Samstag, 27. Januar 2007

Menschliche IQ-Evolution

Auf einen Leserbrief bei "Spektrum der Wissenschaft" hat der Autor dieser Zeilen eine Zuschrift erhalten hinsichtlich des Themas IQ-Forschung. Diese ist folgendermaßen beantwortet worden:
... Fast hätte es mich gewundert, wenn es zu diesem Inhalt meines Leserbriefes keine Reaktion gegeben hätte. Schließlich hat dieses Thema Steven Pinker das "gefährlichste Thema der nächsten zehn Jahre" genannt. Ich bin selbst in der Intelligenz-Forschung gar nicht zu Hause und habe erst in letzter Zeit ein größeres Interesse dafür entwickelt. Das Interesse kam daher, daß ich feststellte, daß WENN man von einer starken Erblichkeit der Intelligenz ausgeht (jener Intelligenz wie sie in Intelligenz-Tests seit 100 Jahren gemessen wird), daß dann plötzlich sehr viele ansonsten sehr widersprüchliche Tatbestände sich in ein überraschend großes und einheitliches Bild von Humanevolution einfügen. Und soweit ich die Literatur überblicke, stellt sich diese Überraschung derzeit bei immer mehr Wissenschaftlern und Journalisten ein - eben auch bei Steven Pinker oder bei NYT-Journalist Nicholas Wade in seinem neuen Buch "Before the Dawn". Auch der Berliner Psychologe Jens Asendorpf ist in der Neuauflage seines Lehrbuches "Psychologie der Persönlichkeit" bereit, eine starke Erblichkeit von Intelligenz zustimmend zu behandeln. Soweit ich die verhaltensgenetische Literatur dazu überblicke, herrscht daran eigentlich auch gar kein Zweifel mehr. Das hat sich ja vor allem aus der Zwillingsforschung ergeben.

Für mich waren zum Beispiel solche Dinge frappierend: Die nordamerikanischen Schwarzen leben seit mehreren hundert Jahren in Nordamerika und haben immer "noch" nur einen durchschnittlichen IQ von 85. Die aschkenasischen Juden sind größtenteils erst in den letzten hundert oder hundertfünfzig Jahren in die USA eingewandert und haben oder hatten "sofort" einen IQ von 115. Bei den in den USA lebenden Ostasiaten ist diese Erscheinung noch ausgeprägter. Wo immer auch Ostasiaten leben, in den USA, in China, in Australien, als Bauern oder in der Stadt haben sie einen durchschnittlich höheren IQ als Weiße. Schon all diese Dinge deuten für mich auf starke Erblichkeit hin. Was mich aber noch mehr frappierte, ist, daß die Schwarzen in Afrika einen noch niedrigeren IQ haben als in den USA. Nun könnte man sagen: Aha, DOCH umweltbedingt. Pustekuchen. Inzwischen ist bekannt, daß zwanzig Prozent der GENE der nordamerikanischen Schwarzen europäisch sind. So einfach lösen sich die Dinge. Ähnlich scheint es auszusehen mit dem vergleichsweise hohen IQ der Inuit - die haben offenbar Gene von den Wikingern oder Norwegern. Usw. usw. usf..

All das wird deshalb heute so überzeugend, weil sich eine solche Evolution des IQ ganz nahtlos in das einfügt, was wir auch sonst von der Evolution menschlicher Erbmerkmale derzeit immer genauer lernen, also solcher Erbmerkmale wie Haut-, Haar-, Augenfarbe, Rohmilch-Verdauungs-Fähigkeit, Malaria-Resistenz, Häufigkeiten von bestimmten Erbkrankheiten in bestimmten Populationen, ADHS-Häufigkeit und vieles andere mehr: Überall sieht man, daß die Evolution weitergegangen ist nach der Menschwerdung und auch heute noch weitergeht, und daß die jeweilige Häufigkeit von phyischen oder psychischen Erbmerkmalen geschichtliche Ursachen hat. Warum also soll das ausgerechnet bei einem so wichtigen Merkmal wie IQ nicht passiert sein? Am besten zusammenfassend behandelt ist diese neue Sicht auf Humanevolution für mich bislang in dem Buch "Human Evolutionary Genetics" von Mark Jobling und Mitarbeitern (2004) (besonders in den hinteren Kapiteln).

Ich glaube, die Motive für den Widerstand gegen solche Einsichten liegen (neben den bekannten zeitgeschichtlichen Erfahrungen) darin begründet, daß man dem Intelligenz-Quotienten in Bezug auf "Wert" als Mensch sehr leicht geneigt ist, zu viel Bedeutung beizulegen - auch heute noch. Aber da wird es dann meiner Meinung nach sinnvoll, sich klarzumachen, daß IQ nicht alles ist. Im Gegenteil: Oft hat man doch das Gefühl, daß traditionell lebende Jäger-Sammler-Völker ein weitaus menschenwürdigeres Leben führen als all diese hochintelligenten Gesellschaften wie jene, in denen wir selbst leben. Mehr Empathie, mehr Rücksichtnahme, mehr Natürlichkeit, Naturverbundenheit, Freundlichkeit, Arglosigkeit. Will also sagen: IQ-Evolution heißt NICHT moralischer "Fortschritt". Ich würde es sowieso für sehr zweifelhaft ansehen, ob auf dem Gebiet menschlicher Moral ganz grundsätzlich "Evolution" möglich ist oder geschieht. Steven Pinker diskutiert auch das neuerdings und meint, insgesamt würden die Menschen im Laufe der Evolution weniger gewalttätig werden. (Aber er spricht auch von Rückfällen in dieser Entwicklung ...) Es wird, wie ich denke, ganz einfach so sein: Arbeitsteilige Gesellschaften benötigen zu ihrer Aufrechterhaltung einen höheren durchschnittlichen IQ derer, die in ihr leben. Und deshalb haben sie mehr oder weniger ganz unbewußt auf einen solchen höheren IQ selektiert - genauso wie bei der Fähigkeit zur Rohmilch-Verdauung usw. usf..

Aber ist ein reicher Mensch nur deshalb, weil er reich ist, ein "besserer" Mensch? Oder deshalb, weil er Rohmilch verdauen kann? Meist ist doch leider eher das Gegenteil der Fall.

Mit freundlichen Grüßen,

I. Bading

PS: Inwieweit der IQ durch Training und andere Umwelteinflüsse erhöht oder erniedrigt werden kann, ist, soweit ich sehe, in der Forschung noch sehr umstritten. Wohl vor allem in Jugendzeiten scheint das noch "plastischer" zu sein, während sich die Erbkomponente in späterem Lebensalter stärker durchsetzt. Ich kann mich da in die Details gar nicht einmischen. Mir ging es nur darum, klar zu machen, daß eben heute auch andere Standpunkte und Sichtweisen in der Forschung vorhanden sind und sehr schnell an Boden gewinnen, die - soweit ich sehe - recht viel an Plausibilität für sich haben.

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