Wir Menschen, wir haben im christlichen Zeitalter - über viele Jahrhunderte hinweg - die Ehrfurcht vor den Tieren und Pflanzen, unseren Brüdern und Schwestern, verlernt.
Aus dieser Ehrfurchtslosigkeit heraus konnte der abartigste Materialismus entstehen wie er in der Gegenwart zu besichtigen ist, und wie er auf unseren Seelen lastet seit schon so unendlich langen Jahrzehnten hinweg und wie er uns von Jahr zu Jahr "unheimlicher", "erschreckender" vorkommt, weil er von den Menschen selbst immer weniger als solcher empfunden wird und sie immer weniger fähig zu sein scheinen, ihn in sich zu überwinden, über ihn hinauszuwachsen in eine freiere, seelisch erfülltere Welt.
Immerhin: Biologen des 19. und 20. Jahrhunderts haben in einer neugewonnenen Ehrfurcht und Verehrung vor der Natur unedlich viele neue Erkenntnisse gewonnen, dabei auch viele Erkenntnisse wieder gewonnen, die schon zum Beispiel ein Aristoteles in der Antike hatte - etwa als Meeresbiologe. Und wir haben uns - in Erforschung dieser unserer natürlichen Lebensumwelt - in den letzten hundert Jahren wieder und wieder darüber gefreut, waren wieder und wieder darüber erstaunt, wie "klug " doch Tiere sein können, wie nahe sie uns doch stehen, wie viele Gemeinsamkeiten wir Menschen mit anderen Tieren haben, daß wir "auch nichts anderes" sind als Tiere, auch nichts sind anderes sind als eine andere Art von Menschenaffen.
"Der Mensch ist doch keine Graugans," riefen solchen Sichtweisen gegenüber noch in den 1970er und 1980er Jahren bigotte christ-konservative Politiker im Deutschen Bundestag aus, diese Vertreter uralt-pfäffischer Sichtweisen, die gerade seit und mit dem Jahr 1945 wieder so unglaublich fröhliche Urständ feierte in der westlichen Welt und in aufgeklärten Gegenden Europas wie Preußen.
Diese Sichtweise, daß an dem Menschen vieles "Graugans" ist, hat - angesichts der Abwertung der Tiere und Pflanzen im christlichen Zeitalter, angesichts des seelenlosen Materialismus - weiterhin ihre so unglaublich unbezweifelbare Berechtigung, ja, ihre so unglaublich tiefe Notwendigkeit. Nicht zuletzt im Zeitalter der Zerstörung der natürlichen Lebensumwelt auf diesem Planeten, seit Jahrzehnten vorangetrieben von materialistischer christ-konservativer Politik weltweit, in Zeiten eines neuen Massenaussterbens von Pflanzen- und Tierarten weltweit, hervorgerufen durch uns Menschen selbst und durch die vorherrschenden, in der Medienwelt vorgelebten abartigen, verwerflichen einstmals christlichen, heute nur noch banal-materialistischen Lebenseinstellungen.
Schon seit Jahrzehnten wird der britische Evolutionsbiologe Simon Conway Morris (geb. 1951) (Wiki) von uns als genial erachtetet (s. Stud. gen.). Als genial um seines Buches "Unvermeidlich Menschen in einem einsamen Universum" (2003) (1) willen, als genial um seines Aufsatzes über "Das Ende der Evolution" (2013) (2, 3) willen. Welch eine Fülle von Einsichten, tiefen naturwissenschaftlichen und zugleich philosophischen Einsichten von einem einzigen Forscher ausgehen können. So staunen wir immer wieder erneut, wenn wir uns ihm zuwenden.
Und welch frisches Gedankenfutter. Immer wieder erneut.
Man möchte meinen: Conway Morris wendet sich immer wieder den für das menschliche Selbstverständnis in diesem Universum wesentlichsten Fragen zu. Was er anfaßt, ist Gold oder wird - unter seinen Händen - zu Gold. So scheint es uns nun auch zu sein mit seiner erst vor wenigen Monaten gehaltenen Vorlesung (4), in der er herauszuarbeiten versucht, wie unglaublich einzigartig wir Menschen doch sind im Vergleich zu "anderen" Tieren.
Ja, auch diese Sichtweise ist notwendig. Ja, wir verstehen, worauf Conway Morris hinaus will.
Wir haben uns lange Ausschnitte aus dem Vortrag angehört, merken aber, daß wir diesen Vortrag - wie so oft bei seinen Veröffentlichungen - mehrmals gründlich anhören müssen, um alles vollständig erfassen zu können.
Nur "andere" Tiere? Oder auch "andere" Menschen?
Zunächst möchten wir seinen Ausführungen nur noch einen weiteren, vielen Menschen womöglich allzu "frivol" und "ketzerisch" erscheinenden Gedanken hinzufügen. Conway Morris redet nur über Schimpansen und Neukaledonische Krähen, über Delphine und Papageien. Warum eigentlich redet er nicht auch über ein Phänomen, das aus Sicht moderner Gesellschaften "Intelligenzminderung" (Wiki) genannt wird, traditioneller benannt "geistige Behinderung", noch traditioneller "Schwachsinn", und zwar immer aus der Perspektive von Gesellschaften der Nordhalbkugel des 17. bis 21. Jahrhunderts? Diese Eigenschaft wird gewöhnlich Menschen zugesprochen, die einen angeborenen Intelligenzquotienten von weniger als 70 haben.
Wir stammen aber mit der aller größten Wahrscheinlichkeit von Menschen ab, die einen solchen IQ hatten. Und solche Menschen leben ja heute noch auf dieser Erde. Es darf - mit großer Wahrscheinlichkeit - sogar angenommen werden, daß noch die ersten Menschen, die Europa vor 40.000 Jahren besiedelt haben, solche Menschen mit einem Intelligenzquotienten von weniger als 70 waren.
Conway Morris sagt, daß auch die intelligentesten Tiere kein Konzept von "Pädagogik" in unserem Sinne besitzen würden. Sicherlich ein sehr interessanter Gedanke. Aber wie sieht es damit eigentlich aus unter Menschen mit einem IQ von weniger als 70 und in Gesellschaften, die von solchen Menschen bestimmt und dominiert werden? Gibt es in ihnen ein Konzept von "Pädagogik" in unserem Sinne? Würde es überhaupt Sinn machen bei ihnen?
Jeder, der solchen Menschen schon einmal versucht hat, das Lesen und Rechnen beizubringen, wird sich schon oft gewundert haben über die Unerbittlichkeit von Naturgesetzen. Üben hilft nicht. Üben hilft nicht. Vielmehr: Womöglich wäre ebenso viel Geduld erforderlich, Menschen mit einem IQ unter 70 rudimentäre Formen von Lesen oder Rechnen beizubringen wie die Forscher sie aufbringen in hunderten und tausenden von Stunden bei all von den Conway Morris angeführten Forschungen, um Tieren irgend etwas "beizubringen".
Das ganze Konzept von "Gesellschaft" und "Aufklärung" wie wir es seit etwa 2500 Jahren kennen, ist in traditionellen Gesellschaften mit einem IQ von weniger als 70 gar nicht möglich. Auch dieser Umstand darf allergrößtes Erstaunen in uns wecken. Wenn auch - wieder einmal - damit einhergehende seelenlose materialistische oder gar christliche Überheblichkeit und moralische Abwertung diesem Umstand gegenüber absolut fehl am Platze sind.
Aber das muß man womöglich auch nur Menschen sagen, die empört ausrufen können: "Der Mensch ist doch keine Graugans!" ......
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- Conway Morris, Simon: Life's Solution - Inevitable Humans in a Lonely Universe, 2003
- Conway Morris, Simon: Life - The final frontier for complexity? In: C. H. Lineweaver, P. C. W. Davies, M. Ruse (eds.): Complexity and the Arrow of Time. Cambridge University Press, 2013, S. 135-162; freies pdf.: http://uberty.org/wp-content/uploads/2016/01/Charles_H._Lineweaver_Complexity.pdf
- Bading, Ingo: Ist die biologische Evolution zu Ende? Ausgangsbedingungen, Ablauf und Ende der biologischen Evolution - Sind sie "bedingt" durch ein Ziel?, 2016, https://studgendeutsch.blogspot.com/2016/07/ist-die-biologische-evolution-zu-ende_10.html
- Conway Morris, Simon: The Paradox of Human Uniqueness and Darwinian
Continuity. Vortrag gehalten auf der Konferenz über "Evolution und das
katholische Verständnis der Schöpfung" an der Franziskanischen
Universität von Steubenville am 23. und 24. April 2021, https://youtu.be/5iBjBUUqBCY.
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