Die Indogermanen wurden schon oft als "Lichtbringer", "Heilsbringer" in der Weltgeschichte charakterisiert. Als strahlende "Arier", die weit über alle anderen Völkern hinaus ragen würden, nicht nur körperlich. Und die diesen anderen Völkern eine neue Gott- und Weltanschauung bringen würden, eine neue Weltsicht, eine edlere, heldenmütigere Lebenshaltung. Eine erhabene.
Abb. 1: Der Abendstern - Gemälde von Caspar David Friedrich |
Ob sie mitunter auch selbst so von sich gedacht haben, wird man vorerst weder geradewegs verneinen noch bejahen wollen. Sie waren erfüllt von Dyēus (Tius/Zeus/Deus) (Wiki), ursprünglich von dem "Strahlenden, Erstrahlenden". Vielleicht wurde diese Erfahrung auch schon zu ihrer Zeit mit einer persönlichen Gottvorstellung in Verbindung gebracht. Aber parallel dazu blieb sicherlich - bis in die Antike hinein, also über 3500 Jahre hinweg - als Überlieferung erhalten, was noch Tacitus über die Germanen sagte (Germ):
Im übrigen glauben die Germanen, daß es der Hoheit der Himmlischen nicht gemäß sei, Götter in Wände einzuschließen oder irgendwie der menschlichen Gestalt nachzubilden. Sie weihen ihnen Lichtungen und Haine, und mit göttlichen Namen benennen sie jenes geheimnisvolle Wesen, das sie nur in frommer Verehrung erblicken.
Womöglich kann man sich die Urindogermanen erfüllt vorstellen vom Erleben der Allgewalt des Göttlichen. Und womöglich wollten sie dem Erleben dieser Allgewalt Ausdruck verleihen - im Gemeinschaftsleben, vielleicht auch in der Begegnung mit anderen Völkern und im Angesicht anderer Gottauffassungen und im Angesicht von anderem Gotterleben.
Wir wollen im folgenden Beitrag den archäogenetischen und archäologischen Neuerkenntnissen, die wir im Mai und Juni hier auf dem Blog in drei Beiträgen referiert haben (zuletzt: Stgen2024) noch weiter nachgehen. Insbesondere den Inhalten des letzteren Beitrages über Kurgan-Heiligtümer als definierendes Element der "Kern-Jamnaja-Kultur".
Ein "Zigeuner"-Volk weit hinten in abgelegener Steppe
Für die damaligen "wohlhabenden" Zentren der spätneolithischen Bauern-Großreiche waren die Indogermanen an so entlegenen Flüssen wie Inhulez, Dnjepr und Molotschna zunächst sicher nur ein "armes", "zurückgebliebenes", halbnomadisch lebendes "Zigeuner"-Volk, das wirtschaftlich und von der Bevölkerungsdichte her ursprünglich und noch über viele weitere Jahrhunderte hinweg auch nicht ansatzweise mithalten konnte mit den reichen seßhaften Bauernvölkern der Großreiche, von denen sie umgeben waren - im Süden, im Norden und im Westen.
Abb. 2: Eingesunkene Jamnaja-Kurgane 15 Kilometer westlich von Apostolowo bei dem Dorf Schewtschenko (Wiki) (GMaps), Kurgan 28 und 29, oben Blick von Süden, unten Blick von Norden (Abb. 66 in: Chernykh/Daragan 2014) - Apostolowo liegt 60 Kilometer nördlich von Michailowka am Dnjepr |
Das brauchte aber diese "Zigeuner" in der Steppe auch gar nicht weiter kümmern. Die Frage ist ja viel eher: Wie konnte es kommen, daß dennoch ausgerechnet solch ein "Zigeuner"-Volk weit ab von allen Zentren der damaligen "Zivilisation" innerhalb von tausend Jahren die gesamte westliche Welt zur Übernahme ihrer Sprache und Weltsicht bringen konnte, "indogermanisieren" konnte? Also in viel schnellerer Zeit als die westliche Welt zuvor bis nach Skandinavien hinauf neolithisiert worden war (zwischen 6.500 bis 4.000 v. Ztr.) . Und auch diese neolithischen Völker Europas hatten ja schon allerorten ihre "Volkssternwarten" (Grabenwerke), wo sie in Andacht dem Himmlischen in sich und über sich Aufmerksamkeit widmeten. Auch die Ägypter, auch die Babylonier verehrten den Lauf der Gestirne. Was eigentlich sollten die zigeunerhaften, armen Indogermanen aus den Nordschwarzmeer-Steppen all diesen Großreichen rundum noch Neues bringen können?
Es könnte insbesondere damals die Emphase gewesen sein, es könnte eine weitere Steigerung der inneren Erfülltheit, des Stolzes, der Eigenmächtigkeit und individuellen Selbstbestimmung gewesen sein. Es könnte gewesen sein, daß die Indogermanen - so wie sie körperlich alle anderen Völker überragten - auch seelisch sich "groß" gefühlt haben, sich als größer, erhabener gefühlt haben als Angehörige anderer Völker. Vielleicht vergleichbar dem, was noch der deutsche Schriftsteller Felix Dahn von jenem (offenbar unhistorischen) heidnischen Norweger vermutet hat, der (womöglich?) Sizilien (?) erobert hat, und von dem die Einheimischen in der Dichtung sagten, daß er "durch uns hingeht wie ein Gott". Siehe dazu das Jugendgedicht von Felix Dahn "Der stolze Gast" (Zn). Aber das mag nur einer von mehreren Denkansätzen zu diesem Thema insgesamt sein.
"Annahme einer innovativen Weltanschauung"?
Schon 2021 konnte man von Seiten ukrainischer Archäologen lesen (Resg2021), ...
... daß die Träger der Jamnaja-Kultur vor allem durch die Gemeinsamkeit der Weltanschauung und religiös-mythologischer Vorstellungen vereint waren. Die „neue Ideologie“, die sich in einem einheitlichen Bestattungsritus widerspiegelte, wurde zur Grundlage für die Bildung einer neuen kulturellen und historischen Gemeinschaft, die sich durch die Zusammenführung einer vielfältigen Bevölkerungen auf der Grundlage der Annahme einer innovativen Weltanschauung auszeichnete.... that the carriers of the YC were primarily united by the commonality of the worldview and religious-mythological ideas. Reflected in a unified funeral rite, the "new ideology" became the basis for the formation of a new cultural and historical community, characterized by the bringing together a diverse population based on the adoption of an innovative worldview.
Das waren vollmundige Worte wie man sie nicht oft aus dem Munde von Archäologen hört. Worauf gründen sich diese eigentlich? Ähnliche Worte lasen wir dann ja auch - wohl von Seiten derselben Autoren - im Anhang der archäogenetischen Studie von 2024 (Stgen2024). Den Forschungen, auf denen diese Worte gründen, wollen wir im vorliegenden Blogbeitrag weiter nachgehen, und zwar auch kritisch nachgehen.
So hatten es also der Hauptautor der archäogenetischen Studie von 2024, der ukrainische Bioarchäologe Alexey G. Nikitin (GVSU) (Schol) (Reseg) schon 2021 zusammen mit der ukrainischen Archäologin Swetlana Iwanowa (ukr. Svitlana Ivanova, Світлана Іванова) (Schol) (Acad) geschrieben. Letztere ist auch eine Mitautorin von 2024. Ob sich da zwei Archäologen in ihrer ersten Begeisterung nicht ein wenig gar zu weit aus dem Fenster gelehnt haben? Ob das trägt, was da ausgeführt worden war, und was wir auch im früheren Blogartikel ausführlicher zitiert hatten (Stgen2024)? Was sollte denn konkret so "innovativ" gewesen sein an der Weltanschauung des Urvolkes der Indogermanen? Liest man die Studien, die sie dazu zitieren, bleibt das - wenigstens uns - doch einigermaßen vage.
Aber indem wir dieser Frage nachgehen, stoßen wir auf viele andere Erkenntnisse zum Volk der Späten Urindogermanen, die in den letzten Jahrzehnten von der ukrainischen Archäologie erarbeitet worden sind und noch kaum im "Westen" rezipiert worden sind. Beide genannten Archäologen hatten 2021 und 2022 Vorstudien erstellt, die den Weg markieren hin zu dem wiederum zum Teil sehr vollmundigen archäologischen Text im Anhang der archäogenetischen Studie von 2024.
Mag sein, daß die Autoren insbesondere 2021 den vielen, überraschenden neuen Daten aus der Archäogenetik auch auf kultureller Seite etwas Gewichtiges entgegen stellen wollten und deshalb das Bedürfnis verspürten, diese religiöse Komponente und das vorgeblich "Innovative" derselben noch einmal besonders heraus zu stellen. (Und zwar womöglich auch in erster Abwehr-Reaktion auf "Kossinna's Smile". Siehe dazu mehr unten im Anhang.) Um so wichtiger ist es, sich die von ihnen zitierte archäologische Literatur dazu nun auch anzuschauen (soweit das geht).
Abb. 3: Ritualfeuer am Cromlech in der Steppe - In den Boden eingerammte Baumstämme scheinen mit Absicht bis in den Boden hinein niedergebrannt worden zu sein (Abb. 2 in: Chernykh/Daragan 2014) |
Das ist natürlich nicht sehr einfach, da die Publikationen in ukrainischer Sprache verfaßt sind. Die Theorie, daß die oben mit Plattformen versehenen Kurgane Heiligtümer darstellen, ist insbesondere in zwei ukrainischen archäologischen Studien erarbeitet worden, die beide aus dem Jahr 2014 stammen. Die eine stammt von dem ukrainischen Archäologe Sergey Zh. Pustovalov (Сергій Пустовалов) (geb. 1953) (Schol). Ihm wurde 2018 zum 65. Geburtstag eine Festschrift gewidmet (s. pdf). Er berichtet im Kern von Ausgrabungen bei Alt-Nassau (seit 1945 Vinogradnoe, bzw. Wynohradne) (Wiki) (GMaps)(nördlich von Melitopol), die er schon 1982 durchgeführt hatte. Er stellt die Forschungsergebnisse dort in Parallele zu Erkenntnissen an anderen Jamnaja-Kurganen, wie sie in einer halbmondförmigen Region zwischen Inhulez (Wiki), Dnjepr und Molotschna zu finden sind.
Die 500-seitige Studie zweier anderer ukrainischer Archäologinnen, Lyudmila Andreevna Chernykh (Черных Людмила Андреевна) (Schol) (Doktortitel 1997 erworben) und Marina Daragan (Acad), fußt aber noch auf einem ganz anderen, viel umfangreicheren Daten-Material. Aufgrund des umfangreichen Tagebau's auf Mangan-Eisenerz in der Region nordwestlich von Nikopol (um dessentwillen die Stadt 1943/44 so besonders stark umkämpft war) haben daselbst in den letzten Jahrzehnten umfangreiche Rettungsgrabungen von Kurganen stattgefunden. Diese Grabungen werden in ihrer Studie von 2014 ausgewertet.
Beide genannten Studien von 2014 sind in Ukrainisch verfaßt, aber die letztere Studie hat den Vorteil, daß sie am Ende eine ausführliche Zusammenfassung in deutschsprachiger Übersetzung präsentiert (wenn sie auch etwas holprig übersetzt ist). Außerdem enthält die Studie einige eindrucksvolle Abbildungen, die oft schon selbsterklärend sind. Sie sind schon für sich oft aussagekräftiger als jede Textbeschreibung (s. z.B. Abb. 3).
"Mehr von allem, mehr, mehr, mehr" - Die Bevölkerungsexplosion in der Steppe ab 3.300 v. Ztr.
Die beiden Archäologinnen weisen aber - eher unerwartet - auf etwas uns zunächst noch viel Wesentlicheres hin. Nämlich auf quasi "notwendigerweise" zu schlußfolgernde demographische Entwicklungen innerhalb der Jamnaja-Kultur. So deutlich und klar liest man das sonst offenbar nicht in der Forschungsliteratur. Sie schreiben über die erforschte Region nordwestlich von Nikopol (Chernykh/Daragan 2014, S. 564f):
Der Bereich zwischen den Flüssen Bazavluk, Solenaja und Čertomlyk zeichnet sich durch eine 21 km lange, sich von Südwest nach Nordost erstreckende Hochebene mit steppenartigem Charakter aus, die im Westen an das Flußtal des Bazavluk, im Nordwesten an seinen linken Nebenfluß Solenaja und im Osten an Čertomlyk grenzt.
Erläutert sei: Der Fluß Basawluk (Wiki) mündet westlich von Nikopol von Norden her in den Dnjepr. Das Städtchen Tschortomlyk (Wiki) liegt 22 Kilometer nordöstlich von Nikopol. In Tschortomlyk wurde 1862 ein reich ausgestatteter skythischer Königsgrabhügel (Wiki) ausgegraben.
Abb. 4: Die frühesten Eigendarstellungen der Indogermanen - Hier aus dem Balkan-Karpaten-Gebiet (aus EKaiser2019, S. 207) |
Die beiden Autorinnen schreiben dann weiter zur Siedlungsabfolge in dieser umschriebenen Region (Chernykh/Daragan 2014, S. 564f):
Die früh-äneolithische Bevölkerung besiedelte ausschließlich die Flußtäler. Alle Flachnekropolen wurden auf niedriger gelegenem Gelände erbaut.Die Veränderungen treten in der Zeit des mittleren Äneolithikums auf. Es entstehen Kurgane, dabei bleiben solche Traditionen der Nekropolen (Errichtung einiger Gräber unter einer Aufschüttung oder einige nebeneinander angeordnete Kurgane) erhalten, obwohl die Zahl der Gräber in solchen Nekropolen niedriger als in den vorherigen ist. Die Bevölkerung fängt an, die Wasserscheiden zu erschließen. Dabei geht sie noch nicht weit in die Steppe, in allen bekannten Fällen geht es ausschließlich um die Gebiete, die nahe zu den Flußtälern liegen.In der Zeit der Grubengrabkultur verändert sich die Erschließungskonzeption des Raumes grundlegend. Es werden mehr Kurgane gebaut, die Zahl der Gräber darin steigt, die Aufschüttungen werden größer und die Kurgane bilden große Nekropolen. Dabei besiedelt die Bevölkerung dieser Kultur wesentlich größere Flächen. So werden in dieser Zeit auf dem Gebiet zwischen den Flüssen Bazavluk, Solenaja und Čertomlyk alle ökologischen Nischen besiedelt. Die gleiche Erscheinung ist auch in den benachbarten Regionen am Unteren Dnjepr zu beobachten. Allen heute bekannten sozialökonomischen Rekonstruktionen der Grubengrabkultur liegt das Wort „mehr“ zugrunde: Mehr Kurgane - mehr Bevölkerung - mehr Viehherden - es wird notwendig, sich auf immer größeren Flächen zu bewegen.
So und nicht anders kann es ja nur gewesen sein. Genau solche Umstände müssen ja sowieso vorausgesetzt werden, wenn man erklären will, wie demographisch aus einer kleinen Kernregion heraus ein "Urvolk" sich über seine Nachkommen über die gesamte Nordschwarzmeer-Steppe bis in die ungarische Tiefebene hinein ausbreitet und über Nachfolgekulturen über ganz Europa und weite Teile Asiens. Das geht nur, wenn eines vorliegt, nämlich wenn allem "das Wort "mehr" zugrunde liegt: Mehr Kurgane - mehr Bevölkerung - mehr Viehherden".
Es ist wunderbar, daß die Archäologie genau das, was gefunden werden muß, nun auch findet. Hier hat eine Bevölkerung, ein Volk eine Art des Zusammenlebens und Wirtschaftens gefunden (nach Gerhard Mackenroth eine "Bevölkerungsweise"), die eine solche Bevölkerungsexplosion möglich gemacht hat. Die Menschen haben einfach "ihr Ding" gemacht, es gab - offenbar - Möglichkeiten des Bevölkerungswachstums und die Menschen haben diese Möglichkeiten genutzt. So wie dies immer bei Frontier-Populationen der Fall gewesen ist, sei es im 18. und 19. Jahrhundert in den USA, sei es im Mittelalter während der deutschen Ostsiedlung, sei es unter den deutschen Rodungsbauern in Wolhynien, unter den deutschen Kolonisten in der Ukraine und an der Wolga im 19. Jahrhundert, sei es noch heute unter den Hutterern und Amischen in den USA.
Nichts anderes als solche Umstände müssen ja vorausgesetzt werden, wenn aus der Region am Unteren Dnjepr, die im Durchmesser 200 bis 300 Kilometer beträgt, und die der Größe eines größeren deutschen Bundeslandes entspricht, alle Indogermanen hervorgehen, die selbst und deren Nachkommen dann innerhalb der nächsten tausend Jahre Europa und weite Teile Asiens "indogermanisieren". Aus einer so kleinen Region und Ausgangspopulation heraus. Natürlich ist die Voraussetzung dafür: Mehr, mehr, mehr. Mehr von allem. Vor allem ein großer Kinderreichtum der Nomaden-Familien. Es ist das eine ähnliche Erscheinung wie sie zum Beispiel für die vergleichsweise schnelle Ausbreitung der Kultur der Bandkeramik aus dem Wiener Becken heraus über ganz Mitteleuropa 2.200 Jahre früher vorausgesetzt werden muß (als das Rad noch nicht erfunden war).
Abb. 5: Porträt-Grabstelen der Jamnaja-Kultur - 170 Porträt-Grabstelen im Bereich des Dnjestr und des Südlichen Bug (!) - rot = detaillierte Darstellungen, blau = einfache Steine mit Kopffortsatz |
Wir möchten meinen, daß schon allein in diesem Umstand das "Innovativste" beschlossen liegt, was die Jamanja-Kultur in die damalige Welt gebracht hat. Aber natürlich darf gefragt werden, wie sich diese Lebenshaltung des "Mehr, Mehr, Mehr" zum Beispiel auch auf religiösem Gebiet ausgewirkt hat oder auch ausgewirkt hat in Richtung auf früheste Eigendarstellungen der Indogermanen. Auch diese erscheinen uns zunächst Wesentlicher als die Kurgane mit oberer Plattform, die von Alexey Nikitin und anderen ukrainischen Archäologen neuerdings so in den Mittelpunkt gestellt werden.
Die steinernen Eigendarstellungen des Urvolks der Indogermanen
Eine der wenigen deutschsprachigen Überblicksdarstellung zum Stand der Erforschung der Jamnaja-Kultur in der Ukraine von Seiten der Berliner Archäologin Elke Kaiser behandelt glücklicherweise auch die Grabstelen und Eigendarstellungen daselbst. Sie gehören nämlich, so erfahren wir hier, zum Kerninventar der Jamnaja-Kultur und stellen in der gesamten Nordschwarzmeer-Region eine echte Innovation dar. Warum Alexey Nikitin nicht zunächst einmal diese Innovation in den Vordergrund gestellt hat, ist uns rätselhaft. Hier steht man ja auf viel sichererem Boden als bei den Spekulationen zum Zweck der Kurgane mit oberer Plattform.
Wir selbst waren Ende 2019 ebenfalls auf dieses Thema gestoßen (Stgen2019). Wir waren damals bei der Recherche noch nicht auf die Studie von Elke Kaiser gestoßen. Und so können wir das, was diese an Neuem enthält hier jetzt nachtragen.
Der Brauch, steinerne Grabstelen zu schaffen, ist klar ein definierendes Element des Urvolkes der Späten Urindogermanen, der Jamnaja-Kultur am Unteren Dnjepr ab etwa 3.300 v. Ztr. (Kaiser2019, S. 207ff). Es ist bis auf weiteres nicht erkennbar, daß die Jamnaja-Leute für diesen Brauch Anregungen aus anderen Regionen erhalten haben. Er scheint ein konstitutives und innovatives Element ihrer Kultur zu sein. Bis nach Mitteleuropa und bis in den Alpenraum hinein erfolgte die Verbreitung -ausgehend vom Nordschwarzmeer-Raum - nicht. Denn es besteht vielmehr eine Verbreitungslücke zwischen Ostkarpaten und Alpen (s. Stgen2019).
Die Jamnaja-Kultur selbst hat sich ja nach Westen auch nur bis in die ungarische Tiefebene ausgebreitet. Ihr Ausbreitungsgebiet endet ja bezeichnenderweise überall dort, wo auch die Steppe endet. In der Übergangszone zu anderen Lebensräumen entstand dann ja die Schnurkeramik (s. David Reich in Yt-2024).
Abb. 6: Beispiele für sternförmige Wegeführung zu Grabhügeln hin, von ihnen weg und an ihnen vorbei (aus Chernykh/Daragan 2014) |
Wenn innerhalb von Mittel- und Westeuropa und innerhalb des Alpenraumes die dort ankommenden Indogermanen (Schnurkeramiker, Glockenbecherleute) den Brauch wieder aufgenommen haben, Stelen aufzustellen, dann haben sie dies offenbar jeweils von den Menschen vor Ort übernommen, die diesen Brauch selbst als Innovation eingeführt hatten. Vielleicht war ihnen von ihren Vorfahren in der Steppe her noch in Erinnerung, daß auch diese diesen Brauch ausgeübt hatten. Vermutlich lag ein solcher Grabbrauch auch einfach "im Geist der Zeit", so daß er in ähnlicher Zeitstellung in unterschiedlichen Regionen Europas bei unterschiedlichen Kulturen aufkam und je nach dem weiter geführt wurde oder in Vergessenheit geriet (s. Stgen2019).
Es erscheint naheliegend anzunehmen, daß diese Stelen selbst schon ein Zeichen für größere soziale Ungleichheit sind. Die Vergrößerung sozialer Ungleichheit wird nämlich in der Ukraine ab 3.600 v. Ztr. festgestellt, ausgerechnet in der Zeit, in der sich die Maikop- und die Jamnaja-Kultur im Gebiet der Tripolje-Kultur ausbreiteten (Damals2024). Und viele Erforscher der Urindogermanen nehmen ja auch eine soziale Dreigliederung derselben an in Priester, Krieger und Bauern (Wiki).
Es war uns ja schon im früheren Beitrag klar geworden, daß die Indogermanen nicht die ersten waren, die solche Stelen erarbeitet und aufgestellt haben, zumindest außerhalb der Ukraine nicht die ersten. Wir erfahren über die Stelen in der Ukraine (Kaiser2019, S. 207):
Die einfach gestalteten Stelen wurden meist als Bestandteil(e) von Abdeckungen der Grabgruben der Jamnaja-Kultur entdeckt, dabei kann eine einzelne Stele eine kleine Grube überlagern, doch häufiger bildete sie eine von mehreren, vorwiegend unbearbeiteten Steinplatten.
Sie verweist auf eine englischsprachige Behandlung des Themas durch Telegin und Mallory aus dem Jahr 1994 (Kaiser2019, S. 207):
Mehr als 300 Stelen waren Telegin und Mallory bekannt, wobei ihre Kartierung eine starke Konzentration im nordpontischen Gebiet zwischen den Flüssen Dnjepr und unterer Donau sowie auf dem linken Ufer des Dnjepr in der Sivašregion und auf der Krim zeigt. (...) 218 Stelen zählten O.G. Šapošnikova und ihre Kollegen im Gebiet zwischen Dnjepr und Südlichem Bug.
Der Schwerpunkt der geographischen Verteilung ist also klar die Urheimat der Späten Urindogermanen. Das geht auch noch einmal eindeutig aus der beigegebenen Abbildung hervor (Abb. 5).
Abb. 7: Beispiele für sternförmige Wegführung zu Grabhügeln hin, von ihnen weg und an ihnen vorbei (aus Chernykh/Daragan 2014) |
Wir lesen (Kaiser2019, S. 210):
An der Verbreitung im Westpontikum ist auffällig, daß die Stelen bis auf die Ausnahme des Bruchstücks aus Stan eng begrenzt auf das Gebiet nahe der Bucht von Varna sind und mit den Funden aus Hamangia ein Bindeglied zum nordwestlichen Schwarzmeergebiet vorliegt. Aus dieser Region sind ebenfalls zahlreiche Bestattungen der Jamnaja-Kultur bekannt, so daß der Transfer von Stelen im Grabritus kulturell eingebunden scheint.
Elke Kaiser geht noch der Frage nach, ob dieser Brauch sich von der Krim ausgehend und der dortigen Kemi-Oba-Kultur zum Unteren Dnjepr ausgebreitet haben könnte (EKaiser2019, S. 212). Auf der Krim ebenso wie in der Unteren-Michailowka-Kultur am Unteren Dnjepr wurden richtige Steinkisten mit solchen Schrägstrichverzierungen gesetzt, die auch sonst und später typisch sind für indogermanische Kulturen (Kaiser2019, S. 213):
Außerhalb des nördlichen Schwarzmeerraums wurden anthropomorphe Stelen nur selten aufgefunden (...), und nie waren sie Bestandteil einer Grababdeckung. (...) Es ist zu vermuten, daß die Sitte der Einbindung von Stelen in den Grabritus außerhalb des nordwestpontischen Gebiets sich allmählich änderte und sie deshalb seltener verwendet wurden.
Insgesamt ist also festzuhalten, daß Grabstelen ein genuiner Grabbrauch der Jamnaja-Kultur vom Unteren Dnjepr sind und daß einstweilen nicht erkennbar ist, woher sie Anregungen dazu erhalten haben sollten, außer daß ein solcher Grabbrauch einfach "im Geist der Zeit" gelegen zu haben scheint, zumal für ein so körperlich hoch gewachsenes und zugleich "heldenmütig" gesonnenes Volk wie das Volk der "Späten Urindogermanen".
Abb. 8: Hier lag ein Mensch bestattet, der zu den frühesten Repräsentanten gehört, die genau jene "Steppengenetik" in sich trugen, die heute alle Europäer in sich tragen (die "Kern-Jamnaja-Genetik") - Es handelt sich um den großen Kurgan bei Alt-Nassau an der Molotschna ("Konskiy Brod Kurgan, Winogradnoje") (GoTo) |
Kehren wir zu den beiden Studien über die Kurgane mit oberen Plattformen aus dem Jahr 2014 zurück, um auch hier die Argumentation weiter zu verfolgen. Auf den der Chernykh/Daragan-Studie beigegebenen Fotografien macht die sternförmige Wegführung zu den Grabhügeln hin und von ihnen hinweg nicht den Eindruck, als ob es sich um eine besonders "systematische" Wegeführung handelt (Abb. 6 und 7). Womöglich können diese Wege nur bezeugen, daß die Menschen mit ihren Rinderwagen häufig - und zwar aus allen Richtungen - zu diesen Grabhügeln hin gekommen sind, vielleicht sie auch umrundet haben - und wieder nach Hause gefahren sind in ihre Nomadenlager, die in alle Richtungen rund um die Grabhügel verteilt gewesen sein mögen. Vielleicht alljährlich zu Jahresfesten. Dabei können sich die Wege ja gut ausgefahren haben.
Die sternförmige Wegeführung rund um viele Kurgane mit oberer Plattform
Man muß ja auch bedenken, daß diese Kurgane in der Landschaft weithin sichtbar waren und Orientierungspunkte darstellten. Den zu ihnen hin führenden Wegen muß man deshalb nicht gleich eine besondere religiöse Eigenbedeutung zusprechen oder ihnen gar mit astronomischen Deutungen - wie mit dem Tierkreis - zu Leibe rücken. Ansonsten hätte diese sternförmige Wegeführung ja doch sozusagen deutlich systematischer angelegt worden sein müssen. Dieser Umstand wird zum Beispiel besonders gut in Alt-Nassau (Wyhnoradne) an der Molotschna deutlich (Abb. 10): Nur dort, wo Rinderwagen auf der Ebene gut fahren konnten, befanden sich auch solche Wege. Natürlich nicht an der Steilkante hinunter zur Molotschna. Von dieser Seite her konnten nicht einfach sternförmigen Wege genutzt werden, die die Abbruchkante unberücksichtigt gelassen hätte. Also gibt es auf dieser Seite solche Wege auch nicht.
Die Wege werden wohl vor allem ein abermaliges Zeugnis sein für den Bevölkerungsreichtum, der sich in den Nomadenlagern rund um diese Grabhügel entfaltete, und der entsprechend viele Wege brauchte bei großen Jahresfesten oder auch sonst im Alltag. Dies sei hier allerdings zunächst nur als laienhaften Eindruck festgehalten. Wer solche Kurgane selbst ausgräbt und erforscht und sich intensiver mit der Thematik beschäftigt (was durch die ukrainische Sprache der Veröffentlichungen für Nicht-Ukrainer erschwert wird), könnte natürlich auch noch zu anderen Ergebnissen kommen. Das wollen wir durchaus zugestehen.
Versuchen wir nun noch zu verstehen, was wesentliche Inhalte der erstgenannten Studie, der Studie des Archäologen Sergey Pustovalo von 2014 sein könnten.
"Eines der herausragendsten Monumente der Steppenvölker jener Zeit" - Der Kurgan von Alt-Nassau
Wir lesen einleitend (mit Hilfe von Google-Übersetzer) (Pustovalo2014):
Der äußere Aufbau von Kurgan-Heiligtümern und ihr möglicher astronomischer Zweck werden behandelt. Solche Grabhügel haben in der Regel eine flache Oberseite und dunkle, strahlenförmig angeordnete Wege, die vom Hügel wegführen. Die Heiligtümer liegen in einem Halbmond vom Mittellauf des Flusses Molotschna bis nach Saporischja. Es gibt gute Gründe anzunehmen, daß solche Grabhügel Observatorien zur Beobachtung des Himmels waren.
In beigegebenen Abbildungen werden Parallelen zu Zikkuraten der babylonischen Kultur erwogen (Abb. 9). Das möchte man nicht gleich von der Hand weisen. Die Grundintentionen könnten ähnliche gewesen sein: Die Nähe zum Göttlichen.
Wir lesen weiter (Pustovalo2014):
Es gibt ein sehr großes Kurgan-Heiligtum unweit der Stadt Molochansk im Bezirk Tokmak in der Region Saporischja, das 1982 vom Autor untersucht worden ist. (...) Genauen Untersuchungen zufolge erhob sich die Spitze des Hügels 80 Meter über der Flußsenke (der Molotschna). Die Höhe betrug 8,05 m, der Durchmesser 100 m. Die Böschung hatte die Form eines Kegelstumpfes (...). Bei der Ausgrabung wurde festgestellt, daß sich unter der Oberfläche des Hügels neben Bestattungen auch ein einzigartiges Heiligtum von komplexer Bauweise befand. Dieser Umstand macht den Kurgan Nr. 3 in der Nähe des Dorfes Alt-Nassau (Vynogradne, Molochanské svytalyshche) zu einem der herausragendsten religiösen Monumente der Steppenbewohner in der Ukraine in jener Zeit.
Auch um diesen Hügel findet sich - wie oben schon kurz angedeutet - sternförmige Wegeführung, allerdings unterbrochen durch die Steilkante hinunter zur Molotschna (s. Abb. 10).
Die wesentlichsten Erkenntnisse zu diesem Kurgan 3 bei Alt-Nassau an der Molotschna sind in zwei Abbildungen enthalten, die der Studie beigegeben worden sind (Abb. 9 und 10). Darin werden drei Bauphasen unterschieden. Wir lesen weiter (grobe Inhaltsangabe nach Google Übersetzer) (Pustovalo2014):
Nach Luftaufnahmen verlaufen 13 dunkle Linien, also gerade Wege vom Hügel ausgehend sternförmig in die Steppe nach Norden, Nordwesten, Westen und Südwesten - Wege mit einer Länge von bis zu 1200 m. In einigen Fällen endeten sie mit Flecken, die dunkler oder heller sind als der sie umgebende Boden. Diese Radiallinien werden von mehreren genau gleichen Linien geschnitten, die von Norden nach Süden gehen. Vielleicht sind das Spuren alter örtlicher Wege, die rituellen, heiligen oder astronomischen Charakter haben. Auf der gegenüberliegenden Seite in der Flußsenke, in der sich die Stadt Molochansk befindet, wurden keine Spuren von Linien gefunden, die zum Hügel Nr. 3 führen. Interessant ist, daß die rekonstruierte Zahl der Schächte mit der Anzahl der Wegelinien überein stimmt.
"Schächte" bezieht sich wohl auf das früheste rekonstruierte Monument (Abb. 9.6), das einem in dieser Form sehr unwahrscheinlich vorkommt, weil es doch sonst noch nirgendwo ähnlich beobachtet worden ist (?). Wie auch immer. In einem Blogartikel aus dem Jahr 2014 findet man eine gute Zusammenfassung über die Ausgrabung und erläuternde Fotografien dazu. Der Grabhügel wird hier "Konskogo Broda" genannt (andernorts "Konskiy Brod"). An Ende heißt es (7):
Die vorgeschichtlichen Baumeister haben eine gute Wahl getroffen für den Ort eines Heiligtums: Gegen Abend wird die Luft nahe der Molotschna nahezu durchsichtig. Der Blick wird frei auf einen weiten Horizont. Man sieht bis zu den fünfzig Kilometer entfernten Außenbezirken von Melitopol. Man sieht den gesamten Tokmak-Fluß und die Steppe am linken Ufer der Molotschna. Etwa zehn Kilometer weiter südlich entlang der Molotschna blickt man auf einen weiteren zehn Meter hohen Hügel, dahinter, etwas weiter, in der Nähe von Bogdanowka sieht man einen elf Meter hohen Hügel. Sie bilden eine Linie mit "Konskogo Broda" und es ist nicht schwer, sich eine gepflasterte Straße entlang dieser Hügel vorzustellen.
Es ist also zunächst einmal vor allem die landschaftliche Schönheit, die den Späten Urindogermanen bemerkenswert war, und von der sie sich beeindruckt zeigten (Abb. 11).
Abb. 11: Herrlicher Blick von einer Anhöhe bei Alt-Nassau (Vinogradnoe) an der Molotschna hinunter in die Steppe |
Der Archäologe Pustovalo hält aber in seiner Studie von 2014 für noch wichtiger das folgende (grobe Inhaltsangabe nach Google Übersetzer) (Pustovalo2014):
Es sollte beachtet werden, daß die wichtigsten äußeren Merkmale des Molotschna-Heiligtums die flache Oberseite des Hügels sind und das Vorhandensein von Wegen um ihn herum. Fragen wir, ob andere ausgegrabene Hügelgräber von der nördlichen Schwarzmeerküste diese Merkmale ebenfalls aufweisen.Zum ersten Mal widmete sich in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts K. Shishkin den von Wegen umgebenen Hügeln. Er führte als Beispiel Luftaufnahmen eines Kurgans an, der von einer Reihe von Wegen umgeben war, die zur Mitte des Hügels hin ausgerichtet waren. Um ihn herum gab es 12 strahlenförmig angeordnete Wege. Später veröffentlichte Y. Shilov über den Kurgan „Hostra Mohyla“. Von den Profilen des Randes dieses Kurgans her gesehen, kann man schließen, daß die flache Oberseite in mindestens vier Bauphasen entstand.
Es werden noch weitere Beispiele angeführt. Etwa der Kurgan „Sharp Grave“. Er soll der gleichen Zeitstellung angehören wie der Kurgan von Alt-Nassau und auch durch eine flache obere Plattform geprägt gewesen sein.
Kurgane gleicher Zeitstellung, die dem von Alt-Nassau ähneln
Und (Pustovalo2014):
Einer von ihnen war vom Autor dieses Artikels im Jahr 1975 ausgegraben im Gebiet Dnipropetrowsk. Kurgan Nr. 13 in der Nähe des Dorfes Volodymyrivka enthielt auch mindestens zwei Hügel-Bauphasen mit einer flachen Oberseite. Ebenso wie im Fall von „Hostraya Gyola“ gab es keine zentrale Bestattung als solche. An dieser Stelle wurden lediglich Reste von Holz und Schilfstreu erfaßt. Es handelte sich also wahrscheinlich um einen Kenotaph.
Kenotaph ist ein Schein- oder Ehrengrab (Pustovalo2014):
Ein weiterer Kurgan (Nr. 14) mit flacher Plattform oben wurde 1978 von der Cherson-Expedition in der Nähe des Dorfes Shevchenkivka untersucht. (...) Beim Betrachten von Luftaufnahmen des Ortes, an dem sich der Hügel befand, wurden mindestens sechs sich strahlenförmig vom Hügel entfernende Wege entdeckt .
Ein weiterer Hügel mit einem flachen Quadrat
an der Spitze wurde von O. Melnyk ausgegraben nördlich von Krywyj Rih. Es handelt sich um den Grabhügel Nr. 1 aus der Gruppe der Privatgräber (Northern Mining and Processing Plant). Das Gleiche wie im vorherigen Fall, die zweite und dritte Böschung hatte flache Spitzen. Die Höhe des Hügels nach der zweiten Verfüllung erreichte 4,3 m bei einem Durchmesser von 35 m. Das flache Quadrat hatte einen Durchmesser von 10-11 m. Der Autor der Veröffentlichung O. Melnyk, Maidan, glaubt, daß der Kurgan als Heiligtum genutzt wurde.
Pustovalo macht sich dann Gedanken über einen möglichen astronomischen Sinn der sternförmigen Wegeführung (Tierkreis u.ä.).
Abb. 12: Lage des Kurgan 3 bei Alt-Nassau an der Molotschna (Auf: byslaikyr2014) |
Interessant mögen davon die folgenden Ausführungen sein (Pustovalo2014):
M. Chmykhov entwickelte eine Methode zur Tierkreisdatierung archäologischer Denkmäler, die auf der Analyse von alten Tierkreissymbolen basiert. Er schrieb:„Es handelt sich um eine Weltraumsymbolik. Die Hügel entsprachen dem Weltanschauungssystem, das die Existenz einer Gesellschaft und der Natur vom Typ des altindischen „rit“ (slawische „Reihe“) auf dem Konzept eines universellen Gesetzes deutet, welches zum geozentrischen Modell des Universums wurde: der Tierkreis".Nach seinen Vorstellungen könnten die Hügelgräber als Heiligtümer-Observatorien fungieren. In der Antike mangelte es an optischen Geräten, deshalb hing die Genauigkeit astronomischer Beobachtungen von zwei Bezugspunkten ab, die auf einen bestimmten Himmelskörper gerichtet waren. Je größer diese Basis war, desto genauer war es möglich, das Erscheinen von Himmelskörpern zu einem bestimmten Zeitpunkt über dem Horizont vorherzusagen. (...)Die Analyse von Luftbildern (Google Earth) ergab, daß es nicht überall im Gebiet der Steppenukraine solche Heiligtümer gibt, sondern nur an bestimmten Orten. Die Kartierung solcher Hügel zeigt, daß ihre geographische Verteilung einen Kreis mit einem offenen Ende bildet. Er beginnt am Oberlauf des Molotschna-Flusses und führt entlang des rechten Ufers des Moltoschna-Flusses nach Prysivash. Dann wendet sich eine Reihe dieser Hügel nach Westen und Nordwesten. Sie überquert den Dnjepr im Gebiet von Kachowka. Von hier zieht sich einerseits eine Reihe von Heiligtümern mit strahlenförmiger Wegeführung entlang des Inhulets, eine zweite entlang des rechten Ufers des Dnjepr. Das letzte Heiligtum dieser Art befindet sich zwischen dem Dorf Wolodymyriwka und dem Bahnhof Myrove (Hügel Nr. 13, Dorf Wolodymyriwka). Separate Heiligtümer dieser Art kommen auf der nördlichen Krim und am rechten Ufer des Dnjepr unterhalb von Cherson vor.Im Allgemeinen wurden nach Satellitenfotos 46 Grabhügel mit sternförmiger Wegeführung gefunden. Das kann nicht alles sein. Wir sind sicher, daß die eigentliche Zahl von Grabhügeln mit sternförmiger Wegeführung nicht immer sichtbar sind, je nach den verschiedenen Betrachtungswinkeln, unterschiedlichen Lichtverhältnissen und anderen Faktoren. Fotos in Google ändern sich, so daß man neue Hügel mit sternenförmiger Wegeführung finden kann (obwohl auf den neuen Fotos einige zuvor gefundene mit sternförmiger Wegeführungen rund um Grabhügel nun nicht mehr sichtbar sind). So kann im Laufe der Zeit die Anzahl solcher Hügel noch zunehmen. (...)Man kann mit Sicherheit sagen, daß nicht alle Wege einen astronomischen Zweck hatten. Bestimmt hatte ein Teil hatte einen gewöhnlichen Alltagscharakter.
Es wird also deutlich, daß bezüglich konkreterer astronomischer Deutung, worin ja wohl allein das "Innovative" dessen liegen könnte, was die Autoren eingangs benannten, das meiste noch äußerst vage ist.
Abb. 13: Typische Raumverteilung von Nomaden-Lagern in der Steppe - hier: Nomadenlager der Mongolen, fotografiert von dem Schweizer Abenteuer-Schriftsteller Bruno Blum (geb. 1967) im Jahr 2010 (Alam) - Wenn sich von solchen Nomadenlagern ausgehend die Menschen bei zentralen Grabhügeln mit Rinderwagen sammeln, können doch leicht sternförmige Wege entstehen |
Alexey G. Nikitin und Swetlana Iwanowa vertreten in ihrer Vorstudie von 2021 zur archäogenetischen Studie von 2024 noch deutlich betonter - sozusagen - "Anti-Kossinna-" und "Anti-Gimbutas-Positionen" als sie das 2022 und 2024 tun.
Schon Wissenschaftsgeschichte: Von Kossinna's Stirnrunzeln (1999/2021) zu Kossinna's Lachen (2924) (quasi als Anhang)
Iwanowa hat ursprünglich an der Universität Odessa (Odessa) gearbeitet, in der Studie von 2022 wird aber das Institut für Archäologie in Kiew (an der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine) als ihr Arbeitgeber angegeben. Erwähnt sei außerdem, daß schon in der Vorstudie von 2022 sehr häufig auf Arbeiten von Nadezhda S. Kotova (Schol) (Acad, Resg) Bezug genommen ist, einer weiteren Mitautorin von 2024. Diese hat unter anderem auch in Brunn am Gebirge im Wiener Becken zusammen mit Peter Stadler zu den Ursprüngen der Bandkeramik geforscht. Einer etwas älteren Generation unter den Autoren von 2024 gehört der ukrainische Archäologe Mykhailo Videiko (geb. 1956) (Wiki) an. Er ist insbesondere Spezialist für die Tripolje-Kultur (Schol).
In der Studie von 2021, die bezeichnenderweise nur auf Ukrainisch erschienen ist, heben die beiden erstgenannten Archäologen zwar schon hervor, daß die Ethnogenese am Unteren Dnjepr mit einer "neuen Ideologie" zu tun gehabt haben wird, hadern aber ansonsten noch ziemlich kräftig damit, sich so endgültig und abschließend auf die Gustaf Kossinna/Marija Gimbutas-Seite der Interpretation der Ausbreitung der Kurgan-Kulturen zu schlagen. Und das sogar, obwohl es gerade diese beiden sind, die schon zu diesem Zeitpunkt über die archäogenetischen Erkenntnisse, die sie jetzt im Jahr 2024 zusammen mit David Reich präsentiert haben, in großen Zügen informiert waren. In der Zusammenfassung der Studie von 2021 schreiben sie nach den oben schon zitierten Worten folgendes (Resg2021):
Es gibt offensichtliche materielle Kulturunterschiede zwischen den lokalen Gruppen der Jamnaja-Kultur, die sich in Keramik und anderen Artefakten manifestieren. Die Daten aus der Genetik zeigen auch eine gewisse Heterogenität der Träger der Jamnaja-Kultur und weisen gleichzeitig auf genetische Kernmerkmale hin, die höchstwahrscheinlich den gemeinsamen Ursprung der Vertreter der Jamnaja-Kultur aus den meso-eneolithischen ponto-kaspischen Populationen widerspiegeln, die mit genetischen Determinanten durchdrungen sind, die für Jäger und Sammler des Kaukasus und iranische Bauern charakteristisch sind, mit unterschiedlicher genetischer Beimischung anatolischer und europäischer neolithischer Bauern.There are obvious material culture differences among the local groups of YC, which are manifested in ceramics and other artifacts. The data from genetics also show certain heterogeneity of the carriers of the YC, at the same time indicating core genetic features that most likely reflect the common origin of the representatives of the YC from the Meso-Eneolithic Ponto-Caspian populations infused with genetic determinants characteristic of hunters and gatherers of the Caucasus and Iranian farmers, with varying genetic admixture of Anatolian and European Neolithic farmers.
Genau. Das ist das Hauptergebnis der archäogenetischen Studie von 2024. Dann schreiben sie weiter (Resg2021):
Die Hauptidee dieses Artikels besteht darin, mit Hilfe der "Frontier-" (bzw. Siedlungsgrenzen-)Theorie und unter Verwendung genetischer Daten die Hypothese über die Entstehung der Jamna-Kultur in der Wolga-Ural-Region und die Migration ihrer Träger nach Westen, einschließlich des nördlichen Schwarzen Meeres sowie Südost- und Mitteleuropas, zu widerlegen.The main idea of the article is to refute, with the help of the Frontier theory and with the use of genetic data, the hypothesis about the formation of the Yamna culture in the Volga-Ural region and the migration of its carriers to the west, including the Northern Black Sea, Southeastern and Central Europe.
(!!!) Das ist schon ein sozusagen "starkes Stück", so möchte man meinen. Sie haben Kunde von den neuen archäogenetischen Erkenntnissen und versuchen sie zunächst dennoch mit aller Gewalt in eine Anti-Kossinna-Interpretation aller vorliegenden Daten zu pressen. Diese "Hauptidee" verfolgen sie in den beiden nachfolgenden Veröffentlichungen dann nicht mehr so explizit. Sie schreiben in diesem Sinne 2021 weiter (Resg2021):
Dieser Artikel soll auch zeigen, daß Handel (und nicht Invasion oder Eroberung) der entscheidende Faktor war, der die kulturhistorische und genetische Grundlage der Bevölkerungen des kulturhistorischen Komplexes von Jamna auf der Grundlage der Interaktionen zwischen Bevölkerungen der nordwestlichen pontischen Region und verschiedener Teile Europas formte, die sich entlang der Grenzzone bildeten und ausbreiteten, wo sich soziale, kulturelle und ethnische Markierungen überschneiden. Eine besondere Rolle in diesen Prozessen kommt der Budzhak-Kultur der nordwestlichen Schwarzmeerküste zu. Einer der Hauptanreize für die Bewegung ihrer Bevölkerung in westlicher Richtung war die Aufnahme von Handelsbeziehungen und die Bildung von Handelsrouten.The article also aims to demonstrate that trade (rather than invasion or conquest) was the determining factor that shaped the cultural-historical as well as genetic foundation of the populations of the Yamna Cultural-Historical Complex on the interactions between populations of the northwest Pontic region and various parts ofEurope, forming and spreading along the frontier zone, where social, cultural and ethnic markers intersect. A special role in these processes is given to the Budzhak culture of the North-Western Black Sea coast. One of the main stimuli for the movement of its population in the western direction was the establishment of trade relations and the formation of trade routes.
Soweit übersehbar, wird in der Studie selbst die Thematik Religion/Weltanschauung/Ideologie gar nicht mehr ausführlicher behandelt (was im Widerspruch zur Zusammenfassung steht). Es steht vielmehr im Vordergrund, was man schon dem Text der Zusammenfassung anmerkt, nämlich wie erregt die Archäologen von den neuen archäogenetischen Erkenntnissen des David Reich-Labors sind, wobei sie aber offenbar noch von einem Zwischenstand des Jahres 2021 und noch nicht von dem vorläufigen Endergebnis des Jahres 2024 auszugehen scheinen. In ihrem 2021-Text brodelt und schwelt immer noch unvergoren die "pots versus people"-Debatte. Unsere Ahnung bestätigt sich, wenn wir in den Text der Studie selbst hinein schauen (Resg2021):
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat G. Kosinna kriegerische Feldzüge der Arier von West nach Ost angenommen, von der Oder bis zum Dnjepr (...). Nach einer anderen Sichtweise gab es einen Zustrom von von Osten nach Westen, von der osteuropäischen Steppe bis nach Mitteleuropa (Childe, 1926; Gimbutas, 1956; Brjusow, 1952; Danylenko, 1974; Merpert, 1974). Das Konzept der Bevölkerungsbewegung der „Kurgan-Kultur“ nach Westen, die als Folge die landwirtschaftlichen Zivilisationen des Balkans zerstört habe, ist innerhalb der Archäologie weiterhin umstritten, das reicht von Kritik (Tytov, 1982; Manzura, 2000; Koncha, 2001 usw.) bis zu voller Unterstützung und Nutzung für eigene historische Rekonstruktionen (Chernikh, 1987; Mallory, 1997; Dergachev, 1999 usw.). Jetzt haben sich einige Genetiker angeschlossen (Allentoft et al., 2015; Haak et al., 2015; Mathieson et al., 2015).
Mit Hilfe von Google-Übersetzer kann jeder, der möchte, diese Studie auch selbst weiter lesen, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen. Sie scheint in einigen Grundannahmen wohl nicht mehr der Position der beiden Forscher des Jahres 2024 zu entsprechend. Natürlich trug die Bevölkerung am Unteren Dnjepr unterschiedliche Herkunftsanteile in unterschiedlichem Umfang in sich. Aber offenbar ist ja dann die "Kern-Jamnaja-Population", die ab 3.300 v. Ztr. eine Bevölkerungsexplosion erlebt, genetisch sehr einheitlich. Insofern darf man schon auch infrage stellen, ob die Religion die von ihr gelebt wurde, vor allem dazu gedient haben soll, Bevölkerungen unterschiedlicher Herkunft zu vereinigen. Das wäre dann eher für die Jahrhunderte vor 3.300 v. Ztr. anzunehmen, als die Herkunftsanteile noch viel schwankender waren. Aber all das wäre ja dann auch schon zu sagen von der Kurgan-Kultur im Nordkaukasus, also von der Ethnogenese der Chwalynsk-Kultur an der Mittleren Wolga selbst und von der Ethnogenese der Maikop-Kultur. Wie gehört, wird dann in diesem Text vor allem den Handelsverbindungen eine große Rolle zugesprochen bei der Ausbreitung der Indogermanen nach Westen. Auch diese Schwerpunktlegung wirkt übertrieben einseitig, um nur ja nicht zu sehr auf die "Kossinna-Seite" der Sichtweisen zu geraten. Immerhin mag aber gerade dieses Zögern der Archäologen dazu geführt haben, daß sie die kulturell-ideologisch-religiöse Seite auch noch 2024 auffallend betont herausstellen.
Und gerade deshalb mag es am Platz sein, diese Sichtweise besonders kritisch zu betrachten. Das ist im vorliegenden Blogbeitrag in einem ersten Schritt geschehen.
Rassamakin 1999
Der ukrainische Archäologe Juri Rassamakin hat in seiner meistzitierten Arbeit, die aus dem Jahr 1999 stammt (meistzitiert, weil auf Englisch erschienen!) vergleichend die bis dahin aufgeworfenen verschiedenen Modelle zur Abfolge der Kulturen zwischen Wolga und Dnjepr und der Kausalzusammenhänge zwischen ihnen im Zeitraum 4.500 bis 3.000 v. Ztr. referiert. Diese Studie macht deutlich, daß die ukrainische Archäologie sich schon seit vielen Jahrzehnten sehr intensiv bemüht, diese Fragen zu klären. Sie macht auch in einer ersten Ahnung deutlich, welch umfangreiche Forschungen diesen Diskussionen zu Grunde liegen. Diese sind fast alle auf Ukrainisch erschienen und deshalb fast gar nicht im Westen rezipiert worden.
Die Modelle von Marija Gimbutas (zuletzt ausformuliert 1994) werden denen anderer gegenübergestellt, unter anderem von V. N. Danilenko 1974 , D. Y. Telegin 1986. Schon 1974 spricht Danilenko von der "Mikhailovka period", bzw. von "Lower Mikhailovka Culture", die er in den Mittelpunkt seines Modells stellt (Rassamakin1999, S. 61). Die "Untere Michailowka-Kultur" wird als eine eigene Kulturstufe angesehen, darauf werden wir in einem folgenden Blogbeitrag noch etwas näher eingehen (s.a. Kaiser2019). Danilenko hatte sein Modell 1955 in Kurzform präsentiert und 1974 ausführlicher. Michailowka war ja schon in den 1950er Jahren ausgegraben worden und es war schnell darüber publiziert worden (Rassamakin1999, S. 61):
Danilenko ging davon aus, daß das gesamte kulturelle Phänomen im Osten entstand, in der Zone des „Kontakts zwischen den primitiven Landwirten des Nahen Ostens und den primitiven Viehzüchtern Zentralasiens und der Kaspischen Region“ - ein Phänomen, das „sich anschließend rasch in der Steppenzone der Schwarzmeerküste ausbreitete“. (...) Danilenko brachte dies mit (...) der Verbreitung von Zeptern mit Pferdeköpfen in Verbindung.Danilenko saw the whole cultural phenomenon as originating in the east, in the zone of "contact between the primitive agriculturalists of the Near East and the primitive pastoralists of Central Asia and the Caspian region" - a phenomenon that was "subsequently swiftly diffused through the steppe zone of the Black Sea coast". (...) Danilenko associated these with (...) the diffusion of horse-headed sceptres.
Wie wir heute besser wissen - und auch Rassamakin in seiner Zusammenfassung gut ausführt (siehe gleich), wäre bei Pferdkopf-Zepter genauer von Wildpferdekopf-Zeptern zu sprechen (Stgen2024). Rassamakin geht auch schon 1999 von einer Siedlungsarmut in der Steppe um 4.000 v. Ztr. aus ("Steppe hiatus") (Rassamakin1999, S. 73, 77). In seinem Text ist viel von der "Skelya culture" die Rede, das ist (offenbar) ein Name für eine frühe Phase der Sredny Stog-Kultur.
Man ist in jedem Fall erstaunt, wie intensiv und detailliert man in der ukrainischen wissenschaftlichen Literatur schon Jahrzehnte lang den Zusammenhängen der Kulturen in der Ukraine nachgegangen ist. Nur auf Grund dieser Jahrzehnte langen detaillierten Forschung der ukrainischen Archäologie kann im Jahr 2024, wo die Zusammenhängen endgültig durch die Archäogenetik geklärt werden, gleich auch schon so viel Definitives von Seiten der Archäologie zu dem Thema gesagt werden, und zwar sehr viel Definitives, was bislang nur den regional arbeitenden Archäologen vor Ort bekannt gewesen war, und was nur von sehr wenigen westlichen Archäologen detaillierter verfolgt worden war. Wobei auch die Archäologen vor Ort in der Ukraine erst jetzt die Zusammenhänge voll verstehen. Auch war ja bislang die "weltgeschichtliche" Bedeutung dieser Forschungen nicht wirklich eindeutig geklärt, bzw. wurde sie offenbar auch noch von Rassamakin 1999 infrage gestellt. Denn nach der vergleichenden Betrachtung all verschiedenen Modelle meint er in der Schlußfolgerung (Rassamakin1999, S. 154):
Es ist klar, daß es für die Annahme (von Gimbutas oder Danilenko), daß es innerhalb der Steppe Invasionen von Osten her gegeben hätte (nämlich von Seiten der Chwalynsk-Kultur), keine Anhaltspunkte gibt.It is clear that claims concerning eastern invasions from the Volga and the Caspian region are groundless.
Damit positioniert sich Rassamakin als radikaler Anhänger der "Anti-Gimbutas"- und "Anti-Kossinna"-Fraktion innerhalb der damaligen Archäologie. Diese Arbeit war von deutschen Forschungs-Stiftungen finanziert worden. Er schreibt interessanterweise aber auch (Rassamakin1999, S. 155):
Gegenwärtig gibt es keinen Grund, die Wirtschaft der Steppenstämme (...) als beruhend auf spezialisierter Pferdezucht zu interpretieren. Auf eine Zeit des kultisch-prestigeträchtigen Interesses an Pferden und einer Zunahme ihrer Jagd folgte eine Zeit des Vorhandenseins stark genutzter Pferdeknochen in Siedlungen in der Dnjepr-Region bei völligem Fehlen derselben in der Kultpraxis.At present, there is no reason for interpreting the economy of the steppe tribes (...) as based on specialized horse-breeding. A period of cult-prestige interest in horses and an increase in their hunting was followed by the presence of strongly utilized horse bones at settlements in the Dnepr region and their and their complete absence from cult practice.
Er erklärt weiterhin - in starker Übereinstimung mit der Anti-Gimbutas- und Anti-Kossinna-Fraktion in der damaligen Archäologie - die Jamnaja-Kultur hätte sich weder aus irgendeiner enger zu umschreibenden und charakterisierenden Region heraus ausgebreitet in viele Richtungen, noch sei sie kriegerisch gewesen, noch hätte sie nomadische Lebensweise aufgewiesen. Es handele sich um eine seßhafte Kultur, deren Schwerpunkt auf der Tierhaltung gelegen hätte und die Entwicklung dorthin hätte flächendeckend in der gesamten Ukraine jeweils lokal vor Ort stattgefunden. Nun, eine sehr bekannte, inzwischen kraß widerlegte Annahme. Interessant, daß er dennoch schon Michailowka so sehr in den Mittelpunkt vieler Ausführungen stellte.
In seiner Arbeit gibt es auch eine Abbildung eines Frühen Katakomben-Kultur-Grabes aus dem Kurgan 24, Grab 34 bei Vinogradnoe mit Rädern (Rassamakin1999, S. 156). Auch in den Steppen-Weiten an der Molotschna hat sich auch die Jamnaja-Kultur ohne Zweifel schon mit Rinderwagen fortbewegt, zumindest angesehenere, wohlhabendere Teile der Gesellschaft.
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- A genomic history of the North Pontic Region from the Neolithic to the Bronze Age. Autoren: Alexey G. Nikitin, Iosif Lazaridis, Nick Patterson, Svitlana Ivanova, Mykhailo Videiko, Valentin Dergachev (...) David Reich, 18. April 2024 (Biorxiv2024)
- Long-distance exchanges along the Black Sea coast in the Eneolithic and the steppe genetic ancestry problem. Autoren: Alexey G Nikitin, Svetlana Ivanova. In: Steppe Transmissions (eds. PredaBălănică, B. & Ahola, M.) 9-27 (Archaeolingua, Budapest, 2023). doi:10.33774/coe-2022-7m315 (Preprint, Nov 2022: Reseg)
- Chernykh, L. A. & Daragan, M. N.: Kurgany Epokhi Eneolita-Bronzy Mezhdurech’ya Bazavluka, Solenoy, Chertomlyka : Monografiya. Kurgany Ukrainy. vol. 4 (Oleg Filyuk, Kiev, 2014) (555 Seiten) (Acad) (EBooks) [übersetzt heißt er Titel "Äneolithisch-bronzezeitliche Hügelgräber im Flußgebiet zwischen Bazavluk, Solenaya, Chertomlyk"]
- Pustovalov, S.: Курганні святилища доби ранньої бронзи степової частини України. (Kurhanni svyatylyshcha doby rannʹoyi bronzy stepovoyi chastyny Ukrayiny ta yikh astronomichna skladova.) In: Українське небо. Студії над історією астрономії в Україні (Ukrayinsʹke nebo. Studiyi nad istoriyeyu astronomiyi v Ukrayini) (ed. Petruk, O.), S. 39-50 (Instytut prykladnykh problem mekhaniky i matematyky im. YA. S. Pidstryhacha NAN Ukrayiny, Lviv, 2014 [Deutsch: "Hügelheiligtümer der frühen Bronzezeit im Steppenteil der Ukraine" In: "Ukrainischer Himmel. Studien zur Geschichte der Astronomie in der Ukraine", Lemberg 2014] (Acad) (iapmm) (pdf) (GB)
- Kaiser, Elke: Das dritte Jahrtausend im osteuropäischen Steppenraum. Kulturhistorische Studien zu prähistorischer Subsistenzwirtschaft und Interaktion mit benachbarten Räumen. edition topoi FU Berlin 2019 [Berlin Studies of the Ancient World, Bd. 37]
- Rassamakin, Yuri: The Eneolithic Black See Steppe - Dynamics of Cultural and Economic Developments 4500-2300 BC. In: Levine M., Rassamakin Yu., Kislenko A. and Tatarintseva N. (with an introduction by C.Renfrew): Late Prehistoric Exploitation of the Eurasian Steppe. McDonald Institute Monographs, University of Cambridge, 1999 (216 pp.): pp. 59-182 (Acad)
- Konstantin Sushko: Der Grabhügel "Konskiy Brod" - Was verbirgt der alte Hügel in der Nähe von Tokmak? (Russ.: "Курган «Конский Брод»: что скрывает древняя насыпь неподалеку от Токмака?") In: Zeitung „Subbota Plus“ 3. Mai 2001 (Perunica) (ähnlich - mit weiteren Fotografien: shukach/dombrovskii_a2011) (Sowie: byslaikyr-Blog 4.2.2014
1 Kommentar:
Nachträge im Text:
Die Jamnaja-Kultur selbst hat sich ja nach Westen auch nur bis in die ungarische Tiefebene ausgebreitet. Ihr Ausbreitungsgebiet endet ja bezeichnenderweise überall dort, wo auch die Steppe endet. In der Übergangszone zu anderen Lebensräumen entstand dann ja die Schnurkeramik (s. David Reich in Yt-2024).
(...)
Es erscheint naheliegend anzunehmen, daß diese Stelen selbst schon ein Zeichen für größere soziale Ungleichheit sind. Die Vergrößerung sozialer Ungleichheit wird nämlich in der Ukraine ab 3.600 v. Ztr. festgestellt, ausgerechnet in der Zeit, in der sich die Maikop- und die Jamnaja-Kultur im Gebiet der Tripolje-Kultur ausbreiteten (Damals2024). Und viele Erforscher der Urindogermanen nehmen ja auch eine soziale Dreigliederung derselben an in Priester, Krieger und Bauern (Wiki).
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