Mittwoch, 10. September 2025

Die Slawen - Entstehung und Ausbreitung im Frühmittelalter

Sie fand so statt, wie es die Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert annimmt

Wir Deutschen sind unserer Herkunft nach Germanen. So haben wir immer gedacht. Südlich des Mains aber stammen wir Deutschen etwa zur Hälfte von Kelten ab (Stg2024). Und östlich der Elbe - sowie auch in Ostbayern und in Österreich - stammen wir zu 10 bis 40 % von Slawen ab. Die Sorben im Spreewald und in der Lausitz stammen sogar zu 88 % von Slawen ab. So lautet das Ergebnis einer neuen archäogenetischen Studie von Seiten der Arbeitsgruppe rund um Johannes Krause in Leipzig (1) (IDW). 

Abb. 1: Eine typische Halskette der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.), vermutlich des Urvolkes der Slawen - Gefunden im Wald bei dem Dorf Werchnja Syrowatka (Wiki) im ukrainischen Oblast Sumy, Nordostukraine  (Wiki)

Konsequenterweise sollte dasselbe, was für die Sorben gilt, dann auch etwa für die Kaschuben in Westpreußen gelten, für die "wasserpolnisch" sprechenden Oberschlesier, für die Slowenen in Kärnten oder für andere slawische "Reliktbevölkerungen" im deutschsprachigen Raum.

In welchem Umfang umgekehrt Polen, Tschechen, Slowaken und Slowenen von Germanen abstammen aus Regionen westlich der Elbe und westlich von Bamberg, Passau und Salzburg, wird sicherlich in künftigen Studien noch genauer heraus gearbeitet werden. Man wird annehmen können, vom Umfang her vielleicht ähnlich wie die Sorben.

Archäologisch scheint sich nach derzeitigem Stand die Ethnogenese der Slawen im Rahmen der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Wiki) (WikiCom) vollzogen zu haben im Süden Weißrußlands und im Norden der Ukraine, zwischen den Pripjet-Sümpfen im Westen und dem Oberen Dnjepr im Osten - umgeben von den Goten im Westen, den Sarmaten im Osten und ab 375 n. Ztr. von den Hunnen im Süden (1).

Diese Studie dürfte den letzten Sargnagel darstellen für die Theorie von der vorgeblichen "Slawenlegende" (Wiki), nach der es eine frühmittelalterliche Ausbreitung von Slawen aus der Region östlich der Pripjet-Sümpfe gar nicht gegeben habe. Wir werden zu dieser Theorie von der "Slawenlegende", die immer nur von Randgruppen innerhalb der Wissenschaft vertreten wurde, am Ende dieses Beitrages noch einige Erläuterungen gegeben. 

Zunächst einmal aber die neue Studie selbst. In ihr wurden mehrere hundert Menschenreste aus der Zeit der Völkerwanderung und danach analysiert aus Sachsen-Anhalt und aus Thüringen, und zwar von Gräberfeldern aus der Nähe 

  • von Deersheim nördlich des Harzes,
  • von Brücken-Hackpfüffel südlich des Harzes,
  • von Steuden und Niederwünsch südwestlich von Halle, 
  • von Obermöllern westlich, sowie 
  • von Rathewitz östlich von Naumburg an der Saale.

Es handelt sich also um eine Region grob zwischen Braunschweig und Leipzig (s. GMaps) (Abb. 4).

Abb. 2: Der 2010 gefundene Brjansker Schatz (Wiki) aus der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Historia

Diese Region wurde verglichen mit schon publizierten Archäogenomen aus den Regionen Polen-Nordwestukraine, sowie Nordwest-Balkan. Bevor von der Slawenzuwanderung berichtet wird, kommt die Studie zunächst noch auf folgendes, außerordentlich überraschendes Ergebnis über die Zeit davor, über die Völkerwanderungszeit zu sprechen. Und zwar ist die Rede von Menschenfunden von den Fundorten bei Brücken südlich des Harzes, sowie von Obermöllern und Rathewitz bei Naumburg an der Saale (1):

Überraschenderweise stellten wir eine hohe Anzahl von Individuen mit nicht-lokaler, südeuropäischer Abstammung in der Elbe-Saale-Region Ostdeutschlands während der Völkerwanderungszeit fest, obwohl diese Region nie Teil des Römischen Reiches war. (...) Wir ermitteln an allen vier untersuchten völkerwanderungszeitlichen Fundorten der Region einen durchschnittlichen Anteil südeuropäischer Abstammung zwischen etwa 15 % und 25 %. (...) Obwohl über die Gründe und Umstände ihrer Einwanderung in die Elbe-Saale-Region nur spekuliert werden kann, paßten sich diese Neuankömmlinge offenbar den Kleidungs-Gewohnheiten und Traditionen der einheimischen Bevölkerung an, was zu einer recht homogenen materiellen Kultur innerhalb einer Gruppe von Individuen mit unterschiedlichem genetischen Hintergrund führte.
Unexpectedly, we detect a high number of MP individuals with non-local, Southern European ancestry in the Elbe-Saale region of Eastern Germany, although this area was never part of the Roman Empire. Using qpAdm36,37, we measure on average between approximately 15% and 25% of Southern European ancestry in all 4 MP sites of the region. (...) Although the causes and circumstances of their movement to the Elbe-Saale region remain open for speculation, these newcomers apparently adapted the fashions and traditions of the local populations, resulting in a rather homogenous material culture within a group of individuals with diverse genetic backgrounds.

Das heißt, die bestatteten Individuen nordeuropäischer, südeuropäischer oder gemischter Abstammung unterschieden sich in den feststellbaren kulturellen Merkmalen - wie Grabart oder Grabausstattung - nicht voneinander.

Abb. 3: Die Westausbreitung der slowenischen Karantanen nach Kärnten, Oberösterreich und bis Osttirol ab 590 n. Ztr.

Brachten hier Krieger vom Stamm der Thüringer, die Militärdienst im römischen Reich geleistet hatten, "Kriegskameraden" aus dem Süden mit? Oder Ehefrauen? In der Studie wird diese Frage bewußt völlig offen gelassen. 

Es heißt dann weiter (1):

Diese Vielfalt ist jedoch in der darauffolgenden slawischen Zeit verschwunden. Im Gegensatz zur vorhergehenden Völkerwanderungszeit hat sich das genetische Profil Ostdeutschlands während der slawischen Zeit erheblich verschoben und überschneidet sich nun fast ausschließlich mit dem von heutigen slawischsprachigen Bevölkerungsgruppen (z. B. von Polen und Weißrussen), was auf einen grundlegenden Austausch der genetischen Abstammung hindeutet (Abb. 2b,c). Ein ähnliches Muster ist auf dem Nordwestbalkan, in Polen und in der Nordwestukraine sowie in der Wolga-Oka-Region in Rußland zu beobachten. Dies verdeutlicht, daß dieser Zustrom neuer genetischer Herkunft nicht auf bestimmte Regionen beschränkt war, sondern weite Teile Mittel- und Osteuropas betraf. Das stimmt mit den eher einfachen, sehr ähnlichen archäologischen Horizonten überein, die während der slawischen Zeit zu beobachten sind.
However, this diversity had collapsed in the subsequent SP (Supplementary Note 6). In contrast to the preceding MP, the genetic profile of Eastern Germany during the SP has shifted considerably and clusters nearly exclusively with present-day Slavic-speaking populations (for example, Poles and Belarussians), indicative of a fundamental replacement of genetic ancestry (Fig. 2b,c). A similar pattern is seen in the Northwestern Balkans, Poland–Northwestern Ukraine as well as the Volga-Oka region in Russia28, illustrating that this influx of new genetic material was not limited to certain regions but affected wide areas of Central and Eastern Europe, consistent with the rather simple, very similar archaeological horizons observed during the SP.

Genau jene Sachverhalte, die hier benannt sind, sind der Sargnagel für jede andere Theorie zur Entstehung und Ausbreitung der Slawen.

Abb. 4: Archäogenetisch erforschte Fundorte zur Westausbreitung der Slawen - Zwischen Braunschweig und Leipzig ab 650 n. Ztr. (GMaps)

In der im Zitat erwähnten Abb. 2c - hier im Beitrag als Abb. 5 eingestellt - ist dieser Bevölkerungsaustausch auf einer Grafik zur Hauptkomponentenanalyse der genetischen Verwandtschaft aufgetragen und veranschaulicht. Wir sehen im Nordwestbalkan während der Völkerwanderungszeit mehrheitlich südeuropäische Herkunft - aber auch nordeuropäische Herkunft (hellgelbe Punkte). Die ersteren gehen auf die romanische Bevölkerung zurück, die letzteren auf die germanischen Zuwanderer (Goten, Langobarden und andere). Wir sehen, daß in Thüringen während der Völkerwanderung das genetische Spektrum sehr stark Richtung Germanen hin verschoben ist. Aber auch die überraschenden 15 bis 25 % südeuropäische Herkunft sind zu sehen (hellrote Punkte). Wir sehen in Polen und der Nordwest-Ukraine während der Völkerwanderung fast nur germanische Genetik (hellblaue Punkte). Das waren vor allem die Goten.

Dann verschwindet die vorhergehende Bevölkerung in allen drei Regionen völlig. Die südeuropäische Herkunft im Nordwest-Balkan verschwindet. Die vorwiegend nordeuropäische Herkunft in Thüringen verschwindet und die nordeuropäische Herkunft in Polen und in der West-Ukraine verschwindet. In allen drei Regionen taucht eine neue osteuropäische Genetik auf, die in allen drei Regionen einander sehr ähnelt (orangene, dunkelrote und dunkelblaue Punkte). Dabei weist die polnisch-westukrainische Raum noch die vergleichsweise größte genetische Vielfalt auf. Und man sieht, daß Teilpopulationen dieser Vielfaltsverteilung sich einerseits nach Thüringen und andererseits in den Nordwest-Balkan-Raum ausgebreitet haben. Im Nordwest-Balkan-Raum scheint dabei noch am ehesten eine gewisse Vermischung mit der vorhergehenden Bevölkerung vor Ort stattgefunden zu haben - in Thüringen und Polen-Westukraine deutlich weniger.

Abb. 5: Der Bevölkerungsaustausch beim Übergang von der Völkerwanderungszeit zur slawischen Zeit (aus 1)

Was für ein faszinierender Vorgang. Faszinierend wegen seiner Eindeutigkeit. Und was für ein sonderbares Geschehen zugleich: In weite Räume zwischen Elbe, Drau und Dnjepr, in denen kurz zuvor noch Germanen gesiedelt hatten, breiten sich nun Slawen aus. Wohin sind die Germanen verschwunden? Was geschah denn nun sogar mit den Thüringern?

Das Reich der Thüringer ist 531 von den Franken zerschlagen worden, möglicherweise in Zusammenarbeit mit den Sachsen. Wir lesen (Wiki):

Das Reich wurde zerschlagen und unter den Siegern aufgeteilt. Das Gebiet nördlich des Harzes ging vermutlich an die Sachsen, der Süden wohl an die Franken. Die Gebiete östlich der Saale konnten von den Franken nicht gehalten werden und wurden von Slawen besiedelt. Als Tribut wurde den südlichen Thüringern der sogenannte Schweinezins auferlegt, demzufolge sie dem fränkischen Königshof jährlich 500 Schweine liefern mußten. Das Iringlied erzählt eine von den Ereignissen inspirierte Geschichte vom Untergang des Reiches der Thüringer und dem Ende Herminafrieds. 

Aber das Iringlied (Wiki) ist nicht erhalten. Sein Inhalt aber ähnlich erschütternd wie das Nibelungenlied. Den Zeitgenossen war das Erschütternde des Untergangs ganzer germanischer Königsreiche und Volksstämme durchaus bewußt und wurde dementsprechend auch in Liedern festgehalten. Er beruhte oft auf Mord innerhalb der eigenen Verwandtschaft.

Abb. 6: Die Westausbreitung der slawischen Stämme in siedlungsarme Räume 650/700 n. Ztr.

Jetzt zunächst, was in der Studie selbst dazu ausgeführt wird (1):

Die Thüringer blieben und gründeten ein Königreich, das die Elbe-Saale-Region umfaßte. Nachdem die Franken dieses Königreich in den 530er Jahren unterworfen hatten, ging die Bevölkerung zurück, einige Gräberfelder wurden jedoch weiter genutzt. Im 7. Jahrhundert werden Slawen erstmals östlich der Saale erwähnt, sie dehnten sich jedoch bald nach Westen aus und bildeten eine Kontaktzone zwischen slawisch- und germanischsprachigen Gruppen.
The Thuringians stayed and established a kingdom, which included the Elbe-Saale region13,14. After the Franks subdued this kingdom10,15 in the 530s, the population declined, while some cemeteries continued14,16. During the seventh century, Slavs are first mentioned east of the Saale, but they soon expanded westward17, forming a contact zone between Slavic- and Germanic-speaking groups.

Warum ging die Bevölkerung zurück? Warum ging die Bevölkerung östlich der Elbe zurück, während dasselbe doch westlich der Elbe gar nicht zu beobachten war? Fragen, zu denen es vermutlich noch wenig Antworten gibt.

Ab 540 n. Ztr. breiten sich Slawen-Stämme in die von den Goten verlassenen Gebiete nördlich der Unteren Donau aus. Sie überschreiten auch die Donau und unternehmen Plünderungszüge in die dortigen oströmischen Provinzen (Wiki). Ab 590 n. Ztr. stößt der Slowenen-Stamm der Karantani in den Alpenraum vor und besiedelt Kärnten (Wiki). Die Herrschaftseinsetzung des Fürsten von Karantanien erfolgte bis ins 15. Jahrhundert hinein auf Slowenisch an dem "Fürstenstein" (Wiki) nördlich des heutigen Klagenfurt von Seiten eines Freibauern. Wir lesen (1):

Wir kommen zu der Einschätzung, daß ungefähr 82 ± 1 %, 83 ± 6 %, 93 ± 3 % und 65 ± 4 % des lokalen Genpools im Nordwestbalkan, in Ostdeutschland, in Polen-Nordwestukraine und im Wolga-Oka-Tal während der slawischen Zeit durch Migranten aus Osteuropa ersetzt worden sind.
We calculate that approximately 82 ± 1%, 83 ± 6%, 93 ± 3% and 65 ± 4% of the local gene pool in the Northwestern Balkans, Eastern Germany, Poland–Northwestern Ukraine and the Volga-Oka valley, respectively, were replaced during the SP by migrants from Eastern Europe.

Das bedeutet also für das Elb-Saale-Gebiet 83 % neue genetische Herkunft. Von den vorher dort lebenden Germanen hätten sich dementsprechend 17 % der genetische Herkunft gehalten - als Herkunft der verbliebenen Restbevölkerung. 

Abb. 7: Der Svantevit-Stein, verbaut in der Kirche von Altenkirchen auf Rügen (Wiki) - Entweder der Grabstein eines Slawenfürsten oder die Darstellung eines Priesters des Gottes Svantevit aus der Zeit vor 1168

Anhand dieser Daten wird auch ausdrücklich einer Studie von 2023 widersprochen, die von einer genetischen Kontinuität in der Provinz Posen zwischen Mittelbronzezeit und dem Mittelalter ausgegangen war, und die wir hier auf dem Blog auch behandelt hatten (s. Stg2023), und die mit der Theorie von der "Slawenlegende" noch zusammen gepaßt hätte. Auch unsere eigenen, diesbezüglichen Überlegungen (s. Stg2023) zu dieser angenommenen Kontinuität dürften sich damit weitgehend erledigt haben.

Abb. 8: Wenden auf dem Felde beim Vesper (1876 - ?) (Ak)

Weiter heißt es in der Studie über die Fortdauer der slawischen Genetik im heutigen Deutschland (1):

Wir stellen eine ausgeprägte Dualität im Westen, das heißt, in Ostdeutschland fest: Die heutige deutschsprachige Bevölkerung Sachsens weist einen slawischen, genetischen Herkunftsanteil von etwa 40 % auf, während die slawischsprachigen Sorben der Oberlausitz (Sachsen) einen slawischen, genetischen Herkunftsanteil von 88 % aufweisen (vergleichbar mit den heutigen Polen) (...). Dies steht im Einklang mit früheren Studien zur genetischen Abgeschlossenheit der Sorben und ist damit vereinbar, daß sie die Nachkommen dieser slawischen Gruppen darstellen, die ab dem 12. Jahrhundert nur minimal (oder zumindest weniger) in die reproduktiven Netzwerke der sich ausbreitenden deutschsprachigen Besiedlung östlich von Elbe und Saale integriert waren. Umgekehrt vermuten wir, daß die deutsche Ostsiedlung und die frühere fränkische Eroberung wahrscheinlich mit dem Rückgang der slawischen Abstammung in der deutschsprachigen Bevölkerung in Zusammenhang stehen.
We observe a profound duality to the west, in Eastern Germany, with the present-day German-speaking population from Saxony exhibiting around 40% SP ancestry and the Slavic-speaking Sorbs of Upper Lusatia (Saxony) exhibiting 88% SP ancestry (comparable to modern Poles) (Extended Data Fig. 7). This agrees with previous studies on the genetic isolation of the Sorbs33,48 and is consistent with them representing the descendants of these Slavic groups that were minimally (or at least less) integrated into the reproductive networks of the expanding German-speaking settlement east of Elbe and Saale from the twelfth century onwards49,50,51. Conversely, we suggest that the German eastward expansion and earlier Frankish conquest is probably associated with the reduction in SP ancestry observed in the German-speaking population.

Welche Fülle von Schlußfolgerungen lassen sich aus diesen Angaben ziehen. In fast allen Regionen östlich der Elbe und östlich des Oberlaufes Drau sind aus der slawischen Zeit Volksstämme bekannt. Die Heveller etwa im Land Brandenburg, die Karantanen in Kärnten.

Es ist ja auch bekannt, daß die deutschen Siedler des Hochmittelalters Dörfer anlegten neben den bis dahin bestehenden Fischerdörfern, den weiter bestehenden "Kiezen" (Wiki).

Abb. 9: Wenden-Hochzeit im Spreewald! - Ein wendischer Hochzeitszug mit dem Brautpaar an der Spitze, welcher heute noch nach alter Tradition ausgeübt wird, April 1931. Osterkirchgang. Fotograf: Georg Pahl (Wiki) (weitere Fotografien dazu: ab).

Der Autor dieser Zeilen selbst stammt zur Hälfte von Brandenburgern ab - und diese offensichtlich zu bis zu 40 % von den Hevellern oder auch den Wenden (Wiki). Zudem stammt er zu einem Achtel von Oberösterreichern ab, die auch einen slawischen Herkunftsanteil in sich tragen werden. Er ist also seiner Herkunft nach ein 20%- bis 30%iger Heveller - laut Ancient Origin-Analyse von MyHeritage (Stg2025), bzw. ein "Stodorane", so der Eigenname der Heveller (Wiki):

Das Siedlungsgebiet der Heveller erstreckte sich von Spandau entlang der Fluß- und Seeufer des Havelbogens über Brandenburg an der Havel bis hinter Rathenow. In dieses von der Geschichtswissenschaft erschlossene Siedlungsgebiet wanderten dem archäologischen Befund zufolge Anfang des 8. Jahrhunderts slawische Gruppen ein. Die ältesten slawischen Dendrodaten stammen aus dem Jahr 736. Hauptburg und Sitz des Herrschers war seit dem 10. Jahrhundert die Brandenburg. Diese ist dendrochronologisch auf das Jahr 906 datiert. Die übrigen Burgen der Heveller – der Bayerische Geograph berichtet von insgesamt 8 Burgen („civitates“) – entstanden bereits ab 870. Dazu gehörten Rathenow, Potsdam und Spandau.

Aus einigen Adelsgeschlechtern der Heveller gingen womöglich auch Teile des märkischen Uradels hervor, zum Beispiel die Familie Kahlbutz (Wiki) aus Kampehl bei Ruppin. Zu einem dieser märkischen Adelsgeschlechter hat auch meine Oma immer eine besondere Verbindung empfunden (in ihrem Fall zur Familie von Katte in Zolchow) (s. Prbl2017, a).

Wie spannend auch, daß wir Heveller, Sorben, Kaschuben, Oberschlesier, Slowenen und so weiter jetzt über Gentests nachweisen können, ob und in welchem Umfang wir solcher Herkunft sind, oder ob wir etwa eher Nachkommen "slawisierter" zugewanderter Deutscher sind.

Abb. 10: Kirchgang im Spreewald! - Alte Wendinnen aus Burg in der traditionellen Spreewaldtracht nach dem Kirchgang bei der Unterhaltung auf der Straße, März 1931 - Fotograf Georg Pahl (Wiki)

Ich habe auch die Vermutung, daß sich der slawischen Herkunftsanteil in bäuerlichen Unterschichten östlich der Elbe in größerem Umfang gehalten haben könnte (also in den "Kiezen") also unter den sogenannten Fischern und Halbbauern als auf den Vollbauern auf den Dörfern. Denn letztere haben in früheren Jahrhunderten immer unter sich geheiratet. Und unter diesen finde ich zumindest in meinem Stammbaum fast nur deutsche Familiennamen (Bading, Mohr, Meinecke und so weiter), während mir der Familienname meiner Halbbauern-Oma Bleis slawisch anmutet - so wie auch ihr Äußeres und das Äußere ihrer Familie (Preußenbl2017). Allerdings scheinen die Familiennamen auch in ihrem Stammbaum vorwiegend deutscher Herkunft zu sein (z.B. Eggert, Rahne, Wollbrügge).

Die Ethnogenese des Urvolks der Slawen östlich der Pripjet-Sümpfe

Die Forscher der neuen Studie schlußfolgern aus ihren Daten, daß sich die Ethnogenese der Slawen um 1000 v. Ztr. vollzogen haben muß. Um diese Zeit herum sollen sich die nachmaligen baltischen Völker (Prußen, Masuren, Litauer, Letten) (Wiki) von den nachmaligen slawischen Völkern getrennt haben. Die Slawen tragen zwei Drittel baltische Herkunft in sich und ein Drittel einer Herkunft - mit höherem anatolisch-neolitischen Bauern-Anteil - dessen Ursprung noch nicht genau lokalisiert werden kann.

Man möchte übrigens vermuten, da es die räumliche Nähe zu den Hunnen und Awaren war, die die Slawen dazu brachte, sich nach Westen auszubreiten. Denn sonst hätten dies ja auch die baltischen Völker tun können. In der Studie heißt es (1):

Wir schließen daraus, daß eine Region, die sich über den Süden von Weißrußland und den Norden der Ukraine erstreckt, der beste räumliche Annäherung für die Herkunft der slawisch-zeitlichen Individuen unserer drei Studien-Regionen ist.
We infer a region spanning the south of Belarus and north of Ukraine as the best spatial proxy for the origin of the SP individuals in our three study transect.

Im Anhang heißt es zu diesen Fragen (1, Anhang, S. 127):

Mit phylogenetischen linguistischen Methoden wurde der Zeitpunkt der Trennung der slawischen und baltischen Sprachen im Mittel auf 1660 v. Ztr. (95 % HPD 3040-530 v. Chr.) berechnet. Archäologisch gesehen folgte auf die Kulturen der Spätbronzezeit in den Gebieten, in denen dieser Vermischungsprozess stattgefunden zu haben scheint, die Milograd-Kultur (ca. 7. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) in Weißrussland und der Nordukraine, die später allmählich von der Zarubintsy-Kultur (ca. 3. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) abgelöst wurde. Aus der Zarubintsy-Kultur entwickelte sich im 2. Jahrhundert n. Chr. im selben Gebiet die sogenannte Kiewer Kultur (in ihrer Frühphase auch als Post-Sarubintsy-Kultur bekannt), die erste materielle Kultur, die Ähnlichkeiten mit jenen frühmittelalterlichen Kulturphänomenen aufweist, die sicher den frühen Slawen zugeordnet werden können.
Tatsächlich stimmt die geografische Ausdehnung der Milograd-, Zarubintsy- und Kiewer Kulturen in der Nordukraine, Weißrußland und Westrußland gut mit unseren aDNA-Berechnungen überein. Mithilfe von MOBEST schließen wir, daß eine Region, die sich über den Süden von Weißrußland und den Norden der Ukraine entlang des Flusses Dnjepr im heutigen Polesien erstreckt, der beste räumliche Indikator für den Ursprung der SP-Individuen in unseren drei Untersuchungstransekten ist. Ein solches Gebiet steht zudem im Einklang mit dem archäologischen Konsens, der die Entstehung der Slawen als ethnische Gruppe im südlichen Bereich der Waldzone, hauptsächlich im oberen Dnjepr-Becken, verortet.
With phylogenetic linguistic methods, the divergence time of the Slavic and Baltic languages was calculated at a median time of 1660 BCE (95% HPD 3040 – 530 BCE)146. Archaeologically, the Late Bronze Age cultures in the areas where this process of admixture seems to have taken place were followed by the Milograd Culture (c. 7th c. BCE-1st c. CE) in Belarus and Northern Ukraine, which was later gradually replaced by the Zarubintsy culture (c. 3rd c. BCE - 1st c. CE). From the Zarubintsy culture, the so-called Kyivan culture (also known as the post-Zarubintsy culture during its early phase) developed during the 2nd century CE in the same area, which is the first material culture featuring similarities with those early medieval cultural phenomena that can be surely associated with early Slavs. 
Indeed, the geographical extent of the Milograd, Zarubintsy  and Kyivan cultures in Northern Ukraine, Belarus and Western Russia agrees well with our aDNA evidence. Using MOBEST, we infer a region spanning the South of Belarus and North of Ukraine along the Dnjepr river in present-day Polesia as the best spatial proxy for the origin of the SP individuals in our three study transects. Such an area is further consistent with the archaeological consensus which locates the formation of the Slavs as an ethnic group in the southern area of the forest zone, mostly in the upper Dnjepr basin.

Die Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Wiki) (WikiCom) und ihre Vorgängerkulturen grenzten im Norden an baltische Volksstämme, im Westen an die Goten und im Osten und Süden an die Sarmaten. Die Hunnen stießen im Süden von ihnen durch das Siedlungsgebiet der Sarmaten hindurch nach Westen. Die Kiewer Kultur entstand aus der Sarubinzy-Kultur (3.-1. Jhdt. v. Ztr.) (Wiki). Deren Vorgänger-Kultur war die Milograd-Kultur (7.-1. Jhdt. v. Ztr.) (Wiki). 

Abb. 11: Sorbinnen an der Dreschmaschine, 1930er Jahre (Ausschnitt - Sorabicon)

In Böhmen entstand dann im Zuge der Westausbreitung die Prag-Koltschak-Kultur (Wiki), in Mecklenburg und Pommern ab 590 v. Ztr. die Sukow-Dziedzice-Gruppe (Wiki).

Christliche Berichterstatter haben - wenn auch durch ihre christliche Brille hindurch - so doch manches Wertvolle über die heidnische Religion, sowie die heidnischen Sitten der Slawen berichtet. Sie berichten insbesondere von ihrer großen Gastfreundlichkeit, Herzlichkeit, Offenheit und ähnlichen Eigenschaften (2). 

Es gibt auch mancherlei Erkenntnisse zur slawischen Mythologie (Wiki). Auch in der slawischen Mythologie entsteht die Welt - wie in der urindogermanischen Mythologie und wie noch im Orpheus-Mythos - aus einem "Urei".

Zur vorgeblichen "Slawenlegende"

Während des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde im Rahmen des sogenannten "Volkstumskampfes" zwischen Deutschen und Slawen von verschiedenen deutschen Wissenschaftlern infrage gestellt, daß die Slawen tatsächlich im Frühmittelalter von vormaligen Germanenstämmen verlassene Räume östlich der Elbe, des Bayerischen Waldes und bis Ostbayern und Kärnten hinein besiedelt hätten.

Unter deutschen Vertriebenen werden diese Ansichten zum Teil noch heute vertreten - wie sich auch in verschiedenen Kommentaren hier auf dem Blog in den letzten Jahren gezeigt hat. Es wurde die Meinung vertreten, die ostgermanischen Stämme wären gar nicht vollständig abgewandert, sondern in Teilen in ihrer Heimat zurück geblieben und später "slawisiert" worden, und zwar durch das sogenannte "Kirchenslawische" (Wiki), das im Rahmen der Slawenmission durch Kyrill und Method eingeführt worden sei.

Vertreter solcher Sichtweisen waren vor allem der Breslauer und Kieler Germanist Professor Walther Steller (1895-1971) (Wiki) (Sühnekreuz), sowie in seiner Nachfolge der emeritierte Münchener Professor Helmut Schröcke (1922-2018) (Wiki). Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einer sogenannten "Slawenlegende" (Wiki). Es würde sich dabei mehr oder weniger um eine bewußte Geschichtsfälschung der Kirche handeln (3). 2015 erschien ein Buch, dessen Titel diese Theorie gut auf den Punkt bringt: "Der Slawen-Mythos - Wie aus Ostgermanen ein Volk der 'Slawen' mit fremder Sprache und Mythologie wurde". Es stammt von einem - offenbar schwer okkultgläubigen - Berliner Autor namens Árpád von Nahodyl Neményi (geb. 1958) (Wiki).

Wir hatten schon in früheren Beiträgen hier auf dem Blog angedeutet, daß sich die Erkenntnisse der Archäogenetik in den letzten Jahren in eine andere Richtung bewegen als von dieser kleinen Minderheiten-Meinung innerhalb der Wissenschaft angenommen. 2022 hatten wir darauf hingewiesen, daß die Goten genetisch ausgestorben sind und durch Slawen ersetzt worden sind (Stg2022, s.a. Stg2022a). Und wir hatten im selben Jahr im Artikel über die Archäogenetik des antiken Griechenlands hervor gehoben, daß die antiken Griechen weniger Steppengenetik in sich trugen als die heutigen Griechen (Stg2022b), ...

... die noch einen weiteren Zufluß dieser indogermanischen "Steppen"-Herkunft durch die Slawen des Frühmittelalter erhalten haben.

Und 2023 hatten wir getitelt "An der mittleren Donau - Die Goten sterben aus, unter den Awaren kommt es zur Zuwanderung der Slawen" und hatten als Grundgedanken formuliert "Unter den Großreichen von Turk-Völkern organisiert sich die slawische Völkerwelt" (Stg2023):

Die slawische Völkerwelt formierte und organisierte sich somit im Rahmen der Großreiche von Turk-Völkern und bestand dann bis heute fort, während jene Turk-Völker, von denen diese Großreiche getragen und organisiert gewesen waren - die Hunnen, Bulgaren, Awaren und Landnahme-Ungarn - heute in den meisten Teilen genetisch, sprachlich und kulturell längst wieder untergegangen sind.

Vermutlich ist auch diese These mit der neuen Studie bestätigt. Wir hatten auch auf den sehr differenzierten Wikipedia-Artikel zur Ethnogenese der Kroaten (Wiki) hingewiesen und diesen zitiert.

Abb. 12: Zwei Sorbinnen aus Bautzen 1950 (Wiki)

2023 waren wir zwischenzeitlich auch Theorien nachgegangen, nach denen sich die Ethnogenese der Slawen im südlichen Ostpreußen während der Mittelbronzezeit vollzogen haben könnte (Stg2023), was die neue Studie so nicht findet. Außerdem fragten wir in dem damaligen Beitrag anhand einer weiteren Theorie (Stg2023):

Eine Studie stellt genetische Kontinuität in der Provinz Posen von der vorgotischen Bevölkerung bis ins Mittelalter fest. 

Auch das ist durch die neue Studie nicht bestätigt worden, wie oben schon erwähnt wurde. Letztes Jahr hatten wir dann auf die "slawischen" Herkunftsanteile in Ostbayern hingewiesen (Stg2024),  

Außerdem noch der Hinweis: In der traditionellen "Rasseforschung" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde wie selbstverständlich ausgegangen von der Existenz einer sogenannten "ostischen Rasse". Schon 2019 hatten wir hier auf dem Blog hervor gehoben, wie wenig sich die slawischen und die germanischen Mitteleuropäer in ihrer groben Herkunftsgruppenzusammensetzung voneinander unterscheiden (Stg2019, s.a. Stg2022). Der kenntnisreiche "Nrken19" postet neuerdings dazu (X):

Proben aus der Zeit der slawischen Westausbreitung aus Polen weisen 45 % Steppengenetik, 16 % westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik (WHG), 36 % anatolisch-neolithische Bauern (EEF) und 2 bis 3 % sibirische Genetik auf, während die deutschen Proben 49 % Steppe, 17 % WHG, 34 % EEF und 0 % sibirische Genetik aufweisen.
Slavic period samples from Poland score 45% steppe, 16% WHG, 36% EEF and 2 to 3% Siberian while the German ones score 49% steppe, 17% WHG, 34% EEF and 0% Siberian.

Auch vier Prozent Unterschied im Anteil der Steppengenetik mögen schon - wie wir inzwischen wissen - insgesamt einen Unterschied machen. Dennoch sind die Unterschiede insgesamt gesehen denkbar gering. Es könnte allerdings auch vermutet werden, daß sich diese genetisch ähnlichen Völkergruppen Jahrtausende lang getrennt voneinander weiter entwickelt haben und deshalb sich über Selektion die Unterschiede doch noch in einer Weise vergrößert worden sind, die sich allein anhand der Herkunftsgruppen-Zusammensetzung gar nicht erkennen läßt.

Jedenfalls wird deutlich, daß es innerhalb dieses Blogbeitrages viele Anknüpfungspunkte gibt, denen künftig noch weiter nachgegangen werden kann - jetzt nachdem wir in dieser Frage im Grundsätzlichen endlich festen Boden unter den Füßen haben.  

_________________

  1. Joscha Gretzinger, Felix Biermann, Hellen Mager, (...) Harald Meller, Walter Pohl, Zuzana Hofmanová, Johannes Krause: Ancient DNA connects large-scale migration with the spread of Slavs. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-09437-6. Published 03 September 2025 (Nature)
  2. Kurt von Zydowitz: Glaubensumbruch ein Verhängnis. 700 Jahre germanisch-deutsche Geschichte. Band 3: Geschichte der Deutschen im Osten. Verlag Mein Standpunkt, Westerstede 1984
  3. Wolff, Franz: Ostgermanien. Schwertine-Verlag 1965; ders.: Ostgermanien. Waren die Ostvölker Slawen? Widerlegung einer polnischen Legende. Grabert-Verlag, Tübingen 1977

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