Donnerstag, 25. Januar 2007

Zielgerichtetheit der Evolution?

In der Oktober-Ausgabe von "Current Biology" hat der bekannte Paläontologe Simon Conway Morris (geb. 1951) (Wiki) einen "Quick guide" zum Thema "Evolutionäre Konvergenz" geschrieben (1). Das ist ja das Thema seines umfassenden Buches "Life's Solution - Inevitable Humans in a Lonely Universe" gewesen, in dem er für den Gedanken von einer Zielgerichtetheit der Evolution argumentiert. Richard Dawkins hat dieses Buch sehr positiv aufgenommen. Da wird es sinnvoll sein, noch mal den kurzen Überblick zu lesen, den Conway Morris hier gibt (1):

Was ist Konvergenz? Denken Sie an Ihr Auge und das eines Oktopus. Beide basieren auf dem Kameraprinzip, doch Sie sind eng mit einem Seestern verwandt, während der Oktopus ein enger Vetter der Auster ist. Der gemeinsame Vorfahr von Ihnen und dem Oktopus lebte vor etwa 550 Millionen Jahren und besaß höchstens einen einfachen Augenfleck. Wirbeltiere und Weichtiere sind hinsichtlich der Augen zu derselben Lösung gelangt und haben damit gleichermaßen erfolgreich Probleme wie die Korrektur der sphärischen Aberration gelöst. Kameraaugen sind eine brillante Erfindung der Evolution, und so überrascht es nicht, daß sie konvergent in mindestens fünf weiteren Gruppen entstanden, darunter auch bei den Würfelquallen. Und noch etwas haben diese Gruppen gemeinsam: Mit Ausnahme einiger Schnecken, die „Landschaftskünstler“ sind (nun ja, sie sind geschickt darin, sichere Wege auf Salzwiesen zu finden), sind alle schnelllebig, räuberisch und weisen eine interessante Tendenz zur Intelligenz auf.
Aber basieren nicht alle Kameraaugen auf dem berühmten Pax-6-Gen? Ja, aber auch Facettenaugen sind betroffen, und sie haben sich mindestens viermal unabhängig voneinander entwickelt. Pax-6 wurde mit ziemlicher Sicherheit aus einer primitiveren Rolle bei der Entwicklung der vorderen Sinnesfelder rekrutiert. Das erklärt, warum dieses Gen auch in Nase, Gehirn und Speicheldrüsen exprimiert wird. Man bedenke auch, daß Fadenwürmer zwar keine Augen haben, aber Pax-6 besitzen. Zu behaupten, ein Gen wie Pax-6 „macht“ ein Auge, ist eine Vereinfachung: notwendig, aber nicht ausreichend.
Ist Konvergenz nicht offensichtlich? Erzählen Sie das dem berühmten viktorianischen Naturforscher Henry Bates. Im Amazonasgebiet jagte er Kolibris und schoß - so umfassend sein Wissen auch war - regelmäßig versehentlich Schwärmer ab. Die Einheimischen behaupteten, Motten könnten sich in Vögel verwandeln; albern, aber verständlich, denn die Konvergenz ist nicht nur hinsichtlich Körperform und Flugdynamik bemerkenswert, sondern auch hinsichtlich ihres ähnlichen Energiehaushalts.
Sagten Sie „bemerkenswert“? Seltsam, nicht wahr, aber wenn Biologen Konvergenz beschreiben, verwenden sie fast immer Worte wie „auffallend“, „erstaunlich“, „umwerfend“, „unheimlich“ und, ja, „überraschend“. Warum? Wir sind uns doch alle einig, daß Organismen funktionieren müssen, daß physikalische Gesetze gelten und daß Anpassung real ist. Konvergenz ist allgegenwärtig, aber es kann schwierig sein, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen - oh ja, sie sind auch konvergent. In unseren atomistischen, reduktionistischen und spezialisierten Zeiten vergißt man leicht, daß Organismen - und Zellen - funktionell integriert sind. Betrachten wir den Lammhai und den Thunfisch. Ähnliche Körperform, spezialisiertes Muskel-Sehnen-System und sogar Warmblütigkeit sind ein wunderbares Beispiel für Konvergenz. Die Ähnlichkeiten sind weit mehr als nur oberflächlich.
Haben Sie jemals Beispiele für molekulare Konvergenz gesehen? Im Prinzip sollte man das nicht. Angesichts der Größe eines typischen Proteins und der 20 verfügbaren Aminosäuren ist die Zahl der Alternativen mehr als astronomisch. Dennoch ist molekulare Konvergenz wahrscheinlich weitaus häufiger als angenommen. Man denke nur an das chemisch schwer zu handhabende Molekül Kohlendioxid, stabil und mit starken Ionenbindungen, dessen Handhabung jedoch zentral für biologische Prozesse wie Photosynthese, Biomineralisation und Atmung ist. Das Schlüsselenzym im CO₂-Stoffwechsel ist ein Metalloprotein, die Carboanhydrase. Einmal oder zweimal entstanden? Nein – mindestens fünfmal unabhängig voneinander. Und das ist bescheiden im Vergleich zur C₄-Photosynthese, die mindestens 30 Mal entstanden ist.
Sehen Außerirdische mit Kameraaugen und atmen sie mithilfe von Carboanhydrase? Mit ziemlicher Sicherheit; sie sind die naheliegendsten Lösungen. Evolutionäre Konvergenz ermöglicht es uns vorherzusagen, was uns eines Tages begegnen könnte. Nicht nur in Bezug auf die Augen, sondern auch auf andere Sinnessysteme wie die Echoortung, die sich mindestens dreimal unabhängig voneinander entwickelt hat - bei Fledermäusen, Walen und Vögeln. Auch im Hinblick auf soziale Systeme ist die enorme Konvergenz zwischen Elefanten und Pottwalen ein Beispiel. Dann gibt es noch die Eusozialität, ein System, das sich wiederholt bei Insekten, darüber hinaus bei Garnelen und sogar Säugetieren, wie im Fall der Nacktmulle, entwickelt hat. Der Nacktmull ist eines der wenigen Beispiele in der Biologie, bei dem ein System vorhergesagt wurde, bevor es tatsächlich erkannt wurde. Unser Planet könnte also tatsächlich ein sehr guter Wegweiser zu außerirdischen Biosphären sein. Selbst wenn die planetare Umgebung sehr unterschiedlich ist, etwa eine sehr dichte Atmosphäre oder riesige Ozeane, können wir dennoch gut abschätzen, was wir eines Tages finden könnten. Darüber hinaus sagt uns die Konvergenz, daß Außerirdische sogar sehr ähnlich denken werden.
Das ist doch nicht Ihr Ernst! Neodarwinisten gehen typischerweise davon aus, daß menschenähnliche Intelligenz ein evolutionärer Zufall ist, ein historischer Unfall. Sollte das stimmen, dann ist die Suche nach außerirdischer Intelligenz (SETI) reine Zeitverschwendung. Aber was wir auf diesem Planeten sehen, spricht dagegen. Alle Erkenntnisse deuten darauf hin, daß die kognitive Welt der Delfine der der Menschenaffen bemerkenswert ähnlich ist. Zwar sind beide Säugetiere, aber Schimpansen leben nicht im Meer, und ihre Gehirnstrukturen unterscheiden sich deutlich. Noch bemerkenswerter ist die kognitive Architektur von Vögeln, insbesondere Krähen. Auch hier ähnelt sie stark dem Gehirn der Menschenaffen, doch man weiß heute, daß ihr Gehirn nach einem völlig anderen Plan aufgebaut ist. Beim Werkzeuggebrauch sind die Neukaledonischen Krähen den Schimpansen weit voraus. Und die Konvergenzen hören hier nicht auf: Warmblütigkeit und Gesang sind bei Säugetieren konvergent. Dasselbe gilt für soziales Spiel. Wußten Sie, daß Krähen gerne Ski fahren? Und was ist mit dem neuseeländischen Papagei, dem Kea? Achten Sie auf die kriminellen Banden jugendlicher Vögel, die herumstreunen und Autos demolieren.
Stehen wir an der Schwelle zu einer allgemeinen Evolutionstheorie? Vielleicht.
Warum ist Konvergenz wichtig? Sie zeigt, daß Anpassung real ist und keine darwinistische Verschwörung. Sie besteht darauf, daß Organismen funktional integriert sind und nicht nur eine Ansammlung von Charakterzuständen. Paradoxerweise gehören gerade die Ähnlichkeiten, die bei der Konvergenz beobachtet werden, zu den besten Beweisen für die Evolution. Wenn Sie das nächste Mal von zwei Kreationisten in die Enge getrieben werden, bestellen Sie ihnen einen starken Gin Tonic und fragen Sie ihn dann, warum die Netzhaut in unserem Auge genau die entgegengesetzte Position hat wie beim Oktopus (Hinweis: Embryologie), und fragen Sie sie, warum sich der bakterielle Flagellenmotor mindestens zweimal entwickelt hat. Wenn Sie dann wieder nüchtern sind, erinnern Sie sich daran, daß die Reaktion der Drosophila auf Ethanol unserem Betrinken bemerkenswert ähnlich ist. Bitte erheben Sie Ihr Glas auf die Konvergenz.

What is convergence? Consider your eye and that of an octopus. Both are built based on the camera principle, yet you are closely related to a starfish while the octopus is a near cousin of the oyster. The common ancestor of you and the octopus lived about 550 million years ago and at most possessed a simple eye-spot. Regarding the eyes, vertebrates and molluscs have arrived at the same solution, and in doing so have solved equally successfully problems such as how to correct spherical aberration. Camera-eyes are a brilliant evolutionary invention, and so it is less surprising that they convergently emerged in at least five other groups, including cubozoan jellyfish. And here is something else these groups have in common: with the exception of some snails that are ‘landscape artists’ (well, they are adept at spotting routes to safety on salt-marshes), all are fast-moving, predators and show an interesting tendency towards intelligence.

But aren't all camera-eyes built using the famous Pax-6 gene? Indeed, but so are compound eyes and they evolved independently at least four times. Pax-6 was almost certainly recruited from a more primitive role in the development of anterior sensory fields. That explains why this gene is also expressed in the nose and brain, as well as salivary glands. Remember also that nematodes lack eyes, but they possess Pax-6. To insist that a gene like Pax-6 ‘makes’ an eye is an over-simplification: necessary but not sufficient.

Isn't convergence obvious? Tell that to the famous Victorian naturalist Henry Bates. In the Amazon, he was hunting hummingbirds and — extensive as his knowledge was — he routinely shot sphinx moths by mistake. Local people insisted that moth could transmute into bird; silly but understandable because the convergence is remarkable not only in terms of body shape and flight dynamics, but even in their similar energy budgets.

Did you say ‘remarkable’? Odd isn't it, but almost invariably when biologists describe convergence the words they use are: ‘striking’, ‘astonishing’, ‘stunning’, ‘uncanny’, and, yes, ‘surprising’. Why? Surely we all agree that the organisms must function, that physical laws apply, and that adaptation is real. Moreover, convergence is ubiquitous but it can be difficult to see the wood for the trees — oh yes, they are convergent, too. In these atomistic, reductionist and specialized times it is easy to forget that organisms — and cells — are functionally integrated. Look at the lamnid shark and tuna. Similar body shape, specialized muscle-tendon system and even warm bloodedness provide a wonderful example of convergence. The similarities are far more than skin-deep.

Do you ever see examples of molecular convergence? In principle, one shouldn't. Given the size of a typical protein and the 20 available amino acids the number of alternatives is more than astronomic. Nevertheless, molecular convergence is probably far more common than realized. Consider that chemically intractable molecule carbon dioxide, stable and with strong ionic bonds but the management of which is central to biological processes such as photosynthesis, biomineralization, and respiration. The key enzyme in CO2 metabolism is a metalloprotein, carbonic anhydrase. Evolved once, twice? No — at least five times independently. And that is modest when compared to C4 photosynthesis, which has arisen at least 30 times.

Do extraterrestrials see with camera-eyes and breathe using carbonic anhydrase? Almost certainly; they are the obvious solutions. Evolutionary convergence allows us to predict what, one day, we might encounter. Not only in terms of eyes, but other sensory systems such as echolocation which has evolved independently at least three times — in bats, whales and birds. So too, in terms of social systems, think of the colossal convergence between elephants and sperm whales. Then there is eusociality, a system that has evolved repeatedly in insects and moreover in shrimps and even mammals, in the case of the naked mole rats. The mole rat is one of the very few examples in biology where a system was predicted before it was actually recognized. So, our planet may actually provide a very good guide to alien biospheres. Even if the planetary environment is very different, say a very dense atmosphere or giant oceans, we can still make a good estimate of what one day we may find. Not only that, but convergence tells us aliens will even think in much the same way.

Now you are joking! Neo-Darwinians typically assume human-like intelligence is an evolutionary fluke, a historical accident. If correct, then the Search for Extraterrestrial Intelligence (SETI) is a complete waste of time. But what we see on this planet tells us otherwise. All the evidence suggests the cognitive world of dolphins is remarkably similar to that of the the great apes. Certainly, both are mammals, but chimps don't live in oceans and the brain structures are markedly different. Even more remarkable is the cognitive architecture of birds, especially crows. Again it maps closely against the mind of the great apes but their brain is now known to be built to a completely different plan. When it comes to tool use the New Caledonian crows are well ahead of chimps. And the convergences don't stop there: warm-bloodedness and singing are convergent with mammals. So is social play. Did you know crows enjoy skiing? And what about the New Zealand parrot known as the kea? Watch out for those delinquent gangs of teenage birds as they roam around trashing cars.

Are we on the threshold of a general theory of evolution? Maybe.

Why does convergence matter? It shows adaptation is real, and not some Darwinian conspiracy. It insists that organisms are functionally integrated and not a heap of character states. Paradoxically, the very similarities seen in convergence are some of the best proofs of evolution. Next time you are cornered by a pair of creationists order them a stiff gin and tonic and then ask him why the position of the retina is opposite in our eye to that of octopus (clue: embryology), and ask her why the bacterial flagellar motor has evolved at least twice. Then when they are sobering up remind them that the way in which Drosophila reacts to ethanol is remarkably similar in terms of behaviour to the manner in which we get drunk. Please raise a glass to convergence.

_________________

  1. Morris, Simon Conway: Evolutionary convergence. In: Current Biology, Volume 16, Issue 19, R826 - R827 (Cell)

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