Sonntag, 3. Oktober 2021

Der Amarant - Eine C4-Pflanze, deren Nutzung durch die Indogermanen verbreitet wurde?

Im Juli wiesen wir unter anderem auf die alte Kulturpflanze des Amarant hin (Abb. 1), und daß diese sowohl in den alten Kulturen Amerikas wie Europas eine wichtige Rolle spielte (1). Die Archäobotaniker in Europa scheinen ihn aber immer noch nicht ausreichend im Blick zu haben.

Abb. 1: Amarant - Eine alte Kulturpflanze - Hier der Aufsteigende Fuchsschwanz (Amaranthus blitum) (Wiki), der sich aus dem Mittelmeerraum heraus weit verbreitet hat

Natürlich, die angebauten Hauptpflanzen des Neolithikums im Vorderen Orient und in Europa waren Weizen und Gerste. Aus pflanzenphyiologischer Sicht handelt es sich bei ihnen um sogeannte C3-Pflanzen. Diese hinterlassen andere archäochemisch feststellbare Signaturen bei jenen Organismen, die sie konsumieren, als C4-Pflanzen. C4-Pflanzen sind etwa: Mais, Hirse oder: Amaranth.

Indem man sich auf etwa fünf archäochemische Studien italienischer Forscher der Jahre 2016 bis 2019 bezieht, wird in einem neuen Preprint über den - für uns - erstaunlichen neuen, durch sie erlangten Forschungsstand referiert (2):

Für die italienischen Gesellschaften der Kupfer- und der Frühen Bronzezeit konnte aufgezeigt werden, daß ihre Nahrungsgrundlage aus C3-Pflanezn bestand, die typisch für sind das sogenannte "neolithische Paket" (Weizen und Gerste), ebenso in mäßigem Umfang aus Tier-Proteinen. In der Mittleren Bronzezeit wurden nach und nach neue Pflanzen (C4-Pflanzen, z.B. Hirse) auf der italienischen Halbinsel eingeführt. Allerdings dürfte ihr Verzehr begrenzt gewesen sein auf einige Zeitperioden und nur auf bestimmte Siedlungsorte. Es scheint, daß die neuen Pflanzenarten nach Europa von den eurasischen Steppen aus während des Neolithikums herein gekommen sind und daß sie während der Bronzezeit auch auf der italienischen Halbinsel eingeführt wurden.
Original: A terrestrial diet based on C3 plants typical of the 'Neolithic  package' (wheat and barley) with a moderate animal protein intake was demonstrated for CA-EBA Italian communities. At the same time, new crops (C4 plant, i.e., millet) were progressively introduced into the Italian peninsula in the MBA, though their consumption might have been limited to occasional period or particular sites. The new crop species seem to be inlet into Europe from the Eurasian Steppe regions during the Neolithic and introduced into the Italian peninsula in BA.

Der hier in Klammer eingefügte Hinweis "(C4-Pflanzen, z.B. Hirse)" könnte sich als außerordentlich irreführend herausstellen. Deshalb schreiben wir gerade als Kommentar zu dem neuen Preprint, daß die Erwähnung von Hirse in diesem Zusammenhang nicht mehr mit dem aktuellen Forschungsstand übereinzustimmen scheint (2):

May be you should look more for plants like Amaranth than for Millet as the C4-plants in question? The mentioning of millet seems to be outdated (a). David Anthony writes 2007 about the Late Bronze Age Samara Region (b):
"The earliest permanent year-round settlements in the LBA contained no evidence of agriculture but abundant evidence for the gathering of wild plants - the nutritious seeds of Chenopodium and Amaranthus, which can grow in dense stands as productive in seed yield per hectar as einkorn wheat. (...) Wild plant resources have been largely ignored in arguments about the productive capacity and potential autonomy of steppe subsistence economies."
_____________
a. Dragana Filipović, John Meadows, […] Tanja Zerl: New AMS 14C dates trackthe arrival and spread of broomcorn millet cultivation and agricultural change in prehistoric Europe. Published: 13 August 2020, Scientific Reports volume 10, Article number: 13698 (2020), https://www.nature.com/articles/s41598-020-70495-z
b. Anthony, David; Brown, Dorcas: The Herding-and-Gathering Economy at Krasnosamarskoe, Russia, and the end of the dependency model of steppe pastoralism. In: Social Orders and Social Landscapes, 2007, hrsg. von Charles W. Hartley, Laura M. Popova, Adam T. Smith, S. 393ff (see Google Books)
Ebenso auf Twitter (3). Wir sind auf Antworten gespannt.

Die Geschichte der Hirse und ihr etwaiger Zusammenhang mit der Geschichte der europäischen, neolithischen Völker, bzw. der Indogermanen haben wir hier auf dem Blog schon seit 2007 im Auge, jeweils fußend auf den vielen unterschiedlichen Forschungsergebnissen, die dazu jeweils neu bekannt geworden sind. Nachdem wir 2017 einen Zusammenhang zwischen der Hirse und der Ethnogenese der Indogermanen hergestellt hatten (4), hatten wir diese Unterstellung drei Jahre später aufgrund einer neuen Nature-Studie des Jahres 2020 (5) zurückziehen müssen (4). Diese Nature-Studie aus dem Jahr 2020 wird in dieser neuen italienischen Studie (2) aber leider gar nicht zitiert. 

Wie diese neue Studie (2) überhaupt offenbar noch wenig nicht in Betracht zu ziehen scheint, es jedenfalls nicht erwähnt, welche Vielfalt an C4-Pflanzen - abgesehen von der Hirse! - die Indogermanen mit nach Italien gebracht haben können, bzw. als Gewohnheit in Italien genutzt haben können (weil sie auch in Italien womöglich als "Unkräuter" wuchsen).

Wir wiesen in einem unserer jüngsten Artikeln (1) schon auf den Amaranth und den Gänsefuß als Nahrungsgrundlage von spätbronzezeitlichen indogermanischen Steppen-Völkern hin. Dabei wurde uns bewußt, daß diese Pflanzen auch schon von neolithischen, europäischen Völkern wie der Ertebolle-Kultur oder den Pfahlbau-Kulturen im Alpenraum genutzt wurden. So auch schon offenbar von den neolithischen Kulturen im Mittelmeer-Raum. Denn als wir in einem Kommentar zu einem Vortrag des Archäobotanikers Prof. Ferran Antolín über Pflanzenreste in neolithischen Siedlungen in Nordostspanien (Katalonien) und Südfrankreich fragten (6):

"Sind eigentlich auch Getreidesorten wie Ackermelde (Gänsefuß) oder Amarant gesucht/gefunden worden?" 

lautete seine Antwort (6): 

"Danke für die interessante Frage. Chenopodium album (Gänsefuß) ist in großen Mengen bei einigen unserer Fundstellen gefunden, und nicht nur in unverkohltem Zustand, sondern auch verkohlt. Das wäre ein Hinweis auf die Nutzung vom Gänsefuß. Ob es kultiviert wurde oder nicht können wir noch nicht beweisen und es ist auf jeden Fall umstritten, ob man es genutzt hat oder nicht."

Der Gänsefuß (=Ackermelde) ist allerdings, so sei hier gleich festgehalten, eine C3-Pflanze (Wiki), er kann also durchaus auch zu der eingangs erwähnten C3-Signatur in den italienischen neolithischen und frühbronzezeitlichen Siedlungen beigetragen haben. Zu C4-Pflanzen lesen wir auf Wikipedia (Wiki):

Typische C4-Pflanzen sind insbesondere Gräser, darunter auch bekannte Nutzpflanzen wie Mais, Zuckerrohr und Hirse, aber auch andere Arten, wie Amarant. (...) Etwa 3 % der Bedecktsamer betreiben C4-Photosynthese. Die meisten (ca. 80 %) gehören zu den Gräsern, insbesondere den Süßgräsern, gefolgt von Seggen. Der Großteil der schnell wachsenden Agrarpflanzen sind C4-Pflanzen, jedoch fallen auch viele der als sehr hartnäckig eingestuften Unkräuter (z. B. Hühnerhirse, Blutrote Fingerhirse oder Knolliges Zypergras) darunter. Doch auch bei einer Reihe von Zweikeimblättrigen gibt es diesen Stoffwechselweg, insbesondere bei den Fuchsschwanzgewächsen und anderen Nelkenartigen, bei Wolfsmilchgewächsen und vereinzelt bei Windengewächsen und Korbblütlern. Bei den Fuchsschwanzgewächsen (Amaranthaceae) gibt es in der Gattung Melden sowohl C3- als auch C4-Arten. Bekannte C4-Pflanzen sind Amarant, Hirse, Mais, Zuckerrohr und Riesen-Chinaschilf. 

Hier scheint es doch noch viele Möglichkeiten der Nutzung durch vorgeschichtliche Völker zu geben, die die Archäobotaniker und -chemiker  noch gar nicht ausreichend im Blick zu haben scheinen.

Im Diskussionsteil der neuen Studie äußern sich die Forscher angemessen zurückhaltend angesichts ihres Forschungsergebnisses, gewonnen anhand der Untersuchung von menschlichen Skeletten in einer Höhe in der Nähe der italienischen Stadt Sonino, die 100 Kilometer südlich von Rom und 150 Kilometer nördlich von Neapel liegt (2):

Es gibt unseres Wissens keine Isotopen-Werte für C4-Pflanezn im prähistorischen Italien. (...) Welche Art von Nahrung die in der Sonino-Höhle bestatteten Menschen, sowie deren Mütter/Ammen auch immer zu sich genommen haben, es scheint bemerkenswert, daß die Menschen, die die La Sassa-Höhle in den späteren Phasen nutzten, andere Ernährungsgewohnheiten aufwiesen als die Gemeinschaften, die zuvor ihre Menschen dort bestattet hatten.
There are no available isotopic values for C4 plants in Italian prehistory to the best  of our knowledge. Some historical millet and sorghum samples from African areas represent the few available comparisons for exploring the C4 isotopic signatures, showing enriched δ13C values ranging from - 13.1‰ to -10.6‰. Accordingly, we cannot test whether the value recorded for LS2176 could be derived reliably from an exclusive consumption of these resources. However, it is worth mentioning that some Italian  BA communities diets that are convincingly considered as grounded on a stable C4 plant dietary intake pointed out carbon signatures comparable with those determined for LS2176 (δ13C = -14.9 ± 1.1‰ for δ13C at Olmo di Nogara, -15.2 ± 2.4‰ at Bovolone, and 15.4‰ at Dossetto di Nogara, -16.5‰ the less negative  result at Misa cave, dated to the MBA). So far, we cannot exclude that the isotopic signature for LS2176 could be derived from a mixed parental diet, as the tidal resources and C4 ones may not be mutually exclusive. However, whatever being the primary edible resources consumed by LS2176 and his/her nurse, it seems remarkable that the people visiting La Sassa cave in the late phases of its exploitation explored different dietary habits than the communities that established the funerary setting in the previous stages.

Gespannt darf man sein, welche Ergebnisse die Forschung bezüglich solcher Fragen künftig noch mit sich bringen wird. Womöglich ist es angebracht, auf Nahrungsmittel wie den Amarant mit ganz neuen Augen zu sehen. Er könnte eine der Kraftquellen unserer Vorfahren dargestellt haben.

Apropos - Der Roggen spielt erst seit der Bronzezeit eine größere Rolle

Ergänzung 31.10.21: Auch der Roggen gehörte nicht zum "neolithischen Paket" (Wiki), bzw. zu dem ursprünglichen domestizierten Getreidearten (Wiki) dazu. In Europa wurde er erst ab der Mittelbronzezeit, bzw. ab der Hallstattzeit umfangreicher genutzt (7). Wir lesen dazu (Wiki):

Der Roggen war im Orient ein Wildgras. Seine Samen wurden in die Weizen- und Gerstenfelder eingeschleppt (Wind, Tiere) und breiteten sich allmählich im Saatgut aus. Weil ihm Winterfröste, Krankheiten, Trockenheit und Nährstoffmangel weniger anhaben können als dem anspruchsvollen Weizen, hat sich der Roggen im rauen Klima Mittel- und Nordeuropas durchgesetzt und wurde zum einzigen Brotgetreide der Slawen, Kelten und Germanen. Über 1200 Jahre war der Roggen in Deutschland die wichtigste Brotfrucht, von Menschen damals oft nur "das Korn" genannt. In den 1970er Jahren wurden Roggenkörner und -ährenspindeln an zwei Stellen in steinzeitlichen Schichten (ca. 6600 v. Chr.) in Nordsyrien (Tell Abu Hureyra) nachgewiesen. Ansonsten fehlen Hinweise auf die Nutzung von Roggen aber fast völlig, bis er in archäologischen Funden in Europa, die aus der Zeit von ca. 1800-1500 v. Chr. stammen, wieder erscheint. Möglicherweise wurde er als Verunreinigung im Weizen-Saatgut nach Europa eingeschleppt und erst hier gezielt kultiviert (siehe auch Sekundärgetreide). In Deutschland tauchen Roggenkörner in archäologischen Ausgrabungen erst im 6.-5. Jahrhundert v. Chr. (also in der Hallstattzeit) auf und damit erst 3000-3500 Jahre nach dem Beginn der Ackerbaukultur (Bandkeramik). Die Römer kannten Roggen, Plinius der Ältere bezeichnet ihn aber in seiner um 79 n. Chr. verfassten Naturalis historia (Buch 18, Stichwort 40) als minderwertig und magenschädlich, nur geeignet, um in Notzeiten den Hungertod abzuwehren.

____________

  1. Bading, Ingo: Zu Amaranth & Co., 25.7.2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/07/4700-v-ztr-indogermanen-am-mittellauf.html
  2. Isotopic evidence for population dynamics in the Central Italian Copper Age and Bronze Age.  Marco Romboni, Ilenia Arienzo, Mauro Antonio Di Vito, Carmine Lubritto, Monica Piochi, Maria Rosa Di Cicco, Olga Rickards, Mario Federico Rolfo, Jan Sevink, Flavio De Angelis and Luca Alessandri. bioRxiv. posted 1 October 2021, 10.1101/2021.09.30.462554, http://biorxiv.org/content/early/2021/10/01/2021.09.30.462554
  3. Romboni, Marco: I'm glad to share to you the preprint of my first authorship paper! 2.10.2021, https://twitter.com/MarcoRomboni/status/1444351763163893761
  4. Bading, Ingo:  Neue Forschungen zur Entstehung der Indogermanen - Wie entstanden die modernen europäischen Völker? 2017, 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2017/07/neue-forschungen-zur-entstehung-der.html
  5. Dragana Filipović, John Meadows, […]Tanja Zerl: New AMS 14C dates track the arrival and spread of broomcorn millet cultivation and agricultural change in prehistoric Europe. Published: 13 August 2020, Scientific Reports volume 10, Article number: 13698 (2020), https://www.nature.com/articles/s41598-020-70495-z
  6. Ferran Antolin: Ackerbau, Risiken und Resilienzstrategien im Neolithikum im nordwestlichen Mittelmeergebiet, 307.2021, https://youtu.be/9beUJIN32nc.
  7. Schreiber M., Özkan H., Komatsuda T., Mascher M. (2021) Evolution and Domestication of Rye. In: Rabanus-Wallace M.T., Stein N. (eds) The Rye Genome. Compendium of Plant Genomes. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-83383-1_6, https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-030-83383-1_6

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