolge wie auch der Alterstod des einzelnen Menschen durch die modernen Forschungen widerlegt: Es gibt Völker und Kulturen, die unglaublich lange genetische und kulturelle Kontinuität aufweisen, was vielmehr die These von der "potentiellen Unsterblichkeit" der Völker bestätigt, wie sie als Außenseiter-Position in der Geschichtsphilosophie des 20. Jahrhunderts vertreten wurde. Es gibt aber auch viel Völkertod, viel Aussterben von Völkern. Und es schält sich allmählich die Erkenntnis heraus, daß häufigerer Völkertod zugleich einhergehen kann mit genetischer und kultureller Neuanpassung und Weiterentwicklung wie sie ohne Völkertod offenbar nicht möglich ist. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Geschichte und Kultur der Völker dieser Erde.

Anhang: Inzwischen ungültig gewordenes Kapitel dieses Blogartikels:

/ Die (Rispen-)Hirse und die Ethnogenese der Indogermanen /

/ Das folgende, 2017 verfaßte Kapitel, ist schon drei Jahre später - diese Zeilen werden eingefügt am 20.8.2020 - ungültig geworden für Fragen im Zusammenhang mit der Ethnogenese der Indogermanen. Die Frage nach der Entstehung und Ausbreitung der Rispenhirse wird von der Forschung inzwischen in andere zeitliche Zusammenhänge eingeordnet als bisher (26): "In Europe, millet was reported in Early Neolithic contexts formed by 6000 BC, but recent radiocarbon dating of a dozen 'early' grains cast doubt on these claims." Danach hat sich Rispenhirse in Osteuropa und Europa erst ab 1600 v. Ztr. ausgebreitet. Und weiter: "The earliest so far directly dated broomcorn millet grains in Central Asia date to the mid–late 3rd millennium cal BC (Begash, Kazakhstan: 2470–2190 cal BC (...); Adji Kui 1, Turkmenistan: 2210–1960 cal BC (...); southeast from this region, in the Kashmir Valley, millet from the site of Pethpuran Teng, Kashmir, is equally early (2580–2450 cal BC (...)." Damit gehört das Kapitel "Rispenhirse" nicht mehr in den Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung der Indogermanen. Die folgenden Ausführungen bleiben einstweilen hier stehen, um auch ein wenig den Gang der Forschung innerhalb weniger Jahre kenntlich zu machen.

... Und dabei kommt einem dann gleich eine weitere wesentliche Frage in den Sinn: Wie hat sich die Rispenhirse, die am Gelben Fluß in China ähnlich früh domestiziert wurde, ausgebreitet? Die Rispenhirse gibt es schon in der Bandkeramik Mitteleuropas. Ist sie in Europa unabhängig von China entstanden? Über die Rispenhirse ist zu erfahren (8):

“Millet was the principal crop that supported town life,” he says. Although rice began to be domesticated in the southeast by 7000 B.C.E. or even earlier, millet was grown all across China in the preurban era, from the north to the southeastern coast. (...) Some researchers say the grain was first domesticated in northern China as early as 8000 B.C.E. and made its way to the Black Sea region of Europe by 5000 B.C.E. (...) Until this year, the earliest solid evidence of domesticated millet dated to about 6000 B.C.E. from a handful of sites in northern China. But in May, seed cases found at a northeastern site called Cishan in Hebei Province were dated to 8000 B.C.E.. (...) Whether the Cishan millet proves to be as old as supporters say, other sites in the region clearly show that millet was grown in significant quantities in northeastern China long before it appears around the Black Sea and in central Europe. Zhao and Crawford, for example, have dated millet at a northeastern Chinese site called Xinglonggou to approximately 5640 B.C.E.. (...) Millet either diffused from China to Europe or was domesticated independently in each place. Archaeologist Martin Jones of the University of Cambridge in the United Kingdom suspects that the timing of millet’s appearance around the Black Sea is no coincidence. Millet can produce seeds quickly - in 45 to 60 days - and the most common variety can survive dry conditions that kill other grains like wheat. So although wheat must have been traded across the steppes, mountains, and deserts that separate China and the Near East, millet could have been passed along by farmers who took up its cultivation across central Asia. Early results from ongoing genetic studies suggest that Chinese and European millets are indeed related, Jones says cautiously. Next year, he hopes to go into the field in Kazakhstan and China’s northwest to find millet remains that might connect the dots between north China and the West. “It may seem like looking for a needle in the haystack,” says Jones, “but we’re going to track down these sites.”
Die Rispenhirse tritt also früh in archäologischen Kulturen auf, und zwar sowohl in Georgien wie in Mitteleuropa wie in China. Aber bislang nirgendwo dazwischen. Dabei ist Hirse ein indogermanisches Wort (Wiki):
Der früher auch männlich gebrauchte Name Hirse stammt aus dem Altgermanischen (ahd. hirsa neben hirsi und hirso) und ist von einem indogermanischen Wort für „Sättigung, Nährung, Nahrhaftigkeit“ abgeleitet (vgl. die römische Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit Ceres).
Auf Englisch heißt die Rispenhirse "proso millet" oder "broomcorn millet" und wir erfahren über sie (Wiki):
Im Unterschied zur Kolbenhirse ("foxtail millet") ist die Wildform der Rispenhirse noch nicht befriedigend identifiziert worden. Wildformen dieser Getreidesorte finden sich in Zentralasien und erstrecken sich über eine Fläche östlich von Xinjiang und der Mongolei bis zum Kaspischen Meer und es mag sein, dass diese semiariden Gegenden die "ursprüngliche Wildform P. miliaceum" beherbergen. Diese Hirse wurde in neolithischen Fundstätten in Georgien gefunden (datiert auf das fünfte und vierte Jahrtausend v. Ztr.), in Deutschland (nahe Leipzig, Hadersleben) im Zusammenhang mit der Bandkeramik (5.500-4.900 v.Ztr.) und wurde ebenso ausgegraben in Bauerndörfern der Yangshao-Kultur im Osten in China.
(Original:) Unlike the foxtail millet, the wild ancestor of the proso millet has not yet been satisfactorily identified. Weedy forms of this grain are found in central Asia, covering a widespread area from the Caspian Sea east to Xinjiang and Mongolia, and it may be that these semiarid areas harbor "genuinely wild P. miliaceum forms." This millet has been reportedly found in Neolithic sites in Georgia (dated to the fifth and fourth millennia BC), in Germany (near Leipzig, Hadersleben) by Linear Pottery culture (Early LBK, Neolithikum 5500–4900 BCE), as well as excavated Yangshao culture farming villages east in China.
Das ist auch an anderer Stelle noch einmal genauer erläutert (s. Hirsemühle). Im Grunde schreit dieses Verbreitungsgebiet nach einer einheitlichen Erklärung. In China und in der Südtürkei ist der Ackerbau unabhängig voneinander um 12.000 bis 10.000 v. Ztr. entstanden. In beiden Regionen entwickelten sich schon sehr früh sehr weit fortgeschrittene Kulturen in Siedlungen mit bis zu zehntausend Einwohnern. Hirse allerdings gehörte eindeutig nicht zum Grundinventar domestizierter Pflanzen im Vorderen Orient. Und nun ist in diesem Zusammenhang eine auffallende Beobachtung zu machen: Während sich im Westen der Ackerbau ab 6.500 v. Ztr. rund um die ganze Mittelmeerküste ausbreitete und ab 5.500 v. Ztr. bis nach Mitteleuropa hinein und bis an den Dnjepr in der Ukraine, kann über lange Jahrtausende von einer so weit ausgreifenden Dynamik in Ostasien nicht die Rede sein. Die dortige Hochentwicklung seßhafter Kulturen griff höchstens bis in die Innere Mongolei hinein aus. Der sogenannte "Hexi-Korridor" (Wiki), der nach Richtung Westen geführt hätte, wurde bis etwa 2000 v. Ztr. (als die westindogermanischen Tocharer in den Oasen-Siedlungen der Taklamakan Städte gründeten) nicht für einen solchen Ausgriff in die geographische Weite genutzt, auch nicht für Handelsaustausch (9).

Da scheint sogar die dritte, etwas später die Szenerie betretende Ursprungsregion des Ackerbaus in Pakistan und Nordindien im geographischen Ausgriff dynamischer gewesen zu sein. Als kleiner Exkurs sei für die Zeit um 6.500 v. Ztr. erwähnt, also jene Zeit, in der sich der Ackerbau auch rund um die Mittelmeer-Küste ausbreitete (Wiki):
Die am besten erforschte Stätte dieser Zeit ist Mehrgarh, die um 6500 v. Chr. entstand. Diese Bauern domestizierten Weizen und Rinder und benutzten ab 5500 v. Chr. auch Töpferwaren. 
(Vielleicht entstand der Ackerbau dort auch schon früher [Wiki]). Der dort domestizierte Weizen hat sich jedenfalls von dort schon ab 5.500 bis 4.000 v. Ztr. nach Innerasien und Tibet ausgebreitet (9). Weiter nach China hinein hat er sich aber nach derzeitigem Kenntnisstand erst ab 3.000, vielleicht auch erst ab 2.200 v. Ztr. ausgebreitet (9), also vermutlich mit der Zuwanderung der indogermanischen Tocharer nach Innerasien. Der Forschung fällt es also zunächst schwer zu glauben, daß die Hirse in China und in Georgien unabhängig voneinander entstanden ist.

Ergänzung (17.10.2018): Inzwischen hat eine chinesische Forschungsgruppe eine neue genetische Studie herausgebracht (23), die den Ursprung der Rispenhirse im nördlichen China, bzw. auf dem westlichen Lößboden-Plateau Chinas (Wiki) verortet (23). Wilde Hirse wächst auf dem angrenzenden Tibetischen Hochplateau bis 3.500 Meter Höhe.

Ergänzung (20.6.2019): Nach einer neuen Studie tritt Hirse ("millet") in den westlichen Teilen der eurasischen Steppe erst ab 2.500 v. Ztr. auf (24):
The Xinjiang region and Eurasian Steppe remained devoid of broomcorn millet until the early second millennium cal BC.

Wenn das das endgültige Ergebnis der Forschung bliebe, wären die Überlegungen bezüglich einer frühen Ausbreitung der Hirse in diesem Blogbeitrag als ungültig zu erklären. Es wäre aber dann noch zu klären, warum die zuvor zitierten Studien zu ganz anderen Ergebnissen gekommen waren.
Ergänzung (17.9.2019): Eine weitere Studie bringt die Ausbreitung der Hirse von China nach Westen in Verbindung mit der Ausbreitung von Ziegen und Schafen von Westen nach Osten, die auf hohen Höhen mit Hirse als Winterfutter versorgt worden wären (25).

(Ergänzungen Ende)

Das aber würde heißen, daß schon die Vorgängerkulturen der Fischer- und Jäger-Kulturen der Kelteminar (Wiki) - derzeit datiert auf die Zeit ab 5.500 v. Ztr. am Aralsee und am Kaspischen Meer - mit ihren 25 Meter langen Häusern die Hirse benutzt haben. Das ist womöglich nur noch nicht durch die Archäologie festgestellt worden. Und es würde heißen, daß über diese Kulturen hinweg die Nutzung der Hirse sich über die Indogermanen an der Wolga weiter bis nach Georgien und von dort bis auf den Balkan ausgebreitet hat. Und konnte sich mit der Hirse gemeinsam dann nicht auch die Hausmaus ausbreiten? Wir erfahren (11, S. 203):

Pottery appears in the north Caspian area, the middle-lower Volga (Yelshan, c. 7200 BC) and the lowe Don (Rakushechnyi Yar; c. 6800 BC). Stable settlement is indicated by sites in the middle-lower Volga (Yelshan) at 6800 BC, and in the Caspian lowland and on the lower Don at c. 6000 BC. (...) The origin of ceramics in eastern Europe was independent from the Near East. However, the early appearance of ceramics at the western margins of the central Asian steppe zone and the high degree of perfection make its local invention unlikely. Vybornov (2008) seeks its sources in the trans-Caspian deserts. Significantly, a network of culturally related pottery-bearing foraging sites arose along the waterways further north (Vinogradov 1981). Ultimately, this pottery horizon might have its origins in the early pottery of Siberia and China (Gronenborn 2009). Future research should be geared towards closing this link. This pottery horizon then spreads from the Russian steppe zone into the forest zone northwards up to the Baltic coast and from there westward until its final outliers are reached with the Ertebolle and Swifterband traditions.
Also wäre die Vermutung, daß auch schon erst halbseßhafte Völker, die aber schon sehr früh Keramik hatten, auch Hirse angebaut haben könnten. Aber hier stochert man noch ziemlich im Dunklen bislang. Interessant jedenfalls dürfte sein, daß die halbseßhafte Vorgängerkultur der späteren, quasi "voll-"indogermanischen Samara-Kultur an der Mittleren Wolga, nämlich die Elsan-Kultur um 7.500 v. Ztr. schon von Ostasien her Keramik übernommen hatte (12). Sie war damit die früheste europäische Kultur mit Keramik! (12):
Weiter westlich hielt die neue Technologie erst etwa tausend Jahre später Einzug (Bug-Dnestr-Kultur),
dort nun aufgrund der neuen kulturellen Einflüsse aus dem Westen, vom Balkanraum. Und von dort breitete sich die Keramik dann bis zur Ertebolle-Kultur an der Ostsee aus (12). Soll man schon daran ablesen, daß die Indogermanen von Anfang an besonders wandlungsfreudig waren, besonders offen für Neuheiten alle Art, besonders von ihrer Verhaltensgenetik des Neugier-Gens ADHS getrieben?


/ 4.8.2019: Einige leichte Änderungen, 
nachdem die Khvalynsk-Kultur um 
4.600 v. Ztr.  an der Mittleren Wolga als 
das Urvolk der  Indogermanen sicher 
identifiziert ist. / 
/ 2020: Inhaltliche Änderungen 
wie im Text-Anhang angegeben. /

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*) Auffallend ist, daß sich auf Youtube derzeit kein einziger detaillierterer Vortrag in deutscher Sprache findet, der auch nur irgend etwas Substantielles zu aktuellen Ergebnissen der ancient-DNA-Forschung ausführen würde, soweit sie über die Sequenzierung des Neandertaler-Genoms hinaus geht. Dabei gehörte die ancient-DNA-Forschung doch zwischen 1990 und etwa 2012 international zu einem Alleinstellungsmerkmal Deutschlands als Wissenschaftsstandort, weil man sich hier insbesondere um den innovativen Kopf Svante Pääbo (geb. 1955) (Wiki) bemüht hatte, und wo ihm und seinen zahlreichen, heute international renommierten Schülern in München und Leipzig durch deutsche Steuergelder die besten Forschungsmöglichkeiten geboten worden sind. David Reich weist in seinem Vortrag ausdrücklich darauf hin, daß die ancient DNA-Forschung einmal nicht in den USA, sondern in Leipzig entwickelt wurde und von dort aus in alle Welt exportiert wurde. Dennoch wird darüber in deutscher Sprache auf Youtube nirgendwo gesprochen, dabei gibt es heute außer Leipzig auch noch zahlreiche andere ancient-DNA-Forschungsstätten in Deutschland (Mainz, Jena, Göttingen ...) und sicherlich international überdurchschnittlich viele ancient-DNA-Forscher deutscher Muttersprache. Auch von Johannes Krause beispielsweise gibt es derzeit nur mehrere englischsprachige Beiträge. Deshalb - und aus keinem anderen Grund - in diesem Beitrag der Verweis auf den Vortrag von David Reich in Israel.
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Literatur

  1. Haak, Wolfgang et al (u.a. David W. Anthony, David Reich): Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe. Nature, 11. Juni 2015, https://www.academia.edu/28416535/Haak_et_al_2015_ Massive_migration_from_the_steppe_was_a_source_for_Indo-European_languages_in_Europe 
  2. Krause, Johannes (Direktor, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Jena): Die genetische Herkunft der Europäer. Vortrag am 26. Januar 2016 im Rahmen der Vorlesungsreihe "Vom Selbstverständnis der Naturwissenschaften" am Einstein-Forum in Potsdam, Gesprächsleitung: Dr. Matthias Kroß, Potsdam
  3. Günther, Hans F. K.: Die Nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens. Zugleich ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat und Rassenherkunft der Indogermanen. Verlag Hohe Warte, Pähl 1982 (Nachdruck der Auflage von 1933)
  4. Bading, Ingo: Die Städte der Indogermanen und ihre Hausmäuse - Eine neue Studie zur genetischen Geschichte der osteuropäisch-asiatischen und der indischen Hausmaus. Auf: Studium generale, 18. September 2014, http://studgendeutsch.blogspot.de/2014/09/die-stadte-der-indogermanen-und-ihre.html
  5. Lior Weissbroda,1,2, Fiona B. Marshallb, François R. Vallac, Hamoudi Khalailyd, Guy Bar-Oza, Jean-Christophe Auffraye, Jean-Denis Vignef, and Thomas Cucchi: Origins of house mice in ecological niches created by settled hunter-gatherers in the Levant 15,000 y ago. In: PNAS, April 18, 2017 vol. 114 no. 16, http://www.pnas.org/content/114/16/4099.abstract
  6. Hitoshi Suzuki, Lyudmila V. Yakimenko, Daiki Usuda and Liubov V. Frisman: Tracing the eastward dispersal of the house mouse, Mus musculus. In: Genes and Environment, August 2015, DOI: 10.1186/s41021-015-0013-9, https://genesenvironment.biomedcentral.com/articles/10.1186/s41021-015-0013-9
  7. Bading, Ingo: Von Königen und Mäusen - Die Warna-Kultur (4.400 v. Ztr.), das erste von Indogermanen gegründete Königreich - Ort der "Domestikation" der osteuorpäischen Hausmaus? Auf: Studium generale, 13. August 2011, http://studgendeutsch.blogspot.de/2011/08/von-konigen-und-mausen.html
  8. Lawler, Andrew: Millet on the Move. In: Science, 21. August 2009, http://www.andrewlawler.com/scimagaug2109/
  9. Chris J Stevens, Charlene Murphy, Rebecca Roberts, Leilani Lucas, Fabio Silva and Dorian Q Fuller: Between China and South Asia - A Middle Asian corridor of crop dispersal and agricultural innovation in the Bronze Age. In: The Holocene 2016, Vol. 26(10) 1541–1555, pdf: http://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0959683616650268 
  10. Ivanova, Mariya: Kaukasus und Orient - Die Entstehung des "Maikop-Phänomens" im 4. Jahrtausend v. Chr.. In: Prähistorische Zeitschrift, 87/2012, s. 1-28
  11. Gronenborn, Detlef; Dolukhanov, Pavel: Early Neolithic Manifestations in Central and Eastern Europe. (Verfasst Dezember 2011). In: Chris Fowler, Jan Harding, Daniela Hofmann (Hrsg.): The Oxford Handbook of Neolithic Europe, Oxford University Press, 2015, S. 195ff (GB)
  12. Piezonka, Henny: Neue AMS-Daten zur frühneolithischen Keramikentwicklung in der nordosteuropäischen Waldzone. In: Estonian Journal of Archaeology, 12/2008, S. 67-113
  13. Anthony, David W.: The Horse, the Wheel and Language. How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World, Princeton University Press 2007 (Wiki, GB, Archive) (weitere Arbeiten auf Academia.edu)
  14. Rene Letolle, Monique Mainguet: Der Aralsee - Eine ökologische Katastrophe. Springer-Verlag, Berlin 1996
  15. Reich, David: Failure to replicate a genetic signal for sex bias in the steppe migration into central EuropePaper published in PNAS, 2017
  16. Schmöckel, Reinhard: Hirten, die die Welt veränderten. Der vorgeschichtliche Aufbruch der europäischen Völker. Rowohlt, Hamburg 1982
  17. Bertille Lyonnet et al: Mentesh Tepe, an early settlement of the Shomu-Shulaveri Culture in Azerbaijan. In: Quaternary International Volume 395, 22 February 2016, Pages 170-183, http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1040618215001457
  18. K. Kh. Kushnareva: The Southern Caucasus in Prehistory. Stages of Cultural and Social Development from the Eighth to the Second Millenium B.C.. University of Pennsylvenia, Philadelphia 1997 (GB)
  19. Parzinger, Hermann: Die Kinder des Prometheus. Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift. 2016 (GB)
  20. Kenneth Jacobs: Human Postcranial Variation in the Ukrainian Mesolithic-Neolithic. In: Current Anthropology 34, no. 3 (Jun., 1993): 311-324, http://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/204173
  21. Gloria González-Fortes, Eppie R. Jones, Emma Lightfoot, Clive Bonsall, Catalin Lazar, Aurora Grandal-d’Anglade, María Dolores Garralda, Labib Drak, Veronika Siska, Angela Simalcsik, Adina Boroneanţ, Juan Ramón Vidal Romaní, Marcos Vaqueiro Rodríguez, Pablo Arias, Ron Pinhasi, Andrea Manica, Michael Hofreiter: Paleogenomic Evidence for Multi-generational Mixing between Neolithic Farmers and Mesolithic Hunter-Gatherers in the Lower Danube Basin. In: Current Biology, Volume 27, Issue 12, 19 June 2017, Pages 1801–1810, http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982217305596
  22. Early Neolithic wine of Georgia in the South Caucasus. Patrick McGovern et. al. PNAS, Oktober 2017, http://www.pnas.org/content/114/48/E10309.abstract.html
  23. Hunt, H. V., Rudzinski, A., Jiang, H., Wang, R., Thomas, M. G., & Jones, M. K. (2018). Genetic evidence for a western Chinese origin of broomcorn millet (Panicum miliaceum). The Holocene, 095968361879811. doi:10.1177/0959683618798116, https://www.researchgate.net /publication/327661310_Genetic_evidence_for_a_western_Chinese _origin_of_broomcorn_millet_ Panicum_miliaceum
  24. Ventresca Miller und Makarewicz, “Intensification in pastoralist cereal use coincides with the expansion of trans-regional networks in the Eurasian Steppe”, Nature: Scientific Reports (2019). DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-018-35758-w
  25. Hermes Taylor R., Frachetti Michael D., Doumani Dupuy Paula N., Mar'yashev Alexei, Nebel Almut and Makarewicz Cheryl A.: Early integration of pastoralism and millet cultivation in Bronze Age Eurasia, Proc. R. Soc. B, 4.9.2019, http://doi.org/10.1098/rspb.2019.1273 
  26. Dragana Filipović, John Meadows, […]Tanja Zerl: New AMS 14C dates track the arrival and spread of broomcorn millet cultivation and agricultural change in prehistoric Europe. Published: 13 August 2020, Scientific Reports volume 10, Article number: 13698 (2020), https://www.nature.com/articles/s41598-020-70495-z
  27. Nadja Podbregar: Wie die Rispenhirse nach Europa kam. 18. August 2020, https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/wie-die-rispenhirse-nach-europa-kam/

2 Kommentare:

Ingo Bading hat gesagt…

In einer weiteren Studie des Jahres 2015 (1) werden auch schon die Vorgänge der Ausbreitung der Indogermanen etwas deutlicher: Die Schnurkeramiker wanderten erst westwärts, dann ostwärts - - - und wohnten in den Oasenstädten der Seidenstraße.

Und damit fällt Licht auf darauf, wie die Vorfahren der berühmten blonden, hochgewachsenen, europäisch aussehenden und mit europäischer Kleidung bekleideten tocharischen Wüstenmumien aus den Oasenstädten der Seidenstraße aus der Zeit zwischen 2000 v. Ztr. bis 800 n. Ztr. als Angehörige des indogermanischen Volkes der Tocharer, das als östlichstes bekanntes indogermanisches Volk eine westindogermanische Sprache sprach (2, 3), so weit nach Osten kamen. Wie kamen die - um die Zeit um 2.000 v. Ztr. - aus Mitteleuropa in so entlegenene Regionen wie Innerasien? Wie kamen sie bis an den Westrand Chinas? (Über die Tocharer und Sogder gibt es ja aus früheren Jahren schon allerhand Artikel hier auf dem Blog.)

Eine Klärung dieser Frage ist nun ebenfalls näher gerückt mit dem Durchbruch in der Ancient-DNA-Forschung im Jahr 2015 (1). Auch das hatte ich bisher ganz übersehen.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die offenbar weltgeschichtlich so bedeutende Sintaschta-Kultur - und die aus ihr hervorgegangene Andronovo-Kultur Sibiriens. Die Sintaschta-Kultur entstand um 2.100 v. Ztr. in der Ukraine. Sie war die erste Kultur, die nachgewiesenermaßen Streitwagen baute und domestizierte Pferde als Zugpferde benutzte. Aber - und das ist nun die entscheidende Neuerkenntnis: nach den neuen ancient-DNA-Daten ist sie nicht aus der örtlichen Yamnaja-Kultur hervorgegangen, sondern aus erneuter Ostwanderung der Schnurkeramiker! Damit hat man dann auch sehr konkrete Anhaltspunkte, wie man sich die Wanderung der Tocharer von Mitteleuropa nach Innerasien vorstellen kann. Denn der Zeitstellung nach paßt alles zusammen.

Diese Erkenntnis ist auch schon an mehreren Orten in das englische Wikipedia eingepflegt worden. Und damit ist auch die früheste sibirische indogermanische Kultur, die Afanasijewo-Kultur, die wie die Schnurkeramiker direkt von den Yamnaja abstammte, genetisch eine andere Kultur gewesen, als die ihr nachfolgende Kultur, die Andronovo-Kultur, die entlang der Nordhänge des Tianshan siedelte, das Gebirge, das Innerasien im Süden von Sibirien im Norden trennte.

Die Schnurkeramiker wandern westwärts (2.800 v. Ztr.)

Aber es sei zunächst noch einmal rekapituliert: Die Schnurkeramiker breiteten sich ab 2.800 v. Ztr. vermutlich ausgehend von Südpolen in Mitteleuropa bis nach Skandinavien aus (4, 5). Genetisch waren sie zwar eng mit den Yamnaja von der Wolga verwandt, also mit dem Urvolk der Indogermanen. Aber sie vermischten sich in Mittel- und Nordeuropa zu geringeren Anteilen mit den Einheimischen. Ab 2.300 v. Ztr. ging die Schnurkeramik-Kultur in Mitteldeutschland über in die berühmte Aunjetitzer Kultur (6), die prächtige Fürstengräber kennt und aus der insbesondere die "Himmelsscheibe von Nebra" hervor gegangen ist.

(weiter nächster Kommentar)

Ingo Bading hat gesagt…

Die Schnurkeramiker wandern ostwärts (2.300 v. Ztr.)

Aber in der gleichen Zeit nun, in der die Aunjetitzer Kultur in Sachsen entstand, wanderten offenbar auch wieder Schnurkeramiker Richtung Osten, nun ihren genetischen Anteil der vorherigen Mitteleuropäer mitnehmend. Und sie begründeten in der Ukraine die Sintaschta-Kultur. Dazu sei nun die diesbezügliche genetische Studie aus dem Jahr 2015 zitiert:

"From the beginning of 2000 BC, a new class of master artisans known as the Sintashta culture emerged in the Urals, building chariots, breeding and training horses (Fig. 1), and producing sophisticated new weapons."

Und:

"The Early Bronze Age Afanasievo culture in the Altai-Sayan region is genetically indistinguishable from Yamnaya, confirming an eastward expansion across the steppe (Figs 1 and 3b; Extended Data Fig. 2b and Extended Data Table 1), in addition to the westward expansion into Europe. Thus, the Yamnaya migrations resulted in gene flow across vast distances, essentially connecting Altai in Siberia with Scandinaviain the Early Bronze Age (Fig. 1)."

Aber nun:

" The close affinity we observe between peoples of Corded Ware and Sintashta cultures (Extended Data Fig. 2a) suggests similar genetic sources of the two, which contrasts with previous hypotheses placing the origin of Sintastha in Asia or the Middle East. Although we cannot formally test whether the Sintashta derives directly from an eastward migration of Corded Ware peoples or if they share common ancestry with an earlier steppe population, the presence of European Neolithic farmer ancestry in both the Corded Ware and the Sintashta, combined with the absence of Neolithic farmer ancestry in the earlier Yamnaya, would suggest the former being more probable (Fig. 2b andExtended Data Table 1)."

Das ist eine spannende Erkenntnis. Und:

"The Andronovo culture, which arose in Central Asia during the later Bronze Age (Fig. 1), is genetically closely related to the Sintashta peoples (Extended Data Fig. 2c), and clearly distinct from both Yamnaya and Afanasievo (Fig. 3b andExtended Data Table 1). Therefore, Andronovo represents a temporal and geographical extension of the Sintashta gene pool."

Somit wird es enge genetische Zusammenhänge geben zwischen der Andronovo-Kultur nördlich des Tianshan und dem Volk der Tocharer südlich des Tianshan in den Oasenstädten der Seidenstraße. Die Andronovo-Kultur breitete sich schnell aus bis an den Westrand Chinas (8).

1. Population genomics of Bronze Age Eurasia. Available from: https://www.researchgate.net/publication/278327861_Population_genomics_of_Bronze_Age_Eurasia [accessed Nov 24 2017].
2. https://de.wikipedia.org/wiki/Tocharer
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Tarim-Mumien
4. https://de.wikipedia.org/wiki/Schnurkeramische_Kultur
5. https://en.wikipedia.org/wiki/Corded_Ware_culture
6. https://de.wikipedia.org/wiki/Aunjetitzer_Kultur
7. https://de.wikipedia.org/wiki/Andronowo-Kultur
8. https://www.researchgate.net/publication/317347025_Adunqiaolu_New_evidence_for_the_Andronovo_in_Xinjiang_China

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