- Was ist ihnen gemeinsam, was unterscheidet sie?
Aufgrund der Ergebnisse der Ancient-DNA-Forschung der wenigen letzten Jahre läßt sich heute viel präziser über die Ursachen der Begabungsunterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Völker nachdenken als jemals zuvor. Auf Twitter ist im März 2019 die folgende inhaltsreiche Grafik weiter geteilt worden (Abb. 1) (1).
Abb. 1: Die genetischen Herkunftsanteile der europäischen Völker aus der "Formierungsphase" Europas (6000 bis 2000 v. Ztr.) |
Die Grafik (Abb. 1) ist irgendeiner der Ancient-DNA-Studien der letzten Jahre entnommen. Sie zeigt auf, wie sich die heutigen europäischen Völker in ihren genetischen Herkunftsanteilen unterscheiden und wie weit diese Herkunftsanteile jeweils in die Geschichte zurück reichen. Es wird noch eine Weile dauern, bis alle Schlußfolgerungen, die sich aus dieser kleinen Grafik für das Verständnis der Kulturgeschichte Europas ergeben, in das Bewußtsein aller historisch Denkenden "eingesickert" ist.
Bekanntlich haben wir geringe Reste von Genen der Neandertaler in uns - jeder Mensch ein wenig unterschiedlich im Prozentsatz. Aber dieser Herkunftsanteil ist insgesamt zu gering und zu diffus in Europa verteilt, um ihn in dieser Grafik zur Darstellung zu bringen. So verhält es sich auch mit anderen ursprünglicheren Herkunftsanteilen, die wir in uns tragen, insbesondere von Volksgruppen aus der europäischen Eiszeit. Vielmehr stammen wir heutigen Europäer im wesentlichen von den folgenden drei Herkunftsanteilen ab:
Der blaue Balken gibt den Anteil an der Herkunft von den letzten west- und mitteleuropäischen Jägern, Sammlern und Fischern an. Dieser Anteil konnte sich deshalb bis heute halten, weil die Nachkommen der ersten europäischen Bauern, die sich von Anatolien aus ausgebreitet hatten (anfangs fast ohne sich mit Einheimischen zu vermischen), nach dem Untergang der Bandkeramiker sich im Mittelneolithikum doch verstärkt mit den einheimischen Reliktbevölkerungen an See-, Fluß- und Meeresufern Nordeuropas vermischten. Deshalb wiesen die Völker Europas ab dem Mittelneolithikum jeweils zwischen zehn und zwanzig Prozent einheimische Jäger-Sammler-Genetik auf, ein Beitrag, der sich bis heute in je unterschiedlichen Anteilen in den Völkern gehalten hat.
Der orange Balken gibt den Anteil an der anatolisch-neolithischen Herkunft an, also die Gene jener Völkergruppe, die im Frühneolithikum die seßhafte Lebensweise nach Europa ausgebreitet hat und die sich dann im Mittelneolithikum - nach stärkerer Einmischung einheimischer Genetik (die blauen Balken) - bis nach Skandinavien, England und Osteuropa hinein weiter verbreitet hat. Es waren dies also zunächst die Bandkeramiker, später in Mitteleuropa zum Beispiel die Michelsberger Kultur und von dieser ausgehend im Ostseeraum die Trichterbecher-Kultur und in Ostmitteleuropa die Kugelamphoren-Kultur. Damit sind aber nur wenige Völker dieser großen Völkergruppe genannt. Sie alle sind heute ausgestorben. Wie man auf der Grafik (Abb. 1) gut sehen kann, haben sich die Gene dieser Völkergruppe bis heute am ausgeprägtesten auf Sardinien (!) erhalten, also in einem "Randbereich" Europas. Anhand der heutigen Sarden kann man sich also - womöglich - zumindest grob ein Bild vom äußeren Aussehen und dem Charakterart dieser früh- und mittelneolithischen europäischen Völkergruppe machen.
Die grünen Balken schließlich geben den genetischen Anteil der Indogermanen (Yamnaya-Kultur) in den europäischen Völkern an, Anteile, die sich im Spätneolithikum von Ostmitteleuropa aus (als Schnurkeramik- und Glockenbecher-Kultur) zügig über ganz Europa und den Mittelmeer-Raum ausgebreitet haben. Vermutlich hängt es nun insbesondere mit der Siedlungsdichte der jeweiligen Vorgängerkulturen vor Ort zusammen, daß sich die Gene der Indogermanen in Skandinavien und Nordeuropa viel ausgeprägter ausbreiten konnten (über "Replacement", also "Austausch") und die Gene der vorher dort lebenden Völker ersetzen konnten als im südlichen Europa, wo sie nur als ein weiterer Anteil zu vorhandenen Anteilen hinzutraten, die durch ihre Zuwanderung nicht ausstarben.
Die Deutschen sind auf dieser Grafik (Abb. 1) nun gar nicht angeführt. Aber es darf angenommen werden, daß sie sich in ihren Herkunftsanteilen grob zwischen den Tschechen einerseits und den Engländern andererseits bewegen. Und das sei doch schon einmal wiederholt und damit betont: Zwischen den Tschechen einerseits und den Engländern andererseits.
Die große Bedeutung der Muttersprache für das Begabungsspektrum der Völker
Wir wissen, daß diese Herkunftsanteile zuletzt in der germanischen Völkerwanderung der Spätantike geformt wurden. Damals wanderten anthropoloigsch meist recht einheitliche germanische Stämme von Skandinavien aus nach Nordfrankreich, England, Deutschland und auch Rußland. Sie wanderten auch nach Norditalien (Toskana). Aber auffällig ist, daß Norditalien in dieser Grafik nur geringe indogermanische Herkunftsanteile aufweist. Und dennoch hat Norditalien im Mittelalter, in der Rennaissance und danach wesentlichste Beiträge zur Kulturgeschichte Europas geleistet, wesentlichste. Es gehört seit dem Mittelalter zu den wirtschaftsstärksten Regionen Europas. Das ist schon einmal ein Umstand, der in diesem Zusammenhang als ein sehr auffallender zu benennen ist. / Ergänzung: Dazu ist im November 2019 eine neue archäogenetische Studie erschienen, aufgrund deren die Kulturgeschichte Italiens vor dem Hintergrund der Verschiebung der genetischen Herkunftsanteile genauer analysiert werden kann (2). /
Was also macht diese Grafik vor allem klar? Sie macht klar, daß indogermanische Genetik allein kulturelle Begabung noch nicht für sich hervorruft. Da es diese vor der Bronzezeit in den Hochkulturen von Ägypten, Sumer, Indien, Margiana, China und so weiter, sowieso nicht gegeben hat oder kaum, war es immer schon zweifelhaft, ob es diese indogermanische Genetik allein sein soll, die kulturelle Errungenschaften vor allem hervor bringt. Vielmehr müssen also auch andere Faktoren eine Rolle spielen. Und zu diesen ist nun natürlich insbesondere auch die jeweilige Muttersprache zu zählen. Neben anderen Faktoren wie Einbindung in geographische und geschichtliche Beziehungszusammenhänge.
Umgekehrt hat es zwischen den slawischen Völkern und den Deutschen seit dem Frühmittelalter bis heute einen recht deutlichen zivilisatorischen, sprich wirtschaftlichen und auch kulturellen Unterschied gegeben. Die Deutschen gelten als fleißig, arbeitsam, ordentlich, pünklich, diszipliniert. Die slawischen Völker haben diese für das Funktionieren von Hochkulturen wesentlichen Eigenschaften jeweils erst mit vielen hundert Jahren Verzögerung angenommen - wenn überhaupt. Aufgrund der genetischen Herkunftsanteile allein sollte man aber nun einen solchen eklatanteren kulturellen Unterschied wie den zwischen Slawen und Deutschen keineswegs annehmen. Worauf also wird er zurück zu führen sein?
Die Kugelamphoren-Kultur
Hier drängt sich uns unter anderem die Frage auf, welche nachwirkende Rolle womöglich die Kugelamphoren-Kultur Ostmitteleuropas für die nachfolgenden Kulturen spielte. Wir wissen heute, daß sie noch keinerlei indogermanische Genetik aufgewiesen hat (wie Marija Gimbutas noch angenommen hatte), sondern vorwiegend anatolisch-neolithische und europäische Jäger-Sammler-Genetik.
Als sie im Verlauf ihres Untergangs von den Indogermanen überlagert wurde, könnten sich im Wesentlichen schon die Ursprünge, Vorformen der slawischen Sprachen gebildet haben durch Vermischung der indogermanischen Sprache mit der vorherigen Substratsprache, die von dem Volk der Kugelamphoren-Kultur gesprochen wurde. Die Sprache der Kugelamphoren-Kultur hinwiederum könnte in stärkeren Anteilen eine Sprache anatolisch-neolithischer Herkunft gewesen sein oder aber eine Sprache, die schon vor dem Neolithikum in Ostmitteleuropa einheimisch war. Beides ist möglich.
Es gibt einige Fälle in der Kulturgeschichte der Menschheit, in der Genetik und Sprache nicht parallel miteinander gegangen sind (etwa Austronesien, auch allerhand Völker des Mittleren Ostens.) Rein gefühlsmäßig neigt der Schreiber dieser Zeilen dazu anzunehmen, daß in der Kugelamphoren-Kultur wesentliche muttersprachliche Traditionen der vorneolithischen Bevölkerungen weiter wirkten. Das ist prinzipiell denkbar - aber letztlich beim derzeitigen Kenntnisstand reine Spekulation. Rationale Gründe können dafür zunächst nicht angeführt werden. (Es sei denn, solche lägen schon aus der Sprachforschung vor. Diese haben wir zu dieser Frage nicht sehr gründlich gesichtet.)
Jedenfalls: Auf die slawische Sprache wird es vor allem doch zurück geführt werden müssen, wenn wir bis heute so deutliche Mentalitätsunterschiede zwischen den germanischen und slawischen Völkern erkennen.
Im übrigen könnte sich die Muttersprache auch als ein nicht unwesentlicher Selektionsfaktor herausstellen, der über Jahrhunderte wirksam gewesen ist und darum die Völker doch unterschiedlicher genetisch durchgeformt haben könnte als es anhand der Herkunftsanteile der obigen Grafik erkennbar wäre.
- Whyvert: Yamnaja-Herkunft in europäischen Völkern, 17.3.2019, https://twitter.com/whyvert/status/1107120622155583490
- Bading, Ingo: Indogermanische Genetik in Italien (2.500 v. Ztr. bis heute) Römische Republik und Italienische Renaissance, 9. November 2019 https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/11/indogermanische-genetik-in-der.html
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