Mittwoch, 24. Januar 2007

Vorgestellt: Bildhauer Berthold Müller-Oerlinghausen (1893-1979)

Bei der Bildersuche zu einem Artikel auf meinem alten Blog, stieß ich auf folgenden Künstler:



Berthold Müller-Oerlinghausen
"Der alte Mann und das Meer".

1953



Berthold Müller-Oerlinghausen
Italienischer Junge mit Esel (Eselchen, Knabe mit Eselchen, Junge mit Esel) .

1936



"Harmonie"

(aufgestellt in Oerlinghausen)

Eine aufregende Biographie:
Dem 1893 geborenen Sohn eines Leinenweberei-Besitzers in Oerlinghausen im Teutoburgerwald war zum Künstler nicht mehr mitgegeben als das allgemeine jedoch starke Interesse einer wohlhabenden Provinz-Familie der Jahrhundertwende an den Künsten und - allerdings - ein unbändiger Drang, mit seinen Händen Tiere und Menschen plastisch zu formen. Noch während seiner Gymnasialzeit in Bielefeld wird dieser ihm zum Beruf an der dortigen Kunstgewerbeschule unter Hans Perathoner. Diesem 1872 geborenen südtiroler Bildhauer mit Münchner-Akademie-Ausbildung folgte BMO nach dem Abitur 1914 an die Kunstgewerbeschule Charlottenburg nach Berlin. Figur und religiöse Inhalte verdankt BMO ihm. Ein erstes Mal wird das Künstlerleben am Beginn seines dritten Jahrzehntes gebrochen: Kriegsdienst in Rußland und Frankreich bis 1918.

(...)

Den Zweifeln seiner, der "verlorenen" Generation setzen BMO und seine Kollegin Jenny Wiegmann (1895 Spandau - Berlin 1969), die im folgenden Jahr heiraten, die Wahrheiten der östlichen und westlichen Religionen entgegen. Reisen in das frühe Christentum nach Rom und Ravenna sowie in das mönchische Leben nach Ettal und Maria Laach führen für das junge Bildhauer-Ehepaar 1921 zur Konversion zum katholischen Glauben und in den folgenden Jahren zur gemeinsamen Errichtung und Ausstattung einer ersten kleinen katholischen Kirche im Geburtsort von BMO.

BMO und Jenny Wiegmann versuchten die Erneuerung der katholisch-kirchlichen Kunst aus dem Geist der frühchristlich-spätantiken Formen, mit denen sie ihre Antonius-Kapelle in Oerlinghausen ausstatten und die auch in der Fassadengestaltung von St. Elisabeth in Essen im Jahre 1926 noch wirksam sind. Die lebensgroße Kreuzigungs-Gruppe des folgenden Jahres für Dominikus Böhms Bibliothek in der katholischen Sonderschau der Pressa in Köln zeigt jedoch eine souverän beherrschte Expressivität unserer Moderne, welche BMO zu Ende der 20er Jahre lyrisch zu verfeinern imstande ist. Unter den zahlreichen Kirchenausstattungen dieser Jahre, oft einschließlich farbiger Glasfenster, muß vor allem das sieben Meter hohe Kruzifix für Hans Herkommers St. Antonius-Kirche in Schneidemühl im Jahre 1929 hervorgehoben werden. Das christliche Thema bleibt zentrales Anliegen und Aufgabengebiet im Werk von BMO, das Porträt - zunächst und besonders - tritt hinzu, dann auch der Akt und der griechische Mythos sowie literarische Themen und Szenen des täglichen Lebens.

(...)

Seine Reife erlang BMO nach einem längeren Arbeitsaufenthalt in Avignon im Jahre 1930. Noch einmal nahm der Süden dort seinen Einfluß auf ihn, diesmal in sensueller voller Weiblichkeit, in südlicher Leichtigkeit liebend gesehen. Nach Berlin zurückgekehrt entstehend die realistischen Darstellungen des Aktes in "Nudi", des großen Zweifels in "Christi Angst am Ölberg", des menschlich-religiösen Dramas in "Joseph und Potiphars Weib" sowie in "Loth und seine Töchter", die das große Unverständliche disputierenden beiden "Jünger auf dem Wege nach Emmaus", die für die sich wohlverhaltenden so schwer zu ertragende und doch so notwendige große Versöhnung in "Der Verlorene Sohn". Vor der Machtergreifung ergab sich noch eine umfassende Kirchen-Ausstattung in der Heilig-Geist-Kirche in Berlin, die 1933 ausgeführt aber im Sinne der veränderten politisch-kulturellen Situation schon bald von den Steyler Patres zerstört und durch Kitsch ersetzt wurde.

BMO war vom Bösen unserer Zeit erreicht worden, jedoch sogleich als ihr Opfer. Obwohl durchaus mit genehmen stilistischen Mitteln arbeitend erlag er der großen Versuchung der enormen neuen Aufgaben für die Bildhauer im Dritten Reich, die an seine Berliner Kollegen vergeben wurden, nicht, zu ehrlich war seine Kunst als daß Sie sich hätte hohlem Pathos verschreiben können. Im Gegenteil, die realistische Analyse der Köpfe seiner Zeit setzt BMO in seinen Porträts fort, thematisch flieht er - von der Kirche enttäuscht - in den griechischen Mythos, dorthin, wo seine geliebte Musik wirksam war: Orpheus und Eurydike gehen ihrem unerbittlichen und doch selbstverschuldeten Schicksal entgegen (1938), nur die Leier bleibt tröstlich und ewig. Auf "Orpheus und die Tiere" folgt dann 1941 "Orpheus Klage", letzte Möglichkeit einer Aussage für BMO. 1939 hatte er in der "Harmonie" und den Akten der folgende Jahre sich künstlerisch bereits in die Schönheit des weibliche Körpers bei glätter und abstrakter werdenden Oberflächen geflüchtet, beruflich schuf er sich - weil weder Kirche noch Staat als Auftraggeber mehr für ihn in Frage kamen - einen Ausweg in einer großen Mosaikwerkstätte, die er nach 1945 in Kressbronn wiederaufbaute. Sie führte Mosaiken aus, nur selten nach den Entwürfen BMO's meist nach Entwürfen anderer Künstler. 1940 übersiedelt BMO nach Kressbronn am Bodensee. Das beibehaltene Atelier in Berlin wird 1944 mit zahlreichen Werken und Modellen völlig zerstört. Das Künstlerleben war auf seinem Höhepunkt ein zweites Mal gebrochen.

Nach Kriegsende 1945 widmet sich BMO mit großem Engagement dem kulturellen Wiederaufbau in Südwestdeutschland, organisiert zahlreiche Ausstellungen. Trotz Material-Mangels entstehen erste neue Skulpturen. Notgedrungen greift er wieder auf seine früheste Technik, die Holzskulptur zurück so in "Flucht aus der brennenden Stadt", wohl unter dem Eindruck der Zerstörung Dresdens 1945 konzipiert. Neben der beruflichen Tätigkeit in den Mosaikwerkstätten entsteht in den 50er und 60er Jahren ein freies bildhauerisches Werk und zahlreiche bedeutende Auftrags-Arbeiten, in denen BMO die Summe aus seinen Erfahrungen zieht. Der gerade erstellte Werkkatalog umfaßt mehr als 550 Nummern. Er soll im kommenden Jahr im Zusammenhang einer großen Monographie publiziert werden. Er zeigt, daß BMO auch der letzten großen Versuchung - wie so vielen zuvor - dejenigen der Abstraktion in den 50er Jahren widerstand, immer dem Menschen treu und seinem Bild verpflichtet.

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