- Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Genetik einerseits und dem Aufblühen und dem Niedergang von Kultur andererseits?
Die Bevölkerungsgeschichte Mittelitaliens vom Mesolithikum bis heute ist aufgearbeitet worden (1). Dies geschah von Seiten einer archäogenetischen Forschungsgruppe um Jonathan Pritchard anhand der Typisierung von 127 archäologischen Skeletten, die in Rom und seinem Umland gefunden wurden. Man sehe sich die Abbildung 1 an: Hier werden die Forschungsergebnisse in kompakter Form dargestellt. Deutlich wird hier der indogermanische, genetische Einfluß auf die Hervorbringung
- der Römischen Republik und
- der italienischen Renaissance
Abb. 1: Die Bevölkerungsgeschichte Mittelitaliens 7.000 v. Ztr. bis heute |
Dies ist ablesbar insbesondere im Balken recht (B) (Abb. 1). Gehen wir das im einzelnen durch:
1. Anfangs leben in Italien - wie im übrigen West- und Mitteleuropa - westeuropäische Jäger und Sammler (WHG).
2. Ab 6.500 v. Ztr. breiten sich anatolisch-neolithische Bauern über Europa aus. (Die Forscher meinen aufzeigen zu können, daß sie auch schon einen kleinen Anteil iranisch-neolithischen genetischen Anteil in sich tragen. Das ist nicht unmöglich, fand sich aber in anderen Studien bisher nicht.)
3. Es gibt einige Individuen - vielleicht erst ab dem Mittelneolithikum, bei denen es - wie in Mitteleuropa - einen Anteil westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik gibt, der sich zumindest in Mitteleuropa vornehmlich ab dem Mittelneolithikum (wieder) ausbreitet. Es geschah das in Mitteleuropa nach dem Zusammenbruch der bevölkerungsdichten frühneolithischen Kulturen (Bandkeramik) und der Ethnogenese neuer extensiver wirtschaftender Völker während des Mittelneolithikums, z.T. aus Rückzugsräumen der ursprünglich einheimischen Bevölkerung heraus.
2.100 v. Ztr. - 20 Prozent Steppengenetik
4. Nach der Kupferzeit - also parallel zum Spätneolithikum in Mitteleuropa - erfolgt - grob um 2.500 v. Ztr. - der Einbruch der indogermanischen Völker (in Form der Glockenbecherkultur) auch in Italien (Wiki, engl). Diese indogermanische Genetik hält sich - offenbar trotz oder mit der etruskischen Kultur - konstant bis in die Zeit der Römischen Republik. Das sollte dem historisch Urteilenden zu denken geben. Und das dürfte schon eine der entscheidenderen Neuerkenntnisse dieser Studie sein. (Diese hatte man aber auch schon aus der zu 80 % hellen Haarfarbe bei den Menschendarstellungen auf den Wandgemälden von Pompeji ablesen können (3) [Wiki]. Dieser Umstand ist ja für das heutige Neapel so nicht mehr gegeben.)
Rückgang indogermanischer Genetik in der Frühen Kaiserzeit
5. In der Frühen Kaiserzeit geht der Anteil der indogermanischen Genetik (Steppengenetik) in Mittelitalien außerordentlich deutlich zurück. Das wird auf die vielen inneritalischen und Bürgerkriege zurück zu führen sein, vielleicht auch auf die außeritalischen Aktivitäten der Römer. Außerdem auch auf die zurückgehende Geburtenzahlen der im Wohlstand lebenden Römer. Genau so ist es auch schon in den 1950er Jahren anthropologisch beschrieben worden (3)*). Gleichzeitig breitet sich iranisch-neolithische Genetik in Italien aus, nämlich aus dem ostmediterranen Bereich heraus. Das dürfte u.a. auf den Sklavenhandel in dieser Zeit zurückzuführen sein. (Auch der u.a. schon in etruskischer Zeit auftretenden Herkunftsanteil von Bauern-Genetik aus Marokko, die sich in der Römischen Kaiserzeit verstärkt, könnte noch genauer nachgegangen werden.)
Der Anteil der indogermanischen Genetik ist in der Römischen Kaiserzeit sehr ungleichmäßig verteilt, bleibt aber auf deutlich niedrigerem Niveau als zuvor.
6. In der Spätantike wächst er dann zum Teil beträchtlich an. Das dürfte auf den Zuzug von Goten und Langobarden zurückzuführen sein. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit sehen wir die Anteile indogermanischer Genetik sehr ungleichmäßig in der Bevölkerung verteilt. Das könnte mit Heiratsschranken durch soziale Schichtung oder Stadt/Land-Unterschiede erklärt werden. (In der Renaissance-Kunst sehen wir ja auch noch verhältnismäßig viele hellhaarige Menschen.)
7. Aber bis zum 19. Jahrhundert herum scheinen Bevölkerungsteile mit diesem höheren Anteil indogermanischer Genetik weniger Nachkommenschaft in Mittelitalien hinterlassen zu haben. Auffallenderweise ging damit zugleich einher - bekanntlich - der Rückgang des Beitrags Italiens zu den kulturellen Errungenschaften der Menschheit (4). Mit all dem wird dem historisch Urteilenden viel zu denken gegeben.
Ausbreitung von Nord- nach Mittelitalien - Innerhalb von 400 Jahren
Ergänzung (17.5.2021): Inzwischen ist eine weitere Studie zum Thema erschienen (5). In dieser wird die Ausbreitung des indogermanischen Steppen-Herkunftsanteils in Italien folgendermaßen beschrieben:
Auftauchend in der Frühen Bronzezeit - Italienische Glockenbecher (2195-1940 v. Ztr.), Italienische Remedello-Kultur (2134-1773 v. Ztr.), sowie Broion (1952-1752 v. Ztr.) - und über die Zeiten hinweg anwachsend in Individuen von Broion und Regina Margherita (1626-1497 v. Ztr.). Diese Funde bestätigen das Ankunftsdatum im nördlichen Italien um spätestens ∼2000 v. Ztr. und vier Jahrhunderte später sein Auftauchen in Mittelitalien.Emerging in the Early BA (Italian Bell Beaker [I2478: 2195–1940 calBCE], Italian Remedello [RISE486: 2134–1773 calBCE], and Broion [BRC010: 1952–1752 calBCE (95.4%)]) and increasing through time in the individuals from Broion and Regina Margherita (GCP003: 1626–1497 calBCE [95.4%]). These samples confirm the date of arrival in Northern Italy to at least ∼2000 BCE and its presence in Central Italy by 4 centuries later.
Dies ist also der Zeitraum, in dem sich die italischen Stämme und Völker bildeten, nicht zuletzt das römische. Die hier genannte Remedello-Kultur bestand im Alpenraum und in Norditalien seit 3.400 v. Ztr.. Ihr gehörte auch der Ötzi an. Sie war unter anderem durch charakteristische Kupfer-Stabdolche gekennzeichnet. Auf Wikipedia steht (Wiki):
Zwischen 2500 und 2200 BC emigrieren Gruppen der Glockenbecherkultur in die nördliche Po-Ebene und beendeten die Phase der Remedello-Kultur.
*) In einer Arbeit, die einstmals von Alfred Rosenberg angeregt worden war. Dazu ist zu bemerken: Wenn die Wissenschaft heute auf der Ebene der Erforschung des Seins zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie die Wissenschaft vor 1945, heißt das noch lange nicht, daß auf der Ebene des "Sollens" und der Bewertungen sich "Geschichte wiederholen" müßte. Die Lehren von der Herrenrasse und von der Minderwertigkeit von "Untermenschen" sind in den 1930er Jahren sehr stark aus freimaurerischen ebenso wie katholischen ariosophischen Okkultlogen heraus befeuert worden, in denen viele führende Nationalsozialisten Mitglied waren. Viele solcher ariosophischer Okkultlogen gibt es heute immer noch - oder wieder. Diese stellen eine große Gefahr dar, auf die noch viel stärker das Augenmerk gerichtet werden sollte. So sollte beispielsweise der Tatsache nachgegangen werden, daß Werner Best, der dritte Mann hinter Himmler und Heydrich dem Skladenorden nahe stand, daß Himmler sich von Astrologen wie Wihelm Wulff beraten ließ und viele Dinge mehr auf dieser Linie.
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- Ancient Rome: A genetic crossroads of Europe and the Mediterranean By Margaret L. Antonio, (...) Ron Pinhasi, Jonathan K. Pritchard, Science, 08 Nov 2019:708-714, https://science.sciencemag.org/content/366/6466/708
- Khan, Razib: https://www.gnxp.com/WordPress/2019/11/07/syrian-orontes-has-long-since-dried-up-to-be-replaced-by-the-tiber-once-more/
- Günther, Hans F.K.: Lebensgeschichte des römischen Volkes. Verlag Hohe Warte 1957
- Murray, Charles: Human Accomplishment, 2003
- Saupe, T., Montinaro, F., Scaggion, C., Carrara, N., Kivisild, T., D’Atanasio, E., ... & Scheib, C. L. (2021). Ancient genomes reveal structural shifts after the arrival of Steppe-related ancestry in the Italian Peninsula. Current Biology, online 10.5.2021, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982221005352.
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