Zu Jon Entine - "Abraham's Children" (2007)
Das Buch von Jon Entine "Abraham's Children - Race, Identity, and the DNA of the Chosen People" (2007) ist eine etwas zeitaufwendigere Lektüre (400 Seiten). (siehe auch Stud. gen. 1, 2, 3) *) Ich habe alle Kapitel gründlicher durchgesehen und hoffe, nichts Wesentlicheres übersehen zu haben. Schon von Entine's Buch "Taboo" aus dem Jahr 2000 kann einem bekannt sein, daß bei Entine an den unauffälligsten Stellen die interessantesten Dinge stehen können, während er andererseits wohl als ein Autor bezeichnet werden darf, der sehr redselig schreiben kann, wobei dann nicht immer alles auf dem gleichen Niveau intellektueller Reflektiertheit stehen muß, was er schreibt.
Aber auch wenn dieses neue Buch wieder viele Anekdoten und Anekdötchen enthält, so möchte ich doch meinen, daß es kaum eine wesentliche "take away"-Botschaft vermittelt, die man nicht schon aus anderen Büchern und Veröffentlichungen hätte mitnehmen können. Freilich hat Entine erfreulicherweise einen schönen neuen Überblick gegeben, in dem fast jeder wesentliche Aspekt des Themas und fast jeder bedeutendere beteiligte Wissenschaftler bei der Erforschung des Themas wenigstens einmal irgendwo erwähnt worden ist. Auch die dazu gehörige wissenschaftliche Literatur ist dann jeweils genannt.
Eine gehörige Portion Stolz
Ganz ohne Zweifel spielt eine gehörige Portion Stolz mit, wenn Jon Entine - selbst kaum noch gläubiger Jude - die Geschichte seines Volkes vom genetischen Standpunkt aus "rekapituliert". So finden sich beispielsweise über das ganze Buch verteilt gleich drei Fallbeispiele von Menschen, die bis vor kurzem gedacht hätten, sie wären Nichtjuden, und die aufgrund von DNA-Tests herausbekommen haben, daß sie genetisch (auch) von Juden abstammen.
Sicherlich war das im Dritten Reich und anderswo ziemlich nachteilig, derartiges herauszubekommen. Aber warum Jon Entine so geneigt ist, solche Einzelfälle so besonders herauszustellen, kann ich mir nur mit einem gewissen Stolz auf sein eigenes Volk und dessen "besondere" Genetik erklären.
Da ist der mexikanische, im wesentlichen spanisch-stämmige katholische Priester William Sanchez in Santa Fe (S. 13 - 25), der, nachdem er den jüdischen "Priester-Haplotyp" ("Cohanim-Haplotypen") auf seinem Y-Chromosom festgestellt hat (mithilfe der Firma "Family Tree DNA"), laut Entine so einigermaßen stolz äußert: "Being a priest runs in my family." Und dazu weiß dann Entine noch allerhand anderes zu zitieren und zu formulieren. Es scheint, als stamme Sanchez zusammen mit vielen weiteren spanisch-stämmigen Mexikanern in seiner Verwandtschaft von "Krypto-Juden" ab, die wegen der katholischen Inquistition gegen die spanischen Juden in früheren Jahrhunderte ihr Judentum verleugneten, bzw. nach Nordmexiko geflüchtet sind und dort ihre jüdische religiös-kulturelle Identität schrittweise - aber bis heute nie vollständig - verloren hatten. Aber auffällig häufen sich auch in diesen Familien die typisch jüdischen Erbkrankheiten wie Brustkrebs und andere.
Da ist der katholische, polnisch-stämmige Rechtsanwalt Cezary Fudali aus Ottawa in Kanada, der mit Hilfe der Firma "Family Tree DNA" herausbekommt, daß er nicht (nur) von Polen abstammt, sondern daß seine Großmutter als Kind einer jüdischen Mutter von Polen adoptiert worden war. (S. 267 - 269) - Ein streng gehütetes Familiengeheimnis bis vor wenigen Jahren. Und nun fragt sich dieser Rechtsanwalt laut Entine: "Is there a god for me?" Als wäre es selbstverständlich, daß wenn man jüdische Gene hätte, man auch eine besonderen Bezug zum jüdischen Gott hätte oder haben müsse. Die Selbstverständlichkeit, mit der Entine solche Überlegungen wiedergibt, leuchtet mir nicht so ganz ein, zumal doch Entine selbst sich gar nicht mehr als gläubig ansieht. Aber den überkommenen jüdischen Gott scheint er mit viel Liebe zu betrachten und er scheint ihn doch auch heute noch - "irgendwie" - für wichtig zu halten und stolz auf ihn zu sein. (Manchmal genügt für die Wahl einer Religion vielleicht wirklich nur "Nationalstolz" und Patriotismus? ...) (Das ist ungefähr so, als wäre man als Deutscher stolz darauf, wenn man feststellt, daß man - wohlgemerkt: in männlicher Linie - von irgendeiner germanischen Wotans- oder Odins-Priesterschaft abstammen würde und von daher plötzlich einen "neuen Gott" für sich entdecken würde ...)
Da ist die berühmte Gen-Pionierin Marie-Claire King, die im Jahr 1990 das erste Brustkrebs-Gen entdeckte, ausgerechnet jenes, das so viel Unheil gerade im jüdischen Volk anrichtet. Die genetischen Forschungen an ihrer eigenen Person bringen zu ihrer Überraschung auch jüdische Gene zum Vorschein, wiederum ein streng gehütetes Familiengeheimnis. In den bei solchen Dingen oft etwas schwülstig erscheinenden Worten von Jon Entine hätte sie entdeckt die "Jewish American Princess" in sich ... (S. 282 - 289).
Erbkrankheiten aufgrund von Intelligenz-Evolution?
Diese "besondere" "jüdische Genetik" - das verschweigt Entine keineswegs, sondern diskutiert es breit - bringt also auch eine nicht selten sehr heftige familiäre Häufung von schweren Erbkrankheiten mit sich. In der eigenen Familie von Jon Entine beispielsweise sind gleich mehrere nahestehende Verwandte an Brustkrebs und ähnlichen Krankheiten oft schon in frühem Lebensalter gestorben, wie er berichtet.
Da muß es einen Wissenschafts-Interessierte wie Jon Entine natürlich besonders interessieren, wenn im Jahr 2005 diese besondere Häufung von bestimmten Erbkrankheiten im jüdischen Volk erklärt wurde durch eine parallele Anhäufung von Intelligenz-Genen in demselben. Denn auch bezüglich vieler anderer Erbkrankheiten nimmt man inzwischen "stabilisierende Selektion" für diese an, wenn sie in einer größeren Häufigkeit in einer Population vorkommen, das heißt, sie können nicht nur nachteilig für diese Population gewesen sein, sondern müssen mit irgendwelchen Vorteilen verbunden, an Vorteile gekoppelt gewesen sein, sonst wären sie nicht so weit verbreitet. Die diesbezügliche Theorie von Cochran und Harpending, die auch schon mehrmals hier auf dem Blog diskutiert wurde, war sicherlich der Hauptauslöser zum Schreiben und Veröffentlichen dieses neuen Buches von Jon Entine.
Die neue "Rasseforschung" in der Humangenetik
Dieses Buch ist also eine große Sammlung von "Geschichten, die das Leben schrieb", die die Wissenschaft schrieb, und die die Weltgeschichte (bzw. Humanevolution) selbst schrieben. Der Autor hat "Dutzende" von Humangenetikern weltweit zur Thematik gesprochen und interviewt. So wird zum Beispiel viel Raum gegeben den persönlichen Geschichten der Humangenetiker, die den jüdischen "Priester-Haplotypen" entdeckten. Diese Geschichten werden geradezu "zelebriert", wie mir scheint, und was mir wiederum sehr auffällig vorkommt. "Blut" scheint für Jon Entine immer noch "ein ganz besonderer Saft" zu sein, insbesondere wenn es sich um jüdisch-orthodoxe Priester handelt.
Aber erst aus einer ganz anderen als aus der bloß auf alles "Jüdische" fokussierten Lese-Perspektive heraus könnte man, wie ich meine, die wirkliche Bedeutung dieses Buches erkennen. Meiner Meinung sollte es gar nicht in erster Linie als eine populärwissenschaftliche Berichterstattung über die derzeitige humangenetische Erforschung des jüdischen Volkes gelesen werden, sondern viel grundlegender als ein Buch über die modernen humangenetischen Forschungen überhaupt, wobei das jüdische Volk nur als ein gutes Anschauungsbeispiel dient und es deshalb durchaus sinnvoll ist, daß es im Mittelpunkt der Darstellung steht.
Aber ebenso wie schon in seinem Buch "Taboo" ist Jon Entine keineswegs nur an der Humangenetik des jüdischen Volkes interessiert. Sie dient ihm im Grunde nur als Aufhänger, um überhaupt grundlegende Fortschritte auf dem Gebiet der Humangenetik zur Darstellung zu bringen. Und darin liegt meiner Meinung nach die unbestreitbare Stärke seines neuen Buches. Denn zu dieser Thematik gibt es noch wenig populärwissenschaftliche Darstellungen. Am ehesten könnte noch Nicholas Wade's "Before the Dawn" genannt werden.
Im Kapitel 11 ab Seite 250 wird es zum Beispiel besonders interessant, wenn die Frage gestellt wird, ob es eine Zukunft der naturwissenschaftlichen Erforschung menschlicher Rassen und Völker geben wird. Und die Darstellung kommt - natürlich - zu dem Ergebnis, daß dem so sein wird, da alle derzeitigen humangenetischen Forschungen mehr oder weniger zwangsläufig darauf hinauslaufen. Hier bringt Jon Entine viele neue und nützliche Erläuterungen und Erklärungen.
Alle wichtigen Meilensteine zur Thematik werden behandelt: Die Forschungen des amerikanisch-jüdischen Anthropologen Franz Boas und seiner Schule, dann die Forschungen des italienischen Humangenetikers Luigi Lucca Cavalli-Sforza ("Human Genome Diversity Project") und schließlich von Humangenetiker Spencer Wells ("Genographic Project"). Sodann die Verkündung von führenden Humangenetikern (Francis Collins und Craig Venter) im Jahr 2000, daß man "Rasse" im menschichen Genom nicht finden würde. Und gleich darauf die Nennung und Zusammenstellung der Tatsachen und Argumente, die genau diese Behauptung als so wertlos und ganz und gar mißverständlich erkennen lassen.
Sodann wird das "Haplotype Map Project" erläutert. Und die aktuelle Einsicht der Verantwortlichen dieses Projektes, die Einsicht, die sich unter Humangenetikern weltweit ausbreitet:
"Each 'race and even ethnic groups within the races' have their own collection of diseases and specific reactions to drugs. They believe that environmental triggers for many common disorders, from cancer to asthma, that have no effect on one population group could devastate another. That's the explanation for many 'Jewish diseases'. ..." (S. 264f)Die Entdeckung des ersten Brustkrebs-Gens durch die Humangenetikerin Mary-Claire King im Jahr 1990 wird breit geschildert, wie schon erwähnt, da dieses Brustkrebs-Gen besonders unter aschkenasischen Juden weit verbreitet ist. Die Erforschung der Tay-Sachs-Erbkrankheit, die ebenfalls überdurchschnittlich unter aschkenasischen Juden verbreitet ist, wird erläutert.
Angeborene Volks- und Rasseeigenschaften psychischer Art?
Und dann wird die Frage gestellt:
"There is grudging acceptance that the founder effect and genetic bottlenecks that result in 'ethnic' diseases may also contribute to group behavioral patterns. But which traits have a strong genetic component? Although most talk about inborn psychological or behavioral traits among Jews and other groups is plain rubbish or loose speculation, maybe not all of it is."Sodann wird natürlich die schon erwähnte Cochran/Harpending-These zur "Naturgeschichte der aschkenasisch-jüdischen Intelligenz" aus dem Jahr 2005 erläutert. Und sodann werden die Forschungen des kalifornischen Psychologen Kevin MacDonald - allerdings eher in der Form einer herabsetzenden Karrikatur (siehe St. gen.) - nachgezeichnet.
Ruth, die hilfsbereite Nichtjüdin
Aber die entscheidende Neuerkenntnis für mich aus diesem Buch liegt gar nicht einmal in humangenetischen Erkenntnissen selbst, die referiert und diskutiert werden, sondern in der ganz erstaunlich anmutenden Möglichkeit einer orthox-religiös-jüdischen Interpretion derselben. Nämlich die sich abzeichnende Möglichkeit, daß etwa grob 40 % der Vorfahren der heutigen aschkenasischen Juden weltweit weibliche Mitteleuropäerinnen, sprich höchstwahrscheinlich deutsche Frauen vom Rhein (vielleicht aus der Zeit Karls des Großen - davor oder danach) waren, diese Tatsache also wird biblisch mit der Erzählung über "Ruth" religiös eingeordnet.
Ruth war laut Bibel eine Nichtjüdin, die ihrer jüdischen Schwiegermutter auch dann noch half, als die eigenen Töchter ihre eigene Mutter (sprich Ruth's Schwiegermutter) in der Gefahr schmählich im Stich ließen und das Weite suchten. Ruth hingegen half ihr sogar dann noch, als ihre Schwiegermutter sie bat, zu ihrem eigenen Volk zurückzukehren, da ihr Mann (also der Sohn der Schwiegermutter) gestorben war. Ja, Ruth ließ sich dann sogar willig an einen weiteren jüdischen Verwandten ihres ersten Mannes weiterverheiraten.
Auf dieses Tun blickte Jehova, wie es scheint, mit großem Wohlgefallen. Und alle Nachkommen von "Ruth" (immerhin 80 % der heutigen Juden) werden "deshalb" auch heute nach den neuesten humangenetischen Erkenntnissen noch als "Juden" gelten gelassen, selbst wenn sie in weiblicher Abstammungslinie nichtjüdische Gene in sich tragen und nach dem strengen orthodox-jüdischen Gesetz eigentlich als Nichtjuden gelten müßten. - Wie man sich diese nichtjüdischen Frauen vorstellen könnte, die die Gründerpopulation der aschkenasischen Juden am Rhein mitgebildet haben könnten, soll mit der Bebilderung dieses Beitrages angedeutet sein.
Jehova hat halt den Seinen doch allerhand Verstand mitgegeben, so daß sie sich auch noch durch die unglaublichsten wissenschaftlichen Neuerkenntnisse biblisch-religiös "hindurchwinden" können. - Oder war es doch der gesunde "Hausfrauenverstand" der deutschen Frauen vom Rhein gewesen, nicht der von Jehova mitgegebene? Nun, das wollen wir alles künftig noch genauer herausbekommen! ;-)
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*) Der Grund für die Auswahl der Bebilderung findet sich in den beiden letzten Absätzen dieses Beitrages genannt.
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