[ Leitwort ]
An unsere großen Dichter
Des Ganges Ufer hörten des FreudengottsTriumph, als allerobernd vom Indus herDer junge Bacchus kam, mit heil'gemWeine vom Schlafe die Völker weckend.O weckt, ihr Dichter! weckt sie vom Schlummer auch,Die jetzt noch schlafen, gebt die Gesetze, gebtUns Leben, siegt, Heroën! ihr nurHabt der Eroberung Recht, wie Bacchus.Friedrich Hölderlin, 1798
Ein Aufruf an die Dichter und kulturell Schaffenden seiner Zeit von Seiten des Dichters und Geschichtsphilosophen Friedrich Hölderlin (1770-1843).
Abb. 1: Dionysos - Geschaffen in Ergriffenheit vor unantastbarer, heiliger Jugend - Mamorbüste aus Knossos, 2. Jhdt. n. Ztr. |
Ob
diese nicht auch noch Aufruf für heute sein können. Haben wir nicht
auch heute noch "der Eroberung Recht, wie Bacchus"? Ist es denn nicht
tatsächlich so, daß nur noch auf diese Weise das Überleben des
Göttlichen auf dieser Erde gesichert werden kann?
Ist ein solcher Aufruf nicht sinnvoll, um als Leitwort zu dienen für einen modernen, gesellschaftlichen Aufbruch?
In diesen - wenigen - dichterischen Zeilen ist - wie in einer großen Zahl von Dichtungen von Friedrich Hölderlin - die Rede von einem neuen Zeitalter, das herauf kommt gemeinsam mit einer neuen Lebensanschauung, einem neuen Zeitgeist, einer neuen philosophischen und dichterischen Gesamtdeutung der Welt. Einer Gesamtdeutung, die zu Freudentaumeln Anlaß gibt.
Es geht um eine erneute Wieder-Heraufkunft der untergegangene Antike, um eine Wieder-Heraufkunft in einer neuen, modernern, womöglich noch lebendigerer Form.
Viele Künstler, Denker, Philosophen, Wissenschaftler haben dieser Wieder-Heraufkunft über viele Jahrhunderte hinweg vorgearbeitet.
Abb. 2: Silenus (Wiki) - Römische Skulptur, Rom |
Sie arbeiten ihr gegenwärtig vor, gebannt, vereinnahmt von den Möglichkeiten menschlicher, gesellschaftlicher Entwicklung, gebannt von den Möglichkeiten philosophischer Gesamtdeutung unserer Welt im Angesicht der Moderne.
Der hier genannte Bacchus (Wiki) ist ein Beiname des Dionysos, des Gottes des Weines, aber mehr noch, des Gottes der Freude, des Tanzes, des Taumels, der Trunkenheit. Jenes Gottes, der eine Verkörperung ist der Beseeligung durch das Erleben des Göttlichen.
Bacchus/Dionysos und ihre Begleiter, die Bacchanten und all die anderen Fabelwesen - immer und immer wieder aufs Neue haben sie Darstellungen in der bildenden Kunst gefunden.
Von der Antike (s. Abb. 1 bis 4) über die Niederländer der Frühen Neuzeit (siehe z.B. Peter Paul Rubens), über die Deutschen des 19. Jahrhunderts (siehe z.B. Lovis Corinth) - bis heute.
Als wir nach einer angemessenen Bebilderung dieses Beitrages suchten, wurde uns das wieder klar.
"Die Stadt der Freude, das jugendliche Korinth"
Ebenso haben sie wieder und wieder Behandlung in der Philosophie gefunden, etwa in "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik", jener Schrift, in der Friedrich Nietzsche anfing, zu taumeln, zu tanzen, sich zu freuen, exzentrisch zu sein, übermütig zu sein, um der Bigotterie seiner Zeit zu entkommen.
Abb. 3: Maske des Silenus, 1. Jahrhundert, Seidenstraße, Afghanistan (Begram) |
Als Lehrer und Begleiter des Dionysos gilt auch der Silenus. Und auch er ist dementsprechend ein beliebter Gegenstand künstlerischer Darstellung seit mehr als zweitausend Jahren gewesen (Abb. 2 und 3). Seine Verehrung reichte - wie von Hölderlin ausgesagt - in der Antike von der Seidenstraße und von Indien im Osten (Abb. 3), vom Ganges und vom Indus im Osten bis an den Tiber, bis nach Rom im Westen (Abb. 2), bis an den Rhein und die Elbe und die Themse im Norden.
Und sie alle wurden auch in Pompeji in Skulpturen und in Wandmalereien
gefeiert. Und verehrt. Als Gleichgesinnte. In jenem Pompeji, von dem
dasselbe gesagt werden könnte wie das, was Friedrich Hölderlin über "die
Stadt der Freude, das jugendliche Korinth" gesagt hat (Hyperion, 1.
Buch, 1. Brief).
Abb. 4: Cupido, Wandmalerei in Pompeji |
Auch über Pompeji wäre zu sprechen als von der "Stadt der Freude", von dem "jugendlichen Pompeji" (Abb. 4).
So wie über alle Städte im Mittelmeerraum der damaligen Zeit (1, 2).
Es fragt sich, wann der Triumphzug des Freudengottes durch die Völkerwelt, dem durch so viele Generationen von Künstlern, Philosophen, Dichtern und Wissenschaftlern vorgearbeitet worden ist, seinen Anfang nimmt.
Zwei Menschen dürften für den Zeitpunkt eine besondere Rolle spielen: Du, Leser - und Du, Verfasser dieser Zeilen.
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- Bading, Ingo: "... Iss, trink und scherze - das übrige ist nicht SO viel wert ..." Ein Ausflug in die Kultur- und Philosophiegeschichte der südtürkischen Küste, 3-2016, https://studgendeutsch.blogspot.com/2016/03/iss-trink-und-scherze-das-ubrige-ist.html
- Bading, Ingo: "Damals war nichts heilig als das Schöne" Side - Die Hauptstadt Pamphyliens, 6-2016, https://studgendeutsch.blogspot.com/2016/06/damals-war-nichts-heilig-als-das-schone.html
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