Hier auf dem Blog sind wir immer noch mit der Auswertung der drei neuen archäogenetischen "Science"-Studien vom 25. August 2022 zur Völkergeschichte zwischen Kaukasus, Balkan, Levante, Kreta und Rom (1-3) beschäftigt. Damit sind wir seit Ende August beschäftigt. Und wir sind damit immer noch nicht fertig.
Es betrifft das sowohl die Darstellung der vielfältigen Details der neuen Faktenlage selbst. Dazu haben wir schon drei Beiträge veröffentlicht (Stgen2022a, b, c). Es betrifft das aber womöglich noch mehr die Deutung der neuen Faktenlage, also die allgemeinere, geschichtsphilosophische, kulturpsychologische Einordnung derselben. Dazu ist bisher erst ein Beitrag erschienen (Stgen2022). Im vorliegenden Beitrag soll noch ein weiterer faktenbezogener Beitrag folgen. In diesen werden zunächst zwei etwas ältere Blogbeitrag-Entwürfe eingearbeitet. Außerdem werden Themen behandelt, die weniger mit der eigentlichen Kernthematik - "acht Prozent Steppengenetik bei den antiken Griechen" - zu tun haben. Vielmehr ist deren Schwerpunkt eher das Mittelalter.
Kerkouane - Eine karthagische Handelsstadt in Nordafrika - 15 - 20 % Steppengenetik
Mit der Genetik des republikanischen und kaiserzeitlichen Mittelitaliens, also Roms, hatten wir uns hier auf dem Blog schon beschäftigt (4). Die dortigen Ereignisse waren am Übergang des republikanischen zum kaiserzeitlichen Rom mit einem deutlichen Rückgang des indogermanischen Steppengenetik-Anteils in der mittelitalienischen Bevölkerung verbunden (4).
In der Ägäis und im ostmediterranen Raum sind - etwa bei den Philistern - hingegen nur grob 7 % Steppengenetik für die Späte Bronzezeit, die Eisenzeit und die letzten vorchristlichen Jahrhunderte festgestellt worden. (Das sind Zeilen, die wir schon vor dem 25.8.22 im Entwurf verfaßt hatten, nämlich mit Bezug auf [5].)
Wie aber stand es nun mit den Phöniziern und den von ihnen abstammenden Puniern in Karthago, dem Gegner zunächst der antiken Griechen auf Sizilien, dann dem großen Gegner Roms? (Stichwort "Hannibal ante portas".) Hier findet eine neue archäogenetische Studie überraschenderweise einen ebenso hohen Steppengenetik-Anteil wie im republikanischen Rom, nämlich zwischen 15 und 20 %. Zumindest bezogen auf einen Teil der damaligen Bevölkerung Nordafrikas. Wir lesen (5):
... Die Genome von 30 antiken Individuen von karthagischen und etruskischen Hafenstädten rund um das zentrale Mittelmeer, aus Tunesien, Sardinien und Mittelitalien wurden sequenziert. An allen drei Orten gibt es einen bedeutsamen Beitrag autochthoner Bevölkerungen (jeweils aus dem bronzezeitlichen Nordafrika, bzw. Sardinien, bzw. Italien), wie auch hochgradig heterogene Herkunft, einschließlich von vielen Individuen mit Herkunft aus anderen Teilen des Mittelmeer-Raumes.To investigate population mobility and interactions directly, we sequenced the genomes of 30 ancient individuals from Carthaginian and Etruscan port cities around the central Mediterranean, in Tunisia, Sardinia, and central Italy. At all three locations, there is a meaningful contribution of autochthonous populations (from Bronze Age North Africa, Sardinia, and Italy, respectively), as well as highly heterogeneous ancestry including many individuals with ancestry from other parts of the Mediterranean region. These results highlight both the role of autochthonous populations and the extreme interconnectedness of populations in the Iron Age Mediterranean. By studying these trans-Mediterranean neighbors together, we explore the complex interplay between local continuity and mobility that shaped the Iron Age societies of the central Mediterranean.
In der Eisenzeit hat sich das genetische Profil der Völker an der Südküste des Mittelmeers geändert. Von Kerkouane, einer karthagischen Handelsstadt östlich der Cap Bon-Halbinsel im heutigen Tunesien konnten eine Reihe von eisenzeitliche Individuen sequenziert werden. Vier Individuen wiesen die Herkunft der neolithischen Bauern des Maghreb auf. Diese bestand aus 70% frühneolithischer Marokko-Herkunft und 30% anatolisch-neolithischer Herkunft. (Sie dürfte auch heute noch den Hauptanteil der Herkunft unter den Berbern stellen, aber bei diesen hat sich - sicherlich - zusätzlich noch andere Genetik eingemischt, iranische und arabische).
Für die Eisenzeit gilt dann (5):
Drei Individuen ... können modelliert werden als solche, die vorwiegend diese Herkunft aufwiesen zusammen it 15 bis 20 % Steppen-Herkunft.Three individuals, R11746, R11755, R11790, can be modeled predominantly with this component, along with the addition of 15 - 20% Steppe-related ancestry.
Das könnte den Eindruck aufkommen lassen, daß diese Steppen-Herkunft erst vergleichsweise spät nach Nordafrika kam. Die Punier haben sich von Karthago aus im Verlauf der Ausweitung ihres Handels und ihrer Kriege auch nach Sardinien und Ibiza ausgebreitet. Dieser Umstand könnte sich in einer neu hinzukommenden marokkanischen Komponente in den dortigen Genomen wieder spiegeln. Diese findet sich sogar in den Genomen einiger Individuen der etruskischen Handelsstädte an der Westküste Italiens (5).
Nachdem Sardinien von Rom erobert worden war, spiegelt sich in den Genomen eine dortige Besiedlung von Italien her wieder (5).
In der Eisenzeit ist Steppen-Genetik in Nordafrika anzutreffen (Abb. 1: orange, links). Diese findet sich zu noch höheren und gleichmäßigeren Anteilen seit der Bronzezeit in Mittelitalien (Abb. 1: orange, rechts). Während der Eisenzeit kommt auch iranisch-anatolische Genetik aus dem östlichen Mittelmeerraum nach Nordafrika, zum Teil auch nach Mittelitalien und Sardinien. Außerdem gibt es in Karthago vereinzelte genetische Einflüsse von Wüstenstämmen (Abb. 1: gelb und lila, links).
Hoch interessant darf man womöglich finden, daß - zumindest nach dieser Grafik - die Steppengenetik "direkt" und unabhängig von der anatolisch-iranisch-neolithischen Herkunftsgenetik nach Nordafrika gekommen zu sein scheint.
Menschen vorwiegend anatolisch-iranischer Genetik sind womöglich vor allem durch die griechischen Kolonien in den mittleren und westlichen Mittelmeerraum gekommen.
Die Studie macht darauf aufmerksam, daß Menschen nicht einheimischer Herkunft in Karthago oder bei den Etruskern nicht anders bestattet worden sind als die Menschen einheimischer Herkunft.*)
Am Ende heißt es in der Studie (5):
Der Beitrag der einheimischen nordafrikanischen Populationen in der Geschichte Karthagos ist bislang kaum wahrgenommen worden, wenn in der Literatur gesprochen wird von "Westliche Phönizier" und zum Teil sogar wenn von "Puniern" die Rede ist, wenn die Bewohner Karthagos charakterisiert werden. Dies implizierte eine vorwiegend koloniale Population und verwischte den Anteil der Einheimischen im Reich von Karthago. (...) Überraschenderweise konnten wir keine Individuen mit größeren Anteilen von levantinischer Herkunft im (eisenzeitlichen) Kerkouane finden.The contribution of autochthonous North African populations in Carthaginian history is obscured by the use of terms like “Western Phoenicians”, and even to an extent, “Punic”, in the literature to refer to Carthaginians, as it implies a primarily colonial population and diminishes indigenous involvement in the Carthaginian Empire. (...) Surprisingly, we did not detect individuals with large amounts of Levantine ancestry at Kerkouane.
Es wird nicht weiter erörtert, wann und auf welchen Wegen die Steppen-Herkunft nach Karthago gekommen ist. Ist sie schon mit den Glockenbecherleuten nach Nordafrika gekommen oder erst mit den Phöniziern? Die Datenlage reicht offenbar noch nicht dazu aus, um dazu Stellung nehmen zu können. Denn es gibt - wie in Abb. 1 benannt - bislang keine bronzezeitlichen archäogenetischen Daten für Nordafrika. Deshalb wollen wir an dieser Stelle auch von unserer Seite aus dazu noch nicht zu viel sagen und "spekulieren".
Emporion - Antike Griechen in Spanien - 8 % Steppengenetik (Eine Studie von 2019)
Die drei neuen Studien vom 25. August geben auch Anlaß, noch einen weiteren unveröffentlichten Blogartikel hier mit einzuarbeiten, den wir im Entwuf im März 2020 erstellt hatten, wo uns aber alles noch zu vage erschienen war, um das zu veröffentlichen. Wir hatten auf dem Blog schon berichtet: 24 Individuen einer antiken
griechischen Kolonialstadt im heutigen Katalonien - nämlich von Emporion
(Wiki) -
sind sequenziert worden. Die Hälfte derselben trugen klar eisenzeitliche
spanische Herkunft in sich, die andere Hälfte klar - - - bronzezeitliche
ägäische Herkunft (6, 7). (Hier war man das erste mal auf diese "acht Prozent Steppengenetik bei den antiken Griechen" gestoßen.)
Der griechischen Historiker Strabon berichtete, es sei auf den Wunsch der einheimischen Iberer dazu gekommen, daß ein gemeinsamer Stadtwall um zwei unterschiedliche
Städte gezogen wurde, nämlich um eine Stadt der Einheimischen und eine der aus der Ägäis zugewanderten Griechen (5). Die archäogenetischen Erkenntnisse passen dazu nahtlos.
Aber: Bronzezeitliche ägäische Herkunft - was das wohl heißt? (So fragten wir vor dem 25.8. im Entwurf.) Womöglich
heißt das, daß sich die antiken Griechen vor und nach den Dunklen
Jahrhunderten, die zwischen Bronze- und Eisenzeit lagen, also vor und
nach dem Seevölkersturm und der Dorischen Wanderung um 1200 v. Ztr.,
genetisch nur wenig verändert haben?!? Weniger jedenfalls als womöglich
die Menschen an der Mittelmeerküste Spaniens durch die Zuwanderung der
Kelten?!? - Und genau so hat es sich jetzt bestätigt.
In der
Tat hatten ja erste archäogenetische Studien zu den Minoern, den
Mykenern und den Hethitern noch keinerlei indogermanische
Steppen-Genetik gefunden. Aber es wäre das doch ein sehr rätselhafter
Umstand, wenn wir im östlichen Mittelmeerraum zwar die bedeutensten
antiken Völker der Indogermanen vorfinden, die sogar von der Sprachwissenschaft als solche unbezweifelt angenommen werden, wenn wir aber ausgerechnet
bei ihnen zugleich so gar keine indogermanische Steppen-Genetik
sollten entdecken können. Diese Frage ist zur Zeit eines der größeren Rätsel in der Forschung. (Das inzwischen geklärt ist!)
Auf Wikipedia lesen wir über den derzeitigen Wissensstand aus sprachwissenschaftlicher Sicht (Wiki):
Die griechische Sprache ist einer der Hauptzweige der indogermanischen Sprachfamilie. Es ist (möglicherweise über eine oder mehrere Zwischenstufen, z. B. das Balkanindogermanische) aus der indogermanischen Ursprache hervorgegangen. Für den Zeitraum der Entstehung des Griechischen, die mit der Einwanderung von Indoeuropäern auf die Balkanhalbinsel während der frühen Bronzezeit zusammenfallen dürfte, gibt es eine ganze Reihe von Hypothesen. Diese reichen von 3600 v. Chr. (Gimbutas) bis 2000 v. Chr. (Schuler). Die einwandernden Indoeuropäer trafen auf eine kulturell hochstehende, von den Griechen später Pelasger (Πελασγοί) genannte Urbevölkerung. Deren Sprache ist nicht überliefert, sondern nur als Substrat im Griechischen erschlossen. Dazu gehören z. B. Lehnwörter wie θάλασσα, thálassa (‚Meer‘) und νῆσος, nēsos (‚Insel‘) sowie zahlreiche Ortsnamen wie Κόρινθος (Korinth) und Παρνασσός (Parnass). Die pelasgische Sprache (oder Sprachen) war wohl nicht indogermanisch; über einen Zusammenhang mit der minoischen Sprache Kretas wird spekuliert. Das Griechische wurde wohl auch von einer unbekannten indogermanischen Sprache, die eventuell dem ausgestorbenen Illyrischen nahestand, beeinflußt. (...)Als nächste Verwandte kommen das Armenische und das Albanische in Frage. Diese Balkanindogermanisch-Hypothese wird durch quantitative Methoden gestützt.
Griechisch wurde auf der Balkanhalbinsel um das 3. Jahrtausend v. Ztr. gesprochen, vielleicht früher.Greek has been spoken in the Balkan peninsula since around the 3rd millennium BC, or possibly earlier.
Die nicht durch Schriftzeugnisse belegte aber anzunehmende letzte gemeinsame Vorfahre aller bekannten Varianten des Griechischen. Diese Einheit des Proto-Griechischen wird beendet worden sein als die Hellenen auf die griechische Halbinsel einwanderten irgendwann im Neolithikum oder in der Bronzezeit.The unrecorded but assumed last ancestor of all known varieties of Greek. The unity of Proto-Greek would have ended as Hellenic migrants entered the Greek peninsula sometime in the Neolithic era or the Bronze Age.
Als Balkanindogermanisch wird in der indogermanistischen Forschung die - vermutete - gemeinsame Vorstufe des Griechischen, Phrygischen und Armenischen bezeichnet; meistens wird auch das Albanische auf diesen Zweig der indogermanischen Sprachen zurückgeführt. (...) Im weiteren Sinne gehören auch das einst im heutigen Bulgarien gesprochene Thrakische, das einst im heutigen Rumänien gesprochene Dakische (ein Dialekt des Letzteren) sowie das Illyrische zum Balkanindogermanischen.
Vierrädrige Wagen, die vermutlich von Ochsen gezogen wurden, sind durch Tonmodelle belegt. (...) A. Gallay sieht Vučedol als den Ursprung der Glockenbecherkultur bzw. der sogenannten Begleitkeramik des östlichen Glockenbecherkreises.
Wenn diese der Ursprungsraum der Glockenbecher-Kultur in der Nähe dieser Region gelegen haben sollte, wenn die Glockenbecher-Leute bis Großbritannien, bis Süditalien und über Spanien bis Sizilien sich ausgebreitet haben, dann ist zu fragen, ob und wie eine vergleichbare Expansion in Süden, die zeitlich und räumlich mit der Expansion des Urgriechischen in Verbindung gebracht werden könnte, genauer den archäologischen Funden und Befunden zugeordnet werden kann.
Im folgenden nun noch weitere Neuerkenntnisse aus den eingangs genannten Studien (1-3).
Die genetische Hellenisierung Roms
Es wird in ihnen auch aufgezeigt, daß die Menschen des kaiserzeitlichen Rom in Italien dieselbe Herkunftsgenetik aufgewiesen haben wie die Menschen in Anatolien vor und während der Zeit des Römischen und des nachmaligen Byzantinischen Reiches. Diese wiesen deutliche Unterschiede gegenüber der Genetik der Römer zur Zeit der Römischen Republik auf. In Rom gab es also annäherungsweise in dieser Zeit ein "genetic replacement", einen Austausch von Bevölkerung. In der Pressemitteilung der Universität Wien wird dazu ausgeführt:
"Aus unserer vorausgehenden Forschung wußten wir, daß die Menschen, die rund um die antike Stadt Rom lebten, in der Kaiserzeit sehr große regionale Herkunftsvielfalt aufwiesen, und daß viele von ihnen aus dem Nahen Osten stammten," sagt Ron Pinhasi, der Mitautor eine Science-Studie aus dem Jahr 2019 gewesen ist, die die archäogenetischen Daten aus Rom untersuchte. "Es war aber eine völlige Überraschung für uns, eine so genaue und klare Verbindung zu Anatolien selbst zu bekommen und nicht zu anderen östlichen Teilen des Römischen Reiches wie etwa der Levante."“We knew from our previous research that people who lived around Rome in the Imperial period were from various regions and that many originated from the Near East,” says Ron Pinhasi who co-led a 2019 Science study that studied ancient DNA data from Rome. “But it was a complete surprise to find such a specific and clear link to Anatolia itself, and not to other eastern parts of the Roman Empire such as the Levant.”
Durch die Ausdehnung des Römischen Reiches nach Griechenland und Anatolien strömten also in großen Zahlen hellenisierte Menschen aus Anatolien nach Rom. Dort kam es zur Dezimierung der einheimischen Bevölkerung, nicht zuletzt auch durch die Bürgerkriege. Darüber ist ja im Grunde schon immer viel bekannt gewesen. Die Kultur Pompeji's beispielsweise atmet ja fast nur noch hellenistischen Geist, kaum noch römischen. Und es ist auch deshalb bekannt, weil die traditionsbewußten Römer auf diese Hellenisierung Italiens anfangs auch kritisch reagierten. Es wurde das oft zitierte Wort ausgesprochen:
Stammt es von Cicero? Als Quelle dazu finden wir den Horaz genannt (Grundwissen pdf). Mit den neuen Zuwanderern kamen unter anderem auch die "Bacchanalien" nach Rom. Darüber lesen wir auf Wikipedia (Wiki):"Das eroberte Griechenland eroberte den unzivilisierten Sieger."
Die Römer, zumal die der Oberschicht, betrachteten sich als von strengen moralischen Vorstellungen und einer Art kulturellem Sendungsbewußtsein geprägt und sträubten sich, als die griechische Kultur mehr und mehr Einfluß auf die römische erlangte. Die Aufnahme ausländischer Anschauungen und Kulte betrachteten etliche von ihnen als ein Sittenverderbnis und eine Verletzung des römischen nationalen Stolzes. Daß sich Rom gar gekränkt und machtlos fühlen mußte gegenüber der immer stärker werdenden Abhängigkeit von der griechischen Kultur, könnten verächtliche Äußerungen der römischen Bevölkerung im Römischen Reiche gegenüber Griechen zeigen, jedenfalls soll „Graeculus“ (Griechlein) ein weit verbreitetes Schimpfwort gewesen sein.
Im
Jahr 186 v. Ztr. wurde es den Römern dann wirklich "zu bunt". Im Zuge
des sogenannten "Bacchanalien-Skandals" wurden 7.000 Frauen und Männer
hingerichtet. Die Bacchanalien selbst wurden genehmigungspflichtig
gemacht. Natürlich hat das auf lange Sicht die Hellenisierung Italiens
und des gesamten Mittelmeerraumes nicht aufgehalten. Um 79 n. Ztr., als
Pompeji unter der Asche des Vesuv versank, war die hellenistische Kultur
völlig selbstverständlich geworden. Und die Archäogenetik zeigt nun auf, wie umfangreich diese Hellensisierung geradezu auch mit einem Bevölkerungsaustausch verbunden war. Die einheimischen Italiker hatten aufgrund ihres Wohlstandes nur noch wenige Kinder. Es wurden viele Sklaven aus dem ostmediterranen Raum eingeführt. Womöglich sind auch viele Menschen von dort freiwillig nach Italien gekommen.
Wikinger, begraben in Byzanz
Interessant ist aber auch die folgende Angabe der neuen Studien, die sich dann schon auf das nachantike, sprich mittelalterliche Byzanz bezieht (3):
Eine vorherrschende genetische Stabilität in Anatolien während der römisch-byzantinischen Zeit hieß allerdings nicht vollständige Isolation nach außen hin. "Ausreißer" mit vermutlich levantinischer, nordeuropäischer oder germanischer Herkunft, sowie iberischer Herkunft sind in der Region des Marmara-Meeres gefunden worden (in der Basilika von Nicaea, bzw. dem heutigen Iznik, sowie in dem Kloster zur Heiligen Jungfrau in Zeytinliada, Erdek) in der Nähe der Reichshauptstadt Konstantinopel (dem heutigen Istanbul), die eine größere Vielfalt an Ausländern angezogen haben mag.Broad genetic stability in Anatolia during the Roman-Byzantine period did not mean isolation, as outliers of likely Levantine, Northern European or Germanic, and Iberian origin are detected in the Marmara region (in the Basilica of Nicaea or present-day Iznik and the Virgin Mary Monastery at Zeytinliada, Erdek) close to the Imperial capital of Constantinople (present-day Istanbul), which may have attracted a more diverse set of foreigners.
In den mittelalterlichen Sagas aus Skandinavien kommen ja wiederholt Berichte vor von Fahrten nach Byzanz und von dem persönlichen Besuch angesehener Wikinger beim dortigen Kaiser. Auch gab es ja Beziehungen zwischen Byzanz und den "Kiewer Rus" über das Schwarze Meer hinweg, über die nordeuropäische Genetik an das Marmara-Meer gekommen sein kann.
In Moldawien und Rumänien fanden sich im übrigen - und erwartungsgemäß - Skythen zentralasiatischer Herkunft, sprich es fand sich in ihnen Steppen-Genetik in Kombination mit Marghiana-, einheimischer Tarim- und asiatischer (mongolischer) Genetik (3).
Die Ausbreitung der Slawen
Die Ausbreitung der slawischen Völker sucht man dann mittels der Genetik folgendermaßen - noch eher indirekt - zu charakterisieren, und zwar anhand des anteilmäßigen Rückgangs der anatolisch-neolithischen Herkunftskomponente auf dem Balkan (3):
Der Rückgang der anatolisch-neolithischen Herkunftskomponente war im südöstlichen Europa ein langanhaltender Prozeß, der es uns erlaubt, die heutigen Bevölkerungen von derjenigen zu unterscheiden, die der slawischen Ausbreitung voraus gegangen sind. Wenn wir die Individuen entsprechend des bei ihnen vorliegenden Umfangs dieser Herkunftskomponente sortieren, beobachten wir, daß die heutigen Slawen außerhalb des Balkans den geringsten Anteil derselben (anatolischen Herkunftskomponente) aufweisen, während die vorslawischen Einwohner auf dem Balkan den höchsten Anteil dieser Herkunftskomponente besitzen. Die heutigen Menschen im südöstlichen Europa liegen dann diesbezüglich zwischen diesen beiden Extremen.The reduction of Anatolian Neolithic ancestry was a long-term process in Southeastern Europe (1), which allows us to differentiate present-day populations from those preceding the Slavic migrations. When we order individuals along this component of ancestry (Fig. 5), we observe that present-day Slavs outside the Balkans have the least, whereas pre-Slavic inhabitants from the Balkans have the most of this type of ancestry, with present-day people from Southeastern Europe intermediate between the two extremes.
Das scheint uns insgesamt gesehen noch ein sehr indirekter Hinweis auf die Ausbreitung der Slawen zu sein.
Im Detail wird dazu dann ausgeführt (3):
Drei Individuen aus Bulgarien (Samovodene), Nordmakedonien (Bitola) und ein Ausreißer-Individuum aus Trogir in Kroatien (700 bis 1100 n. Ztr.) haben die geringsten Anteile dieser Herkunft.Three individuals from Bulgaria (Samovodene), North Macedonia (Bitola), and an outlier individual from Trogir in Croatia (700 to 1100 CE) have the lowest levels of this ancestry.
Diese drei finden sich in Abbildung 2 oben links. Sie passen gut in die heutige genetische Herkunftszusammensetzung slawischer Völker wie Weißrussen, Litauer, Polen, Ukrainer, Sorben und Tschechen (s. Abb. 2). Weiter schreiben die Forscher (3):
Die meisten Menschen in Trogir (einer Hafenstadt an der kroatischen Adriaküste, die von antiken, griechischen Kolonisten gegründet worden war und die Teil des byzantinischen Reiches war) gleichen heutigen Menschen aus der Zeit zwischen 700 bis 900 n. Ztr. so wie Menschen des 12. Jahrhunderts aus Veliko Tarnovo und Ryahovets in Bulgarien und ein römerzeitliches Individuum aus Marathon in Griechenland aus der Mitte des 4. Jahrhunderts n. Ztr.. Ihnen fehlt jedoch die Balkan-Jäger-Sammler-Komponente, die sich in heutigen Bevölkerungen durchgehend findet.Most individuals from Trogir (a port city of the Adriatic in Croatia that was founded by Ancient Greek colonists and was part of the Byzantine Empire) overlapped with present-day people from ~700 to 900 CE, as did 12th century CE individuals from Veliko Tarnovo and Ryahovets in Bulgaria and a mid–fourth century CE Roman-era individual from Marathon in Greece, who, however, lacked the Balkan hunter-gatherer ancestry found consistently in the present-day population (Fig. 1).
Das wirft für uns die Frage auf: Findet sich denn diese Balkan-Jäger-Sammler-Komponente in allen slawischen Völkern? Aber das nur nebenbei. In der Grafik von Abb. 2 sehen wir gut, daß die genannten mittelalterlichen Individuen genetisch auf der Mitte zwischen der bronze- und eisenzeitlichen genetischen Verteilung (rechts) und der heutigen genetischen Verteilung (links) stehen. Weiterhin schreiben die Forscher (3):
Schließlich drei mittelalterliche Individuen aus Albanien (500 bis 1100 n. Ztr.) und ein spätantikes Individuum aus Boyanovo in Bulgarien, das vor der slawischen Ausbreitung liegt (um 500 n. Ztr.). Sie ähneln mehr den antiken Bevölkerungen, die einen hohen anatolisch-neolithischen Herkunftsanteil aufweisen.Finally, three medieval individuals from Albania (500 to 1100 CE) and a Late Antique (~500 CE) individual from Boyanovo in Bulgaria preceding the Slavic migrations, overlapped with the more ancient population, having high levels of Anatolian Neolithic ancestry.
Bekanntlich haben sich ja auch romanische Sprachreste auf dem Balkan noch durch lange Jahrhunderte hindurch, oft bis ins 19. Jahrhundert gehalten. Es ist naheliegend, daß sich damit in Zusammenhang auch Genetik vergleichsweise unvermischt gehalten haben kann. Weiter schreiben die Forscher (3):
Unter den heutigen Menschen haben die Griechen und Albaner mehr anatolisch-neolithische Herkunft als ihre südslawischen Nachbarn. Die slawische Ausbreitung erinnert in manchem an die Ausbreitung der Nachkommen der Steppenhirten-Jamnaja in das südöstliche Europa hinein, allerdings 3000 Jahre später. Obwohl beide Ereignisse umwälzend waren, sollte es mit dieser Analogie nicht zu weit getrieben werden. Die mittelalterliche Ausbreitung ging einher mit großen, organisierten Völkerschaften, die mit komplexen Staaten zu tun hatten, so wie das Awaren-Khaganat und das Byzantinische Reich. Vergleichbare Vergemeinschaftungen gab es zur Zeit der Jamnaja nicht.Among present-day people, Greeks and Albanians have more Anatolian Neolithic ancestry than their South Slavic neighbors. Slavic migrations have some echoes, ~3000 years later, to the spread of the descendants of Yamnaya steppe pastoralists into Southeastern Europe (1, 7). Although both events were transformative, any analogy should not be pushed too far. The medieval movements were carried out by large, organized communities engaging with complex states, such as the Avar Khaganate and Byzantine Empire, and no comparable polities existed in Yamnaya times.
Diese
Behauptung erscheint uns gar zu willkürlich. Auch die Jamnaja
hatten es schon mit komplexen Staatswesen wie etwa der
Cucuteni-Tripolje-Kultur oder dem Reich von Warna und vergleichbaren
Staatswesen zu tun, auch wenn die Archäologen noch zögern mögen, sie auf
eine ähnliche Komplexitätsstufe zu stellen wie sie das Byzantinische
Reich aufgewiesen hat. Mit ihren Rinderwagen dürften sie aber doch in
manchem indischen Fürstentümern ähneln, in denen ja der Rinderwagen
heute ebenfalls noch ein zum Teil dominierendes Fortbewegungsmittel
ist. Sie wiesen eine hohe Siedlungsdichte auf.
Weiter schreiben Lazaridis und Mitarbeiter (3):
Unsere Daten sagen zusammengenommen: Obwohl die Bevölkerungen auf dem Balkan während des Mittelalters eine Verschiebung ihrer Herkunftsanteile erfuhren, war die Vermischung von Einheimischen mit Zuwanderern sehr unterschiedlich, weshalb sich Individuen mit sehr unterschiedlicher Herkunft finden sowohl während des Mittelalters wie auch weiter bestehend bis heute.Collectively, our data suggest that although Balkan groups experienced a shift of ancestry in the medieval period, the fusion of locals and migrants was variable with individuals of diverse ancestry being present in medieval times and persisting up to the present.
Die beigegebene Grafik, auf die sich dieser Text zur Ausbreitung der Slawen bezieht, ist schon sehr inhaltsreich: Jeder dünne schmale Balken steht für ein Individuum. Man hat nun alle sequenzierten Individuen vom Balkan nach dem Umfang ihrer anatolisch-neolithischen Herkunftskomponente sortiert - also von rechts nach links anhand ihres "gelben" Anteils.
In einem zweiten Schritt erfolgte dann eine zeitliche Zuordnung dieser Individuen anhand der dünnen Striche darunter. Dadurch wird zunächst erkennbar, daß die älteren sequenzierten Individuen eher rechts auf dieser Grafik liegen, die jüngeren eher links.
Zwar gibt es in der Bronzezeit auch
schon Individuen mit Genetik, die ganz links liegt. Die große Mehrheit
liegt jedoch auf der rechten Hälfte.
Ganz rechts findet sich
auch so gut wie keine Kaukasus-Jäger-Sammler-Herkunft (blau) und auch
wenig Balkan-Jäger-Sammler-Herkunft (rosa), die - wie ausgeführt - im
Frühneolithikum von den einwandernden anatolisch-neolithischen Bauern
auf die Höhenlagen der Karpaten zurück gedrängt worden waren und deren
Genetik sich erst im Späthneolithikum wieder in die umherwohnenden
Völker "erneut" eingemischt hat und sich dann einige Jahrtausende später
- erstmals - mit den Slawen auch bis nach Griechenland ausgebreitet
hat.
Auffallend ist aber weiterhin, daß auch die
Kaukasus-Jäger-Sammler-Herkunftskomponente auf dem Balkan - im Gegensatz
zur anatolischen Herkunftskomponente - seit der Bronzezeit eher
"konstant" zu bleibt. Da sich Kaukasus- und anatolische Herkunft so viele
Jahrtausende gemeinsam entwickelt hatten, wird auch der Rückgang
der anatolischen Herkunft gemeinsam gegangen sein mit dem Rückgang der
ursprünglicheren kaukasischen Herkunft. Die scheinbare Konstanz entsteht
vielmehr erst deshalb, weil die Hälfte der zuwandernden
Steppen-Genetik ebenfalls aus Kaukasus-Jäger-Sammler-Genetik bestand.
Die Türken kommen nach Anatolien
Mit den Selschuken (Türken) kam dann im 11. Jahrhhundert zentralasiatische Genetik auch - und in größerem Umfang als zuvor auf den Balkan - nach Anatolien. An der türkische Ägäisküste, findet sie sich zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert (3):
Der genetische Beitrag zentralasiatischer Turkvölker zu den heutigen Menschen in Anatolien kann in vorläufiger Weise eingeschätzt werden anhand des Vergleichs von zentralasiatischer Herkunft in heutigen Türken (etwa 9 %) und sequenzierten antiken Zentralasiaten (zwischen 41 und 100 %) auf (...) 9 bis 22 %.The genetic contribution of Central Asian Turkic speakers to present-day people can be provisionally estimated by comparison of Central Asian ancestry in present-day Turkish people (~9%) and sampled ancient Central Asians (range of ~41 to 100%) to be between (...) ~9 to 22%.
Man sieht, welche Fülle an
Detailfragen mit einer einzigen neuen Studie aufgeworfen sind. Auch in diesem Beitrag können wir unmöglich jede der aufgeworfenen Fragestellungen in alle Verästelungen hinein
weiter verfolgen. Das wird erst nach und nach und mit weiteren Folgestudien geschehen. Zunächst gilt es wahrzunehmen, was für eine Fülle an Neuerkenntnissen vor den Füßen des Denkenden ausgeschüttet werden.
______
*) (5): "Non-local ancestry doesn’t seem to have made individuals any less Carthaginian or any less Etruscan in their funerary celebrations."
- Lazaridis I, Alpaslan-Roodenberg S, (...) Pinhasi R, Reich D (2022)
The genetic history of the Southern Arc: A bridge between West Asia and
Europe. Science 377, 25.8.2022 (pdf) (Anhänge)
- Lazaridis I, Alpaslan-Roodenberg S, (...) Pinhasi R, Reich D (2022) Ancient DNA from Mesopotamia suggests distinct Pre-Pottery and Pottery Neolithic migrations into Anatolia. Science 377, 982-7, 25.8.2022 (pdf) (Anhänge)
- Lazaridis I, Alpaslan-Roodenberg S, (...) Pinhasi R, Reich D (2022) A genetic probe into the ancient and medieval history of Southern Europe and West Asia. Science 377, 940-51, 25.8.2022 (pdf) (Anhänge)
- Bading, I: Indogermanische Genetik in Italien (2.100 v. Ztr. bis heute), 9. November 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/11/indogermanische-genetik-in-der.html
- A Genetic History of Continuity and Mobility in the Iron Age Central Mediterranean - Hannah M Moots, Margaret L. Antonio, ... Alfredo Coppa, Jonathan K. Pritchard, Ron Pinhasi bioRxiv, 15.3.2022, doi: https://doi.org/10.1101/2022.03.13.483276; erneut 23.8.2022, https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.03.13.483276v2.full
- Olalde I, Mallick S, Patterson N, (...) Haak W, Pinhasi R, Lalueza-Fox C, Reich D (2019) The genomic history of the Iberian Peninsula over the past 8000 years. Science 363, 1230-4
- Reich, David: The Genomic History of the Iberian Peninsula over the past eight-thousand years. Vortrag auf der Tagung "From Homer to History - Recent Results from Bronze Age Investigations" des Max Planck Harvard Research Center for the Archaeoscience of the Ancient Mediterranea (MHHAM) an der Universität Harvard, 1. November 2019, https://youtu.be/aOix-8DSzRQ.
- Gray, Russel D.; Atkinson, Quentin D.: Language-tree Divergence Times Support the Anatolian Theory of Indo-European Origin. Nature. 2003, 426 (6965): 435–439. doi:10.1038/nature02029.