Mittwoch, 31. Januar 2007

Lernen und Genetik - keine Gegensätze per se

Der jüngste Beitrag von Eckart Voland in seiner Soziobiologie-Reihe in der FAZ ist ganz hervorragend. Er befaßt sich mit dem Irrtum, daß (individuelles) Lernen das Gegenteil von Genetik wäre. Die Schlußsätze lauten stattdessen:

... Zusammenfassend lässt sich also mit guten Gründen argumentieren, dass die Unterscheidung zwischen „evolutionär und deshalb biologisch“ auf der einen Seite und „erlernt und deshalb kulturell“ auf der anderen Seite so gar nicht aufrechterhalten lässt. Die wirklich spannende Frage ist vielmehr, worauf Leda Cosmides und John Tooby immer wieder hinweisen, welche Lernprozesse aus welchen Gründen von der natürlichen Selektion hervorgebracht worden sein könnten. Man sollte sich also nicht täuschen: Lernen befreit keineswegs von dem evolutionären Schatten der Vergangenheit. Im Gegenteil: Lernen exekutiert den biologischen Imperativ auf eine ganz besondere Weise.Der Irrtum liegt auf der Hand. Er besteht darin, Lernen mit Offenheit gleichzusetzen und Kultur als etwas Naturfernes zu deuten. Gerade in seiner Kultur zeigt sich des Menschen Natur. Und sie mögen außergewöhnlich lernfähig sein, aber dass Menschen deshalb belehrbar wären, heißt das nicht. Das ist im Kern die Auffassung der Soziobiologie.

Und hier einige der zuvor aufgeführten Belege für diese These:

Nehmen wir beispielhaft den Spracherwerb. Die Muttersprache entwickelt sich im Normalfall gleichsam automatisch, das heißt ohne bewussten Aufwand in dem dafür vorgesehen Zeitfenster der ersten Lebensjahre. Das Erlernen einer Zweitsprache in späteren Lebensjahren ist ungleich schwieriger. Die Intonation der erlernten Fremdsprache erreicht niemals ganz die Authentizität der Muttersprache. Welche der rund 5000 Sprachen dieser Welt man erwirbt, ist freilich vom Zufall der Geburt abhängig und biologisch vollkommen bedeutungslos. Es geht ja um eine Verständigung innerhalb der eigenen Sprachgemeinschaft.

Wie neuere Untersuchungen vermuten lassen, werden neben der Sprache auch Aspekte der Gruppen- und Sexualmoral, Nahrungspräferenzen, der Umgang mit Zeit und Risiken, Landschafts- und Heimatliebe, Kinderliebe, Geschlechtsstereotypen, Einstellungen zum Inzest und anderes mehr auf eine vergleichbare, prägungsähnliche Art und Weise gelernt. Prägung wird modern verstanden als Bestätigung bereits vorhandenen Wissens. So gesehen ist Lernen ein biologisch strategisches, eigen-interessiertes Einjustieren der eigenen Persönlichkeit auf den je vorfindlichen Lebenskontext. Technisch formuliert ist es ein Auffüllen von neuronalen Programmen mit externer Information.

Hervorhebung durch mich, I.B.. Hier fehlt vielleicht noch die Nennung der Tatsache, daß durch Muttersprache auch sehr stark Wahrnehmung gelenkt und gesteuert wird, daß also auch diese früh geprägt wird. - Und sogar die Philosophie Immanuel Kants erhält eine völlig neue - sehr einfache - Deutung, worauf wohl auch als einer der erstenKonrad Lorenz (der Entdecker des verhaltensbiologischen Phänomens der Prägung) hingewiesen hatte:

Das bedeutet, dass der lernende Mensch schon im Voraus genau „wissen“ muss, wie er mit der Information aus seiner Umwelt umzugehen hat. Aber das hatte uns ja bereits Kant gelehrt, der aus erkenntnistheoretischen Erwägungen heraus zwingend den Schluss gezogen hat, dass Menschen über „angeborene Apriori“ des Weltzugangs verfügen müssen, weil sonst keine Erkenntnis, kein Lernen möglich wäre.

Die Kantschen Apriori lassen sich heutzutage als evolutionär angepasste, modulare Gehirnfunktionen neu beschreiben. Aus alledem folgt: Man lernt nur, was man lernen soll. „Soll“ ist hier natürlich evolutionär gemeint: Man lernt nur, wozu man in langen Evolutionsprozessen eingerichtet wurde, dass man es lernt.

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