Zusammenfassung: Der angesehene dänische Archäologe Kristian Kristiansen gab 2015 (6) folgendes zusammenfassendes Bild zur europäischen Spätbronzezeit: Ein Großreich des Karpatenbeckens griff den süddeutschen Raum an und unterwarf das dortige Großreich. Gemeinsam mit den dort neu gewonnenen Unterworfenen und Verbündeten griff dieses Großreich das Reich der Atlanter im Nordseeraum an. In der Schlacht an der Tollense um 1280 v. d. Ztr. konnte sich das Nordseereich erfolgreich verteidigen. Das Großreich des Karpatenbeckens hat sich in der Folgezeit expansiv nach Süden gewandt. Zur gleichen Zeit geriet das Reich der Atlanter mit seinen starken Kriegsschiffen in Bewegung. Der Seevölkersturm auf den Mittelmeerraum - zu Lande und zu Wasser - begann.
Themen dieses Beitrages in Kurzform:
- Großreiche Europas 1300 bis 1200 v. Ztr. aus Sicht der heutigen Forschung
- "Eine Variante der mykenischen Hochkultur" im Nordseeraum (Zitat Kristiansen)
- Ein Bild der politischen Geschichte Europas der Bronzezeit, das es so konkret noch nie gegeben hat
- Denkbare, plausible Schlußfolgerung desselben: Mittel- und Nordeuropa als Ausgangspunkte des Seevölker-Sturmes
Um 1200 v. Ztr. führte der sogenannte "Seevölker-Sturm" (Wiki) zu einem Epochenwechsel im Mittelmeerraum. Mehrere Großreiche gingen unter, Großstädte und Paläste wurden in Schutt und Asche gelegt, neue Kulturräume entstanden. Schon seit vielen Jahrzehnten macht man sich in der Forschung Gedanken darüber, wo das sagenumwobene "Atlantis" (Wiki), das vermutlich die Heimat der Seevölker bildete, gelegen hat. In den 1950er Jahren war es ein evangelischer Pfarrer aus Schleswig-Holstein, Jürgen Spanuth (1907-1998) (Wiki), der vorschlug, die Heimat der Seevölker könnte im Nordsee-Raum gelegen haben. Aber ihm schlug damals die gebündelte Macht der deutschen Facharchäologen entgegen, die damals auf größtmögliche Distanz gehen wollten auf ihre eigene biographische Verwurzelung im Dritten Reich und Prägung dadurch. Das "durfte" also nicht sein. Denn zu viel an dieser These erinnerte an Ideologie-Elemente aus der Zeit des Dritten Reiches. Seither ist die These von Jürgen Spanuth mehr oder weniger vermintes Gelände. Von Seiten der Fachwissenschaft findet sein Name, soweit übersehbar, in ernsthaften Erörterungen bis heute keine Erwähnung mehr.
|
Abb. 1: Chronologie und räumliche Verbreitung des Griffzungenschwertes Typ "Naue II" (aus: 6) |
Jahrzehnte lang gab es bezüglich solcher Fragen in der Sache selbst auch kaum nennenswerte Erkenntnisfortschritte. Zwar äußerte sich in der Fachliteratur immer einmal wieder jemand überrascht über Hinweise auf wirtschaftliche und kulturelle Zusammenhänge zwischen dem bronzezeitlichen Mittelmeerraum und dem mittleren und nördlichen Europa. Aber diese Hinweise traten jeweils noch zu vereinzelt auf und die Daten war noch nicht überzeugend genug. Dieser Umstand scheint sich gerade zu ändern.
Auch in der Archäologie akkumuliert sich über die Jahre und Jahrzehnte mehr und mehr Wissen. Und um so mehr sich ansammelt, um so eher werden ausgesprägte geographische Verteilungs-"Muster" erkennbar. Und diese fordern zu Interpretationen heraus. Ein wichtiger Fortschritt war, daß im letzten Jahrzehnt die "Bronzezeitliche Stadtgeschichte Mitteleuropas" in den Fokus der Forschung gelangt ist. Darauf haben wir in einer eigenen Blogartikel-Serie hier auf dem Blog schon vor einigen Jahren hingewiesen (u.a.: 9). Damit war jedoch noch keineswegs irgend etwas Konkretes über die Urheimat der Seevölker gesagt. Immerhin wurde dadurch erkennbar, daß Mitteleuropa in der Spätbronzezeit vermutlich viel bevölkerungsreicher besiedelt gewesen ist als sich das die Forschung Jahrzehnte lang hat vorstellen können und eingestehen wollen und als das auch aus den Bodenfunden ablesbar war.
Zuletzt war es unter anderem die Entdeckung des bronzezeitlichen Schlachtfeldes an der Tollense in Mecklenburg-Vorpommern 2007, eines Schlachtfeldes aus der Zeit nach 1300 v. Ztr. (Wiki), die neue Bewegung in die Wahrnehmungen des Gesamtbildes gebracht hat. Indem wir uns mit der neuesten Studie hierzu beschäftigen, die gerade in "Antiquity" erschienen ist (1-5), erhalten wir Anstößte dazu, nach einem größeren, umfassenderen Erkenntnisrahmen für die hier neu gewonnen Einsichten (Abb. 5) zu suchen. Schon die mitgelieferte Verbreitungskarte (Abb. 5) läßt doch allzu deutlich großräumige Muster erkennen. Und indem wir nach einem solchen Rahmen suchen, stoßen wir auf die Arbeit eines angesehenen dänischen Archäologen namens Kristian Kristiansen aus dem Jahr 2015 (6). In ihr wird ein sowohl umfassendes wie zugleich auch überraschend konkretes Bild von der - geradezu - politischen Geschichte der Spätbronzezeit Europas gezeichnet. Ein Bild war so konkret zuvor niemals möglich gewesen. Wesentliche Inhalte dieser Studie aus dem Jahr 2015 sollen in diesem Blogartikel referiert werden. Zum Schluß werden wir sehen, daß sich die neuen Erkenntnisse vom Schlachtfeld an der Tollense aus diesem Jahr geradezu harmonisch und nahtlos in diesen größeren Interpretationsrahmen eingeordnen, der da schon 2015 gegeben worden war. Eine geradezu glänzende Bestätigung.
Sehr viele Erkenntnisse werden auch heute noch auf diesem Gebiet gewonnen durch die Auswertung der Verbreitung von Typen von Bronzeschwertern über ganz Europa hinweg. Dies ist zunächst die Fundgattung, die - zusammen mit anderen Hinweisen - die weitreichensten Schlußfolgerungen zuläßt.
|
Abb. 2: Regionen in Skandinavien mit Felszeichnungen, die Darstellungen
von bronzezeitlichen Kriegsschiffen (Kriegspaddelbooten) enthalten (aus Ling 2018) ***) |
Und indem wir uns damit beschäftigen, stellen wir fest, daß seit einigen Jahren der Wikipedia-Artikel zu Jürgen Spanuth immer umfangreicher geworden ist. Nachdem Spanuth Jahrzehnte lang wenig beachtet im Abseits stand, scheint es jetzt doch immer wieder Leute zu geben, die merken, daß es Grund gibt, seine Atlantis-Theorie zumindest so ernst zu nehmen, daß man sie detailliert mit dem aktuellen Stand der Forschung in Abgleich bringen sollte. Und das fällt in der einen Detailfrage einmal zu ungunsten von Spanuth aus, in der anderen Detailfrage hinwiederum zu seinen gunsten - so wie das zwangsläufig sein muß, wenn die Forschung einige Jahrzehnte weiter gegangen ist. Keineswegs aber kann gesagt werden, daß seine These heute - sozusagen - in "Bausch und Bogen" verworfen würde oder werden könnte (Wiki). Ganz im Gegenteil. In der Arbeit von Kristiansen aus dem Jahr 2015 fällt der Name Spanuth zwar kein einziges mal (wohlweislich, vermutlich). Aber als großer Elephant steht der Name Spanuth natürlich unausgesprochen in der Mitte der Debatte und kann überall mitgelesen werden. Auf Wikipedia wird schon gleich als erster Einwand "gegen" die Spanuth-These derzeit angeführt (allerdings mit Verweis auf eine Arbeit aus dem Jahr 1993!) (Wiki):
Die Griffzungenschwerter vom Typus Naue II (= Sprockhoff II) werden von Spanuth auf Grund veralteter Quellen als "gemeingermanisch" bezeichnet und ihr Ursprung in der nordischen Bronzezeit verortet. Tatsächlich stammen die ältesten Nachweise dieser Bronzeschwerter jedoch aus Norditalien (ca. 1450 v. Chr.) und verbreiteten sich danach zunächst nach Mittel-, West- und Nordeuropa, später (um 1200 v. Chr.) über Südost-Europa nach Griechenland, die Ägäis, Kleinasien, den Nahen Osten und Ägypten. Spanuth allerdings wies nachdrücklich daraufhin, daß es nicht entscheidend sei, wo die Griffzungenschwerter ursprünglich aufkamen, sondern nur, daß sie um 1200 v. Chr. auch bei den Nord-Seevölkern und den anderen Gegnern Athens, Mykenes und Ägyptens allgemein verbreitet waren.
Und tatsächlich gehört die Häufigkeit und geographische Verbreitung von Schwerttypen in der Spätbronzezeit, sowie die Intensität ihrer Nutzung zum Kernstück der Argumentation von Kristiansen im Jahr 2015 (6).
Im Vorübergehen sei zunächst noch bemerkt, was natürlich viel breiter zu behandeln wäre, daß neueste Forschungen (dieses Jahres und früherer Jahre) tatsächlich heraus gearbeitet haben, daß die Nordische Bronzezeit das notwendige Kupfer zur Herstellung seiner reichen Bronze-Gegenstände aus dem Mittelmeerraum bezogen hat und nicht - wie noch von Spanuth vermutet - von Helgoland. Aber sogar dieser Umstand spricht insgesamt ja eher "für" als "gegen" die These von Spanuth. Denn immerhin etabliert sich auch damit derzeit immer stärker in der Forschung das Wissen, daß es engen kulturellen, wirtschaftlichen, militärischen und politischen Austausch zwischen dem Mittelmeer-Raum und dem skandinavischen Raum gegeben hat. Und genau das Wissen darum formuliert die Arbeit von Kristiansen ja nun sehr behutsam und detailliert. Und um so mehr es einen solchen gegeben hat, um so eher sollte man meinen, daß der Nordseeraum auch der Ausgangspunkt für einen Zug von "Seevölkern" dargestellt haben könnte. Vielmehr: Es fällt einem fast schwer anzunehmen, daß dieser es nicht gewesen ist.
Die "große Linie" - Politische Geschichte Europas 1400 bis 1150 v. Ztr.
Wenn man die faktenreiche Studie von Kristiansen liest (6), taucht vor dem inneren Auge ein Bild auf. Kristiansen selbst zeichnet es so konkret noch nicht. Aber er ist offenbar von ihm auch nicht gar so weit entfernt. Und vielleicht hat er es ja sogar schon im Hinterkopf. So spricht er spricht noch sehr zurückhaltend und vage von "Konföderationen" (von Stammesstaaten oder Fürstentümern), die es in Europa gegeben haben könnte. Werden wir etwas konketer: Die politische Geschichte des östlichen Mittelmeerraumes und des Vorderen Orients in der Spätbronzezeit ist von sogenannten "Großreichen" geprägt gewesen. Das Großreich der Hethiter (Wiki) führte Krieg gegen Ägypten oder gegen das Großreich der Assyrer - oder schloß Frieden und Bündnissen mit ihnen gegen den jeweiligen übrig bleibenden. Auf der anderen Seite steht in Griechenland die mykenische Palastkultur, die - wie wir spätestens aus der "Ilias" wissen - zumindest für Kriegszüge auch unter einem Großkönig vereinigt sein konnte ("Agamemnon"). Das von Kristiansen gezeichnete Bild von Mittel- und Nordeuropa scheint uns nun am meisten Sinn zu machen und wird auch nur am widerspruchslosesten neben das Bild des Mittelmeerraumes zu stellen sein, wenn wir auch hier "Großreiche" unterstellen. Gerne solche der mykenischen Art, also wo Fürstentümer und Stammesstaaten nur lose miteinander zu einem Großreich vereinigt sind.
In diesem Sinne könnte von einem Großreich der Aunjetitzer Kultur gesprochen werden. Sein Zentrum könnte in der Nähe der berühmten Fürstengräber bei Halle an der Saale gelegen haben, wo der Salzhandel einträchtige Gewinne abwarf, und wo ja auch die Himmelsscheibe von Nebra entstanden ist, bzw. als Weihgabe niedergelegt worden ist. Offensichtlich hat die Aunjetitzer Kultur in einem engen politischen und Heirats-Austausch mit der süddeutschen Bronzezeit ("Hügelgräberkultur", "Hügelgräberbronzezeit") gestanden, die damit diesem Großreich grob noch hinzugeordnet werden kann. Außerdem könnte ein Großreich der Nordischen Bronzezeit benannt werden, das man - aufgrund der vielen kulturellen Ähnlichkeiten - als "die Mykener Dänemarks" (oder Jütlands) bezeichnen könnte, Kristiansen spricht - wörtlich - von einer "nordischen Variante der mykenischen Hochkultur". Wir werden weiter unten auch noch von der großen Bedeutung des Karpatenbeckens hören, für das ebenfalls ein Großreich angenommen werden kann, ebenso wie für die etruskische Terramare-Kultur in Norditalien.
Entsprechend dem Geschehen im östlichen Mittelmeerraum dürfen auch für die politischen Verhandlungen zwischen den mitteleuropäischen Großreichen politische, militärische und Handels-Delegationen angenommen werden. Insbesondere die jungen Männer reisten an die Königshöfe ihres eigenen Großreiches oder die der benachbarten Großreiche, um Kriegsdienste zu leisten, politische Bündnisse neu zu schließen oder zu bekräftigen, Handelswaren auszutauschen, Ehefrauen mitzubringen.
In das Ahnen oder Wissen um das Bestehen solcher Großreiche würden sich dann übrigens auch nahtlos die skandinavischen Felszeichnungen von großen Kriegsschiffen einfügen. Diese Kriegsschiffe konnten es doch - offenbar - mit den Kriegsschiffen Mykenes oder Ägyptens gleicher Zeit aufnehmen (Abb. 2).***)
Wenn sich herausstellen sollte, daß der Nordseeraum den Atlantern richtig zugeordnet wurde, könnte natürlich auch von dem Reich der Atlanter die Rede sein. Und - wie wir noch erfahren werden (6): Ein junger "Makedonen"-König aus der Slowakei rollte ab 1340 v. Ztr. die süddeutsche Ökumene (Höhenburg-Kultur / Palast-Kultur) auf und führt dann - mit den Unterworfenen und neuen Verbündeten einen Kriegszug bis Mecklenburg durch, bis in das Tal der Tollense. Dieser Angriff wird vom Reich der Atlanter zwar abgewehrt, aber auch die Menschen dieses Reiches kommen durch ihn - und womöglich andere Ursachen - in Bewegung. Und große Zahlen von Menschen wandern ab, nun mit den auf skandinavischen Felsbildern abgebildeten Schiffen entlang der Atlantikküste bis in die Mündungsarme des Nil. Der junge slowakische Fürst - oder sein Sohn oder sein Enkel - hingegen machen sich auf den Weg zur Eroberung des Mittelmeerraumes über den Landweg, über den Balkanraum hinweg. Somit könnte
als Auslöser für den Seevölkersturm zunächst ein früher "Alexanderzug" vermutet werden. - Und so kommt man zu einer einigermaßen schlüssigen Erklärung dafür, wie es zu einer Art Zangenoperation von Westen und Osten auf die Großreiche des Mittelmeerraumes kommen konnte - zum: Seevölkersturm.
Welch ein Bild! Indem wir diese Gedanken notierten, haben wir das bei Kristiansen Gelesene noch "extrapoliert" und etwas konkreter ausformuliert als es Kristiansen selbst formuliert hat. Mit dem von Kristiansen gegebenen Bild dürfte diese "Erzählung" aber zumidest nicht in Widerspruch stehen. Vielmehr finden sich viele bestätigende Hinweise - wie in diesem Blogartikel nun zusammen getragen werden soll. Erst wenn eine Forschungsthese forsch ausformuliert worden ist, kann die Detailforschung dazu motiviert werden, nach Veri- oder Falsifzierungen derselben zu suchen.
Thema "Zentrum und Peripherie" - Notwendige Vorüberlegungen
Aber all das fordert uns auch dazu auf, das Thema "Zentrum und Peripherie" neu zu durchdenken. Was können die mykenischen Griechen von den Völkern der Nordsee gewußt haben? Oder sollen wir anders fragen: Was wußten die mittelalterlichen Italiener von China und den Mongolen? Als Marco Polo von seiner Reise zurückkehrte, wurde er verlacht, als er von Millionen-Städten in China erzählte. Und so kann auch in der Bronzezeit eine vage Ahnung vorhanden gewesen sein von Völkern "weit, weit weg" und großen, blühenden Reichen. Aber konkretes Wissen muß es von denen auch dann nicht unbedingt gegeben haben, selbst wenn wir den Austausch von Handelsgütern sehr konkret feststellen können und wenn sich diese entfernten Völker in ihrem kulturellen Habitus sehr anlehnen an den eigenen - mykenischen - Kulturraum. Denn dieser Austausch wird nicht zuletzt auch oft über "Zwischestationen" erfolgt sein, vergleichbar der Seidenstraße zwischen China und dem Westen. Allerdings drängt sich bei genauerem Durchdenken auf, was Kristiansen noch gar nicht berücksichtigt: Der naheliegende Handelsweg des Nordseereiches entlang der Atlantikküste (s. Abb. 2).
Wie auch immer: Vieles über die Peripherie des eigenen - mykenischen - Kulturraumes dringt deshalb nur gerüchteweise in diesen, selbst wenn vereinzelt Kriegs- oder Handelsschiffe von dort kommen und Krieger von dort Kriegsdienste leisten. Der (mykenische) Kulturraum ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und mit dem näheren geographischen Umkreis, als daß in sowieso eher spärlich überlieferten Schriftzeugnissen zunächst detaillierte
Auskünfte über weit entfernte Völker und Länder zu finden sein könnten. Noch die Wandalen des Frühmittelalters hatten nur noch vage Verbindungen mit ihrer einstigen Heimat an der Elbe wie die byzantinischen Geschichtsschreiber festhielten. Immerhin: Sie hatten sie.
Andererseits regt auch das einheitliche Auftreten "Homerischer Heroengräber" noch um 800 v. Ztr. von Jütland über Seddin und Posen bis nach Griechenland zu großer Verwunderung an (7). Kann ein solcher Grabbrauch so einheitlich über so weite Entfernungen gestaltet sein ohne direkteren Gedankenaustausch? Das ist schwer vorstellbar. Oder kann sich ein solcher Grabbrauch über Jahrhunderte (in diesem Fall: 400 Jahre) in so weit entfernten Regionen als Tradition halten, auch wenn der vielleicht vormals direktere Gedankenaustausch längst verloren gegangen ist? Letzteres ist durchaus denkbar. Aber auffällig scheint auch hier wieder, daß es "direkte" Verbindungen zwischen Griechenland und Nordeuropa zu geben scheint, wobei der mitteleuropäische Raum von dieser Tradition - nach derzeitigem Kenntnisstand - ausgenommen ist. Diesem "Muster" begegnen wir in diesen Zeiträumen so häufig, daß auch dieses zum Nachdenken auffordert.
In der Odysee des Homer gelangt Odyseus ganz zum Schluß seiner Reise in das am weitesten entfernte Land, in das Land der Phäaken, "Scheria" (Wiki). Manche vermuten, daß sich in dieser Erzählung die vage Erinnerung an ein fernes Volk im Nordmeer widerspiegelt. Die reichen archäologischen Daten (6) drängen einem aber oft den Gedanken auf, daß der Zusammenhang zwischen Jütland und Mykene ein engerer gewesen sein muß als bloß ein solcher gerüchteweiser wie er sich in solchen Erzählungen gehalten haben könnte. Nun, hier werden zunächst noch manche Fragen offen bleiben müssen.
Was schreibt Kristian Kristiansen 2015 im Einzelnen?
Aber schauen wir nun genauer in die Studie von Kristiansen (6). Er erwähnt das Wort des Caesar über die britischen Inseln: "Niemand ohne gute Gründe besucht diese außer die Händler." Ähnliches vermutet Kristiansen auch für die Bronzezeit. Und dennoch (6, S. 366):
Seit dem 15. Jahrhundert wurden Krieger während der Späten Bronzezeit im östlichen Mittelmeerraum weithin als Söldner gesucht. Das ist gut bezeugt durch Texte und auf Stelen, nicht zuletzt in Ägypten. Und dies erklärt, wie neue Schwerttypen sich innerhalb von wenigen Jahren vom Mittelmeerraum bis nach Skandinavien ausbreiten konnten. Die Kombination aus Handel mit Metall und möglicherweise Waffen ebenso wie die Fahrten von Kriegergruppen und von ihnen zugehöriger Spezialisten, führten zu einer vernetzten "globalisierten" Welt ohne historisches Vorbild.
Wahrlich große Worte. Was für ein Horizont tut sich hier auf. Er schreibt über die im Kampf sehr effektiven Griffzungenschwerter (6, S. 369):
Von diesen hochmobilen Kriegern kann angenommen werden, daß sie eine treibende Kraft gewesen sind hinter der Ausbreitung von Waffentechnologie und es kann keinen Zweifel daran geben, daß die internationale Verbreitung von Nordeuropa bis in die Ägäis wahrlich bemerkenswert ist. (...) Von ihren Kriegsfahrten brachten sie neue Eindrücke mit, Erfindungen und materiellen Wohlstand. Diese Vermutungen werden bekräftigt durch die vielen Funde von griechischer Bewaffnung wie Beinenschienen, Brustharnisch und Helme ebenso wie mykenische Schwerter und Degen, wie sie auf dem Balkan und in Mitteleuropa in der Späten Bronzezeit gefunden wurden. (...) Am vielleicht eindrucksvollsten ist dieses Krieger-Erbe erhalten in den zahlreichen Gräbern Dänemarks und Norddeutschlands, die viele Griffzungenschwerter mit Benutzungsspuren enthalten, die deutlich aufzeigen, daß sie in wirklichen Kämpfen benutzt worden sind.
Siehe dazu auch: (8, 9). Kristiansen zeigt sich beeindruckt von dem "unglaublichen Reichtum an Bronze und Gold im südlichen Skandinavien nach 1500 v. Ztr.". Er vermutet seinen Ursprung im Handel mit der bevölkerungsreichen Höhenburg- (sprich "Palast"-!?!) -Kultur Mitteleuropas, die hinwiederum in Handelskontakt mit dem Mittelmeerraum stand (über Monkodonja und andere Handelszentren) (6, S. 369):
Hierdurch wird der Beginn eines höchst bemerkenswerten Aufblühens der Kultur der Nordischen Bronzezeit markiert, die plötzlich sehr reich wurde an Kupfer, Zinn und sogar Gold. Während der nächsten Jahrhunderte wurden in Südskandinavien mehr kunstvolle Bronzegegenstände produziert und in Gräbern und als Weihgaben ("Depotfunden") niedergelegt als in jeder anderen Region Europas. Baltischer Bernstein gelangte in reiche Gräber des südlichen Mitteleuropa, Italien und in mykenische Gräber, ebenso wie in die Levante und nach Syrien.
Im Mittelmeerraum, so Kristiansen, war ein Kilogramm Bernstein vermutlich ebenso viel wert wie ein Kilogramm Gold (6, S. 369). Und ein Kilogramm kann ein Mensch noch heute gut an einem Tag nach einem Sturm am Strand aufsammeln. Aber natürlich kann sich Reichtum auch durch Kriegsdienste oder durch Sklavenhandel ansammeln - ebenso wie noch viel später in der Wikingerzeit (9). Kristiansen (6, S. 371):
Somit ist es nicht überraschend, daß Europa und die Ägäis während des 15. und 14. Jahrhunderts v. Ztr. die Benutzung ähnlicher Kriegerschwerter vom Griffzungentypus miteinander teilten ebenso wie ausgewählte Elemente eines ähnlichen Lebenstils wie den hölzernen Klappstuhl. Verbunden damit sind ebenso Gegenstände der Körperpflege wie Rasiermesser und Pinzetten. Dieses ganze mykenische "Kulturpaket", einschließlich Spiraldekoration wurde in Südskandinavien nach 1500 v. Ztr. sehr direkt angenommen, wordurch eine spezifische und ausgewählte nordische Variante der mykenischen Hochkultur geschaffen wurde, die in der dazwischen liegenden Region nicht angenommen wurde.
Kristiansen weist auch auf kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen Jütland und Süddeutschland hin. Die berühmte 18-jährige Frau von Egtved (um 1370 v. Ztr.) (
Wiki,
engl) ist in ihrem letzten Lebensjahr nach neuesten Forschungen, an denen Kristiansen beteiligt war, zwei mal zwischen Süddeutschland und Jütland hin- und hergereist (6, S. 372):
Krieger und Händler bewegten sich regelmäßig zwischen dem südlichen Skandinavien und Süddeutschland und wahrscheinlich sogar noch über weitere Entfernungen.
Expansion aus dem Karpatenbecken heraus (1340 v. Ztr.)?
Kristiansen weiter (6, S. 373):
Das gut geschmierte Netzwerk kollabierte dann während des Übergangs zum 13. Jahrhundert v. Ztr. und wurde ersetzt durch ein ost-mitteleuropäisches Netzwerk des Sprockhoff Typ II/Naue II-Griffzungenschwerts (Verweis auf Karte, hier in Abb. 1). (...) Neue Strontium-Isotop-Analysen zum Beispiel für Neckarsulm in Süddeutschland um 1300 v. Ztr. geben Hinweise darauf, daß Krieger von ausländischen Fürstentümern angeworben worden sein könnten. Es handelt sich um ein Männergrab mit 51 Individuen, von denen ein Drittel nicht einheimisch waren. Dennoch teilten sie vor ihrem Tod dieselbe gesunde Ernährung und sie waren überdurchschnittlich groß. (...) Die Skelette zeigen Zeichen von Reiten, was durch die Urnenfeld-Kultur eingeführt worden sein könnte.
Zuvor wurden also Pferde, wenn wir es hier recht verstehen, nur im Zusammenhang mit Streitwagen benutzt.
|
Abb. 3: Verbreitung des Riegsee-Schwerttyps (schwarze Punkte), Verbreitung von Hortfunden (schrafierte Fläche) - Deutung: Aus dem Karpatenbecken heraus beginnt zunächst eine Expansion Richtung Süddeutschland (aus: 6, S. 377) |
Und (6, S. 376):
Das alte Netzwerk mit Süddeutschland, das einen stetigen Austausch von Metall für Bernstein während des größten Teiles des 15. und 14. Jahrhunderts v. Ztr. sicherstellte und das Möglichkeiten für Krieger und Händler bot, in beiderlei Richtungen zu reisen, wurde zerschnitten aufgrund von Kriegen verbunden mit sozialer und religiöser Reformation im ganzen östlichen Zentraleuropa. Die archäologischen Hinweise hierauf sind zweifach: das Ersetzen des Schwerttyps mit oktogonalen Griffen durch das Riegsee-Vollgriffschwert, das niemals Dänemark erreichte. Aber wir finden plötzlich eine Gruppe von Riegsee-Schwertern in der Slowakei, dem neuen Zentrum für Kontakte mit dem Norden. Wir dürfen dies als den Versuch interpretieren, neue politische Allianzen zu schmieden. Aber vielleicht ist es auch das Ergebnis von Ost-West-Feindschaften regionalerer Art. Zur selben Zeit sehen wir eine geographische Ausbreitung von Hortfunden ("hording", vermutl. Depotfunde, Weihgaben), die eine alte rituelle Tradition der Karparten darstellen, die aber nun auch in Mitteldeutschland und im früheren Jugoslawien auftreten. Das legt entweder ein Eindringen von neuen Völkern vom Karpatenbecken aus nahe und/oder neue kriegerische Verwicklungen. (...) Im südlichen Deutschland wurde eines der Zentren des Handels, Bernstorff, um 1340 v. Ztr. schwer befestigt und kurz danach niedergebrannt und verwüstet. Bernstorff ist mit einer Größe von 14 Hektar die größte befestigte Siedlung im südlichen Deutschland und westlichen Mitteleuropa. Seine umfangreichen Befestigungsanlagen wurden in der Mittleren Bronzezeit angelegt (Mitte des 14. Jhdts. v. Ztr.), als sich das Machtgleichgewicht zwischen dem östlichen und westlichen Mitteleuropa wandelte und kurz danach wurden sie über eine Länge von 1,6 Kilometer zerstört und heruntergebrannt.
Die heutige rumänische Stadt Temeswar (
Wiki) im rumänischen Banat, bzw. in der Großen Ungarischen Tiefebene im Karpatenbogen, ist nach ihrer Zerstörung durch die Tartaren 1241 von Siedlern aus Deutschland wieder aufgebaut worden, die insgesamt zu den "Banater Schwaben", bzw. "Donauschwaben" zählten. Ihre Nachfahren lebten hier bis in die 1990er Jahre und stellten bis Anfang des Zweiten Weltkrieges innerhalb der Stadt die Mehrheit. 21 Kilometer nördlich der Stadt Temeswar liegt das Dorf Schadan (rumänisch Cornesti), wo ebenfalls unter anderem auch deutsche Bauern angesiedelt worden und 2 Kilometer von diesem Dorf entfernt ist schon seit dem 18. Jahrhundert eine riesige Festungsanalge Cornesti Iarcuri (
Wiki) bekannt, die seit 2007 intensiv archäologisch erforscht wird, und deren vierfache Befestigungsringe einstmals 1.700 ha umfaßten. Kristiansen schreibt über diese (6, S. 383):
Archäologisches Material und wenige Radiocarbon-Daten legen nahe, daß die Errichtung während der frühen Urnenfeld-Kultur stattgefunden hat. (...) Die bisherigen archäologischen Arbeiten legen nahe, daß hier etwas völlig Neues stattgefunden hat hinsichtlich des Organisationsgrades großer Populationen. (...) Ein solcher Bevölkerungsüberschuß wäre ein natürlich gegebener Haupt-Unruhefaktor für spätere Wanderungen, insbesondere wenn die Siedlung während des 12. Jahrhunderts v. Ztr. ganz oder teilweise aufgegeben worden ist.
Die Urnenfelder-Kultur (Wiki) begann um 1300 v. Ztr.. - Nach einer neueren Studie sogar schon ab 2000 v. Ztr. im zentralen Ungarn.****) - Kristiansen weist dann daraufhin, daß die Expansion aus dem Karpatenraum heraus ab 1300 v. Ztr. zusammen fällt mit der Schlacht an der Tollense in Mecklenburg und dem Zusammenbruch regelmäßiger Austausch-Beziehungen zwischen dem Nordseeraum und Süddeutschland. Es könnte sich um Expansionsbewegungen gehandelt haben "erst nach Norden, später nach Süden" (6, S. 383). Und damit hätte man dann in Umrissen schon die Geschichte, die oben mit noch etwas konkreteren Metaphern ("junger Makedonen-König") gezeichnet worden ist. Aus dieser Zeit weisen die Schwerter Süddeutschlands viel häufiger Abnutzungsspuren auf als zuvor. 50 % von ihnen sind nun stark abgenutzt. Entweder wurden sie wirklich mehr gebraucht als zuvor oder sie blieben länger in Benutzung, weil der bisherige, stetige, kostengünstige Zufluß von Kupfer (für neue Schwerter) auf den bisherigen Handelswegen ins Stocken geraten war.*) In dieses Szenario ordnet Kristiansen dann auch noch die Terramare-Kultur in Norditalien ein (6, S. 383):
Hier erreichte eine große Bevölkerungs-Konzentration ihren Höhepunkt um 1200 v. Ztr. und mehr als 100.000 Menschen haben ihre Heimstätten auf. Einige von ihnen siedelten sich anderwärts in Italien an. Andere wurden augenscheinlich Teil der "Seevölker".
Kristiansen spricht dann die Gruppe der sogenannten Krieger-Gräber ("warrior graves") in Achaea in Griechenland aus der Zeit des 12. Jahrhunderts v. Ztr. an, aus der Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch der mykenischen Palastkultur, und daß diese Gräber Schwerter vom Naue II-Typ enthielten zusammen mit mykenischen Schwertern (6, S. 384):
Es könnte vermutet werden, daß diese neuen "Krieger-Prinzen" in der Tat Söldner nördlichen Ursprungs waren, die in Griechenland blieben und einheimische Regenten wurden. Diese Sichtweise wird unterstützt durch die Tatsache, daß die meisten der Waffen in diesen Gräbern europäischen Ursprungs waren.
Damit in Zusammenhang stellt Kristiansen auch, daß in berühmten, entdeckten Schiffswracks sich Hinweise finden darauf, daß auf diesen schwer beladenen Handelsschiffen im Mittelmeer Söldner aus Skandinavien als bewaffnete Wachen mitgefahren sind, etwa auf dem Schiffswrack von Uluburum (Wiki) aus der Zeit um 1350 v. Ztr.. Soweit hier zunächst das Bild, das Kristiansen - aufgrund der Forschungslage bislang noch sehr skizzenhaft - zeichnet.
Es sei aber an dieser Stelle auch festgehalten, daß nach der Karte in Abbildung 1 die Mehrheit der dort abgebildeten jütländischen Griffzungen-Schwerter (Typ Naue II) erst aus der Zeit 1150 bis 1050 v. Ztr. stammen. Fast zwingt dieser Umstand ja zu der Schlußfolgerung, daß eine große Zahl der Krieger der Seevölker, der Atlanter - wenn sie dann an Kriegszügen im Zusammenhang mit dem Seevölkersturm teilgenommen haben sollten - wieder nach Jütland zurück gekehrt sind. Ob ein solches Szenario denkbar ist oder ob diese räumliche und zeitliche Fundhäufung auch noch anders erklärt werden kann?
Schutzwaffen der europäischen Bronzezeit
Aber lassen wir dieses "große Szenario", das Kristiansen da skizzenhaft entworfen hat, einmal so stehen und versuchen wir, neuere Forschungen in dieses einzuordnen. Im Mittelpunkt der weiteren Betrachtung stehen wieder zwei Verbreitungskarten von Metallfunden aus der Bronzezeit (Abb. 4 und 5). In Abbildung 4 findet sich die Verbreitung der ältesten metallenen europäischen Schutzwaffen abgebildet. Sie stammt aus dem Jahr 2016 (11). In Abbildung 5 findet sich dann die Verbreitung von zwei noch spezielleren Arten von Metallfunden abgebildet, nämlich solcher wie sie 2016 auf dem Schlachtfeld an der Tollense in Mecklenburg gefunden worden sind und wie sie soeben - vor einigen Tagen - veröffentlicht worden sind. (Wie fast alle hier zitierten Arbeiten liegen auch diese dankenswerter Weise im Open Access vor.)
|
Abb. 4: Fundorte metallener Schutzwaffen der europäischen Bronzezeit, 1400 bis 1000 v. Ztr. (aus: 11) |
Zu Abbildung 4 (11):
"Wir kennen heute aus der gesamten europäischen Bronzezeit rund 90 Schilde, 120 Helme, 30 Panzer und 75 Beinschienen."
An Metallhelmen dieser Zeit finden sich in Westeuropa Kammhelme (Abb. 4 rot) und Kappenhelme ohne Knauf (Abb. 4 orange), in Osteuropa Kappenhelme mit Knauf (Abb. 4 grün). Interessanterweise die Grenze der Verbreitungsgebiete eine Linie grob entlang der Elbe, des Bayerischen Waldes und verlängert bis hinunter zur Adria. In Nordeuropa finden sich fast nur Schilde und nur sehr wenige (osteuropäische) Kappenhelme. Deutlich wird auch, daß sich metallene Schutzwaffen in der europäischen Mittelgebirgszone viel häufiger finden als nördlich derselben. Diese Verbreitungsmuster lassen sich der "Erzählung", die Kristiansen gegeben hat, zuordnen.
Es darf wohl davon ausgegangen werden (was Kristiansen nicht durchgängig hervorhebt), daß sich im gesamten Bereich der Mittelgebirge protourbane Zentren fanden ("Höhenburgen") in etwa 30 Kilometer Abstand, mit denen eine deutlich höhere Siedlungsdichte einhergegangen sein wird als nördlich der Mittelgebirge. Die hohen Populationszahlen, die Kristiansen also für das Karpatenbecken und Norditalien zwischen 1300 und 1200 v. Ztr. feststellt, wird man wohl für weite Teile des Mittelgebirgsraumes annehmen müssen.
Und auch in der zweiten Karte (Abb. 5) finden wir eine grobe Ost-West-Teilung, wobei die isolierten Funde im Tollense-Tal darauf hinweisen, daß diese wohl eher durch ein einmaliges Ereignis so weit abgelegen in den Norden geraten sein können. Und wir verstehen jetzt vielleicht noch besser die Berechtigung der Überlegungen von Kristiansen aus dem Jahr 2015. Wodurch wohl sonst sollen diese Funde so weit in den Norden geraten sein als durch einen - gemeinsamen? - Kriegszug von Kriegern aus Süddeutschland, bzw. dem Karpatenraum Richtung Ostsee?
Haben wir doch auch gerade erst erfahren, daß die jungen Männer der Herrenhöfe des Lechtales in Bayern gerne auf Brautschau und auf Abenteuer ausgingen und außer Landes weilten, nicht zuletzt auch im Bereich der Aunjetitzer Kultur, von wo viele ihrer Frauen herstammten. Warum sollte sich ein König der Aunjetitzer Kultur, bzw. der Hügelgräberkultur durch so viele prächtige junge Männer aus Süddeutschland nicht dazu veranlaßt gefühlt haben, einen großen Eroberungszug gen Norden zu führen? Zumal ein König es als sinnvoll ansehen mag, einer große Zahl ausländischer junger Männer innerhalb seines Reiches besser an den Grenzen desselben zu tun zu geben - damit sie nicht auf andere, dumme Gedanken kommen. Man kommt - wie damit sichtbar wird - sehr bald ins "Romanschreiben", wenn man sich mit diesen aktuellen Forschungen beschäftigt und findet nicht wenig später, daß Kristian Kristiansen diesen "Roman-Entwurf" schon im Jahr 2015 deutlich umfassender ausgearbeitet hatte.
Denkbar ist auch, daß die Völker und Stämme des Ostseeraumes wiederholte Kriegs- und Plündungszüge gen Süden geführt haben (siehe größer Abnutzungsspuren ihrer Schwerter) und daß deshalb der König der Hügelgräberkultur (oder aus dem Karpatenraum) einen Rachefeldzug geführt hat.
Es könnte aber auffällig erscheinen, daß es in der Frühbronzezeit um 2.000 v. Ztr. in der Verteilung der Metallfunde in Europa noch nicht eine so deutliche Unterteilung in Mittelgebirgszone und nördlich davon gegeben hat. Womöglich hat sich dieses Gefälle erst im Laufe des 2. Jahrtausends v. Ztr. herausgebildet durch deutlich stärkeres Bevölkerungswachstum in der Mittelgebirgszone denn im Ostseeraum. Ähnliches ist ja für diesen Zeitraum auch in England zu beobachten. Nur in Südenglnad war in der Bronzezeit die Hausmaus verbreitet. Und ähnlich wird sich die Hausmaus auch mit der protourbanen Kultur der Höhenburgen in der Bronzezeit nur bis zum Nordrand der Mittelgebirge ausgebreitet haben. (Die kontinentale Verbreitungsgeschichte der Hausmaus in der Bronzezeit zu erforschen, dazu fordern wir hier auf dem Blog schon seit mehr als zehn Jahren auf.)
Neue aufschlußreiche Bronzefunde vom Schlachtfeld an der Tollense (1300 v. Ztr.)
In einer inzwischen verrotteten Stofftasche oder einem Holbehälter
führte nun ein an der Tollensse vermutlich erschlagener Elitekrieger, Adelskrieger - vom
Schlage eines Achill oder eines Hektor - 31 kleine Bronzeteile mit sich, darunter viel "Metallschrott", wie ihn
mancher handwerklich begabte Krieger damals mit sich geführt hat (1-5)**).
Und unter den Bronzeteilen fanden sich Stücke von (vormaligen) Messern,
Meißeln (chisle) und Ahlen (awl). Solche Werkzeuge fand man auch sonst im
Tollense-Tal, sowie in Norddeutschland oder in Südskandinavien. Als besonders aufschlußreich könnte sich aber erweisen, daß sich unter diesen Metallstücken auch Bronzebleche ("sheet bronze") fanden, und zwar darunter drei 1 Millimeter dünne Bronzebleche, die zu Rollen mit einem Durchmesser von 2,4 bis 3 Zentimeter gedreht waren und am Ende mit Löchern, bzw. Perforationen versehen waren. Solche kleinen Bronzeblech-Rollen ("bronze cylinder") sind in Nordeuropa dieser Zeitstellung bislang noch nie gefunden worden, aber schon sehr häufig in Gräbern dieser Zeitstellung in Ostfrankreich und Süddeutschland (rote Sterne in Abb. 5). Die dortige Forschung vermutet, daß es sich bei diesen Bronze-Rollen um Halterungen, bzw. Scharniere ("fittings") für Holzschachteln oder Stofftaschen handelt. In solchen könnten offenbar Werkzeuge, Metallschrott und Gewichte für Waagen transportiert worden sein, die sich oft gemeinsam mit diesen Bronzeblech-Rollen finden - und so ja auch jetzt im Tollense-Tal bei Welzin.
Auch viele bronzene Gewandnadeln fanden sich auf dem Schlachtfeld an der Tollense so wie man sie sonst vor allem aus Kriegergräbern in Süddeutschland kennt. Die Funde implizieren jedenfalls, daß
Könige in Vorpommern Krieger aus viel weiter südlich gelegenen Teilen
rekrutieren konnten oder daß Heere aus Süddeutschland und aus der
Hügelgräberkultur (Vorläufer der Kelten) oder der Richtung Ostsee unterwegs
waren.
Wenn man übrigens die Körper der gefallenen Krieger in der Tollense (Wiki) hat verwesen lassen so lange, bis der Fluß die Knochen durch seine Strömung an ihre heutigen Fundorte verteilen konnte, ist dieser Umstand ein Hinweis darauf, daß diese Gegend wohl für längere Zeit von Menschen gemieden worden ist, bzw. nicht besonders dicht besiedelt gewesen ist, ja, daß auch die Furt über die Tollense, um die es in der Schlacht gegangen sein mag, höchstens noch selten genutzt wurde. Der Fluß fließt Richtung Norden, hat also die Skelette und Knochen Richtung Norden hin in seinem Flußbett verteilt. Bevor man die Toten den Geiern überließ, hat man das Schlachtfeld natürlich gründlich nach Waffen abgesucht. Deshalb finden sich solche höchstens noch als Zufalsfunde. Einen hölzernen Weg von Osten her bis zur Furt an der Tollense gab es schon seit etwa 1900 v. Ztr..
Die Verbreitungskarte in Abbildung 5 regte uns an, umfassender zu recherchieren und daraus ist der vorliegende Blogartikel entstanden. Und somit schließt sich der Kreis. Aufregende Entwicklungen in der Forschung!