In einem spannenden Interview ist Religionswissenschaftler Michael Blume gefragt worden, WARUM religiöse Menschen durchschnittlich und weltweit mehr Kinder haben als Atheisten. Seine Antwort:
Der Mensch ist das einzige Wesen, das aktiv Fragen der Bindung oder Kinder entscheiden kann. Umgangssprachlich spricht man ja inzwischen sogar von einem „Unfall“, wenn ein Kind ungeplant gezeugt wird. Und der Punkt ist: Menschen können also abschätzen, dass Familiengründungen andere Lebensoptionen ausschließen, dass ihnen Kinder auch Sorgen und Kosten bereiten werden und dass vor allem Mütter auf verlässliche Partner und gemeinschaftliche Unterstützung angewiesen sind. In der freien Entscheidung für mehrere Kinder geht es also immer auch um das Überwinden des eigenen Egos, um freiwilligen Verzicht und auch die Bereitschaft zur Einordnung in eine Gemeinschaft. Und das sind mithin genau die Werte, die erfolgreiche Religionsgemeinschaften transzendent begründen und auf einer Vielzahl von Wegen vermitteln, offenbar erfolgreicher, als wir dachten.
Es scheint also so zu sein, daß eine transzendente Begründung das altruistische Verhalten eines Menschen verstärken kann. Spannend ist auch der dann folgende Teil des Interviews:
islam.de: Kann sich „Religion“ auch negativ auswirken?
Blume: Ja, wenn die Menschen über ihr Leben gar nicht frei entscheiden können, sondern die religiösen Gebote aus Zwang befolgen, bekommen sie weit mehr Kinder, als gut für alle ist. Dann haben wir Bevölkerungsexplosionen, Armut, fehlende Perspektiven und schließlich Gewalt nach innen und außen. Natürlich muss man in dem Bereich noch weiterforschen, aber mein vorläufiges Fazit sieht so aus, dass Religiosität und eine ausgewogene Bevölkerungsentwicklung nur bei Religionsfreiheit gedeihen können, zu der auch der Respekt vor den Rechten der Frauen und die Möglichkeit der Abkehr von Religion gehört. Zwang führt dagegen die Menschen und die Religionsgemeinschaften in die Katastrophe.
Das wirft neue Fragen auf. Ich würde so sagen: In der Geschichte zeigt sich, daß gesellschaftlicher und religiöser Zwang (mäßiger bis starker) tatsächlich durchaus über längere Jahrhunderte oder Jahrtausende in verschiedenen Weltregionen evolutionsstabile Fruchtbarkeitsraten erzeugt hat. Das muß aber noch keineswegs heißen, daß dies auch heute oder künftig oder immer schon nur so gewesen ist. Für starken religiösen Zwang sind ja bekanntermaßen besonders monotheistischen Gesellschaften anfällig. Aus religiösen, nicht-monotheistischen Gesellschaften sind oft auch ganz andere Verhältnisse bekannt. Etwa atmen in der Antike die Kulturen der Hethiter, der Griechen, der Römer noch einen ganz anderen, "freieren" Geist. Und natürlich haben sich auch diese Kulturen über lange Jahrhunderte hin "evolutionsstabil" verhalten. Ähnliches gilt natürlich für die Jahrzehntausende alten Stammesgruppen von Jäger-Sammler-Völkern. Da gibt es also noch viel Stoff zum Nachdenken.
Der Schluß des auch sonst lesenswerten Interviews lautet:
islam.de: Wie werden Sie weiterforschen?
Blume: Derzeit werte ich mit Hilfe des Schweizer Bundesamtes für Statistik Daten der Schweizer Volkszählungen von 1970 bis 2000 aus, um auch Aussagen über Trends machen zu können. Wie haben sich beispielsweise die Familienstrukturen der Schweizer Christen, Muslime und Konfessionslosen in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Mich würde in diesem Zusammenhang auch die Meinung der Muslime interessieren und über einen Austausch mit Ihnen würde ich mich freuen.
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