Auf dem Blog von Michael Blume hat sich eine interessante kleine Diskussion zur deutschen nationalen Identität ergeben (unter dem Titel "Deutschland - eine NS-Vergleiche"). *)
"Unser Land" - ein Abstraktum?
Wissenschaftsblogger Lars Fischer schrieb dort unter anderem:
Identitätsbildung ist ein langfristiger Prozess, und die (neu-)Bildung der "deutschen" Identität hat erst 1990 wirklich begonnen. (...)"Goethe, Lessing, Kant & Co. nicht den Dummköpfen überlassen"
Was dabei rauskommt kann man jetzt natürlich noch nicht sagen. Erfreulicherweise dürfte es auch auf etwas anderes hinauslaufen als die gängigen Feindetotschlag-Feiertage in anderen Ländern. Möglicherweise wird Deutschland als solches deswegen nie mehr eine nationale Identität entwickeln.
Wozu auch? Das mag zwar "für die Zukunft unseres Landes" wichtig sein, aber "unser Land" ist ein Abstraktum, das für die konkreten Menschen im Ernstfall eher zweitrangig ist ...
Darauf antwortete Michael unter anderem, es komme
entscheidend darauf an, dass die demokratische Mitte der Gesellschaft sich die symbolische Bedeutung und Definition von Heimat, Geschichte, Identität, Vaterland etc. nicht entwinden läßt. Deutschland, seine Sprache, Leistungen, Denker etc. sollten wir nicht den Dumpfköpfen überlassen, die Goethe, Lessing, Kant & Co. vor lauter Suff und Hass meist nicht einmal buchstabieren können. (...)
Wenn wir uns darum herumdrücken, Heimat positiv zu leben und zu erzählen - wie kann dann eine gemeinsame Identität entstehen. Aus der Begeisterung um die Fussball-WM ist mir vor allem der erleichterte Seufzer deutsch-ausländischer Freunde im Gedächtnis geblieben: "Endlich mögen sich die Deutschen mal selbst - dann kann ich endlich auch dazu gehören."
Und darauf hin schrieb ein Dmitrij Pliner:
Eine interessante Frage ist, wie definiert man die eigene Identität, die man mit einer Gruppe teilt? Über die gemeinsame Vergangenheit oder gemeinsame Gegenwart?
In langen Gesprächen erklärte Werner Heisenberg Nils Bohr, mit welcher Einstellung die Deutschen 1914 in den Krieg gezogen sind (siehe sein Buch "Der Teil und das Ganze - Gespräche im Umkreis der Atomphysik").
Ein gemeinsames "emotionales Fundament"?
Offensichtlich sieht er bezüglich vieler Menschen in Deutschland heute eine gemeinsame Gegenwart, nicht aber eine gemeinsame Vergangenheit. Michael weiß darauf aber scheinbar auch keine rechte Antwort. Er schreibt:
Ich würde sagen: immer beides. Denn schon der Terminus "gemeinsam" verweist ja auf Verbindungen, die (auch) in der Vergangenheit bestanden.Ja? Und welche wären das? - Und weiter sagt er:
Mir ist keine, bedeutendere politische Körperschaft bekannt, die ohne zivilreligiöse Mythen, Rituale, Feiertage etc. ausgekommen wäre. Wo diese Klammern schwach bleiben (z.B. Belgien), drohen sie irgendwann auseinander zu brechen. Und schon aus demografischen Gründen nimmt die Vielfalt hierzulande stark zu - und so stellt sich die Frage, ob wir ein gemeinsames Haus auch mit emotionalem Fundament werden errichten können...Deutsches Nationalgefühl ist zum Teil anders als das der Franzosen, Briten und Amerikaner
Jedenfalls gab ich dann - unter anderem - folgenden Senf dazu:
Ist es nicht so, daß wenn man als Deutscher anfängt, seine eigene nationale Identität positiv zu bewerten, man wie in ein minen-verseuchtes Gelände kommt, wo man sich gar nicht mehr traut, irgendwo einen Fuß hinzusetzen?
Ich habe es Anfang 1990 auf einer CDU-Wahlveranstaltung in Weimar mit großer Überraschung erlebt, wie leicht (westliche) Politiker, auch solche, von denen man es im Westen nie erwartet hätte, auf der "nationalen Welle" schwimmen können. Und zwar jede Art von Politiker, das hat mich so gewundert. Nationale Gefühle auszulösen ist für einen Politiker unglaublich einfach. Und man ist als Zuhörer in einer größeren Menge in einer politischen Versammlung sehr leicht geneigt, auf "nationales Schwadronieren" zu reagieren und mitzugehen. Und mehr noch: Ich hatte das sichere Gefühl: All diese Politiker wissen das. Sie setzen das sehr bewußt bei ihren Reden ein - oder eben auch nicht.
Jedenfalls wird dieses "leichte Ansprechen" der Hauptgrund sein, weshalb auf diesem Gebiet überall Tretminen ausgelegt sind. Das Nationalgefühl von uns Deutschen ist auch - schon geschichtlich - ein ganz anderes als das der Franzosen, der Briten, der Nordamerikaner. Ich bin mit dem Philosophen Fichte ("Reden an die deutsche Nation") oder mit Heinrich Heine ("Über Religion und Philosophie in Deutschland") der Meinung, daß wir Deutschen allein aufgrund unserer Sprache "dichter dran sind" an bestimmten Arten von Religiosität (und Philosophie) als andere, westliche Völker. Wir sind leicht geneigt, unser Heimatgefühl zu einer irrsinnig gewaltigen Religion hochzupuschen. Jedenfalls viel leichter als die westlichen Völker.
Die Briten - z.B. - sind leichter geneigt, aus dem Darwinismus eine Religion zu machen. Das würde uns Deutschen - in der Selbstverständlichkeit, in der es dort geschieht - wohl nie in den Sinn kommen. Einen Richard Dawkins, einen William D. Hamilton, einen Charles Darwin und wie sie alle heißen mit all ihrem "pragmatischen Denken" kann man sich in Deutschland gar nicht vorstellen. Das ist eine Stärke und eine Schwäche, jeweils auf beiden Seiten in unterschiedlicher Weise. Idealerweise würden sich beide Völker dann ergänzen, statt jeweils nur die Schwäche des anderen zu sehen.
Denn ich bin der tiefen Überzeugung, daß (auch) dieser einzigartige "deutsche Geist" von dieser Welt nicht verschwinden darf. Dazu muß man ihn aber als Deutscher erst einmal leben. Und das ist - schon wegen der vielen Tretminen - schwer genug.
Erläuterung der 1925 auf Helgoland entdeckten Heisenberg'schen Unbestimmtheits-Relation in Kurzform:
"Nein, Herr Polizist, ich weiß nicht, wie schnell ich gefahren bin. Aber ich weiß
genau, wo ich bin." (Werner Heisenberg bei einer Verkehrskontrolle)
"Nein, Herr Polizist, ich weiß nicht, wie schnell ich gefahren bin. Aber ich weiß
genau, wo ich bin." (Werner Heisenberg bei einer Verkehrskontrolle)
- Darauf käme es wohl an: Auch dann, wenn man geistig "schnell fährt", noch genau zu wissen, wo man ist. Werner Heisenberg war ein zutiefst religiöser und philosophischer Mensch, der geistig "schnell fahren" konnte. Und er wußte deshalb auch auf Fragen der deutschen Nationalgefühls tiefer ausgelegte Antworten zu geben, als sie gemeinhin gegeben und erörtert werden. Werner Heisenberg übrigens entstammte ebenfalls der Jugendbewegung und fühlte sich ihr verbunden. (Siehe voriger Beitrag und ebenfalls das genannte Buch "Der Teil und das Ganze".)
*) Da für mich der Atomphysiker Werner Heisenberg im 20. Jahrhundert sehr vorbildlich deutschen Patriotismus gelebt hat, was man in seinem Buch "Der Teil und das Ganze" genauer nachlesen kann, habe ich diesen Beitrag mit einigen Bildern von ihm illustriert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen