Ethnogenese, also die Neuentstehung eines Volkes ist - zumeist - identisch mit der Entstehung einer neuen Sprache, einer neuen Muttersprache. Das deutsche Volk entstand durch das Zusammenwachsen der germanischen Stämme östlich der Vogesen und östlich der Maas. Ihre Sprache, das (Althoch-)"Deutsche" unterschied sich um 850 n. Ztr. schon sehr deutlich von der Sprache der germanischen, fränkischen Stämme, die westlich der Vogesen lebten und ein Mischmasch von germanisch und Vulgär-Latein sprachen, das Alt-Französisch.
Hier haben sich zwei Sprachen voneinander getrennt, wobei sich die deutsche Sprache kontinuierlicher aus den germanischen Vorgängersprachen heraus entwickelte, während das Französische im Wortschatz nur noch zu etwa 20 % germanische Worte behielt.
Sprachforscher Derek Bickerton
In der Karibik und im Pazifik - etwa auf Hawai - sind in den letzten Jahrhunderten vor allem aufgrund des Sklavenhandels Menschen mit den verschiedensten Muttersprachen zusammen gekommen, haben untereinander geheiratet und praktisch neue Sprachgemeinschaften gebildet. Diese Menschen mußten sich ja auch untereinander verständigen. Und dabei sind ganz neue Sprachen entstanden, die sogenannten Pidgin-Englisch-Sprachen.
Der Sprachforscher Derek Bickerton hat nun die Entstehung dieser Pidgin-Sprachen in den letzten Jahrzehnten genauer untersucht und hat festgestellt, daß die Menschen, die am frühesten jene neue Misch-Sprache gesprochen haben, die dann die vorherrschende in der betreffenden Gesellschaft (auf der betreffenden Insel) wurde, die Kinder waren, die gemeinsam miteinander gespielt haben und dabei eine gemeinsame Sprache entwickeln mußten, um sich miteinander zu verständigen.
Die Forscher konnten am Alter der Erwachsenen und ihrer Fähigkeit, die neue Sprache zu sprechen, gut erkennen, wie sich die neue Sprache in einigen Jahrzehnten zuvor, als diese Erwachsenen Kinder waren, stufenweise weiterentwickelt hatte. Denn die Erwachsenen haben, nachdem sie dem Kindergarten- und Schulalter entwachsen waren, die schnelle Weiterentwicklung der Sprache, wie sie damals, bei der Sprachneuentstehung bei den zusammen spielenden Kindern vor sich ging, nicht mehr weiter "mitgemacht" und konnten darum - je nach Alter - die neue Sprache unbeholfener oder gekonnter, flüssiger sprechen, so wie der Stand dieser Sprachentwicklung ungefähr war, als sie dem Schulalter entwachsen waren.
Man darf von daher annehmen, daß es auch in Frankreich die zusammen spielenden Kinder der Romanen und zugewanderten Germanen waren, die die neue Sprache über mehrere Altersstufen hinweg in schnellerer Entwicklung haben entstehen lassen. Ähnlich werden auch die deutschen Stammesdialekte entstanden sein. Die germanischen Stämme der Alemannen, Bajuwaren und Franken, die von Norden her zugewandert waren, trafen ja jeweils auch auf zurückgebliebene romanisch (oder noch keltisch?) sprechende Menschen, mit denen deren Kinder zusammen gespielt haben können, wodurch die unterschiedlichen Dialekte entstanden oder zumindest "gefärbt" worden sein könnten.
Sprachforscher Mark Pagel
In einer neuen, in "Science" veröffentlichten Studie des Engländers Mark Pagel sind nun die geschichtlichen Sprachentstehungs-Prozesse in drei verschiedenen Sprachgruppen in größerem Rahmen untersucht und miteinander verglichen worden, nämlich in der indogermanischen Sprachfamilie, der Sprachfamilie der afrikanischen "Bantu"-Völker und in der austronesischen (polynesischen) Sprachfamilie. (Science 1, Interview - mpg., Text des Interviews, deutschsprachige Berichte: Die Presse, Spektr. d. Wiss., Focus)
Dabei wurden Sprach-Stammbäume wie der folgende aufgestellt und ausgewertet:
Mark Pagel kam nun zu dem Ergebnis, daß die Aufspaltung alter Sprachen in neue Sprachen, das heißt, die Sprach-Neuentstehung, sich nicht in einem über die Jahrhunderte hin gleichmäßigen, kontinuierlichen Ansammeln von immer mehr Wort-Unterschieden vollzieht, sondern daß auf Phasen schnellen Wandels längere Phasen mit wenig Veränderungen folgen. Am ausgeprägtesten fand Pagel diese Erscheinung in der austronesischen Sprachfamilie. Offensichtlich hat die Isolation auf den Inseln und der nicht allzu häufige Kontakt zwischen den Inseln sehr schnellen Sprachwandel bewirkt.
Ursachen für Sprachwandel
Pagel interpretiert seine Ergebnisse so, daß er vermutet, daß die Menschen in der Phase der Sprachneuentstehung das bewußte Bestreben haben, sich von den Menschen mit anderer Sprache abzugrenzen und dabei bewußt Unterschiede hervorheben, was zur Beschleunigung des Sprachwandels führen würde. Ich zweifele etwas daran.
Zwar sind Impulse zur Weiterentwicklung der althochdeutschen Sprache und zu ihrer Umwandlung ins Mittel- und Neuhochdeutsche - z.B. durch die Verschiebung der ich/ick- und Apfel-/Appel-Dialektgrenzen von Süden nach Norden jeweils ursprünglich ausgerechnet von der Schweiz ausgegangen (wobei "ick" und "Appel" die ursprüngliche Wortform war, "ich" und "Apfel" die "modisch-moderne" Wortform), also von einer Region, in der sogar drei Sprachen miteinander zusammen stoßen. Ansonsten ist doch aber Sprachwandel nicht etwas, was sich besonders in Absetzung von Menschen vollzieht, die eine andere Sprache sprechen, sondern eher dazu dient, Menschen, die zuvor nicht oder nur schlecht miteinander kommunizieren konnten, das zu erleichtern.
Außerdem hatte man doch auf den polynesischen Inseln keinen Anlaß, sich auch noch durch Sprache besonders von anderen Gruppen abzugrenzen, nachdem man doch durch das Meer schon genug von ihnen getrennt war?
In der Zusammenfassung der Studie werden jedenfalls neben diesem Wunsch nach Abgrenzung "Gründereffekte" angenommen, die ich für wesentlich plausibler halte. In dieser heißt es:
Hier haben sich zwei Sprachen voneinander getrennt, wobei sich die deutsche Sprache kontinuierlicher aus den germanischen Vorgängersprachen heraus entwickelte, während das Französische im Wortschatz nur noch zu etwa 20 % germanische Worte behielt.
Sprachforscher Derek Bickerton
In der Karibik und im Pazifik - etwa auf Hawai - sind in den letzten Jahrhunderten vor allem aufgrund des Sklavenhandels Menschen mit den verschiedensten Muttersprachen zusammen gekommen, haben untereinander geheiratet und praktisch neue Sprachgemeinschaften gebildet. Diese Menschen mußten sich ja auch untereinander verständigen. Und dabei sind ganz neue Sprachen entstanden, die sogenannten Pidgin-Englisch-Sprachen.
Der Sprachforscher Derek Bickerton hat nun die Entstehung dieser Pidgin-Sprachen in den letzten Jahrzehnten genauer untersucht und hat festgestellt, daß die Menschen, die am frühesten jene neue Misch-Sprache gesprochen haben, die dann die vorherrschende in der betreffenden Gesellschaft (auf der betreffenden Insel) wurde, die Kinder waren, die gemeinsam miteinander gespielt haben und dabei eine gemeinsame Sprache entwickeln mußten, um sich miteinander zu verständigen.
Die Forscher konnten am Alter der Erwachsenen und ihrer Fähigkeit, die neue Sprache zu sprechen, gut erkennen, wie sich die neue Sprache in einigen Jahrzehnten zuvor, als diese Erwachsenen Kinder waren, stufenweise weiterentwickelt hatte. Denn die Erwachsenen haben, nachdem sie dem Kindergarten- und Schulalter entwachsen waren, die schnelle Weiterentwicklung der Sprache, wie sie damals, bei der Sprachneuentstehung bei den zusammen spielenden Kindern vor sich ging, nicht mehr weiter "mitgemacht" und konnten darum - je nach Alter - die neue Sprache unbeholfener oder gekonnter, flüssiger sprechen, so wie der Stand dieser Sprachentwicklung ungefähr war, als sie dem Schulalter entwachsen waren.
Man darf von daher annehmen, daß es auch in Frankreich die zusammen spielenden Kinder der Romanen und zugewanderten Germanen waren, die die neue Sprache über mehrere Altersstufen hinweg in schnellerer Entwicklung haben entstehen lassen. Ähnlich werden auch die deutschen Stammesdialekte entstanden sein. Die germanischen Stämme der Alemannen, Bajuwaren und Franken, die von Norden her zugewandert waren, trafen ja jeweils auch auf zurückgebliebene romanisch (oder noch keltisch?) sprechende Menschen, mit denen deren Kinder zusammen gespielt haben können, wodurch die unterschiedlichen Dialekte entstanden oder zumindest "gefärbt" worden sein könnten.
Sprachforscher Mark Pagel
In einer neuen, in "Science" veröffentlichten Studie des Engländers Mark Pagel sind nun die geschichtlichen Sprachentstehungs-Prozesse in drei verschiedenen Sprachgruppen in größerem Rahmen untersucht und miteinander verglichen worden, nämlich in der indogermanischen Sprachfamilie, der Sprachfamilie der afrikanischen "Bantu"-Völker und in der austronesischen (polynesischen) Sprachfamilie. (Science 1, Interview - mpg., Text des Interviews, deutschsprachige Berichte: Die Presse, Spektr. d. Wiss., Focus)
Dabei wurden Sprach-Stammbäume wie der folgende aufgestellt und ausgewertet:
Mark Pagel kam nun zu dem Ergebnis, daß die Aufspaltung alter Sprachen in neue Sprachen, das heißt, die Sprach-Neuentstehung, sich nicht in einem über die Jahrhunderte hin gleichmäßigen, kontinuierlichen Ansammeln von immer mehr Wort-Unterschieden vollzieht, sondern daß auf Phasen schnellen Wandels längere Phasen mit wenig Veränderungen folgen. Am ausgeprägtesten fand Pagel diese Erscheinung in der austronesischen Sprachfamilie. Offensichtlich hat die Isolation auf den Inseln und der nicht allzu häufige Kontakt zwischen den Inseln sehr schnellen Sprachwandel bewirkt.
Ursachen für Sprachwandel
Pagel interpretiert seine Ergebnisse so, daß er vermutet, daß die Menschen in der Phase der Sprachneuentstehung das bewußte Bestreben haben, sich von den Menschen mit anderer Sprache abzugrenzen und dabei bewußt Unterschiede hervorheben, was zur Beschleunigung des Sprachwandels führen würde. Ich zweifele etwas daran.
Zwar sind Impulse zur Weiterentwicklung der althochdeutschen Sprache und zu ihrer Umwandlung ins Mittel- und Neuhochdeutsche - z.B. durch die Verschiebung der ich/ick- und Apfel-/Appel-Dialektgrenzen von Süden nach Norden jeweils ursprünglich ausgerechnet von der Schweiz ausgegangen (wobei "ick" und "Appel" die ursprüngliche Wortform war, "ich" und "Apfel" die "modisch-moderne" Wortform), also von einer Region, in der sogar drei Sprachen miteinander zusammen stoßen. Ansonsten ist doch aber Sprachwandel nicht etwas, was sich besonders in Absetzung von Menschen vollzieht, die eine andere Sprache sprechen, sondern eher dazu dient, Menschen, die zuvor nicht oder nur schlecht miteinander kommunizieren konnten, das zu erleichtern.
Außerdem hatte man doch auf den polynesischen Inseln keinen Anlaß, sich auch noch durch Sprache besonders von anderen Gruppen abzugrenzen, nachdem man doch durch das Meer schon genug von ihnen getrennt war?
In der Zusammenfassung der Studie werden jedenfalls neben diesem Wunsch nach Abgrenzung "Gründereffekte" angenommen, die ich für wesentlich plausibler halte. In dieser heißt es:
Linguists speculate that human languages often evolve in rapid or punctuational bursts, sometimes associated with their emergence from other languages, but this phenomenon has never been demonstrated. We used vocabulary data from three of the world's major language groups—Bantu, Indo-European, and Austronesian—to show that 10 to 33% of the overall vocabulary differences among these languages arose from rapid bursts of change associated with language-splitting events. Our findings identify a general tendency for increased rates of linguistic evolution in fledgling languages, perhaps arising from a linguistic founder effect or a desire to establish a distinct social identity.Auf "Science" gibt es auch ein Interview mit Mark Pagel als frei verfügbare mpg.-Datei. In diesem werden die Analogien zur allgemeinen Evolution der biologischen Arten erörtert, ein spannendes Thema, das ich zu anderer Gelegenheit noch einmal aufgreifen will. Hier aber doch die sehr interessante geschriebene Fassung:
Host -- Robert Frederick
Punctuational evolution, or evolution in bursts, is a contentious idea because the fossil record indicates that evolution appears to be a slow and gradual process. In a paper published by Science two years ago, Mark Pagel and colleagues used statistical techniques to show that about 20% of substitutional changes at the DNA level can be attributed to punctuational evolution. In research published in this week's Science, Pagel and colleagues have applied this same statistical technique to languages, and show that languages also evolve in punctuational bursts. I spoke with Pagel from his office at the University of Reading.
Interviewee -- Mark Pagel
What we’ve discovered is that languages evolve in rapid bursts rather than smoothly or gradually over time. We’ve discovered that at the time of language-splitting events, when new languages are formed, that languages go through a period in which they acquire new vocabulary at a rapid rate, and then they settle down to a more gradual form of evolution over longer periods of time. We think it’s important because we often think of language as merely a tool of communication. But what these rapid bursts of evolution suggest is that at the time of language-splitting events, the speakers of new languages may wish to establish their identity in some way, and then they do so by changing their vocabulary.
Interviewer -- Robert Frederick
How did you measure these changes these “bursts” as you call them?
Interviewee -- Mark Pagel
Punctuational evolution, you know, has been a kind of hugely controversial idea in evolution and very divisive for the last, oh, 30-some years. And really the breakthrough was that we figured out a kind of statistical methodology for detecting these bursts of change in these structures we call phylogenies, phylogenetic trees, like family trees. And when you can do those kinds of things, you can detect these ancient historical signatures. So that’s what’s allowed us to do this really. It’s just bringing a new mathematical statistical methodology to the area.
Interviewer -- Robert Frederick
And you’re talking about language here?
Interviewee -- Mark Pagel
Yeah, so, we’re all quite happy to talk about species evolving in a hierarchical fashion, you know, decent with modification, and that leads to these things we call phylogenies or genealogies, family trees. And then it’s been an interest of mine over the last, oh golly, 20 years or so, to treat language as a discreet, evolving system like genes. And we’ve been pretty successful in being able to reconstruct phylogenies of language groups on the basis of vocabulary change, just as one might use genes to reconstruct family trees of species. And then you can just bring this whole methodology to linguistic phylogenies that you might use to study animal phylogenies. The parallel paper to this, it’s sited in this little brevia, is the one we published in Science in October of 2006. And we apply this same methodology to about 125 or so organismal trees: fungi, plants, and animals. Ant that for the big breakthrough was for the punctuational crowd, showing that it could happen, and then my interest was to take it on to the languages because it’s been a kind of
long-standing interest of mine.
Interviewer -- Robert Frederick
And in all the languages that you studied, how many had changed in this bursting way?
Interviewee -- Mark Pagel
I think that’s what surprised us was that we estimate that somewhere between about 10 and 30% of the vocabulary differences among the languages--now these are differences that have arisen over centuries, and in some cases millennia--we estimate that about 10 to 30% of all those vocabulary differences arise at or around the time of these languagesplitting events. So it’s really a rather large effect. And surprisingly to us--and it compares favorably to work that we’ve done on genetic evolution and animal species--we also found there that speciation in animal species is also a time of rapid genetic divergence, and we estimate maybe around 20% of genetic divergence can be attributed to speciation events.
Interviewer -- Robert Frederick
Now other than just the words changing, what about other changes in language, like how words and parts of words sound, or how new words are formed, or how words are arranged in sentences?
Interviewee -- Mark Pagel
It’s almost certainly going to be the case that things like the morphology of a language or the phonology of a language or the syntax of a language, almost certainly those things will show the effects that we’ve identified for lexical items, for vocabulary items. We can’t say that they do, we’ve only studied lexical items, but it will probably be the case that other things get rearranged as well. That would be our expectation.
Interviewer -- Robert Frederick
Is that your next step then, in this research?
Interviewee -- Mark Pagel
We’ve got a lot of things that we’re pursuing. It’s far more difficult to get information on some of these other things -- morphology and phonology. But it is one of the things we’ll be following up.
Interviewer -- Robert Frederick
Mark Pagel, thank you very much.
Interviewee -- Mark Pagel
Thank you.
Host -- Robert Frederick
Mark Pagel is senior author of "Languages Evolve in Punctuational Bursts." Read all about it in this week's Science.
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