Gut bezeugt ist inzwischen, daß spätestens am Beginn der Bronzezeit unsere Vorfahren in Bezug auf Naturschönheit ähnlich empfunden haben wie noch viele Jahrtausende später ihre Nachfahren als Dichter und Künstler (Abb. 1).
Abb. 1: Honoré Fragonard (1732-1806) - Die Göttin Aurora triumphiert über die Nacht (1755) |
Laut einer Forschungsstudie aus dem Jahr 2018 haben die Menschen der Frühbronzezeit Weihgaben für die Sonnen-Gottheit in der freien Natur abgelegt. Das geschah am liebsten an Orten mit freiem Blick auf den Sonnenaufgang, insbesondere am Tag der Sommer- oder der Wintersonnenwende (1).
Sorgfältig ausgewählte Bronze-Gegenstände wurden in der Frühen Bronzezeit in Schottland an auffallenden Orten innerhalb der Landschaft als Weihgaben für die Gottheit niedergelegt. Mehr als die Hälfte dieser Orte hatten direkte Sicht auf den Punkt des Sonnenaufgangs oder Sonnenuntergangs zur Winter- oder Sommersonnenwende (1). Diese Forschungsergebnisse erinnern daran, daß die Beobachtung von Sonnenauf- und -untergang an markanten Punkten in der Landschaft auch eine Rolle spielt etwa bei der Himmelsscheibe von Nebra (2).
Der Schwerpunkt scheint auf der Wintersonnenwende gelegen zu haben.
In einer früheren archäologischen Studie war schon dargelegt worden, daß diese Bronzegegenstände immer an hervorgehobenen Punkten der Landschaft niedergelegt worden waren, an landschaftlich schönen Orten, auch in Grenzbereichen von Landschaften. Das heißt, etwa am Übergang von Ackerland zu Weideland (3). Es sind das alles Umstände, die gut bezeugen, welchen Sinn unsere Vorfahren in der Bronzezeit für die Schönheiten der Landschaft hatten.
Wenn es solche Sitten von Sachsen-Anhalt bis hinauf nach Schottland gegeben hat in der Frühen Bronzezeit, dann wird deutlich, von welcher Sehnsucht nach der Sonne die Menschen dieser Zeit beseelt gewesen sind, welche Verehrung sie ihr zugedacht haben.
Diese Verehrung spiegelt sich ja auch im "Sonnenwagen von Trundholm" (4) wider.
Die "rosenfingrige Eos"
Es ist das eine Verehrung, die sich in der "Ilias" des Homer erneut findet, etwa wenn er Eos, die Göttin der Morgenröte (Wiki) besingt als „rosenfingrige Eos“ (ῥοδοδάκτυλος Ἠώς rhododaktylos Ēōs).
Die Sehnsucht nach der Sonne gab es in Mitteleuropa schon vor dem Eintreffen der Indogermanen. In zahlreichen "Kreisgrabenanlagen" - wie der von Goseck aus dem Mittelneolithikum - kann man am Tag der längsten Nacht beobachten, wie im Südwesttor die Sonne untergeht. Am Morgen danach geht die Sonne im Südosttor wieder auf (Wiki). Die Späten Urindogermanen am Unteren Dnjepr haben auf oben flachen Kurganen vermutlich auch die Sonne verehrt. Sie haben aber die Verehrung der Sonne in Mitteleuropa sicher auch von den Vorgängerkulturen übernommen - so wie vieles andere.
Ob sich Homer und/oder unsere bronzezeitlichen Vorfahren die Sonne und die Morgenröte so vorgestellt haben wie dies im 18. Jahrhundert zur Darstellung gebracht worden ist etwa von dem französischen Maler Honoré Fragonard (Abb. 1), muß natürlich dahingestellt bleiben.
Aber eine "rosenfingrige" Gottheit darf man sich so schon vorstellen, als Frau im Licht, während im Dunkel auf dem Boden noch die Nacht in letzten Träumen liegt - gegebenenfalls mit glühenden Bäckchen. Und dabei mag durchaus viel rosiger Duft ausgebreitet sein über das gesamte Geschehen. Dunkle, stille, verhaltene Morgenstimmung.
Abb. 2: Honoré Fragonard (1732-1806) - Diana verliebt sich in den schlafenden Schäfer Endymion, um 1755 (Wiki) - Entstanden als Pendant zu Abb. 1 (NGA) |
[Ergänzung, 21.2.2021] In der Besprechung zu einer Buchveröffentlichung zu dem Thema Metalldeponierungen in der Bronzezeit (5) wird deutlich, daß die Wissenschaft sich noch schwer tut, solche Deponierungen allein - oder vor allem - als Weihgaben an die Gottheit anzusehen.
Noch ein Blick in die Forschung
Es fällt ihr schwer, die Bronzezeit als eine Art Traumzeit anzusehen, als eine Art Märchen-Zeitalter, in der auch landschaftliche Schönheit und Poesie im Alltagsleben und religiösen Leben eine große Bedeutung gespielt haben können.
[Ergänzung 29.3.2021] Der Bronzezeit-Archäologe Svend Hansen sagt jedoch klar (6) ...
... daß es sich in der großen Mehrheit dieser Funde um Weihgaben an die imaginären Mächte handelt.
Liest man die Abhandlung von Svend Hansen, kommen einem die vielen Weihgaben an die Gottheit in Erinnerung, die zum Beispiel dem Orakel von Delphi gewidmet worden sind. - Diesem Gedanken war Svend Hansen schon 2016 nachgegangen (7). - Von einem Hortfund östlich des Ural, der Fragmente von Gegenständen und Waffen enthielt, mein Hansen, es sei (6) ...
... besser von einem Fragmenthort sprechen. Die Bronzen wurden als pars pro toto deponiert, vergleichbar der Praxis in den jüngeren griechischen Heiligtümern. Ein oder zwei Fragmente der großen und wertvollen Dreifußkessel blieben, deponiert in Brunnen oder unter Ausschüttungen, im Besitz der Gottheit, der Rest wurde wieder eingeschmolzen und für andere Zwecke im Heiligtum verwendet.
Die lange Kollektionierungszeit sagt viel über die Stabilität der sozialen Ordnung. Mit seinen Überlegungen zur Sozialstruktur der hinter dem Hort stehenden Gemeinschaft hat Tomedi einen willkommenen Anstoß gegeben, aus der ethnologischen Zwickmühle von Big Man und Chief herauszukommen und stärker z. B. altitalische Überlieferungen politischer Organisation zu berücksichtigen. Es bleibt eine wichtige Aufgabe, die sozialen Hintergründe der Deponierung weiter aufzuhellen.
Mit "altitalische Überlieferungen politischer Organisation" wird wohl auf die Verfassung der Römischen Königszeit (Wiki) angespielt sein, in der es schon eine Gliederung der Gesellschaft in Adlige, Patrizier und Plebs gegeben hat, bzw. auf die Gesellschaftsordnung der Etrusker (Wiki) und ihrer Nachbarstämme. Hansen referiert auch die vielen Metallhortfunde, die inzwischen der Glockenbecher-Kultur zugesprochen werden können, insbesondere auch aus Spanien, wo zum Beispiel vier Metalllanzenspitzen, zusammen gebunden durch ein Golddiadem niedergelegt gefunden worden sind.
Eine der wichtigsten Göttinnen der Urindogermanen
[Ergänzung 19.3.2021] Die oben erwähnte Göttin der Morgenröte gehörte nach sprachwissenschaftlichen Befunden offenbar schon im Urindogermanischen zu den wichtigsten Göttinnen (Wiki):
h2éwsōs or Haéusōs (PIE: *h2éusōs, *haéusōs in anderen Varianten; lit. "die Dämmerung") ist der rekonstruierte urindogermanische Name der Göttin der Morgenröte in der urindogermanischen Mythologie. Es wird angenommen, daß h2éwsōs eine der wichtigsten Gottheiten gewesen ist, die von den Sprechern des Urindogermanischen verehrt worden ist, abzulesen an der Stetigkeit ihrer Bedeutung in nachfolgenden kulturellen Traditionen wie auch in der Bedeutung der Göttin Usas in der Rigveda. Ihre Merkmale sind in späteren Traditionen nicht nur vermischt worden mit denen der Sonnengöttin, sondern haben auch weibliche Gottheiten in anderen Mythologien beeinflußt. (...) h2éwsōs leitet sich ab von dem Wurzelverb *h2(e)wes- ("scheinen, rot glühen, eine Flamme"), das mit dem Suffix -os erweitert wird. Aus dieser Wurzel ergibt sich auch das Wort für "Gold" (...) Lateinisch aurum, Altprussisch ausis, Litauisch Dausos "die Himmelshöhen"; ausas Gold.h2éwsōs or Haéusōs (PIE: *h2éusōs, *haéusōs and other variants; lit. "the dawn") is the reconstructed Proto-Indo-European name of the dawn goddess in the Proto-Indo-European mythology. h2éwsōs is believed to have been one of the most important deities worshipped by Proto-Indo-European speakers due to the consistency of her characterization in subsequent traditions as well as the importance of the goddess Uṣas in the Rigveda. Her attributes have not only been mixed with those of solar goddesses in some later traditions, but have subsequently expanded and influenced female deities in other mythologies. (...) *h2éwsōs, derives the verbal root *h2(e)wes- ('to shine, glow red, a flame') extended by the suffix -ós-. The root also underlies the word for 'gold', *h2ews-om ('glow'; cf. Latin aurum, Old Prussian ausis, Lithuanian Dausos 'the skies, heavens'; áusas 'gold').
Offenbar leitet sich daraus in germanischen Sprachen auch das Wort für Osten ab.
Ushas
In der vedischen Mythologie ist Ushas die bedeutendste aller Göttinnen. Und indem wir hören, von welcher Poesie ihre Verehrung umgeben ist, werden wir vielleicht mit der Rigveda - neben der "Ilias" - den besten Blick erhalten hinein in den Geist der Bronzezeit und auch schon des Mittel- und Spätneolithikums, die Zeit, in der sich Volk der Indogermanen bildete und ausbreitete (Wiki):
Zwanzig der 1028 Hymnen des Rigveda sind der Morgenröte gewidmet, die als reich geschmückte schöne junge, aber arrogante (IV.30.8–11) Frau erscheint und als Bringerin des täglichen Lichts gepriesen wird (RV 7.78; 6.64: 10,172). Den Menschen gegenüber ist sie im Allgemeinen freundlich gesinnt, sie ist eine wohlwollende Göttin. Sie wird auch als Braut im rosa Gewand und mit goldenem Schleier beschrieben, manchmal auch als Tänzerin mit nackten Brüsten und reichhaltigem Juwelenschmuck oder als schöne, aus dem Bade kommende Frau vorgestellt. Sie wird im Dual angerufen.Sie weckt die zusammengerollten Schläfer, damit sie ihre Opfer darbringen und erweist somit den anderen Göttern einen Dienst (RV 1.113). Ushas gibt Stärke und Ruhm (RV 1.44). Sie ist das, was das Leben antreibt, Dinge in Bewegung setzt, die Dunkelheit vertreibt und damit alle darin verborgenen Dinge aufdeckt und sie wird mit dem Atem und Leben aller lebendigen Kreaturen assoziiert (RV 1.48). Sie ist ferner eng mit rta verbunden und bewegt sich mit ihm (RV 3.61; 7.75). Oft wird sie mit einer Kuh verglichen. In Rigveda 1.92 wird sie die Mutter der Kühe genannt und wie eine Kuh, die ihren Euter zum Wohle der Menschen darreicht, so entblößt Ushas ihre Brüste, um zum Wohle der Menschheit das Licht zu bringen (RV 3.58; 4.5). Obwohl Ushas gewöhnlich als ein junges und schönes Mädchen beschrieben wird, wird sie auch Mutter (RV 1.113.12) der Götter und der Ashvins (RV 3.39.3) genannt. Sie wird von ihren Bittstellern als Mutter angerufen, die sich wie eine gute Hausvorsteherin um alle Dinge kümmert (RV 1.48). Sie ist zugleich die Göttin des Herdes (RV 6.64). Von Ushas heißt es sie sei das Auge der Götter (RV 7.75). Sie wird auch als geschickte Jägerin beschrieben, die das Leben der Menschen dahinschwinden lässt (RV 1.92). Ihre Aufgabe ist es die Menschen zu wecken, um sie zur Arbeit und Pflichterfüllung zu rufen (RV 148,92), doch sie stört nicht die im Todesschlaf versunkenen Wesen. Oft wird sie um die Vernichtung, Bestrafung und Fortjagen von Feinden gebeten, die sie in weite Ferne schicken soll. Sie erscheint als Feindin der chaotischen Mächte, welche die Welt in Schrecken versetzen (RV 1.113.12). Die Götter flehen sie an, nur die guten Menschen zu wecken. Auch erscheint sie als Göttin, welche die Jugend vergehen lässt (RV 7.75). Sie kann alles sehen, wird aber nur selten um Vergebung von Sünden gebeten. Sie ist die Herrin und Zeichen der Zeit und wird oft darum gebeten ein langes Leben zu gewähren (RV 7.77). Sie erinnert Menschen an ihre Sterblichkeit.
Die hier zusammen gestellten Beobachtungen wären es wohl wert, daß in Anknüpfung an diese noch viel umfassender herausgearbeitet würde, von wie viel Poesie, erhabenen Gefühlen, Innerlichkeit, innerer Erhobenheit das Leben vorgeschichtlicher Völker erfüllt gewesen sein kann.
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- The Placing of Early Bronze Age Metalwork Deposits: New Evidence from Scotland. By Richard Bradley, Chris Green, Aaron Watson. First published: 01 February 2018, Oxford Journal of Archaeology, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/ojoa.12135?campaign=woletoc&
- https://de.wikipedia.org/wiki/Himmelsscheibe_von_Nebra
- Bading, Ingo: Menschen aus der Bronzezeit hatten ein Auge für die Landschaft. 13.2.2018, https://plus.google.com/+IngoBading/posts/LzyU4J9NFgR
- https://de.wikipedia.org/wiki/Sonnenwagen_von_Trundholm
- Augstein, Melanie (2020). Rezension zu: Fontijn, D. (2020). Economies of destruction: How the systematic destruction of valuables created value in Bronze Age Europe, c. 2300-500 BC. Abingdon: Routledge. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 12. Jan. 2021
- Hansen, Svend: Metalldeponierungen in Eurasien. Ein Phänomen der Langen Dauer, der Konjunkturen und der Ereignisse, 2021 (Acad)
- Hansen, Svend: Gabe und Erinnerung - Heiligtum und Opfer. 2016, Humboldt-Universität zu Berlin, Exzellenzcluster Topoi (Acad)
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