Donnerstag, 25. März 2021

Die Somalier - Sie kam um 800 n. Ztr. nach Südafrika

Sie kamen früher dort an als die Bantu-Völker 

Aus dem Haar eines Mannes, der vor 200 Jahren an der Südküste Afrikas lebte, sind Gene gewonnen und sequenziert worden. Sie weisen zu einem Drittel ostafrikanische genetische Herkunft auf (Abb. 1: Hellblau), zu zwei Dritteln San-Buschleute-Herkunft (Abb. 1: Braun). Der Mann wird als der "Vaalkrans-Mann"bezeichnet (1).

Abb. 1: Herkunftskomponenten in südafrikanischen und ostafrikanischen Völkern heute (links) und bis vor 2000 Jahren (rechts) - Braun=San-Buschleute-Komponente, Hellblau=Somali-Herkunftsomponente, Grün=Bantu-Herkunftskomponente, Lila=Kung-Buschleute-Herkunftskomponente (nordwestliche Buschleute)

Eine etwas größere, solche ostafrikanische Herkunftskomponente war auch schon bei dem sogenannten "Kasteelberg-Mann" gefunden worden, der um 800 n. Ztr. an der Südwestküste von Südafrika als Herden-Halter lebte (1) (Abb. 1). Im heutigen Südafrika findet sich diese Herkunftskomponente zu kleineren Anteilen immer noch bei dem Volk der Nama und einigen anderen (Abb. 1).

Diese ostafrikanische Herkunftskomponente hat sich bis heute bei den Somaliern (Wiki) in Somalia am unvermischtesten gehalten (Abb. 1). Die Somali sind auch heute noch Herdenhalter und halten Kamele, Ziegen, Schafe und Rinder. Mit dieser ostafrikanischen Herkunftskomponente ist auch die Fähigkeit verbunden, als Erwachsener rohe Milch verdauen zu können.

Die Kung!-Buschleute (Wiki), bzw. Juǀʼhoan (Wiki) leben im nordwestlichen Südafrika (Lila in Abb. 1). Zu einigen ihrer Stämme gelangte die ostafrikanische Herkunftskomponente bis heute so gut wie nicht. Ihre Herkunfts-Komponente (Lila) wird in Abbildung 1 durch die Farbgebung sehr deutlich von der der San-Buschleute-Herkunftskomponente unterschieden. Beide Gruppen weisen aber - im Vergleich zu den anderen Herkunftskomponenten - genetisch doch weitaus mehr Übereinstimmung auf als in dieser Grafik zur Darstellung kommt. Ebenso gibt es kulturell viele Ähnlichkeiten.

Insgesamt gesehen, kann gesagt werden: Bislang dachte man, wenn man an "Schwarz-Afrika" dachte, fast immer nur an die große Völkergruppe der Bantu-Völker, ihre Entstehung und ihre Ausbreitung. Es scheint aber doch Sinn zu machen, an die große ostafrikanische Völkergruppe der Somali ganz ebenso zu denken.

[Ergänzung, 16.6.21] Ergänzt sei, daß in der Einleitung der hier behandelten Studie sehr ausführlich darauf hingewiesen wird, daß eine solche Vermischung vor 1200 bis 2000 Jahren in der Forschung schon seit längerem vermutet wird (1):

Die Khoekhoe-Hirten gehen wahrscheinlich zurück auf eine Vermischung von San-Gruppen mit zuwandernden Hirten aus Ostafrika in einer Zeit zwischen 2000 und 1200 vor heute (Breton et al., 2014; Macholdt et al., 2014; Schlebusch et al., 2017).
The Khoekhoe herders likely emerged from San groups mixing between 2,000 and 1,200 years ago with incoming migrant herders from East African (Breton et al., 2014; Macholdt et al., 2014; Schlebusch et al., 2017).

Aspekte der früheren "Hamiten-Theorie" bestätigt?

[Ergänzung, 16.6.21] Zu diesem Blogartikel bekamen wir von kundiger Seite - nämlich von dem Volkskundler Christian Böttger (geb. 1954) (WirS.) - Zuschriften (29.3.2021 und 26.4.2021). Mit Verweis auf sein neues Buch (2, S. 103f) schrieb er:

Dort können Sie sofort erkennen, welche Bedeutung diese Informationen haben. Leider wird ein reiner Laie diese Informationen schlecht einordnen können, da er die ganzen Wissenschaftstheorien zu den Khoisanvölkern nicht kennt. (...) Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jh. vermutete man, was jetzt bewiesen erscheint; die Hottentotten (siehe Nama) sind Mischlinge aus Buschleuten und Hamiten. Adametz und die sog. Hamiten-Theorie können damit als zumindest teilweise bestätigt gelten. Die Somalier sind nämlich Hamiten - das muß man wissen, um die ganze Sache zu verstehen. Daß sie aber so spät nach Südafrika kamen, kommt mir spanisch vor. Dann muß die Ethnogenese der Khoi erst zu diesem Zeitpunkt erfolgt sein.

Und:

Ich stehe allerdings immer noch unter Schock Ihrer Mail vom 28. März (Die Somalier in Südafrika). Das ist eine echte Sensation. Die gesamte Ur- und Frühgeschichte Südafrikas muß jetzt neu geschrieben werden. Um Ihnen zu verdeutlichen, was ich meine, habe ich Ihnen mal eine Schrift herausgesucht, in welcher Peter Rohrbacher vom Institut für Sozialanthropologie der Österr. Akademie der Wissenschaften noch 2017 versucht, den Einfluß von Somalis auf die Ethnogenese der Khoikhoi (Hottentotten) zu leugnen. 

Hier unter (3).

Es ist also wieder einmal von „Fiktion“ die Rede, eine Fiktion, die jetzt in einem ganz anderen Licht erscheint. Dort lesen wir auf Seite 258 etwas über „Hamitische Hottentotten als Fiktion von Interdisziplinarität“, was ganz klar eine Ablehnung des somalischen Einflusses auf die Herausbildung der Khoi beedeutet. (Die Somalier zählen als Kuschiten zu den Hamiten). Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften kommen wieder einmal zu unterschiedlichen Ergebnissen und sind unfähig, sich abzustimmen. Die neuen genetische Erkenntnisse bezüglich der Khoi stellen also eine echte Sensation dar, denn sie bestätigen in großen Teilen das, was vor über 100 Jahren in der Ethnologie schon einmal als Lehrmeinung galt, aber nach 1945 bis zum heutigen Tag mit den Mitteln der Dekonstruktion und Ideologiekritik hartnäckig bestritten worden ist. (...) Inzwischen habe ich herausgefunden, daß die Einwanderung der Somalis vor etwa 2000 Jahren begonnen haben soll.

Es erfolgt Verweis auf (4). - Zumindest nach Wikipedia (Wiki) scheinen die Vorstellungen rund um eine "Hamiten-Theorie" auch noch in der Wissenschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergleichsweise wechselhaft und unzusammenhängend gewesen sein. Man möchte also auf den ersten Blick am ehesten sagen, daß die neuen Forschungen ganz grob "Aspekte" bestätigen, die im Zusammenhang mit früheren Hamiten-Theorien eine Rolle spielten.

Es dürfte doch zum Beispiel wesentlich sein festzustellen, daß die Ureinwohner Südafrikas nicht etwa deshalb helle Haut hätten, weil sie sich mit "Hamiten", bzw. Somaliern vermischt haben. Denn unvermischte südafrikanische Ureinwohner weisen ja auch helle Haut auf. Ihre Sprachen werden auch weiterhin an der untersten Verzweigung des menschlichen Sprachstammbaums stehen. Aber es wird gefragt werden müssen, was an diesen Sprachen auf Einflüsse der Somalier zurück geführt werden könnte.

[16.6.21] Der letzte Hinweis im gebrachten Zitat wird erhärtet durch eine neue Studie, nach der es schon vor 2000 Jahren domestizierte Schafe in Südafrika gegeben hat (5).

Einige Anmerkungen zu dem neuen Buch des Volkskundlers Christian Böttger

[16.6.2021] Wenn man sich mit den Anliegen des oben angeführten Buches von Christian Böttger beschäftigt, lernt man sehr viel Neues über das heutige Südafrika. Es handelt von aktuellen Ethnogenese-Prozesse in Südafrika und nimmt seinen Ausgangspunkt bei einem Lied des südafrikanischen Liedermachers Bok van Blerk mit dem Titel “Sing Afrikaner Sing”. Böttger sagt (6):

In diesem neuen Lied wurde der Begriff „Afrikaner“ erstmalig in einer Form präsentiert, wie man das im Land am Hoffnungskap so noch nicht erleben konnte. Der Begriff „Afrikaner“ war eigentlich immer eine Selbstbezeichnung der Buren, wird aber in diesem Video wesentlich umfassender verstanden. Alle knapp 7 Millionen Menschen Südafrikas, die Afrikaans zur Muttersprache haben und die die Mehrheit in den Provinzen Westkap und Nordkap ausmachen, werden mit diesem Lied angesprochen. Die Mehrheit jener Menschen, die Afrikaans als Muttersprache haben, sind aber gar nicht weiß, denn Afrikaans ist nicht einfach die Sprache der Buren, wie man es sooft hört. Die Mehrheit der Afrikaanssprachigen sind heute die Bruinmense, was auf Afrikaans braune Menschen bedeutet und ganz verschiedene Volksgruppen umfaßt. Dieser Terminus beginnt sich gegenüber dem Begriff „Coloured People“ als Selbstbezeichnung der afrikaansen Farbigen immer mehr durchzusetzen. (...) Diese (...) Nationsbildung beruht auch nicht auf einer gemeinsamen einheitlichen Abstammung (...). Um den Prozeßcharakter der Nationsbildung deutlich zu machen, mußte ein anderer Begriff für die Afrikaanssprecher gefunden werden. Im Buch wird von mir dazu der Begriff „Superethnos“ zur Diskussion gestellt. (...)
Die 400-mm-Niederschlagsgrenze, die im vorkolonialen Südafrika auch die Grenze zwischen Bantu- und Khoisanvölkern gezogen hat, hat Südafrika in eine südwestliche und eine nordöstliche Landeshälfte geteilt. Während die alteingesessenen Stämme der Khoi (Hottentotten) in der südwestlichen Landeshälfte lediglich Viehzucht betrieben, pflegten die eingewanderten Bantu-Stämme in der nordöstlichen Landeshälfte den Anbau von Hirse und Mais. Dieser erfordert aber mindestens 400 mm reine Sommerniederschläge. Treten die Niederschläge ganzjährig auf, wie etwa an der Südküste, funktioniert ein solcher Feldbau nicht. Die Niederschlagsgrenze bildete so eine natürliche Barriere für die Viehzucht und Feldbau (Hirse, Mais) treibenden Bantu. Heute gibt es aber fast keine reinen Khoi in unvermischter Form mehr in Südafrika. Es sind jetzt die Afrikaanssprecher, die den Bantuvölkern gegenüberstehen. Doch allein das Vorhandensein einer Sprachgemeinschaft sagt noch nicht viel aus. Die Volksgruppen, die heute mehr oder weniger zufällig Afrikaans sprechen, bilden keine bloße Addition. Da muß also mehr sein, was sie verbindet und eine Autonomieforderung für diese Völker begründet.

Wenn hier von 7 Millionen Afrikanern die Rede ist, die Afrikaans sprechen, dann muß man sich aber zugleich klar machen, daß im heutigen Staat Südafrika insgesamt 59 Millionen Menschen leben (Wiki). Anhand der dort eingestellten Sprachen-Karte wird die hier erwähnte 400 mm-Grenze  immer noch deutlich.

Abb. 2: Die Karte zeigt Südafrikas Sprachen in den Gebieten, in denen sie aufgrund der ethnischen Verteilung der Bevölkerung vorherrschend sind (Wiki) - Hellgrün im Südwesten: Afrikaans (eine indogermanische Sprache), die übrigen sind Bantu-Sprachen

Das Vorherrschen von Afrikaans im Südwesten wird bei den 7 Millionen Sprechern dadurch möglich, daß der Südwesten viel weniger dicht besiedelt ist als der Nordosten Südafrikas. Schön komprimiert erhält man dazu Auskunft auf dem Wikipedia-Artikel "Demografie Südafrikas" (Wiki):

Die „Coloureds“ (afrikaans kleurlinge, deutsch etwa: „Farbige“) haben sowohl europäische als auch afrikanische Vorfahren. Bald nach der Gründung der Kapkolonie 1652 entstand die schnell anwachsende Bevölkerungsgruppe der Coloureds, die aus der Vermischung von Europäern, Khoikhoi bzw. Khoisan und den (zum Teil freigelassenen) Sklaven entstand. Bereits 1685 hatten fast die Hälfte aller Sklavenkinder europäische Väter. Im 17. und 18. Jahrhundert bildeten sich einige stammesähnliche Gesellschaften wie die Orlam, Witbooi, Afrikaner, Baster, Koranna oder Griqua heraus, die teilweise eigene Staatswesen errichteten. Wichtige soziale Merkmale der meisten Coloureds sind weitgehend mit denen der Weißen identisch. So sprechen etwa 75,8 % Afrikaans und 20,8 % Englisch als erste Sprache, die Mehrzahl gehört der christlichen Nederduits Gereformeerde Kerk an. Zwar genossen die Coloureds im Apartheidsystem Privilegien gegenüber den Schwarzen, gegenüber den Weißen waren sie jedoch deutlich benachteiligt. Im Gegensatz zu den Schwarzen und Weißen haben die Coloureds heute nur wenige Schlüsselpositionen in der Politik und Wirtschaft inne. Eine eigene Gruppe innerhalb der Coloureds bilden die Kapmalaien, Nachfahren indonesischer und malayischer Sklaven (aus Niederländisch-Indien), die die Afrikaans-Sprache angenommen haben, aber Moslems sind. Ihre Zahl beträgt rund 200.000. Nach den Ergebnissen der Volkszählung von 2011 rechneten sich 4.541.358 Südafrikaner der Bevölkerungsgruppe der Coloureds zu, was einem Anteil von 8,9 % an der Gesamtbevölkerung Südafrikas entsprach. Am Westkap und am Nordkap betrug der Anteil der „Kapmischlinge“ (englisch Cape Coloureds, afrikaans Kaapse Kleurlinge) 48,8 % und 40,3 % in allen anderen Provinzen lag er deutlich unter 10 % (zwischen 0,3 % in Limpopo und 8,3 % in Ostkap). 

Ihrer Herkunft nach sind die Afrikaans-sprechenden "Kapmischlinge" grob ein Drittel Khoisan, grob ein Drittel Bantu und grob ein Drittel europäisch, wobei sie außerdem kleinere Anteile aus Indien aufweisen. Die weibliche Herkunft ist vorwiegend Khoisan, die männliche Herkunft ist europäisch und Bantu. So in übersetzender Zusammenfassung die folgenden Ausführungen (Wiki):

At least one genetic study indicates that Cape Coloureds have ancestries from the following ethnic groups; not all Coloureds in South Africa had the same ancestry. 
- Indigenous Khoisan: (32–43%)
- Indigenous Bantu peoples, chiefly from Southern Africa: (20–36%)
- Peoples from Western Europe, chiefly the Low Countries: (21–28%)
- Peoples from South and Southeast Asia: (9–11%)
The Malagasy component in the Coloured composite gene pool is itself a blend of Malay and Bantu genetic markers. This genetic admixture appears to be gender-biased. A majority of maternal genetic material is Khoisan. The Cape Coloured population is descended predominantly from unions of European and European-African males with autochthonous Khoisan females.

Soweit dazu.*) Das Buch von Böttger aber wendet sich im Kern gegen den "Konstruktivismus", der an dem Phänomen eines Volkes nicht das natürlich Gewachsene sehen will, sondern nur das Instrumentalisierbare. 

Aktuelle Forschungen zur Ethnogenese: Archäogenetik, Derek Bickerton ...

Christian Böttger sagt dann im Interview - etwas verkürzt: "Forschungen zur Ethnogenese finden nicht mehr statt". Er bezieht er sich dabei aber - wie er uns durch Zuchrift erläutert - auf die gegenwärtige Völkerkunde im westlichen Europa. In anderen Bereichen - seit 2015 besonders in der Archäogenetik - finden ja "Forschungen zur Ethnogenese" der Sache nach tatsächlich statt. Und auch in der traditionellen Frühmittelalter-Forschung sind die Forschungen zur Ethnogenese bis heute ja nie abgerissen. Und im Grunde betreibt jeder Sprachforscher und Sprachhistoriker Forschungen zur Ethnogenese. Am Eindrucksvollsten wird dies vermutlich belegt durch Derek Bickerton (1926-2018), der in seinen Forschungen nachgewiesen hat, daß neue (Kreolen-)Sprachen durch das gemeinsame Spielen von Kindern unterschiedlicher Muttersprache, sozusagen auf dem Spielplatz entstehen (Wiki):

Er interviewte zwischen 1900 und 1920 geborene Hawaiianer und konnte so den in dieser Zeit erfolgten Übergang von der Pidgin- zur kreolischen Sprache belegen.

Der hier erfolgte Prozeß der Ethnogenese erfolgte im gemeinsamen Spielen von Kindern. Und man darf vermuten, daß Muttersprachen (und damit Völker) vermutlich immer so entstanden sind. Denn Kinder spielen viel mehr mit Sprache als Erwachsene. Bickerton (Wiki):

hat die Hypothese in die Welt gebracht und gilt als ihr Hauptvertreter, nach der Kreolensprachen durch Kinder aus Pidgin-Sprachen geformt werden.
is the originator and main proponent of the (...) hypothesis according to which (...) creoles (...) being formed from a prior pidgin by children.

Bzw. (Wiki):

Bickerton vermutet, daß Kreolensprachen Erfindungen von Kindern sind, die auf neu begründeten Plantagen aufwachsen. Um sie herum hören sie nur, daß Pidgin gesprochen wird, ohne genug Struktur, um als natürliche Sprache funktionieren zu können; und die Kinder nutzen ihre eigenen angeborenen sprachlichen Fähigkeiten, um Pidigin in eine echte Sprache umzuformen.
Bickerton claims that creoles are inventions of the children growing up on newly founded plantations. Around them, they only heard pidgins spoken, without enough structure to function as natural languages; and the children used their own innate linguistic capacities to transform the pidgin input into a full-fledged language. 
In seinem Buch schreibt Böttger (2):

Die ideologiekritischen Ethnologen beschreiben auf diese Weise z. B. die Ideologie vom Volk (Volkstumsideologie), verweigern sich aber konsequent und beharrlich einer objektiven Ethnogeneseforschung. Das ist auch deshalb nur konsequent, weil sie die objektive Existenz von Völkern leugnen. Es war eine der größten Überraschungen für mich, daß es im wiedervereinigten Deutschland keine Ethnogeneseforschung gibt, der ich mich so gern angeschlossen hätte. Die Ursachen dafür sind mir jetzt klar. 

Ganz richtig schreibt Herr Böttger in seinem Buch (2):

Anhand der Geschichte der Zulu läßt sich die Entstehung von Völkerschaften und damit von Völkern gut nachvollziehen. Die Ethnogenese der Zulu kann somit als ein Beleg dafür gelten, daß die gegenwärtig in der Europäischen Ethnologie verbreitete konstruktivistische Auffassung von Völkern als „Erfindungen“ unwissenschaftlicher Nonsens ist. Der mit der „Kritischen Theorie“ einhergehende Konstruktivismus arbeitet ideologiekritisch, subjektivistisch und damit selektiv. Er kann deshalb nie das gesamte Phänomen erfassen und darstellen. Das gilt für den Volksbegriff ebenso, wie für den Mfecane. Er sieht diese Erscheinungen nur unter dem Aspekt der Instrumentalisierung durch bestimmte gesellschaftliche Kräfte. Damit wird die objektive Seite völlig ausgeklammert. Forschungen zur Ethnogenese finden auf diese Weise nicht mehr statt.
Mfecane (Wiki) wird ein Zeitraum der südafrikanischen Geschichte, nämlich von 1817 bis 1840 bezeichnet, der vor allem von Kriegen unter den Zulu-Stämmen im Nordosten des heutigen Südafrika geprägt war. Ja, man möchte sagen: Wo in der Wissenschaft Ideologie die Vorherrschaft gewinnt, dort wird es - leider - und leider immer und immer wieder - gruselig. Hier wird deutlich, daß sich Christian Böttger bei seiner Aussage vor allem auf die Europäische Ethnologie bezieht. 

Im englischsprachigen Bereich der Wissenschaft gibt es demgegenüber ja eine weitaus größere Vielfalt an Denk- und Forschungsansätzen. Dort wird Völkerkunde auch unter dem Fachbegriff "Anthropology" betrieben und in diesem Bereich ist die Grenze zur Naturwissenschaft mitunter kaum noch spürbar. Insbesondere auch aus dem Bereich der Soziobiologie, bzw. der Evolutionären Psychologie und Evolutionären Anthropologie gibt es ja seit Jahrzehnten eine Fülle von Forschungsansätzen, um diese Dinge zu verstehen. 2007 hat der Autor dieser Zeilen einen Überblick zu der dortigen Themen- und Forschungs-Vielfalt und der damit verbundenen Forschungs-Literatur gegeben (9).

Das Grundthema und Ergebnis dieses Überblicks: Humanevolution findet in Völkern statt und durch eine Jahrtausende lange Abfolge von Ethnogenese-Prozessen (über "Verwandtenerkennung" und "Gruppenselektion" aus "populationsgenetischen Flaschenhälsen" heraus). Also genau das, was inzwischen - seit 2015 - auch durch die Archäogenetik - aber nun noch viel gültiger - aufgezeigt wird.

__________

*) Indem wir das nachtragen, erinnern wir uns an einen Blogartikel-Entwurf aus dem Jahr 2017, der zu diesem Thema paßt. Im "Lexikon der Biologie" von "Spektrum der Wissenschaft" (1999) hatten wir nämlich diesen Eintrag gefunden (Spektrum) (Link funktioniert nicht mehr):

Rehobother Bastards, [benannt nach dem Ort Rehoboth bei Windhuk (Namibia)], Rehobother Baster, Baster, früher Bastaards, Eigenbezeichnung einer Gruppe von Nachkommen von Dama- (nein:) Khoi-Frauen (Hottentotten) und Buren-Männern, die in Rehoboth (heute Namibia) ein eigenes Gemeinwesen gründeten und von Eugen Fischer anthropologisch untersucht wurden. Fischer wies durch Untersuchung mehrerer Generationen der Rehobother Bastards nach, daß Merkmale nicht als „Rassenkomplexe“, sondern gemäß der 3. Mendelschen Regel unabhängig voneinander auftreten.

Hier ist die Rede von der Volksgruppe der "Baster" (Wiki), die dem hier behandelten Thema ebenfalls zuzuordnen ist. Die hier erwähnte Studie (10) muß wissenschaftsgeschichtlich womöglich gar nicht so uninteressant sein und man könnte sie sich noch einmal genauer vor dem Hintergrund des heutigen Kenntnisstandes zu diesem Thema anschauen. 

/ Ergänzungen
- mit Dank für die Zuschriften 
von Herrn Böttger:
16. und 17.6.2021 /

 

__________________

  1. Later Stone Age human hair from Vaalkrans Shelter, Cape Floristic Region of South Africa, reveals genetic affinity to Khoe groups. Alexandra Coutinho Helena Malmström Hanna Edlund Christopher S. Henshilwood Karen L. van Niekerk Marlize Lombard Carina M. Schlebusch Mattias Jakobsson. American Journal of Physical Anthropology, First published: 04 February 2021 https://doi.org/10.1002/ajpa.24236, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ajpa.24236
  2. Christian Böttger: Autonomie für die Afrikaanse Nation! Ein Superethnos in Südafrika.  Lindenbaum-Verlag 2020
  3. Rohrbacher, Peter: Hamitische Wanderungen - Die Prähistorie Afrikas zwischen Fiktion und Realität. FU Berlin 2017 (pdf)
  4. Schlebusch CM, Prins F, Lombard M, Jakobsson M, Soodyall H. The disappearing San of southeastern Africa and their genetic affinities. Hum Genet. 2016 Dec;135(12):1365-1373. doi: 10.1007/s00439-016-1729-8. Epub 2016 Sep 20. PMID: 27651137; PMCID: PMC5065584.
  5. Coutu, A.N., Taurozzi, A.J., Mackie, M. et al. Palaeoproteomics confirm earliest domesticated sheep in southern Africa ca. 2000 BP. Sci Rep 11, 6631 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-85756-8, https://www.nature.com/articles/s41598-021-85756-8
  6. Interview mit Christian Böttger über "Autonomie für die Afrikaanse Nation! Ein Superethnos in Südafrika" lindenbaumverlag, 15. November 2020, https://wir-selbst.com/2020/11/15/autonomie-fur-die-afrikaanse-nation-ein-superethnos-in-sudafrika/
  7. Vaas, Rüdiger: Sprechen macht stark. Bild der Wissenschaft, 2001, https://www.wissenschaft.de/allgemein/sprechen-macht-stark/
  8. Derek Bickerton: Die Sprache der Kreolen, Spektrum der Wissenschaft, 5.10.2006, https://www.spektrum.de/magazin/die-sprache-der-kreolen/853127
  9. Bading, Ingo: 200.000 Jahre Humanevolution - Gliederung, Themenliste und Literaturverzeichnis eines Buchprojektes zum neuesten Forschungsstand. 2007 (Researchgabe, Academia oder Lulu)
  10. Fischer, Eugen: Die Rehobother Bastards und das Bastardierungsproblem beim Menschen. Anthropologische und ethnographische Studien am Rehobother Bastardvolk in Deutsch-Südwest-Afrika. Jena 1913; erneut: Akademische Druck- und Verlags-Anstalt, Graz 1961, http://docplayer.org/112679493-Die-rehobother-bastards.html

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