Sonntag, 31. Oktober 2021

Tod und Untergang eines Volkes - Die Daker in Siebenbürgen

- Ein Bildbericht aus dem Jahr 112 n. Ztr.

In einer neuen Veröffentlichung wird die Bildabfolge auf der Trajanssäule in Rom aus dem Jahr 112 n. Ztr. eindrucksvoll dokumentiert (1). Vielleicht deutlich wie nie kann hier studiert werden, wie die Gestik und Mimik von sich Unterwerfenden und von Verlierern eines Krieges in jenen Zeiten aussah. In den Gesichtern zeichnen sich Leere, Ratlosigkeit, Verzweiflung ab. Es kommt zu Selbstmorden. Ergreifende bildliche, szenische Darstellungen des Verlaufs und Ergebnisses des Ersten und des Zweiten Dakischen Krieges.

Zu den Heldentaten "großer Römer" gehörte es, Völker zu unterwerfen. Das heißt, sie wurden als Volk vernichtet und als eine neue römische Provinz in das Römische Weltreich eingegliedert. Religion, Sprache und Kultur des unterworfenen Volkes überlebten diesen Unterwerfungs-Prozeß nicht. Ein solcher - vermeintlich "großer" - Römer war der Kaiser Trajan (53-117 n. Ztr.) (Wiki). In seinem Fall war das von ihm "heldenhaft" unterworfene und vernichtete Volk das Volk der Daker.

Abb.: Ein Daker - Statue im Kapitol-Museum in Rom (Wiki)

Die Daker lebten in Siebenbürgen und im heutigen Rumänien. Sie lebten in Wohlstand und im Frieden mit vielen angrenzenden Völkern. Sie lebten in Städten und Dörfern, pflegte ihre Religion, ihre überlieferten Gesänge. Die Daker waren sprachlich und kulturell verwandt mit den benachbart lebenden Geten und Thrakern. Diese Völker waren weder keltischer noch germanischer Herkunft. Vermutlich sind die Daker als Volk schon vor oder während der Bronzezeit entstanden - genauso wie die italischen Stämme in Italien oder wie die Griechen und Makedonen, nämlich durch Zuwanderung von Indogermanen und durch Vermischung der Indogermanen mit den zuvor in Siebenbürgen und im Donauraum wohnhaften Völker anatolisch-neolithischer Herkunft. In auffällig guten Beziehungen standen die Thraker zu den "Hyperboräern", sprich, zu germanischen Völkern im Ostseeraum (Wiki):

Die Thraker pflegten friedliche Beziehungen zu verschiedenen Stämmen der Germanen, Sarmaten, sowie zu den Pannoniern, Illyrern und Epiroten. Überliefert ist, daß u. a. ein Stamm des Hohen Nordens - der jedoch nur als Hyperborea bekannt ist - regelmäßig Opfergaben an Heiligtümer im Gebiet des Epirus und ins Apoll-Heiligtum der Daker sandte. Es wird angenommen, daß es sich dabei um eine sehr alte Route zwischen der Ostsee und den Thrakern handelt, die über die Ostgermanischen Stämme führte. Auch eine baltische und an der Oder beginnende Bernsteinstraße führte nach Thrakien und wurde jahrhundertelang intensiv genutzt.

Somit muß es nicht völlig unmöglich sein, daß auch Teile der Daker, Geten und Thraker ursprünglich im Ostseeraum gelebt haben. Der Sänger Orpheus war ein Thraker. Die Berichte über Orpheus und seine Dichtungen genossen in der antik-griechischen Kultur ein Ansehen, das dem Ansehen des eine Generation später lebenden Homer gleichrangig war. (Zu Orpheus und der religiösen Richtung, die von ihm ausging, soll noch ein eigener Artikel hier auf dem Blog erscheinen. Denn in diesem Jahr sind neue Textreste dieser orphischen Gesänge bekannt geworden.)

Abb. 1: Erster Dakischer Krieg - Schlachtszene auf der Trajanssäule in Rom - Die zumeist bärtigen Daker rechts gegen die bartlosen Römer links (aus: 1)

Von den Dakern haben sich viele bildliche Darstellungen erhalten (Wiki). Die eindrucksvollsten aber befinden sich auf der Trajanssäule (112/113 n. Ztr.) (Wiki) in Rom. Diese wurde zu Ehren des "großen" Kaisers Trajan nach seinem Tod aufgestellt. Im Sockel dieser Säule wurde auch die Urne der Asche von Trajan niedergelegt.

In einer Bildfolge von 155 Szenen wird auf dieser Trajanssäule ausgesprochen detailliert über den Ersten und den Zweiten Dakischen Krieg berichtet, über die Waffentaten und zivilisatorischen Taten der römischen Legionäre und der römischen Hilfsvölker aber auch über den heldenhaften Widerstand, die tapferen Bemühungen der Daker und ihrer Verbündeten, germanischer und sarmatischer Stämme, die Unterwerfung von sich abzuwenden. Es werden Erfolge der Daker dargestellt, Verhandlungen mit ihnen, schließlich häufen sich Mißerfolge und am Ende kommt der Untergang: Es wird dargestellt wie sich viele führende Daker dem Kaiser unterwerfen, wie viele andere führende Daker in Gefangenschaft geraten (darunter wohl die Söhne des Königs) und wie sich viele andere Daker hinwiederum selbst töten, wie sie ihre eigene Stadt anzünden, wie sie sich von Kameraden erschlagen lassen.

Abb. 2: Die Römer zünden dakische Holzhäuser, Speicher, Vorratshäuser und Befestigungen an (aus: 1)

Es ist dies ein einzigartiger Bildbericht über eine sehr ähnliche Völkerwelt, wie sie von dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus auch sonst in seinen Werken dargestellt worden ist. Die Völkerschaften sind jeweils durch spezifische Eigenarten gekennzeichnet: Die Römer werden in der Regel als bartlos dargestellt, die Daker tragen oft einen Vollbart. Die Sarmaten tragen einen Schuppenpanzer, der den ganzen Körper bedeckt, die Mauren, nordafrikanische Hilfstruppen der Römer auf Pferden haben das typische nordafrikanische strähnige Haar.

Ein ähnlicher Untergang wie den Dakern war hundert Jahre zuvor den rechtsrheinischen und den Elb-Germanen zugedacht worden. Dieser Untergang konnte damals durch die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Ztr. abgewendet werden. Die Daker hundert Jahre später waren nicht so glücklich.

Abb. 3: Eine mit Mauerwerk befestigte Siedlung der Daker, dahinter aufgespießte Schädel, womöglich getötete Römer aus dem vorhergenden Kriegszug des Domitian gegen die Daker, im Vordergrund aber Daker, deren Mimik zeigt, daß sie ihre Zuversicht verloren haben (Szene 25) (aus: 1)

Wenn man den Bildbericht Szene für Szene durchgeht (1-3), spürt man die Dramatik eines solchen Feldzuges vielleicht stärker, als es jeder schriftliche Bericht könnte. Es wird deutlich, daß viel Unvorhergesehenes, Überraschendes geschehen konnte, das "Gefahr" in der Luft lag - auch für die Römer. Zur authentischen Darstellung wird aber auch gebracht die Psychologie der Besiegten, die oft beklommenen, betroffenen Gesichter, die nach und nach immer mehr Zuversicht verlieren.

Abb. 4: Mit dem Mut der Verzweiflung berennen Daker eine römische Befestigung (aus: 1)

Zu dieser Trajansäule ist im letzten Jahr eine außerordentlich eindrucksvolle Buchveröffentlichung erschienen (1). In ihr sind Fotografien von Gipsabgüssen dokumentiert, die 1861 in Rom von der Säule abgenommen worden waren und nach Paris verbracht wurden, die sich aber bis heute - im Gegensatz zu anderen Gipsabgüssen - nicht erhalten haben (2):

Der häufig beschworene Charakter des Frieses der Traianssäule als "Kriegsbericht in Bildern" wird hierbei einmal mehr greifbar; die einzelnen Handlungssequenzen erscheinen als Kapitel einer fortlaufenden historischen Erzählung, die für die verlorenen commentarii Kaiser Traians inhaltlich einstehen kann.

Dargestellt ist die Unterwerfung der Daker im heutigen Rumänien bis nach Siebenbürgen, also die Gebiete nördlich des Donaulimes in mehr als 30 Jahren in den Jahrzehnten um 100 n. Ztr. (Wiki) herum.

Abb. 5: Ein unterwürfiger Daker vor Kaiser Trajan und seinen Offizieren

Die Abwehrkämpfe der Daker, ihre Leiden, die militärischen "Leistungen" der Römer und ihrer Hilfsvölker, die Leistungen im Ausbau der Provinz werden auf den Reliefen in vielen aufschlußreichen Details eindrucksvoll dargestellt. Die Daker wurden in ihren Abwehrkämpfen von germanischen und sarmatischen Stämmen (Roxolanen) unterstützt (Wiki):

Während der Kämpfe um Dakien waren die germanischen Stämme der Quaden und Markomannen ihren Verpflichtungen mit Rom nicht nachgekommen. Unter der Dakischen Allianz der Stämme befanden sich auch Roxolanen und die mit ihnen verbündeten germanischen Bastarnen, die seit Burebista in freundschaftlicher Koalition mit Dakern und Geten standen. Die Germanen aller Stämme unterstützten dadurch die Daker in der Hoffnung, die Römer endgültig loszuwerden.

Die Bildfolge und Bilderzählung auf der Trajansäule kann man sich auch im Internet ansehen auf dem "Monumentbrowser zur Trajansäule" (Suchworte auf Google). In den Abbildungen dieses Beitrages und im zugehörigen Text sollen nur einige eher willkürlich gewählte Ausschnitte daraus gegeben werden. Womöglich wird dieser Blogartikel künftig noch vervollständigt.

Der Erste Dakische Krieg (Szene 1 bis 77)

Dort lesen wir zu den einzelnen Szenen (3):

Zu Beginn der Erzählung ist das friedliche Donauufer mit Heuschobern, Holzstößen und Wachposten dargestellt. (...) Zwei Züge von Legionären ziehen aus einem steinernen Tor und marschieren über zwei Pontonbrücken zum gegenüberliegenden Donau-Ufer.

Auch Rituelles ist dieser Darstellung immer wieder wichtig, nämlich in der Szene des ersten Marschlages das ...

Trankopfer, das der Kaiser im Lager spendet, und der rituelle Zug der Teilnehmer für die suovetaurilia samt der Opfertiere um das Lager. 

In einer Ansprache an seine Legionäre nimmt der Kaiser das Land in Besitz.

Abb. 6: Darstellung gemauerter dakischer Häuser - oder Tempel? - im Berg- und Waldland, römische Legionäre schwärmen zwischen ihnen aus

Es wird dann ein erstes steinernes Lager errichtet. Im Wald schlagen die Legionäre Holz für die weiteren Festungsanlagen. Heu- und Strohschober werden angelegt. Dem Kaiser wird ein gefangener Daker vorgeführt. Es werden Verkehrswege angelegt. Erdarbeiten werden dargestellt, Arbeiten im Steinbruch. Berittene Hilfstruppen machen sich bereit und reiten aus dem Lager. 

Szene 24: An einem Waldrand kommt es zu einem ersten Angriff der Daker. Diese ziehen sich mit ihren Verwundeten in den Wald zurück. Römische Hilfstruppen präsentieren dem Kaiser erste abgeschlagene Köpfer der Daker.

Entlastungsangriff der Sarmaten südlich der Donau

Als Entlastungsangriff setzen Sarmaten und Roxolanen ohne Brücke und deshalb verlustreich über die Donau, um römisches Gebiet anzugreifen. Der Kaiser muß seinen Vormarsch abbrechen, zur Donau zurückmarschieren, die Soldaten einschiffen und ins Krisengebiet fahren, dort wieder ausschiffen. Die Sarmaten werden besiegt und flüchten. 

Abb. 7: Beim Ritt ins Land hinein zu Beginn des Zweiten Dakischen Krieges wird der Kaiser von unterworfenen Bevölkerungsteilen gegrüßt

Der Kaiser kann seinen Kriegszug nördlich der Donau fortsetzen (3, Szene 59):

Tatenlos sehen die Daker zum einen den Kaiser in der vorigen Szene nahen, zum anderen, wie römische Auxiliare eine Siedlung im Vordergrund niederbrennen.

Zwei Daker verhandeln mit dem Kaiser (Szene 66). Zugleich aber werden von den Römern umfangreiche Vorbereitungen zur Schlacht getätigt. Die Daker bereiten sich ebenfalls auf eine Belagerung vor und schlagen Holz ein.

Wiederum sind die Römer erfolgreich (Szene 75):

In einem langen Zug nähern sich unterworfene und unterwürfige Daker dem thronenden Kaiser. Hinter diesem versammeln sich die römischen Truppen. Im Hintergrund zieht sich eine große Folge verschiedener Lagerbauten hin.

Nach ihrer Unterwerfung schleifen die Daker ihre Festungen. Voller Unruhue und Hast verlassen dakische Familien ihre Heimat (Szene 76). Mit der Huldigung der römischen Legionäre vor ihrem Kaiser schließt die Bildfolge zur Darstellung des Ersten Dakischen Krieges.

Abb. 8: Dakische Frauen und Kinder während der Kaiser das Trankopfer vollzieht - Die Mischung von Stolz und Unterwürfigkeit, das ungelenke Hineinfinden in das neue "Römisch-Sein" zeichnet sich auf den Gesichtern ab (Szene 91)

Der Zweite Dakische Krieg (Szene 78 bis 155)

Ab Szene 78 wird der Zweite Dakische Krieg dargestellt. Der Kaiser wird von unterworfenen Bevölkerungsteilen begrüßt (Abb. 7). Römer und Daker stehen gemeinsam dabei, während der Kaiser das Trankopfer vollzieht (Szene 91).

Die Daker fliehen aus einer von ihnen zuvor innegehabten Festung - offenbar noch vor Beginn von Kampfhandlungen (Szene 93).

Unruhige dakische Krieger, die diskutierend in einer großen Festung stehen (Szene 111). Offenbar wollen einige Widerstand leisten, andere nicht. Vor der Festung laufen andere Daker durcheinander und sehen sich nach verschiedenen Richtungen hin um.

Mehrere Daker setzen ihre eigene, belagerte Stadt in äußerster Verzweiflung in Brand (Szene 119). In der nächsten Szene (120) wird Geschrei und Wehklagen gezeigt, es wird gezeigt, wie in der an die Stadt angrenzenden Festung die dakischen Männer in den Freitod gehen. König Decebalus selbst teilt den Gifttrank für sie aus.

Aus dem rückseitigen Tor fliehen die dakischen Männer in wilder Auflösung und Verzweiflung. Andere dakische Männer wenden sich mit flehenden Gesten an den Kaiser, unterwerfen sich ihm, bitten um Gnade und Leben. Die besiegte Stadt wird schließlich von den Legionären geplündert.

Noch einmal sammeln sich dakische Männer, um ein befestigtes Lager römischer Hilfstruppen zu stürmen (Szene 133). Die Hilfstruppen wehren sich verzweifelt. Die Daker werden immer noch von König Decebalus geführt. Er leitet den Angriff. Der Angriff wird abgeschlagen. Daker fliehen. König Decebalus spricht zu den dakischen Männern (Szene 139). Daker wenden sich von Decebalus ab, um Selbstmord zu begehen. Ein Daker bittet einen anderen, ihn zu erschlagen. Die Daker übergeben unterwürfig eine Festung an den Kaiser (Szene 141).

Die römische Reiterei folgt den letzten fliehenden dakischen Berittenen in die unwegsamen Berge Siebenbürgens. Dort werden letztere von den Römern gestellt und umzingelt. Die Daker werden niedergemacht. Mitten unter ihnen begeht Decebalus Selbstmord (Szene 145). Über der Leiche des Decebalus nehmen die Römer seine jungen Söhne gefangen. Im gut bewachten Lager wird den Legionären der abgeschlagene Kopf des Decebalus präsentiert.

Weitere dakische Könige werden von den römischen Hilfstruppen aufgespürt und überwältigt. Viele gefangene Daker werden im Gebirge in ein Gefangenenlager abgeführt. Vor einer weiteren Stadt leisten Daker Widerstand und werden überwältigt. Die Stadt wird angezündet. Es kommt zu umfangreichen Umsiedlungen von dakischen Familien und ihrer Rinder.

"Gelungene Integration"

Ergänzung 9.1.22: Hartwin Brandt, seit 2002 Professor für Alte Geschichte an der Universität Bamberg, hat ein Buch über die Römische Kaiserzeit herausgebracht. In einer Rezension von Seiten des Mainzer Althistorikers Theodor Kissel lesen wir (4):

Der Historiker Hartwin Brandt beschreibt die römische Kaiserzeit als Erfolgsmodell für eine gelungene Integration. (...) Brandt zeigt auf, wie die Römer ihre Macht organisierten, und weist darauf hin, daß diese ihre Herrschaft nicht nur militärisch, sondern auch kulturell fundierten und vormals Unterworfene an der Macht und an den Vorteilen ihres Systems teilhaben ließen. Religiöse Toleranz, zurückhaltende Administration und die Durchlässigkeit des politischen Systems bildeten zusammen mit der "Pax Romana" den politischen Mehrwert, der die Provinzialen dazu ermunterte, aus freien Stücken Römer zu werden.

Dem Völkerfriedhof Römisches Reich wird hier also eine "gelungene Integration" zugesprochen. Die Provinzialen wären "aus freien Stücken" Römer geworden. Aber gegen die Einwohner welcher nachmaligen Provinzen war denn zuvor nicht erbarmungslos Krieg geführt worden? Und was haben die Gallier an kultureller Eigenständigkeit mit hinüber gerettet in ihre nachmalige "gallorömische" Kultur? Ihre Sprache? Ihre religiösen Überlieferungen? In dem Buch würde aufgezeigt, "wie Großreiche Völker unterschiedlicher Nationalität, Religion und Mentalität integrieren können, ohne daran zu zerbrechen". Das dürfte ja auch sehr wichtig sein, daß Großreiche nicht daran zerbrechen, wenn sie sich an hunderten von Völker, Sprachen, religiösen und kulturellen Überlieferungen überfressen. Auch für Gegenwart und Zukunft.

Zufälligerweise hatten wir das in dem vorliegenden Beitrag ausgewertete Werk (1) in der Seminarbibliothek für Geschichte der Universität Bamberg entdeckt. Man wird also davon ausgehen können, daß der Rezensent etwas gar zu einseitig einen einzigen Aspekt herausgegriffen hat, der in dieser neuen Darstellung zum Römischen Kaiserreich heraus gearbeitet worden ist. Es wird sicherlich nicht der einzige sein.

"Reetablierung des Rumänischen zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert"

Nachtrag [26.6.2022]: In der einstigen Heimat der Daker leben heute Rumänen. Diese sprechen - auffälliger Weise - eine romanische Sprache, und zwar im Gegensatz zu den umliegenden Völkern, die slawische Sprachen sprechen. Sie haben sich selbst auch immer als "Römer" bezeichnet, was noch in dem Volksnamen "Rumäne" steckt. Germanische Stämme und die Deutschen haben romanisierte Völker mit der Sammelbezeichnung "Welsche" benannt (abgeleitet vermutlich von dem keltischen Stamm der "Volker", der ebenfalls romanisiert worden sein mag). Während auch romanisierte germanische Stämme im Westen und Süden "Welsche" benannt wurden, wurden die Romanisch-Sprachigen in Siebenbürgen als "Walachen" (Wiki) bezeichnet.

Wie sich nun die lateinische, bzw. romanische Sprache in Rumänien - über das Mittelalter hinweg - unter den dortigen "Römern", bzw. "Walachen" (Wiki) hat halten und ausbreiten können, ist noch nicht gut von der Sprachgeschichte verstanden. Aus Sicht der Ausbreitung des Dialektkontinuums der slawischen Sprachen zwischen Ostalpen und Schwarzem Meer wird gesprochen von einem "Reetablierung des Rumänischen zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert" (Wiki), das sich zwischen dieses slawische Dialektkontinuum geschoben hätte. Wir lesen (Wiki):

Das Rumänische ist die östlichste romanische Sprache. Es ist aus dem Lateinischen hervorgegangen, das in den römischen Provinzen Dakien und Moesien gesprochen wurde, d. h. nördlich bzw. südlich der Donau. Die kurze Zeit der römischen Herrschaft in Dakien von 107 bis 271 n. Chr. genügt nicht, um die Herausbildung des Rumänischen in diesem Raum zu erklären. Es müssen die stärker romanisierten Gebiete südlich der Donau, die weiterhin unter römischer Herrschaft verblieben waren, (...) (mit) in Betracht gezogen werden.

Vielleicht haben auch die Goten, die in Siebenbürgen fortbestanden haben (Stgen2021), zunächst ein provinzialrömisches Latein übernommen und dieses als solches auch beibehalten, anstatt eine slawische Sprache zu übernehmen.

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  1. Alexandre Simon Stefan: Die Trajanssäule. Dargestellt anhand der 1862 für Napoleon III. gefertigten Fotografien. Mit einem Beitrag von Hélène Chew. Zusammenstellung der Tafeln von Alexandre Simon Stefan. Aus dem Französischen übersetzt von Birgit Lamerz-Beckschäfer, Dieter Hornig sowie Fritz Mitthof und Julian Gabriel Schneider. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Philipp von Zabern, Darmstadt 2020 (EA Französisch 2015) (Academia)
  2. Reinhardt, Arne: Rezension von 1, https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/gfa/article/view/83872/78202
  3. Monumentbrowser zur Trajanssäule, Universität zu Köln, Archäologisches Institut, 2021, https://arachne.uni-koeln.de/browser/?view[layout]=Trajan_item&relief_nr=01
  4. Kissel, Theodor: Rezension zu "Das Kaiserreich" von Hartwin Brandt (2021), 4.1.2022, https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-die-kaiserzeit/1952356 

Freitag, 22. Oktober 2021

Unsere Pferde - Sie stammen von Don und Wolga (2.200 v. Ztr.)

Die Streitwagen-Kultur ab 2.200 v. Ztr.
- Sie bewirkte die Domestizierung des Pferdes und seine Ausbreitung über die Welt

Der Mensch domestiziert das Pferd vor viertausend Jahren, indem er es Streitwagen ziehen läßt. Diese Streitwagen-Kultur ragt noch in unsere Zeit hinein, etwa in Form der "Quadriga". Eine Quadriga, ein vierspännig gezogener Streitwagen, schmückt das Brandenburger Tor (Abb. 1) aber ebenso auch manch anderes repräsentatives Gebäude weltweit, das aus dem 19. Jahrhundert stammt.

Abb. 1: Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin - Die Streitwagen-Kultur unserer Vorfahren ragt mit ihr weithin sichtbar bis in die Gegenwart hinein (Fotograf: Martin Kraft, unter der freien Lizenz CC BY-SA 3.0) (Wiki)

Von dem indogermanischen Volk der Hethiter ist bekannt, daß sie große Liebhaber der Pferde waren, ebenso von den Skythen. "Lieber als der Klang der Lyra ist mir das Wiehern meines Pferdes," soll ein Skythenfürst stolz den kultivierten Griechen gesagt haben. Und so waren natürlich auch noch viele andere indogermanische und nichtindogermanische Völker Pferdeliebhaber. Der griechische Schriftsteller und Philosoph Xenophon (430-354 v. Ztr.) (Wiki), Schüler von Sokrates, hat ein auch heute noch lesenswertes Sachbuch über den guten Umgang mit Pferden geschrieben. Darin heißt es (zit. n. 11):

Auf solcher Gestalt gerittenen Pferden werden Götter und Halbgötter dargestellt, aber auch die Männer, die sich ihrer schön zu bedienen wissen, bekommen dadurch ein herrliches Ansehen. Ein sich bäumendes Pferd ist aber auch in der Tat etwas so Schönes, Furchtgebietendes und Wundervolles, daß es die Augen aller Zuschauer, der jungen wie der alten, fesselt. Jedenfalls kann niemand von ihm loskommen und sich an ihm sattsehen, solange es sich in seinem vollen Glanze zeigt.

Im 3. Jahrtausend, dem Jahrtausend der Domestizierung des Pferdes, haben wir es mit einer Fülle von indogermanischen Kulturen im östlichen Europa zu tun (Abb. 2). Auf die Bedeutung der am Oberlauf der Wolga existierenden Fatyanowo-Kultur für die Entstehung der Sintashta-Kultur (2.100 bis 1.800 v. Ztr.) (Wiki) und damit die zweite Ausbreitung der Indogermanen Richtung Asien und Indien - verbunden mit der "Andronowo-Kultur" - haben wir schon in einem Blogartikel vor einem Jahr hingewiesen (1), ausgehend von einem Aufsatz des deutschen Archäologen Volker Heydt über ein "Vergessenes Kind der Schnurkeramik-Familie" (als solches nämlich bezeichnete er die Fatyanowo-Kultur). Alle genannten Kulturen scheinen voneinander ableitbar zu sein, hervorgegangen aus der Schnurkeramik-Kultur im Raum des heutigen Polen.

Aus der Sintashta-Kultur südlich des Ural nun sind die ältesten Pferde-gezogenen Streitwagen der Menschheits-Geschichte überliefert. Und aus einer neuen archäogenetischen Studie über die Domestizierung der Pferde geht hervor, daß die Sintashta-Kultur die domestizierten Pferde aus der für sie im Süden liegenden Poltavka-Kultur (2.900 bis 2.300 v. Ztr.), existierend südlich der Mittleren Wolga (Wiki), übernommen zu haben scheint (2).

Abb. 2: Indogermanische Kulturen 2.800 bis 2.200 v. Ztr: Schnurkeramik - Fatyanowo - Sintashta - Jamnaja - Poltavka-Kultur

Das Domestikations-Ereignis, von dem alle unsere modernen, domestizierten Pferde abstammen, ist nämlich mit dieser neuen Studie zeitlich auf das späte 3. Jahrtausend v. Ztr. eingegrenzt und räumlich auf die Region des Unterlaufs von Wolga und Don (2)!

Die - womöglich - noch nicht voll domestizierten Pferde, die den domestizierten am nächsten standen, lebten nämlich ab 3.500 v. Ztr. in der dortigen Maikop-Kultur (nördlich des Kaukasus), in der späten Jamnaja-Kultur (nordpontische Steppe) und in der aus beiden hervorgegangenen Poltavka-Kultur südlich der Mittleren Wolga. Die Poltavka-Kultur nahm unter anderem auch Einfluß auf die Entstehung der Sintashta-Kultur südlich des Ural. Aber mit dieser Studie wird nun auch aufgezeigt, daß die Sintashta-Kultur keineswegs die einzige Kultur war, die ab 2.200 v. Ztr. in Europa und im Vorderen Orient domestizierte Pferde und - ggfs. - Streitwagen nutzte. 

A. Wilde Pferde - Für die Schnurkeramiker Jagdwild (2.600 v. Ztr.)

Doch zunächst noch einmal ein Sprung zurück und ein Sprung ins mittlere Europa jenes dritten Jahrtausends v. Ztr.: In der neuen Studie sind nämlich auch Pferdeknochen von einem Fundort zehn Kilometer südlich von Bad Staffelstein in Oberfranken - nördlich von Bamberg - aus der Zeit um 2.600 v. Ztr. ausgewertet worden. Und zwar vom eindrucksvollen "Hohlen Stein" bei Schwabthal (WikiCom) (Abb. 2), einem mächtigen Felsen, der offenbar von allen Bauernkulturen seit der Bandkeramik als heiliger Ort verehrt worden ist. Man siedelte sich gern in seiner Nähe an, obwohl er auf einer abgelegenen Höhenlage findet. Der Fels scheint auch wie geschaffen für einen Heiligen Ort. Er hat eine ähnliche Aura wie die Externsteine. Hier wurden neben Funden zahlreicher anderer archäologischer Kulturen (Bandkeramik u.a.) auch Funde aus der Zeit der Schnurkeramiker gemacht. 

Es handelt sich um Funde einer Ausgrabung, die 2008 vorgenommen worden war (3-5). Ausgräber und Mitautor Timo Seregély von der Universität Bamberg berichtet darüber aus Anlaß der Veröffentlichung der neuen archäogenetischen Pferde-Studie (3):

"Wir haben dort Pferdeknochen von mehreren Tieren aus der Zeit um 2600 vor Christus gefunden, die im Zusammenhang mit einer Siedlung der schnurkeramischen Kultur (...) stehen. Sie waren durch die direkte Lage am auffälligen Dolomitfelsmassiv des Hohlen Steins fantastisch erhalten und wiesen einen reichen Gehalt an alter DNA auf." Im Gegensatz zu Seregélys bisheriger Annahme ist nun nicht einmal mehr sicher, ob es sich bei den oberfränkischen Funden überhaupt um die Reste von domestizierten Pferden handelt. Es könnte sich ebenfalls um gejagte, damals noch in der Region lebende Wildpferde gehandelt haben.

So tatsächlich das auffallende Ergebnis dieser neuen archäogenetischen Studie (2). Und das ist ein völlig neuer Blick auf die Schnurkeramiker und auf ihnen vorangehende Kulturen. Sie haben keineswegs Pferde für ihre weiten Ausbreitungswege über ganz Europa hinweg als Reit- oder Zugtiere genutzt wie es seit über hundert Jahren und noch bis vor wenigen Jahren in der Forschung angenommen worden war. Vielmehr haben sie nur das Rind als Zugtier gehalten und wilde Pferde vermutlich gejagt ebenso wie etwa das Rot- oder Schwarzwild. (Aber die eigentliche Nutzung dieser wilden Pferde wird künftig sicher noch genauer geklärt werden. Wurden sie womöglich als Herden-Tiere gehalten, ohne als Reit- oder Zugtiere genutzt zu werden?***))

Abb. 3: Der Hohle Stein bei Schwabthal bei Bad Staffelstein in Oberfranken (Wiki)

Wenn man sich die Landschaft am Hohlen Stein ansieht, der wie gesagt nicht im Tal, sondern in einer entlegeneneren Höhenlage aufgesucht werden muß, so wird es hier zwar seit der Bandkeramik - wie durch tausende von Lesefunden bezeugt - die für die Bandkeramik üblichen "Waldinsel" gegeben haben, ansonsten aber gibt es hier weitum sehr viel geschlossene Walddecke. Die Frage stellt sich deshalb, ob angenommen werden kann, daß hier natürlicherweise Wildpferde gelebt haben können. Wir lesen dazu (Wiki):

Während des Holozäns waren hauptsächlich zwei Vertreter der Wildpferde in Eurasien verbreitet. Der Tarpan (Equus ferus) besiedelte den westlichen Teil, wurde aber im 18. und 19. Jahrhundert ausgerottet. Sein Auftreten ist für die westrussischen und ukrainischen offenen Steppenlandschaften verbürgt. Weiter westlich, in Polen und im Baltikum kam er auch in geschlossenen Waldgebieten vor.

Auch die Herkunft des vor mehr als hundert Jahren ausgestorbenen Tarpan-Pferdes als eine Mischung des europäischen Wildpferdes mit den domestizierten ("DOM2"-)Pferden (siehe gleich) ist durch die neue Studie geklärt werden (2). Aber damit scheinen also geschlossene Waldgebiete tatsächlich auch zum Lebensraum von wilden Pferden zu gehören.

B. Domestikation an Don und Wolga (2.600 bis 2.200 v. Ztr.)

Wir lesen in der neuen Studie, die federführend von Wissenschaftlern der Universität Toulouse erstellt worden ist, an der aber viele hochrangige Archäogenetiker, Zooarchäologen und Archäologen aus Deutschland und Skandinavien mitgearbeitet haben, und an der auch der Indogermanen-Archäologe David Anthony beteiligt war (2):

Moderne domestizierte Pferde gehören einer Gruppe an, die sich nach 2200 v. Ztr. und während des 2. Jahrtausends v. Ztr. geographisch weit ausgebreitet hat und vorherrschend wurde (hier benannt: "DOM2"). (...) ... Es konnten drei Pferde aus der Region westlich der Unteren Wolga und des Unteren Don als der der DOM2-Gruppe genetisch am nahestehendsten eingegrenzt werden. Sie werden datiert zwischen 3.500 und 2.600 v. Ztr. und standen sowohl in Verbindung mit der Maikop-Kultur in der Steppe (Fundort Aygurskii), wie mit der Jamnaja-Kultur (Fundort Repin) wie auch mit der Poltavka-Kultur (Fundort Sosnovka). ... Um 2.200 bis 2.000 v. Ztr. tritt das typische DOM2-Herkunftsprofil außerhalb der westeurasischen Steppen in Böhmen (Holubice), an der Unteren Donau (Gordinesti II) und in Zentralanatolien (Acemhöyük) auf, woraufhin es sich kurz danach über ganz Eurasien ausbreitete, wobei es vermutlich alle dort zuvor existierenden Pferde-Herkunftsgruppen ersetzte. (...) Dieser Prozeß schloß Hengste ebenso ein wie Stuten .... und wurde durch eine explosive Demographie genährt ... Unsere Daten decken eine Umwälzung der Pferdepopulation auf, die zustande kam dadurch, daß damalige Pferdezüchter große Herden von DOM2-Pferden züchteten, um ihren wachsenden Bedarf für eine Pferde-basierte Mobilität ab 2.200 v. Ztr. zu decken.
Original: Modern domestic horses clustered within a group that became geographically widespread and prominent following about 2200 bc and during the second millennium bc (DOM2). (...) Multi-dimensional scaling further identified three horses from the western lower Volga-Don region as genetically closest to DOM2, associated with Steppe Maykop (Aygurskii), Yamnaya (Repin) and Poltavka (Sosnovka) contexts, dated to about 3500 to 2600 bc (Figs. 2a, b, 3a). (...) Our results demonstrate that DOM2 ancestors lived in the Western Eurasia steppes, especially the lower Volga-Don, but not in Anatolia, during the late fourth and early third millennia bc. (...) By around 2200-2000 BC, the typical DOM2 ancestry profile appeared outside the Western Eurasia steppes in Bohemia (Holubice), the lower Danube (Gordinesti II) and central Anatolia (Acemhöyük), spreading across Eurasia shortly afterwards, eventually replacing all pre-existing lineages (Fig 2c, Extended Data Fig. 3c). Eurasia became characterized by high genetic connectivity, supporting massive horse dispersal by the late third millennium and early second millennium bc. This process involved stallions and mares, indicated by autosomal and X-chromosomal variation (Extended Data Fig. 3d), and was sustained by explosive demographics apparent in both mitochondrial and Y-chromosomal variation (Extended Data Fig. 3e, f). Altogether, our genomic data uncover a high turnover of the horse population in which past breeders produced large stocks of DOM2 horses to supply increasing demands for horse-based mobility from around 2200 bc.

Schon seit einigen Jahren wird vermutet, daß die Pferde-Domestikation mit dem Aufkommen der Streitwagen-Kultur zusammenhängt, die man bislang am frühesten in der Sintashta-Kultur gefunden hatte. Dies wird nun vollumfänglich bestätigt aber auf Vorgänger-Kulturen der Sintashta-Kultur zwischen Mittlerer Wolga und Kaukasus ausgedehnt. 

Die hier aufscheinende "Fundlücke" von 400 Jahren von 2.600 bis 2.200 v. Ztr. scheint bemerkenswert. In dieser Zeit scheint das Wichtigste geschehen zu sein, was die Domestizierung des Pferdes betrifft. Vielleicht haben Kinder ganz spielerisch nicht nur Hunde vor einen Wagen oder Schlitten gespannt, sondern auch einmal Pferde und vielleicht wurde das allmählich zur Gewohnheit. Und vielleicht stellt sich irgendwann heraus, daß damit Überlegenheit in der Kriegsführung hergestellt werden kann.

Die frühen Indogermanen in der Mitte des 5. Jahrtausends v. Ztr. haben sich jedenfalls - wie schon in früheren Beiträgen hier auf dem Blog unterstellt - zu Fuß, bzw. über Flußschifffahrt ausgebreitet, spätere indogermanische Kulturen wie die Schnurkeramik- und die Glockenbecher-Kultur auch in Verbindung mit von Rindern gezogenen Wagen.*) Beide scheinen wilde oder halbwilde Pferde als Opfertiere (z.B. bei Beerdigungen in Chwalynsk) bevorzugt zu haben. Eine weitergehende Nutzung ist aber bislang für das 5. und 4. Jahrtausend v. Ztr. und weite Teile des 3. Jahrtausends v. Ztr. nicht gut belegt.

C. Welche Rolle spielte das Reiten (2.200 bis 2.000 v. Ztr.)?

In der Studie wird dann folgende, uns ein wenig "kühn" und "gewollt" erscheinende These vertreten, beruhend auf der Tatsache, daß die ältesten DOM2-Funde noch nicht in Verbindung stehen mit Streitwagen. - Das kennen wir aber auch schon vom Rinderwagen, nämlich daß für viele archäologische Kulturen und Regionen der Rinderwagen vorausgesetzt werden mußte, bzw. immer noch muß, obwohl er archäologisch noch gar nachweisbar war oder ist. Warum sollte es für die Streitwagen da so ganz anders sein? - Die Forscher aber schreiben (2):

Bemerkenswert ist, daß das DOM2-genetische Profil allseits vorherrschend war unter den Pferden, die um 2.000 bis 1.800 v. Ztr. in den Sintashta-Kurganen begraben worden sind zusammen mit den frühesten Speichenräder-Streitwagen (...). Ein typisches DOM2-Profil wurde ebenso in Zentralanatolien gefunden gemeinsam mit zweirädriger Wagen-Ikonographie aus der Zeit um 1900 v. Ztr.. Doch die Verbreitung solcher Profile in Holubice, Gordinesti II und Acemhöyük vor dem frühesten Beleg für Streitwagen unterstützt die These, daß das Reiten die früheste Verbreitung von DOM2-Pferden außerhalb der Kernregion veranlaßte, was in Übereinstimmung steht mit mesopotamischer Ikonographie während des späten dritten und frühen zweiten Jahrtausends v. Ztr.. Deshalb ist es wahrscheinlich, daß eine Kombination von Streitwagen und Reiten zur Ausbreitung der DOM2-Diaspora veranlaßte in einer Reihe von sozialen Kontexten von städtisch geprägten Staaten bis hin zu verstreuten, dezentralisierten Gesellschaften. ...
Original: Of note, the DOM2 genetic profile was ubiquitous among horses buried in Sintashta kurgans together with the earliest spoke-wheeled chariots around 2000-1800 bc (...). A typical DOM2 profile was also found in Central Anatolia (AC9016_Tur_m1900), concurrent with two-wheeled vehicle iconography from about 1900 bc. However, the rise of such profiles in Holubice, Gordinesti II and Acemhöyük before the earliest evidence for chariots supports horseback riding fuelling the initial dispersal of DOM2 horses outside their core region, in line with Mesopotamian iconography during the late third and early second millennia bc. Therefore, a combination of chariots and equestrianism is likely to have spread the DOM2 diaspora in a range of social contexts from urban states to dispersed decentralized societies.

Für die hier genannte mesopotamische Ikonographie bezieht man sich auf eine Studie aus dem Jahr 1970 über südirakische Ton-Plättchen (6). Über Bildersuche kann man sich zu dieser Ikonographie kundig machen.**) Wir lesen in der Vorschau, daß dieser Aufsatz befaßt ist (6) ...:

... mit einer Reihe von kleinen rechteckigen Ton-Plättchen, die einen einzelnen Reiter und sein Pferd zeigen, modelliert als flaches Relief oberhalb der Plättchen-Oberfläche, die von einer Reihe von Fundorten im Irak berichtet werden. Alle waren in Hohl-Formen gemacht worden und sind ohne Zweifel in einiger Menge von Standardformen abgeleitet wie viele .... / Ende der Vorschau! /
exclusively concerned with a series of small rectangular baked clay plaques, showing a single rider and his mount modelled in low relief on the upper surface, which have been reported from a variety of sites in Iraq. All were made in moulds and were no doubt cast in some quantity from standard patterns like many ...

Im Britischen Museum in London werden diese Ton-Modelle räumlich und zeitlich eingeordnet als gefunden im Süd-Irak, Zeitstellung "Old Babylonian", 2.000 bis 1.800 v. Ztr. (7). So richtig überzeugend möchte man diese Ikonographie für die hier erörterte Möglichkeit noch nicht ansehen. Aber immerhin darf sie als Hinweis gedeutet werden. - Aber muß es denn in jeder Kultur so gewesen sein wie in der Shintashta-Kultur, daß man den Streitwagen, den der Lebende benutzt hatte, dem Toten mit ins Grab gegeben hat? Wie auch immer. Hier gibt es noch manche nicht restlos geklärte Frage.

D. Erste Hinweise auf Selektion und genetische Anpassung bei den domestizierten Pferden

Die Forscher können auch zwei Gen-Stellen im Genom der domestizierten Pferde finden, die sich auffällig verändert haben gegenüber den undomestizierten Pferden zuvor, und zwar eine hinsichtlich von angeborenen Verhaltensneigungen  und eine hinsichtlich der Rückenanatomie (2):

Frühe Selektion an GSDMC und ZFPM1 legt eine veränderte Nutzung in Richtung von Pferden nahe, die fügsamer waren und streßunempfindlicher, und die neue Bewegungsabläufe ausübten, einschließlich ausdauerndes Rennen, Gewicht tragen und/oder Kriegsführung.
Early selection at GSDMC and ZFPM1 suggests shifting use toward horses that were more docile, more resilient to stress and involved in new locomotor exercise, including endurance running, weight bearing and/or warfare.

Weiterhin nehmen die Forscher darauf Bezug, daß Pferde als Herdentiere und Fleischlieferanten in verschiedenen Steppenkulturen in domestizierter oder halbdomestizierter Form genutzt worden sein können lange ehe sie als Reit- oder Zugtiere genutzt worden sind (2):

... Die (etwaige) Pferde-Herdehaltung der Jamnaja-Kultur verbreitete die Pferde nicht außerhalb ihres natürlichen Ausbreitungsgebietes, vergleichbar mit der Domestikation des Pferdes durch die Botai-Kultur, die eine lokale Praxis innerhalb eines seßhaften Siedlungssystems blieb. Die Globalisierung begann später, als DOM2-Pferde sich außerhalb ihrer Kernregion ausbreiteten, wobei sie als erstes Anatolien, die Untere Donau, Böhmen und Zentralasien um etwa 2.200 bis 2.000 v. Ztr. erreichten, ziemlich bald danach Westeuropa und die Mongolei, und wobei sie schließlich alle einheimischen Pferde-Populationen zwischen 1500 und 1000 v. Ztr. ersetzten.
Yamnaya horses at Repin and Turganik carried more DOM2 genetic affinity than presumably wild horses from hunter-gatherer sites of the sixth millennium bc (NEO-NCAS, from approximately 5500–5200 bc), which may suggest early horse management and herding practices. Regardless, Yamnaya pastoralism did not spread horses far outside their native range, similar to the Botai horse domestication, which remained a localized practice within a sedentary settlement system. The globalization stage started later, when DOM2 horses dispersed outside their core region, first reaching Anatolia, the lower Danube, Bohemia and Central Asia by approximately 2200 to 2000 bc, then Western Europe and Mongolia soon afterwards, ultimately replacing all local populations by around 1500 to 1000 bc.

Die Forscher machen weiterhin die Streitwagen-Kultur für die zweite indogermanische Ostausbreitung in Form der Andoronow-Kultur verantwortlich, wobei in Asien sowohl die einheimische menschliche wie Pferde-Genetik ersetzt worden sei (2). 

Abb. 4: Der prächtige Krater von Vix - Griechisches Gefäß aus einem keltischen Fürstengrab in Burgund, 500 v. Ztr. (Wiki) - Mit der Darstellung von Streitwagen

 

E. Im Urindogermanischen sind domestizierte Pferde nicht gut belegt aber in den indo-iranischen Sprachen

Es wird auch ausgeführt (2),

daß es viele Wort-Belege gibt für Pferdedomestikation, für Pferde-gezogene Wagen und davon abgeleitete Mythologien innerhalb des indo-iranischen Zweiges der indoeuropäischen Sprachfamilie, daß die sprachlichen Hinweise für das Halten von Pferden auf der tieferen urindogermanischen Ebene aber zweideutig geblieben ist.
While there is overwhelming lexical evidence for horse domestication, horse-drawn chariots and derived mythologies in the Indo-Iranian branch of the Indo-European family, the linguistic indications of horse-keeping practices at the deeper Proto-Indo-European level are in fact ambiguous.

Dieser Umstand dürfte gut zu den neuen Forschungsergebnissen passen. Um so mehr wir über die Ort und Zeitpunkt der Domestizierung der Pferde Sicherheit erlangen, um so mehr präzisiert sich unser Blick auf die Kulturen davor und danach.

Es gibt auch noch weitere deutschsprachige Berichte zu der neuen Studie (8, 9). Zur Spätgeschichte des Streitwagens in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends haben wir ebenfalls hier auf dem Blog vor einiger Zeit Ausführungen gegeben (10).

F. Die Sichtweise der Forscher rund um Svend Hansen

/ Ergänzung 27.12.2021: Der deutsche Archäologe Svend Hansen hat mit weiteren Koautoren der Studie selbst noch in deutscher Sprache diese neuen Forschungsergeebnisse eingeordnet. Hier wird erkennbar, wie wichtige Autoren der Studie selbst die Ergebnisse einordnen. Sie schreiben (11):

Der­ bekannteste­ ­Fundort­ der­ ersten­ ­Domesti­kation­ (DOM1)­ ist­ Botai.­ Diese­ frühen­ Hauspferde­ wurden­ jedoch­ später­ durch­ eine­ genetisch­ deutlich­ verschiedene­ zweite­ Domestikationsform­ ersetzt,­ sie­ erhielt­ die­ Bezeichnung­ DOM2.

Diese Forscher gehen also weiterhin davon aus, daß auch schon die Pferde der Botai-Kultur domestiziert waren, obwohl das doch eigentlich in der Forschung schon seit längerem als sehr umstritten gilt. Sie schreiben weiter (11):

Dieser­ zweite­ Typ­ der­ Hauspferde­ entstand­ im­ Raum­ zwischen­ unterem­ Don, der unteren­ Wolga und­ dem­ Nordkaukasus.­ Ab­ dem­ späten­ 3. ­Jahr­tausend v. Chr.­ ersetzten­ diese­ Pferde­ alle­ älteren­ Hauspferde. Auf diese­ Pferde­ gehen­ alle­ heute­ lebenden­ Pferderassen­ zurück,­ auch­ solche­ in­ den­ Regionen,­ in­ welchen­ zuerst­ andere­ Hauspferde­ verbreitet­ waren.

"Andere Hauspferde". Der Text der Studie selbst war diesbezüglich zurückhaltender. Uns scheinen das doch noch sehr spekulative Ausführungen zu sein. Immerhin machen sie deutlich, daß auf diesem Gebiet viele Fragen noch nicht restlos geklärt sind. Merkwürdig darf es einem immerhin vorkommen, daß Hansen und Koautoren überhaupt nicht darauf hinweisen, daß ihre Meinung nur eine von mehreren zu dieser Frage ist. Auch auf Moorey 1970 (6) beziehen sie sich ganz unkritisch als Zeugnis für sehr "frühes" Reiten. Besonders kurios aber werden dann die weiteren Ausführungen, in denen sie sich doch selbst zu widersprechen scheinen, wenn sie meinen, es hätte vor DOM2 auch schon domestizierte Pferde gegeben (11):

Ein ­weiteres­ interessantes ­Ergebnis ­der­ Studie­ von ­Orlando und ­seinem­ Team­ ist, ­daß das­ Reitpferd offenbar ­für­ die­ Expansion­ der­ Jamnaja-­Kultur­ und­ die­ ­Migrationen­ des­ 3. Jahrtausends v. Chr­ eine­ viel­ geringere­ Rolle­ spielte ­als­ gemeinhin­ angenommen­ wurde.­ Das ­relativiert ­die­ Auffassung­ mancher­ Forscher­ und­ Forscherinnen,­ die­ diese­ Migrationen­ mit­ der­ Aus­breitung­ der ­indo­europäischen Sprachen­ in­ Verbindung­ bringen ­oder­ diese­ gar ­als ­Proto­­Indoeuropäer ­betrachten­ und­ sollte­ Anlaß ­sein,­ über alterna­tive­ Konzepte­ nachzudenken.

Man entschuldige schon! Das klingt doch reichlich widersprüchlich. "Hauspferde", die aber keine Rolle spielten bei der Ausbreitung der Jamnaja-Kultur? Dieser Umstand soll die humangenetisch gut bezeugte Ausbreitung der Indogermanen aus dem Kernraum von Wolga und Don "relativieren"? Bei aller Wertschätzung der Arbeit von Svend Hansen - aber das ist doch eigentlich zu arg widersprüchlich. Da merkt man, daß an diesem Text keine ausgesprochenen Archäogenetiker scheinen mitgeschrieben zu haben. Man möchte doch manche gute Unterhaltung wünschen beim Nachdenken über "alternative Konzepte". Vielmehr sind doch jetzt nachzuzeichnen die genaueren Einzelheiten dieses Vorgangs, nachdem der große Rahmen schon längst vorgezeichnet ist.

Hier wird erkennbar, wie verbissen manche führenden Forscher in der Archäologie an lange verinnerlichten Sichtweisen hängen bleiben und davon kaum loskommen können.

Aber im weiteren wird die Domestikation aus guter Fachkenntnis heraus genauer der Maikop-Kultur zugeordnet, und zwar in die Zeit um 3.500 v. Ztr.. In dieser Maikop-Kultur habe es schon eine starke soziale hierarchische Gliederung gegeben. Der älteste DOM2-Fund habe sich ausgerechnet in einem reich ausgestatteten, adeligen Kinder-Grab gefunden. Da taucht vor dem inneren Auge die Möglichkeit auf, daß der Adel ja genug Zeit hatte, in seiner Freizeit mit Pferden zu "spielen". Schon früher war uns der Gedanke gekommen, daß das vor allem Kinder und Jugendliche gewesen sein könnten. (Die ja auch eine große Rolle spielen bei der Entstehung neuer Sprachen. Und ist der Umgang mit Pferden nicht ebenfalls das Erlernen einer "neuen Sprache"?) Haben sie so allmählich die Domestikation bewirkt? Indem sie übermütig halbwilde Pferde vor Ochsenkarren spannten? War diese Domestikation also schon zu Beginn eher ein Luxus-Phänomen?

Über die Maikop-Kultur schreiben die Forscher um Hansen weiter (11):

Die­ Innovationen­ dieser­ Zeit­ sind­ vielfältig­ und­ reichen­ von­ der­ Legierung­ des­ Kupfers­ mit­ Arsen­ über das­ Kupellationsverfahren­ zur­ Schei­dung­ von­ Blei­ und­ Silber,­ die­ Produktion­ von­ neuen­ metallenen Waffen­ und­ die­ vermutliche­ Herauszüchtung­ des­ Wollschafs­ bis­ hin­ zu­ Schrift­ und­ ­Administration.­

Es muß ein reiches, buntes Leben gewesen sein innerhalb der Maikop-Kultur. Aber um 3.500 v. Ztr. war die Maikop-Kultur schon lange nicht mehr die einzige der vielen archäologischen Kulturen im Südosten Europas, deren Angehörige "Steppen-Genetik" in sich trugen. Die wichtigsten ersten Schritte der Ausbreitung der Indogermanen waren schon lange im 5. Jahrtausend v. Ztr. geschehen. /

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*) Insofern ist es auch nachvollziehbar, daß der moldawische Archäologe Vladimir Dergachev nicht mehr vollumfänglich zu seinem Buch "Pferde, Zepter, Krieg" stehen will (wie in früheren Blogartikeln berichtet). Denn das Wort "Pferd" ist schon gut zehn Jahre nach Erscheinen seines Buches für jenen Zeitraum falsifiziert, auf den dieses Buch bezogen ist. Dies gilt allerdings nicht für viele andere Erkenntnisse seines Buches (wie in vielen Artikeln der letzten Monate hier auf dem Blog dargelegt).
**) Denn der diesbezügliche Aufsatz ist - wieder einmal, wie unendlich dümmlich! - öffentlich nicht zugänglich. Wie peinlich. Dabei ist er von 1970. Du lieber Himmel. Was für eine Bigotterie. Was für eine Verachtung mündiger Bürger in Zeiten der Wissensgesellschaft. 
***) Ergänzung 5.3.23: In einer neuen Studie wird einleitend als Forschungsstand zusammen gefaßt (12):
"Auskünfte aus der Botai-Kultur wie die Demographie der dortigen Pferde, die Funde von Pferde-Dünger, möglicherweise die Funde von Weidezäunen oder auch von Pferdemilch-Resten in Keramikscherben ebenso wie Pferdemilch-Peptiden im Zahnschmelz von Jamnaja-Individuen aus Krivyaskiy (Rußland um 3000 v. Ztr.) legen nahe, daß sich während der zweiten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Ztr. eine Domestikation durchsetzte. Allerdings bieten diese keinen direkten Hinweis dafür, daß Pferde auch geritten wurden."
"Information from the Botai site such as horse demography, horse dung finds, potential paddock fences, or horse milk traces in pot shards (7, 8), as well as horse milk peptides in the calculus of Yamnaya individuals from Krivyanskiy 9 (Russia; ~3000 BCE) (9), suggests that domestication became widely established during the second half of the fourth millennium BCE. However, these do not provide direct evidence for riding."

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  1. Bading, Ingo: 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/11/die-urheimat-der-arier-ist-sie-gefunden.html
  2. Librado, P., Khan, N., Fages, A. et al. (Johannes Krause, Wolfgang Haak, Norbert Benecke, Svend Hansen, David Anthony, Kristian Kristiansen, Ludovic Orlando): The origins and spread of domestic horses from the Western Eurasian steppes. Nature, 20.10.2021). https://doi.org/10.1038/s41586-021-04018-9
  3. Patricia Achter: Die Herkunft der heutigen Hauspferde ist endlich geklärt. Pressemitteilung der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 21.10.2021, https://idw-online.de/de/news?print=1&id=777911
  4. https://www.phil.uni-wuerzburg.de/vfg/forschung/projekte/naturheilige-plaetze-auf-der-noerdlichen-frankenalb/hohler-stein-bei-schwabthal/
  5. https://www.obermain.de/lokal/bad-staffelstein/art2486,342731  
  6. Moorey, P. R. S. Pictorial evidence for the history of horse-riding in Iraq before the Kassite period. Iraq 32, 36–50 (1970) 
  7. https://www.britishmuseum.org/collection/object/W_1897-0511-104
  8. https://www.welt.de/wissenschaft/article234525624/Erbgut-Untersuchungen-belegen-Das-heutige-Pferd-hat-russische-Ahnen.html
  9. https://www.scinexx.de/news/biowissen/ursprung-der-hauspferde-geklaert/
  10. https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/08/die-machtigen-volkerburgen_2.html 
  11. Hansen, Svend; Orlando, Ludovic; Reinhold, Sabine; Belinskij, Andrej Borisovič; Kalmykov, Alexej: Neues zur Domestikation des Pferdes. Die Anfänge führen in den Kaukasus während des 4. Jahrtausends v. Chr.. Forschungsberichte des DAI 2021 (Academia)
  12. Trautmann, Martin (...) Anthony, David; Heyd, Volker: First bioanthropological evidence for Yamnaya horsemanship. 3.3.2023, Science Advances eade2451 Volume 9, Nr. 9, doi:10.1126/sciadv.ade2451, https://www.science.org/doi/abs/10.1126/sciadv.ade2451

Mittwoch, 20. Oktober 2021

Inmitten all der "anderen Tiere" - Wie einzigartig wir Menschen doch sind

Wieder einmal ein Füllhorn an neuen naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Gedanken
- Der britische Evolutionsbiologe Simon Conway Morris (2021) 

Wir Menschen, wir haben im christlichen Zeitalter - über viele Jahrhunderte hinweg - die Ehrfurcht vor den Tieren und Pflanzen, unseren Brüdern und Schwestern, verlernt. 

Aus dieser Ehrfurchtslosigkeit heraus konnte der abartigste Materialismus entstehen wie er in der Gegenwart zu besichtigen ist, und wie er auf unseren Seelen lastet seit schon so unendlich langen Jahrzehnten hinweg und wie er uns von Jahr zu Jahr "unheimlicher", "erschreckender" vorkommt, weil er von den Menschen selbst immer weniger als solcher empfunden wird und sie immer weniger fähig zu sein scheinen, ihn in sich zu überwinden, über ihn hinauszuwachsen in eine freiere, seelisch erfülltere Welt.

Immerhin: Biologen des 19. und 20. Jahrhunderts haben in einer neugewonnenen Ehrfurcht und Verehrung vor der Natur unedlich viele neue Erkenntnisse gewonnen, dabei auch viele Erkenntnisse wieder gewonnen, die schon zum Beispiel ein Aristoteles in der Antike hatte - etwa als Meeresbiologe. Und wir haben uns - in Erforschung dieser unserer natürlichen Lebensumwelt - in den letzten hundert Jahren wieder und wieder darüber gefreut, waren wieder und wieder darüber erstaunt, wie "klug " doch Tiere sein können, wie nahe sie uns doch stehen, wie viele Gemeinsamkeiten wir Menschen mit anderen Tieren haben, daß wir "auch nichts anderes" sind als Tiere, auch nichts sind anderes sind als eine andere Art von Menschenaffen. 

"Der Mensch ist doch keine Graugans," riefen solchen Sichtweisen gegenüber noch in den 1970er und 1980er Jahren bigotte christ-konservative Politiker im Deutschen Bundestag aus, diese Vertreter uralt-pfäffischer Sichtweisen, die gerade seit und mit dem Jahr 1945 wieder so unglaublich fröhliche Urständ feierte in der westlichen Welt und in aufgeklärten Gegenden Europas wie Preußen.

Diese Sichtweise, daß an dem Menschen vieles "Graugans" ist, hat - angesichts der Abwertung der Tiere und Pflanzen im christlichen Zeitalter, angesichts des seelenlosen Materialismus - weiterhin ihre so unglaublich unbezweifelbare Berechtigung, ja, ihre so unglaublich tiefe Notwendigkeit. Nicht zuletzt im Zeitalter der Zerstörung der natürlichen Lebensumwelt auf diesem Planeten, seit Jahrzehnten vorangetrieben von materialistischer christ-konservativer Politik weltweit, in Zeiten eines neuen Massenaussterbens von Pflanzen- und Tierarten weltweit, hervorgerufen durch uns Menschen selbst und durch die vorherrschenden, in der Medienwelt vorgelebten abartigen, verwerflichen einstmals christlichen, heute nur noch banal-materialistischen Lebenseinstellungen. 

Schon seit Jahrzehnten wird der britische Evolutionsbiologe Simon Conway Morris (geb. 1951) (Wiki) von uns als genial erachtetet (s. Stud. gen.). Als genial um seines Buches "Unvermeidlich Menschen in einem einsamen Universum" (2003) (1) willen, als genial um seines Aufsatzes über "Das Ende der Evolution" (2013) (2, 3) willen. Welch eine Fülle von Einsichten, tiefen naturwissenschaftlichen und zugleich philosophischen Einsichten von einem einzigen Forscher ausgehen können. So staunen wir immer wieder erneut, wenn wir uns ihm zuwenden.

Und welch frisches Gedankenfutter. Immer wieder erneut.

Man möchte meinen: Conway Morris wendet sich immer wieder den für das menschliche Selbstverständnis in diesem Universum wesentlichsten Fragen zu. Was er anfaßt, ist Gold oder wird - unter seinen Händen - zu Gold. So scheint es uns nun auch zu sein mit seiner erst vor wenigen Monaten gehaltenen Vorlesung (4), in der er herauszuarbeiten versucht, wie unglaublich einzigartig wir Menschen doch sind im Vergleich zu "anderen" Tieren.

Ja, auch diese Sichtweise ist notwendig. Ja, wir verstehen, worauf Conway Morris hinaus will.

Wir haben uns lange Ausschnitte aus dem Vortrag angehört, merken aber, daß wir diesen Vortrag - wie so oft bei seinen Veröffentlichungen - mehrmals gründlich anhören müssen, um alles vollständig erfassen zu können.

Nur "andere" Tiere? Oder auch "andere" Menschen?

Zunächst möchten wir seinen Ausführungen nur noch einen weiteren, vielen Menschen womöglich allzu "frivol" und "ketzerisch" erscheinenden Gedanken hinzufügen. Conway Morris redet nur über Schimpansen und Neukaledonische Krähen, über Delphine und Papageien. Warum eigentlich redet er nicht auch über ein Phänomen, das aus Sicht moderner Gesellschaften "Intelligenzminderung" (Wiki) genannt wird, traditioneller benannt "geistige Behinderung", noch traditioneller "Schwachsinn", und zwar immer aus der Perspektive von Gesellschaften der Nordhalbkugel des 17. bis 21. Jahrhunderts? Diese Eigenschaft wird gewöhnlich Menschen zugesprochen, die einen angeborenen Intelligenzquotienten von weniger als 70 haben.

Wir stammen aber mit der aller größten Wahrscheinlichkeit von Menschen ab, die einen solchen IQ hatten. Und solche Menschen leben ja heute noch auf dieser Erde. Es darf - mit großer Wahrscheinlichkeit - sogar angenommen werden, daß noch die ersten Menschen, die Europa vor 40.000 Jahren besiedelt haben, solche Menschen mit einem Intelligenzquotienten von weniger als 70 waren.

Conway Morris sagt, daß auch die intelligentesten Tiere kein Konzept von "Pädagogik" in unserem Sinne besitzen würden. Sicherlich ein sehr interessanter Gedanke. Aber wie sieht es damit eigentlich aus unter Menschen mit einem IQ von weniger als 70 und in Gesellschaften, die von solchen Menschen bestimmt und dominiert werden? Gibt es in ihnen ein Konzept von "Pädagogik" in unserem Sinne? Würde es überhaupt Sinn machen bei ihnen?

Jeder, der solchen Menschen schon einmal versucht hat, das Lesen und Rechnen beizubringen, wird sich schon oft gewundert haben über die Unerbittlichkeit von Naturgesetzen. Üben hilft nicht. Üben hilft nicht. Vielmehr: Womöglich wäre ebenso viel Geduld erforderlich, Menschen mit einem IQ unter 70 rudimentäre Formen von Lesen oder Rechnen beizubringen wie die Forscher sie aufbringen in hunderten und tausenden von Stunden bei all von den Conway Morris angeführten Forschungen, um Tieren irgend etwas "beizubringen".

Das ganze Konzept von "Gesellschaft" und "Aufklärung" wie wir es seit etwa 2500 Jahren kennen, ist in traditionellen Gesellschaften mit einem IQ von weniger als 70 gar nicht möglich. Auch dieser Umstand darf allergrößtes Erstaunen in uns wecken. Wenn auch - wieder einmal - damit einhergehende seelenlose materialistische oder gar christliche Überheblichkeit und moralische Abwertung diesem Umstand gegenüber absolut fehl am Platze sind.

Aber das muß man womöglich auch nur Menschen sagen, die empört ausrufen können: "Der Mensch ist doch keine Graugans!" ......

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  1. Conway Morris, Simon: Life's Solution - Inevitable Humans in a Lonely Universe, 2003
  2. Conway Morris, Simon: Life - The final frontier for complexity? In: C. H. Lineweaver, P. C. W. Davies, M. Ruse (eds.): Complexity and the Arrow of Time. Cambridge University Press, 2013, S. 135-162; freies pdf.: http://uberty.org/wp-content/uploads/2016/01/Charles_H._Lineweaver_Complexity.pdf
  3. Bading, Ingo:  Ist die biologische Evolution zu Ende? Ausgangsbedingungen, Ablauf und Ende der biologischen Evolution - Sind sie "bedingt" durch ein Ziel?, 2016, https://studgendeutsch.blogspot.com/2016/07/ist-die-biologische-evolution-zu-ende_10.html
  4. Conway Morris, Simon: The Paradox of Human Uniqueness and Darwinian Continuity. Vortrag gehalten auf der Konferenz über "Evolution und das katholische Verständnis der Schöpfung" an der Franziskanischen Universität von Steubenville am 23. und 24. April 2021, https://youtu.be/5iBjBUUqBCY.

Montag, 18. Oktober 2021

Die Jupiter-Giganten-Säulen

Ein eindrucksvolles Zeugnis der Religionspsychologie und Religionsgeschichte

Die "Jupiter-Giganten-Säulen" (Wiki), die in vielen galloromanischen Teilen des Römischen Reiches ab dem 1. Jahrhundert n. Ztr. aufgestellt worden sind, dürfen erhebliches religionsgeschichtliches Interesse auf sich ziehen (1-3) (Abb. 1-4).

Abb. 1: Jupiter reitet Taranis nieder - Cäsar siegt über Vercingetorix - Nachbildung einer 1922 freigespülten Jupiter-Giganten-Säule im Römermuseum Schwarzenacker im Saarland, einer vormaligen gallorömischen Etappenstadt (zerstört durch die Alemannen 275 n. Ztr.) (2)

Allein rund um Mainz haben sich bis heute 76 solcher Säulen in unterschiedlichen Varianten erhalten (1-3). Dargestellt ist auf ihnen immer, wie der höchste römische Gott Jupiter einen Giganten niederreitet (1):

"Ein weiterer in Obernburg gefundener Gigantenreiter trägt ein Rad im Arm, das Symbol des keltischen Himmelsgottes Taranis." 

Die Kelten interpretierten den Sieg Caesars über sie also - offenbar - als einen Sieg des Hauptgottes der Römer, Jupiter, über den Hauptgott der Kelten, Taranis. Dieser wurde nun als ein wilder, unzivilisierter "Gigant" empfunden und dargestellt, mit nacktem Oberkörper. Nachfolgende Generationen akzeptierten diesen Sieg, indem sie diese Jupiter-Giganten-Säulen in allen Teilen der unterworfenen Gebiete ab dem 1. Jahrhundert aufstellten und sich - bzw. ihre Vorfahren - darin als jene unzivilisierten "Giganten" sehen konnten, als die sie dort von Jupiter niedergeritten werden. 

Zeugnisse eines Glaubenswechsels

Zeugnisse eines Glaubenswechsels. Zeugnisse einer "Bekehrung", einer "Umerziehung".

Es erinnert das an ähnliche Darstellungen aus der Zeit der Christianisierung, als das christliche Kreuz über die gebeugte heidnische Irminsul triumphierte, etwa so wie es auf dem Relief auf den Externsteinen - Jahrhunderte später - dargestellt worden ist (Wiki). Oder etwa so wie später die "Kirche" als triumphierend dargestellt wurde über das Heidentum ("ecclesia triumphans"). Dabei ist das Heidentum dann gerne auch als "Synagoge" dargestellt worden: "Ecclesia und Synagoge" (Wiki). Die "Synagoge" hat dabei verbundene Augen (da sie "blind" ist) und trägt als Symbol der Niederlage eine zerbrochene Fahne im Arm.

Abb. 2: Die Jupiter-Giganten-Säule in Schwarzenacker im Saarland (Wiki)

Um es auf das Bildprogramm heutiger "Bekehrungen" zu übertragen: Es könnte das parallel gesetzt werden dem Sieg der materialistischen "Coca Cola-Kultur" über das "heidnische", teuflische, mit Verbrechen assoziierte Hakenkreuz (1945) oder parallel gesetzt werden dem Sieg Woodrow Wilson's über Wilhelm II. (der belgischen Kindern die Hände abgehackt hat) (1918). Oder dem Sieg des "glorreichen" Sowjetsterns über das "finstere" Zarenreich (1917) (und später dann - 1945 - ebenso über das verbrecherische Hakenkreuz).

Sonstige Zeugnisse kulturellen Eigenlebens der "Galloromanen"?

Diese Jupiter-Giganten-Säulen ziehen insbesondere auch deshalb die Aufmerksamkeit auf sich, weil Kulturzeugnisse aus "keltoromanischer", bzw. galloromanischer Zeit, die ein kulturelles Eigenleben erkennen lassen im Angesicht der übergestülpten römischen Kultur, und aus denen diesbezügliche Befindlichkeiten der Menschen abzulesen wären, die etwaig abweichend waren von denen der Menschen sonst im Römischen Reich, vergleichsweise spärlich gesät sind (zumindest soweit das Nichtspezialisten erkennbar werden kann)(s. Wiki, ebenso: Wiki).

Das Augenmerk der Forschung mag nach diesem kulturellen Eigenleben der Galloromanen auch noch vergleichsweise selten gefragt haben, denn sonst würde doch die Bedeutung dieser Jupiter-Giganten-Säulen längst viel umfassender erörtert worden sein in der Forschung. 

Abb. 3: Jupiter-Gigantensäule aus Sinsheim (zwischen Heidelberg und Heilbronn) - Badisches Landesmuseum (Ldmus)

In der Erläuterung zu den Abbildung 3 und 4 lesen wir (Ldmus):

Jupitergigantensäule wie sie üblicherweise in der Nähe von Gutshöfen und kleineren ländlichen Siedlungen errichtet wurde. Diese besaß eine Höhe von mehr als 6 m. Der Jupiterreiter ist einer der größten und künstlerisch wertvollsten seiner Art in Deutschland. Der Gott hält sein metallenes Blitzbündel hoch erhoben während er einen gestürzten schlangenfüßigen Giganten niederreitet. Die vier Seitenflächen des Kapitells, das auf einer geschuppten Säule saß, bilden stilisierte Akanthusblätter, geschmückt mit plastisch gearbeiteten Köpfen, welche die vier Jahreszeiten symbolisieren.

Solche Jupiter-Giganten-Säulen sind in Süddeutschland in den Zeiten der Christianisierung offenbar sehr bewußt zerschlagen und unkenntlich gemacht worden. Wie es überhaupt kaum Grabstelen oder Altäre gibt, auf denen die Gesichter der Dargestellten nicht bewußt zerstört worden sind. Hier folgte offenbar eine Bekehrung, eine "Umwertung aller Werte" der nächsten (1):

"Bemerkenswert ist, daß die Gesichter der Gottheiten auf dem Viergötterstein gewaltsam beschädigt waren."

Den heidnischen Germanen, die die gallorömischen Provinzen während der Völkerwanderung eroberten, werden solche Dinge nicht getan haben. Aus solchem Zerstörungseifer spricht ja doch viel eher der christliche Geist.

Der keltische Baumkult - Er lebt in Anklängen weiter

Wir hören weiter (1):

"Das Bildprogramm der Säulen spiegelt das Bevölkerungsgemisch in der Provinz Obergermanien: Es entstammt der römischen und keltischen Götterwelt. Römisch ist das Götterpersonal, keltisch ist der Baumkult, der in der geschuppten Säule sichtbar wird."

Wir lesen weiterhin (3):

"Die 'klassische' Jupitersäule, gekrönt von einem auf dem Thron sitzenden Jupiter, wie man ihn auch von Darstellungen der kapitolinischen Trias aus Rom kennt, entstand in Obergermanien im Raum Mainz und verbreitete sich von dort aus entlang des Mittelrheins bis hinauf an den Niederrhein, im nördlichen Gallien und Britannien. Die Jupiter-Gigantensäule als eigene Unterart, findet sich vor allem im östlichen Gallien, in Gallia Beligica, im Raum von Eifel, Mosel und Ardennen."

Und zu weiteren Details dieser Säulen (3):

"Über diesem Sockelstein folgt oft ein Zwischenblock, in den die Weiheinschrift 'IOM' gemeißelt ist - die Abkürzung für den Namen des höchsten Gottes, Iupiter Optimus Maximus."

Wir lesen weiter (3):

"Es gibt dabei zwei Ausprägungen der Zwischensäule: beim 'klassischen' Typ, wie in Mainz, besteht die Säule aus einzelnen Säulentrommeln oder -blöcken, in die ebenfalls Bilder und szenische Darstellungen von Göttern gemeißelt sind. Bei der gallischen Variante, der Jupitergigantensäule, sieht die Säule wie ein Baumstamm aus, es findet sich mehrheitlich ein markantes Schuppenmuster, seltener Eichenlaub, Weinranken oder andere Blätterdarstellungen." "Schon im 2. Jahrhundert v. Chr. berichtete der Grieche Maximos von Tyros, daß die 'Kelten als Götterbild des Zeus eine hohe Eiche verehren'. Auch der römische Dichter Valerius Flaccus beschreibt um 70 n. Chr. in seiner 'Argonautica' einen einheimischen Stamm an der unteren Donau, der Baumstämme mit der Statue Jupiters darauf verehren würde ('truncae Iovis simulacra coumnae'). In beiden Quellen wird eine baumartige Säule mit dem Gott Jupiter in Verbindung gebracht." 

Es wäre noch einmal sehr interessant, in welchem Verhältnis diese Jupiter-Giganten-Säulen und dsa Lebensgefühl, das sie zum Ausdruck bringen, zu späteren religiösen Entwicklungen stehen. 

Abb. 4: Jupiter-Gigantensäule aus Sinsheim (zwischen Heidelberg und Heilbronn) - Badisches Landesmuseum (Ldmus)

Die Galloromanen könnten ja schließlich angesichts eines solchen religiösen Denkens und solcher Symbolsprache auch vergleichsweise wenig Probleme gehabt haben, als sich der Mithraskult im Römischen Reich ausbreitete. In dessen Mittelpunkt steht ja auch eine vergleichbare Symbolik des Sieges. Es geht um den Sieg des Lichtgottes Mithras über den erdhaften Stier. Und dieser Mithraskult war ja auch eine Art Vorläufer der "Erlösungsreligion Christentum". 

Ob Jesus Christus in diesem Sinne dann nicht eigentlich - - - als eine Art Caesar anzusehen wäre (freilich: masochistisch ans Kreuz genagelt)? Und hätte sich die christliche Symbolik des triumphierenden Christus nur an diese Vorgänger-Kulte angepaßt? Durchaus Fragen, denen im Anschluß an diese Erscheinung der Jupiter-Giganten-Säulen weiter nachgegangen werden könnte. 

Es könnte sich auch die Frage stellen, ob von der Weihinschrift "IOM" das spätere "INRI" über dem Christenkreuz abgeleitet ist. Aber auf Wikipedia wird die christliche Symbolik noch viel zu sehr aus christlicher Eigensicht heraus dargestellt (Wiki), als daß der Umstand erörtert würde, daß das Neue Testament eine der vielen jüdischen Propagandaschriften darstellte, mit denen Nichtjuden zu Juden (Proselyten) bekehrt werden sollten, und daß man dazu natürlich immer auch an die Seh- und Gefühlsgewohnheiten der Menschen jener Zeit anknüpfte und anknüpfen mußte. 

Eine Fülle von Einsichten und Anregungen vermitteln diese Jupiter-Giganten-Säulen jedenfalls nach mancherlei Richtungen hin, vorwärts und rückwärts in die Zeit. Oft fand sich vor der Säule auch ein Altar, auf denen Opfer dargebracht wurden und um gute Ernte gebeten wurde. 

/ Nachtrag, 26.12.2021: Die Schriftzeugnisse für die gallische Sprache (Wiki) der Kelten, die vornehmlich aus Weihinschriften bestehen, enden im dritten Jahrhundert n. Ztr.. /

______________

  1. Festakt zur Einweihung der Obernburger Jupitergigantensäule, Antike Welt 2021, https://antikewelt.de/2021/09/09/festakt-zur-einweihung-der-obernburger-jupitergigantensaeule/
  2. https://www.flickr.com/photos/mickythepixel/49332227931
  3. https://incipesapereaude.wordpress.com/2015/08/24/jupitergigantensaeulen-eine-gallo-roemische-neuschoepfung/
  4. Kurt von Zydowitz: Glaubensumbruch ein Verhängnis.  700 Jahre germanisch-deutsche Geschichte. Band 1 bis 3, Teil I: 6. bis 8. Jahrhundert; Teil II: 10. bis 13. Jahrhundert. Band 3: Geschichte der Deutschen im Osten. Verlag Mein Standpunkt, Westerstede 1974 bis 1984

Die Tuberkulose - Sie reduzierte Träger einer Genvariante in Europa von 10 auf 3 Prozent Häufigkeit

In den letzten 2000 Jahren

1885/86 malte der damals 22-jährige norwegische Maler Edvard Munch das berühmte Gemälde "Das kranke Kind" (Abb. 1).  Dargestellt ist seine Mutter am Bett seiner kranken Schwester. 

Abb. 1: Edvard Munch, "Das kranke Kind"

Seine Schwester starb an Tuberkulose (Wiki), ebenso die Mutter. Solche Gemälde machen bewußt, daß der Tod im Leben früherer Generationen eine viel größere Rolle spielte als heute. Zur gleichen Zeit malte Cristóbal Rojas in Venezuela das Gemälde "Das Elend" (Wiki), auf dem er sich selbst an Tuberkulose erkrankt dargestellt hat. 

Im menschlichen Genom ist eine Genvariante gefunden worden - benannt "P1104A"-Polymorphismus des TYK2-Gens, die, wenn sie in monozygoter Form vorliegt, mit einer erhöhten Sterblichkeit einhergeht, und zwar dann, wenn der Träger dieser Variante an Tuberkulose erkrankt. An Tuberkulose sterben noch heute weltweit über eine Million Menschen. Die meisten davon in Indien und im südlichen Afrika. Aber auch in Deutschland ist sie nicht ausgerottet. Tuberkulose wurde in früheren Zeiten "Schwindsucht" genannt. Robert Koch wurde berühmt dadurch, daß er den Tuberkulose-Erreger entdeckte. Schon von Hippokrates ist die Schwindsucht im antiken Griechenland des 5. Jahrhunderts v. Ztr. sehr genau beschrieben worden. Die größte Tuberkulose-Welle der europäischen Geschichte fällt aber offenbar erst ins 17. und 18. Jahrhundert (Wiki).

Nun hatten französische Genetiker die Idee zu schauen, in welcher Häufigkeit sich dieser Polymorphismus in vorgeschichtlichen Bevölkerungen Europas vorgefunden hat, um daraus womöglich etwas über die Geschichte der Tuberkulose in Europa herauszulesen. Und tatsächlich wurden sie fündig (1):

Bei der Durchsicht eines großen Datensatzes von 1.013 vorgeschichtlichen menschlichen Genomen (...) fand sich, daß die P1104A-Variante ihren Ursprung in einem gemeinsamen Vorfahren aller West-Eurasier hat, der vor 30.000 Jahren lebte. Weiterhin können wir zeigen, daß im Gefolge der umfangreichen Bevölkerungsbewegungen der anatolisch-neolithischen Bauern und der eurasischen Steppen-Herdenhalter (Indogermanen) nach Europa hinein die Häufigkeit von P1104A über die letzten 10.000 Jahre der europäischen Geschichte auffallend schwankt, wobei es aber zu einem dramatischen Rückgang in der Häufigkeit nach der Bronzezeit kommt. Unsere Analysen legen nahe, daß solch ein Häufigkeits-Rückgang einer starken Negativ-Selektion zuzuschreiben ist, die vor 2000 Jahren begonnen hat und daß die hier vorliegende Fitness-Reduktion (Reduktion der Überlebenswahrscheinlichkeit) der Homozygoten um 20 % zu den höchsten zählt, die im menschlichen Genom bislang gefunden werden konnte. ...
Leveraging a large dataset of 1,013 ancient human genomes (...) we find that the P1104A variant originated in the common ancestors of West Eurasians 30,000 years ago. Furthermore, we show that, following large-scale population movements of Anatolian Neolithic farmers and Eurasian steppeherders into Europe, P1104A has markedly fluctuated in frequency over the last 10,000 years of European history, with a dramatic decrease in frequency after the Bronze Age. Our analyses indicate that such a frequency drop is attributable to strong negative selection starting 2,000 years ago, with a relative fitness reduction on homozygotes of 20%, among the highest in the human genome. Together, our results provide genetic evidence that TB has imposed a heavy burden on European health over the last two millennia.

Diese Gen-Variante bietet einen Schutz vor bestimmten Autoimmunkrankheiten. Womöglich hat also die Ausbreitung der Tuberkulose dazu geführt, daß dieser Schutz heute in der Bevölkerung weniger häufig vorhanden ist (2).

Die Genvariante fand sich bei einem Bauern anatolisch-neolithischer Herkunft, jene Herkunftsgruppe, mit der sie sich in Europa vor allem verbreitet haben wird. Sie nahm bis in die Mittlere Bronzezeit allmählich zu und erreichte damals eine Häufigkeit von etwa 10 % (3). In den letzten 2000 Jahren fiel sie hingegen auf knapp 3 % zurück (3). Also waren es womöglich der Anstieg der Besiedlungsdichte durch die Römer und später durch die mittelalterlichen Städte, durch die sich die Tuberkulose leichter ausbreiten konnte und diese Selektion bewirken konnte.

_______

  1. Human ancient DNA analyses reveal the high burden of tuberculosis in Europeans over the last 2,000 years. Gaspard Kerner, G Laval, E Patin, S Boisson-Dupuis, L Abel… - American Journal of Human genetics, 4. März 2021, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0002929721000513
  2. https://www.diepresse.com/5946467/wie-die-tuberkulose-unser-immunsystem-geformt-hat
  3. Glaubrecht, Mathias: Tagesspiegel, April 2021, https://www.tagesspiegel.de/wissen/menschen-keime-mutationen-krankheitserreger-die-unsichtbaren-geschichtsschreiber/27133128.html
  4. https://www.newscientist.com/article/2270136-people-of-european-descent-evolved-resistance-to-tb-over-10000-years/
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